CAERON - Konvention
von ChrisUndManuela
Kurzbeschreibung
Ein verzweifelter Gefangener, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ein rebellischer Testpilot, mit traumatischer Vergangenheit . Ein geheimnisvoller Vize-Direktor, mit rätselhaften Absichten. --- Jarod hat sein ganzes Leben isoliert in der geheimen Sektion 23 verbracht. Er kann in die Köpfe anderer Menschen sehen und ihr Wissen kopieren. Wirklich nur kopieren? Wieso halten ihn alle für so gefährlich, dass man ihn rund um die Uhr einsperren, bewachen und mit Schmerzen unter Kontrolle halten muss? --- Genau die gleichen Fragen stellt sich Lyle Parker, der neue Betreuer von Jarod. Er ist Ex-Astronaut, Testpilot, sehr von sich eingenommen und rebellisch gegen Vorgesetzte. Auf den ersten Blick scheinen Welten zwischen den beiden zu liegen, aber schon bald muss Lyle erkennen: ihn verbindet mehr mit Jarod, als ihm lieb ist.
LeseprobeSci-Fi, Suspense / P16 / Gen
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Donnerstag, 14. Mai
CÆRON, Sektion 23, Delaware, New Cove
Es fiel mir schwer, am Testgelände vorbeizufahren und meine Harley in der Tiefgarage des Hauptgebäudes abzustellen. Während meine Pilotenkollegen heute ihre Runden in den Testfliegern drehen durften, musste ich in den Katakomben von CÆRON meinen Dienst tun.
Scott erwartete mich bereits in SK 23, mit einem süffisanten Zug um den Mund.
»Na sowas. Ich hätte Sie ohne den Overall beinahe nicht erkannt.«
Ich lächelte schmal.
»Haben Sie sich die Anweisungen zum Projekt A2 eingeprägt?«
»Ja.« Ich bemerkte, wie er meine Cowboystiefel musterte. Na, gefallen sie dir?
»Sie wissen noch, woran Sie erkennen, dass A2 spiegelt?«
»Ja. An den Augen.« Er sprach mit mir, als wäre ich zwölf.
»Denken Sie an den Neurotransmitter. TAC und DROP.«
»Ich werde den Transmitter nicht nutzen.«
»Es könnte die einzige Möglichkeit sein…«
»Den Psychopathen zu beherrschen?«
»Er ist kein Psychopath.«
»Dann brauche ich das Ding auch nicht.«
»Aber wenn er spiegelt, müssen Sie…«
»Ich kann es auch anders verhindern.«
»Es dürfen keine lebensnotwendigen Systeme beschädigt werden. Er muss immer arbeitsfähig bleiben.« Scott setzte sich in Bewegung.
»Ist er der Prototyp eines Androiden?«
»Lyle, es geht hier um eine Menge Kapital.«
»Das braucht CÆRON auch, damit sie mich bezahlen können.«
»Sie haben noch nicht verstanden, dass A2 gefährlich ist.«
»Scott, ich bin kein Idiot.«
»Sie sind ein Pilot und haben mit so etwas keine Erfahrung.«
Ich lächelte schmal. »Sicher?«
Scott runzelte die Stirn. »Ich kann Ihnen nur raten, A2 nicht zu unterschätzen.«
»Wie haben Sie ihn dazu bekommen, dass er treudoof, sieben Tage die Woche, für CÆRON arbeitet?«
»Er kennt es nicht anders.«
»Wenn er die Leute spiegelt, bekommt er doch die Außenwelt mit.«
»Nur wenn er diesen Aspekt spiegeln würde. Warum sollte er? Er ist seit seiner Kindheit hier und kennt nur dieses Leben.«
»Oh, wow. Ich bin froh, dass CÆRON keine Testpiloten züchtet.«
Scott sah mich schief an, hielt vor der letzten Tür und trat auf das Logo auf dem Boden.
»Wie funktioniert das mit dem Logo?«
»Infrarotscanner«, erklärte Scott kurz angebunden. Die Tür glitt zur Seite.
Das Zimmer war etwa so groß wie unser Wohnzimmer. Rechteckig mit zwei Nischen im hinteren Teil. In der rechten Nische ein Einzelbett, im Einschnitt gegenüber eine Technik-Wand - MOTRON. Auf der linken Seite eine geschlossene Tür aus Stahl. Die Wände aus poliertem Stahl. Alles andere weiß und clean. Kein Schrank. Keine persönlichen Dinge. Kein Fenster.
Jarod saß an einem Tisch, der im vorderen Bereich in der Mitte des Zimmers stand. Vor ihm ein aufgeschlagenes Buch. Er trug eine Art Sportanzug mit einem aufgestickten CÆRON-Logo. Er sah neugierig zu mir.
»Steh auf!«
Bei Scotts scharfer Tonlage stellten sich meine Nackenhaare auf. Jarod reagierte sofort.
»Guten Morgen, Sir.« Ich sprang auf, lief um den Tisch und blickte den neuen Mann aufmerksam an. Er war etwa in meinem Alter. Braungebrannt. Die blonden Haare militärisch kurz. Ich sah in seine Augen. Jetzt erkannte ich ihn - es war der Pilot!
»Hi Jarod, ich bin Lyle Parker.« Ich griff nach Jarods Hand und schüttelte sie »Wir werden für eine Weile zusammenarbeiten.« Er starrte überrascht auf unsere Hände. Gegen Händeschütteln stand nichts in den Regeln. Trotzdem wirkte Jarod erschrocken.
»Guten Morgen, Sir.« Was machte er hier? Scott verzog finster die Augenbrauen und ich nahm schnell die Hand zurück. Kein körperlicher Kontakt!
»Das ist dein neuer Betreuer.«
Für einen Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Er? DER Pilot?
»
Und ich weiß, was mir blüht, wenn ich abgesetzt werde. Darauf bin ich nicht scharf, also halte dich mit dem Spiegeln zurück. Haben wir uns soweit verstanden?«
»Ja, Sir.« Ich war überrascht und irritiert. Wusste er denn nichts davon?
Jetzt wo die Fronten geklärt waren konnte ich nur hoffen, dass sich Jarod daran hielt. Im Moment wirkte er nicht so, als wäre er gefährlich. Aus Erfahrung wusste ich aber, dass der erste Eindruck täuschen konnte. Ich würde aufmerksam bleiben.
CÆRON, Aufzug 1
Wir fuhren gemeinsam im Aufzug nach oben. Jarod starrte stumm gegen die Aufzugtür. Die Atmosphäre war angespannt.
»Ich hoffe, du präsentierst dich deinem neuen Betreuer heute von deiner besten Seite.«
»Ja, Sir.«
»Am Samstag stehen acht Spiegelungen an. Ich will, dass du morgen früher schlafen gehst.«
»Ja, Sir.«
»Acht Spiegelungen? Das heißt, acht Menschen?«
»Acht Aspekte, von acht Menschen. Jarod kann immer nur einen Aspekt pro Woche von einem Menschen spiegeln.«
»Und wie lange braucht man für eine Spiegelung?«
»Das kommt darauf an, was gespiegelt wird und wie viele Informationen verarbeitet werden müssen. Zwischen fünf und dreißig Minuten.« Scott fixierte Jarod. »Hast du die Berichte gestern Abend abschließen können?«
»Ja, Sir.«
»Kann er auch längere Sätze reden außer Ja und Sir?«
»Er redet, wenn er gefragt wird. Wir kommunizieren professionell und geschäftlich.«
»Aha. So, wie im angehenden 19. Jahrhundert.« Scott würde den Wink bezüglich der Sklaverei sicher verstehen.
»Zügeln Sie sich, Lyle.«
»Ich tue mein Bestes.« Offensichtlich verstand er es.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Die beiden Polizisten sahen sich schweigend an. Jerry schielte zum Captain. Er schien in eine Unterhaltung mit einigen anderen Kollegen vertieft zu sein.
»Der Fall liegt jetzt zehn Jahre zurück. Man hat Lyle Parker verdächtigt, aber mangels Beweisen wurde der Fall schließlich unaufgeklärt geschlossen.«
»Ich habe auch etwas gefunden. Es gab einen Verdacht auf Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt gegen die Mutter.« Phil verzog das Gesicht. Wenn er etwas hasste, waren es Männer, die Frauen und Kinder schlugen.
»Klingt nach einem Motiv.«
»Wie wurde Ted Parker denn umgebracht?«
»Kopfschuss – mitten in die Stirn.«
Phil und Jerry starrten sich an.
»Das kann doch kein Zufall sein. Kopfschüsse, sind wohl seine Spezialität. Wir sollten uns Lyle Parker näher ansehen«, beschloss Jerry.
»Lass uns den ehemaligen Tatort besichtigen. Wo ist das denn passiert?«
»Die Parkers haben auf einer Farm am südlichen Rand von Trenton gewohnt.«
»Außer Schreibtischkram haben wir heute eh nichts.«
»Was sagen wir dem Captain?«
»Dass wir nochmal ein Gespräch mit dem Delony Bruder führen wollen.«
»Okay, so machen wir es.«
CÆRON, SK 11, Entwicklung Raumfahrt
Neben Sektion 12 war Sektion 11 meine Welt. Hier entwickelte CÆRON neue Techniken für die Raum- und Luftfahrt. Große Hallen, die abgedichtet werden konnten, wo Dinge getestet wurden, die erst Jahre später auf dem Markt erschienen. Maschinen mit neuartigen Formen und Funktionen.
In der Halle 7 b bauten sie an einem Tachyonen-Triebwerk. Ich konnte mir noch nicht vorstellen, wie die fünf Ringe ein Triebwerk darstellen sollten. Aber mit Quantenphysik hatte ich mich auch noch nicht näher beschäftigt. Man konnte damit das Raum-Zeit-Kontinuum beeinflussen - ziemlich gefährliche Sache. Dementsprechend ging die Arbeit langsam voran.
Leider steuerten wir nicht die Halle 7 b an, sondern gingen daran vorbei. Ich warf einen schnellen sehnsüchtigen Blick hinein. Die fünf Ringe standen unbeweglich in der Mitte. Schade.
Wir wichen vom üblichen Weg ab und schlugen eine Richtung ein, die ich nicht kannte. Ich war überrascht. Meines Wissens wurde hier nur Metallschrott gelagert. Eine massiv aussehende Tür war mit SK11-A gekennzeichnet.
Scott stellte sich auf das Dreieck. Das war zumindest keine der üblichen Türen. Als sie zur Seite glitt, konnte ich einen Gang mit mehreren Türen sehen. Scott bemerkte wohl, dass ich irritiert war.
»Diese Laboratorien und Konstruktionshallen werden nicht offiziell unter SK 11 gelistet.«
Wow! Das versprach spannend zu werden. Scott blieb vor einer Tür stehen, die zur Seite glitt. Ob die ständigen Infrarotstrahlen ungefährlich waren? Jarod und ich folgten ihm in den Raum.
Die Einrichtung des Labors war auf einem Level, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Obwohl wir unter der Erde waren, wirkte das Labor, als wären wir im Erdgeschoss mit Blick nach draußen. Die Beleuchtung war angenehm, ohne erkennbare Lichtquellen. Es gab eine Lichtsäule, für intensivere Helligkeit.
Ich ließ meinen Blick schweifen und blieb an dem Stück Metall hängen, das regungslos in einem Zugstrahl hing. Die Abmessungen des Objekts wurden in den Raum holographiert. »Und was macht Jarod jetzt hier?«
»Aus Ihrem Tagesplan ist das ersichtlich.« Es klang vorwurfsvoll. »Er entwickelt ein neues Material. Wir sind in der letzten Phase, bevor der Praxistest erfolgt.«
Und das Labor war für eine Person? Es war sicher so groß wie das Blutanalyselabor, in dem Sheridan arbeitete. Nur hatte der zwanzig Kollegen und Jarod war hier allein.
Ohne Aufforderung ging Jarod an einen der Labortische, zog sich eine Schutzbrille an und nahm das Metall aus dem Zugstrahl. Scott setzte sich in einem größeren Abstand an einen gläsernen Tisch, so dass er Jarod immer von vorne sah und fixierte ihn.
»Heute ist die Gefahr eher gering, dass Jarod jemanden spiegelt, da wir in einem abgeschlossenen Labor sind. Es gibt allerdings Projekte, da nutzen wir die Laboratorien anderer Sektionen. Jarod darf dann keinen unautorisierten Kontakt zu dritten Personen haben.«
»Dritten Personen?«
»CÆRON Mitarbeiter, die nicht mit SK 23 vertraut sind. Alle anderen Personen sind Externe.«
Jarod schien sich um uns gar nicht zu kümmern und war ganz versunken in seine Arbeit. Ob er in der Vergangenheit auch Scott gespiegelt hatte? Scott schien meine Gedanken zu erraten.
»Er nutzt jeden unachtsamen Augenblick eines Menschen, um ihn zu spiegeln. Auch bei mir hat er es getan. Deswegen seien Sie immer vorsichtig. Bereits der Ansatz einer unautorisierten Spiegelung muss unterbunden werden.«
Ein akustisches Signal ertönte. Scott blickte auf sein Data und ich sah auf meines. Die Anzeige für den Flüssigkeitshaushalt blinkte rot und das Balkendiagramm zeigte 98 % an.
»Bereits 2 % Flüssigkeitsverlust reichen aus, um die Leistung zu verringern. Jarod, trink Wasser!«
»Ja, Sir.« Ich legte meine Zange ab, zog die Handschuhe aus und langte nach der Flasche, die auf dem Labortisch stand.
