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Die Ananas-Debatte

Kurzbeschreibung
OneshotHumor / P6 / Gen
Hildegunst von Mythenmetz
08.05.2018
08.05.2018
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Die Ananas-Debatte

Hier fängt die Geschichte an.
Oh, ich weiß, meine lieben Freunde! Ich weiß, dass ihr schon sehnlichst auf die Fortsetzung meiner „Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers“ wartet! Auf die Fortsetzung meines bisher besten Romans, „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“!
Wie viele Leserbriefe habe ich denn schon in meinen Klauen gehalten, die mich, einem Bittgesuch gleich, um eine Fortsetzung desselbigen anflehen, mir sogar drohen! Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie viele Messer schon gewetzt werden, weil meine letzte Veröffentlichung schon zehn Jahre zurückliegt.
Deshalb habe ich mich entschlossen, dass es an der Zeit für euch ist, zu erfahren, wie es weitergeht. Es ist Zeit, sich neuem zuzuwenden.
Meine letzte Veröffentlichung, „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“, war an sich schon ein Meisterwerk. All meine Forschungen zum Puppetismus habe ich eingebracht, all mein bisheriges Wissen, was das Schreiben angeht!
Doch jetzt, jetzt habe ich ein neues Projekt begonnen, das alle meine bisherigen Publikationen in den Schatten stellen wird!
Ja, meine so wissbegierigen Freunde! Ich spreche von etwas größerem als „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“! Etwas monumentalerem als „Das Natifftoffenhaus“! Etwas gewagterem als meine „Mythenmetzschen Abschweifungen“ (die, nicht ohne Stolz gesagt, an sich schon ein Meisterwerk sind)!
Mein neuestes Werk wird eine Augenweide für euch geneigte Leser sein! Nach dessen Veröffentlichung werdet ihr nichts anderes mehr lesen wollen als dieses epochale Werk! An dem jeder Literaturkritiker verzweifeln wird, weil meine makellosen Worte so rein und strahlend vor deren unwürdigen Augen stehen wird, keinen Fehler preisgebend!
Ich gebe gerne zu, dass ich mich des Öfteren selbst dabei ertappe, wie ich das frisch beschriebene Blatt Papier an meine Brust drücke und vor Begeisterung und Wollust laut aufseufzte! Das Orm hat mich noch nie so sehr durchströmt wie bei diesem himmlischen Werk!
Oh, meine geschätzten Freunde! Ich freue mich, euch endlich meinen neuesten Roman vorzustellen, dessen Veröffentlichung nun kurz bevor steht: „Der Aufstand der Obstschüssel“!
Ein wahrhaft großes Meisterstück, das gebe ich zu!
Dieses Werk wird der aktuelle Höhepunkt meiner Karriere sein! Endlich werde ich dafür auch mit dem schon längst wohlverdienten „Zamonischen Ehrenrüssel“ ausgezeichnet! Ah, ich sehe die silberne Nadel schon an meinem Revers stecken…


„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du für diesen Schund mit dem höchsten Zamonischen Friedenspreis geehrt wirst, oder nicht?“, hörte ich mit einem Mal eine ungläubig klingende, fruchtig-tiefe Stimme sagen.
Erschrocken riss ich meinen Blick vom Papier, bei dem ich mich gerade so sehr in Rage geschrieben hatte. Wer, beim Orm, sprach da gerade? Wer sprach da so abfällig über mein jüngstes, unschuldigstes Werk?!
Verwirrt blinzelte ich durch meinen Monokel zum Fenster hinaus, das wegen der erfrischenden Sommerluft weitgeöffnet war. Doch außer dem wild vor sich hin wuchernden Gemüsegarten konnte ich nichts und niemanden sehen, der so etwas abstoßendes zu sagen hätte.
Was ich mir nur wieder eingebildet hatte! Langsam müsste ich mal zum Kopfdoktor gehen; konnte es etwa sein, dass ich Hirnverzagen bekam? Prüfend fasste ich mir an meinen Schädel.
