CAERON - Konvention
von ChrisUndManuela
Kurzbeschreibung
Ein verzweifelter Gefangener, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ein rebellischer Testpilot, mit traumatischer Vergangenheit . Ein geheimnisvoller Vize-Direktor, mit rätselhaften Absichten. --- Jarod hat sein ganzes Leben isoliert in der geheimen Sektion 23 verbracht. Er kann in die Köpfe anderer Menschen sehen und ihr Wissen kopieren. Wirklich nur kopieren? Wieso halten ihn alle für so gefährlich, dass man ihn rund um die Uhr einsperren, bewachen und mit Schmerzen unter Kontrolle halten muss? --- Genau die gleichen Fragen stellt sich Lyle Parker, der neue Betreuer von Jarod. Er ist Ex-Astronaut, Testpilot, sehr von sich eingenommen und rebellisch gegen Vorgesetzte. Auf den ersten Blick scheinen Welten zwischen den beiden zu liegen, aber schon bald muss Lyle erkennen: ihn verbindet mehr mit Jarod, als ihm lieb ist.
LeseprobeSci-Fi, Suspense / P16 / Gen
22.07.2018
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Kapitel 1
29 Jahre später
Mittwoch, 13. Mai
Tankstelle George’s Oil & More, Delaware, New Cove
»Geben Sie mir noch zwei rote Packungen Marlboro.«
Genervt ließ ich die Luft entweichen und sah auf meinen Chronometer. Tony würde toben. Ich war jetzt bereits zu spät für das Briefing.
Ein pickeliger Teenager bediente die Kasse im Zehn-Finger-Suchsystem. Vor mir stand ein Typ mit unzähligen Süßigkeiten. Das Kassieren würde ewig dauern. Zumindest bezahlte Marlboro Man endlich.
»Hände hoch! Das ist ein Überfall!«
Eine schreckliche Stimme und ein geistloser Satz. Gewiss wollte der Kerl nicht, dass wir Staubpartikel aus der Luft fischten. Ich gehorchte genervt und wandte mich halb um. Überrascht blickte ich in das Latex-Gesicht von Ronald Reagan. Er zielte mit einer Schnellfeuerwaffe auf den Kassierer. Sein Kumpel, mit einer Barack-Obama-Maske, bedrohte die beiden Männer vor mir und mich. Donald Trump stand an der Tür und beobachtete die Tankstelle. Sie sahen albern mit ihren Masken aus. Reagan kam auf uns zu und fuchtelte mit der Maschinenpistole herum.
»Platz da!«
Die beiden Männer sprangen zur Seite. Ich machte ebenfalls einen Schritt zurück.
»Bitte tun Sie mir n…nichts.«
Der Teenager schien nicht viel Erfahrung mit Überfällen zu haben.
»Halt die Klappe!« Reagan knallte eine Reisetasche auf den Tresen. »Pack das Geld da rein!«
Der Junge öffnete zitternd die Kasse und pflückte ein paar Dollarscheine heraus.
»Willst du mich verarschen? Wo ist der Rest?«
»Es tut mir leid. Das Geld wurde v… vor fünfzehn Minuten abgeholt. «
Reagan rutschte über den Tresen und starrte in die Kasse.
»Scheiße!«
»Ich hab’s dir gesagt.« Trump trat gegen ein Regal. »Die Tanke ist Scheiße!«
»Halts Maul, Donald! Verdammte Scheiße! Barack, nimm denen da ihr Zeug ab.« Er stieß den Teenie mit der Waffe an. »Wo ist der Tresor?«
»B… bitte, Sir.« Der Junge schluchzte. »Wir… wir haben keinen.«
Wütend schlug Reagan dem Jungen mit dem Handrücken ins Gesicht. Er stürzte zu Boden und schrie auf. Obama kam auf uns zu. Ich wich nochmals zurück und prallte gegen ein Regal, das bedenklich wankte. Was für ein Idiot.
»Brieftasche und Smartphone!«
Er bohrte mir die Mündung des Gewehrs in den Bauch. Meine Nackenhaare sträubten sich. Sofort riss meine Rechte die Beretta aus dem hinteren Hosenbund. Mit der Linken stieß ich den Lauf seiner Waffe nach unten und trat ihm gegen das rechte Knie. Aufschreiend sackte Obama zu Boden. Reagan starrte mich an. Er machte Anstalten das MG hochzuziehen, doch meine Patrone war schneller. Er sackte hinter dem Tresen zusammen. Trump schrie voller Wut und stürmte auf mich zu. Meine zweite Patrone schlug in seine Stirn ein. Sein Schrei brach ab. Obama versuchte seine Waffe auf mich zu richten. Ich trat ihm auf das Handgelenk. Unter dem Absatz meines Cowboystiefels brachen die Knochen. Er schrie grell. Ich nahm das MG an mich.
»Rufen Sie die Polizei!« Marlboro Man kauerte noch immer auf dem Boden und starrte mich mit offenem Mund an. »Na los! Ich habe nicht ewig Zeit. Ich muss noch einen Flug bekommen.« Ich steckte die Beretta weg und angelte nach meinem Mobiltelefon. In Notfällen sollte ich mich bei French melden. Heute schien der richtige Moment dafür zu sein.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
»Hey Phil, ist er das?«
»Ja.«
»Wirkt unscheinbar.«
»Unsere Mädels fanden ihn attraktiv.«
»Und? Was meinst du? FBI? CIA? Homeland?«
»Denke eher, er ist ein Terrorist. Die Typen vom FBI laufen doch so nicht rum und haben auch keine Beretta.«
Jerry warf einen Blick auf die Zeugenaussagen. »Einer der Tankstellenkunden hat gesagt, dass zwei Räuber innerhalb von Sekunden tot waren und der dritte wimmernd zusammengebrochen ist.«
»Rätsel gelöst. Er ist James Bond.« Phil lachte auf.
Jerry musterte den blonden Mann intensiv durch die Scheibe. »Womöglich arbeitet er tatsächlich für den MI6.«
»Ne, Bond benutzt eine Walther PPK. Der Typ hat noch nichts gesagt.«
»Nicht mal seinen Namen?«
»Kein einziges Wort.«
»Da kommt der Captain. Der wird ihn schon ausquetschen. Hi Cap, wir sind auf das Verhör gespannt.«
»Fitzpatrick, lassen Sie Parker laufen.«
»Parker?«
Der Captain nickte zur Erklärung mit dem Kopf in Richtung Verhörzimmer.
»Das meinen Sie nicht ernst.«
»Doch. Freilassen! Kommt von ganz oben.«
»Der hat zwei Typen per Kopfschuss getötet, dem dritten Knie und Hand zertrümmert und wir dürfen nicht mal mit ihm reden?«
»Los! Lasst ihn laufen!« Der Captain hielt ihnen eine Beretta M9 und eine Brieftasche hin. »Gebt ihm sein Zeug zurück.«
Kurz darauf hingen beide am Fenster und sahen zu der schwarzen Limousine, in die der ominöse Parker einstieg.
»Phil, notier das Nummernschild!«
»Wieso?«
»Ich will mehr über den wissen.«
»Hm. Da steht CÆRON auf dem Wagen.«
»Das ist doch dieser riesige Firmenkomplex am Seaside Bay.«
Beide sahen sich nachdenklich an.
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Heimbs, Delaware, New Cove
»Das war nicht autorisiert, Scott!« Dr. Heimbs war aufgebracht und fixierte seinen Mitarbeiter mit einem unzufriedenen Ausdruck im Gesicht. »Sie haben Edward Defoe während der aktiven Arbeitszeit abführen lassen. Das war unnötig und unüberlegt. Wie kommen Sie dazu A2 mitzuteilen, wie wir mit Defoe weiter verfahren? A2 soll solche Informationen nicht erhalten. Niemals! Dafür gibt es eine Anweisung!«
»Ich dachte…«
»Schauen Sie ihn sich an.« Dr. Heimbs deutete zur Übertragung auf den Holo-Schirm. »Wir verlieren einen ganzen Arbeitstag. Wie soll ich das erklären? Direktor Carter akzeptiert keine unautorisierten Handlungen.«
»Die Beziehung zwischen Defoe und A2 war bereits zu eng. Es war nur eine Frage der Zeit, bis…«
»Ich bin hier der Sektionsleiter und Sie nur der Befehlsausführende. Ich erwarte, dass Sie sich an die Anweisungen halten. Die Lösung für das Betreuerproblem liegt bereits vor. Ich wollte Defoe in den nächsten Tagen regulär ersetzen lassen. Was Sie getan haben war unnötig.«
»Wieso wurde ich nicht informiert?«
»Ich hätte Ihnen den Betreuerwechsel zeitgerecht mitgeteilt. Jetzt muss ich wegen Ihrer vorschnellen Handlung die Sache beschleunigen.«
Scott schnaufte lautlos auf. »Wann kann ich mit dem neuen Betreuer rechnen, Sir?«
»Er stellt sich im Laufe des Tages bei Ihnen vor. Karen wird Sie informieren. Scott, kann ich mich zukünftig darauf verlassen, dass Sie sich exakt an die Anweisungen halten?«
»Ja, Sir. Darf ich fragen, wer der neue Betreuer wird?«
»Lyle Parker. Im Moment ist er Testpilot in SK 12.«
»Ein Pilot?« Scott starrte Dr. Heimbs fassungslos an. »Er ist ein Externer.«
»Nein, das ist er nicht. Er hat seit vier Jahren Sicherheitsstufe 8. Schließlich arbeitet er an dem neuen NASA–Shuttle mit.«
»Sie vergleichen unsere Sektion mit einem Shuttle?«
»Parker ist der Richtige für uns. Es wird keine Probleme mehr geben.«
»Aber… er ist nur ein Pilot.«
»Zweifeln Sie meine Entscheidungen an?«
»Nein, Sir.«
»Gehen Sie jetzt zu A2 und sorgen Sie dafür, dass sich sein mentaler Zustand normalisiert und er seine Arbeit fortsetzt.«
CÆRON, Sektion 12, Testfluggelände
Der Start der STARDUST war wegen des Wetters verlegt worden. Dafür zog man den Testflug der MIRINDA vor.
Wie war es French möglich gewesen, mich ohne Verhör da raus zu holen? Ich schnürte die Stiefel und versuchte mich auf den Flug zu konzentrieren, ohne daran zu denken, wieso ich hier und nicht im Präsidium war.
Ich warf einen Blick nach draußen. Es regnete sich ein. Mit dem Helm unter dem Arm ging ich ins Interna, um mir nochmal das Briefing anzusehen.
Tony saß vor den Monitoren, rollte mit dem Stuhl zurück und stand auf. Ich deutete mit dem Daumen zum Hangar-Ausgang. »Da draußen wird es immer schlimmer. Ist es dein Ernst, dass wir jetzt noch starten sollen?«
Tony, der tatsächlich ein wenig wie Iron Man Tony Stark aussah, starrte von seinem Tablet auf. »Tja, was soll ich sagen? – Ja.«
Ich verzog das Gesicht.
»Ich mach’s.« Ninja, der an der Steuereinheit lehnte, grinste mich frech an.
»Schnauze! Stell dich hinten an.«
Reika und ich frotzelten bei jeder Gelegenheit miteinander. Der schmächtige Japaner war nach mir der beste Testpilot in CÆRON. Er grinste noch breiter.
»Das bisschen Regen schreckt nur Weicheier ab. Mein Flug eben mit dem IIIC ist perfekt gewesen.«
Ich drohte ihm spielerisch mit der Faust.
»Konzentrier dich, Lyle! Dass die MA-II schnell ist, hast du letztes Mal bewiesen. Ich möchte, dass du heute ihr Verhalten bei Minimalgeschwindigkeit checkst. Und wenn wir schon mal so ein Wetter haben, will ich wissen, was wir noch an den Start- und Landekonfigurationen ändern müssen, um sie zu optimieren. Ich soll dir von Gabriel sagen, dass du ein Auge auf die KI werfen sollst. Ein Techniker aus SK 9 hat gestern Abend noch an ihr herumgebastelt, obwohl Gabi es nicht wollte.«
Ich nickte. Das war typisch. Hierarchiegerangel zwischen den Konstrukteuren und den KI-Technikern. Die Leidtragenden waren immer wir Testpiloten.
Ninja begleitete mich ein Stück auf dem Weg zum Hangar. »Was ist los?«
»Nichts. Alles in Ordnung.«
»Typisch Astronaut. Die geben doch nie etwas zu. Wir sehen uns später. Die bringen eben die JE rein. Das will ich mir nicht entgehen lassen. Smithi kann es dir später erzählen.«
»Okay, bis dann.« J.R. kam mir entgegen. David Ewing, genannt J.R., trug eins seiner Muskelshirts, die Charly so ätzend fand. Frauen-Anmach-Shirts nannte Charly sie. Im Grunde war J.R. ein liebenswerter Teddybär mit großer Klappe. »Hey, J.R. Ich habe dich heute noch nicht gesehen. Wo hast du dich versteckt?«
»Genau vor dir.«
»In deinen Träumen.« Ich lachte. »Gehst du auch zur Ankunft der JE?«
»Worauf du deinen Arsch verwetten kannst. Das soll das Original sein. Ein russischer Sammler will sie von CÆRON restaurieren lassen.«
»Da verpasse ich ja richtig was. Na, dann viel Spaß.«
Die MIRINDA stand noch in der Halle. Sie gefiel mir. Ich ging langsam um den aerodynamischen Rumpf herum, die Handfläche auf ihrer Haut. Ein neues Metall aus Sektion 11. Noch war ihre Schwingung gleichmäßig, schwach und angenehm, wie kleine Wellen, die am Sand ausliefen. Nichts störte die Gleichmäßigkeit. Das war sehr beruhigend. Es würde keine Schwierigkeiten geben.
Bill, unser Chefmechaniker, grinste breit. »Und? Bist du zufrieden?«
»Ja. Ihr habt gute Arbeit geleistet.«
Bill lachte und deutete mit seinen breiten Händen auf die MIRINDA. »Dein Mädchen ist bereit. Hopp, rein mit dir, damit wir dich anschnallen können.«
Wir rollten aus dem Hangar. Es schüttete wie aus Eimern. Der Himmel war dunkel und der Windsack flatterte voll aufgebläht im Wind. »Dreckswetter!«
Es wurde Zeit, in die Luft zu kommen. Die Sicht hier unten war lausig. Die Wolken schienen fast den Boden zu berühren und der Regen war so dicht, dass er eine normale freie Sicht unmöglich machte. Ich schaltete den Nachbrenner ein. Das Ende der Startbahn war kaum noch auszumachen. Ich spürte den charakteristischen Ruck im Rücken. Die MIRINDA nickte leicht. Mein kurzer Kontrollblick auf die Geräte signalisierte - alles im grünen Bereich.
Ich löste die Bremsen. Wenige Sekunden später hob ich ab und jagte mit gut 380 Knoten in die Suppe hinein. Musste ich auch nicht jeden Tag haben. Der Meteorologe hatte eine geschlossene Wolkenobergrenze von 6.000 Fuß vorhergesagt. Das musste gleich… und richtig, das Grau wurde immer mehr zum Blau. Und dann war ich draußen – strahlendblauer Himmel. Von Ninja konnte ich noch einige Kondensstreifen sehen, die sich langsam zerfaserten. Unter mir die schneeweißen Wolken mit der einheitlichen, leicht zerklüfteten Oberfläche.