»Wir verwenden nur CÆRON-Flaschen. Sie wissen sicher, dass die herkömmlichen Plastikflaschen Phthalate absondern, die Leber und Spermien schädigen.«
Er lauerte sichtlich auf Anzeichen von Unwissenheit. Ich tat ihm den Gefallen allerdings nicht. »Ja, wir nehmen zu Hause nur Glasflaschen.« Das Balkendiagramm wanderte auf die 100 %-Marke. Ich war tatsächlich Babysitter. Nicht nur aufpassen, sondern auch die Flasche geben. Hoffentlich gab es eine anständige Lösung für das Windeln. »Wieso kann er nicht alleine trinken?«
»Er soll sich nur auf die Arbeit konzentrieren. Alles andere kontrollieren wir.«
Jarod ließ sich alles von anderen sagen, wie sollte er da eine Gefahr für andere darstellen? »Wieso denken Sie, dass Jarod gefährlich ist?«
»Die Aspekte, die er spiegelt, können ihn gefährlich machen.«
Musste er immer um den heißen Brei herumreden? »Aha.«
»Ein Beispiel. Im Alter von 12 sollte er Informationen bei einem Polizisten spiegeln. Doch er hat unautorisiert Selbstverteidigung gespiegelt. In diesem Alter konnte er zum Glück schnell gezügelt werden. Hätte er heute die Gelegenheit Bruce Lee zu spiegeln, könnte er uns gefährlich werden.«
»Gut, dass Bruce Lee tot ist.« Ich warf einen schnellen Blick zu Jarod. Der durfte mich nie spiegeln.
Scott stand auf und ich merkte, wie sich sein Körper anspannte. »Jarod, was ist los?«
Unser »zu betreuendes Objekt« starrte vor sich hin und hatte die Arbeit eingestellt.
»Ich musste an Mr. Defoe denken. Darüber, was Sie mir gesagt haben, Sir.«
»Wir wiederholen nicht die Gespräche von gestern. Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern. Defoe wurde durch Parker ersetzt. Ende der Diskussion. Mach jetzt weiter! Du hast noch zwei Stunden, bis zum Mittagessen.«
»Ich möchte bitte mit Dr. Heimbs sprechen.«
»Wie kommst du denn auf so eine Idee? Das wird niemals geschehen. Arbeite weiter!«
»Ich spreche für dich mit Dr. Heimbs. Was soll ich ihm sagen?«
»Dass er wegen mir keine Menschen… töten darf.«
Demnach stimmten meine Vermutungen. »Hast du auch einen Vorschlag, wie man das Sicherheitsproblem löst?«
»Ich verstehe nicht.«
»Dein Betreuer hat Sicherheitsstufe 10. Das heißt, er kennt interne Firmengeheimnisse, die nicht nach draußen dringen dürfen. Solche Leute entlässt man nicht.«
»Lyle!« protestierte Scott, dem es offensichtlich nicht passte, dass ich Jarod Antworten gab.
»Man hätte ihn doch an einer anderen Stelle einsetzen können.«
»Es gibt leider kein anderes Einsatzgebiet in CÆRON für ihn.«
Wütend stieß ich die Trinkflasche vom Tisch. »Und wenn er die Böden gewischt hätte. Zumindest würde er noch leben.«
»TAC!«
Jarod schrie auf und sackte in sich zusammen. Er fiel auf die linke Seite. Sein ganzer Körper krampfte und bebte zitternd. Er wimmerte vor Schmerz. Ich war bis ins Mark erschüttert. Aus dem Data kamen akustische Signale. Scott starrte scheinbar fasziniert auf den leidenden Jarod. Dieser Arsch! »Hören Sie sofort damit auf!« Scott blieb unbeeindruckt. Im Gegenteil. Er schien es zu genießen.
»Wieso tun Sie es nicht?«
Das hatte ich tatsächlich vergessen! »DROP!« Der Krampf schien sich zu lösen. Jarods Körper fiel in sich zusammen. Mit zwei Schritten war ich bei Jarod und reichte ihm die Hand. »Komm hoch!«
Ich zögerte eine Sekunde, fasste dann zitternd nach Mr. Parkers Hand und ließ mir aufhelfen. »D… danke, Sir.«
Zeig nie deine wahren Gefühle! Äußerlich blieb ich ruhig, innerlich kochte ich. »Statt zornig zu sein, solltest du einen passenden Ausweg finden. Bodenwischen wäre nicht ausfüllend für deinen Betreuer gewesen.«
Ich stützte mich an einem Labortisch ab. »Aber… niemand… hat ihm die Wahl gelassen.«
»Man wird ihn am Anfang der Tätigkeit auf die Gefahren hingewiesen haben.« Pah! Genau wie bei mir!
»Warum hat man mir das nicht vorher mitgeteilt?«
»Befehls-Hierarchie.« Ich seufzte. Scheiß Bürokratie!
»Aber…«
»Die Erzählstunde ist beendet. Heb die Flasche auf!«
Jarod bückte sich, noch immer leicht zitternd, nach der Flasche.
»Die fünfzehn Minuten werden wir anhängen und die Mittagspause kürzen. Du weißt, Jarod, alles hat Konsequenzen.«
Langsam drehte ich mich zu Scott um und sagte völlig ruhig: »Die fünfzehn Minuten werden wir am Ende des Arbeitstages dran hängen. Die Zeit der Mittagspause bleibt bestehen. Um optimale Leistungen zu erbringen, werden optimale Pausen benötigt.« Scott entglitten für einen Moment die Gesichtszüge. Wahrscheinlich hatte noch nie ein Betreuer so mit ihm geredet. »Ich bin sicher, seine Mittagspause ist exakt ausgerechnet.« Scott schien heftig mit sich zu kämpfen.
»Nun gut...« Er drehte sich zu Jarod um und fuhr ihn schroff an. »Los jetzt! Weitermachen! Ich bin kurz bei einem anderen Termin. Lyle, Sie passen auf!«
Ungläubig starrte ich Scott hinterher, der schnell das Labor verließ. Ich sah zu Mr. Parker. Er schien zufrieden zu sein.
Scott war nicht nur verrückt, sondern auch ein Sadist und Feigling. Eine nützliche Information. »Mach jetzt deinen Job, bevor wir Ärger bekommen.«
»Ja, Sir.« Ich registrierte ein minimales Lächeln. Mr. Parker war nicht wie die Betreuer vor ihm. Er hatte Courage.
CÆRON, Sektion 1, Kantine
Pünktlich zur Mittagspause kam Scott zurück. Wir brachten Jarod in sein Zimmer. Scott bat mich, mit ihm in die Kantine zu gehen.
Die Kantine war offen für alle Mitarbeiter von CÆRON. Trotzdem schien es eine unausgesprochene Sitzordnung zu geben. Abteilungsweise saßen Mitarbeiter zusammen und aßen gemeinsam. Ich schielte nach meinen Kollegen aus SK 11 und 12, die ganz hinten am Tisch saßen. In SK 12 war auch eine kleinere Kantine, aber die meisten von uns mochten das Essen hier viel lieber.
»Bitte, nehmen Sie Platz.«
Ich seufzte und setzte mich. Missmutig starrte ich auf mein Essen. Der Job war Scheiße! Heimbs hatte mich mit der Titan-Mission geködert und ich war in die Falle getappt.
»Hören Sie, Lyle. Wenn Sie sich mit dem Subjekt solidarisch zeigen, werden Sie nicht lange Betreuer bleiben.«
»Danke für den Tipp.« Subjekt! Sein Name war Jarod!
»Wenn Sie mit den Konsequenzen leben können.«
Ich überging seine Drohung.
»Was eben passiert ist, darf nie wieder vorkommen. Unser Subjekt wird jede Schwäche von uns ausnutzen. Wenn einer von uns eine Aktion für angemessen hält, muss der andere dahinter stehen.«
»Ganz klar.« Ich war genervt von Scott. »Warum sagen Sie immer Subjekt? Er hat einen Namen.«
»In der Öffentlichkeit ist das tabu. Vergessen Sie nicht, die Sicherheitsstufe.«
»Wie könnte ich?« Ich nahm einen Bissen. »Warum hassen Sie ihn?« Scott hielt im Kauen inne, legte sein Besteck ab und trank einen Schluck Wasser. Die Frage war ihm offensichtlich unangenehm.
»Ich verstehe nicht. Ich mache nur meine Arbeit.«
»Es gibt immer verschiedene Methoden eine Arbeit auszuführen.«
»Ich bin seit über zehn Jahren in dieser Sektion. Sie kennen A2 nur ein paar Stunden. Wenn Sie die Zügel locker lassen, wird er durchgehen, verstehen Sie?«
»Okay.« Ich begann zu essen. Vom Reiten hatte er auch keine Ahnung.
»Übrigens ist immer ein Agent anwesend. Im Moment hat Agent Compton Dienst. Er überwacht jetzt auch die Vitalfunktionen.«
»Aha.« Mit Scott am Tisch war es langweilig. Lieber hätte ich bei den anderen gesessen und über die neuen TfTi-Triebwerke diskutiert. Musste ich denn hier bei dem Arsch bleiben? »War es das?«
»Es steht Ihnen frei, den Platz zu wechseln. Aber denken Sie daran, Stillschweigen über Ihre neue Aufgabe zu wahren - Regel Nummer Eins.«
»Meine Lippen sind versiegelt.«
»Hi Jungs. Habt ihr noch Platz für mich?«
Bill musterte mich grinsend. »Schau mal! Er trägt eine Anzugjacke, der feine Herr. Dachte, der neue Job ist dir zu Kopf gestiegen und du hast deine alten Kumpels vergessen.«
»Hör bloß auf mit dem Scheiß!«
»Ich bin aus allen Wolken gefallen, als Tony gesagt hat, dass du abgezogen wurdest. Was musst du denn da machen?« J.R. schob den leeren Teller von sich.
Ich hielt den Zeigefinger an meinen Mund, um anzudeuten, dass der verschlossen war. »Frag mich nicht.«
Bill beugte sich zu mir rüber und raunte: »Hat es etwas mit der Titanmission zu tun?«
»Schön wär’s.« Ich knallte das Tablett auf den Tisch.
Tony kam zu uns und hob die Augenbrauen. »Oh, haben sie dich dort schon wieder rausgeworfen?«
Bill lachte. »Würde mich nicht wundern.«
»Was sollen das heißen? Tony! Hol mich da raus! Meine Arbeitsmoral ist bei null! Ich will fliegen!«
»Nichts wäre mir lieber. Morgen testen wir die ST8 und ich weiß noch nicht, wen ich einteilen soll.«
»Die Auswahl ist ja nicht groß. Wer kann sie denn fliegen? Ninja, George, oder ich.«
Tony seufzte tief. »Du wärst mir am liebsten.«
»Ich kann mir die STARDUST nach Feierabend ansehen.«
»Mach nichts kaputt«, scherzte Bill.
»Du bist doch immer froh, wenn ich eure Fehler finde.«
»Lyle, unser Detektor.«
Wir lachten.
»Hi, Jungs.«
»Hallo Smithi. Du bist spät.«
»Hi Charly.« Ein Lichtblick.
Charly stellte das Tablett ab und zog sich einen Stuhl heran. »Tony ist schuld! Er will, dass die MiG nächste Woche schon in die Luft geht.«
»Hey, hey. Nicht meine Idee. French verlangt das. Der Kunde sitzt uns im Nacken.«
»Was ist denn mit dieser MiG?« J.R. kratzte in der Schüssel mit dem Nachtisch herum. »Seit wann restaurieren wir schrottreife Maschinen?«
»Ist ein Gefallen für einen Kunden vom Direktor, der alte Maschinen sammelt«, erklärte Tony. »Und die MiG ist was ganz Besonderes. Eine ehemalige Übungsmaschine. Aber das ist noch nicht alles. 1975 ist Swetlana Sawizkjaja damit einen Weltrekord geflogen.«
»Noch nie gehört.«
»Sie war die zweite Frau im All und die erste, die im Weltraum ausgestiegen ist. Mit dieser MiG ist sie vier Weltrekorde geflogen.«
»Dass du so was weißt, war mir klar!«
Wieder lachten alle und ich zuckte mit den Schultern.
Die Runde begann sich aufzulösen. Charly zog mich zur Seite und sprach gedämpft. »Komm mal zu mir, wenn du Zeit hast. Die JE ist nicht allein gekommen. Keine Ahnung, wie der Alte das macht. Die andere MiG und die Suchoi sind garantiert nicht mit rechten Dingen zu uns gekommen.«
Ich verschluckte mich. »Echt?«
»Eine 25RB Foxbat-B und eine SU-35.« Charly schmunzelte. »Offiziell hat der Transporter nur die JE ausgeladen. Die anderen Russen sind in den hinteren Nachbarhangar gebracht worden. Die stehen jetzt neben der Lockheed und der McDonnell. Nur Bill und ich kommen dort rein.«
»Sobald ich Zeit abzwacken kann, bin ich da. Darauf kannst du dich verlassen.« Was für eine Mischung. Vielleicht gab es gar keinen russischen Kunden? Vielleicht war Carter der Sammler?
»Das will ich dir auch geraten haben. Bis später. «
»Bye.« Ich deutete einen Kuss an und sah Charly einen Moment lang hinterher.
Auf dem Weg zum Ausgang entdeckte ich Gabi und setzte mich zu ihm. »Sag mal, Gabi…«
»Nenn mich nicht immer so.«
»Pech! Wir haben dir den Namen verpasst, leb damit!«
»Ich bin kein Pilot!«
»Erzähl das jemand anderem. Ich weiß, dass du fliegen kannst.« Jens Gabriel verzog das Gesicht. »Nochmal von vorn. Sag mal, für was sind die Ausbuchtungen über dem Schubvektor-Triebwerk der MIRINDA?«
»Lyle, du Nervensäge. Geduld war noch nie deine Stärke.« Gabriel grinste breit. »Du wirst es noch erfahren, aber jetzt ist es zu früh.«
Ich schnaubte durch die Nase.
»Stimmt es, dass du von SK 12 abgezogen wurdest? Das können die doch nicht machen. Die können doch ihren Laden schließen, ohne dich.«.
