I'll Try To Make It Right
von Frozen Fire
Kurzbeschreibung
Und er war es, der wusste, dass all diese Sachen wahr waren, und der sich ändern wollte, aber nicht bereit war, etwas dafür zu opfern. | Fortsetzung zu "I Won't Wait Forever"
OneshotSchmerz/Trost, Liebesgeschichte / P6 / MaleSlash
Jake Riles
Sam Conte
15.03.2018
15.03.2018
1
3.226
Alle Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
15.03.2018
3.226
Teil 1: I Won't Wait Forever
Weißt du, Sam, eines Tages wirst du nach Hause kommen und ich werde nicht hier sein und auf dich warten.
Jakes Worte waren nicht sehr laut gewesen, doch jetzt dröhnten sie in seinem Kopf wie der Bass auf dem Konzert, das er einmal mit seinen Brüdern besucht hatte. Er war erst zwölf gewesen, aber er hatte so cool sein wollen wie Vince und Pete und mit vielen Versprechen seine Mom überreden können, sie begleiten zu dürfen. Die laute Musik hatte seinen Kopf ganz schwummrig gemacht und seine Gedanken durcheinander gewirbelt. Aber er hatte sich toll gefühlt, war erfüllt gewesen von Freude und Adrenalin, hatte den Beat gespürt, der statt Blut durch seinen Köper gepumpt worden zu sein schien.
Ich werde nicht hier sein und auf dich warten.
Jetzt spürte er keine Freude. Wie vom Blitz getroffen stand er da, starrte auf die Stelle, an der Jake bis eben noch gestanden hatte, während die Worte von den Wänden widerhallten, flüsterten und ihn anschrien, sich wie ein Echo in vielen hunderten Stimmen zu wiederholen schienen.
Weißt du, Sam …
Es war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Sie drangen auf ihn ein, erdrückten ihn, nahmen ihm den Atem. Und er konnte nichts tun, als da zu stehen und sie immer und immer wieder zu hören. Mit jeder Wiederholung schienen sie giftiger, abwertender. Es war wie Spott, wie Hohn. Als versteckte sich unter der Traurigkeit, der Enttäuschung in Jakes Worten eine hämische Stimme, die sich darüber lustig machte, dass er es nun endgültig vermasselt hatte.
Er hielt es hier nicht länger aus. Er musste raus, weg aus dieser Wohnung, fort von allem, was Jake war, bevor er ersticken würde, bevor die Worte ihn zerreißen würden, ihn verbrennen würden, von innen heraus.
Sam spürte den Wind auf seinem Gesicht, fühlte wie er ihm durch die Haare fuhr und sie durcheinander brachte, wie er sein Shirt aufplusterte. Er hörte die Rollen unter seinen Füßen über das Pflaster rattern, nahm jeden Riss im Boden wahr. Er jagte die Straße entlang, hatte keine Acht auf die Menschen um sich herum.
Er hatte kein bestimmtes Ziel. Einfach weg, in Bewegung sein. Er raste durch die Fußgängerzone und über die Straße, obwohl die Ampel bereits auf Rot umgesprungen war. Hinter ihm ertönten empörte Rufe, aber Sam blieb nicht stehen, drehte sich nicht um. Sein Fuß stieß sich kräftig vom Boden ab, beschleunigte ihn weiter, immer schneller. Nur nicht anhalten. Denn wenn er stoppen würde, würde die Schuld ihn einholen und er wusste, dass er dann nicht die Kraft haben würde, weiter zu gehen. Aber er wusste auch, dass er nicht ewig so weiter machen konnte. Er konnte nicht für immer davon laufen, irgendwann musste er anhalten und sich dem stellen, was passiert war. Irgendwann musste er zurück gehen, musste Jake begegnen.
Jake.
Er spürte den harten Stein, den Schmerz, der wie ein Blitz sein Bein hinauf zuckte. Er sah sein Skateboard ein paar Meter weiter gegen eine Bank fahren. Es war, als würden tausend Nadeln in seinen Händen stecken und er war sich sicher, gehört zu haben, wie der Stoff seiner Jeans gerissen war. Sein Gehirn registrierte das alles, aber trotzdem reagierte er nicht darauf. Er kauerte dort auf dem verlassenen Gehweg in einem wenig besuchten Teil der Stadt und starrte auf den schwarzen Teer vor sich. Was hatte er getan?
