Vive La Resistance
von Herugrim
Kurzbeschreibung
Die Kurzgeschichte "Vive la Resistance" entstand im Rahmen des Kurzgeschichten-Wettbewerbs, der im Vorfeld der Veröffentlichung Black Atlantics von SIXMOREVODKA abgehalten wurde. Die Geschichte erreichte Platz 9 im endültigen Rating. Inhaltlich befasst sie sich mit der Resistance-Kämpferin Sandrine, die tödlich verwundet durch die Ruinen des Louvres irrt.
KurzgeschichteHorror, Suspense / P16 / Gen
OC (Own Character)
02.06.2018
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Spärliches Licht fiel durch die verdreckten Scheiben der Glaspyramide in den großen Raum darunter. Sandrine stolperte vorwärts, fiel fast vornüber, klammerte sich ans Geländer einer großen gewundenen Treppe. In ihrer linken Seite saß ein heißes Pochen, das bei jedem Schritt
aufglühte und sie vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen ließ. Sie warf einen flüchtigen Blick nach hinten, zu den Stufen, die nach oben, nach draußen führten. Niemand folgte ihr. Noch nicht.
Sandrine schloss die Augen, griff mit der Rechten in die kleine Tasche an ihrem Gürtel und zog vorsichtig und mit zitternden Fingern ein kleines Behältnis hervor, hob es an den Mund und entfernte den aufgesteckten Deckel mit den Zähnen. Sofort stieg ihr der süßliche Geruch in die Nase. Schnell drehte sie das Fläschchen um, tröpfelte den Inhalt erst über Brust, dann über Beine, Arme und Hände. Alles stank förmlich nach Süße, legte sich wie ein schweres Tuch auf ihre Augen und Müdigkeit kroch bereits durch ihren Körper.
Hoffentlich war das Zeug so stark wie Michel gesagt hatte. Mit schleppenden Schritten durchquerte sie die Empfangshalle, schlurfte verstaubte Gänge entlang, keuchend und schnaufend, vorbei an modrigen Wänden mit alten Bilderrahmen, an denen der Schimmel
emporkroch. Über fauligen und morschen Parkettboden, durch marmorierte Räume mit steinernen Büsten und Statuen, stummen Zeugen des Verfalls.
Die Orientierung hatte sie schon lange verloren, viel zu sehr war sie damit beschäftigt gegen das samtene Gefühl der Bewusstlosigkeit anzukämpfen und sich mit starren grünen Augen und rotbefleckten Händen an den Wänden vorwärts zu ziehen. Alles was von Bedeutung war, alles was zählte, war möglichst viel Abstand zu ihren Verfolgern zu bringen. Jeder Schritt trieb Sandrine weiter den kalten Schweiß auf die Stirn, sie fühlte, wie die Fingerspitzen kalt wurden, nur noch fahrig Halt an den Wänden suchten. Als sie etwas neben ihrem Ohr
summen hörte, schleifte sie sich durch die nächste Tür, stürzte vor Erschöpfung auf die Knie. Dann hörte sie das hohle Klopfen von Schritten, die hinter ihr durch die Gänge hallten. Mit aller Kraft und aufeinander gepressten Zähnen kämpfte sie sich wieder auf die Beine und bemerkte erst jetzt, dass an der gegenüberliegenden Wand keine Tür mehr war. Stattdessen hing dort ein einzelnes Gemälde hinter einer von Rissen durchzogenen Glasscheibe. Der kleine Schimmer Hoffnung, an den sie sich die letzten Momente geklammert hatte, erstickte
in der Gewissheit über die Aussichtslosigkeit ihrer Situation. Die Verzweiflung zog sie in die düsteren Tiefen der Agonie hinab.