»Ich weiß.« Ich seufzte. »Da ist eine höhere Macht im Spiel.« Ich kam näher an ihn heran. »Ich kann nicht darüber reden, aber die haben mich mit dem TITAN geködert.«
»Und für diesen kalten Trabanten willst du ernsthaft die MIRINDA - dein Baby, deine Braut, deinen Herzschmerz - zurücklassen und raubeinige Schlächter an ihren zarten Knüppel lassen?«
Ich lachte. »Wo denkst du hin? Die nehme ich mit nach Hause.«
»So siehst du aus. Mein Lebenswerk. Nix da!«
Ich lachte. »Jetzt weiß ich, wofür die Ausbuchtungen sind. Der Notfallsitz für Gabi. Wird ein bisschen heiß, aber du wirst es überstehen.«
»Spinner. Pass bloß auf, was die von dir zu sehen bekommen, sonst bist du bald selbst eine Projektnummer.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Farm von Mary Parker, Delaware, Trenton
»Die Farm gehört Mary Parker. Sie hat sie geerbt, nach dem Tod ihres Mannes.«
»Und wo ist sie jetzt? Sieht verlassen aus.« Jerry schlug die Wagentür zu und sah sich aufmerksam um. Ein einstöckiges großes Haupthaus. Links davon eine riesige Scheune, rechts daneben waren Stallungen.
»Ja, aber die Felder sind bestellt.« Phil lauschte. »Nichts zu hören. Kein Vieh.«
Die Paddock Zäune wirkten morsch. Einige Bretter hatten sich gelöst und hingen schief an den Pfosten. Die Holzstufen zur Veranda waren dunkel, teilweise mit Moos besetzt.
Phil setzte einen Fuß darauf und belastete die Stufe vorsichtig mit seinem Gewicht. Nichts geschah. Er warf einen Blick durch das Fenster.
»Da wohnt keiner mehr.« Jerry pustete die Luft aus. Sie waren den ganzen Weg umsonst hergefahren.
»Sieht so aus. Sollen wir rein?«
»Ohne Durchsuchungsbefehl?« Er starrte seinen Partner ungläubig an.
Phil drückte versuchsweise die Türklinke herunter. »Offen. Das ist doch direkt eine Einladung. Komm, lass uns reingehen!«
Im Inneren des Hauses knarrte der alte Holzboden. Auf den mit Planen abgedeckten Möbeln lag eine deutliche Staubschicht.
»Hier war schon lang keiner mehr.«
Neugierig gingen die Männer durchs Haus. Die Einrichtung brachte sie in die 80er Jahre zurück.
»Sieh mal, das muss Parkers Zimmer gewesen sein.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein Stuhl.«
»Ja – aber keine Poster an der Wand. Nichts, was auf einen Jugendlichen hinweisen würde.«
»Ein Gästezimmer sieht anders aus.«
»Ein Jugendzimmer auch.«
»Vielleicht haben seine Eltern es umgebaut, nachdem er ausgezogen ist.«
Jerry zog die Schubladen des Schreibtisches auf. Er zog einen Packen alter Heftromane hervor. »Perry Rhodan. Mein Bruder liest den Mist auch.«
Phil öffnete den Schrank. »Hier drin ist ein Modell der Enterprise und ein X-Wing. Komisch, dass hier sonst kein Weltraumzeug rumhängt.«
»Vielleicht war er ein ordentlicher Junge.«
Phil lachte. »Klar.«
»Unspektakulär. Gehen wir raus. Ich durchsuche die Stallungen.«
»Dann nehme ich mir die Scheune vor.«
CÆRON, Sektion 23, Jarods Zimmer, Delaware, New Cove
Die Tür blinkte. Ich wollte schnell noch den Teller in den Speiseaufzug stellen, aber es war zu spät. Scott kam herein und inspizierte meinen Teller.
»Du hast nicht aufgegessen.«
»Ich hatte keinen Appetit.«
Scott tippte auf seinem Data herum. »Dein Blutzucker ist nicht im optimalen Bereich. Du weißt, wenn du nicht alles aufisst, fehlt dir die Energie zum Arbeiten. Dein Essen ist berechnet. Wenn du die Hälfte stehen lässt…«
Bevor er weiterreden konnte, riss ich den Teller zu mir und schaufelte kalte Kartoffeln, Fleisch und Gemüse in mich hinein.
Ich biss mir auf die Lippen, um nichts zu sagen. Bei dem Tempo würde ich mich übergeben. Er konnte doch beim besten Willen nicht kauen.
»Fertig, Sir.« Ich stellte den Teller in den Aufzug.
»Das hat unnötig Zeit gekostet. Komm jetzt!«
Ich warf einen kurzen Blick zu Scott. Zeit gekostet? Die eine Minute, in der Jarod das Essen herunterschlang?
Haus von Mary Parker, Delaware, Trenton
Phil drückte eine Seite des Holzschiebetors zur Seite. Es quietschte erbärmlich. Sonnenlicht drang durch die Holzritzen und traf auf etliche Spinnennetze. Staubpartikel schwebten in der Luft. Keine herumschwirrenden Fliegen. Es war beängstigend still. Die Scheune wirkte gespenstisch. Alte Landwirtschaftsmaschinen standen rostend in Reih und Glied. Über ihnen befand sich ein verstaubtes Heu- und Strohlager.
Phils Blick glitt tiefer in den Raum. Er entdeckte einen schmalen Gang zwischen rechter Außenwand und Traktor. Seine Augen hatten sich an das Dämmerlicht gewöhnt. Langsam schritt er den Gang entlang. Er war darauf bedacht, nicht mit seinem Anzug anzustoßen, um eine Staubdusche zu vermeiden.
Der Gang endete an einem kleinen Holzschuppen, der in der äußersten Ecke der Scheune eingebaut war. Phil grinste. Er vermutete ein uraltes Plumpsklo. Er wollte die Tür öffnen und bemerkte dann, dass sie mit einem Haken verriegelt war.
»Komisch.« Der müsste innen angebracht sein. Er klappte den Haken zur Seite und öffnete die Tür. Innen war es stockfinster und Phil benötigte ein bisschen Zeit, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann starrte er fassungslos hinein. »Das gibt es nicht!«
Jerry fand nichts von Bedeutung in den verlassenen Stallungen und ging in die Scheune. Es war nichts zu hören. »Phil?«
»Hier hinten. Komm und sieh dir das an. Den Gang am Traktor entlang.« Phil zog sich weiße Gummihandschuhe an und nahm einen Stock in die Hand. Ihn schauderte.
»Was machst du da?«
»Was glaubst du, für was das ist?« Phil zeigte seinem Kollegen den Stock. Er war etwa einen Meter lang.
»Das sieht aus wie… Bambus? Keine Ahnung.«
»Und das?«
»Eine Reitgerte.«
Phil begann weiter auszuräumen.
»Eine Kette… ein Teppichklopfer… eine – eine Peitsche?«
»Aus Leder, ist steif geworden.«
»Du lieber Himmel, das sind…«
»Schlagwerkzeuge.«
»Von diesem… Verschlag stand nichts in den Berichten.«
»Hm… mir kommt alles immer seltsamer vor.«
Jerry musterte die Instrumente, die fein säuberlich an der Wand hingen. Eine kleine dreckige Matratze lag in der Ecke, nicht groß genug für einen Erwachsenen.
»Lass uns hier raus, bevor meine Vorstellungskraft mit mir durchgeht.« Jerry schüttelte sich. Wenn sich das abgespielt hatte, was er glaubte, würde es ihn nicht wundern, wenn Lyle Parker eines Tages ausgeflippt wäre.
Sie atmeten erleichtert die frische Luft ein. »Mann, was für eine Entdeckung.«
»Was machen Sie da?«
Phil erschrak fürchterlich und seine Hand schnellte an sein Holster. Es war eine Dame um die sechzig Jahre. Der Senior Corporal entspannte sich. Die Frau musterte sie misstrauisch.
»Wir sind von der Polizei, Ma’am.« Jerry hielt seine Marke hoch. »Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Sie zuckte zustimmend mit der Schulter, wirkte aber weiterhin misstrauisch.
»Wir gehen alte Fälle durch und prüfen, ob alles korrekt abgelegt wurde.«
Ihr Gesicht erhellte sich. »Ah. Dann geht es um Ted Parkers Tod.«
»Ja, Ma’am.«
»Ich bin Martha Brown und wohne hier im Nachbarhaus. Es war seit Jahren niemand mehr hier.«
»Wissen Sie, wo Mary Parker ist?«
»Die Ärmste. Am Ende ist sie doch noch bei ihresgleichen gelandet.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, bei den Verrückten. Hat behauptet, sie wäre von Außerirdischen entführt worden. War ein großer Artikel in der Zeitung. Kein Wunder, dass Ted immer wieder die Nerven verloren hat. Ihr Junge hat sie einweisen lassen.«
»Lyle Parker?«
»Ja. Nach Teds Tod konnte man Mary nicht mehr alleine lassen. Der Junge lebte nicht mehr zu Hause. Hat studiert. Ist Pilot geworden.«
»Pilot?«
»Eine Mutter ist doch stolz, wenn der Sohn Pilot wird, oder? Mary hat das gar nicht gefallen. Und Ted war Ted. Lyle konnte es ihm nie recht machen.«
»Hat Ted Parker seinen Sohn geschlagen?«
Martha Brown knetete ihre Hände und kniff die Lippen zusammen. »Gerüchte gab es viele. Mary trug auch im Winter häufig eine Sonnenbrille. Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten anderer ein, wissen Sie.«
Jerry verbiss sich einen Kommentar. »Was können Sie uns noch über Ted Parker erzählen?«
»Ein Rumtreiber war er. Hat jedem Rock nachgejagt. War ständig in Prügeleien verwickelt. Harold hat ihn dann in die Stadt geschickt, damit er was Anständiges lernt. Wissen Sie, er hat nämlich die Schule hingeschmissen.«
»Harold?«
»Teds Vater. Die Mutter ist im Kindbett gestorben, wissen Sie. Harold musste Ted ganz alleine groß ziehen. Keine leichte Sache. Er hat…«
»Wie ging es mit Ted weiter?«
»Ach, die Stadt hat nichts gebracht. Er hat dort geheiratet und ist mit Mary zurückgekommen. Sie haben dann die Farm hier gekauft. Aber ein guter Farmer war er nie. Die arme Mary. Sie war eine Schönheit. Aber mit so einem Kerl konnte sie nur verrückt werden.«
»Wo wurde Ted Parker erschossen?« Phil unterbrach ihren Redeschwall.
»Ich kann es Ihnen zeigen. Kommen Sie! Ist nicht weit von hier.«
Die beiden Detektive warfen sich wortlos einen Blick zu und folgten der Alten.
»Hier! Hier war es. Da lag er auf dem Rücken mit dem Loch mitten in der Stirn. Ich habe den Knall gehört und erst gedacht, der alte Meyers hat wieder seinen Rasenmäher angeworfen, aber dann hab ich ihn gesehen. Es war so entsetzlich.« Die alte Dame zog umständlich ein Taschentuch aus der Schürze, wandte sich ab und wischte sich über das Gesicht.
Phil deutete zur Hintertür. »Ted Parker scheint auf dem Weg zum Haus gewesen zu sein.«
Jerry nickte nachdenklich. »Was deutlich für Lyle Parker als Verdächtigen spricht.«
»Mary Parker hätte auch ein Motiv.«
»Ein Schuss mitten in die Stirn. Das ist eher die Spezialität von Parker Junior.«
Martha widmete sich wieder den Polizisten und deutete mit beiden Händen einen großen Abstand an. »So lang war das Jagdgewehr, das neben ihm gelegen hat.«
Jerry blickte sie irritiert an. »Was meinen Sie?«
»Er lag da tot auf dem Rücken und in seiner Hand hielt er das Jagdgewehr. Er hat immer die Ratten damit gejagt. Schon als kleiner Junge, wissen Sie. Was hat sich eigentlich wegen den Männern in den schwarzen Anzügen ergeben?«
»Männer in schwarzen Anzügen?« Phil drehte sich zu ihr um.
»Zwei fesche junge Männer.« Sie lächelte und wurde rot.
Davon stand ganz sicher nichts in der Akte. Was hatte das zu bedeuten?
CÆRON, Sektion 11, Delaware, New Cove
Ich kam mir fehl am Platz vor. Jarod arbeitete weiter an dem Metall und ich sah dabei zu. Scott telefonierte. Ich war es gewohnt selbst mitanzupacken, und nicht als Zuschauer zu agieren. Und jetzt sah ich einem anderen Mann bei der Arbeit zu. Es widerte mich an.
Jarod warf einen verstohlenen Blick zu Scott und schien ihn zu fixieren. Ich stand in Reichweite, streckte den Arm aus und stach mit dem Zeigefinger leicht zwischen Jarods Schulterblätter. Er gab einen erschrockenen Laut von sich. »Lass es! Wenn Scott merkt, dass du ihn spiegelst, bekommst du Ärger. Reiz ihn doch nicht ständig.«
»Ich wollte nur…« Lauschen. Ich brach ab und stellte das Reagenzglas zurück in die Halterung. Lauschen war nicht erlaubt.
»Ja?«
»Nichts, Sir. Verzeihung.«
Jarod holte eine Chemikalie aus dem oberen Regal. Dabei rutschte sein Kittel nach unten und eine Tätowierung an seinem Handgelenk wurde sichtbar. Ich versuchte zu erkennen, was es war, aber der Ärmel rutschte zurück und verdeckte es. Scott beendete das Telefonat.
»Ich muss kurz weg. Schaffen Sie das hier alleine?«
»Ja.«
»Ich will keine Klagen hören, Jarod. «
»Ja, Sir.«
»Scheuen Sie sich nicht, den Transmitter zu benutzen, falls es Probleme geben sollte, Lyle.«
Aber sicher doch, du Sadist! Ich wartete, bis Scott gegangen war. »Ist das eine Tätowierung an deinem linken Handgelenk?«
»Sie meinen die Striche?«
»Zeig mal!«
Ich schlug den Pullover um und hielt Mr. Parker meinen Arm hin.
Es sah ein bisschen wie ein Strichcode aus. »Ist das ein Strichcode?«
»War das eine Frage an mich, Sir?«
»Ja, aber ich denke, du kannst sie nicht beantworten.«
»Das ist korrekt, Sir.«
Mal sehen, was Scott Hill dazu sagen würde. Jarod vertiefte sich in seine Aufgabe.