„Weiter unten, du Hohlkopf“, sagte die Stimme von eben auffordernd. „Und keine Sorge, du bist mitnichten Hirnkrank.“ Den letzten Satz sagte sie eher kichernd.
Dieses Mal wurde mir bewusst, wie nah die Stimme doch klang! Als würde dieser Jemand direkt vor mir auf dem Fenstersims sitzen!
Ungläubig und auch ein wenig verunsichert senkte ich meinen Blick wieder und erkannte dabei den Obstkorb, der vor mir auf dem Schreibtisch stand, direkt zwischen einem Krug voller Federkiele und ein paar Recherchewerken. Extra für mein neuestes Buch hatte ich mir zur Veranschaulichung ein paar Obstsorten gekauft und vor mich auf den Tisch gestellt. Wie immer war ich ja der Meinung, dass das das Schreiben erleichterte.
Jetzt jedoch starrte ich mit aufgeklapptem Maul und wahrscheinlich wenig intelligentem Blick auf die Ansammlung von Früchten in dem kleinen Weidenkorb vor mir; aber da war niemand zu sehen, nur ein paar Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Erdbeeren, eine kleine Melone und eine Ananas.
Angestrengt kniff ich meine Augen zusammen, ehe ich, wütend über mich selbst, energisch den Kopf schüttelte. Was ich nur wieder gedacht hatte, so ein Schwachsinn!
Offensichtlich war das nur eine Nebenwirkung meines Ormrausches. Hatte ich mir beim Schreiben der „Finsterbergmade“ nicht etwa kleine Zwerge eingebildet, die mit winzigen Stöcken bewaffnet und niedlich schreiend über mein Papier gehüpft sind, das Finsterberggewitter imitierend?
Das Leid der Künstler! Wahrscheinlich bildete ich mir eben jetzt Stimmen aus dem Obstkorb ein!
„Ich verbitte mir diesen beleidigenden Begriff! Ich bin mitnichten eine Einbildung!“ Die Stimme klang sehr empört, und dieses Mal erschrak ich ob der plötzlich lauten Stimme so sehr, dass mir der Monokel von der Schnauze fiel und ich einen großen, unansehnlichen Tintenfleck auf meinem Pergament hinterließ.
„Oh, das tut mir aber sehr leid“, sagte die Stimme sarkastisch und, glücklicherweise, wieder etwas ruhiger. „Wenigstens erstickst du nicht an einem Sahneküchlein, wie letztes Mal.“
Nun stierte ich mit völlig paranoidem Blick in den Obstkorb, erwartete irgendeinen Zwerg, der zwischen den Früchten hervorkrabbelte und sich als den vorlauten und lästigen Eindringling zu erkennen gab, der er war.
Mit heiserer Stimme fragte ich schließlich: „W-Woher weißt du das?“
Dass da überhaupt irgendwer über mein peinlichstes Erlebnis und meinen absoluten Tiefpunkt meiner Karriere Bescheid wusste, war absolut verstörend und beängstigend für mich. Was würden denn die Verlage von mir denken, wenn das publik werden würde? Von den Literaturkritikern ganz zu schweigen!
Die Stimme kicherte auf meine Frage jedoch nur belustigt. „Ich war leider nicht dabei, mein Guter. Aber das muss ein Anblick gewesen sein! Als mein Vetter dritten Grades davon erzählte – der hatte nämlich das Glück, damals bei dir in der Küche zu stehen – dass du beinahe an einem Sahneteilchen krepiert wärst, haben wir uns alle köstlich amüsiert! Das muss sehr erheiternd gewesen sein…“
„Was erzählst du da`“, krächzte ich panisch. „Wer hat das erzählt? Und überhaupt…“, ich schnappte entsetzt nach Luft, „wer spricht denn da eigentlich?“
Langsam kam ich mir selbst ziemlich übergeschnappt vor. Redete da mit Stimmen in der Luft! Hoffentlich ergeht es mir nun nicht auch so wie Perla La Gadeon! Gestorben am eigenen Ormrausch!