Schwerfällig und mit zitternden Beinen bewegte sie sich vorwärts über das staubige Parkett, vorbei an alten Schätzen in goldenen Rahmen, die die Wände links und rechts von ihr säumten. Dann fiel sie wieder vornüber, kroch nun auf allen vieren weiter und hinterließ eine
dunkelrote Spur auf dem hellen angestaubten Holzboden, immer beobachtet von den Augen der lächelnden Frau im Gemälde hinter der Glasscheibe, während dicke Tropfen scharlachroten Lebens aus ihr herausstürzten. Sandrine erreichte schließlich die Wand und
kämpfte sich bäuchlings auf die kleine Holzfläche hoch, die man am unteren Ende der Glasscheibe auf Hüfthöhe angebracht hatte, ließ erschöpft den Körper gegen das Glas sinken, schloss für einen Moment die Augen, während sie die gleichmäßigen Schritte unter dem
beständigen Summen um sie herum durch die Gänge immer näher kommen hörte. Mit schwachen Fingern und schweren Armen zog sie eine alte Pistole hervor und hielt sie im Schoß. Stumme Tränen liefen ihre Wangen hinab, entwickelten sich bald zu einem hemmungslosen Schluchzen, schüttelten sie, während sich erst ein kleiner Käfer, dann ein zweiter, dann noch einer und noch einer summend neben ihr niederließen, über ihren Handrücken krabbelten oder sich in ihrem Haar verfingen.
Auch ohne die Augen zu öffnen wusste sie, dass sich etwas am Eingang des Raumes befand. Er sprach mit ihr, ohne ein Wort an sie zu richten. Vergebung, Glück, Frieden, die Geborgenheit einer väterlichen Umarmung - all das rief nach ihr. So viel Kraft, verschwendet an einen sinnlosen Kampf. So viele unzählige Opfer, so unglaublich viel unnötiges Leid. Sie spürte, wie er näher kam, hörte die einzelnen Schritte von den Wänden leise widerhallen. „Komm, Sandrine. Es ist Zeit. Lass uns nach Hause gehen. Es wird alles gut.“ sprach eine sanfte, tiefe, vertraute Stimme aus einigen Metern Entfernung, streichelte ihre Seele. Reue und Sehnsucht griffen nach ihrem Herzen.
Sandrine öffnete die Augen mit flatternden Lidern. Durch den Tränenschleier konnte sie nur schwach die Umrisse des Mannes erkennen, der einige Schritte von ihr entfernt stand. Sie blinzelte, strich sich mit dem linken Handrücken übers Gesicht, verwischte Tränen und
getrocknetes Blut über ihre Wangen. Dann riss sie die Rechte hoch, den Abzug nach hinten, zerfetzte die süße Stille. Der Mann wankte, stolperte nach hinten, fing sich aber wieder. Um sie herum brummte es auf einmal. Mit einer Handbewegung brachte der Mann die Käfer zum
Schweigen, blickte zu ihr hinüber und schüttelte den Kopf. „Ihr wollt einfach nicht verstehen. Wirklich bedauerlich.“ Von der Wärme in der Stimme des Mannes war nichts mehr geblieben. Sandrine lächelte ein stummes, tränenreiches, friedliches Lächeln, in ihrem Kopf klang die
Stimme ihrer Mutter, wie sie ihr als kleines Mädchen alte Chansons vorsang. Schwach hallte Sandrines Stimme von den Wänden wider, trug die Melodie durch den Raum.
„Non.. je ne regrette rien.“
Noch einen langen Augenblick stand der Mann da, regungslos und stumm in der verklingenden Stille des Raumes, ehe er sich langsam abwandte, auf die Tür zuging und alles zurückließ. Die Frau im Gemälde sah ihm nach durch roten Schleier, blickte seinem Umriss
hinterher bis er verschwunden war und die Geräusche seiner Schritte verhallten und schließlich verklangen.
Noch immer umspielte ein Lächeln ihre Lippen.