»An was arbeitest du?«
»An einer neuen Metalllegierung für die Raumgleiter.«
»Klingt interessant. Erzähl mir mehr!«
»Die alten HRSI konnten bis zu 1260 °C aushalten. Wenn ich es hinbekomme, wird dieses Material hier über 5000 °C aushalten können.«
»Wow!« Ich seufzte. »Das Metall würde ich gerne anfassen.«
Ich nahm ein Stück aus dem Versuchsofen, kühlte es unter kaltem Wasser ab und bot es Mr. Parker an. »Bitte, Sir.«
Einen Moment lang betrachtete ich das blaugrau schimmernde Stück, dann zog ich es aus der Zange und schloss die Faust. Mit geschlossenen Augen nahm ich die Eindrücke auf, die durch meine Nerven zogen. Es war anschmiegsam. Ich sah Jarod an. Er musterte mich aufmerksam. »Es wird besser halten als die Kacheln. Man kann es verflüssigen und wie eine Paste auftragen.«
»Das ist korrekt.«
»Es absorbiert die Hitze nicht, es stößt sie ab. Wird es keine Probleme mit der Reflexion auf den Rest des Gleiters geben?« Ich gab ihm das Stück zurück.
»Exakt das ist mein Problem.« Ich starrte Mr. Parker an und versuchte, in seinen Geist zu springen. Hart schlug mir die Mauer entgegen. Es gab keinen Weg. Alles war versperrt.
»Hör auf damit! Ich will diesen Neurotransmitter nicht aktivieren. Aber ich sehe es! Wenn du es noch einmal bei mir versuchst, werde ich dir verdammt wehtun. Auch ohne dieses Ding.«
Mein Herz schlug bis zum Hals. Mir wurde heiß. Ich musste mehr über diesen Mann wissen, aber zum ersten Mal in meinem Leben gab es keinen Weg hinein. Wer oder was war dieser Mann? »Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Testpilot, der auf dich aufpassen soll.«
Das war nur die halbe Wahrheit und das wussten wir beide.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Phil trank seinen vierten Kaffee und blätterte gedankenverloren zum wiederholten Mal die Akte durch. »Nichts. Keine Männer in schwarzen Anzügen. Die werden mit keinem Wort erwähnt. Alles andere entspricht den Erzählungen der Nachbarin.«
»Glaubst du, sie hat damals vergessen, die Typen zu erwähnen?«
»Nie und nimmer. So wie sie die uns gleich aufgetischt hat. Mir ist aufgefallen, dass auch der Verschlag nicht erwähnt wird.«
»Die Jugendfürsorge hat sich doch im Haus umgesehen.«
»Aber nicht in der Scheune. Der alte Parker war schlau. Er hat wohl seine Familie nie im Haus misshandelt.«
Phils Blick fiel auf die letzte Seite der Zeugenaussage von Martha Brown und er wusste, was ihn die ganze Zeit gestört hatte. Die Zeugenaussage war nicht unterschrieben. »Das ist Schlamperei. Damit kann man jeden Prozess platzen lassen.«
»War nicht Ben Dickson für den Fall zuständig?«
»Ja. Er ist pensioniert.«
Jerry angelte nach dem Telefon. »Ich ruf ihn an. Vielleicht kann er uns darüber ein bisschen was erzählen.«
CÆRON, Sektion 11, Delaware, New Cove
Scott kam erst wieder kurz vor Feierabend. Ich empfand Jarod nicht als gefährlich. Im Gegenteil. Er wirkte eher extrem ruhig und ein bisschen naiv. Tatsächlich war der Nachmittag langweilig gewesen. Endlich war der Tag vorbei.
»Ich habe noch unten zu tun. Sie können Schluss für heute machen, Lyle. Ich bringe Jarod in sein Zimmer.«
»Gut. Bis morgen, um acht.«
»Auf Wiedersehen, Mr. Parker.«
»Bis morgen, Jarod.«
Ich freute mich auf die Jungs und das Flight Inn. Gleichzeitig machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Scott würde Jarod jetzt dort unten einsperren. Jarod, der sicher noch nie in seinem Leben in einer Kneipe gewesen war. Und es wahrscheinlich niemals sein würde.
CÆRON, Aufzug 1
»Sir?«
»Was?«
Er klang genervt. Trotzdem wagte ich einen Vorstoß. »Ich würde gerne ein Geschichtsbuch lesen. Sechzehntes bis Neunzehntes Jahrhundert.« Scott wandte den Kopf und musterte mich misstrauisch.
»Warum?«
»Ich habe den aktuellen Lesestoff durch und hätte gerne ein neues Gebiet.«
»Warum Geschichte?«
»Weil ich mich bisher noch nicht damit befasst habe und gerne mehr darüber lernen möchte.« Wir verließen den Aufzug.
»Ich muss das erst prüfen.«
»Danke, Sir.«
Sektion 23, Jarods Zimmer
Ich betrat das Badezimmer und zog mich komplett aus.
Mr. Parker war anders. Keiner meiner früheren Betreuer glich ihm. Und das nicht nur wegen seiner Besonderheit.
Ich warf die benutzte Kleidung in den Wäscheschacht und betrat die Duschkabine.
Mr. Parker brach Regeln.
»Dusche an!«
Er vermied den Einsatz des Transmitters.
Ich wusch meinen Körper.
Er lehnte sich sogar gegen Scott auf!
»Dusche aus!«
Scott wirkte eingeschüchtert.
»Trocknen an!« Die Luftdüsen bliesen meinen Körper trocken.
Scotts überstürzter Weggang war typisch für ihn gewesen.
Ich nahm die Nachtkleidung aus dem Fach und zog mich an.
In mir vibrierte es vor Anspannung. Ich wollte mehr von Mr. Parker erfahren, und dieser unerfüllbare Wunsch fühlte sich unangenehm an.
Das Licht des Speiseaufzuges blinkte bereits. »MOTRON AN. Abspielen Händel. Wassermusik Suite Nr. 1. Lautstärke 5.«
Die Musik setzte ein. Ich nahm den Teller aus dem Aufzug - Salat mit Huhn, zwei Scheiben Brot, eine Flasche Wasser - setzte mich an den Tisch und begann zu essen.
Was Mr. Parker jetzt wohl aß? Warum war er mein neuer Betreuer? Als Testpilot und Dissident entsprach er sicher nicht den Vorstellungen von Scott.
Ob Mr. Parker wegen seiner Besonderheit mein Betreuer geworden war? Gerne hätte ich ihn darauf angesprochen, aber das wäre gegen die Anweisung gewesen.
Etwas Neues, Aufregendes war mit Mr. Parker in mein Leben gekommen und durchbrach die Alltagsroutinen.
Es war ein selten angenehmes Gefühl, den kommenden Arbeitstag positiv zu erwarten.
Flight Inn, Delaware, New Cove
Das Flight Inn lag direkt neben dem Fluggelände und wurde von einem ehemaligen Piloten betrieben. Überall standen und hingen Teile alter Flugzeuge herum. Modelle von Jagdflugzeugen schwebten zwischen den Lampen an dünnen Fäden. Tisch, Stühle und Decke sahen mitgenommen aus. An der Wand hinter der Bar hingen viele Bilder von Flugzeugen und Piloten, die reichlich mit Autogrammen und Widmungen versehen waren.
An der Theke herrschte bereits reger Betrieb. »Hi Jungs, habt ihr schon gegessen?«
»Negativ, wir wollten auf dich warten.« J.R. sah suchend an mir vorbei. »Wo ist Smithi?«
»Sie hat Karatetraining.«
»Von ihr würde ich mich auch mal gerne auf die Matte legen lassen.«
»Schön langsam, J.R., schön langsam.« Die Jungs lachten.
»Na, Skydiver. Hab gehört, der erste Platz ist frei geworden.«
»Vorrübergehend, Ninja. Nur der beste Mann bekommt diesen Platz.«
»Dann bin ich ja richtig da.«
Alle lachten, aber niemand würde ernsthaft anzweifeln, wer der beste Pilot in der Truppe war.
»Stimmt es, dass du noch die ST8 begutachtest?« George Buckner wirkte wie immer etwas nervös.
»Klar, Boogie, mach dir keine Gedanken. Ist Bill heute nicht hier?«
»Doch. Der ist noch beim Abschütteln.«
Liz schob mir einen alkoholfreien Drink über die Theke. »Danke.« Ich prostete ihr zu und nahm einen Schluck. Bill kam heran und hieb mir auf die Schulter.
»Hi, Lyle. Hast dich wohl verirrt. Die Laras sind im Café Reagenzglas gegenüber.«
»Blödmann!«
»Und? Wie ist dein neuer Job?« J.R. nahm einen Schluck aus der Bierflasche.
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Der ganze Auftrag ist etwas… abartig.«
»Abartig – das klingt interessant.«
»Na ja, eher tödlich.« Ich sah mich unauffällig um. »Der Auftrag unterliegt der Sicherheitsstufe 10. Ihr wisst, was das heißt?«
»Du lebst ab jetzt doppelt gefährlich.«
»Das gefällt mir nicht. Die ganze Sektion gefällt mir nicht. Man hat mir aber hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gegeben, dass ich keine Wahl habe.« Ich trank meinen Ipanema. »Liz , noch einen!«
J.R. schüttelte mit dem Kopf. »Ich verstehe nicht, wie du so ein süßes Zeugs runterkriegst.«
»So süß ist er nicht.«
»Was wollen wir essen?« Bill warf einen oberflächlichen Blick auf die Karte.
»Wie immer. Eine große Platte für uns, Liz.«
»Wer ist mit Zahlen dran?«
»Lyle, der verdient jetzt das Doppelte von uns.«
»Ja, ja«, brummte ich. »Geht auf meine Rechnung.«
»Ich schreibe es an, wie immer.« In der Aussage von Liz schwang ein ironischer Unterton mit.
»Da! Unser warmer Bruder. Wohnt der immer noch bei dir, Lyle?«
»Hast du das noch nicht gehört? Wir haben letzte Woche geheiratet.«
Der ganze Tisch brach in schallendes Gelächter aus. Sheridan kam heran. Er gehörte zwar nicht zur Fliegertruppe, aber die Jungs mochten ihn alle, auch wenn sie ihn immer aufzogen.
»Lasst mich mitlachen, Jungs.«
»Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Parker.«
»Wo issen dein Ring, süße Braut?«
»Ihr Spinner! Lyle, Schätzchen, deine Braut legt noch Make-up auf und steht dir gleich ganz zur Verfügung.«
Ich gab Sheri einen Klaps auf den Hinterkopf. Er boxte mir dafür gespielt gegen die Schulter.
Haus von Scott Hill, Delaware, New Cove
Loraine Hill stand mit der Kaffeetasse in der Bürotür ihres Mannes und sah dabei zu, wie er hochkonzentriert auf sein Tablet starrte. »Da du nicht runterkommst, kommt der Kaffee eben zu dir.«
Er schreckte ertappt zusammen und drehte das Display des Tablets auf den Tisch.
Loraine reichte ihrem Mann die Tasse. »Scott, das ist lächerlich. Ohne Brille kann ich sowieso nichts auf dem kleinen Ding erkennen. Was gibt es denn heute noch so Wichtiges?«
»Du weißt doch, der Mechaniker. Es ist immer gut, wenn man seine Mitarbeiter kennt.«
»Ein Backgroundcheck für einen Pharmamitarbeiter. Okay, er könnte Rezepte für Arzneien stehlen, oder?« Loraine kicherte.
Scott verzog das Gesicht, wie immer, wenn sich Loraine über die Geheimhaltungspflicht lustig machte. »Er ist mir äußerst suspekt.«
Loraine setzte sich in den Sessel neben dem Schreibtisch und nickte lächelnd. »Hm, ich denke, das hattest du bereits ein oder zwei Mal erwähnt.«
»Stell es dir so vor: ein Universitätsprofessor wird Kindergärtner.«
»Er hat also eine höhere Qualifikation als der Job benötigt, den er jetzt ausübt?«
»Exakt! Wieso sollte absichtlich seine Karriere stilllegen.«
»Hat er Ärger in seinem alten Job gehabt? Oder versteckt er sich vor jemandem?«
Nachdenklich sah Scott seine Frau an. Welches Geheimnis verbarg Lyle Parker? »Das werde ich herausfinden.«
CÆRON, Sektion 12, Hangar 2
»Du weißt gar nicht, wie ich dich beneide, Boogie.«
»Nö, kann ich auch nicht. Ich bin immer froh, wenn ich heil runterkomme.«
»Warum bist du Testpilot geworden?«
»Im Linienflug verdient man zu wenig.«
Für ihn war es nur ein Job, keine Passion. Bill öffnete das Cockpit, rückte zur Seite und ich kletterte hinein.
»Was meinst du? Wird das Baby einen Horizontalstart durchstehen?«
Ich griff nach dem Steuerknüppel und lehnte mich zurück. Viel größer hätte ich nicht sein dürfen. Mir war sofort klar, dass ich keine langen Flüge mit ihr machen konnte, ohne dass mir die Beine einschlafen würden. »Verdammt eng.«
»Hat nicht jeder so lange Beine.« Bill hob schmunzelnd die Augenbrauen. Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Hey!«
»Das erhöht die Denkfähigkeit. Ich bin normal groß. Jetzt lass mich mal kurz allein.«
Ich schloss die Augen und hörte Bill die Metallstufen hinuntergehen. Schade, dass ich sie nicht starten konnte. Ich liebte es, wenn ich die Energiewellen aufnehmen konnte. Bei einem ausgeschalteten Raumgleiter war das Echo nur ein schwacher Abklatsch. Aber besser ein Abklatsch als gar nichts.
Ich konzentrierte mich und ging die STARDUST von vorn nach hinten durch. Sie fühlte sich gut an. An den Triebwerken kam ich kurz ins Stocken, aber das löste sich auf.