Ich brachte die MA-II näher an die Wolken heran, weil ich dann im Gefühl der Geschwindigkeit baden konnte. Mein Schatten begleitete mich und ich grinste kurz, weil es mich an Lucky Luke erinnerte. »Der Mann, der schneller flog als sein Schatten.«
»Hier Tower, Skydiver, wir haben dich nicht verstanden.«
»Alles klar!« Ich sollte öfter die Klappe halten.
Für fünf Minuten öffnete ich mich der MA-II. Verdrängung von Zeit und Raum. Eintauchen in die Geschwindigkeit. Nichts um dich herum, nur Freiheit.
»Skydiver! Hörst du mich? Du sollst arbeiten, und nicht nur die Luft bügeln!«
»Sklaventreiber! Ich aktiviere Aufzeichnung.«
Auf der linken Seite meines Helmvisiers entstanden die Holos. Höhe 12.000 Fuß, das reichte für den Test. »Minimierung der Triebwerksdrehzahl. – Jetzt.«
Ich hielt noch immer die Verbindung zur MIRINDA. Sie schien irritiert darüber zu sein, was ich mit ihr machte.
Dann wollte sie in den Sinkflug übergehen. Mit dem Steuerknüppel nahm ich ihre Nase höher, richtete sie etwas auf, was die Höhe konstant hielt, sie aber weiter abbremste. Das Spiel begann von vorne. Die Nase höher nehmen, Höhe halten, langsamer werden. Die Nase höher nehmen…
Die Fahrtmesseranzeige näherte sich langsam der vom Computer berechneten Minimalgeschwindigkeit. Auf einmal rannte eine Ameisenarmee über meinen Körper. Ich wusste, was jetzt kam. Ein kleiner roter Kreis pulsierte hektisch in der Mitte des Visiers.
»Verlust der Steuerbarkeit in 5 Sekunden!«
5… die MIRINDA begann zu vibrieren…
4… ich widerstand der Versuchung zu beschleunigen…
3… die Vibration verwandelte sich in eine leichte Schaukelbewegung…
2… verstärkte sich etwas …
1… und fühlte sich jetzt irre an…
Ich unterbrach meine Verbindung zur MIRINDA.
Abwärts!
Die Ingenieure hatten gute Arbeit geleistet. Die MIRINDA reagierte sollgemäß auf den Strömungsabriss. Jetzt sollte der Bordcomputer zeigen, dass er auch in dieser Situation ordentlich arbeiten konnte.
»Übergabe an KI aktivieren!« Ein grüner Scan glitt über meinen Körper. Ich runzelte die Stirn. Was war da los?
»Negativ - Vitalwerte befinden sich im normalen Bereich.«
»Was?« Die KI sagte mir, dass ich mich aus meiner eigenen Scheiße selbst herausziehen sollte. »Übergabe an KI aktivieren!« Ich blickte auf den Höhenmesser. Es ging rasant abwärts.
»Es besteht keine Notwendigkeit die KI zu aktivieren. Sie sind voll funktionstüchtig!«
»Wirst du wohl aufhören, mit mir zu diskutieren? Wir schmieren ab! Aktivierung der KI – sofort!«
»KI aktiviert - Hände von Stick und Schubhebel.«
Kopfschüttelnd gehorchte ich. Diskussionen mit dem Bordcomputer wollte ich nicht führen. Das musste Gabi dringend regeln.
Sofort stieg die Drehzahl des Triebwerkes an, die Schaukelei hörte auf und alle Zahlen auf dem Multifunktionsdisplay erreichten binnen kürzester Zeit normale Werte.
»Normalfluglage, Höhe 8.000 ft, Geschwindigkeit 350 Knoten. Übergabe erwünscht?«
»Nein, bring uns runter!« Ich erwartete erneut Widerstand, aber diesmal blieb er aus. Nach einem ruhigen Sinkflug, zurück durch die »Suppe«, fiel die MIRINDA in 800 Fuß mit mir aus den Wolken.
Das Instrumenten-Lande-System zeigte die Runway vor uns. Ich kontrollierte die Funktionen, bis das Fahrwerk ausgefahren wurde und die Landekonfiguration hergestellt war, dann übernahm ich die Steuerung.
Voraus im Grau war langsam die Anflugbefeuerung zu erkennen. An der Schwelle signalisierten grüne Lampen Landeerlaubnis. »Skydiver, Final 25.«
Wer abfängt, ist feige, ging mir ein nicht ganz ernstgemeinter Fliegerspruch durch den Kopf, als ich über der Runway war. Trotzdem zwang ich die MIRINDA, durch behutsames Ziehen am Steuerknüppel, in einen perfekten Abfangbogen.
Sobald sie aufsetzte, hielt ich die Richtung und bremste sie ab. Wir rollten zurück zum Hangar. Es nieselte leicht. Ich deaktivierte alle Systeme, stellte das Triebwerk ab und blieb sitzen.
»Aufzeichnung beenden!« Die Holos auf dem Visier erloschen.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Sergeant Jeremia Fitzpatrick saß mit verschränkten Armen auf seinem Schreibtischstuhl und starrte mit verkniffenem Mund auf die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Um ihn herum tobte der normale Wahnsinn – Telefone klingelten, Stimmengewirr, Männer mit billigen Anzügen und geschmacklosen Krawatten liefen hin und her, der Geruch von Kaffee und Schweiß - aber er nahm nichts davon wahr.
»Hey, hörst du nicht?«
»Hm?« Jerry hob den Blick und nahm dann den Kaffeebecher, den ihm sein Kollege Senior Corporal Phillip Bender ungeduldig entgegen streckte. »Danke.«
»Die liegt ja immer noch hier. Gib sie ins Archiv und vergiss die Sache.«
»Ich hasse das!« Jerry schnippte wütend einen Kugelschreiber über den Tisch.
»Ja, ich weiß. Du hasst es.« Stöhnend ließ Phil sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und kratzte sich über die kurzen dunklen Stoppeln seines Hinterkopfes. Ihre Tische standen sich gegenüber in der Mitte des Großraumbüros der Homicide Unit. »Und? Ändert das was?« Phil nippte an seinem Kaffee und deutete mit dem Kopf auf den vollen Ablagekorb. »Reicht dir das nicht, du irischer Sturkopf? Wir sollten noch mal ins Vergnügungsviertel fahren und die Nutten befragen.«
Jerry reagierte nicht darauf, schlug den Aktendeckel auf, nahm das Blatt heraus und hielt es demonstrativ in Phils Blickfeld. »Eine Kopie des Waffenscheins - sonst nichts.«
»Jerry, hör auf dich selbst weiter zu quälen.«
»Nein!« Er ließ die Kopie auf den Tisch fallen, zog die Tastatur zu sich und ließ die Handgelenke knacken. »Lyle Parker.«
Phil pustete geräuschvoll die Luft aus.
»Niemand hat mir verboten, eine Suchmaschine zu benutzen. Nur rein aus Interesse.« Er bestätigte die Suche und kniff überrascht die Augen zusammen. »Boah!«
»Was denn?« Neugierig stand Phil auf, kam um den Tisch und sah ebenfalls auf die angezeigten Ergebnisse. »Der ist Astronaut?«
»War Astronaut«, verbesserte Jerry. »Status – ausgeschieden.«
»Ausgeschieden? Wie alt ist der denn? Der kam mir sehr jung vor.«
»Warte mal. Da steht das Geburtsdatum. Er ist achtundzwanzig. Puh! Kein Wunder. Parker hat einen IQ von 156.«
»Ach, du Scheiße. Ein kleiner Einstein.«
»Der hat die High-School bereits mit 14 Jahren beendet und dann am MIT Ingenieurwesen studiert. Ausbildung bei der US Air Force zum Piloten. Studium in Luftfahrttechnik. Ausbildung zum Testpilot.«
Phil kniff die Augen zusammen und deutete auf den Monitor. »Testpilot 1. Klasse. Was ist das denn?«
»Ist doch egal. Der Wunderknabe hat im Schnelldurchlauf seine Ausbildung hingelegt. Kein Wunder, dass die NASA den haben wollte. Sieh her! Jüngster Commander auf der ISS. Sehr gute Sprachkenntnisse in Russisch, Japanisch und Deutsch.«
»Und wie ist dann so eine Kanone bei CÆRON gelandet?«
»Die Kohle. Die bezahlen Unmengen im Privatsektor. Ich hab vorhin mal CÆRON in die Suchmaschine eingegeben. Flugzeugbau, Medizin, IT, Raumfahrttechnik. Klingelt es da nicht? Die machen Zeug für die NASA. Dann hat die Regierung ihre Finger im Spiel. Ich wette mit dir, dass der deswegen so leicht aus der Sache rausgekommen ist. Und für das Militär arbeiten dich auch. Waffentechnik. Parker testet garantiert Kampfjets.«
»Fitzpatrick, Bender - in zehn Minuten sollen wir alle in den Besprechungsraum kommen.«
»Ok, danke Doyle.« Jerry rieb sich über das Gesicht. »Ich hasse es, wenn manche denken, sie wären schlauer und könnten sich deswegen alles erlauben.«
»Das heißt, du wirst die Sache nicht auf sich beruhen lassen.« Phil verzog den Mund, wollte an seinem Kaffee nippen und starrte dann in die leere Tasse.
Jerry schnalzte mit der Zunge, kniff sein rechtes Auge zu und imitierte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, die er auf Phil richtete. »Bingo!«
CÆRON, Sektion 12, Umkleide
Ich kickte die Fliegerstiefel von meinen Füßen. Heute gab es keine Flüge mehr. Die Gespräche in SK 11 waren unbefriedigend gewesen. Jens Gabriel hatte mir lächelnd auf die Schultern geklopft und erklärt, dass er mir leider noch nicht das Geheimnis der leeren Schächte verraten dürfte. Ich sollte mir keine Gedanken machen. Würde es noch früh genug erfahren. Wie ich das hasste!
Schlimmer noch waren die Laras! Niemand von denen gab zu, an der KI herumgebastelt zu haben. Im Gegenteil. Sie nahmen mich auf den Arm. Sie meinten, die MIRINDA wäre schließlich lernfähig und hätte sich selbst neu programmiert. Ich zog den Fliegeranzug aus und hängte ihn in meinen Spind.
»Guter Flug, Lyle. Hast du jetzt Pause?«
»Ich wollte mir die JE ansehen. Was ist los?«
»Die ST8 zickt rum. Vielleicht hast du Lust, einen Blick drauf zu werfen?«
»Ich hab schon die Ankunft der MiG verpasst und bei dem Mistwetter zickt die STARDUST doch immer.«
»Komm schon, Lyle. Ich brauche deinen Detektorsinn. Die MiG rennt dir nicht weg.«
»Gut, bring mir eine Montur. Ich will kein Öl auf meine neuen Jeans bekommen.« Sheri würde mich killen.
Bill salutierte albern. »Sofort, Sir.«
Während ich auf Bill wartete, sah ich die schwere Transportmaschine auf dem Rollfeld. Scheinbar hatten sie die MiG bereits ausgeladen und wie ich Charly kannte, war sie nicht mehr ansprechbar. Gab es in Russland niemanden, der alte Maschinen reparieren konnte? Oder hatten Sammler von Raritäten alle einen Schuss? Was diese Aktion wohl kostete?
Zehn Minuten später hingen Bill und ich mit unseren Köpfen in der Steuereinheit der STARDUST.
»Hier, schau dir das mal an. Sieht aus wie Materialermüdung.«
»Gib mir mal dein Messer.«
Ich zog mein Schweizer Taschenmesser aus dem Overall und reichte es Bill. Er suchte sich eine Zange heraus.
»Echt jetzt? Wir haben teures Spezialwerkzeug und du nimmst Lyles Taschenmesser?«
Bill grinste und wandte sich um. »Hey, Smithi, bist du schon fertig mit der MiG, oder warum kannst du hier schlaue Sprüche klopfen?«
»Fertig? Hast du dir das Ding mal angesehen? Ich bin dafür, dass man alte Maschinen restauriert, aber diese MiG ist echt die Härte.«
»Wenn einer den Schrotthaufen hinbekommt, dann Charly Smith.«
Charly zog einen imaginären Hut. »Vielen Dank, für dein überschwängliches Vertrauen.«
»Und wenn du es nicht schaffst, bin ich noch da.« Ich zwinkerte Charly zu.
»Pass besser auf, dass dein Ego nicht zu schwer wird, sonst heben die Maschinen wegen Übergewichts nicht mehr ab. Bis später.«
Ich zog eine Grimasse. »Bis dann!« Ich wandte mich wieder unserem Problem zu.
Bill kappte das Kabel und hielt es hoch. »Die Isolierung ist defekt. Die Kabel sind zusammengeschmolzen. Kein Wunder, dass es einen Kurzschluss gab.«
»Komisch – wir sollten das defekte Kabel ins Labor geben. Es muss einen Grund geben, warum das Isoliermaterial ausgefallen ist.« Bill gab mir mein Messer und ich ließ es in der Brusttasche verschwinden. Hinter uns hörte ich Schritte. Ich sah nach unten. Tony winkte.
»Hey Lyle! French will dich sprechen.«
»Ich komme gleich.« Nachdenklich griff ich nach dem Lappen am Gürtel, um mir die Schmiere von den Händen zu wischen. »Was will er denn?«
»Denkst du, French sagt mir alles? Los jetzt! Er wartet.«
Ich seufzte übertrieben. Bill neben mir sah bedauernd auf.
»Termin beim Sektionsleiter. Hast du Ärger?«
»ICH? Nie. Du kennst mich doch.«
»Eben.«
Spielerisch warnend hob ich den Zeigefinger in Bills Richtung.
CÆRON, Sektion 12, Büro Sektionsleiter Clark French
Sollte ich jemals die irrwitzige Idee haben, in einem Büro zu arbeiten, dann nur in diesem. Obwohl ich mich fragte, wie French es schaffte, überhaupt zu arbeiten. Mit dem Blick zur Startbahn wäre Ablenkung für mich an der Tagesordnung. Vielleicht war French so ein bärbeißiger Typ, weil er aus diesem Grund ständig in Zeitnot war. »Sie wollten mich sprechen?«
Er blickte mich über seine Brille hinweg an. »Ja. Setzen Sie sich, Parker.«
Ich zog einen Stuhl verkehrt herum zu mir und nahm Platz.
»Ich habe einen Anruf von der Geschäftsleitung erhalten.« French verzog missgestimmt das Gesicht und rieb sich über seinen weißen Schnurrbart.
»Oh. Um was geht es?« Ärger wegen der Tankstelle?
»Sie werden vorrübergehend von SK 12 abgezogen.«
»Ich wusste es! Ich wurde für die Titan-Mission auserwählt.« In wilder Freude ballte ich die Fäuste und stieß sie in die Luft. »Endlich!«
»Freuen Sie sich nicht zu früh. Soweit ich weiß, hat es weder mit der Raumfahrt, noch mit Fliegen zu tun.«
Ich starrte ihn an. »Das ist ein Scherz.« Enttäuscht ließ ich die Arme sinken. »Um was geht es denn?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Vizedirektor war sehr vage.«
»Der Vizedirektor?«
»Ja, Dr. Heimbs. Er hat mir persönlich mitgeteilt, dass er ein Angebot für Sie hat und ich eine Zeitlang auf Sie verzichten muss.«
Er klang nicht begeistert, und das war ich auch nicht. »Ich bin Testpilot und zwar der Beste. Ich will gar nicht für eine andere Sektion arbeiten.« Kein Angebot konnte so gut sein.