Vor seinem geistigen Auge sah er Jakes wütenden Gesichtsausdruck. Aber nein, Sam wünschte sich, Jake wäre wütend gewesen. Er blinzelte und dann sah er die Wahrheit. Da war keine Wut, sondern nur Enttäuschung und Verletzlichkeit. Und dann war sie da.
Die Schuld hatte ihn eingeholt und stürzte sich jetzt auf ihn. Sam konnte nicht mehr atmen. Tränen stiegen ihm in die Augen und verwischten seine Sicht. Wie hatte er Jake das antun können?
Bilder überfluteten seinen Geist und eine kalte Hand schloss sich um sein Herz. Er sah sich selbst, mit ein paar Freunden auf dem Skateplatz. Einer hielt eine Kamera, während die anderen ihm zu jubelten. Er fuhr die Straße hinunter, ein fröhliches Lachen auf dem Gesicht. Er saß mit ein paar Jungs in einer Bar, sie redeten über sein neues Video. Er führte einen Trick auf seinem Skateboard vor und korrigierte ein Mädchen, das versuchte ihn nachzuahmen. All das waren Momente, in denen er glücklich gewesen war. Aber jetzt sah er auch Jake, wie er zuhause auf der Couch saß, die Pizza im Ofen. Er sah Jake, alleine im Auto, auf dem Weg zu seiner Mum. Er sah Jake in der Küche stehen, seine Lieblingscookies backend, wie er seine Lieblingssnacks kaufte und in einen Korb packte.
Der Griff um sein Herz wurde enger, seine Hand krallte sich in sein Shirt und er presste sich die Faust an die Brust, krümmte sich zusammen. Wenn es ihn so sehr schmerzte, wenn er das Gefühl hatte zu zerreißen, bei dem bloßen Gedanken daran, wie er Jake enttäuscht hatte, ihn im Stich gelassen hatte, immer und immer wieder – wie erst musste Jake sich gefühlt haben?
Und auf einmal fiel sein Blick auf sein Skateboard. Wenn er nicht skaten gewesen wäre, hätte er seinen freien Abend mit Jake verbracht. Hätte er das Video nicht gedreht, wären sie zusammen ins Kino gegangen. Er wäre mit Jake zu seiner Mom gefahren. Er hatte Jake vergessen, weil er skaten gewesen war, weil ihm sein Ruf und seine Beliebtheit mehr bedeutet hatten, als die eine Person, für die das alles nicht wichtig war.
Sam starrte das Board an, wie es dort unter der Bank stand, und fühlte Hass in sich aufsteigen. Er hatte das Skaten immer geliebt. Seit er das Foto seiner Mom gesehen hatte, auf dem sie die Juniorsurfmeisterschaft gewonnen hatte, hatte er sie angefleht, ihm ein Surfbrett zu kaufen. Seine Mom war immer sein Vorbild gewesen, er hatte genauso sein wollen wie sie. Aber sie hatte gelacht und ihn gefragt, wo er denn in Bremin surfen gehen wollte. Trotzdem hatte Sam nicht locker gelassen und so hatten ihm seine Eltern zum nächsten Geburtstag ein Skateboard geschenkt. Zwar hatte er über die Jahre hinweg viele verschiedene Boards gehabt, aber dieses erste, mit dem alles angefangen hatte, hing immer noch in seinem Zimmer im Haus seiner Eltern an der Wand. Und obwohl es Momente gegeben hatte, in denen er sein Skateboard verflucht hatte, in denen er es am liebsten verbrannt hätte, weil der neue Stunt einfach zu schwierig war und Sam sich sicher war, dass er ihn nie meistern würde, war es immer sein bester Freund gewesen.