„Verzeih mir meine Unhöflichkeit“, entgegnete nun die Stimme nachsichtig, „aber es war geradezu verlockend, dich aufzuziehen! Seit ich nämlich hier bin, habe ich nicht sehr viel zu lachen.“
Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. „Schon gut…“, grummelte ich schließlich, obwohl ich eigentlich nicht in versöhnlicher Stimmung war. Unsicher fuhr ich fort: „Und wer… wer ist denn nun mein geschätzter Gast?“
„Na, ich natürlich!“, rief die Stimme mit vor Selbstbewusstsein strotzender Stimme. „Die Ananas!“
Sofort schoss mein Blick auf die stachelige, große Frucht, die sich jedoch kein bisschen bewegte. Das war doch wohl ein übler Scherz! Eine Ananas und sprechen?
„Was?“, sagte ich dümmlich und sprach das aus, was ich gerade eben gedacht hatte. „Eine Ananas kann nicht sprechen!“
Anstatt wieder beleidigt zu wirken, sagte die… Ananas in entschuldigendem Ton: „Verzeih, ich glaube, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt. Ich bin keine gewöhnliche Ananas“, ihre Stimme nahm einen stolzen Ton an, „sondern eine besondere Ananas! Eine Sanana!“
Ich schnaufte überfordert und glaubte nun tatsächlich, total verrückt zu sein. „So ein Blödsinn.“
Die Ananas stöhnte beleidigt. „Das ist kein Blödsinn! Sananas können sehr wohl sprechen, das macht sie ja so besonders unter der Gattung der Ananas. Wusstest du eigentlich, dass die Mehrzahl von Sanana ein Palindrom ist?“ Die Ananas gluckste belustigt.
„Nein, das wusste ich nicht…“ Sicherheitshalber rutschte ich mit meinem Stuhl ein Stück vom Schreibtisch zurück. „Ich weiß nur, dass Obst normalerweise nicht sprechen sollte.“
Die Ananas wirkte nun ziemlich verstimmt. „He, in deinem neuen… - ich weigere mich, es auszusprechen - sogenannten Meisterwerk kann doch auch Obst reden! Mag sein, dass einige von uns sich ziemlich geehrt fühlen, dass jemand unsere Fähigkeiten zu erkennen und zu verbreiten vermag, aber… ich halte es angesichts dieses, verzeih meine klaren Worte, wie die meisten von uns: Dieser erbärmliche Text ist fast schon eine Beleidigung für uns Früchte, das wir nun beschlossen haben, dich auf diesen furchtbaren Fehler hinzuweisen.“
Entsetzt und wütend klappte ich mein Maul wieder auf. „Wie bitte?!“
Mit versöhnlichem und auch leicht bedauerlichem Ton fuhr die Ananas fort: „Du hast leider mitnichten einen Ormrausch, mein Lieber. Du bist lediglich zu sehr von dir selbst überzeugt. Ich halte es für meine Pflicht, dich vor deinem eigenen Untergang zu bewahren.“ Sie machte eine kurze Pause, während der ich empört nach Luft schnappen konnte, ehe sie hinzufügte: „Dein Text hat so viel mit einem Meisterwerk gemeinsam wie ein Gesetz zur Steuererhöhung. Mit Verlaub… dieser Text hat höchstens einen Wert für den Friedhof der Vergessenen Dichter.“
Das war so unerhört, dass ich wütend von meinem Stuhl aufsprang und die Ananas gefährlich anfunkelte. „Nun verbitte ich mir diese Beleidigung! Mein Werk ist so perfekt und rein wie eine Novelle von Gofid Letterkerl! Wenn nicht sogar besser!“
Abfällig musterte ich die Ananas, die noch immer keine Regung zeigte. „Und ausgerechnet du maßt dich an, darüber zu urteilen? Du hast keine Ahnung von solchen Dingen. Und überhaupt, woher willst du von dem Inhalt meines Romans wissen? Du kannst doch nicht mal lesen!“
Die Ananas seufzte. „Du sprichst sehr gerne mit dir selbst.“ Sie sagte dies vollkommen ernst und in einem Ton, als wäre damit alles gesagt.