»Sie stellen sich dort vor. Das ist keine Bitte, Parker, sondern eine Anweisung von oben.« Seine Stimme klang schneidend.
»Seit wann interessieren sich die da oben für mich?«
»Um ehrlich zu sein, seit Sie hier sind. Dr. Heimbs war es auch, der die Sache auf dem Präsidium für Sie erledigt hat. Gehen Sie direkt los und melden Sie sich am Empfang.« Er wedelte mit der Hand Richtung Tür.
Der Vize interessierte sich für MICH? Nachdenklich stand ich auf und lief zur Tür.
CÆRON, Hauptgebäude
Der Eingangsbereich des Hauptgebäudes war beeindruckend. Eine moderne Konstruktion aus Stahl und Glas. Überall wuselten Angestellte des Konzerns herum. Die Männer trugen gesetzte Anzüge, die Damen züchtige Kostüme. Es gab auch Leute in Jeans und Hemd, oder Laras in weißen Laborkitteln.
Was wollte der Vizedirektor von mir? Nachdenklich trat ich an den runden Empfangstresen. »Hallo. Mein Name ist…«
»Lyle Parker.« Die Dunkelhaarige mit üppigem Busen zeigte ihre perlweißen Zähne.
»Ähm… ja.« Ganz schön schnell, die Kleine.
»Bitte tauschen Sie Ihren Ausweis aus.« Sie schob mir einen Besucherausweis über den Tresen.
Ich warf einen Blick darauf und war überrascht. Das Bild zeigte mich in dem Monteuroverall, den ich gerade trug. »Wann wurde das Bild aufgenommen?«
»Als Sie das Gebäude betreten haben, hat das System Sie fotografiert. Die Besucherkarte wird direkt hier ausgegeben.«
Ich zog den SK 12 Ausweis ab und befestigte den neuen an der Brusttasche. »Aha. Ich muss zur…« Und wieder unterbrach sie mich diensteifrig.
»Der Aufzug zur Geschäftsleitung ist hier links. Es genügt, wenn Sie sich auf das CÆRON Logo vor dem Aufzug stellen.«
»Danke.«
Da war er - der Aufzug der Geschäftsleitung. In meinem Bauch entstand ein flaues Gefühl. Ich war noch nie hier gewesen. Es gab keine Anzeigen, keine Bedieneinheit. Es war nicht erwünscht, dass Normalsterbliche diesen Aufzug benutzten. Auf dem Boden befand sich ein eingelassenes Dreieck mit dem Logo von CÆRON. Versuchshalber setzte ich einen Fuß darauf und die Tür fuhr lautlos zur Seite. Praktisch. Warum gab es diese Funktion nicht überall?
Ich atmete durch, betrat den Aufzug und musterte ihn von innen. Nur glatte Wände, kein Tastenfeld, nichts. Hier wollte ich nicht steckenbleiben. Vielleicht war er auf Stimme programmiert. »Geschäftsleitung?«
»Freigabe erteilt. Nächster Halt: Geschäftsleitung.«
Ich mochte die angenehm weibliche Stimme.
CÆRON, Sektion 2, Sicherheit
Kaugummi kauend blickte Curtis gelangweilt auf den Bildschirm und grinste dann gehässig. »Hey Mick. Schau mal, was hier zur Geschäftsleitung fährt.«
Mick rieb sich über die Augen und gähnte. »Was’n?«
»Muss einer der Mechaniker sein. Voller Öl. Versaut denen sicher die teuren Teppiche da oben.«
Als der Mann den Aufzug betrat, erschien ein schemenhaftes Abbild von ihm als Hologramm. Das unsichtbare Scanning des Infrarotsensors, wurde sichtbar dargestellt.
»Vielleicht ist die Kaffeemaschine kaputt.« Mick kicherte albern.
»Klar, läuft ja auch mit Öl, Witzbold.«
»Achtung! Waffe geortet!« Eine Anzeige blinkte rot.
»Schau dir den Spinner an. Fährt mit ner Waffe nach oben. Tz! Ruf Rico und Lance!«
CÆRON, Geschäftsleitung
Was für eine Aussicht! Ein riesiges Panoramafenster mit Blick zum Meer empfing mich. Davor eine Sitzgruppe mit weißen Ledersesseln. Ob ich da warten sollte? Es gab jeweils rechts und links zwei Türen mit Milchglas. Wo war das Büro des Vizedirektors?
Die Aufzugtüren öffneten sich und zwei Security-Mitarbeiter in dunkelblauen Overalls traten heraus.
»Sir, überreichen Sie uns unverzüglich Ihre Waffe!«
»Meine was?«
»Ihre Waffe, Sir!«
Meine Beretta lag sicher verstaut im Spind. Von was redeten die zwei? »Was für eine Waffe? Ich trage keine bei mir.«
»In Ihrer rechten oberen Tasche, Sir!«
Das schoss doch den Vogel ab. »Das ist mein Schweizer Taschenmesser und keine Waffe. Ich brauch es für die Feinmechanik und Justierung. Das gebe ich nicht aus der Hand.« Man konnte alles auf die Spitze treiben!
»Sir, verlassen Sie unverzüglich die Räume der Geschäftsleitung!«
Noch ehe ich etwas darauf antworten konnte, glitt eine der rechten Türen zur Seite und ein Mann trat heraus. Durch sein edles Gesicht und den akkuraten Seitenscheitel wirkte er aristokratisch. Sein Alter konnte ich schlecht einschätzen. Ich konnte es mir nicht erklären, aber etwas an ihm faszinierte mich.
»Rico, was ist denn hier los?« Seine Stimme klang sanft und trotzdem selbstsicher.
»Verzeihen Sie die Störung, Dr. Heimbs. Mr. Parker hat mit einer Waffe die Geschäftsleitung betreten und er weigert sich, uns diese auszuhändigen.«
Das war Dr. Heimbs? Er musste Anfang sechzig sein, wirkte aber zehn Jahre jünger. Er blickte aufmunternd zu mir. »Um was für eine Waffe handelt es sich?«
Ich zog mein Taschenmesser heraus und zeigte es ihm.
Sein Gesicht erhellte sich. »Oh, von der Air Force. Mein Ausbilder hat uns ebenfalls gravierte Schweizer Taschenmesser zum Abschluss geschenkt.« Er nickte den beiden Männern zu. »Ich übernehme die Verantwortung.«
Die Security Typen nickten und zogen ab.
»Ich wollte keinen Ärger machen. Der Termin kam… überraschend.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Wir betraten das Büro der Sekretärin von Heimbs. Karen Finch, wie ich dem Namensschild entnehmen konnte. Sie hatte feuerrote, hochtoupierte Haare und warf mir einen interessierten Blick zu.
»Karen, das ist Mr. Parker.«
Wir nickten uns höflich lächelnd zu.
»Karen, können Sie uns Kaffee bringen? Trinken Sie Kaffee?«
»Lieber Tee.«
Karen stand auf und strich ihr Kostüm glatt. »Welche Sorte, Mr. Parker?«
»Darjeeling.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Sehr gerne.«
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Isaac Heimbs
Das Büro von Heimbs war riesig. Es wirkte hell und freundlich. Die Wand, vor der sein weißer Schreibtisch stand, war komplett aus Glas. Durch das Fenster konnte man das Meer und die Grünanlagen von CÆRON sehen.
»Ich mag diesen Ausblick sehr. Gefällt es Ihnen?«
»Ich hätte sicher ein Büro gewählt, das in die andere Richtung geht.«
Heimbs wirkte irritiert, lächelte dann aber. »Mit Blick auf das Fluggelände, verstehe.« Er deutete auf die weiße Ledersitzgruppe in einer Nische, die von hohen Palmen umrahmt war. »Habe ich Sie bei etwas Wichtigem gestört?« Er musterte meinen Overall.
»Nein. Ich bin nicht ständig am Fliegen und unterstütze die Mechaniker bei der Technik. Ein Steckenpferd von mir.« Wir setzten uns.
»Verzeihung. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Dr. Isaac Heimbs. Ich bin der stellvertretende Direktor von CÆRON.«
»Ähm… wer ich bin, wissen Sie bereits.«
»Oh, ja. Ein Mitarbeiter mit viel Potential.«
Karen kam herein und stellte ein Tablett zwischen uns. Sie machte Anstalten, uns die Getränke einzuschenken.
»Ich mache das Karen, danke.«
Sie nickte artig, verließ das Büro und Heimbs goss mir Tee und sich Kaffee ein. Er deutete auf die Zuckerdose.
»Zucker, Milch? Bedienen Sie sich.«
»Nein danke. Warum haben Sie mich rufen lassen, Sir?«
»Ich habe von dem kleinen Zwischenfall bei der Tankstelle gehört.«
»Es war Notwehr.«
»Soweit ich gehört habe, ist dies bei einer der Personen fragwürdig. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen deswegen zu machen. Wir konnten die Dienststelle davon überzeugen, dass keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind.«
Das machte mich misstrauisch.
»Ich würde Sie nur ungern in den Mühlen der Justiz sehen, denn ich brauche Ihre Unterstützung bei einem meiner Projekte.«
Das klang wie eine Drohung. »Ich bin Pilot.« Kein Projektleiter.
»Ein sehr guter Pilot, wie man mir sagte.«
»Ich bin der Beste.«
Dr. Heimbs öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Da wurde die Tür aufgerissen und ein großer hagerer Mann stürmte in das Büro.
»Isaac, das kann nicht warten.«
Der Mann war etwa Ende fünfzig. Trotz seiner weißen Haare wirkte er jugendlich, strahlte aber etwas Unangenehmes aus, das nicht greifbar war. Er musterte mich, für den Bruchteil einer Sekunde, und reichte dann Heimbs ein Tablet. Es klingelte aus der Jackettasche des Unbekannten. Er zog etwas Kleines daraus hervor. Es sah weder wie ein Smartphone, noch wie ein anderes Mobiltelefon aus, aber er sprach hinein.
»Carter.«
DAS war John Carter? Der Direktor und Eigentümer von CÆRON?
»Nein! – Ich wünsche keine weitere Diskussion. Es wird genauso ausgeführt, wie ich es verfügt habe.«
Carters Gesicht wirkte versteinert. Seine Augen funkelten dagegen intelligent und kalt. Seine Stimme war nicht laut, aber schneidend und unerbittlich. Ein leichter Schauer jagte mir über den Rücken.
»Sagen Sie ihm, dass er gerne Bekanntschaft mit unserer Putzkolonne machen kann, wenn es ihm nicht passt.«
Er drohte mit einer Putzkolonne?
»Ich wusste, wir würden uns verstehen.« Er legte grußlos auf und wandte sich an Heimbs. »Und?«
»Ich kann das sofort erledigen, wenn ich hier mit Mr. Parker fertig bin. Er ist für Sektion 23 vorgesehen.«
Jetzt wurde ich offenbar für Carter interessant. Er musterte mich unverhohlen und schien mich abzuschätzen.
»Ein Mechaniker?« Es klang geringschätzig und brachte ihm keine Sympathiepunkte ein.
»Testpilot. Ich wollte dich nachher noch darüber in Kenntnis setzen.«
»Hm.« Seine Augen schienen mich kurz zu sezieren. »Kümmere dich darum!«
»Selbstverständlich, John.«
Carter verließ ohne einen weiteren Gruß das Büro. Puh! Mit dem wollte ich nichts zu tun haben.
»Verzeihen Sie die Unterbrechung.«
»Kein Problem. Sektion 23?« Es gab doch nur 12 Sektionen in CÆRON.
»Um ehrlich zu sein: die neue Aufgabe hat nichts mit Ihren Fähigkeiten als Pilot zu tun. Zumindest nicht primär.«
»Dann bin ich der Falsche.«
»Neben der Tatsache, dass ich die Beziehungen von CÆRON nutze, um Ihnen Unannehmlichkeiten zu ersparen, habe ich noch mehr anzubieten. Das Dreifache von Ihrem jetzigen Gehalt, inklusive eines dreizehnten und vierzehnten Monatsgehalts?«
»Das klingt verlockend, aber ich habe bei CÆRON angefangen, weil hier Jäger und Raumgleiter entwickelt werden. Ich will ab und zu ins All.«
Heimbs faltete die Hände zu einem Dreieck und musterte mich einen Moment lang. Dann lächelte er freundlich. »Mr. Parker, das ist doch kein Problem. Ich habe gehört, dass Sie Interesse an der Titan-Mission gezeigt haben.«
»Das stimmt.«
»Wie wäre es, wenn ich SK 23 anweise, die Titan-Mission umfangreich zu unterstützen. Das würde bedeuten, dass der tatsächliche Flug schneller realisiert wird. Und Sie sind dann unser Pilot.«
Das war echt fies. »Wie lange soll ich Ihnen denn helfen?«
Er lächelte fein. »Bis wir zum Titan aufbrechen.«
»Das kann sich über Jahre hinziehen.«
»Quid pro quo, Mr. Parker. Alles hat seinen Preis.«
Ich seufzte. Das war zu verlockend. Titan! »Was soll ich tun?«
»Zunächst unterschreiben Sie bitte diese Verschwiegenheitserklärung.« Er schob mir ein mehrseitiges Dokument über den Tisch. »Ihre neue Sicherheitsstufe ist 10.«
»10?« Ich beeilte mich mit dem Durchlesen. Die übliche Geheimnistuerei. Ich unterschrieb. Heimbs reichte mir einen neuen Ausweis. Es war keine Sektion darauf vermerkt. Ich erhielt eine neue Personalnummer. »Sie wussten, dass ich die Stelle übernehme?«
Er schmunzelte, ohne etwas darauf zu erwidern. »Nehmen Sie den Aufzug 1 der Geschäftsleitung und fahren Sie in Sektion 23. Scott Hill wird Sie empfangen und Ihnen alles weitere erklären.«
CÆRON, Sektion 23
Es ging abwärts. In Sektion 23 fühlte ich mich sofort unbehaglich. Hier erinnerte nichts an den hellen Eingangsbereich. Wände aus grauem Beton. Keine Bilder, keine Pflanzen. Keine Fenster, künstliches Licht. Ein Loch in der Erde.
Vor mir lag ein Flur mit je vier Türen auf beiden Seiten. Rechts zeigten grüne Pfeile auf den Notausgang. Alles wirkte kühl. War ich hier richtig?
Da glitt die zweite Tür von links auf und ein Mann, etwa Anfang dreißig, kam aus dem Zimmer. Was mir sofort an ihm auffiel, war sein fixierender Blick, der mich umfassend musterte. Seine Mundwinkel zogen sich beinahe unmerklich nach unten.
»Ah, da sind Sie ja. Lyle Parker, nehme ich an.«
Wenn das nicht abwertend klang. »Scott Hill?«
»Korrekt.«
Scott musterte mich mit einem missbilligenden Ausdruck im Gesicht. Angewidert starrte er meinen Overall an.