Doch in diesem Augenblick sah er das Holz, das so stabil war und ihn nie fallen ließ, betrachtete die Räder, die ihn über alle Hindernisse getragen hatten, und verabscheute nichts anderes in seinem Leben so sehr. Und er wusste, dass es unsinnig war. Das Skateboard hatte nichts getan, es war seine eigene Schuld. Denn er war es, der bewundert werden wollte. Er war es, der die Aufmerksamkeit für selbstverständlich nahm. Er war es, der sich selbst für wichtig hielt, wichtiger als so vieles andere. Er war es, der Dinge versprach, aber sie nicht hielt, weil seine Aufmerksamkeit viel zu schnell umher sprang, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um andere zu bemerken. Er war es, der immer seiner nächsten Laune folgte, ohne über die Folgen nachzudenken. Und er war es, der wusste, dass all diese Sachen wahr waren, und der sich ändern wollte, aber nicht bereit war, etwas dafür zu opfern.
Sam wusste, dass er alleine daran schuld war, dass Jake diese Worte gesagt hatte. Aber es war so viel einfacher, das Skateboard zu hassen, ihm die Schuld daran zu geben, dass er vielleicht nie wieder Jakes Lachen hören würde, nie wieder seine Neckereien über sich würde ergehen lassen müssen, nie wieder das Blitzen in Jakes Augen sehen würde, wenn er mit ihm schimpfte, ihm aber ihn Wahrheit gar nicht böse war, nie wieder abends mit ihm vor dem Fernseher kuscheln würde, nie wieder in seine grauen Augen blicken würde, wenn er morgens aufwachte. Allein der Gedanke an ein Leben ohne Jake löste Panik in ihm aus.
Und da fasste er einen Entschluss. Er würde es wieder gutmachen. All den Schmerz, die Enttäuschung, die Jake seinetwegen durch litten hatte. Egal, was es kosten würde. Er konnte Jake nicht verlieren und er würde alles geben, um ihm zu zeigen, wie Leid es ihm tat.
Mit entschlossener Miene stand Sam auf. Ein stechender Schmerz zuckte durch sein Bein und er sog scharf die Luft ein. Zum ersten Mal, seit er gestürzt war, betrachtete er seine aufgeschürften Handflächen, das Loch in der Hose, die geschundenen Knie. Sam dachte an den Helm, den er bei seinen überstürzten Aufbruch zuhause hatte liegen lassen. Er hatte Glück gehabt, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. Vorsichtig puhlte er die kleinen Steinchen aus der Wunde, ignorierte den erneuten Schmerz, der wie Feuer unter seiner Haut brannte. Er hatte es verdient. Dann schnappte er sich sein Skateboard. Das Gefühl des Glücks, der Freiheit war verschwunden, als er die Straße zurück fuhr, und er konnte es kaum ertragen, das vertraute Stück Holz unter seinen Füßen zu spüren, zu wissen, wie es auf die kleinste Bewegung reagieren würde. Aber es war der schnellste Weg nach Hause, Geld für die Bahn oder den Bus hatte er nicht dabei.
Zuhause. Sam schluckte bei dem Gedanken daran, was ihn dort erwarten würde.
„Verdammt!“
Hastig schaltete Sam den Ofen aus und riss die Tür auf. Qualm schlug ihm entgegen, füllte seinen Mund aus und ließ ihn husten. Schnell öffnete er ein Fenster und wedelte mit einem Geschirrtuch, in dem schwachen Versuch, den Rauch und den Geruch nach Verbranntem aus der Küche zu schaffen. Als er sich so weit verzogen hatte, dass Sam in den Ofen hinein sehen konnte, sank sein Herz. Jede Hoffnung, dass er das Essen, welches sich darin befand, noch würde retten können, verpuffte bei dem Anblick des schwarzverkohlten Etwas, dass sich in der Schüssel befand. Sam griff nach den Topflappen und holte die Form vorsichtig heraus. Einen Augenblick sah er auf den ungenießbaren Inhalt darin, dann seufzte er frustriert und kippte ihn in den Mülleimer. Wenigstens hatte er noch –
Ein Blubbern ließ ihn herum fahren. Entsetzt starrte er den Topf auf dem Herd an, in dem es viel zu sehr schäumte. Diese kurze Schrecksekunde reichte aus, um den Inhalt überlaufen zu lassen. Als Sam endlich reagierte, konnte er gerade noch verhindern, dass etwas auf den Boden tropfte. Er schaltete die Herdplatte aus und schob den Topf zur Seite. Nervös wartete er darauf, dass er Schaum zurück ging, dann spähte er vorsichtig hinein.
