Saved by Riddick III
von HopeK
Kurzbeschreibung
Fortsetzung von SBR 1 und 2. Es ist aber nicht notwendig, die Vorgänger zu lesen, dafür hab ich den Prolog geschrieben.
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Richard B. Riddick
22.11.2018
03.05.2020
14
31.726
7
Alle Kapitel
20 Reviews
20 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
24.02.2019
3.416
Kate hatte sich tief in den Schutz der Pflanze verkrochen. Die Decke um sich gewickelt und zitternd vor Angst versuchte sie, sich so klein wie möglich zu machen und, auch wenn sie sie schon völlig vergessen hatte, umklammerte ihre Rechte doch pflichtschuldig die Waffe, die Riddick ihr in die Hand gedrückt hatte. So sehr sie sich anstrengte, sie konnte nichts hören, es war totenstill und die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Wie lange saß sie schon dort? Es wurde immer schwerer den Impuls zu unterdrücken einfach aufzuspringen und loszulaufen, laufen, so schnell sie nur konnte und nie wieder stehen bleiben, weg von allem. Aber sie würde durchhalten, tun, was Riddick von ihr verlange. Sie konnte das. Sie schrie beinah auf, als metallene Stiefelspitzen sie berührten. Stiefelspitzen, die sie nur zu gut kannte … sie hatten unzählige blaue Flecken auf ihrem Körper hinterlassen. Ein trockenes Schluchzen würgte ihre Kehle, sie schloß die Augen und ergab sich ihrem Schicksal.
„Na, wen haben wir denn da! Hast du wirklich gedacht, daß du mir entkommen kannst? Das haben schon bessere versucht und sind gescheitert. Meine Männer erledigen gerade deinen kleinen Freund … für einen Geiselbefreier ist er gut, das muß man ihm lassen, aber nicht gut genug. Und sobald sie damit fertig sind, gehen wir zurück. Ich freue mich schon darauf, unsere Unterhaltung fortzuführen.“ Seine Stimme triefte vor Haß, diese Frau hatte ihm mehr Ärger bereitet, als sonst jemand bisher und das würde er sie bezahlen lassen.
Kates Kopf war wie leergefegt, sie konnte in ihrer Panik kaum denken, alles was sie wußte war, daß sie nicht mehr dahin zurück gehen würde. Als er ihr sein Handy vors Gesicht hielt und dabei ihre Nase traf, schrie sie auf.
„Mach die Augen auf, du Miststück, und schau dir an, was er getan hat! Felipe war mein scheiß Cousin!“ Sein Tritt ließ sie wimmern und sie öffnete die Augen, um einen weiteren zu verhindern.
Was sie auf dem Display sah, war wie aus einem Gruselfilm: zerfressene Leichen, die Kiefer zu einem stummen Schrei geöffnet in vor Horror verzerrten Gesichtern. Sie erkannte Felipes Gesicht, konnte aber nicht verstehen, was passiert war - als sie aufbrachen, hatten die Männer gelebt. Es mußte ein Trick sein! Oder Asu hatte vor lauter Rage über ihre Flucht seine eigenen Männer umgebracht? Nun, DAS konnte sie sich gut vorstellen.
Während er in den Dschungel lauschte, ließ er sie das Bild in Ruhe betrachten, sie sollte sehen, was dieses Schwein seiner Familie angetan hatte! „Sie haben ihn garantiert erwischt und bringen ihn jetzt her. Meine Männer hab den strikten Befehl, ihn am Leben zu lassen … ich werde ihn häuten für das, was er getan hat. Und du darfst zusehen. Steh auf jetzt!“
Wie in Trance tat sie, was er sagte, die Decke immer noch fest um sich gewickelt stand sie vor ihm. Das Zittern war überraschenderweise völlig verschwunden, ihre Stimme beinah fest. „Du darfst ihm nichts tun, er wollte mir nur helfen.“ Sein Lachen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
„Oh wie niedlich, hat da jemand Gefühle entwickelt für seinen Befreier? Dann sollten wir ihm vielleicht ein Abschiedsgeschenk machen … ich werd dich erst mal rannehmen, bevor ich mich um ihn kümmere, dann hat er auch was von dir. Vielleicht ein bißchen indirekt, aber immerhin.“ Er lachte wiehernd über seinen schlechten Scherz. „Ist das nicht nett von mir! Und dann werden meine Männer ihren Spaß mit dir haben, du hast immerhin eine ganze Menge Ärger verursacht, da haben sie eine kleine Kompensation verdient.“ Wieder lauschte er in den Dschungel und war zufrieden, als nichts zu hören war; seine Männer waren handverlesen und er hatte vollstes Vertrauen, daß sie diesem Söldner Herr wurden. „Eigentlich hatte ich ja vor, dich eine Weile zu behalten, aber jetzt verkaufe ich dich gleich, du bist den Aufwand nicht wert. Chan wird dir die Flausen schon austreiben, in längstens zwei Tagen bist du so handzahm, daß du drum bettelst. Vielleicht besuche ich dich ja auch dort und nehm mir so richtig Zeit dich zu vögeln, dann können wir auch über alte Zeiten plaudern, wo ich deinen ‚Befreier‘ umgebracht hab und ich und meine Männer so viel Spaß mit dir hatten …“ Er leckte sich die Lippen, in seiner Hose zeige sich eine Ausbuchtung - man sah überdeutlich, wie sehr er die Situation genoß. „Was, dachtest du wirklich, ich entführe dich und lasse dich dann wieder gehen damit du jedem erzählen kannst, wie ich aussehe? Der Sack über deinem Kopf war nur dazu da, dich in falscher Sicherheit zu wiegen.“ Und wieder lachte er, gespannt, wie ihr seine nächste Idee ‚gefiel‘; der Tag war doch noch ganz amüsant geworden. „Vielleicht sollte ich mit ihm auch ein wenig spielen, bevor ich ihn abschlachte, ihm zeigen, wer hier vor wem kniet … ein Arsch ist schließlich wie der andere …“
Er hatte ihren Blick völlig missinterpretiert, ihre Sorge um Riddick überlagerte Angst und Schock. „Du wirst ihm nicht weh tun.“ Ihre Stimme war fest geworden, aber er war nur amüsiert.