»Mechaniker? Ich dachte, Sie sind Pilot.«
»Unter anderem.«
Er sah mir in die Augen und runzelte die Stirn. »Gehen wir in mein Büro.«
Scotts Büro setzte den Stil kalt-kälter-SK23 nahtlos fort. Das Büro war funktionell eingerichtet. Außer einem Schreibtisch mit Telefon und dem Drehstuhl dahinter, gab es nichts.
»Wir sind hier nicht auf Besuch eingestellt. Es stört Sie doch nicht, wenn wir stehenbleiben? Holo-Schirm an. Übertragung A2.«
Über dem Schreibtisch wurde ein Videobild projiziert. Man sah einen Mann, der in der Mitte eines kleinen Raumes an einem Tisch saß. Sein Kopf lag abgestützt in seinen Händen, und er starrte vor sich hin. Er schien in meinem Alter zu sein.
»Das ist A2.«
»A2?«
»Sein Projektname. Bei direkter Ansprache nennen wir ihn Jarod. Sein Zimmer ist am Ende des Flurs.«
»Sein… Zimmer?« Sein Projektname? Was war hier los?
»Ja. Er lebt hier und arbeitet für CÆRON. Ihre Aufgabe wird sein, ihn… zu begleiten und seine Arbeitseinsätze zu unterstützen.«
»Ist das ein Entwicklungsgenie?« Jarod wirkte deprimiert. Kein Wunder.
»Indirekt. Er hat besondere Fähigkeiten, die für CÆRON unentbehrlich und wertvoll sind.«
F-ä-h-i-g-k-e-i-t-e-n? »Aha. Welche Fähigkeiten und…. Moment mal… Ist das mein neuer Partner, oder bin ich sein Babysitter?«
»So würde ich das nicht ausdrücken.«
Ich verzog den Mund. »Ich bin der Babysitter.«
»Holo-Schirm aus.« Augenblicklich verschwand die Übertragung. »Ich betreue A2 am Wochenende bei seiner Arbeit und koordiniere seine Projekte.«
»Am Wochenende arbeitet er auch?«
»Er kennt keine Wochenenden.«
Hinter CÆRON steckte offensichtlich mehr, als ich bisher dachte.
»Lyle, ich werde Ihnen jetzt erzählen, wieso A2 so wertvoll für uns ist.«
»Ist er ein Alien?«
Scott verzog den Mund zu einem herablassenden Lächeln. »Zumindest hat er eine Fähigkeit, die kein anderer Mensch auf der Erde besitzt.«
Mich überlief es heiß, aber ich blieb äußerlich ruhig. »Na, auf die bin ich gespannt.« Scott genoss diesen Auftritt sichtlich und das machte ihn nur noch unsympathischer, wenn das überhaupt möglich war.
»Wir nennen es Spiegeln. Er hat die Fähigkeit, in einen Menschen hineinzusehen und einen Aspekt seines Lebens in sich aufzunehmen.«
Scott fixierte mich überdeutlich und lauerte auf meine Reaktion. Ich tat so, als würde mich diese Information nicht sonderlich beeindrucken. »Was meinen Sie mit Aspekt?«
»Lassen Sie es mich in einem Beispiel ausdrücken. Wir haben einen Mann, der Arzt ist. A2 spiegelt den Aspekt Arzt in ihm und speichert in sich alles, was der Mann über diesen Aspekt weiß und erlebt hat.«
»Wozu kann man das nutzen?«
»Wenn der Arzt zum Beispiel ein Gehirnchirurg gewesen ist, könnte A2 eine Operation am Gehirn durchführen, ohne selbst jemals diesen Beruf studiert zu haben. Zumindest theoretisch. Einige Übungseinheiten sind vorab notwendig.«
»Das ist hammerhart. Ich dachte, CÆRON ist ein Entwicklungskomplex.«
»Nehmen wir an, wir haben ein Problem in der Biochemie zu lösen. Dann lassen wir A2 alle erfolgreichen und bekannten Biochemiker spiegeln, damit er einen großen Wissensschatz über die Thematik sammelt. So kann er das Problem für uns, oder einen Auftraggeber, schnell lösen.«
»Nennt man das nicht auch Industriespionage?« Kein Wunder, dass CÆRON mein Gehalt so großzügig erhöhen konnte.
»Wir nennen es Ansammlung von Informationen zur Entwicklung neuer Produkte.«
Nette Umschreibung.
»Ein anderer Aspekt wäre zum Beispiel Informationen über ein Ereignis aus dem Leben eines Menschen zu erkunden. Die Mutation von A2 deckt einige Bereiche ab.«
Da hatten sie einen echten Goldesel. »Und wie passe ich jetzt in diese Informationseinsammlung?«
»Sie werden A2 die Woche über begleiten und überwachen.«
Ich vermied es, eine Reaktion auf diese Ungeheuerlichkeiten zu zeigen. Mein neuer Job war Gefängnisaufseher.
»Er darf nur in meinem Beisein spiegeln. Die Spiegelungen sind zurzeit samstags und sonntags. Montags bis freitags arbeitet er an verschiedenen Projekten, bei denen er sein gespiegeltes Wissen einsetzt. Sie werden ihn daran hindern, dass er spiegelt und motivieren ihn zur Arbeit. A2 hat einen implantierten Neurotransmitter, mit dem Sie ihn im Zaum halten können.«
»Was ist ein Neurotransmitter?«
»Ein Chip, der unter die Haut implantiert wird. Bei Aktivierung sendet er Stromimpulse aus, die in alle Zellen des Körpers verteilt werden. Das sogenannte TAC-System.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Das klang nach Folter!
»Ich ziehe es vor, bei der Arbeit stets den nötigen Ernst walten zu lassen.«
Hochgestochener Mist! So eine verdammte Scheiße! Warum war ich hier? Wo war der alte Betreuer? »Was ist mit meinem Vorgänger?«
»Es gibt strikte Regeln, die eingehalten werden müssen. Nicht alle kommen damit zurecht.«
»Alle? Wie viele gab es denn schon vor mir?«
»Ein paar.« Sein Lächeln wirkte seltsam.
»Wieso wurde ich dafür ausgesucht?« Ein Agent wäre passender gewesen.
Scott verzog für einen Moment das Gesicht. Er dachte offensichtlich ähnlich darüber. »Dr. Heimbs hat Sie ausgesucht. Er hält Sie für den richtigen Kandidaten und wir sollten seine Entscheidung nicht anzweifeln.«
Was Scott sichtlich schwerfiel. »An welchen Regeln sind denn meine Vorgänger gescheitert?« Er sah mich einen Moment lang schweigend an.
»Sie haben A2 nicht wie ein Projekt behandelt.«
Du gottverdammter Arsch! »Was ist daran so schlimm?«
»Wir sind weder die Kollegen von A2, noch seine Freunde. Wir sind die Werkzeuge, die die Maschine am Laufen halten. Wir sind die Zügel, die unserem Pferd die Richtung geben, verstehen Sie?«
Aber ja. Du bist verrückt, Scott. »Verstehe.«
»Sie werden A2 morgen kennen lernen. Zuerst müssen Sie noch ein paar Punkte erledigen. Hier.« Er reichte mir ein Smartphone. »Das ist Ihr Databook.«
Das Ding war so groß wie ein normales Smartphone, nur ohne Display. Das CÆRON Logo war auf der silbernen Oberfläche eingeprägt. Scott zog aus seiner Jackettasche ebenfalls so ein Ding, lächelte und hielt seine Hand auf das Logo. Augenblicklich klappte es nach vier Seiten aus und ähnelte eher einem schmalen, eleganten Tablet.
»Sie können es überall dabei haben. Es ist nur durch Ihren Handabdruck zu öffnen. Die Techniker nennen es Data. Im Grunde ein Notebook. Sie können darauf die Termine des aktuellen Tages abrufen und die Projektdaten lesen. Außerdem werden Sie damit die Vitalwerte von A2 überwachen« Scott tippte auf seinem Data herum und zeigte mir eine Anzeige mit Balkendiagrammen. »Wie Sie sehen sind die Anzeigen Flüssigkeitshaushalt, Blutzucker, Puls und Blutdruck grün und damit in der Norm.«
»Wo kommen die Werte her?«
»Er trägt einen Medizinsensor im Nacken.«
»Okay.« Davon hörte ich zum ersten Mal.
»In seinem Zimmer befindet sich eine Technikeinheit – MOTRON. Neben anderen Funktionen, kann A2 darüber einen Notruf an alle SK 23 Mitarbeiter abgeben. Dann werden Sie ebenfalls auf Ihrem Data benachrichtigt.«
Ich bemühte mich interessiert zu wirken und nickte.
»Selbstverständlich funktioniert es auch per Sprachsteuerung. Anzeige Anweisung A2.« Er drehte das Display des Datas in meine Richtung. »Prägen Sie sich die Richtlinien zu A2 gut ein.«
Diese Bürokratie nervte mich.
»Hier ist Ihr Laufzettel.« Er wischte auf meinem Touchscreen herum und eine elektronische Abhakliste erschien. »Zunächst lassen Sie sich bei Dr. Huesch in der medizinischen Abteilung Blut abnehmen.«
»Die haben mein Blut bereits bei meiner Einstellung bekommen.«
»Es ist notwendig, damit Sie für SK 23 versichert werden.«
Scott war offensichtlich der geborene Schreibtischhengst. »Und danach?«
»Dann gehen Sie in Sektion 6 – Zimmer 18. Die beiden Mitarbeiter betreuen die Technik von SK 23. Sonderstufe 9. Man wird Ihre Stimme aufnehmen und ins TAC-System einspeisen, damit Sie den Neurotransmitter auslösen können. Außerdem erhalten Sie die Zugangsberechtigungen für die notwendigen Abteilungen. Handabdruck, Retinascan, Gesichtserkennung – das Übliche. Anschließend melden Sie sich hier und ich zeige Ihnen, wie sich A2 bei den Spiegelungen verändert.«
Nicht erst jetzt kam ich mir wie in einem schlechten Science-Fiction-Film vor.
CÆRON, Sektion 6 – Sicherheit Zimmer Nr. 18
Die letzte Station, bevor ich zu Scott musste, war die Aufzeichnung meiner Stimme. Ich hatte zwar längst entschieden, dass ich das TAC-System niemals nutzen würde, trotzdem hielt ich mich an den Laufzettel und stieß die Tür zu einem der Technik-Tempel auf. »Wow! Das nenn ich kalt.«
Vor einer riesigen Computerwand saß ein blasser Mann im dicken Pullover, auf dessen Namensschild Marvin Beans stand. Er drehte sich mit seinem Stuhl in meine Richtung.
»Hi. Das muss sein, damit die Technik nicht überhitzt. Was kann ich für Sie tun?«
Er musterte meinen Overall, wie es bereits in allen anderen Abteilungen davor auch der Fall gewesen war. »Ich soll mich hier für eine Sprachaufzeichnung melden.«
»Haben Sie einen Laufzettel?«
Ich reichte Beans das Data und rieb mir über den Arm. Wofür die wohl das ganze Blut brauchten? Es waren etliche Ampullen gewesen, die ich in der medizinischen Abteilung abgegeben hatte.
»Sprachaufnahme für SK 23?«
Ein untersetzter Techniker mit zwei Tassen Kaffee kam durch die Tür. Er starrte irritiert meinen Overall an.
»SK 23.« Beans deutete mit dem Kopf zu mir. Der Dicke schien überrascht. Er trug keinen Kittel und damit auch kein Namensschild.
»Schon wieder eine Entsorgung?« Techniker Namenlos stellte die Tassen ab.
Beans warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte sich dann breit lächelnd an mich. »Mr. Parker, gehen Sie bitte ins Nebenzimmer zu dem Mikrofon.«
Entsorgung? Die Stimme von Beans war eine Spur zu laut gewesen. Es schien so, als wäre dem namenlosen Techniker etwas herausgerutscht, was Beans übergehen wollte.
»Auf mein Zeichen hin sagen Sie erst TAC und dann DROP, alles klar?«
»Kommt hier öfter jemand her, der TAC und DROP aufnimmt?«
»Worauf du einen lassen kannst, Alter.« Der Dicke nippte an seinem Getränk und zwinkerte mir vertraulich zu.
»Mike! Halt die Klappe! Denken Sie sich nichts dabei. Er ist ein Fachidiot, was Technik anbelangt, mehr ist nicht in seiner Birne.«
Beans schüttelte mit dem Kopf. Als ich in das Tonstudio ging, konnte ich ihn leise zu Mike sagen hören: »Ich kann nicht verstehen, wie du hier gelandet bist.«
Ich war kein Idiot und verstand sehr gut, was los war.
Der Tod bei Vertragsbruch war kein Punkt der Vereinbarung gewesen.
Sei deinem Feind immer einen Schritt voraus. Das würde ich.
CÆRON, Sektion 23, Scotts Büro
Scott hantierte an seinem Data herum, das auf seinem Schreibtisch lag. Ob Jarod noch immer arbeitete? Hatte er überhaupt Freizeit? War er bereits sein ganzes Leben hier? War er sich seines bescheidenen Lebens bewusst?
»Ich zeige Ihnen jetzt A2 beim Spiegeln. Start Holo Spiegeln 3.«
Neben Scotts Schreibtisch erschien eine Holografie von Jarod. Er saß auf einem Stuhl und blickte etwas an, was wir nicht sehen konnten.
»Achten Sie ausschließlich auf seine Augen. Sehen Sie den starren Blick?
Gleich ist es soweit. Jetzt!«
Ich stutzte. Jarods Iris wechselte die Farbe. Von Grün zu Blau. Dann verfärbte sich auch die weiße Augenhaut. Gefolgt von der Pupille. Schließlich war sein komplettes Auge vollständig blau gefärbt. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken entlang. Ich starrte auf die abnormale Farbe des Auges.
»Überspringen von Sequenz 1. Jetzt das Ende der Spiegelung.«
Die Aufnahme stoppte kurz und lief dann weiter. Für einen Moment noch war das komplett blaue Auge zu sehen, dann verfärbte es sich erneut. Pupille schwarz, Augenhaut weiß, Iris grün. Die Aufnahme endete. Jarods Abbild saß nun erstarrt als Standbild im Raum und blickte ernst in eine imaginäre Kamera. Stirnrunzelnd wandte ich mich ab. »Seit wann macht er das?«
»Es ist erschreckend, wenn man es zum ersten Mal sieht. Sie haben es entdeckt, als er zwei Jahre alt war. «
Zwei! »Und er ist der Einzige?«
»Zumindest ist uns kein anderer bekannt. Man hat versucht es zu reproduzieren, alle Versuche sind gescheitert.«
»Wie funktioniert es?«
»Durch Gehirnstrommessungen wurde festgestellt, dass eine bestimmte Stelle im Gehirn aktiviert wird, wenn er spiegelt. Wie es genau funktioniert…« Scott zuckte mit den Schultern. »Es gibt keine Erklärung dafür.«
Ich schluckte und blickte in Jarods Augen.
»Das haben Sie nicht erwartet, oder?«
»Nein.« Nicht wirklich. Nur schwer konnte ich den Blick von der Holografie lösen. Scott interpretierte mein Handeln, Gott sei Dank, falsch.