Fünfzehn Minuten später stand ich bei Bill und George. Sie sahen mich erwartungsvoll an. »Wie hoch sollst du sie morgen rannehmen?«
»Bis zur Erdkrümmung.«
»Lass es langsam angehen. Kurz vor dem Überschall nimm sie hart ran, damit das Triebwerk nicht ins Stottern gerät. Wenn du darüber bist, werde sanft. Bill, die Relais laufen nicht hundertprozentig sauber. Aber der Flug kann trotzdem stattfinden. George kann es nach der Landung bemängeln und du weißt, was zu verbessern ist.«
»Super, danke. Wenn wir dich nicht hätten, wären wir alle am Arsch.«
»Ach, Quatsch! Dann würde jemand anderes meinen Job machen.«
Zusammen verließen wir den Hangar und schlenderten zu Sheridan, der gespannt auf meinen Tagesbericht wartete.
CÆRON, Sektion 23, Delaware, New Cove
Es fiel mir schwer, am Testgelände vorbeizufahren und meine Harley in der Tiefgarage des Hauptgebäudes abzustellen. Während meine Pilotenkollegen heute ihre Runden in den Testfliegern drehen durften, musste ich in den Katakomben von CÆRON meinen Dienst tun.
Scott erwartete mich bereits in SK 23, mit einem süffisanten Zug um den Mund.
»Na sowas. Ich hätte Sie ohne den Overall beinahe nicht erkannt.«
Ich lächelte schmal.
»Haben Sie sich die Anweisungen zum Projekt A2 eingeprägt?«
»Ja.« Ich bemerkte, wie er meine Cowboystiefel musterte. Na, gefallen sie dir?
»Sie wissen noch, woran Sie erkennen, dass A2 spiegelt?«
»Ja. An den Augen.« Er sprach mit mir, als wäre ich zwölf.
»Denken Sie an den Neurotransmitter. TAC und DROP.«
»Ich werde den Transmitter nicht nutzen.«
»Es könnte die einzige Möglichkeit sein…«
»Den Psychopathen zu beherrschen?«
»Er ist kein Psychopath.«
»Dann brauche ich das Ding auch nicht.«
»Aber wenn er spiegelt, müssen Sie…«
»Ich kann es auch anders verhindern.«
»Es dürfen keine lebensnotwendigen Systeme beschädigt werden. Er muss immer arbeitsfähig bleiben.« Scott setzte sich in Bewegung.
»Ist er der Prototyp eines Androiden?«
»Lyle, es geht hier um eine Menge Kapital.«
»Das braucht CÆRON auch, damit sie mich bezahlen können.«
»Sie haben noch nicht verstanden, dass A2 gefährlich ist.«
»Scott, ich bin kein Idiot.«
»Sie sind ein Pilot und haben mit so etwas keine Erfahrung.«
Ich lächelte schmal. »Sicher?«
Scott runzelte die Stirn. »Ich kann Ihnen nur raten, A2 nicht zu unterschätzen.«
»Wie haben Sie ihn dazu bekommen, dass er treudoof, sieben Tage die Woche, für CÆRON arbeitet?«
»Er kennt es nicht anders.«
»Wenn er die Leute spiegelt, bekommt er doch die Außenwelt mit.«
»Nur wenn er diesen Aspekt spiegeln würde. Warum sollte er? Er ist seit seiner Kindheit hier und kennt nur dieses Leben.«
»Oh, wow. Ich bin froh, dass CÆRON keine Testpiloten züchtet.«
Scott sah mich schief an, hielt vor der letzten Tür und trat auf das Logo auf dem Boden.
»Wie funktioniert das mit dem Logo?«
»Infrarotscanner«, erklärte Scott kurz angebunden. Die Tür glitt zur Seite.
Das Zimmer war etwa so groß wie unser Wohnzimmer. Rechteckig mit zwei Nischen im hinteren Teil. In der rechten Nische ein Einzelbett, im Einschnitt gegenüber eine Technik-Wand - MOTRON. Auf der linken Seite eine geschlossene Tür aus Stahl. Die Wände aus poliertem Stahl. Alles andere weiß und clean. Kein Schrank. Keine persönlichen Dinge. Kein Fenster.
Jarod saß an einem Tisch, der im vorderen Bereich in der Mitte des Zimmers stand. Vor ihm ein aufgeschlagenes Buch. Er trug eine Art Sportanzug mit einem aufgestickten CÆRON-Logo. Er sah neugierig zu mir.
»Steh auf!«
Bei Scotts scharfer Tonlage stellten sich meine Nackenhaare auf. Jarod reagierte sofort.
»Guten Morgen, Sir.« Ich sprang auf, lief um den Tisch und blickte den neuen Mann aufmerksam an. Er war etwa in meinem Alter. Braungebrannt. Die blonden Haare militärisch kurz. Ich sah in seine Augen. Jetzt erkannte ich ihn - es war der Pilot!
»Hi Jarod, ich bin Lyle Parker.« Ich griff nach Jarods Hand und schüttelte sie »Wir werden für eine Weile zusammenarbeiten.« Er starrte überrascht auf unsere Hände. Gegen Händeschütteln stand nichts in den Regeln. Trotzdem wirkte Jarod erschrocken.
»Guten Morgen, Sir.« Was machte er hier? Scott verzog finster die Augenbrauen und ich nahm schnell die Hand zurück. Kein körperlicher Kontakt!
»Das ist dein neuer Betreuer.«
Für einen Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Er? DER Pilot?
»
Und ich weiß, was mir blüht, wenn ich abgesetzt werde. Darauf bin ich nicht scharf, also halte dich mit dem Spiegeln zurück. Haben wir uns soweit verstanden?«
»Ja, Sir.« Ich war überrascht und irritiert. Wusste er denn nichts davon?
Jetzt wo die Fronten geklärt waren konnte ich nur hoffen, dass sich Jarod daran hielt. Im Moment wirkte er nicht so, als wäre er gefährlich. Aus Erfahrung wusste ich aber, dass der erste Eindruck täuschen konnte. Ich würde aufmerksam bleiben.
CÆRON, Aufzug 1
Wir fuhren gemeinsam im Aufzug nach oben. Jarod starrte stumm gegen die Aufzugtür. Die Atmosphäre war angespannt.
»Ich hoffe, du präsentierst dich deinem neuen Betreuer heute von deiner besten Seite.«
»Ja, Sir.«
»Am Samstag stehen acht Spiegelungen an. Ich will, dass du morgen früher schlafen gehst.«
»Ja, Sir.«
»Acht Spiegelungen? Das heißt, acht Menschen?«
»Acht Aspekte, von acht Menschen. Jarod kann immer nur einen Aspekt pro Woche von einem Menschen spiegeln.«
»Und wie lange braucht man für eine Spiegelung?«
»Das kommt darauf an, was gespiegelt wird und wie viele Informationen verarbeitet werden müssen. Zwischen fünf und dreißig Minuten.« Scott fixierte Jarod. »Hast du die Berichte gestern Abend abschließen können?«
»Ja, Sir.«
»Kann er auch längere Sätze reden außer Ja und Sir?«
»Er redet, wenn er gefragt wird. Wir kommunizieren professionell und geschäftlich.«
»Aha. So, wie im angehenden 19. Jahrhundert.« Scott würde den Wink bezüglich der Sklaverei sicher verstehen.
»Zügeln Sie sich, Lyle.«
»Ich tue mein Bestes.« Offensichtlich verstand er es.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Die beiden Polizisten sahen sich schweigend an. Jerry schielte zum Captain. Er schien in eine Unterhaltung mit einigen anderen Kollegen vertieft zu sein.
»Der Fall liegt jetzt zehn Jahre zurück. Man hat Lyle Parker verdächtigt, aber mangels Beweisen wurde der Fall schließlich unaufgeklärt geschlossen.«
»Ich habe auch etwas gefunden. Es gab einen Verdacht auf Kindesmisshandlung und häusliche Gewalt gegen die Mutter.« Phil verzog das Gesicht. Wenn er etwas hasste, waren es Männer, die Frauen und Kinder schlugen.
»Klingt nach einem Motiv.«
»Wie wurde Ted Parker denn umgebracht?«
»Kopfschuss – mitten in die Stirn.«
Phil und Jerry starrten sich an.
»Das kann doch kein Zufall sein. Kopfschüsse, sind wohl seine Spezialität. Wir sollten uns Lyle Parker näher ansehen«, beschloss Jerry.
»Lass uns den ehemaligen Tatort besichtigen. Wo ist das denn passiert?«
»Die Parkers haben auf einer Farm am südlichen Rand von Trenton gewohnt.«
»Außer Schreibtischkram haben wir heute eh nichts.«
»Was sagen wir dem Captain?«
»Dass wir nochmal ein Gespräch mit dem Delony Bruder führen wollen.«
»Okay, so machen wir es.«
CÆRON, SK 11, Entwicklung Raumfahrt
Neben Sektion 12 war Sektion 11 meine Welt. Hier entwickelte CÆRON neue Techniken für die Raum- und Luftfahrt. Große Hallen, die abgedichtet werden konnten, wo Dinge getestet wurden, die erst Jahre später auf dem Markt erschienen. Maschinen mit neuartigen Formen und Funktionen.
In der Halle 7 b bauten sie an einem Tachyonen-Triebwerk. Ich konnte mir noch nicht vorstellen, wie die fünf Ringe ein Triebwerk darstellen sollten. Aber mit Quantenphysik hatte ich mich auch noch nicht näher beschäftigt. Man konnte damit das Raum-Zeit-Kontinuum beeinflussen - ziemlich gefährliche Sache. Dementsprechend ging die Arbeit langsam voran.
Leider steuerten wir nicht die Halle 7 b an, sondern gingen daran vorbei. Ich warf einen schnellen sehnsüchtigen Blick hinein. Die fünf Ringe standen unbeweglich in der Mitte. Schade.
Wir wichen vom üblichen Weg ab und schlugen eine Richtung ein, die ich nicht kannte. Ich war überrascht. Meines Wissens wurde hier nur Metallschrott gelagert. Eine massiv aussehende Tür war mit SK11-A gekennzeichnet.
Scott stellte sich auf das Dreieck. Das war zumindest keine der üblichen Türen. Als sie zur Seite glitt, konnte ich einen Gang mit mehreren Türen sehen. Scott bemerkte wohl, dass ich irritiert war.
»Diese Laboratorien und Konstruktionshallen werden nicht offiziell unter SK 11 gelistet.«
Wow! Das versprach spannend zu werden. Scott blieb vor einer Tür stehen, die zur Seite glitt. Ob die ständigen Infrarotstrahlen ungefährlich waren? Jarod und ich folgten ihm in den Raum.
Die Einrichtung des Labors war auf einem Level, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Obwohl wir unter der Erde waren, wirkte das Labor, als wären wir im Erdgeschoss mit Blick nach draußen. Die Beleuchtung war angenehm, ohne erkennbare Lichtquellen. Es gab eine Lichtsäule, für intensivere Helligkeit.
Ich ließ meinen Blick schweifen und blieb an dem Stück Metall hängen, das regungslos in einem Zugstrahl hing. Die Abmessungen des Objekts wurden in den Raum holographiert. »Und was macht Jarod jetzt hier?«
»Aus Ihrem Tagesplan ist das ersichtlich.« Es klang vorwurfsvoll. »Er entwickelt ein neues Material. Wir sind in der letzten Phase, bevor der Praxistest erfolgt.«
Und das Labor war für eine Person? Es war sicher so groß wie das Blutanalyselabor, in dem Sheridan arbeitete. Nur hatte der zwanzig Kollegen und Jarod war hier allein.
Ohne Aufforderung ging Jarod an einen der Labortische, zog sich eine Schutzbrille an und nahm das Metall aus dem Zugstrahl. Scott setzte sich in einem größeren Abstand an einen gläsernen Tisch, so dass er Jarod immer von vorne sah und fixierte ihn.
»Heute ist die Gefahr eher gering, dass Jarod jemanden spiegelt, da wir in einem abgeschlossenen Labor sind. Es gibt allerdings Projekte, da nutzen wir die Laboratorien anderer Sektionen. Jarod darf dann keinen unautorisierten Kontakt zu dritten Personen haben.«
»Dritten Personen?«
»CÆRON Mitarbeiter, die nicht mit SK 23 vertraut sind. Alle anderen Personen sind Externe.«
Jarod schien sich um uns gar nicht zu kümmern und war ganz versunken in seine Arbeit. Ob er in der Vergangenheit auch Scott gespiegelt hatte? Scott schien meine Gedanken zu erraten.
»Er nutzt jeden unachtsamen Augenblick eines Menschen, um ihn zu spiegeln. Auch bei mir hat er es getan. Deswegen seien Sie immer vorsichtig. Bereits der Ansatz einer unautorisierten Spiegelung muss unterbunden werden.«
Ein akustisches Signal ertönte. Scott blickte auf sein Data und ich sah auf meines. Die Anzeige für den Flüssigkeitshaushalt blinkte rot und das Balkendiagramm zeigte 98 % an.
»Bereits 2 % Flüssigkeitsverlust reichen aus, um die Leistung zu verringern. Jarod, trink Wasser!«
»Ja, Sir.« Ich legte meine Zange ab, zog die Handschuhe aus und langte nach der Flasche, die auf dem Labortisch stand.
»Wir verwenden nur CÆRON-Flaschen. Sie wissen sicher, dass die herkömmlichen Plastikflaschen Phthalate absondern, die Leber und Spermien schädigen.«
Er lauerte sichtlich auf Anzeichen von Unwissenheit. Ich tat ihm den Gefallen allerdings nicht. »Ja, wir nehmen zu Hause nur Glasflaschen.« Das Balkendiagramm wanderte auf die 100 %-Marke. Ich war tatsächlich Babysitter. Nicht nur aufpassen, sondern auch die Flasche geben. Hoffentlich gab es eine anständige Lösung für das Windeln. »Wieso kann er nicht alleine trinken?«
»Er soll sich nur auf die Arbeit konzentrieren. Alles andere kontrollieren wir.«
Jarod ließ sich alles von anderen sagen, wie sollte er da eine Gefahr für andere darstellen? »Wieso denken Sie, dass Jarod gefährlich ist?«
»Die Aspekte, die er spiegelt, können ihn gefährlich machen.«
Musste er immer um den heißen Brei herumreden? »Aha.«
»Ein Beispiel. Im Alter von 12 sollte er Informationen bei einem Polizisten spiegeln. Doch er hat unautorisiert Selbstverteidigung gespiegelt. In diesem Alter konnte er zum Glück schnell gezügelt werden. Hätte er heute die Gelegenheit Bruce Lee zu spiegeln, könnte er uns gefährlich werden.«
»Gut, dass Bruce Lee tot ist.« Ich warf einen schnellen Blick zu Jarod. Der durfte mich nie spiegeln.