Es sah gar nicht so schlecht aus. Probehalber kostete er einen Löffel voll – und verzog das Gesicht. Das konnten sie unmöglich essen. Schweren Herzens schüttete er auch den Inhalt des Topfes weg, dann stand er in der Küche und sah sich verzweifelt um. Was sollte er jetzt tun? Er musste nicht den Kühlschrank öffnen, um zu wissen, dass er darin nichts finden würde. Er selbst war heute Nachmittag einkaufen gewesen und er hatte nur das besorgt, was er für das Gericht, das er hatte kochen wollen, benötigte. Das Gericht, welches nun im Abfall lag.
Sam ließ sich auf einen Stuhl am Tisch sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen. Noch auf dem Nachhauseweg nach seinem Sturz mit dem Skateboard hatte er fieberhaft überlegt, was er tun könnte, um sich bei Jake zu entschuldigen und ihm zu beweisen, dass es nie wieder vorkommen würde. Dass er ihn nie wieder vergessen würde.
Der Gedanken an den Blonden stach ihm wie jedes Mal in den vergangenen Tagen ins Herz. Jake war nicht zuhause gewesen, als Sam zurück gekommen war. Und er war auch an diesem Abend nicht mehr aufgetaucht. Am Frühstückstisch waren sie sich das nächste Mal begegnet. Jake hatte versucht, sich normal zu verhalten, so zu tun, als wäre nichts passiert. Er hatte Sam gefragt, was er heute vorhabe, hatte die Nachrichten gelesen, wie jeden Morgen.
Aber Sam kannte Jake. Er kannte ihn zu gut, um zu wissen, dass er sich nicht normal verhielt. Jake war zurückhaltender, wo er sonst eine Bemerkung einwarf, schwieg er nun. Auch lachte er weniger und das Lächeln, das sonst immer auf seinen Lippen zu liegen schien, wenn er mit Sam sprach, war auch nicht mehr da. Er bemühte sich, doch Sam bemerkte das Fehlen der sarkastischen Kommentare, das Ausbleiben des Augenrollens – der kleine Unterschied zwischen Belustigung und Genervtheit kam ihm in den Sinn und zog an seinem Herzen. Er wusste nicht, ob Jake noch wütend auf ihn war oder enttäuscht. Er wusste, dass er es verdient hatte, aber es schmerzte, dass sie nicht darüber redeten, dass Jake ihm eine heile Welt vorspielte, wenn er doch genau sah, dass es nicht so war.
Die nächsten Tage waren genau dasselbe. Jake war nicht sichtbar böse auf ihn, er schimpfte nicht, er regte sich nicht auf. Aber er lachte auch nicht oder verbrachte außergewöhnlich viel Zeit mit Sam. Er war einfach neutral. Und das war so viel schlimmer für Sam, als wenn er geschrien hätte. Jake hätte toben können, hätte ihm vorwerfen können, was für ein schlechter Freund er war. Sam wäre damit klar gekommen, wenn Jake ihn ignoriert hätte, wenn er zu seiner Mum gefahren wäre und Abstand von ihm gebraucht hätte. Aber diese Neutralität machte ihn verrückt. Denn er wusste, dass es nicht ewig so sein würde. Jake hatte gesagt, dass er nicht für immer auf ihn warten würde, und Sam hatte nicht vor, das auch nur einmal noch geschehen zu lassen. Doch er war sich bewusst, dass mehr nötig war. Er musste sich entschuldigen, mehr als das. Und zwar schnell, sonst würde es sie beide zerbrechen. Und so hatte er begonnen, den Plan, der sich auf dem Nachhause weg an jenem Abend in seinem Kopf gebildet hatte, in die Tat um zusetzten.