„Du und welche Armee wollen das verhindern?“
Alle Unsicherheit war verschwunden, sie würde nicht zulassen, daß Riddick etwas passierte; er war gekommen um sie zu retten, das durfte nicht damit vergolten werden, daß ihm jetzt etwas passierte. Ihr Zeigefinger glitt wie von selbst vom Lauf in den Abzug, krümmte sich.
Was war das gerade gewesen? Hatte ihn etwas gestochen? Asu sah an sich hinab zu dem kleinen Loch in seinem Hemd, eine Sekunde lang war er erleichtert - nichts passiert, er spürte nichts, aber dann füllte das kleine, schwarze Loch sich, wurde zu einem roten Fleck, der schnell größer wurde. Asus Verstand brauchte einen Augenblick um zu begreifen, was gerade passiert war, erst als sein Blut heiß und dunkel aus der Wunde sprudelte, realisierte er die Wahrheit. „Du verdammtes Drecksstück hast auf mich geschossen!! Das wirst du bezahlen, das sag ich dir! Wenn ich mit dir fertig bin gibt es nichts mehr, das ich verkaufen könnte!“ Seine Hand fuhr zum Gürtel, seine Waffe war um so vieles größer als der kleine Revolver, den Kate unter ihrer Decke abgefeuert hatte, aber er kam nicht dazu, auch einen Schuß abzugeben. Ein zweiter, höher angesetzter ließ ihn zurück taumeln. Seine Knie gaben nach, er wollte sie verfluchen, ihr damit drohen, was er ihr noch alles antun würde, aber nur ein Gurgeln entkam seiner Kehle, seine Lunge füllte sich schnell mit Blut und es blieb ihm nichts, als sie mordlüstern anzustarren, während er langsam in seinem eigenen Blut ertrank.
„Du wirst ihm nicht weh tun.“ Wiederholte sie bestimmt. Die Decke glitt von ihren Schultern, der Lauf der kleinen Waffe zeigte genau auf seinen Kopf, ihre Hand zitterte kein bißchen, sie würde genau dort treffen, wohin sie zielte.
Wieder versuchte er etwas zusagen, wieder brachte er nur ein Gurgeln, gefolgt von sichtlich schmerzhaftem Husten zustande. Ein dritter Schuß war nicht notwendig, seine Augen wurden trüb, er fiel nach vorne.
Riddicks Kiefer mahlten, in Gedanken sah er sie zu Boden fallen, blutend, sterbend … die ganze Aktion war ein solcher clusterfuck gewesen, es spottete jeder Beschreibung. Ein Teil seines Gehirns beschäftigte sich schon damit, was er Asu alles antun würde ... er würde aus dem Vollen schöpfen, sich Zeit lassen, es gab Dinge, die konnte er einfach nicht durchgehen lassen. Das Biest in ihm brüllte, er achtete nicht mehr darauf, kein Geräusch zu machen, wozu auch? Seine Beine flogen nur so über den Boden, schnell hatte er die Lichtung erreicht … und blieb wie angewurzelt stehen: es war Kate, die geschossen hatte! Riddick war nicht leicht zu überraschen, aber das Bild, das sich ihm auf der Lichtung bot war etwas, womit er nicht im Traum gerechnet hätte: Kate stand völlig konzentriert vor ihrem Peiniger, ihr Blick fest und entschlossen. Ihr Finger krümmte sich ein zweites Mal.
Asu taumelte und fiel, und wenn Kate sich nach dem zweiten Schuß entspannt hätte, hätte er wohl applaudiert, aber mit ihrer Waffe immer noch auf den längst toten Asu gerichtet blieb sie wie versteinert stehen … hatte sie überhaupt realisiert, daß die Gefahr vorbei war? Eher nicht.
Kate starrte reglos auf den Toten, bereit, noch einmal zu feuern, falls er doch noch am Leben war. Sie würde dafür sorgen, daß er Riddick nicht verletzte. In ihren Ohren rauschte es, die ganze Welt hatte sich auf sie, die Waffe und Asu reduziert. War er wirklich tot? Oder tat er nur so? Als sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel sah, schnellte sie herum; wenn das einer von Asus Männern war würde sie ihm keine Chance geben, Asu zu helfen.
Langsam, um sie nicht zu erschrecken, trat Riddick auf sie zu. „Kate …“ Er flüsterte beinah, versuchte, möglichst beruhigend zu klingen und blieb stehen, sobald sie ihn ganz sehen konnte, in diesem Zustand war sie völlig unberechenbar. „Kate … ich bins …“ Er unterschätzte die Gefährlichkeit der Situation keineswegs. „Alles okay, er ist tot, du kannst die Waffe weglegen.“ Keine Reaktion. Er ging langsam einen weiteren Schritt nach vorne, seine Handflächen offen nach oben gerichtet zeigte er ihr, daß er keine Bedrohung war. „Kate, das hast du gut gemacht, er kann dir nichts mehr tun, er ist tot, wir können gehen.“ Noch ein langsamer Schritt. Und noch einer. Beinah hatte er sie erreicht und sie starrte ihn immer noch stumm an, die Waffe immer noch auf seinen Bauch gerichtet. „Kate, gib sie mir, du brauchst sie nicht mehr, ich werde sie wieder für dich tragen. Babe, es ist gut, alles gut.“ Und endlich wurde ihr Blick wieder klar, ihre Hand sank nach unten.
Ihr Mund war trocken und ihre Zunge schien an ihrem Gaumen zu kleben, aber sie mußte ihm erklären, was sie getan hatte, warum, sie wollte nicht, daß er noch schlechter von ihr dachte. „Ich mußte es tun, er wollte dich töten, ich …“ brach es aus ihr heraus, aber dann stockte sie - war das gerade wirklich passiert? Sie wollte sich umdrehen, sich vergewissern …sie konnte nicht glauben, was sie getan hatte … sie hatte kein Blackout, aber die letzten Minuten waren so unwirklich, wie ein alter, unscharfer Film, den sie nur als Zuseher erlebt hatte, nicht als Darsteller … würde da wirklich ein Toter liegen, wenn sie sich umdrehte? Es fiel ihr nicht auf daß es ihr nichts mehr ausmachte, daß Riddick sie berührte.
