Seraph
von erdbeerkaktus
Kurzbeschreibung
[Blade Runner 2049] Geburt und Tod liegen manchmal nur einen Augenblick voneinander entfernt. Luv wird Zeuge eines solchen Augenblicks. (Quasi Schwestern OS zu "Todesengel", kann aber auch ohne dessen Kenntnis gelesen werden. Rating wegen des Themas und wegen der Indoktrinierung der Replikanten, hier Luv.)
OneshotAngst / P16 / Gen
18.11.2018
18.11.2018
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1.190
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it's about you and the sun
the story of my maker
what I have and what I ache for
I've got a golden ear
I cut and I spear
what else is there?
(What Else Is There - Röyksopp)
the story of my maker
what I have and what I ache for
I've got a golden ear
I cut and I spear
what else is there?
(What Else Is There - Röyksopp)
Das Signal kommt, als ich grade am Schreibtisch sitze. Ich runzele die Stirn. Mr. Wallace ist erst seit etwa zwanzig Minuten wieder hier. Er hat einen langen Flug hinter sich.
Aber Anweisung ist Anweisung.
Er besteht darauf, bei der Geburt des ersten Replikanten einer neuen Reihe dabei sein. Erst dann werden sie nacheinander aus ihren Nährblasen entlassen, bereit für die psychologischen Gespräche, erst dann sind sie bereit für die Lieferung.
Ich gehe in sein Quartier. Das Wasser um mich herum wirft asymmetrische, goldene Muster auf die weitläufigen Wände ringsum. Es ist ein Ort der Stille, der Ruhe. Auch im Halbdunkel erkenne ich, dass er seinen Kimono trägt, wie müde er aussieht.
Ich trete an ihn heran, teile ihm so leise wie möglich mit, dass eine neues Modell reif ist, bereit die Nährblase zu verlassen. Trotzdem werfen die Wände meine Stimme mehrfach zurück.
Anweisung ist Anweisung.
Er seufzt. Ich verspüre einen Stich. Er tadelt mich, berichtigt mich. Keine Nährblase, kein Modell.
Die Geburt eines neuen Kindes. Ich senke beschämt den Kopf. „Ja, Sir.“
Zusammen betreten wir den Geburtsraum, wie er ihn nennt. Nur die ersten Replikanten einer neuen Reihe genießen dieses Privileg. Geboren zu werden. In Anwesenheit ihres Vaters.
Eine einzelne weibliche Replikantin gleitet in ihrer Nährblase durch eine quadratische Öffnung von oben in den Raum.
Die Blase platzt, sie fällt hart auf die Matte am Boden. Sie keucht, hat die Augen geschlossen, liegt auf allen vieren, bedeckt mit Nährschleim, krümmt sich, zittert. Sie versucht, die Augen zu öffnen, schließt sie aber gleich wieder. Selbst das gedimmte, goldfarbene Licht hier bereitet ihr Schmerzen. Sie stützt sich auf ihren Armen ab, aber diese knicken sogleich wieder ein. Armes Ding. Ich kann mich selbst noch gut an meine Geburt erinnern. Die Schwäche, die Verwirrung, die Angst. Doch dann Licht.
Mr. Wallace tritt auf sie zu, beugt sich zu ihr herab. Er streichelt ihren Kopf, nimmt ihn in die Hände, hebt ihn an. „Happy Birthday.“ Seine Stimme ist leise, unergründlich für mich.
Ein sakraler Moment.
Sie versteht nichts. Es macht mich wütend. Er lässt ihren Kopf los, er sinkt zurück auf ihre Brust.
Ich hole eine Decke aus dem angrenzenden Raum, er hüllt sie darin ein. Liebevoll, fürsorglich. Ich trete vor, um ihr beim Aufstehen zu helfen, doch Mr. Wallace hat sich ebenfalls erhoben, übernimmt diese Aufgabe selbst. Er hilft ihr, sich aufzurichten, immer noch liebevoll, aber bestimmt. Er stellt sie gerade hin. Zweimal knicken ihre Beine noch um, er hält sie fest, richtet sie wieder auf. Ich spüre die leichte Hitze des Neids in mir hochsteigen. Doch ich zeige es nicht.
Als sie endlich stehen kann, lässt er von ihr ab, tritt zurück, nickt mir zu. Ich nehme ihr die Decke ab. Sie sieht mich hilflos, verängstigt an, wehrt sich leicht. Doch sie sagt nichts, fragt nichts. Sie hat noch keine Stimme.
Mr. Wallace trocknet sich die Hände. Ich weiß, dass es Zeit ist. Ich hole die Schatulle, öffne sie und setze ihm den Chip hinter das linke Ohr ein. Die Drohnen sind aktiviert. Er ist jetzt dazu bereit, sie zu sehen, sie zu begutachten.