Das hätte ich nicht erwartet. Es stimmte, oft las ich mir selbst meine frisch geschriebenen Sätze vor, um mich an deren Sinnhaftigkeit und Herrlichkeit selbst zu erfreuen; um laut singend durch mein Schreibzimmer zu tanzen und dem Zauber meiner eigenen Worte vollends zu erliegen.
Nie hätte ich gedacht, dass dabei ein ungebetener Beobachter all das mitbekommen hätte!
Ich verstummte daraufhin und ließ mich peinlich berührt zurück auf den Stuhl fallen.
„Na siehst du“, schnaufte die Ananas. „Ich habe meine Quellen.“
Immer noch verlegen fragte ich unsicher: „Aber… entschuldige meine Worte, wie kannst du denn wissen, was gute Literatur und was schlechte ist?“
„Wenn du wüsstest! Ich habe schon bei so großen Schriftstellern wie Ojahonn Golgo van Fontheweg im Obstkorb gelegen! Ah!“, die Ananas seufzte ergriffen, „wenn er hin und wieder seine herrlichen Gedichte rezitiert hat… du hättest es hören sollen! Eine herrliche Stimme hatte er, dieser van Fontheweg!“
„Ojahonn Golgo van Fontheweg? Der ist doch schon seit mehreren Jahrhunderten tot… und du…“ Zweifelnd musterte ich die Ananas, und völlig verwirrt fuhr ich fort: „Eine so… frische und jugendliche… Frucht wie du es bist…“
Wie ein kleiner Schuljunge begann die Ananas zu kichern. „Oh, du schmeichelst mir! Dass du doch noch so etwas wie Manieren hast…“
Ungerührt und etwas steif saß ich auf meinem Stuhl und wartete geduldig ab, bis sich das Gekicher der Ananas gelegt hatte. Schließlich sagte diese in erklärendem Ton: „Nun ja, das ist etwas kompliziert zu erklären… Jedenfalls ist es so, dass ich schon, lass mal sehen… an die tausend Jahre alt bin.“
„Hä?“, stieß ich wenig intelligent aus und glotzte wie blöde die Ananas an. „Tausend Jahre… wie geht denn das?“
„Lass mich doch ausreden! Es ist so, dass eine Sanana nach ihrem Verfall – üblicherweise durch Verfaulen oder viel öfter durch Verspeisen –„
„Das klingt ja furchtbar!“ Entsetzt stellte ich mir vor, wie es wäre, bei lebendigem Leib gegessen zu werden.
„Ist nicht sehr angenehm, das gebe ich zu“, sagte die Ananas ungerührt. „Aber man gewöhnt sich dran. Jedenfalls, wo war ich?
Eine Sanana ist wie ein frei lebender Geist; sie wird in die nächste Ananas hineingeboren, um dann wieder von neuem auf der Welt zu leben, solange, bis sie wieder nach dem natürlichen Lauf der Natur verrottet oder in einem Obstkorb landet – wie deinem.“
„Oder von Ojahonn Golgo van Fontheweg“, murmelte ich völlig perplex. Das war ja verrückt! Eine solch detaillierte Einbildung hatte ich noch nie gehabt.