»Sie gewöhnen sich daran. Alle Betreuer haben das geschafft.« Es klang gönnerhaft. »Das war es dann erstmal von mir. Haben Sie noch Fragen?«
»Nein. Im Augenblick nicht.« Keine, die für deine Ohren bestimmt sind, Scott.
»Wir sehen uns morgen um 8 Uhr. Prägen Sie sich die Anweisung ein.«
Das war der Anfang vom Ende!
29 Jahre später
Mittwoch, 13. Mai
Tankstelle George’s Oil & More, Delaware, New Cove
»Geben Sie mir noch zwei rote Packungen Marlboro.«
Genervt ließ ich die Luft entweichen und sah auf meinen Chronometer. Tony würde toben. Ich war jetzt bereits zu spät für das Briefing.
Ein pickeliger Teenager bediente die Kasse im Zehn-Finger-Suchsystem. Vor mir stand ein Typ mit unzähligen Süßigkeiten. Das Kassieren würde ewig dauern. Zumindest bezahlte Marlboro Man endlich.
»Hände hoch! Das ist ein Überfall!«
Eine schreckliche Stimme und ein geistloser Satz. Gewiss wollte der Kerl nicht, dass wir Staubpartikel aus der Luft fischten. Ich gehorchte genervt und wandte mich halb um. Überrascht blickte ich in das Latex-Gesicht von Ronald Reagan. Er zielte mit einer Schnellfeuerwaffe auf den Kassierer. Sein Kumpel, mit einer Barack-Obama-Maske, bedrohte die beiden Männer vor mir und mich. Donald Trump stand an der Tür und beobachtete die Tankstelle. Sie sahen albern mit ihren Masken aus. Reagan kam auf uns zu und fuchtelte mit der Maschinenpistole herum.
»Platz da!«
Die beiden Männer sprangen zur Seite. Ich machte ebenfalls einen Schritt zurück.
»Bitte tun Sie mir n…nichts.«
Der Teenager schien nicht viel Erfahrung mit Überfällen zu haben.
»Halt die Klappe!« Reagan knallte eine Reisetasche auf den Tresen. »Pack das Geld da rein!«
Der Junge öffnete zitternd die Kasse und pflückte ein paar Dollarscheine heraus.
»Willst du mich verarschen? Wo ist der Rest?«
»Es tut mir leid. Das Geld wurde v… vor fünfzehn Minuten abgeholt. «
Reagan rutschte über den Tresen und starrte in die Kasse.
»Scheiße!«
»Ich hab’s dir gesagt.« Trump trat gegen ein Regal. »Die Tanke ist Scheiße!«
»Halts Maul, Donald! Verdammte Scheiße! Barack, nimm denen da ihr Zeug ab.« Er stieß den Teenie mit der Waffe an. »Wo ist der Tresor?«
»B… bitte, Sir.« Der Junge schluchzte. »Wir… wir haben keinen.«
Wütend schlug Reagan dem Jungen mit dem Handrücken ins Gesicht. Er stürzte zu Boden und schrie auf. Obama kam auf uns zu. Ich wich nochmals zurück und prallte gegen ein Regal, das bedenklich wankte. Was für ein Idiot.
»Brieftasche und Smartphone!«
Er bohrte mir die Mündung des Gewehrs in den Bauch. Meine Nackenhaare sträubten sich. Sofort riss meine Rechte die Beretta aus dem hinteren Hosenbund. Mit der Linken stieß ich den Lauf seiner Waffe nach unten und trat ihm gegen das rechte Knie. Aufschreiend sackte Obama zu Boden. Reagan starrte mich an. Er machte Anstalten das MG hochzuziehen, doch meine Patrone war schneller. Er sackte hinter dem Tresen zusammen. Trump schrie voller Wut und stürmte auf mich zu. Meine zweite Patrone schlug in seine Stirn ein. Sein Schrei brach ab. Obama versuchte seine Waffe auf mich zu richten. Ich trat ihm auf das Handgelenk. Unter dem Absatz meines Cowboystiefels brachen die Knochen. Er schrie grell. Ich nahm das MG an mich.
»Rufen Sie die Polizei!« Marlboro Man kauerte noch immer auf dem Boden und starrte mich mit offenem Mund an. »Na los! Ich habe nicht ewig Zeit. Ich muss noch einen Flug bekommen.« Ich steckte die Beretta weg und angelte nach meinem Mobiltelefon. In Notfällen sollte ich mich bei French melden. Heute schien der richtige Moment dafür zu sein.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
»Hey Phil, ist er das?«
»Ja.«
»Wirkt unscheinbar.«
»Unsere Mädels fanden ihn attraktiv.«
»Und? Was meinst du? FBI? CIA? Homeland?«
»Denke eher, er ist ein Terrorist. Die Typen vom FBI laufen doch so nicht rum und haben auch keine Beretta.«
Jerry warf einen Blick auf die Zeugenaussagen. »Einer der Tankstellenkunden hat gesagt, dass zwei Räuber innerhalb von Sekunden tot waren und der dritte wimmernd zusammengebrochen ist.«
»Rätsel gelöst. Er ist James Bond.« Phil lachte auf.
Jerry musterte den blonden Mann intensiv durch die Scheibe. »Womöglich arbeitet er tatsächlich für den MI6.«
»Ne, Bond benutzt eine Walther PPK. Der Typ hat noch nichts gesagt.«
»Nicht mal seinen Namen?«
»Kein einziges Wort.«
»Da kommt der Captain. Der wird ihn schon ausquetschen. Hi Cap, wir sind auf das Verhör gespannt.«
»Fitzpatrick, lassen Sie Parker laufen.«
»Parker?«
Der Captain nickte zur Erklärung mit dem Kopf in Richtung Verhörzimmer.
»Das meinen Sie nicht ernst.«
»Doch. Freilassen! Kommt von ganz oben.«
»Der hat zwei Typen per Kopfschuss getötet, dem dritten Knie und Hand zertrümmert und wir dürfen nicht mal mit ihm reden?«
»Los! Lasst ihn laufen!« Der Captain hielt ihnen eine Beretta M9 und eine Brieftasche hin. »Gebt ihm sein Zeug zurück.«
Kurz darauf hingen beide am Fenster und sahen zu der schwarzen Limousine, in die der ominöse Parker einstieg.
»Phil, notier das Nummernschild!«
»Wieso?«
»Ich will mehr über den wissen.«
»Hm. Da steht CÆRON auf dem Wagen.«
»Das ist doch dieser riesige Firmenkomplex am Seaside Bay.«
Beide sahen sich nachdenklich an.
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Heimbs, Delaware, New Cove
»Das war nicht autorisiert, Scott!« Dr. Heimbs war aufgebracht und fixierte seinen Mitarbeiter mit einem unzufriedenen Ausdruck im Gesicht. »Sie haben Edward Defoe während der aktiven Arbeitszeit abführen lassen. Das war unnötig und unüberlegt. Wie kommen Sie dazu A2 mitzuteilen, wie wir mit Defoe weiter verfahren? A2 soll solche Informationen nicht erhalten. Niemals! Dafür gibt es eine Anweisung!«
»Ich dachte…«
»Schauen Sie ihn sich an.« Dr. Heimbs deutete zur Übertragung auf den Holo-Schirm. »Wir verlieren einen ganzen Arbeitstag. Wie soll ich das erklären? Direktor Carter akzeptiert keine unautorisierten Handlungen.«
»Die Beziehung zwischen Defoe und A2 war bereits zu eng. Es war nur eine Frage der Zeit, bis…«
»Ich bin hier der Sektionsleiter und Sie nur der Befehlsausführende. Ich erwarte, dass Sie sich an die Anweisungen halten. Die Lösung für das Betreuerproblem liegt bereits vor. Ich wollte Defoe in den nächsten Tagen regulär ersetzen lassen. Was Sie getan haben war unnötig.«
»Wieso wurde ich nicht informiert?«
»Ich hätte Ihnen den Betreuerwechsel zeitgerecht mitgeteilt. Jetzt muss ich wegen Ihrer vorschnellen Handlung die Sache beschleunigen.«
Scott schnaufte lautlos auf. »Wann kann ich mit dem neuen Betreuer rechnen, Sir?«
»Er stellt sich im Laufe des Tages bei Ihnen vor. Karen wird Sie informieren. Scott, kann ich mich zukünftig darauf verlassen, dass Sie sich exakt an die Anweisungen halten?«
»Ja, Sir. Darf ich fragen, wer der neue Betreuer wird?«
»Lyle Parker. Im Moment ist er Testpilot in SK 12.«
»Ein Pilot?« Scott starrte Dr. Heimbs fassungslos an. »Er ist ein Externer.«
»Nein, das ist er nicht. Er hat seit vier Jahren Sicherheitsstufe 8. Schließlich arbeitet er an dem neuen NASA–Shuttle mit.«
»Sie vergleichen unsere Sektion mit einem Shuttle?«
»Parker ist der Richtige für uns. Es wird keine Probleme mehr geben.«
»Aber… er ist nur ein Pilot.«
»Zweifeln Sie meine Entscheidungen an?«
»Nein, Sir.«
»Gehen Sie jetzt zu A2 und sorgen Sie dafür, dass sich sein mentaler Zustand normalisiert und er seine Arbeit fortsetzt.«
CÆRON, Sektion 12, Testfluggelände
Der Start der STARDUST war wegen des Wetters verlegt worden. Dafür zog man den Testflug der MIRINDA vor.
Wie war es French möglich gewesen, mich ohne Verhör da raus zu holen? Ich schnürte die Stiefel und versuchte mich auf den Flug zu konzentrieren, ohne daran zu denken, wieso ich hier und nicht im Präsidium war.
Ich warf einen Blick nach draußen. Es regnete sich ein. Mit dem Helm unter dem Arm ging ich ins Interna, um mir nochmal das Briefing anzusehen.
Tony saß vor den Monitoren, rollte mit dem Stuhl zurück und stand auf. Ich deutete mit dem Daumen zum Hangar-Ausgang. »Da draußen wird es immer schlimmer. Ist es dein Ernst, dass wir jetzt noch starten sollen?«
Tony, der tatsächlich ein wenig wie Iron Man Tony Stark aussah, starrte von seinem Tablet auf. »Tja, was soll ich sagen? – Ja.«
Ich verzog das Gesicht.
»Ich mach’s.« Ninja, der an der Steuereinheit lehnte, grinste mich frech an.
»Schnauze! Stell dich hinten an.«
Reika und ich frotzelten bei jeder Gelegenheit miteinander. Der schmächtige Japaner war nach mir der beste Testpilot in CÆRON. Er grinste noch breiter.
»Das bisschen Regen schreckt nur Weicheier ab. Mein Flug eben mit dem IIIC ist perfekt gewesen.«
Ich drohte ihm spielerisch mit der Faust.
»Konzentrier dich, Lyle! Dass die MA-II schnell ist, hast du letztes Mal bewiesen. Ich möchte, dass du heute ihr Verhalten bei Minimalgeschwindigkeit checkst. Und wenn wir schon mal so ein Wetter haben, will ich wissen, was wir noch an den Start- und Landekonfigurationen ändern müssen, um sie zu optimieren. Ich soll dir von Gabriel sagen, dass du ein Auge auf die KI werfen sollst. Ein Techniker aus SK 9 hat gestern Abend noch an ihr herumgebastelt, obwohl Gabi es nicht wollte.«
Ich nickte. Das war typisch. Hierarchiegerangel zwischen den Konstrukteuren und den KI-Technikern. Die Leidtragenden waren immer wir Testpiloten.
Ninja begleitete mich ein Stück auf dem Weg zum Hangar. »Was ist los?«
»Nichts. Alles in Ordnung.«
»Typisch Astronaut. Die geben doch nie etwas zu. Wir sehen uns später. Die bringen eben die JE rein. Das will ich mir nicht entgehen lassen. Smithi kann es dir später erzählen.«
»Okay, bis dann.« J.R. kam mir entgegen. David Ewing, genannt J.R., trug eins seiner Muskelshirts, die Charly so ätzend fand. Frauen-Anmach-Shirts nannte Charly sie. Im Grunde war J.R. ein liebenswerter Teddybär mit großer Klappe. »Hey, J.R. Ich habe dich heute noch nicht gesehen. Wo hast du dich versteckt?«
»Genau vor dir.«
»In deinen Träumen.« Ich lachte. »Gehst du auch zur Ankunft der JE?«
»Worauf du deinen Arsch verwetten kannst. Das soll das Original sein. Ein russischer Sammler will sie von CÆRON restaurieren lassen.«
»Da verpasse ich ja richtig was. Na, dann viel Spaß.«
Die MIRINDA stand noch in der Halle. Sie gefiel mir. Ich ging langsam um den aerodynamischen Rumpf herum, die Handfläche auf ihrer Haut. Ein neues Metall aus Sektion 11. Noch war ihre Schwingung gleichmäßig, schwach und angenehm, wie kleine Wellen, die am Sand ausliefen. Nichts störte die Gleichmäßigkeit. Das war sehr beruhigend. Es würde keine Schwierigkeiten geben.
Bill, unser Chefmechaniker, grinste breit. »Und? Bist du zufrieden?«
»Ja. Ihr habt gute Arbeit geleistet.«
Bill lachte und deutete mit seinen breiten Händen auf die MIRINDA. »Dein Mädchen ist bereit. Hopp, rein mit dir, damit wir dich anschnallen können.«
Wir rollten aus dem Hangar. Es schüttete wie aus Eimern. Der Himmel war dunkel und der Windsack flatterte voll aufgebläht im Wind. »Dreckswetter!«
Es wurde Zeit, in die Luft zu kommen. Die Sicht hier unten war lausig. Die Wolken schienen fast den Boden zu berühren und der Regen war so dicht, dass er eine normale freie Sicht unmöglich machte. Ich schaltete den Nachbrenner ein. Das Ende der Startbahn war kaum noch auszumachen. Ich spürte den charakteristischen Ruck im Rücken. Die MIRINDA nickte leicht. Mein kurzer Kontrollblick auf die Geräte signalisierte - alles im grünen Bereich.
Ich löste die Bremsen. Wenige Sekunden später hob ich ab und jagte mit gut 380 Knoten in die Suppe hinein. Musste ich auch nicht jeden Tag haben. Der Meteorologe hatte eine geschlossene Wolkenobergrenze von 6.000 Fuß vorhergesagt. Das musste gleich… und richtig, das Grau wurde immer mehr zum Blau. Und dann war ich draußen – strahlendblauer Himmel. Von Ninja konnte ich noch einige Kondensstreifen sehen, die sich langsam zerfaserten. Unter mir die schneeweißen Wolken mit der einheitlichen, leicht zerklüfteten Oberfläche.
Ich brachte die MA-II näher an die Wolken heran, weil ich dann im Gefühl der Geschwindigkeit baden konnte. Mein Schatten begleitete mich und ich grinste kurz, weil es mich an Lucky Luke erinnerte. »Der Mann, der schneller flog als sein Schatten.«
»Hier Tower, Skydiver, wir haben dich nicht verstanden.«
»Alles klar!« Ich sollte öfter die Klappe halten.