„Nein, nicht!“ Er legte seine Hand auf ihre Schulter und stoppte die Bewegung. „Schau nicht zurück, das ist Vergangenheit. Es war nicht zu verhindern und du hast alles richtig gemacht, aber jetzt ist es vorbei, wir gehen. Gib mir die Waffe, du brauchst sie nicht mehr.“ Es war wichtig für sie, daß sie sie ihm von sich aus gab, es würde ihr nicht helfen, wenn er sie ihr wegnahm. Es war offensichtlich daß es ihr Mühe bereitete, das Geschehene zu verarbeiten und er war froh, daß er ihr jetzt alle Zeit der Welt geben konnte - es gab keine Verfolger mehr, die ihr Tempo bestimmten. Sie sah erst ihn an, dann seine ausgestreckte Hand und schließlich die Waffe, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Sie versuchte noch etwas zu sagen, brach ab, atmete schließlich tief durch und nahm endlich ihren Zeigefinger vom Abzug. So vorsichtig, als könnte sie explodieren, wenn sie nicht aufpaßte, legte sie sie auf seine Handfläche. „Gut, und jetzt nehmen wir unsere Sachen und gehen weiter.“ Sie mußte schleunigst weg von der Leiche.
„Aber …“
„Kein Aber, Kate, wir sind hier fertig, der Dschungel räumt für uns auf.“
„Aber …“ Er ging nicht auf das zweite Aber ein und hob ihre Sachen auf. „Komm jetzt, wir gehen.“ Seine Stimme war fest und bestimmt; sie hatte jemanden getötet, sie war verwirrt, überfordert und er wußte, daß sie jetzt jemanden brauchte, der ihr die nächsten Entscheidungen abnahm. Und es war genau richtig, sie folgte ihm, ohne weiter zu protestieren.
Immer wieder sah er über seine Schulter um sie zu beobachten. Wie würde sie damit umgehen? Sie hatte eine Menge durchgemacht die letzten Tage, und jetzt auch noch das - er kannte einige, die daran zerbrochen wären, aber er sah kein Anzeichen dafür bei ihr. Sie grübelte, aber sie lief nicht mehr wie ferngesteuert hinter ihm her. Waren die Schüsse auf Asu ihre Katharsis gewesen? Er ließ sie weiter grübeln, nichts, was er jetzt sagen konnte, würde sie weiter bringen, sie mußte es für sich selber herausfinden. Und er hatte selbst genug, worüber es nachzudenken galt - vielleicht hatte er sie nicht zur Gänze richtig eingeschätzt? Sie hatte eine Härte bewiesen, die er ihr eigentlich nicht zugetraut hatte. Und warum war es ihr so wichtig, ihn zu beschützen? Er brauchte keinen Schutz. Aber irgendwie … rührte es ihn. Ein solches Leichtgewicht von Frau glaubte, ihn beschützen zu müssen. Innerlich schnaubte er - vielleicht war er ja wirklich schon zu lange auf diesem Planeten. Immer wieder sah es aus, als ob sie etwas sagen wollte, aber dann doch nicht konnte; er wartete geduldig, sie würde es in ihrem ganz eigenen Tempo schaffen. Erst als sie ihr Nachtlager aufschlugen und an dem kleinen Feuer ihre Feldrationen aßen, schien sie genug Gedanken gewälzt zu haben und entschlossen, ihre Gedanken auch in Worte zu fassen.
Den ganzen Marsch über hatten ihre Gedanken wie ein Tornado in ihr gewütet, ihre Gefühle waren so undefinierbar, daß sie nicht wußte, ob ihr nach lachen, weinen oder kreischen zumute war, sie war am Rande eines Nervenzusammenbruches. Sie war erleichtert, froh, aber genau deswegen auch angewidert von sich - erleichtert war verständlich, Asu würde Riddick … und auch ihr … nichts mehr antun, aber froh? Was für ein Mensch war froh, wenn er einen anderen getötet hatte? War sie wirklich ein so schlechter Mensch? Wozu wäre sie noch fähig, wenn man sie dazu trieb? Wie konnte sie nur froh sein, wenn sie ein Leben genommen hatte?! Lange starrte sie ins Feuer, gab es schließlich auf und ergab sich dem hypnotischen Tanz der Flammen; ständig die gleichen Argumente und Fragen im Kreis zu drehen und umzuschlichten würde sie auf keinen grünen Zweig bringen. Ihr Kopf war lange Zeit völlig leer, das Spiel der Flammen alles, das existierte, bis ihr Unterbewußtsein sich schließlich bemerkbar machte, sie realisierte, daß sie da nicht alleine durch mußte, daß da jemand war, dem sie vertraute und der ihr helfen würde, es zu verstehen. Als sie aufsah, begegnete sie seinem Blick und es fiel ihr plötzlich so leicht, ihm davon zu erzählen. Sie ließ nichts aus und endete mit den Fragen, für die sie einfach keine Antwort finden konnte: „Wie soll ich damit umgehen? Was soll ich jetzt tun? Wie geht es jetzt weiter? Und was zur Hölle stimmt nicht mit mir?!!!“
Er hatte schon angefangen daran zu zweifeln, daß sie einfach in Ruhe zu lassen die richtige Methode war um ihr zu helfen, aber natürlich hatte er Recht gehabt. „Als erstes mußt du dir darüber klar werden, was genau du getan hast, und warum.“
„Ich habe einen Menschen umgebracht.“
„Sei präzise.“
Präzise? Genau das hatte sie aber getan! Worauf wollte er hinaus? Vielleicht … „Ich habe einen … bösen Menschen umgebracht?“
„Ist das eine Frage?“ Ihr Gesicht zeigte Verärgerung. Gut, es brachte nichts, wenn er sie verhätschelte und Wut war besser als Selbstmitleid.