Die Ananas seufzte genervt. „Hatten wir das nicht schon? Ich bin keine Einbildung, du ignoranter Lurch! Das habe ich dir doch gerade lang und breit erklärt!“
„Scheint so, als ob ich hier der einzige mit Manieren bin“, knurrte ich gefährlich. „Ich lese nämlich nicht die Gedanken von anderen Leuten und beleidige sie aufs Geratewohl!“
Die Ananas schien kein bisschen Einsicht zu zeigen. „Ach ja? Du begreifst einfach nicht, dass du zu sehr zu Selbstüberzeugung und Egoismus neigst! Ich versuche nett zu sein und dich vor der Veröffentlichung dieses… dieses… Dings zu warnen, und du? Schlägst alle Warnungen in den Wind, stellst dich absichtlich taub und verteidigst auch noch - ich bitte nicht mehr um Verzeihung – dieses erbärmliche, beleidigende Werk –„
„Sei still!“, schrie ich jetzt wütend und sprang erneut von meinem Stuhl auf. „Ich lasse mir solche abstoßenden Verleumdungen nicht in meinem Haus sagen!“
Ich packte mit meiner Klaue die Ananas und zog sie so wütend aus dem Obstkorb hervor, dass das restliche Obst über meinen Schreibtisch kugelte. Obwohl die stachelige Schale in meine empfindliche Haut pikste, ließ ich nicht los.
Nun gab die Ananas einen ängstlichen Schrei von sich. „Was tust du da?!“, kreischte sie, doch ich marschierte energisch und Taub für die Verwünschungen der Ananas in meine Küche, knallte sie auf ein Schneidebrett und zog mein größtes, schärfstes Messer hervor.
Gefährlich und fies grinsend trat ich auf die Ananas zu, die noch lauter schrie vor Angst.
„Mach jetzt nichts unüberlegtes!“, stieß sie atemlos hervor und wimmerte trotzdem ängstlich vor sich hin. „Wir sind doch kultivierte Leute… wir können doch miteinander reden…“
Ich hob meine Klaue und schnitt der Ananas damit das Wort ab. „Irrtum, mein Lieber. Ich bin kultiviert genug, um zu erkennen, wann mir mein Gehirn einen Streich spielt. Du bist nichts als eine Einbildung - eine ziemlich überzeugende, das gebe ich zu – und ich habe nun einfach genug von deinem vorlauten, dummen Geschwätz!“
Ich beugte mich gemein grinsend vor und flüsterte schlussendlich: „Eines halte ich dir aber zugute: Du hast es geschafft, meine Raubtierinstinkte hervorzulocken. Und das wird dir in deinem nächsten Leben hoffentlich eine Lehre sein: Niemand legt sich mit Hildegunst von Mythenmetz an!“
Und dann, unter dem tosenden Geschrei der Ananas und meinem wütenden Brüllen hackte ich wahllos auf die Frucht ein, dass deren Saft regelrecht durch den Raum spritzte. Mit einem irren Lachen zerstückelte ich die Ananas regelrecht, bis diese irgendwann keinen Laut mehr von sich gab. Und ich hielt triumphierend die zermantschten, vor Saft triefenden Überreste der Ananas in die Luft.

Mit einem entsetzten Schnaufen schreckte ich von meinem harten Schreibtisch auf. Was für ein furchtbarer Traum! Für einen kurzen Moment war ich mir sogar unsicher, ob das überhaupt ein Traum gewesen war.
Ich richtete mich auf meinem Stuhl auf und stöhnte schmerzerfüllt auf, weil in meinem Kopf ein so heftiger Kopfschmerz hauste, dass mir beinah wieder schwarz vor Augen wurde.
Mit zittrigen Fingern nahm ich meinen Monokel von einem Stapel Bücher und klemmte ihn mir auf die Nase, ehe ich orientierungslos meinen Schreibtisch in Augenschein nahm.
Alles lag wild durcheinander, fast so, als ob ich im Schlaf um mich geschlagen hatte. Die Federkiele lagen zerzaust und geknickt neben dem zerbrochenen Krug, ein paar Bücher waren auf den Boden gefallen. Aus ein paar Tintenfässern lief noch der letzte Tropfen Tinte aus und ergoss sich über eingerissenem Pergament, Schreibtisch und Fußboden. Nur der Obstkorb; der Obstkorb stand noch genauso da wie zuvor, die Früchte darin unschuldig und unberührt von meinem Alptraum.