Mr. Wallace atmet hörbar ein. Ich versteife mich. Er spricht davon, wie er es der Menschheit durch seine Replikanten ermöglicht hat, das Weltall zu besiedeln. Seine Engel. Neun Planeten bisher. Seine Stimme wird lauter. Ich höre die Enttäuschung, den Ärger darin. Es versetzt mir einen Stich. Ich weiß, dass auch diese Replikantin nicht in der Lage ist, sich zu reproduzieren. Auch sie ist eine Enttäuschung. Er spricht davon, wie sehr er es versucht habe, geißelt sich. Aber es ist nicht seine Schuld!
Ich blicke wieder zu der Replikantin. Sie wirkt immer noch verwirrt, verunsichert. Sie versteht nichts, immer noch nicht, doch sie hängt an seinen Lippen.
Ich nicke. Auch wenn sie nicht weiß, wer er ist, weiß sie doch, was er ist.
Ihr Vater. Ihr Erschaffer.
Wir alle wissen es, denn dieses Wissen steckt in unseren Genen.
Sie wird ihm auf die Art dienen, die er für sie vorgesehen hat. Vielleicht auf dem Mars, vielleicht auf Calantha in den Minen. Auch wenn sie Lichtjahre von ihm entfernt sein wird, wird sie ihm dienen.
Wie wir alle.
Und unser Dienst ist Mr. Wallaces Dienst an die Menschheit.
Wir alle müssen Opfer bringen.
Er setzt sich wieder, greift nach einer kleinen Schachtel. Ich bemerke sie erst jetzt und ärgere mich über meine Unachtsamkeit.
Er nimmt langsam ein Skalpellmesser daraus, wägt es in den Händen, wirkt nachdenklich.
Alles in mir verkampft sich.
Er steht auf, geht auf die Replikantin zu. Er berührt ihren Unterleib, die Leere zwischen den Sternen,wie er sagt. Wir brauchen Replikanten, die in der Lage sind, sich selbst zu reproduzieren. Wer wüsste das besser als Mr. Wallace? Und wer verstände das besser als ich?
Und doch. Und doch.
Er setzt das Messer an, zieht einen Schnitt quer durch ihren Unterleib. Ich zeige keine Regung, stehe kerzengerade. Doch ich kann nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen treten, über die Wangen laufen.
Wir alle müssen Opfer bringen.
Sie sieht zu ihm auf, mit diesen alten, jungen Augen voller Verwirrung, Überraschung, dann Verzweiflung.
Er nimmt ihren Kopf in seine Hand, küsst sie auf den Mund. Diese Ehre hatte ich nicht. Aber kein Engel sollte ohne ein Geschenk in den Himmel entlassen werden.
Ein Abschiedskuss.
O ja. Wir alle bringen Opfer. Auch Mr. Wallace.
Er wendet sich von ihr ab, noch bevor sie zu Boden fällt. Seine Augen, die nichts und doch alles sehen, ruhen auf mir.
„Es gibt ein Kind...“
Er weiß es also bereits. Weiß von dem Kind, das in der Replikantin Rachael, das einzige Nexus-7 Modell, heranwuchs, weiß, dass sie bei dessen Geburt gestorben ist.
Dass ihre Knochen im Leichenkühlhaus des LAPD aufbewahrt werden. Unser Netz funtkioniert gut.
„Bring es zu mir.“
„Ja, Sir.“
Meinen Tränen schenkt er keine Beachtung, erwähnt sie nicht. Ich bin ihm dankbar für diese unverdiente Freundlichkeit.
Er faltet die Hände hinter dem Rücken, schreitet langsam an mir vorbei, bleibt in der Tür noch einmal stehen. Ich wage nicht, mich zu ihm umzudrehen.
Seine Stimme ist leise, beihnahe sanft: „Du bist der beste Engel von allen, nicht wahr, Luv?“
Damit geht er aus dem Raum.
Ich atme tief durch. Blicke noch einmal auf das tote Wesen auf dem Boden.
Ihr Blut strömt noch immer aus ihr heraus, auf die Matte. Meine Schwester. Ich hätte sie sein können. Aber nein. Nicht ich. Ich wurde nicht für die Zucht gemacht.
Wir alle müssen Opfer bringen.
Ich habe eine Aufgabe, mein eigenes Schicksal.
Ich bin hier um Mr. Wallaces Vision zu erfüllen. Ihm dabei zu helfen. Und das werde ich.
Ich werde dieses nunmehr erwachsene Kind finden. Egal, auf welche Weise. Und Mr. Wallace wird ihm das genetische Geheimnis zum Leben aus sich selbst heraus entlocken, was es vermutlich das eigene kosten wird.
(Wir alle müssen Opfer bringen.)
Ich werde es finden. Ich bin keine Enttäuschung.
Ich bin die Beste.