„Nein, ist es nicht. Du weißt, was ich getan habe.“
„ICH weiß es, aber du scheinst dir nicht sicher zu sein. Denk eine Sekunde drüber nach, bevor du noch einmal antwortest.“ Er sah, daß sie protestieren wollte, aber das durfte sie jetzt nicht. „Bitte, mir zuliebe.“
Erst war sie sauer auf ihn, warum zwang er sie dazu?! Aber sein Gesichtsausdruck zeigte nichts als Anteilnahme. „Ich habe einen … Verbrecher getötet.“ Kam es ein wenig zögerlich, aber nicht mehr als Frage.
„Und warum?“
„Weil … er wollte dich töten.“
„Und?“ Munterte er sie auf, weiter zu reden.
„Er wollte mich töten. Und … noch anderes.“
„Gut. Und wenn wir das alles zusammen nehmen hast du …?“
„Ihn in Notwehr getötet?“
„Kate!“
„Ich habe ihn in Notwehr erschossen.“
„Denk genau nach: Hattest du eine Wahl? Hättest du geschossen, wenn er dich … uns … nicht bedroht hätte, wenn du nicht gewußt hättest, wozu er fähig ist und was er getan hat, und weiter tun würde?“
Diesmal hielt die Stille länger an. „Ich hatte keine Wahl, ich mußte schießen wenn ich verhindern wollte, was er gedroht hatte zu tun.“
„Siehst du, wie du es auch drehst und wendest, der springende Punkt ist Notwehr, und nichts anderes war es, du hattest keine Chance, etwas anderes zu tun: du wußtest nicht, wo ich war und ob ich überhaupt noch lebte, Asu hat dir garantiert gesagt, daß seine Männer mich überwältigt haben … er war der Typ dazu. Hättest du in diesem Augenblick nicht gehandelt, wäre es vorbei gewesen, eine zweite Chance hättest du nicht bekommen. Du bist ihm körperlich unterlegen, du konntest nicht davonlaufen, Hilfe war keine in Sicht. Deine einzige Option zu verhindern, daß er seine Drohungen wahr machte, war die Waffe zu benutzen. Kate, er war ein kranker Bastard, ein Soziopath, wie er im Buch steht, er hat vor nichts und niemandem Halt gemacht, nicht einmal Kinder waren tabu für ihn … du kannst dir nicht im Ansatz vorstellen, welche Verbrechen er begangen hat … du hast der Menschheit einen Gefallen getan, daß du dem heute ein Ende bereitet hast.“
„Ich seh immer wieder seine Augen vor mir, nachdem ich geschossen habe …“
„Er tut dir leid?“
Sie beantwortete diese Frage nicht, das mußte sie auch nicht. „Wenn ich ihn nur verletzt hätte, dann hätten wir ihn mitnehmen können, sie hätten ihn verhaftet … es gibt hier keine Todesstrafe.“
„Er tut dir leid, weil er auch ins Gefängnis hätte kommen können? Nein, hätte er nicht. Selbst wenn wir ihn mitgeschleppt hätten, wenn er verurteilt worden wäre, was denkst du, wie lange er tatsächlich im Gefängnis geblieben wäre? Erst hätte er seine Geschäfte von da drinnen weitergeführt und sobald er rausgekommen wäre, hätte er lustig weiter gemordet, vergewaltigt, Menschen in die Sklaverei verkauft, ...“ er machte eine kurze Pause, ließ seine Wort sinken. „Und mit dir hätte er angefangen. Er ist mit einem Ständer in der Hose gestorben, glaub mir, das war noch viel zu gut für ihn.“
„Es wird mich trotzdem mein Leben lang verfolgen, oder?“
„Kate, du wirst es nie vergessen können, das sollst du auch nicht - jemandem das Leben zu nehmen ist eine verdammt ernste Angelegenheit, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf, aber es wird besser und bald wirst du es als das sehen können, was es war, nämlich reine Notwehr, eine Notwendigkeit, um selber überleben zu können. Und dann wird es dich auch nicht mehr verfolgen. Und das bringt uns zu deiner letzten Frage: es gibt nichts, das mit dir nicht stimmt. Na ja,“ lächelte er „manchmal hast du ein zu weiches Herz, zu viel Mitgefühl für Leute, die es nicht verdienen.“ ‚Aber das solltest du beibehalten, das ist eins der Dinge, die dich so liebenswert machen.‘ fügte er in Gedanken hinzu; niemals würde er dergleichen laut äußern.
Sie nickte wieder, sann eine ganze Weile über seine Worte nach. Lange herrschte Stille an dem kleinen Lagerfeuer, die nächtlichen Dschungelgeräusche und das Knistern des Feuers waren das einzige, das zu hören war.
Bis es ihm zu lange dauerte. „Kate?“
Sie sah ihn ein wenig ratlos an, sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Und sie fror so entsetzlich, daß ihre Zähne klapperten. „Wieso ist es so kalt heute?“ Warum nicht vom Thema ablenken, bis sie eine Entscheidung getroffen hatte?
„Es ist nicht kälter als gestern. Du hast eine ganze Menge Adrenalin ausgeschüttet, das ist jetzt komplett abgebaut, du bist völlig erschöpft und durcheinander, du brauchst dringend eine Pause, physisch und psychisch … du läufst schon eine ganze Weile auf Reserve und jetzt ist der Punkt erreicht, an dem du Halt machen und zur Ruhe kommen und wieder Kraft schöpfen mußt. Ich kann dir nicht dabei helfen, das alles für dich auseinander zu dröseln, aber ich kann dafür sorgen, daß du nicht mehr frierst.“ Er öffnete seine Arme, wartete aber darauf, daß sie von selbst zu ihm kam - ein weiteres Zusammenzucken, wenn er nur die Hand hob um ihr zu helfen, konnte er nicht ertragen. „Na komm schon, deine Lippen sind schon ganz blau.“
Sie zögerte keine weitere Sekunde und in seinen - diesmal realen - Armen fand sie Wärme und Geborgenheit, es dauerte nur Minuten, bis sie fest eingeschlafen war. Auch ihr Unterbewußtsein hatte endlich begriffen, daß sie bei ihm in Sicherheit war, daß er nie die Hand gegen sie erheben würde und nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Geist konnte endlich anfangen, sich zu erholen.