Wütend starrte ich die Ananas an, und schließlich lachte ich heiser. „Nicht mehr so lustig auf der Verliererseite, was?“
Ich erwartete keine Antwort, sondern machte mich stattdessen stillschweigend daran, meinen Schreibtisch wieder zu ordnen. Dabei fiel mir mein fast fertig geschriebenes, neues Buch in die Hände.
Unsicher wog ich die Blätter voll dicht beschriebenem Pergament in den Händen. Innerhalb von wenigen Nächten hatte ich das geschrieben. Mir war klar, dass ich kurz nach Fertigstellung schon einmal meine Werke ungelesen zum Drucken gab. Und nie war eine eingehende Korrekturlesung von Nöten, das war auch meinem Verleger klar.
Ich erinnerte mich an meinen literarischen Tiefpunkt, damals, vor zehn Jahren… und an den Traum von gerade eben. Sollte ich es wirklich noch einmal wagen, ein Buch so unkorrigiert wie dieses in Druck zu geben?
Zögernd begann ich, die ersten Zeilen zu lesen. Und schon nach kurzer Zeit wurde mir klar, was für einen schrecklichen Fehler ich beinahe gemacht hätte. Fast unablässig stöhnte ich wie unter Qualen unablässig auf, wimmerte vor Selbstmitleid vor mich hin und wagte es irgendwann sogar nicht mehr, eine weitere Zeile zu lesen.
Das war das schrecklichste, was ich bisher gelesen hatte! So etwas hatte ich geschrieben? Ich, Hildegunst von Mythenmetz, Träger des Valtrosemordens, Größter lebender Schriftsteller ganz Zamoniens? Ich war schockiert.
Schwer atmend legte ich das Bündel weg und blinzelte völlig geschafft in die Leere.
So etwas hatte ich nicht erwartet. Hatte ich mich tatsächlich zu sehr auf einem Höhenflug befunden, dass ich diesen Schund als Meisterwerk betrachtete? Offenbar hatte mein Unterbewusstsein mich vor diesem fürchterlichen Fehler bewahrt. In Form einer sprechenden Frucht…
Das ich überhaupt in der Lage war, so etwas vollkommen abwegiges zu träumen – andererseits hatte ich auch schon anderes, vollkommen verrücktes geschrieben – machte mir sogar etwas Angst und ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Es wäre wohl wirklich nicht schlecht, wenn ich mich etwas zurückzunehmen würde!
Mein Blick fiel zurück auf mein neuestes Produkt schriftstellerischer Arbeit. Es wäre wirklich grauenvoll, sollte das jemand zu Gesicht bekommen! Also griff ich angeekelt nach dem Stapel Papier, ging schnurstracks zum Kamin und warf das Pergamentbündel ohne zu zögern ins Feuer. Dann erst atmete ich erleichtert auf.
Nicht auszudenken, was passieren würde, hätte ich es tatsächlich veröffentlicht! Diese gierigen, blutsaugenden Literaturkritiker hätten sich vor Freude die Finger geleckt, weil sie endlich etwas hätten, mit dem sie mich in der Luft zerreißen könnten! Allein schon der Gedanke an Laptantidel Latudas höhnische Worte…
Mein Rachen fühlte sich mit einem Mal staubtrocken an, und ich rieb mir mit unangenehmem Gefühl den Hals. Durst. Ich hatte fürchterlichen Durst.
Zurück am Schreibtisch griff ich nach dem Glas mit Reblausitzer Wein und stürzte ihn in einem Zug herunter. Dabei glitt mein Blick zu dem Obstkorb hinüber.
Irgendwie hatte ich jetzt auf einmal großen Appetit auf Obstsalat.
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