Irgendwo südlich die Seine hinunter legen mehrere Boote in der Dämmerung an einem Kai an. Liebende, Brüder und Schwestern des gleichen Traumes fallen sich in die Arme, nur die Augen einer Mutter suchen vergeblich. Als die Nacht ihren Schleier ausbreitet, fliegt die Melodie eines alten Akkordeons über das Wasser. Gläser stoßen aneinander -„À ta santé, Sandrine!“, man fasst sich ergriffen an die Brust, legt den Arm umeinander, dann steigt eine Stimme nach der anderen in das Lied ein: „Ce n‘est rien“.
aufglühte und sie vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen ließ. Sie warf einen flüchtigen Blick nach hinten, zu den Stufen, die nach oben, nach draußen führten. Niemand folgte ihr. Noch nicht.
Sandrine schloss die Augen, griff mit der Rechten in die kleine Tasche an ihrem Gürtel und zog vorsichtig und mit zitternden Fingern ein kleines Behältnis hervor, hob es an den Mund und entfernte den aufgesteckten Deckel mit den Zähnen. Sofort stieg ihr der süßliche Geruch in die Nase. Schnell drehte sie das Fläschchen um, tröpfelte den Inhalt erst über Brust, dann über Beine, Arme und Hände. Alles stank förmlich nach Süße, legte sich wie ein schweres Tuch auf ihre Augen und Müdigkeit kroch bereits durch ihren Körper.
Hoffentlich war das Zeug so stark wie Michel gesagt hatte. Mit schleppenden Schritten durchquerte sie die Empfangshalle, schlurfte verstaubte Gänge entlang, keuchend und schnaufend, vorbei an modrigen Wänden mit alten Bilderrahmen, an denen der Schimmel
emporkroch. Über fauligen und morschen Parkettboden, durch marmorierte Räume mit steinernen Büsten und Statuen, stummen Zeugen des Verfalls.
Die Orientierung hatte sie schon lange verloren, viel zu sehr war sie damit beschäftigt gegen das samtene Gefühl der Bewusstlosigkeit anzukämpfen und sich mit starren grünen Augen und rotbefleckten Händen an den Wänden vorwärts zu ziehen. Alles was von Bedeutung war, alles was zählte, war möglichst viel Abstand zu ihren Verfolgern zu bringen. Jeder Schritt trieb Sandrine weiter den kalten Schweiß auf die Stirn, sie fühlte, wie die Fingerspitzen kalt wurden, nur noch fahrig Halt an den Wänden suchten. Als sie etwas neben ihrem Ohr
summen hörte, schleifte sie sich durch die nächste Tür, stürzte vor Erschöpfung auf die Knie. Dann hörte sie das hohle Klopfen von Schritten, die hinter ihr durch die Gänge hallten. Mit aller Kraft und aufeinander gepressten Zähnen kämpfte sie sich wieder auf die Beine und bemerkte erst jetzt, dass an der gegenüberliegenden Wand keine Tür mehr war. Stattdessen hing dort ein einzelnes Gemälde hinter einer von Rissen durchzogenen Glasscheibe. Der kleine Schimmer Hoffnung, an den sie sich die letzten Momente geklammert hatte, erstickte
in der Gewissheit über die Aussichtslosigkeit ihrer Situation. Die Verzweiflung zog sie in die düsteren Tiefen der Agonie hinab.