Scott stand auf und ich merkte, wie sich sein Körper anspannte. »Jarod, was ist los?«
Unser »zu betreuendes Objekt« starrte vor sich hin und hatte die Arbeit eingestellt.
»Ich musste an Mr. Defoe denken. Darüber, was Sie mir gesagt haben, Sir.«
»Wir wiederholen nicht die Gespräche von gestern. Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern. Defoe wurde durch Parker ersetzt. Ende der Diskussion. Mach jetzt weiter! Du hast noch zwei Stunden, bis zum Mittagessen.«
»Ich möchte bitte mit Dr. Heimbs sprechen.«
»Wie kommst du denn auf so eine Idee? Das wird niemals geschehen. Arbeite weiter!«
»Ich spreche für dich mit Dr. Heimbs. Was soll ich ihm sagen?«
»Dass er wegen mir keine Menschen… töten darf.«
Demnach stimmten meine Vermutungen. »Hast du auch einen Vorschlag, wie man das Sicherheitsproblem löst?«
»Ich verstehe nicht.«
»Dein Betreuer hat Sicherheitsstufe 10. Das heißt, er kennt interne Firmengeheimnisse, die nicht nach draußen dringen dürfen. Solche Leute entlässt man nicht.«
»Lyle!« protestierte Scott, dem es offensichtlich nicht passte, dass ich Jarod Antworten gab.
»Man hätte ihn doch an einer anderen Stelle einsetzen können.«
»Es gibt leider kein anderes Einsatzgebiet in CÆRON für ihn.«
Wütend stieß ich die Trinkflasche vom Tisch. »Und wenn er die Böden gewischt hätte. Zumindest würde er noch leben.«
»TAC!«
Jarod schrie auf und sackte in sich zusammen. Er fiel auf die linke Seite. Sein ganzer Körper krampfte und bebte zitternd. Er wimmerte vor Schmerz. Ich war bis ins Mark erschüttert. Aus dem Data kamen akustische Signale. Scott starrte scheinbar fasziniert auf den leidenden Jarod. Dieser Arsch! »Hören Sie sofort damit auf!« Scott blieb unbeeindruckt. Im Gegenteil. Er schien es zu genießen.
»Wieso tun Sie es nicht?«
Das hatte ich tatsächlich vergessen! »DROP!« Der Krampf schien sich zu lösen. Jarods Körper fiel in sich zusammen. Mit zwei Schritten war ich bei Jarod und reichte ihm die Hand. »Komm hoch!«
Ich zögerte eine Sekunde, fasste dann zitternd nach Mr. Parkers Hand und ließ mir aufhelfen. »D… danke, Sir.«
Zeig nie deine wahren Gefühle! Äußerlich blieb ich ruhig, innerlich kochte ich. »Statt zornig zu sein, solltest du einen passenden Ausweg finden. Bodenwischen wäre nicht ausfüllend für deinen Betreuer gewesen.«
Ich stützte mich an einem Labortisch ab. »Aber… niemand… hat ihm die Wahl gelassen.«
»Man wird ihn am Anfang der Tätigkeit auf die Gefahren hingewiesen haben.« Pah! Genau wie bei mir!
»Warum hat man mir das nicht vorher mitgeteilt?«
»Befehls-Hierarchie.« Ich seufzte. Scheiß Bürokratie!
»Aber…«
»Die Erzählstunde ist beendet. Heb die Flasche auf!«
Jarod bückte sich, noch immer leicht zitternd, nach der Flasche.
»Die fünfzehn Minuten werden wir anhängen und die Mittagspause kürzen. Du weißt, Jarod, alles hat Konsequenzen.«
Langsam drehte ich mich zu Scott um und sagte völlig ruhig: »Die fünfzehn Minuten werden wir am Ende des Arbeitstages dran hängen. Die Zeit der Mittagspause bleibt bestehen. Um optimale Leistungen zu erbringen, werden optimale Pausen benötigt.« Scott entglitten für einen Moment die Gesichtszüge. Wahrscheinlich hatte noch nie ein Betreuer so mit ihm geredet. »Ich bin sicher, seine Mittagspause ist exakt ausgerechnet.« Scott schien heftig mit sich zu kämpfen.
»Nun gut...« Er drehte sich zu Jarod um und fuhr ihn schroff an. »Los jetzt! Weitermachen! Ich bin kurz bei einem anderen Termin. Lyle, Sie passen auf!«
Ungläubig starrte ich Scott hinterher, der schnell das Labor verließ. Ich sah zu Mr. Parker. Er schien zufrieden zu sein.
Scott war nicht nur verrückt, sondern auch ein Sadist und Feigling. Eine nützliche Information. »Mach jetzt deinen Job, bevor wir Ärger bekommen.«
»Ja, Sir.« Ich registrierte ein minimales Lächeln. Mr. Parker war nicht wie die Betreuer vor ihm. Er hatte Courage.
CÆRON, Sektion 1, Kantine
Pünktlich zur Mittagspause kam Scott zurück. Wir brachten Jarod in sein Zimmer. Scott bat mich, mit ihm in die Kantine zu gehen.
Die Kantine war offen für alle Mitarbeiter von CÆRON. Trotzdem schien es eine unausgesprochene Sitzordnung zu geben. Abteilungsweise saßen Mitarbeiter zusammen und aßen gemeinsam. Ich schielte nach meinen Kollegen aus SK 11 und 12, die ganz hinten am Tisch saßen. In SK 12 war auch eine kleinere Kantine, aber die meisten von uns mochten das Essen hier viel lieber.
»Bitte, nehmen Sie Platz.«
Ich seufzte und setzte mich. Missmutig starrte ich auf mein Essen. Der Job war Scheiße! Heimbs hatte mich mit der Titan-Mission geködert und ich war in die Falle getappt.
»Hören Sie, Lyle. Wenn Sie sich mit dem Subjekt solidarisch zeigen, werden Sie nicht lange Betreuer bleiben.«
»Danke für den Tipp.« Subjekt! Sein Name war Jarod!
»Wenn Sie mit den Konsequenzen leben können.«
Ich überging seine Drohung.
»Was eben passiert ist, darf nie wieder vorkommen. Unser Subjekt wird jede Schwäche von uns ausnutzen. Wenn einer von uns eine Aktion für angemessen hält, muss der andere dahinter stehen.«
»Ganz klar.« Ich war genervt von Scott. »Warum sagen Sie immer Subjekt? Er hat einen Namen.«
»In der Öffentlichkeit ist das tabu. Vergessen Sie nicht, die Sicherheitsstufe.«
»Wie könnte ich?« Ich nahm einen Bissen. »Warum hassen Sie ihn?« Scott hielt im Kauen inne, legte sein Besteck ab und trank einen Schluck Wasser. Die Frage war ihm offensichtlich unangenehm.
»Ich verstehe nicht. Ich mache nur meine Arbeit.«
»Es gibt immer verschiedene Methoden eine Arbeit auszuführen.«
»Ich bin seit über zehn Jahren in dieser Sektion. Sie kennen A2 nur ein paar Stunden. Wenn Sie die Zügel locker lassen, wird er durchgehen, verstehen Sie?«
»Okay.« Ich begann zu essen. Vom Reiten hatte er auch keine Ahnung.
»Übrigens ist immer ein Agent anwesend. Im Moment hat Agent Compton Dienst. Er überwacht jetzt auch die Vitalfunktionen.«
»Aha.« Mit Scott am Tisch war es langweilig. Lieber hätte ich bei den anderen gesessen und über die neuen TfTi-Triebwerke diskutiert. Musste ich denn hier bei dem Arsch bleiben? »War es das?«
»Es steht Ihnen frei, den Platz zu wechseln. Aber denken Sie daran, Stillschweigen über Ihre neue Aufgabe zu wahren - Regel Nummer Eins.«
»Meine Lippen sind versiegelt.«
»Hi Jungs. Habt ihr noch Platz für mich?«
Bill musterte mich grinsend. »Schau mal! Er trägt eine Anzugjacke, der feine Herr. Dachte, der neue Job ist dir zu Kopf gestiegen und du hast deine alten Kumpels vergessen.«
»Hör bloß auf mit dem Scheiß!«
»Ich bin aus allen Wolken gefallen, als Tony gesagt hat, dass du abgezogen wurdest. Was musst du denn da machen?« J.R. schob den leeren Teller von sich.
Ich hielt den Zeigefinger an meinen Mund, um anzudeuten, dass der verschlossen war. »Frag mich nicht.«
Bill beugte sich zu mir rüber und raunte: »Hat es etwas mit der Titanmission zu tun?«
»Schön wär’s.« Ich knallte das Tablett auf den Tisch.
Tony kam zu uns und hob die Augenbrauen. »Oh, haben sie dich dort schon wieder rausgeworfen?«
Bill lachte. »Würde mich nicht wundern.«
»Was sollen das heißen? Tony! Hol mich da raus! Meine Arbeitsmoral ist bei null! Ich will fliegen!«
»Nichts wäre mir lieber. Morgen testen wir die ST8 und ich weiß noch nicht, wen ich einteilen soll.«
»Die Auswahl ist ja nicht groß. Wer kann sie denn fliegen? Ninja, George, oder ich.«
Tony seufzte tief. »Du wärst mir am liebsten.«
»Ich kann mir die STARDUST nach Feierabend ansehen.«
»Mach nichts kaputt«, scherzte Bill.
»Du bist doch immer froh, wenn ich eure Fehler finde.«
»Lyle, unser Detektor.«
Wir lachten.
»Hi, Jungs.«
»Hallo Smithi. Du bist spät.«
»Hi Charly.« Ein Lichtblick.
Charly stellte das Tablett ab und zog sich einen Stuhl heran. »Tony ist schuld! Er will, dass die MiG nächste Woche schon in die Luft geht.«
»Hey, hey. Nicht meine Idee. French verlangt das. Der Kunde sitzt uns im Nacken.«
»Was ist denn mit dieser MiG?« J.R. kratzte in der Schüssel mit dem Nachtisch herum. »Seit wann restaurieren wir schrottreife Maschinen?«
»Ist ein Gefallen für einen Kunden vom Direktor, der alte Maschinen sammelt«, erklärte Tony. »Und die MiG ist was ganz Besonderes. Eine ehemalige Übungsmaschine. Aber das ist noch nicht alles. 1975 ist Swetlana Sawizkjaja damit einen Weltrekord geflogen.«
»Noch nie gehört.«
»Sie war die zweite Frau im All und die erste, die im Weltraum ausgestiegen ist. Mit dieser MiG ist sie vier Weltrekorde geflogen.«
»Dass du so was weißt, war mir klar!«
Wieder lachten alle und ich zuckte mit den Schultern.
Die Runde begann sich aufzulösen. Charly zog mich zur Seite und sprach gedämpft. »Komm mal zu mir, wenn du Zeit hast. Die JE ist nicht allein gekommen. Keine Ahnung, wie der Alte das macht. Die andere MiG und die Suchoi sind garantiert nicht mit rechten Dingen zu uns gekommen.«
Ich verschluckte mich. »Echt?«
»Eine 25RB Foxbat-B und eine SU-35.« Charly schmunzelte. »Offiziell hat der Transporter nur die JE ausgeladen. Die anderen Russen sind in den hinteren Nachbarhangar gebracht worden. Die stehen jetzt neben der Lockheed und der McDonnell. Nur Bill und ich kommen dort rein.«
»Sobald ich Zeit abzwacken kann, bin ich da. Darauf kannst du dich verlassen.« Was für eine Mischung. Vielleicht gab es gar keinen russischen Kunden? Vielleicht war Carter der Sammler?
»Das will ich dir auch geraten haben. Bis später. «
»Bye.« Ich deutete einen Kuss an und sah Charly einen Moment lang hinterher.
Auf dem Weg zum Ausgang entdeckte ich Gabi und setzte mich zu ihm. »Sag mal, Gabi…«
»Nenn mich nicht immer so.«
»Pech! Wir haben dir den Namen verpasst, leb damit!«
»Ich bin kein Pilot!«
»Erzähl das jemand anderem. Ich weiß, dass du fliegen kannst.« Jens Gabriel verzog das Gesicht. »Nochmal von vorn. Sag mal, für was sind die Ausbuchtungen über dem Schubvektor-Triebwerk der MIRINDA?«
»Lyle, du Nervensäge. Geduld war noch nie deine Stärke.« Gabriel grinste breit. »Du wirst es noch erfahren, aber jetzt ist es zu früh.«
Ich schnaubte durch die Nase.
»Stimmt es, dass du von SK 12 abgezogen wurdest? Das können die doch nicht machen. Die können doch ihren Laden schließen, ohne dich.«.
»Ich weiß.« Ich seufzte. »Da ist eine höhere Macht im Spiel.« Ich kam näher an ihn heran. »Ich kann nicht darüber reden, aber die haben mich mit dem TITAN geködert.«
»Und für diesen kalten Trabanten willst du ernsthaft die MIRINDA - dein Baby, deine Braut, deinen Herzschmerz - zurücklassen und raubeinige Schlächter an ihren zarten Knüppel lassen?«
Ich lachte. »Wo denkst du hin? Die nehme ich mit nach Hause.«
»So siehst du aus. Mein Lebenswerk. Nix da!«
Ich lachte. »Jetzt weiß ich, wofür die Ausbuchtungen sind. Der Notfallsitz für Gabi. Wird ein bisschen heiß, aber du wirst es überstehen.«
»Spinner. Pass bloß auf, was die von dir zu sehen bekommen, sonst bist du bald selbst eine Projektnummer.«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Farm von Mary Parker, Delaware, Trenton
»Die Farm gehört Mary Parker. Sie hat sie geerbt, nach dem Tod ihres Mannes.«
»Und wo ist sie jetzt? Sieht verlassen aus.« Jerry schlug die Wagentür zu und sah sich aufmerksam um. Ein einstöckiges großes Haupthaus. Links davon eine riesige Scheune, rechts daneben waren Stallungen.