Für fünf Minuten öffnete ich mich der MA-II. Verdrängung von Zeit und Raum. Eintauchen in die Geschwindigkeit. Nichts um dich herum, nur Freiheit.
»Skydiver! Hörst du mich? Du sollst arbeiten, und nicht nur die Luft bügeln!«
»Sklaventreiber! Ich aktiviere Aufzeichnung.«
Auf der linken Seite meines Helmvisiers entstanden die Holos. Höhe 12.000 Fuß, das reichte für den Test. »Minimierung der Triebwerksdrehzahl. – Jetzt.«
Ich hielt noch immer die Verbindung zur MIRINDA. Sie schien irritiert darüber zu sein, was ich mit ihr machte.
Dann wollte sie in den Sinkflug übergehen. Mit dem Steuerknüppel nahm ich ihre Nase höher, richtete sie etwas auf, was die Höhe konstant hielt, sie aber weiter abbremste. Das Spiel begann von vorne. Die Nase höher nehmen, Höhe halten, langsamer werden. Die Nase höher nehmen…
Die Fahrtmesseranzeige näherte sich langsam der vom Computer berechneten Minimalgeschwindigkeit. Auf einmal rannte eine Ameisenarmee über meinen Körper. Ich wusste, was jetzt kam. Ein kleiner roter Kreis pulsierte hektisch in der Mitte des Visiers.
»Verlust der Steuerbarkeit in 5 Sekunden!«
5… die MIRINDA begann zu vibrieren…
4… ich widerstand der Versuchung zu beschleunigen…
3… die Vibration verwandelte sich in eine leichte Schaukelbewegung…
2… verstärkte sich etwas …
1… und fühlte sich jetzt irre an…
Ich unterbrach meine Verbindung zur MIRINDA.
Abwärts!
Die Ingenieure hatten gute Arbeit geleistet. Die MIRINDA reagierte sollgemäß auf den Strömungsabriss. Jetzt sollte der Bordcomputer zeigen, dass er auch in dieser Situation ordentlich arbeiten konnte.
»Übergabe an KI aktivieren!« Ein grüner Scan glitt über meinen Körper. Ich runzelte die Stirn. Was war da los?
»Negativ - Vitalwerte befinden sich im normalen Bereich.«
»Was?« Die KI sagte mir, dass ich mich aus meiner eigenen Scheiße selbst herausziehen sollte. »Übergabe an KI aktivieren!« Ich blickte auf den Höhenmesser. Es ging rasant abwärts.
»Es besteht keine Notwendigkeit die KI zu aktivieren. Sie sind voll funktionstüchtig!«
»Wirst du wohl aufhören, mit mir zu diskutieren? Wir schmieren ab! Aktivierung der KI – sofort!«
»KI aktiviert - Hände von Stick und Schubhebel.«
Kopfschüttelnd gehorchte ich. Diskussionen mit dem Bordcomputer wollte ich nicht führen. Das musste Gabi dringend regeln.
Sofort stieg die Drehzahl des Triebwerkes an, die Schaukelei hörte auf und alle Zahlen auf dem Multifunktionsdisplay erreichten binnen kürzester Zeit normale Werte.
»Normalfluglage, Höhe 8.000 ft, Geschwindigkeit 350 Knoten. Übergabe erwünscht?«
»Nein, bring uns runter!« Ich erwartete erneut Widerstand, aber diesmal blieb er aus. Nach einem ruhigen Sinkflug, zurück durch die »Suppe«, fiel die MIRINDA in 800 Fuß mit mir aus den Wolken.
Das Instrumenten-Lande-System zeigte die Runway vor uns. Ich kontrollierte die Funktionen, bis das Fahrwerk ausgefahren wurde und die Landekonfiguration hergestellt war, dann übernahm ich die Steuerung.
Voraus im Grau war langsam die Anflugbefeuerung zu erkennen. An der Schwelle signalisierten grüne Lampen Landeerlaubnis. »Skydiver, Final 25.«
Wer abfängt, ist feige, ging mir ein nicht ganz ernstgemeinter Fliegerspruch durch den Kopf, als ich über der Runway war. Trotzdem zwang ich die MIRINDA, durch behutsames Ziehen am Steuerknüppel, in einen perfekten Abfangbogen.
Sobald sie aufsetzte, hielt ich die Richtung und bremste sie ab. Wir rollten zurück zum Hangar. Es nieselte leicht. Ich deaktivierte alle Systeme, stellte das Triebwerk ab und blieb sitzen.
»Aufzeichnung beenden!« Die Holos auf dem Visier erloschen.
Homicide Unit, Delaware, New Cove
Sergeant Jeremia Fitzpatrick saß mit verschränkten Armen auf seinem Schreibtischstuhl und starrte mit verkniffenem Mund auf die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag. Um ihn herum tobte der normale Wahnsinn – Telefone klingelten, Stimmengewirr, Männer mit billigen Anzügen und geschmacklosen Krawatten liefen hin und her, der Geruch von Kaffee und Schweiß - aber er nahm nichts davon wahr.
»Hey, hörst du nicht?«
»Hm?« Jerry hob den Blick und nahm dann den Kaffeebecher, den ihm sein Kollege Senior Corporal Phillip Bender ungeduldig entgegen streckte. »Danke.«
»Die liegt ja immer noch hier. Gib sie ins Archiv und vergiss die Sache.«
»Ich hasse das!« Jerry schnippte wütend einen Kugelschreiber über den Tisch.
»Ja, ich weiß. Du hasst es.« Stöhnend ließ Phil sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und kratzte sich über die kurzen dunklen Stoppeln seines Hinterkopfes. Ihre Tische standen sich gegenüber in der Mitte des Großraumbüros der Homicide Unit. »Und? Ändert das was?« Phil nippte an seinem Kaffee und deutete mit dem Kopf auf den vollen Ablagekorb. »Reicht dir das nicht, du irischer Sturkopf? Wir sollten noch mal ins Vergnügungsviertel fahren und die Nutten befragen.«
Jerry reagierte nicht darauf, schlug den Aktendeckel auf, nahm das Blatt heraus und hielt es demonstrativ in Phils Blickfeld. »Eine Kopie des Waffenscheins - sonst nichts.«
»Jerry, hör auf dich selbst weiter zu quälen.«
»Nein!« Er ließ die Kopie auf den Tisch fallen, zog die Tastatur zu sich und ließ die Handgelenke knacken. »Lyle Parker.«
Phil pustete geräuschvoll die Luft aus.
»Niemand hat mir verboten, eine Suchmaschine zu benutzen. Nur rein aus Interesse.« Er bestätigte die Suche und kniff überrascht die Augen zusammen. »Boah!«
»Was denn?« Neugierig stand Phil auf, kam um den Tisch und sah ebenfalls auf die angezeigten Ergebnisse. »Der ist Astronaut?«
»War Astronaut«, verbesserte Jerry. »Status – ausgeschieden.«
»Ausgeschieden? Wie alt ist der denn? Der kam mir sehr jung vor.«
»Warte mal. Da steht das Geburtsdatum. Er ist achtundzwanzig. Puh! Kein Wunder. Parker hat einen IQ von 156.«
»Ach, du Scheiße. Ein kleiner Einstein.«
»Der hat die High-School bereits mit 14 Jahren beendet und dann am MIT Ingenieurwesen studiert. Ausbildung bei der US Air Force zum Piloten. Studium in Luftfahrttechnik. Ausbildung zum Testpilot.«
Phil kniff die Augen zusammen und deutete auf den Monitor. »Testpilot 1. Klasse. Was ist das denn?«
»Ist doch egal. Der Wunderknabe hat im Schnelldurchlauf seine Ausbildung hingelegt. Kein Wunder, dass die NASA den haben wollte. Sieh her! Jüngster Commander auf der ISS. Sehr gute Sprachkenntnisse in Russisch, Japanisch und Deutsch.«
»Und wie ist dann so eine Kanone bei CÆRON gelandet?«
»Die Kohle. Die bezahlen Unmengen im Privatsektor. Ich hab vorhin mal CÆRON in die Suchmaschine eingegeben. Flugzeugbau, Medizin, IT, Raumfahrttechnik. Klingelt es da nicht? Die machen Zeug für die NASA. Dann hat die Regierung ihre Finger im Spiel. Ich wette mit dir, dass der deswegen so leicht aus der Sache rausgekommen ist. Und für das Militär arbeiten dich auch. Waffentechnik. Parker testet garantiert Kampfjets.«
»Fitzpatrick, Bender - in zehn Minuten sollen wir alle in den Besprechungsraum kommen.«
»Ok, danke Doyle.« Jerry rieb sich über das Gesicht. »Ich hasse es, wenn manche denken, sie wären schlauer und könnten sich deswegen alles erlauben.«
»Das heißt, du wirst die Sache nicht auf sich beruhen lassen.« Phil verzog den Mund, wollte an seinem Kaffee nippen und starrte dann in die leere Tasse.
Jerry schnalzte mit der Zunge, kniff sein rechtes Auge zu und imitierte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, die er auf Phil richtete. »Bingo!«
CÆRON, Sektion 12, Umkleide
Ich kickte die Fliegerstiefel von meinen Füßen. Heute gab es keine Flüge mehr. Die Gespräche in SK 11 waren unbefriedigend gewesen. Jens Gabriel hatte mir lächelnd auf die Schultern geklopft und erklärt, dass er mir leider noch nicht das Geheimnis der leeren Schächte verraten dürfte. Ich sollte mir keine Gedanken machen. Würde es noch früh genug erfahren. Wie ich das hasste!
Schlimmer noch waren die Laras! Niemand von denen gab zu, an der KI herumgebastelt zu haben. Im Gegenteil. Sie nahmen mich auf den Arm. Sie meinten, die MIRINDA wäre schließlich lernfähig und hätte sich selbst neu programmiert. Ich zog den Fliegeranzug aus und hängte ihn in meinen Spind.
»Guter Flug, Lyle. Hast du jetzt Pause?«
»Ich wollte mir die JE ansehen. Was ist los?«
»Die ST8 zickt rum. Vielleicht hast du Lust, einen Blick drauf zu werfen?«
»Ich hab schon die Ankunft der MiG verpasst und bei dem Mistwetter zickt die STARDUST doch immer.«
»Komm schon, Lyle. Ich brauche deinen Detektorsinn. Die MiG rennt dir nicht weg.«
»Gut, bring mir eine Montur. Ich will kein Öl auf meine neuen Jeans bekommen.« Sheri würde mich killen.
Bill salutierte albern. »Sofort, Sir.«
Während ich auf Bill wartete, sah ich die schwere Transportmaschine auf dem Rollfeld. Scheinbar hatten sie die MiG bereits ausgeladen und wie ich Charly kannte, war sie nicht mehr ansprechbar. Gab es in Russland niemanden, der alte Maschinen reparieren konnte? Oder hatten Sammler von Raritäten alle einen Schuss? Was diese Aktion wohl kostete?
Zehn Minuten später hingen Bill und ich mit unseren Köpfen in der Steuereinheit der STARDUST.
»Hier, schau dir das mal an. Sieht aus wie Materialermüdung.«
»Gib mir mal dein Messer.«
Ich zog mein Schweizer Taschenmesser aus dem Overall und reichte es Bill. Er suchte sich eine Zange heraus.
»Echt jetzt? Wir haben teures Spezialwerkzeug und du nimmst Lyles Taschenmesser?«
Bill grinste und wandte sich um. »Hey, Smithi, bist du schon fertig mit der MiG, oder warum kannst du hier schlaue Sprüche klopfen?«
»Fertig? Hast du dir das Ding mal angesehen? Ich bin dafür, dass man alte Maschinen restauriert, aber diese MiG ist echt die Härte.«
»Wenn einer den Schrotthaufen hinbekommt, dann Charly Smith.«
Charly zog einen imaginären Hut. »Vielen Dank, für dein überschwängliches Vertrauen.«
»Und wenn du es nicht schaffst, bin ich noch da.« Ich zwinkerte Charly zu.
»Pass besser auf, dass dein Ego nicht zu schwer wird, sonst heben die Maschinen wegen Übergewichts nicht mehr ab. Bis später.«
Ich zog eine Grimasse. »Bis dann!« Ich wandte mich wieder unserem Problem zu.
Bill kappte das Kabel und hielt es hoch. »Die Isolierung ist defekt. Die Kabel sind zusammengeschmolzen. Kein Wunder, dass es einen Kurzschluss gab.«
»Komisch – wir sollten das defekte Kabel ins Labor geben. Es muss einen Grund geben, warum das Isoliermaterial ausgefallen ist.« Bill gab mir mein Messer und ich ließ es in der Brusttasche verschwinden. Hinter uns hörte ich Schritte. Ich sah nach unten. Tony winkte.
»Hey Lyle! French will dich sprechen.«
»Ich komme gleich.« Nachdenklich griff ich nach dem Lappen am Gürtel, um mir die Schmiere von den Händen zu wischen. »Was will er denn?«
»Denkst du, French sagt mir alles? Los jetzt! Er wartet.«
Ich seufzte übertrieben. Bill neben mir sah bedauernd auf.
»Termin beim Sektionsleiter. Hast du Ärger?«
»ICH? Nie. Du kennst mich doch.«
»Eben.«
Spielerisch warnend hob ich den Zeigefinger in Bills Richtung.
CÆRON, Sektion 12, Büro Sektionsleiter Clark French
Sollte ich jemals die irrwitzige Idee haben, in einem Büro zu arbeiten, dann nur in diesem. Obwohl ich mich fragte, wie French es schaffte, überhaupt zu arbeiten. Mit dem Blick zur Startbahn wäre Ablenkung für mich an der Tagesordnung. Vielleicht war French so ein bärbeißiger Typ, weil er aus diesem Grund ständig in Zeitnot war. »Sie wollten mich sprechen?«
Er blickte mich über seine Brille hinweg an. »Ja. Setzen Sie sich, Parker.«
Ich zog einen Stuhl verkehrt herum zu mir und nahm Platz.
»Ich habe einen Anruf von der Geschäftsleitung erhalten.« French verzog missgestimmt das Gesicht und rieb sich über seinen weißen Schnurrbart.
»Oh. Um was geht es?« Ärger wegen der Tankstelle?
»Sie werden vorrübergehend von SK 12 abgezogen.«
»Ich wusste es! Ich wurde für die Titan-Mission auserwählt.« In wilder Freude ballte ich die Fäuste und stieß sie in die Luft. »Endlich!«
»Freuen Sie sich nicht zu früh. Soweit ich weiß, hat es weder mit der Raumfahrt, noch mit Fliegen zu tun.«
Ich starrte ihn an. »Das ist ein Scherz.« Enttäuscht ließ ich die Arme sinken. »Um was geht es denn?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Vizedirektor war sehr vage.«
»Der Vizedirektor?«
»Ja, Dr. Heimbs. Er hat mir persönlich mitgeteilt, dass er ein Angebot für Sie hat und ich eine Zeitlang auf Sie verzichten muss.«
Er klang nicht begeistert, und das war ich auch nicht. »Ich bin Testpilot und zwar der Beste. Ich will gar nicht für eine andere Sektion arbeiten.« Kein Angebot konnte so gut sein.
»Sie stellen sich dort vor. Das ist keine Bitte, Parker, sondern eine Anweisung von oben.« Seine Stimme klang schneidend.