Riddick hielt sie fest und war zufrieden als er spürte, wie sie sich immer mehr entspannte und schließlich einschlief. Er wußte, es würde noch ein Ausbruch kommen, bevor es endgültig ausgestanden war … das eben hatte nur die Schießerei betroffen, aber der Anfang war gemacht.
„Na, wen haben wir denn da! Hast du wirklich gedacht, daß du mir entkommen kannst? Das haben schon bessere versucht und sind gescheitert. Meine Männer erledigen gerade deinen kleinen Freund … für einen Geiselbefreier ist er gut, das muß man ihm lassen, aber nicht gut genug. Und sobald sie damit fertig sind, gehen wir zurück. Ich freue mich schon darauf, unsere Unterhaltung fortzuführen.“ Seine Stimme triefte vor Haß, diese Frau hatte ihm mehr Ärger bereitet, als sonst jemand bisher und das würde er sie bezahlen lassen.
Kates Kopf war wie leergefegt, sie konnte in ihrer Panik kaum denken, alles was sie wußte war, daß sie nicht mehr dahin zurück gehen würde. Als er ihr sein Handy vors Gesicht hielt und dabei ihre Nase traf, schrie sie auf.
„Mach die Augen auf, du Miststück, und schau dir an, was er getan hat! Felipe war mein scheiß Cousin!“ Sein Tritt ließ sie wimmern und sie öffnete die Augen, um einen weiteren zu verhindern.
Was sie auf dem Display sah, war wie aus einem Gruselfilm: zerfressene Leichen, die Kiefer zu einem stummen Schrei geöffnet in vor Horror verzerrten Gesichtern. Sie erkannte Felipes Gesicht, konnte aber nicht verstehen, was passiert war - als sie aufbrachen, hatten die Männer gelebt. Es mußte ein Trick sein! Oder Asu hatte vor lauter Rage über ihre Flucht seine eigenen Männer umgebracht? Nun, DAS konnte sie sich gut vorstellen.
Während er in den Dschungel lauschte, ließ er sie das Bild in Ruhe betrachten, sie sollte sehen, was dieses Schwein seiner Familie angetan hatte! „Sie haben ihn garantiert erwischt und bringen ihn jetzt her. Meine Männer hab den strikten Befehl, ihn am Leben zu lassen … ich werde ihn häuten für das, was er getan hat. Und du darfst zusehen. Steh auf jetzt!“
Wie in Trance tat sie, was er sagte, die Decke immer noch fest um sich gewickelt stand sie vor ihm. Das Zittern war überraschenderweise völlig verschwunden, ihre Stimme beinah fest. „Du darfst ihm nichts tun, er wollte mir nur helfen.“ Sein Lachen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
„Oh wie niedlich, hat da jemand Gefühle entwickelt für seinen Befreier? Dann sollten wir ihm vielleicht ein Abschiedsgeschenk machen … ich werd dich erst mal rannehmen, bevor ich mich um ihn kümmere, dann hat er auch was von dir. Vielleicht ein bißchen indirekt, aber immerhin.“ Er lachte wiehernd über seinen schlechten Scherz. „Ist das nicht nett von mir! Und dann werden meine Männer ihren Spaß mit dir haben, du hast immerhin eine ganze Menge Ärger verursacht, da haben sie eine kleine Kompensation verdient.“ Wieder lauschte er in den Dschungel und war zufrieden, als nichts zu hören war; seine Männer waren handverlesen und er hatte vollstes Vertrauen, daß sie diesem Söldner Herr wurden. „Eigentlich hatte ich ja vor, dich eine Weile zu behalten, aber jetzt verkaufe ich dich gleich, du bist den Aufwand nicht wert. Chan wird dir die Flausen schon austreiben, in längstens zwei Tagen bist du so handzahm, daß du drum bettelst. Vielleicht besuche ich dich ja auch dort und nehm mir so richtig Zeit dich zu vögeln, dann können wir auch über alte Zeiten plaudern, wo ich deinen ‚Befreier‘ umgebracht hab und ich und meine Männer so viel Spaß mit dir hatten …“ Er leckte sich die Lippen, in seiner Hose zeige sich eine Ausbuchtung - man sah überdeutlich, wie sehr er die Situation genoß. „Was, dachtest du wirklich, ich entführe dich und lasse dich dann wieder gehen damit du jedem erzählen kannst, wie ich aussehe? Der Sack über deinem Kopf war nur dazu da, dich in falscher Sicherheit zu wiegen.“ Und wieder lachte er, gespannt, wie ihr seine nächste Idee ‚gefiel‘; der Tag war doch noch ganz amüsant geworden. „Vielleicht sollte ich mit ihm auch ein wenig spielen, bevor ich ihn abschlachte, ihm zeigen, wer hier vor wem kniet … ein Arsch ist schließlich wie der andere …“
Er hatte ihren Blick völlig missinterpretiert, ihre Sorge um Riddick überlagerte Angst und Schock. „Du wirst ihm nicht weh tun.“ Ihre Stimme war fest geworden, aber er war nur amüsiert.
„Du und welche Armee wollen das verhindern?“
Alle Unsicherheit war verschwunden, sie würde nicht zulassen, daß Riddick etwas passierte; er war gekommen um sie zu retten, das durfte nicht damit vergolten werden, daß ihm jetzt etwas passierte. Ihr Zeigefinger glitt wie von selbst vom Lauf in den Abzug, krümmte sich.