»Ja, aber die Felder sind bestellt.« Phil lauschte. »Nichts zu hören. Kein Vieh.«
Die Paddock Zäune wirkten morsch. Einige Bretter hatten sich gelöst und hingen schief an den Pfosten. Die Holzstufen zur Veranda waren dunkel, teilweise mit Moos besetzt.
Phil setzte einen Fuß darauf und belastete die Stufe vorsichtig mit seinem Gewicht. Nichts geschah. Er warf einen Blick durch das Fenster.
»Da wohnt keiner mehr.« Jerry pustete die Luft aus. Sie waren den ganzen Weg umsonst hergefahren.
»Sieht so aus. Sollen wir rein?«
»Ohne Durchsuchungsbefehl?« Er starrte seinen Partner ungläubig an.
Phil drückte versuchsweise die Türklinke herunter. »Offen. Das ist doch direkt eine Einladung. Komm, lass uns reingehen!«
Im Inneren des Hauses knarrte der alte Holzboden. Auf den mit Planen abgedeckten Möbeln lag eine deutliche Staubschicht.
»Hier war schon lang keiner mehr.«
Neugierig gingen die Männer durchs Haus. Die Einrichtung brachte sie in die 80er Jahre zurück.
»Sieh mal, das muss Parkers Zimmer gewesen sein.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch, ein Stuhl.«
»Ja – aber keine Poster an der Wand. Nichts, was auf einen Jugendlichen hinweisen würde.«
»Ein Gästezimmer sieht anders aus.«
»Ein Jugendzimmer auch.«
»Vielleicht haben seine Eltern es umgebaut, nachdem er ausgezogen ist.«
Jerry zog die Schubladen des Schreibtisches auf. Er zog einen Packen alter Heftromane hervor. »Perry Rhodan. Mein Bruder liest den Mist auch.«
Phil öffnete den Schrank. »Hier drin ist ein Modell der Enterprise und ein X-Wing. Komisch, dass hier sonst kein Weltraumzeug rumhängt.«
»Vielleicht war er ein ordentlicher Junge.«
Phil lachte. »Klar.«
»Unspektakulär. Gehen wir raus. Ich durchsuche die Stallungen.«
»Dann nehme ich mir die Scheune vor.«
CÆRON, Sektion 23, Jarods Zimmer, Delaware, New Cove
Die Tür blinkte. Ich wollte schnell noch den Teller in den Speiseaufzug stellen, aber es war zu spät. Scott kam herein und inspizierte meinen Teller.
»Du hast nicht aufgegessen.«
»Ich hatte keinen Appetit.«
Scott tippte auf seinem Data herum. »Dein Blutzucker ist nicht im optimalen Bereich. Du weißt, wenn du nicht alles aufisst, fehlt dir die Energie zum Arbeiten. Dein Essen ist berechnet. Wenn du die Hälfte stehen lässt…«
Bevor er weiterreden konnte, riss ich den Teller zu mir und schaufelte kalte Kartoffeln, Fleisch und Gemüse in mich hinein.
Ich biss mir auf die Lippen, um nichts zu sagen. Bei dem Tempo würde ich mich übergeben. Er konnte doch beim besten Willen nicht kauen.
»Fertig, Sir.« Ich stellte den Teller in den Aufzug.
»Das hat unnötig Zeit gekostet. Komm jetzt!«
Ich warf einen kurzen Blick zu Scott. Zeit gekostet? Die eine Minute, in der Jarod das Essen herunterschlang?
Haus von Mary Parker, Delaware, Trenton
Phil drückte eine Seite des Holzschiebetors zur Seite. Es quietschte erbärmlich. Sonnenlicht drang durch die Holzritzen und traf auf etliche Spinnennetze. Staubpartikel schwebten in der Luft. Keine herumschwirrenden Fliegen. Es war beängstigend still. Die Scheune wirkte gespenstisch. Alte Landwirtschaftsmaschinen standen rostend in Reih und Glied. Über ihnen befand sich ein verstaubtes Heu- und Strohlager.
Phils Blick glitt tiefer in den Raum. Er entdeckte einen schmalen Gang zwischen rechter Außenwand und Traktor. Seine Augen hatten sich an das Dämmerlicht gewöhnt. Langsam schritt er den Gang entlang. Er war darauf bedacht, nicht mit seinem Anzug anzustoßen, um eine Staubdusche zu vermeiden.
Der Gang endete an einem kleinen Holzschuppen, der in der äußersten Ecke der Scheune eingebaut war. Phil grinste. Er vermutete ein uraltes Plumpsklo. Er wollte die Tür öffnen und bemerkte dann, dass sie mit einem Haken verriegelt war.
»Komisch.« Der müsste innen angebracht sein. Er klappte den Haken zur Seite und öffnete die Tür. Innen war es stockfinster und Phil benötigte ein bisschen Zeit, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann starrte er fassungslos hinein. »Das gibt es nicht!«
Jerry fand nichts von Bedeutung in den verlassenen Stallungen und ging in die Scheune. Es war nichts zu hören. »Phil?«
»Hier hinten. Komm und sieh dir das an. Den Gang am Traktor entlang.« Phil zog sich weiße Gummihandschuhe an und nahm einen Stock in die Hand. Ihn schauderte.
»Was machst du da?«
»Was glaubst du, für was das ist?« Phil zeigte seinem Kollegen den Stock. Er war etwa einen Meter lang.
»Das sieht aus wie… Bambus? Keine Ahnung.«
»Und das?«
»Eine Reitgerte.«
Phil begann weiter auszuräumen.
»Eine Kette… ein Teppichklopfer… eine – eine Peitsche?«
»Aus Leder, ist steif geworden.«
»Du lieber Himmel, das sind…«
»Schlagwerkzeuge.«
»Von diesem… Verschlag stand nichts in den Berichten.«
»Hm… mir kommt alles immer seltsamer vor.«
Jerry musterte die Instrumente, die fein säuberlich an der Wand hingen. Eine kleine dreckige Matratze lag in der Ecke, nicht groß genug für einen Erwachsenen.
»Lass uns hier raus, bevor meine Vorstellungskraft mit mir durchgeht.« Jerry schüttelte sich. Wenn sich das abgespielt hatte, was er glaubte, würde es ihn nicht wundern, wenn Lyle Parker eines Tages ausgeflippt wäre.
Sie atmeten erleichtert die frische Luft ein. »Mann, was für eine Entdeckung.«
»Was machen Sie da?«
Phil erschrak fürchterlich und seine Hand schnellte an sein Holster. Es war eine Dame um die sechzig Jahre. Der Senior Corporal entspannte sich. Die Frau musterte sie misstrauisch.
»Wir sind von der Polizei, Ma’am.« Jerry hielt seine Marke hoch. »Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Sie zuckte zustimmend mit der Schulter, wirkte aber weiterhin misstrauisch.
»Wir gehen alte Fälle durch und prüfen, ob alles korrekt abgelegt wurde.«
Ihr Gesicht erhellte sich. »Ah. Dann geht es um Ted Parkers Tod.«
»Ja, Ma’am.«
»Ich bin Martha Brown und wohne hier im Nachbarhaus. Es war seit Jahren niemand mehr hier.«
»Wissen Sie, wo Mary Parker ist?«
»Die Ärmste. Am Ende ist sie doch noch bei ihresgleichen gelandet.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, bei den Verrückten. Hat behauptet, sie wäre von Außerirdischen entführt worden. War ein großer Artikel in der Zeitung. Kein Wunder, dass Ted immer wieder die Nerven verloren hat. Ihr Junge hat sie einweisen lassen.«
»Lyle Parker?«
»Ja. Nach Teds Tod konnte man Mary nicht mehr alleine lassen. Der Junge lebte nicht mehr zu Hause. Hat studiert. Ist Pilot geworden.«
»Pilot?«
»Eine Mutter ist doch stolz, wenn der Sohn Pilot wird, oder? Mary hat das gar nicht gefallen. Und Ted war Ted. Lyle konnte es ihm nie recht machen.«
»Hat Ted Parker seinen Sohn geschlagen?«
Martha Brown knetete ihre Hände und kniff die Lippen zusammen. »Gerüchte gab es viele. Mary trug auch im Winter häufig eine Sonnenbrille. Ich mische mich nicht in die Angelegenheiten anderer ein, wissen Sie.«
Jerry verbiss sich einen Kommentar. »Was können Sie uns noch über Ted Parker erzählen?«
»Ein Rumtreiber war er. Hat jedem Rock nachgejagt. War ständig in Prügeleien verwickelt. Harold hat ihn dann in die Stadt geschickt, damit er was Anständiges lernt. Wissen Sie, er hat nämlich die Schule hingeschmissen.«
»Harold?«
»Teds Vater. Die Mutter ist im Kindbett gestorben, wissen Sie. Harold musste Ted ganz alleine groß ziehen. Keine leichte Sache. Er hat…«
»Wie ging es mit Ted weiter?«
»Ach, die Stadt hat nichts gebracht. Er hat dort geheiratet und ist mit Mary zurückgekommen. Sie haben dann die Farm hier gekauft. Aber ein guter Farmer war er nie. Die arme Mary. Sie war eine Schönheit. Aber mit so einem Kerl konnte sie nur verrückt werden.«
»Wo wurde Ted Parker erschossen?« Phil unterbrach ihren Redeschwall.
»Ich kann es Ihnen zeigen. Kommen Sie! Ist nicht weit von hier.«
Die beiden Detektive warfen sich wortlos einen Blick zu und folgten der Alten.
»Hier! Hier war es. Da lag er auf dem Rücken mit dem Loch mitten in der Stirn. Ich habe den Knall gehört und erst gedacht, der alte Meyers hat wieder seinen Rasenmäher angeworfen, aber dann hab ich ihn gesehen. Es war so entsetzlich.« Die alte Dame zog umständlich ein Taschentuch aus der Schürze, wandte sich ab und wischte sich über das Gesicht.
Phil deutete zur Hintertür. »Ted Parker scheint auf dem Weg zum Haus gewesen zu sein.«
Jerry nickte nachdenklich. »Was deutlich für Lyle Parker als Verdächtigen spricht.«
»Mary Parker hätte auch ein Motiv.«
»Ein Schuss mitten in die Stirn. Das ist eher die Spezialität von Parker Junior.«
Martha widmete sich wieder den Polizisten und deutete mit beiden Händen einen großen Abstand an. »So lang war das Jagdgewehr, das neben ihm gelegen hat.«
Jerry blickte sie irritiert an. »Was meinen Sie?«
»Er lag da tot auf dem Rücken und in seiner Hand hielt er das Jagdgewehr. Er hat immer die Ratten damit gejagt. Schon als kleiner Junge, wissen Sie. Was hat sich eigentlich wegen den Männern in den schwarzen Anzügen ergeben?«
»Männer in schwarzen Anzügen?« Phil drehte sich zu ihr um.
»Zwei fesche junge Männer.« Sie lächelte und wurde rot.
Davon stand ganz sicher nichts in der Akte. Was hatte das zu bedeuten?
CÆRON, Sektion 11, Delaware, New Cove
Ich kam mir fehl am Platz vor. Jarod arbeitete weiter an dem Metall und ich sah dabei zu. Scott telefonierte. Ich war es gewohnt selbst mitanzupacken, und nicht als Zuschauer zu agieren. Und jetzt sah ich einem anderen Mann bei der Arbeit zu. Es widerte mich an.
Jarod warf einen verstohlenen Blick zu Scott und schien ihn zu fixieren. Ich stand in Reichweite, streckte den Arm aus und stach mit dem Zeigefinger leicht zwischen Jarods Schulterblätter. Er gab einen erschrockenen Laut von sich. »Lass es! Wenn Scott merkt, dass du ihn spiegelst, bekommst du Ärger. Reiz ihn doch nicht ständig.«
»Ich wollte nur…« Lauschen. Ich brach ab und stellte das Reagenzglas zurück in die Halterung. Lauschen war nicht erlaubt.
»Ja?«
»Nichts, Sir. Verzeihung.«
Jarod holte eine Chemikalie aus dem oberen Regal. Dabei rutschte sein Kittel nach unten und eine Tätowierung an seinem Handgelenk wurde sichtbar. Ich versuchte zu erkennen, was es war, aber der Ärmel rutschte zurück und verdeckte es. Scott beendete das Telefonat.
»Ich muss kurz weg. Schaffen Sie das hier alleine?«
»Ja.«
»Ich will keine Klagen hören, Jarod. «
»Ja, Sir.«
»Scheuen Sie sich nicht, den Transmitter zu benutzen, falls es Probleme geben sollte, Lyle.«
Aber sicher doch, du Sadist! Ich wartete, bis Scott gegangen war. »Ist das eine Tätowierung an deinem linken Handgelenk?«
»Sie meinen die Striche?«
»Zeig mal!«
Ich schlug den Pullover um und hielt Mr. Parker meinen Arm hin.
Es sah ein bisschen wie ein Strichcode aus. »Ist das ein Strichcode?«
»War das eine Frage an mich, Sir?«
»Ja, aber ich denke, du kannst sie nicht beantworten.«
»Das ist korrekt, Sir.«
Mal sehen, was Scott Hill dazu sagen würde. Jarod vertiefte sich in seine Aufgabe.
»An was arbeitest du?«
»An einer neuen Metalllegierung für die Raumgleiter.«
»Klingt interessant. Erzähl mir mehr!«
»Die alten HRSI konnten bis zu 1260 °C aushalten. Wenn ich es hinbekomme, wird dieses Material hier über 5000 °C aushalten können.«
»Wow!« Ich seufzte. »Das Metall würde ich gerne anfassen.«
Ich nahm ein Stück aus dem Versuchsofen, kühlte es unter kaltem Wasser ab und bot es Mr. Parker an. »Bitte, Sir.«
Einen Moment lang betrachtete ich das blaugrau schimmernde Stück, dann zog ich es aus der Zange und schloss die Faust. Mit geschlossenen Augen nahm ich die Eindrücke auf, die durch meine Nerven zogen. Es war anschmiegsam. Ich sah Jarod an. Er musterte mich aufmerksam. »Es wird besser halten als die Kacheln. Man kann es verflüssigen und wie eine Paste auftragen.«
»Das ist korrekt.«
»Es absorbiert die Hitze nicht, es stößt sie ab. Wird es keine Probleme mit der Reflexion auf den Rest des Gleiters geben?« Ich gab ihm das Stück zurück.