Schwerfällig und mit zitternden Beinen bewegte sie sich vorwärts über das staubige Parkett, vorbei an alten Schätzen in goldenen Rahmen, die die Wände links und rechts von ihr säumten. Dann fiel sie wieder vornüber, kroch nun auf allen vieren weiter und hinterließ eine
dunkelrote Spur auf dem hellen angestaubten Holzboden, immer beobachtet von den Augen der lächelnden Frau im Gemälde hinter der Glasscheibe, während dicke Tropfen scharlachroten Lebens aus ihr herausstürzten. Sandrine erreichte schließlich die Wand und
kämpfte sich bäuchlings auf die kleine Holzfläche hoch, die man am unteren Ende der Glasscheibe auf Hüfthöhe angebracht hatte, ließ erschöpft den Körper gegen das Glas sinken, schloss für einen Moment die Augen, während sie die gleichmäßigen Schritte unter dem
beständigen Summen um sie herum durch die Gänge immer näher kommen hörte. Mit schwachen Fingern und schweren Armen zog sie eine alte Pistole hervor und hielt sie im Schoß. Stumme Tränen liefen ihre Wangen hinab, entwickelten sich bald zu einem hemmungslosen Schluchzen, schüttelten sie, während sich erst ein kleiner Käfer, dann ein zweiter, dann noch einer und noch einer summend neben ihr niederließen, über ihren Handrücken krabbelten oder sich in ihrem Haar verfingen.
Auch ohne die Augen zu öffnen wusste sie, dass sich etwas am Eingang des Raumes befand. Er sprach mit ihr, ohne ein Wort an sie zu richten. Vergebung, Glück, Frieden, die Geborgenheit einer väterlichen Umarmung - all das rief nach ihr. So viel Kraft, verschwendet an einen sinnlosen Kampf. So viele unzählige Opfer, so unglaublich viel unnötiges Leid. Sie spürte, wie er näher kam, hörte die einzelnen Schritte von den Wänden leise widerhallen. „Komm, Sandrine. Es ist Zeit. Lass uns nach Hause gehen. Es wird alles gut.“ sprach eine sanfte, tiefe, vertraute Stimme aus einigen Metern Entfernung, streichelte ihre Seele. Reue und Sehnsucht griffen nach ihrem Herzen.
Sandrine öffnete die Augen mit flatternden Lidern. Durch den Tränenschleier konnte sie nur schwach die Umrisse des Mannes erkennen, der einige Schritte von ihr entfernt stand. Sie blinzelte, strich sich mit dem linken Handrücken übers Gesicht, verwischte Tränen und
getrocknetes Blut über ihre Wangen. Dann riss sie die Rechte hoch, den Abzug nach hinten, zerfetzte die süße Stille. Der Mann wankte, stolperte nach hinten, fing sich aber wieder. Um sie herum brummte es auf einmal. Mit einer Handbewegung brachte der Mann die Käfer zum
Schweigen, blickte zu ihr hinüber und schüttelte den Kopf. „Ihr wollt einfach nicht verstehen. Wirklich bedauerlich.“ Von der Wärme in der Stimme des Mannes war nichts mehr geblieben. Sandrine lächelte ein stummes, tränenreiches, friedliches Lächeln, in ihrem Kopf klang die
Stimme ihrer Mutter, wie sie ihr als kleines Mädchen alte Chansons vorsang. Schwach hallte Sandrines Stimme von den Wänden wider, trug die Melodie durch den Raum.
„Non.. je ne regrette rien.“
Noch einen langen Augenblick stand der Mann da, regungslos und stumm in der verklingenden Stille des Raumes, ehe er sich langsam abwandte, auf die Tür zuging und alles zurückließ. Die Frau im Gemälde sah ihm nach durch roten Schleier, blickte seinem Umriss
hinterher bis er verschwunden war und die Geräusche seiner Schritte verhallten und schließlich verklangen.
Noch immer umspielte ein Lächeln ihre Lippen.
Irgendwo südlich die Seine hinunter legen mehrere Boote in der Dämmerung an einem Kai an. Liebende, Brüder und Schwestern des gleichen Traumes fallen sich in die Arme, nur die Augen einer Mutter suchen vergeblich. Als die Nacht ihren Schleier ausbreitet, fliegt die Melodie eines alten Akkordeons über das Wasser. Gläser stoßen aneinander -„À ta santé, Sandrine!“, man fasst sich ergriffen an die Brust, legt den Arm umeinander, dann steigt eine Stimme nach der anderen in das Lied ein: „Ce n‘est rien“.
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