Was war das gerade gewesen? Hatte ihn etwas gestochen? Asu sah an sich hinab zu dem kleinen Loch in seinem Hemd, eine Sekunde lang war er erleichtert - nichts passiert, er spürte nichts, aber dann füllte das kleine, schwarze Loch sich, wurde zu einem roten Fleck, der schnell größer wurde. Asus Verstand brauchte einen Augenblick um zu begreifen, was gerade passiert war, erst als sein Blut heiß und dunkel aus der Wunde sprudelte, realisierte er die Wahrheit. „Du verdammtes Drecksstück hast auf mich geschossen!! Das wirst du bezahlen, das sag ich dir! Wenn ich mit dir fertig bin gibt es nichts mehr, das ich verkaufen könnte!“ Seine Hand fuhr zum Gürtel, seine Waffe war um so vieles größer als der kleine Revolver, den Kate unter ihrer Decke abgefeuert hatte, aber er kam nicht dazu, auch einen Schuß abzugeben. Ein zweiter, höher angesetzter ließ ihn zurück taumeln. Seine Knie gaben nach, er wollte sie verfluchen, ihr damit drohen, was er ihr noch alles antun würde, aber nur ein Gurgeln entkam seiner Kehle, seine Lunge füllte sich schnell mit Blut und es blieb ihm nichts, als sie mordlüstern anzustarren, während er langsam in seinem eigenen Blut ertrank.
„Du wirst ihm nicht weh tun.“ Wiederholte sie bestimmt. Die Decke glitt von ihren Schultern, der Lauf der kleinen Waffe zeigte genau auf seinen Kopf, ihre Hand zitterte kein bißchen, sie würde genau dort treffen, wohin sie zielte.
Wieder versuchte er etwas zusagen, wieder brachte er nur ein Gurgeln, gefolgt von sichtlich schmerzhaftem Husten zustande. Ein dritter Schuß war nicht notwendig, seine Augen wurden trüb, er fiel nach vorne.
Riddicks Kiefer mahlten, in Gedanken sah er sie zu Boden fallen, blutend, sterbend … die ganze Aktion war ein solcher clusterfuck gewesen, es spottete jeder Beschreibung. Ein Teil seines Gehirns beschäftigte sich schon damit, was er Asu alles antun würde ... er würde aus dem Vollen schöpfen, sich Zeit lassen, es gab Dinge, die konnte er einfach nicht durchgehen lassen. Das Biest in ihm brüllte, er achtete nicht mehr darauf, kein Geräusch zu machen, wozu auch? Seine Beine flogen nur so über den Boden, schnell hatte er die Lichtung erreicht … und blieb wie angewurzelt stehen: es war Kate, die geschossen hatte! Riddick war nicht leicht zu überraschen, aber das Bild, das sich ihm auf der Lichtung bot war etwas, womit er nicht im Traum gerechnet hätte: Kate stand völlig konzentriert vor ihrem Peiniger, ihr Blick fest und entschlossen. Ihr Finger krümmte sich ein zweites Mal.
Asu taumelte und fiel, und wenn Kate sich nach dem zweiten Schuß entspannt hätte, hätte er wohl applaudiert, aber mit ihrer Waffe immer noch auf den längst toten Asu gerichtet blieb sie wie versteinert stehen … hatte sie überhaupt realisiert, daß die Gefahr vorbei war? Eher nicht.
Kate starrte reglos auf den Toten, bereit, noch einmal zu feuern, falls er doch noch am Leben war. Sie würde dafür sorgen, daß er Riddick nicht verletzte. In ihren Ohren rauschte es, die ganze Welt hatte sich auf sie, die Waffe und Asu reduziert. War er wirklich tot? Oder tat er nur so? Als sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel sah, schnellte sie herum; wenn das einer von Asus Männern war würde sie ihm keine Chance geben, Asu zu helfen.
Langsam, um sie nicht zu erschrecken, trat Riddick auf sie zu. „Kate …“ Er flüsterte beinah, versuchte, möglichst beruhigend zu klingen und blieb stehen, sobald sie ihn ganz sehen konnte, in diesem Zustand war sie völlig unberechenbar. „Kate … ich bins …“ Er unterschätzte die Gefährlichkeit der Situation keineswegs. „Alles okay, er ist tot, du kannst die Waffe weglegen.“ Keine Reaktion. Er ging langsam einen weiteren Schritt nach vorne, seine Handflächen offen nach oben gerichtet zeigte er ihr, daß er keine Bedrohung war. „Kate, das hast du gut gemacht, er kann dir nichts mehr tun, er ist tot, wir können gehen.“ Noch ein langsamer Schritt. Und noch einer. Beinah hatte er sie erreicht und sie starrte ihn immer noch stumm an, die Waffe immer noch auf seinen Bauch gerichtet. „Kate, gib sie mir, du brauchst sie nicht mehr, ich werde sie wieder für dich tragen. Babe, es ist gut, alles gut.“ Und endlich wurde ihr Blick wieder klar, ihre Hand sank nach unten.
Ihr Mund war trocken und ihre Zunge schien an ihrem Gaumen zu kleben, aber sie mußte ihm erklären, was sie getan hatte, warum, sie wollte nicht, daß er noch schlechter von ihr dachte. „Ich mußte es tun, er wollte dich töten, ich …“ brach es aus ihr heraus, aber dann stockte sie - war das gerade wirklich passiert? Sie wollte sich umdrehen, sich vergewissern …sie konnte nicht glauben, was sie getan hatte … sie hatte kein Blackout, aber die letzten Minuten waren so unwirklich, wie ein alter, unscharfer Film, den sie nur als Zuseher erlebt hatte, nicht als Darsteller … würde da wirklich ein Toter liegen, wenn sie sich umdrehte? Es fiel ihr nicht auf daß es ihr nichts mehr ausmachte, daß Riddick sie berührte.