»Seit wann interessieren sich die da oben für mich?«
»Um ehrlich zu sein, seit Sie hier sind. Dr. Heimbs war es auch, der die Sache auf dem Präsidium für Sie erledigt hat. Gehen Sie direkt los und melden Sie sich am Empfang.« Er wedelte mit der Hand Richtung Tür.
Der Vize interessierte sich für MICH? Nachdenklich stand ich auf und lief zur Tür.
CÆRON, Hauptgebäude
Der Eingangsbereich des Hauptgebäudes war beeindruckend. Eine moderne Konstruktion aus Stahl und Glas. Überall wuselten Angestellte des Konzerns herum. Die Männer trugen gesetzte Anzüge, die Damen züchtige Kostüme. Es gab auch Leute in Jeans und Hemd, oder Laras in weißen Laborkitteln.
Was wollte der Vizedirektor von mir? Nachdenklich trat ich an den runden Empfangstresen. »Hallo. Mein Name ist…«
»Lyle Parker.« Die Dunkelhaarige mit üppigem Busen zeigte ihre perlweißen Zähne.
»Ähm… ja.« Ganz schön schnell, die Kleine.
»Bitte tauschen Sie Ihren Ausweis aus.« Sie schob mir einen Besucherausweis über den Tresen.
Ich warf einen Blick darauf und war überrascht. Das Bild zeigte mich in dem Monteuroverall, den ich gerade trug. »Wann wurde das Bild aufgenommen?«
»Als Sie das Gebäude betreten haben, hat das System Sie fotografiert. Die Besucherkarte wird direkt hier ausgegeben.«
Ich zog den SK 12 Ausweis ab und befestigte den neuen an der Brusttasche. »Aha. Ich muss zur…« Und wieder unterbrach sie mich diensteifrig.
»Der Aufzug zur Geschäftsleitung ist hier links. Es genügt, wenn Sie sich auf das CÆRON Logo vor dem Aufzug stellen.«
»Danke.«
Da war er - der Aufzug der Geschäftsleitung. In meinem Bauch entstand ein flaues Gefühl. Ich war noch nie hier gewesen. Es gab keine Anzeigen, keine Bedieneinheit. Es war nicht erwünscht, dass Normalsterbliche diesen Aufzug benutzten. Auf dem Boden befand sich ein eingelassenes Dreieck mit dem Logo von CÆRON. Versuchshalber setzte ich einen Fuß darauf und die Tür fuhr lautlos zur Seite. Praktisch. Warum gab es diese Funktion nicht überall?
Ich atmete durch, betrat den Aufzug und musterte ihn von innen. Nur glatte Wände, kein Tastenfeld, nichts. Hier wollte ich nicht steckenbleiben. Vielleicht war er auf Stimme programmiert. »Geschäftsleitung?«
»Freigabe erteilt. Nächster Halt: Geschäftsleitung.«
Ich mochte die angenehm weibliche Stimme.
CÆRON, Sektion 2, Sicherheit
Kaugummi kauend blickte Curtis gelangweilt auf den Bildschirm und grinste dann gehässig. »Hey Mick. Schau mal, was hier zur Geschäftsleitung fährt.«
Mick rieb sich über die Augen und gähnte. »Was’n?«
»Muss einer der Mechaniker sein. Voller Öl. Versaut denen sicher die teuren Teppiche da oben.«
Als der Mann den Aufzug betrat, erschien ein schemenhaftes Abbild von ihm als Hologramm. Das unsichtbare Scanning des Infrarotsensors, wurde sichtbar dargestellt.
»Vielleicht ist die Kaffeemaschine kaputt.« Mick kicherte albern.
»Klar, läuft ja auch mit Öl, Witzbold.«
»Achtung! Waffe geortet!« Eine Anzeige blinkte rot.
»Schau dir den Spinner an. Fährt mit ner Waffe nach oben. Tz! Ruf Rico und Lance!«
CÆRON, Geschäftsleitung
Was für eine Aussicht! Ein riesiges Panoramafenster mit Blick zum Meer empfing mich. Davor eine Sitzgruppe mit weißen Ledersesseln. Ob ich da warten sollte? Es gab jeweils rechts und links zwei Türen mit Milchglas. Wo war das Büro des Vizedirektors?
Die Aufzugtüren öffneten sich und zwei Security-Mitarbeiter in dunkelblauen Overalls traten heraus.
»Sir, überreichen Sie uns unverzüglich Ihre Waffe!«
»Meine was?«
»Ihre Waffe, Sir!«
Meine Beretta lag sicher verstaut im Spind. Von was redeten die zwei? »Was für eine Waffe? Ich trage keine bei mir.«
»In Ihrer rechten oberen Tasche, Sir!«
Das schoss doch den Vogel ab. »Das ist mein Schweizer Taschenmesser und keine Waffe. Ich brauch es für die Feinmechanik und Justierung. Das gebe ich nicht aus der Hand.« Man konnte alles auf die Spitze treiben!
»Sir, verlassen Sie unverzüglich die Räume der Geschäftsleitung!«
Noch ehe ich etwas darauf antworten konnte, glitt eine der rechten Türen zur Seite und ein Mann trat heraus. Durch sein edles Gesicht und den akkuraten Seitenscheitel wirkte er aristokratisch. Sein Alter konnte ich schlecht einschätzen. Ich konnte es mir nicht erklären, aber etwas an ihm faszinierte mich.
»Rico, was ist denn hier los?« Seine Stimme klang sanft und trotzdem selbstsicher.
»Verzeihen Sie die Störung, Dr. Heimbs. Mr. Parker hat mit einer Waffe die Geschäftsleitung betreten und er weigert sich, uns diese auszuhändigen.«
Das war Dr. Heimbs? Er musste Anfang sechzig sein, wirkte aber zehn Jahre jünger. Er blickte aufmunternd zu mir. »Um was für eine Waffe handelt es sich?«
Ich zog mein Taschenmesser heraus und zeigte es ihm.
Sein Gesicht erhellte sich. »Oh, von der Air Force. Mein Ausbilder hat uns ebenfalls gravierte Schweizer Taschenmesser zum Abschluss geschenkt.« Er nickte den beiden Männern zu. »Ich übernehme die Verantwortung.«
Die Security Typen nickten und zogen ab.
»Ich wollte keinen Ärger machen. Der Termin kam… überraschend.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Wir betraten das Büro der Sekretärin von Heimbs. Karen Finch, wie ich dem Namensschild entnehmen konnte. Sie hatte feuerrote, hochtoupierte Haare und warf mir einen interessierten Blick zu.
»Karen, das ist Mr. Parker.«
Wir nickten uns höflich lächelnd zu.
»Karen, können Sie uns Kaffee bringen? Trinken Sie Kaffee?«
»Lieber Tee.«
Karen stand auf und strich ihr Kostüm glatt. »Welche Sorte, Mr. Parker?«
»Darjeeling.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Sehr gerne.«
CÆRON, Geschäftsleitung, Büro Dr. Isaac Heimbs
Das Büro von Heimbs war riesig. Es wirkte hell und freundlich. Die Wand, vor der sein weißer Schreibtisch stand, war komplett aus Glas. Durch das Fenster konnte man das Meer und die Grünanlagen von CÆRON sehen.
»Ich mag diesen Ausblick sehr. Gefällt es Ihnen?«
»Ich hätte sicher ein Büro gewählt, das in die andere Richtung geht.«
Heimbs wirkte irritiert, lächelte dann aber. »Mit Blick auf das Fluggelände, verstehe.« Er deutete auf die weiße Ledersitzgruppe in einer Nische, die von hohen Palmen umrahmt war. »Habe ich Sie bei etwas Wichtigem gestört?« Er musterte meinen Overall.
»Nein. Ich bin nicht ständig am Fliegen und unterstütze die Mechaniker bei der Technik. Ein Steckenpferd von mir.« Wir setzten uns.
»Verzeihung. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Dr. Isaac Heimbs. Ich bin der stellvertretende Direktor von CÆRON.«
»Ähm… wer ich bin, wissen Sie bereits.«
»Oh, ja. Ein Mitarbeiter mit viel Potential.«
Karen kam herein und stellte ein Tablett zwischen uns. Sie machte Anstalten, uns die Getränke einzuschenken.
»Ich mache das Karen, danke.«
Sie nickte artig, verließ das Büro und Heimbs goss mir Tee und sich Kaffee ein. Er deutete auf die Zuckerdose.
»Zucker, Milch? Bedienen Sie sich.«
»Nein danke. Warum haben Sie mich rufen lassen, Sir?«
»Ich habe von dem kleinen Zwischenfall bei der Tankstelle gehört.«
»Es war Notwehr.«
»Soweit ich gehört habe, ist dies bei einer der Personen fragwürdig. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen deswegen zu machen. Wir konnten die Dienststelle davon überzeugen, dass keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind.«
Das machte mich misstrauisch.
»Ich würde Sie nur ungern in den Mühlen der Justiz sehen, denn ich brauche Ihre Unterstützung bei einem meiner Projekte.«
Das klang wie eine Drohung. »Ich bin Pilot.« Kein Projektleiter.
»Ein sehr guter Pilot, wie man mir sagte.«
»Ich bin der Beste.«
Dr. Heimbs öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Da wurde die Tür aufgerissen und ein großer hagerer Mann stürmte in das Büro.
»Isaac, das kann nicht warten.«
Der Mann war etwa Ende fünfzig. Trotz seiner weißen Haare wirkte er jugendlich, strahlte aber etwas Unangenehmes aus, das nicht greifbar war. Er musterte mich, für den Bruchteil einer Sekunde, und reichte dann Heimbs ein Tablet. Es klingelte aus der Jackettasche des Unbekannten. Er zog etwas Kleines daraus hervor. Es sah weder wie ein Smartphone, noch wie ein anderes Mobiltelefon aus, aber er sprach hinein.
»Carter.«
DAS war John Carter? Der Direktor und Eigentümer von CÆRON?
»Nein! – Ich wünsche keine weitere Diskussion. Es wird genauso ausgeführt, wie ich es verfügt habe.«
Carters Gesicht wirkte versteinert. Seine Augen funkelten dagegen intelligent und kalt. Seine Stimme war nicht laut, aber schneidend und unerbittlich. Ein leichter Schauer jagte mir über den Rücken.
»Sagen Sie ihm, dass er gerne Bekanntschaft mit unserer Putzkolonne machen kann, wenn es ihm nicht passt.«
Er drohte mit einer Putzkolonne?
»Ich wusste, wir würden uns verstehen.« Er legte grußlos auf und wandte sich an Heimbs. »Und?«
»Ich kann das sofort erledigen, wenn ich hier mit Mr. Parker fertig bin. Er ist für Sektion 23 vorgesehen.«
Jetzt wurde ich offenbar für Carter interessant. Er musterte mich unverhohlen und schien mich abzuschätzen.
»Ein Mechaniker?« Es klang geringschätzig und brachte ihm keine Sympathiepunkte ein.
»Testpilot. Ich wollte dich nachher noch darüber in Kenntnis setzen.«
»Hm.« Seine Augen schienen mich kurz zu sezieren. »Kümmere dich darum!«
»Selbstverständlich, John.«
Carter verließ ohne einen weiteren Gruß das Büro. Puh! Mit dem wollte ich nichts zu tun haben.
»Verzeihen Sie die Unterbrechung.«
»Kein Problem. Sektion 23?« Es gab doch nur 12 Sektionen in CÆRON.
»Um ehrlich zu sein: die neue Aufgabe hat nichts mit Ihren Fähigkeiten als Pilot zu tun. Zumindest nicht primär.«
»Dann bin ich der Falsche.«
»Neben der Tatsache, dass ich die Beziehungen von CÆRON nutze, um Ihnen Unannehmlichkeiten zu ersparen, habe ich noch mehr anzubieten. Das Dreifache von Ihrem jetzigen Gehalt, inklusive eines dreizehnten und vierzehnten Monatsgehalts?«
»Das klingt verlockend, aber ich habe bei CÆRON angefangen, weil hier Jäger und Raumgleiter entwickelt werden. Ich will ab und zu ins All.«
Heimbs faltete die Hände zu einem Dreieck und musterte mich einen Moment lang. Dann lächelte er freundlich. »Mr. Parker, das ist doch kein Problem. Ich habe gehört, dass Sie Interesse an der Titan-Mission gezeigt haben.«
»Das stimmt.«
»Wie wäre es, wenn ich SK 23 anweise, die Titan-Mission umfangreich zu unterstützen. Das würde bedeuten, dass der tatsächliche Flug schneller realisiert wird. Und Sie sind dann unser Pilot.«
Das war echt fies. »Wie lange soll ich Ihnen denn helfen?«
Er lächelte fein. »Bis wir zum Titan aufbrechen.«
»Das kann sich über Jahre hinziehen.«
»Quid pro quo, Mr. Parker. Alles hat seinen Preis.«
Ich seufzte. Das war zu verlockend. Titan! »Was soll ich tun?«
»Zunächst unterschreiben Sie bitte diese Verschwiegenheitserklärung.« Er schob mir ein mehrseitiges Dokument über den Tisch. »Ihre neue Sicherheitsstufe ist 10.«
»10?« Ich beeilte mich mit dem Durchlesen. Die übliche Geheimnistuerei. Ich unterschrieb. Heimbs reichte mir einen neuen Ausweis. Es war keine Sektion darauf vermerkt. Ich erhielt eine neue Personalnummer. »Sie wussten, dass ich die Stelle übernehme?«
Er schmunzelte, ohne etwas darauf zu erwidern. »Nehmen Sie den Aufzug 1 der Geschäftsleitung und fahren Sie in Sektion 23. Scott Hill wird Sie empfangen und Ihnen alles weitere erklären.«
CÆRON, Sektion 23
Es ging abwärts. In Sektion 23 fühlte ich mich sofort unbehaglich. Hier erinnerte nichts an den hellen Eingangsbereich. Wände aus grauem Beton. Keine Bilder, keine Pflanzen. Keine Fenster, künstliches Licht. Ein Loch in der Erde.
Vor mir lag ein Flur mit je vier Türen auf beiden Seiten. Rechts zeigten grüne Pfeile auf den Notausgang. Alles wirkte kühl. War ich hier richtig?
Da glitt die zweite Tür von links auf und ein Mann, etwa Anfang dreißig, kam aus dem Zimmer. Was mir sofort an ihm auffiel, war sein fixierender Blick, der mich umfassend musterte. Seine Mundwinkel zogen sich beinahe unmerklich nach unten.
»Ah, da sind Sie ja. Lyle Parker, nehme ich an.«
Wenn das nicht abwertend klang. »Scott Hill?«
»Korrekt.«
Scott musterte mich mit einem missbilligenden Ausdruck im Gesicht. Angewidert starrte er meinen Overall an.
»Mechaniker? Ich dachte, Sie sind Pilot.«
»Unter anderem.«
Er sah mir in die Augen und runzelte die Stirn. »Gehen wir in mein Büro.«
Scotts Büro setzte den Stil kalt-kälter-SK23 nahtlos fort. Das Büro war funktionell eingerichtet. Außer einem Schreibtisch mit Telefon und dem Drehstuhl dahinter, gab es nichts.