»Exakt das ist mein Problem.« Ich starrte Mr. Parker an und versuchte, in seinen Geist zu springen. Hart schlug mir die Mauer entgegen. Es gab keinen Weg. Alles war versperrt.
»Hör auf damit! Ich will diesen Neurotransmitter nicht aktivieren. Aber ich sehe es! Wenn du es noch einmal bei mir versuchst, werde ich dir verdammt wehtun. Auch ohne dieses Ding.«
Mein Herz schlug bis zum Hals. Mir wurde heiß. Ich musste mehr über diesen Mann wissen, aber zum ersten Mal in meinem Leben gab es keinen Weg hinein. Wer oder was war dieser Mann? »Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Testpilot, der auf dich aufpassen soll.«
Das war nur die halbe Wahrheit und das wussten wir beide.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Phil trank seinen vierten Kaffee und blätterte gedankenverloren zum wiederholten Mal die Akte durch. »Nichts. Keine Männer in schwarzen Anzügen. Die werden mit keinem Wort erwähnt. Alles andere entspricht den Erzählungen der Nachbarin.«
»Glaubst du, sie hat damals vergessen, die Typen zu erwähnen?«
»Nie und nimmer. So wie sie die uns gleich aufgetischt hat. Mir ist aufgefallen, dass auch der Verschlag nicht erwähnt wird.«
»Die Jugendfürsorge hat sich doch im Haus umgesehen.«
»Aber nicht in der Scheune. Der alte Parker war schlau. Er hat wohl seine Familie nie im Haus misshandelt.«
Phils Blick fiel auf die letzte Seite der Zeugenaussage von Martha Brown und er wusste, was ihn die ganze Zeit gestört hatte. Die Zeugenaussage war nicht unterschrieben. »Das ist Schlamperei. Damit kann man jeden Prozess platzen lassen.«
»War nicht Ben Dickson für den Fall zuständig?«
»Ja. Er ist pensioniert.«
Jerry angelte nach dem Telefon. »Ich ruf ihn an. Vielleicht kann er uns darüber ein bisschen was erzählen.«
CÆRON, Sektion 11, Delaware, New Cove
Scott kam erst wieder kurz vor Feierabend. Ich empfand Jarod nicht als gefährlich. Im Gegenteil. Er wirkte eher extrem ruhig und ein bisschen naiv. Tatsächlich war der Nachmittag langweilig gewesen. Endlich war der Tag vorbei.
»Ich habe noch unten zu tun. Sie können Schluss für heute machen, Lyle. Ich bringe Jarod in sein Zimmer.«
»Gut. Bis morgen, um acht.«
»Auf Wiedersehen, Mr. Parker.«
»Bis morgen, Jarod.«
Ich freute mich auf die Jungs und das Flight Inn. Gleichzeitig machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Scott würde Jarod jetzt dort unten einsperren. Jarod, der sicher noch nie in seinem Leben in einer Kneipe gewesen war. Und es wahrscheinlich niemals sein würde.
CÆRON, Aufzug 1
»Sir?«
»Was?«
Er klang genervt. Trotzdem wagte ich einen Vorstoß. »Ich würde gerne ein Geschichtsbuch lesen. Sechzehntes bis Neunzehntes Jahrhundert.« Scott wandte den Kopf und musterte mich misstrauisch.
»Warum?«
»Ich habe den aktuellen Lesestoff durch und hätte gerne ein neues Gebiet.«
»Warum Geschichte?«
»Weil ich mich bisher noch nicht damit befasst habe und gerne mehr darüber lernen möchte.« Wir verließen den Aufzug.
»Ich muss das erst prüfen.«
»Danke, Sir.«
Sektion 23, Jarods Zimmer
Ich betrat das Badezimmer und zog mich komplett aus.
Mr. Parker war anders. Keiner meiner früheren Betreuer glich ihm. Und das nicht nur wegen seiner Besonderheit.
Ich warf die benutzte Kleidung in den Wäscheschacht und betrat die Duschkabine.
Mr. Parker brach Regeln.
»Dusche an!«
Er vermied den Einsatz des Transmitters.
Ich wusch meinen Körper.
Er lehnte sich sogar gegen Scott auf!
»Dusche aus!«
Scott wirkte eingeschüchtert.
»Trocknen an!« Die Luftdüsen bliesen meinen Körper trocken.
Scotts überstürzter Weggang war typisch für ihn gewesen.
Ich nahm die Nachtkleidung aus dem Fach und zog mich an.
In mir vibrierte es vor Anspannung. Ich wollte mehr von Mr. Parker erfahren, und dieser unerfüllbare Wunsch fühlte sich unangenehm an.
Das Licht des Speiseaufzuges blinkte bereits. »MOTRON AN. Abspielen Händel. Wassermusik Suite Nr. 1. Lautstärke 5.«
Die Musik setzte ein. Ich nahm den Teller aus dem Aufzug - Salat mit Huhn, zwei Scheiben Brot, eine Flasche Wasser - setzte mich an den Tisch und begann zu essen.
Was Mr. Parker jetzt wohl aß? Warum war er mein neuer Betreuer? Als Testpilot und Dissident entsprach er sicher nicht den Vorstellungen von Scott.
Ob Mr. Parker wegen seiner Besonderheit mein Betreuer geworden war? Gerne hätte ich ihn darauf angesprochen, aber das wäre gegen die Anweisung gewesen.
Etwas Neues, Aufregendes war mit Mr. Parker in mein Leben gekommen und durchbrach die Alltagsroutinen.
Es war ein selten angenehmes Gefühl, den kommenden Arbeitstag positiv zu erwarten.
Flight Inn, Delaware, New Cove
Das Flight Inn lag direkt neben dem Fluggelände und wurde von einem ehemaligen Piloten betrieben. Überall standen und hingen Teile alter Flugzeuge herum. Modelle von Jagdflugzeugen schwebten zwischen den Lampen an dünnen Fäden. Tisch, Stühle und Decke sahen mitgenommen aus. An der Wand hinter der Bar hingen viele Bilder von Flugzeugen und Piloten, die reichlich mit Autogrammen und Widmungen versehen waren.
An der Theke herrschte bereits reger Betrieb. »Hi Jungs, habt ihr schon gegessen?«
»Negativ, wir wollten auf dich warten.« J.R. sah suchend an mir vorbei. »Wo ist Smithi?«
»Sie hat Karatetraining.«
»Von ihr würde ich mich auch mal gerne auf die Matte legen lassen.«
»Schön langsam, J.R., schön langsam.« Die Jungs lachten.
»Na, Skydiver. Hab gehört, der erste Platz ist frei geworden.«
»Vorrübergehend, Ninja. Nur der beste Mann bekommt diesen Platz.«
»Dann bin ich ja richtig da.«
Alle lachten, aber niemand würde ernsthaft anzweifeln, wer der beste Pilot in der Truppe war.
»Stimmt es, dass du noch die ST8 begutachtest?« George Buckner wirkte wie immer etwas nervös.
»Klar, Boogie, mach dir keine Gedanken. Ist Bill heute nicht hier?«
»Doch. Der ist noch beim Abschütteln.«
Liz schob mir einen alkoholfreien Drink über die Theke. »Danke.« Ich prostete ihr zu und nahm einen Schluck. Bill kam heran und hieb mir auf die Schulter.
»Hi, Lyle. Hast dich wohl verirrt. Die Laras sind im Café Reagenzglas gegenüber.«
»Blödmann!«
»Und? Wie ist dein neuer Job?« J.R. nahm einen Schluck aus der Bierflasche.
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Der ganze Auftrag ist etwas… abartig.«
»Abartig – das klingt interessant.«
»Na ja, eher tödlich.« Ich sah mich unauffällig um. »Der Auftrag unterliegt der Sicherheitsstufe 10. Ihr wisst, was das heißt?«
»Du lebst ab jetzt doppelt gefährlich.«
»Das gefällt mir nicht. Die ganze Sektion gefällt mir nicht. Man hat mir aber hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gegeben, dass ich keine Wahl habe.« Ich trank meinen Ipanema. »Liz , noch einen!«
J.R. schüttelte mit dem Kopf. »Ich verstehe nicht, wie du so ein süßes Zeugs runterkriegst.«
»So süß ist er nicht.«
»Was wollen wir essen?« Bill warf einen oberflächlichen Blick auf die Karte.
»Wie immer. Eine große Platte für uns, Liz.«
»Wer ist mit Zahlen dran?«
»Lyle, der verdient jetzt das Doppelte von uns.«
»Ja, ja«, brummte ich. »Geht auf meine Rechnung.«
»Ich schreibe es an, wie immer.« In der Aussage von Liz schwang ein ironischer Unterton mit.
»Da! Unser warmer Bruder. Wohnt der immer noch bei dir, Lyle?«
»Hast du das noch nicht gehört? Wir haben letzte Woche geheiratet.«
Der ganze Tisch brach in schallendes Gelächter aus. Sheridan kam heran. Er gehörte zwar nicht zur Fliegertruppe, aber die Jungs mochten ihn alle, auch wenn sie ihn immer aufzogen.
»Lasst mich mitlachen, Jungs.«
»Herzlichen Glückwunsch, Mrs. Parker.«
»Wo issen dein Ring, süße Braut?«
»Ihr Spinner! Lyle, Schätzchen, deine Braut legt noch Make-up auf und steht dir gleich ganz zur Verfügung.«
Ich gab Sheri einen Klaps auf den Hinterkopf. Er boxte mir dafür gespielt gegen die Schulter.
Haus von Scott Hill, Delaware, New Cove
Loraine Hill stand mit der Kaffeetasse in der Bürotür ihres Mannes und sah dabei zu, wie er hochkonzentriert auf sein Tablet starrte. »Da du nicht runterkommst, kommt der Kaffee eben zu dir.«
Er schreckte ertappt zusammen und drehte das Display des Tablets auf den Tisch.
Loraine reichte ihrem Mann die Tasse. »Scott, das ist lächerlich. Ohne Brille kann ich sowieso nichts auf dem kleinen Ding erkennen. Was gibt es denn heute noch so Wichtiges?«
»Du weißt doch, der Mechaniker. Es ist immer gut, wenn man seine Mitarbeiter kennt.«
»Ein Backgroundcheck für einen Pharmamitarbeiter. Okay, er könnte Rezepte für Arzneien stehlen, oder?« Loraine kicherte.
Scott verzog das Gesicht, wie immer, wenn sich Loraine über die Geheimhaltungspflicht lustig machte. »Er ist mir äußerst suspekt.«
Loraine setzte sich in den Sessel neben dem Schreibtisch und nickte lächelnd. »Hm, ich denke, das hattest du bereits ein oder zwei Mal erwähnt.«
»Stell es dir so vor: ein Universitätsprofessor wird Kindergärtner.«
»Er hat also eine höhere Qualifikation als der Job benötigt, den er jetzt ausübt?«
»Exakt! Wieso sollte absichtlich seine Karriere stilllegen.«
»Hat er Ärger in seinem alten Job gehabt? Oder versteckt er sich vor jemandem?«
Nachdenklich sah Scott seine Frau an. Welches Geheimnis verbarg Lyle Parker? »Das werde ich herausfinden.«
CÆRON, Sektion 12, Hangar 2
»Du weißt gar nicht, wie ich dich beneide, Boogie.«
»Nö, kann ich auch nicht. Ich bin immer froh, wenn ich heil runterkomme.«
»Warum bist du Testpilot geworden?«
»Im Linienflug verdient man zu wenig.«
Für ihn war es nur ein Job, keine Passion. Bill öffnete das Cockpit, rückte zur Seite und ich kletterte hinein.
»Was meinst du? Wird das Baby einen Horizontalstart durchstehen?«
Ich griff nach dem Steuerknüppel und lehnte mich zurück. Viel größer hätte ich nicht sein dürfen. Mir war sofort klar, dass ich keine langen Flüge mit ihr machen konnte, ohne dass mir die Beine einschlafen würden. »Verdammt eng.«
»Hat nicht jeder so lange Beine.« Bill hob schmunzelnd die Augenbrauen. Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Hey!«
»Das erhöht die Denkfähigkeit. Ich bin normal groß. Jetzt lass mich mal kurz allein.«
Ich schloss die Augen und hörte Bill die Metallstufen hinuntergehen. Schade, dass ich sie nicht starten konnte. Ich liebte es, wenn ich die Energiewellen aufnehmen konnte. Bei einem ausgeschalteten Raumgleiter war das Echo nur ein schwacher Abklatsch. Aber besser ein Abklatsch als gar nichts.
Ich konzentrierte mich und ging die STARDUST von vorn nach hinten durch. Sie fühlte sich gut an. An den Triebwerken kam ich kurz ins Stocken, aber das löste sich auf.
Fünfzehn Minuten später stand ich bei Bill und George. Sie sahen mich erwartungsvoll an. »Wie hoch sollst du sie morgen rannehmen?«
»Bis zur Erdkrümmung.«
»Lass es langsam angehen. Kurz vor dem Überschall nimm sie hart ran, damit das Triebwerk nicht ins Stottern gerät. Wenn du darüber bist, werde sanft. Bill, die Relais laufen nicht hundertprozentig sauber. Aber der Flug kann trotzdem stattfinden. George kann es nach der Landung bemängeln und du weißt, was zu verbessern ist.«
»Super, danke. Wenn wir dich nicht hätten, wären wir alle am Arsch.«
»Ach, Quatsch! Dann würde jemand anderes meinen Job machen.«
Zusammen verließen wir den Hangar und schlenderten zu Sheridan, der gespannt auf meinen Tagesbericht wartete.