„Nein, nicht!“ Er legte seine Hand auf ihre Schulter und stoppte die Bewegung. „Schau nicht zurück, das ist Vergangenheit. Es war nicht zu verhindern und du hast alles richtig gemacht, aber jetzt ist es vorbei, wir gehen. Gib mir die Waffe, du brauchst sie nicht mehr.“ Es war wichtig für sie, daß sie sie ihm von sich aus gab, es würde ihr nicht helfen, wenn er sie ihr wegnahm. Es war offensichtlich daß es ihr Mühe bereitete, das Geschehene zu verarbeiten und er war froh, daß er ihr jetzt alle Zeit der Welt geben konnte - es gab keine Verfolger mehr, die ihr Tempo bestimmten. Sie sah erst ihn an, dann seine ausgestreckte Hand und schließlich die Waffe, als würde sie sie zum ersten Mal sehen. Sie versuchte noch etwas zu sagen, brach ab, atmete schließlich tief durch und nahm endlich ihren Zeigefinger vom Abzug. So vorsichtig, als könnte sie explodieren, wenn sie nicht aufpaßte, legte sie sie auf seine Handfläche. „Gut, und jetzt nehmen wir unsere Sachen und gehen weiter.“ Sie mußte schleunigst weg von der Leiche.
„Aber …“
„Kein Aber, Kate, wir sind hier fertig, der Dschungel räumt für uns auf.“
„Aber …“ Er ging nicht auf das zweite Aber ein und hob ihre Sachen auf. „Komm jetzt, wir gehen.“ Seine Stimme war fest und bestimmt; sie hatte jemanden getötet, sie war verwirrt, überfordert und er wußte, daß sie jetzt jemanden brauchte, der ihr die nächsten Entscheidungen abnahm. Und es war genau richtig, sie folgte ihm, ohne weiter zu protestieren.
Immer wieder sah er über seine Schulter um sie zu beobachten. Wie würde sie damit umgehen? Sie hatte eine Menge durchgemacht die letzten Tage, und jetzt auch noch das - er kannte einige, die daran zerbrochen wären, aber er sah kein Anzeichen dafür bei ihr. Sie grübelte, aber sie lief nicht mehr wie ferngesteuert hinter ihm her. Waren die Schüsse auf Asu ihre Katharsis gewesen? Er ließ sie weiter grübeln, nichts, was er jetzt sagen konnte, würde sie weiter bringen, sie mußte es für sich selber herausfinden. Und er hatte selbst genug, worüber es nachzudenken galt - vielleicht hatte er sie nicht zur Gänze richtig eingeschätzt? Sie hatte eine Härte bewiesen, die er ihr eigentlich nicht zugetraut hatte. Und warum war es ihr so wichtig, ihn zu beschützen? Er brauchte keinen Schutz. Aber irgendwie … rührte es ihn. Ein solches Leichtgewicht von Frau glaubte, ihn beschützen zu müssen. Innerlich schnaubte er - vielleicht war er ja wirklich schon zu lange auf diesem Planeten. Immer wieder sah es aus, als ob sie etwas sagen wollte, aber dann doch nicht konnte; er wartete geduldig, sie würde es in ihrem ganz eigenen Tempo schaffen. Erst als sie ihr Nachtlager aufschlugen und an dem kleinen Feuer ihre Feldrationen aßen, schien sie genug Gedanken gewälzt zu haben und entschlossen, ihre Gedanken auch in Worte zu fassen.
Den ganzen Marsch über hatten ihre Gedanken wie ein Tornado in ihr gewütet, ihre Gefühle waren so undefinierbar, daß sie nicht wußte, ob ihr nach lachen, weinen oder kreischen zumute war, sie war am Rande eines Nervenzusammenbruches. Sie war erleichtert, froh, aber genau deswegen auch angewidert von sich - erleichtert war verständlich, Asu würde Riddick … und auch ihr … nichts mehr antun, aber froh? Was für ein Mensch war froh, wenn er einen anderen getötet hatte? War sie wirklich ein so schlechter Mensch? Wozu wäre sie noch fähig, wenn man sie dazu trieb? Wie konnte sie nur froh sein, wenn sie ein Leben genommen hatte?! Lange starrte sie ins Feuer, gab es schließlich auf und ergab sich dem hypnotischen Tanz der Flammen; ständig die gleichen Argumente und Fragen im Kreis zu drehen und umzuschlichten würde sie auf keinen grünen Zweig bringen. Ihr Kopf war lange Zeit völlig leer, das Spiel der Flammen alles, das existierte, bis ihr Unterbewußtsein sich schließlich bemerkbar machte, sie realisierte, daß sie da nicht alleine durch mußte, daß da jemand war, dem sie vertraute und der ihr helfen würde, es zu verstehen. Als sie aufsah, begegnete sie seinem Blick und es fiel ihr plötzlich so leicht, ihm davon zu erzählen. Sie ließ nichts aus und endete mit den Fragen, für die sie einfach keine Antwort finden konnte: „Wie soll ich damit umgehen? Was soll ich jetzt tun? Wie geht es jetzt weiter? Und was zur Hölle stimmt nicht mit mir?!!!“
Er hatte schon angefangen daran zu zweifeln, daß sie einfach in Ruhe zu lassen die richtige Methode war um ihr zu helfen, aber natürlich hatte er Recht gehabt. „Als erstes mußt du dir darüber klar werden, was genau du getan hast, und warum.“
„Ich habe einen Menschen umgebracht.“
„Sei präzise.“
Präzise? Genau das hatte sie aber getan! Worauf wollte er hinaus? Vielleicht … „Ich habe einen … bösen Menschen umgebracht?“
„Ist das eine Frage?“ Ihr Gesicht zeigte Verärgerung. Gut, es brachte nichts, wenn er sie verhätschelte und Wut war besser als Selbstmitleid.
„Nein, ist es nicht. Du weißt, was ich getan habe.“
„ICH weiß es, aber du scheinst dir nicht sicher zu sein. Denk eine Sekunde drüber nach, bevor du noch einmal antwortest.“ Er sah, daß sie protestieren wollte, aber das durfte sie jetzt nicht. „Bitte, mir zuliebe.“
Erst war sie sauer auf ihn, warum zwang er sie dazu?! Aber sein Gesichtsausdruck zeigte nichts als Anteilnahme. „Ich habe einen … Verbrecher getötet.“ Kam es ein wenig zögerlich, aber nicht mehr als Frage.