»Wir sind hier nicht auf Besuch eingestellt. Es stört Sie doch nicht, wenn wir stehenbleiben? Holo-Schirm an. Übertragung A2.«
Über dem Schreibtisch wurde ein Videobild projiziert. Man sah einen Mann, der in der Mitte eines kleinen Raumes an einem Tisch saß. Sein Kopf lag abgestützt in seinen Händen, und er starrte vor sich hin. Er schien in meinem Alter zu sein.
»Das ist A2.«
»A2?«
»Sein Projektname. Bei direkter Ansprache nennen wir ihn Jarod. Sein Zimmer ist am Ende des Flurs.«
»Sein… Zimmer?« Sein Projektname? Was war hier los?
»Ja. Er lebt hier und arbeitet für CÆRON. Ihre Aufgabe wird sein, ihn… zu begleiten und seine Arbeitseinsätze zu unterstützen.«
»Ist das ein Entwicklungsgenie?« Jarod wirkte deprimiert. Kein Wunder.
»Indirekt. Er hat besondere Fähigkeiten, die für CÆRON unentbehrlich und wertvoll sind.«
F-ä-h-i-g-k-e-i-t-e-n? »Aha. Welche Fähigkeiten und…. Moment mal… Ist das mein neuer Partner, oder bin ich sein Babysitter?«
»So würde ich das nicht ausdrücken.«
Ich verzog den Mund. »Ich bin der Babysitter.«
»Holo-Schirm aus.« Augenblicklich verschwand die Übertragung. »Ich betreue A2 am Wochenende bei seiner Arbeit und koordiniere seine Projekte.«
»Am Wochenende arbeitet er auch?«
»Er kennt keine Wochenenden.«
Hinter CÆRON steckte offensichtlich mehr, als ich bisher dachte.
»Lyle, ich werde Ihnen jetzt erzählen, wieso A2 so wertvoll für uns ist.«
»Ist er ein Alien?«
Scott verzog den Mund zu einem herablassenden Lächeln. »Zumindest hat er eine Fähigkeit, die kein anderer Mensch auf der Erde besitzt.«
Mich überlief es heiß, aber ich blieb äußerlich ruhig. »Na, auf die bin ich gespannt.« Scott genoss diesen Auftritt sichtlich und das machte ihn nur noch unsympathischer, wenn das überhaupt möglich war.
»Wir nennen es Spiegeln. Er hat die Fähigkeit, in einen Menschen hineinzusehen und einen Aspekt seines Lebens in sich aufzunehmen.«
Scott fixierte mich überdeutlich und lauerte auf meine Reaktion. Ich tat so, als würde mich diese Information nicht sonderlich beeindrucken. »Was meinen Sie mit Aspekt?«
»Lassen Sie es mich in einem Beispiel ausdrücken. Wir haben einen Mann, der Arzt ist. A2 spiegelt den Aspekt Arzt in ihm und speichert in sich alles, was der Mann über diesen Aspekt weiß und erlebt hat.«
»Wozu kann man das nutzen?«
»Wenn der Arzt zum Beispiel ein Gehirnchirurg gewesen ist, könnte A2 eine Operation am Gehirn durchführen, ohne selbst jemals diesen Beruf studiert zu haben. Zumindest theoretisch. Einige Übungseinheiten sind vorab notwendig.«
»Das ist hammerhart. Ich dachte, CÆRON ist ein Entwicklungskomplex.«
»Nehmen wir an, wir haben ein Problem in der Biochemie zu lösen. Dann lassen wir A2 alle erfolgreichen und bekannten Biochemiker spiegeln, damit er einen großen Wissensschatz über die Thematik sammelt. So kann er das Problem für uns, oder einen Auftraggeber, schnell lösen.«
»Nennt man das nicht auch Industriespionage?« Kein Wunder, dass CÆRON mein Gehalt so großzügig erhöhen konnte.
»Wir nennen es Ansammlung von Informationen zur Entwicklung neuer Produkte.«
Nette Umschreibung.
»Ein anderer Aspekt wäre zum Beispiel Informationen über ein Ereignis aus dem Leben eines Menschen zu erkunden. Die Mutation von A2 deckt einige Bereiche ab.«
Da hatten sie einen echten Goldesel. »Und wie passe ich jetzt in diese Informationseinsammlung?«
»Sie werden A2 die Woche über begleiten und überwachen.«
Ich vermied es, eine Reaktion auf diese Ungeheuerlichkeiten zu zeigen. Mein neuer Job war Gefängnisaufseher.
»Er darf nur in meinem Beisein spiegeln. Die Spiegelungen sind zurzeit samstags und sonntags. Montags bis freitags arbeitet er an verschiedenen Projekten, bei denen er sein gespiegeltes Wissen einsetzt. Sie werden ihn daran hindern, dass er spiegelt und motivieren ihn zur Arbeit. A2 hat einen implantierten Neurotransmitter, mit dem Sie ihn im Zaum halten können.«
»Was ist ein Neurotransmitter?«
»Ein Chip, der unter die Haut implantiert wird. Bei Aktivierung sendet er Stromimpulse aus, die in alle Zellen des Körpers verteilt werden. Das sogenannte TAC-System.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Das klang nach Folter!
»Ich ziehe es vor, bei der Arbeit stets den nötigen Ernst walten zu lassen.«
Hochgestochener Mist! So eine verdammte Scheiße! Warum war ich hier? Wo war der alte Betreuer? »Was ist mit meinem Vorgänger?«
»Es gibt strikte Regeln, die eingehalten werden müssen. Nicht alle kommen damit zurecht.«
»Alle? Wie viele gab es denn schon vor mir?«
»Ein paar.« Sein Lächeln wirkte seltsam.
»Wieso wurde ich dafür ausgesucht?« Ein Agent wäre passender gewesen.
Scott verzog für einen Moment das Gesicht. Er dachte offensichtlich ähnlich darüber. »Dr. Heimbs hat Sie ausgesucht. Er hält Sie für den richtigen Kandidaten und wir sollten seine Entscheidung nicht anzweifeln.«
Was Scott sichtlich schwerfiel. »An welchen Regeln sind denn meine Vorgänger gescheitert?« Er sah mich einen Moment lang schweigend an.
»Sie haben A2 nicht wie ein Projekt behandelt.«
Du gottverdammter Arsch! »Was ist daran so schlimm?«
»Wir sind weder die Kollegen von A2, noch seine Freunde. Wir sind die Werkzeuge, die die Maschine am Laufen halten. Wir sind die Zügel, die unserem Pferd die Richtung geben, verstehen Sie?«
Aber ja. Du bist verrückt, Scott. »Verstehe.«
»Sie werden A2 morgen kennen lernen. Zuerst müssen Sie noch ein paar Punkte erledigen. Hier.« Er reichte mir ein Smartphone. »Das ist Ihr Databook.«
Das Ding war so groß wie ein normales Smartphone, nur ohne Display. Das CÆRON Logo war auf der silbernen Oberfläche eingeprägt. Scott zog aus seiner Jackettasche ebenfalls so ein Ding, lächelte und hielt seine Hand auf das Logo. Augenblicklich klappte es nach vier Seiten aus und ähnelte eher einem schmalen, eleganten Tablet.
»Sie können es überall dabei haben. Es ist nur durch Ihren Handabdruck zu öffnen. Die Techniker nennen es Data. Im Grunde ein Notebook. Sie können darauf die Termine des aktuellen Tages abrufen und die Projektdaten lesen. Außerdem werden Sie damit die Vitalwerte von A2 überwachen« Scott tippte auf seinem Data herum und zeigte mir eine Anzeige mit Balkendiagrammen. »Wie Sie sehen sind die Anzeigen Flüssigkeitshaushalt, Blutzucker, Puls und Blutdruck grün und damit in der Norm.«
»Wo kommen die Werte her?«
»Er trägt einen Medizinsensor im Nacken.«
»Okay.« Davon hörte ich zum ersten Mal.
»In seinem Zimmer befindet sich eine Technikeinheit – MOTRON. Neben anderen Funktionen, kann A2 darüber einen Notruf an alle SK 23 Mitarbeiter abgeben. Dann werden Sie ebenfalls auf Ihrem Data benachrichtigt.«
Ich bemühte mich interessiert zu wirken und nickte.
»Selbstverständlich funktioniert es auch per Sprachsteuerung. Anzeige Anweisung A2.« Er drehte das Display des Datas in meine Richtung. »Prägen Sie sich die Richtlinien zu A2 gut ein.«
Diese Bürokratie nervte mich.
»Hier ist Ihr Laufzettel.« Er wischte auf meinem Touchscreen herum und eine elektronische Abhakliste erschien. »Zunächst lassen Sie sich bei Dr. Huesch in der medizinischen Abteilung Blut abnehmen.«
»Die haben mein Blut bereits bei meiner Einstellung bekommen.«
»Es ist notwendig, damit Sie für SK 23 versichert werden.«
Scott war offensichtlich der geborene Schreibtischhengst. »Und danach?«
»Dann gehen Sie in Sektion 6 – Zimmer 18. Die beiden Mitarbeiter betreuen die Technik von SK 23. Sonderstufe 9. Man wird Ihre Stimme aufnehmen und ins TAC-System einspeisen, damit Sie den Neurotransmitter auslösen können. Außerdem erhalten Sie die Zugangsberechtigungen für die notwendigen Abteilungen. Handabdruck, Retinascan, Gesichtserkennung – das Übliche. Anschließend melden Sie sich hier und ich zeige Ihnen, wie sich A2 bei den Spiegelungen verändert.«
Nicht erst jetzt kam ich mir wie in einem schlechten Science-Fiction-Film vor.
CÆRON, Sektion 6 – Sicherheit Zimmer Nr. 18
Die letzte Station, bevor ich zu Scott musste, war die Aufzeichnung meiner Stimme. Ich hatte zwar längst entschieden, dass ich das TAC-System niemals nutzen würde, trotzdem hielt ich mich an den Laufzettel und stieß die Tür zu einem der Technik-Tempel auf. »Wow! Das nenn ich kalt.«
Vor einer riesigen Computerwand saß ein blasser Mann im dicken Pullover, auf dessen Namensschild Marvin Beans stand. Er drehte sich mit seinem Stuhl in meine Richtung.
»Hi. Das muss sein, damit die Technik nicht überhitzt. Was kann ich für Sie tun?«
Er musterte meinen Overall, wie es bereits in allen anderen Abteilungen davor auch der Fall gewesen war. »Ich soll mich hier für eine Sprachaufzeichnung melden.«
»Haben Sie einen Laufzettel?«
Ich reichte Beans das Data und rieb mir über den Arm. Wofür die wohl das ganze Blut brauchten? Es waren etliche Ampullen gewesen, die ich in der medizinischen Abteilung abgegeben hatte.
»Sprachaufnahme für SK 23?«
Ein untersetzter Techniker mit zwei Tassen Kaffee kam durch die Tür. Er starrte irritiert meinen Overall an.
»SK 23.« Beans deutete mit dem Kopf zu mir. Der Dicke schien überrascht. Er trug keinen Kittel und damit auch kein Namensschild.
»Schon wieder eine Entsorgung?« Techniker Namenlos stellte die Tassen ab.
Beans warf ihm einen zornigen Blick zu und wandte sich dann breit lächelnd an mich. »Mr. Parker, gehen Sie bitte ins Nebenzimmer zu dem Mikrofon.«
Entsorgung? Die Stimme von Beans war eine Spur zu laut gewesen. Es schien so, als wäre dem namenlosen Techniker etwas herausgerutscht, was Beans übergehen wollte.
»Auf mein Zeichen hin sagen Sie erst TAC und dann DROP, alles klar?«
»Kommt hier öfter jemand her, der TAC und DROP aufnimmt?«
»Worauf du einen lassen kannst, Alter.« Der Dicke nippte an seinem Getränk und zwinkerte mir vertraulich zu.
»Mike! Halt die Klappe! Denken Sie sich nichts dabei. Er ist ein Fachidiot, was Technik anbelangt, mehr ist nicht in seiner Birne.«
Beans schüttelte mit dem Kopf. Als ich in das Tonstudio ging, konnte ich ihn leise zu Mike sagen hören: »Ich kann nicht verstehen, wie du hier gelandet bist.«
Ich war kein Idiot und verstand sehr gut, was los war.
Der Tod bei Vertragsbruch war kein Punkt der Vereinbarung gewesen.
Sei deinem Feind immer einen Schritt voraus. Das würde ich.
CÆRON, Sektion 23, Scotts Büro
Scott hantierte an seinem Data herum, das auf seinem Schreibtisch lag. Ob Jarod noch immer arbeitete? Hatte er überhaupt Freizeit? War er bereits sein ganzes Leben hier? War er sich seines bescheidenen Lebens bewusst?
»Ich zeige Ihnen jetzt A2 beim Spiegeln. Start Holo Spiegeln 3.«
Neben Scotts Schreibtisch erschien eine Holografie von Jarod. Er saß auf einem Stuhl und blickte etwas an, was wir nicht sehen konnten.
»Achten Sie ausschließlich auf seine Augen. Sehen Sie den starren Blick?
Gleich ist es soweit. Jetzt!«
Ich stutzte. Jarods Iris wechselte die Farbe. Von Grün zu Blau. Dann verfärbte sich auch die weiße Augenhaut. Gefolgt von der Pupille. Schließlich war sein komplettes Auge vollständig blau gefärbt. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken entlang. Ich starrte auf die abnormale Farbe des Auges.
»Überspringen von Sequenz 1. Jetzt das Ende der Spiegelung.«
Die Aufnahme stoppte kurz und lief dann weiter. Für einen Moment noch war das komplett blaue Auge zu sehen, dann verfärbte es sich erneut. Pupille schwarz, Augenhaut weiß, Iris grün. Die Aufnahme endete. Jarods Abbild saß nun erstarrt als Standbild im Raum und blickte ernst in eine imaginäre Kamera. Stirnrunzelnd wandte ich mich ab. »Seit wann macht er das?«
»Es ist erschreckend, wenn man es zum ersten Mal sieht. Sie haben es entdeckt, als er zwei Jahre alt war. «
Zwei! »Und er ist der Einzige?«
»Zumindest ist uns kein anderer bekannt. Man hat versucht es zu reproduzieren, alle Versuche sind gescheitert.«
»Wie funktioniert es?«
»Durch Gehirnstrommessungen wurde festgestellt, dass eine bestimmte Stelle im Gehirn aktiviert wird, wenn er spiegelt. Wie es genau funktioniert…« Scott zuckte mit den Schultern. »Es gibt keine Erklärung dafür.«
Ich schluckte und blickte in Jarods Augen.
»Das haben Sie nicht erwartet, oder?«
»Nein.« Nicht wirklich. Nur schwer konnte ich den Blick von der Holografie lösen. Scott interpretierte mein Handeln, Gott sei Dank, falsch.
»Sie gewöhnen sich daran. Alle Betreuer haben das geschafft.« Es klang gönnerhaft. »Das war es dann erstmal von mir. Haben Sie noch Fragen?«
»Nein. Im Augenblick nicht.« Keine, die für deine Ohren bestimmt sind, Scott.
»Wir sehen uns morgen um 8 Uhr. Prägen Sie sich die Anweisung ein.«
Das war der Anfang vom Ende!