„Und warum?“
„Weil … er wollte dich töten.“
„Und?“ Munterte er sie auf, weiter zu reden.
„Er wollte mich töten. Und … noch anderes.“
„Gut. Und wenn wir das alles zusammen nehmen hast du …?“
„Ihn in Notwehr getötet?“
„Kate!“
„Ich habe ihn in Notwehr erschossen.“
„Denk genau nach: Hattest du eine Wahl? Hättest du geschossen, wenn er dich … uns … nicht bedroht hätte, wenn du nicht gewußt hättest, wozu er fähig ist und was er getan hat, und weiter tun würde?“
Diesmal hielt die Stille länger an. „Ich hatte keine Wahl, ich mußte schießen wenn ich verhindern wollte, was er gedroht hatte zu tun.“
„Siehst du, wie du es auch drehst und wendest, der springende Punkt ist Notwehr, und nichts anderes war es, du hattest keine Chance, etwas anderes zu tun: du wußtest nicht, wo ich war und ob ich überhaupt noch lebte, Asu hat dir garantiert gesagt, daß seine Männer mich überwältigt haben … er war der Typ dazu. Hättest du in diesem Augenblick nicht gehandelt, wäre es vorbei gewesen, eine zweite Chance hättest du nicht bekommen. Du bist ihm körperlich unterlegen, du konntest nicht davonlaufen, Hilfe war keine in Sicht. Deine einzige Option zu verhindern, daß er seine Drohungen wahr machte, war die Waffe zu benutzen. Kate, er war ein kranker Bastard, ein Soziopath, wie er im Buch steht, er hat vor nichts und niemandem Halt gemacht, nicht einmal Kinder waren tabu für ihn … du kannst dir nicht im Ansatz vorstellen, welche Verbrechen er begangen hat … du hast der Menschheit einen Gefallen getan, daß du dem heute ein Ende bereitet hast.“
„Ich seh immer wieder seine Augen vor mir, nachdem ich geschossen habe …“
„Er tut dir leid?“
Sie beantwortete diese Frage nicht, das mußte sie auch nicht. „Wenn ich ihn nur verletzt hätte, dann hätten wir ihn mitnehmen können, sie hätten ihn verhaftet … es gibt hier keine Todesstrafe.“
„Er tut dir leid, weil er auch ins Gefängnis hätte kommen können? Nein, hätte er nicht. Selbst wenn wir ihn mitgeschleppt hätten, wenn er verurteilt worden wäre, was denkst du, wie lange er tatsächlich im Gefängnis geblieben wäre? Erst hätte er seine Geschäfte von da drinnen weitergeführt und sobald er rausgekommen wäre, hätte er lustig weiter gemordet, vergewaltigt, Menschen in die Sklaverei verkauft, ...“ er machte eine kurze Pause, ließ seine Wort sinken. „Und mit dir hätte er angefangen. Er ist mit einem Ständer in der Hose gestorben, glaub mir, das war noch viel zu gut für ihn.“
„Es wird mich trotzdem mein Leben lang verfolgen, oder?“
„Kate, du wirst es nie vergessen können, das sollst du auch nicht - jemandem das Leben zu nehmen ist eine verdammt ernste Angelegenheit, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf, aber es wird besser und bald wirst du es als das sehen können, was es war, nämlich reine Notwehr, eine Notwendigkeit, um selber überleben zu können. Und dann wird es dich auch nicht mehr verfolgen. Und das bringt uns zu deiner letzten Frage: es gibt nichts, das mit dir nicht stimmt. Na ja,“ lächelte er „manchmal hast du ein zu weiches Herz, zu viel Mitgefühl für Leute, die es nicht verdienen.“ ‚Aber das solltest du beibehalten, das ist eins der Dinge, die dich so liebenswert machen.‘ fügte er in Gedanken hinzu; niemals würde er dergleichen laut äußern.
Sie nickte wieder, sann eine ganze Weile über seine Worte nach. Lange herrschte Stille an dem kleinen Lagerfeuer, die nächtlichen Dschungelgeräusche und das Knistern des Feuers waren das einzige, das zu hören war.
Bis es ihm zu lange dauerte. „Kate?“
Sie sah ihn ein wenig ratlos an, sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Und sie fror so entsetzlich, daß ihre Zähne klapperten. „Wieso ist es so kalt heute?“ Warum nicht vom Thema ablenken, bis sie eine Entscheidung getroffen hatte?
„Es ist nicht kälter als gestern. Du hast eine ganze Menge Adrenalin ausgeschüttet, das ist jetzt komplett abgebaut, du bist völlig erschöpft und durcheinander, du brauchst dringend eine Pause, physisch und psychisch … du läufst schon eine ganze Weile auf Reserve und jetzt ist der Punkt erreicht, an dem du Halt machen und zur Ruhe kommen und wieder Kraft schöpfen mußt. Ich kann dir nicht dabei helfen, das alles für dich auseinander zu dröseln, aber ich kann dafür sorgen, daß du nicht mehr frierst.“ Er öffnete seine Arme, wartete aber darauf, daß sie von selbst zu ihm kam - ein weiteres Zusammenzucken, wenn er nur die Hand hob um ihr zu helfen, konnte er nicht ertragen. „Na komm schon, deine Lippen sind schon ganz blau.“
Sie zögerte keine weitere Sekunde und in seinen - diesmal realen - Armen fand sie Wärme und Geborgenheit, es dauerte nur Minuten, bis sie fest eingeschlafen war. Auch ihr Unterbewußtsein hatte endlich begriffen, daß sie bei ihm in Sicherheit war, daß er nie die Hand gegen sie erheben würde und nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Geist konnte endlich anfangen, sich zu erholen.
Riddick hielt sie fest und war zufrieden als er spürte, wie sie sich immer mehr entspannte und schließlich einschlief. Er wußte, es würde noch ein Ausbruch kommen, bevor es endgültig ausgestanden war … das eben hatte nur die Schießerei betroffen, aber der Anfang war gemacht.