Doch jetzt saß er hier, in einer Küche, die immer noch schwach nach Verbranntem roch, und wusste nicht weiter. Jeden Augenblick würde Jake durch die Türe kommen, das Footballtrainig hatte vor ein paar Minuten aufgehört. Er würde nichts Ungewöhnliches bemerken, wusste er ja nicht, dass Sam etwas Besonderes geplant hatte. Aber Sam hatte das nagende Gefühl, dass es heute sein musste, dass alles kaputt gehen würde, wenn er auch nur einen Tag länger warten würde. Er hatte es sowieso schon zu lange hinaus gezögert. Doch was sollte er tun?
Er hatte ein Essen geplant, etwas aufwendiges, wie sie es sonst nur selten zuhause aßen. Aber das offene Fenster war Beweis für sein Versagen. Er hatte sogar singen wollen. Er war extra zu Felix gefahren und hatte ihn angefleht, ihm bei zubringen, wie man Gitarre spielte. Es hatte sich heraus gestellt, dass Sam sogar ein gewisses Talent für das Instrument besaß. Doch egal wie viele verschiedene Lieder sie versuchten und wie viele Tipps Felix ihm gab – Sam konnte für sein Leben nicht singen. So blieb ihm von seinem ursprünglichen Vorhaben nur das Skateboard. Es lehnte an seinem üblichen Platz neben der Tür, der Helm lag daneben auf dem Boden. Aber Sam hatte nicht vor, es weiter dort stehen zu lassen. Er wollte es Jake geben. Damit das Skaten nicht mehr wichtiger sein konnte als er.
Sam stand auf und schloss das Fenster. Wenn Jake herein kommen würde, würde er ihm keine Zeit lassen, der Situation auszuweichen. Er würde ihm sein Skateboard geben und sagen, dass es ihm Leid tat. Er wusste nicht, ob es reichen würde. Wieder dachte er an das Essen, das hinter ihm im Mülleimer vergammelte. Er seufzte. Dann hatte er eine Idee. Es war nicht viel und Jake hatte so viel mehr verdient, aber es war das Einzige, das er jetzt auf die Schnelle noch machen konnte.
Als Jake ein paar Minuten später die Tür hinter sich schloss, wartete Sam in der Küche auf ihn. Er stand neben dem Tisch, sein Skateboard in der Hand und kaute nervös auf seiner Unterlippe. Jakes Blick fiel auf das Sandwich, das auf dem Tisch stand. Es war sein Lieblingssandwich, die wenigen Zutaten dafür waren alles, was Sam in der Küche noch hatte finden können.
„Ich weiß, es ist nicht viel“, fing Sam an und Jake sah auf, „und ich hatte etwas viel besseres geplant. Ich wollte dir ein richtiges Essen kochen, aber noch nicht einmal das bekomme ich hin, was?“ Er lachte bitter auf und fuhr sich durch die Haare. Dann schluckte er und sah Jake reuevoll an. „Es tut mir Leid, Jake. Ich weiß, dass ich ein Idiot war und dass es nichts gibt, was es wirklich wieder gut machen könnte. Aber ich verspreche dir, dass es nie wieder passieren wird. Du bist mir viel zu wichtig! Du –“ Sam merkte, wie seine Augen feucht wurden, und er atmete tief durch. „Hier.“ Er drückte einem überraschten Jake sein Skateboard in die Hand. „Nach dem, was passiert ist … ich kann verstehen, wenn du mir nicht vertraust, wenn ich dir verspreche, dass ich in Zukunft besser sein werde. Ich habe das Skaten dir vorgezogen und das ist etwas, was nie hätte passieren dürfen. Aber wenn du darauf aufpasst … Dann habe ich nicht mehr die Möglichkeit, dich zu vernachlässigen und du kannst auch sicher sein. Es tut mir nämlich wirklich Leid, Jake, ich kann dir gar nicht sagen wie sehr. Aber ich kann dich nicht … ich …“ Eine Träne löste sich aus Sams Augenwinkel. Jake sah ihn an und Sam sah zurück, versuchte, etwas in den grauen Augen zu erkennen, etwas, das ihn aus dieser Angst befreien würde, das ihm sagen würde, dass er Jake nicht verloren hatte.
Jake legte das Skateboard auf Seite und trat einen Schritt näher heran, so dass er direkt vor Sam stand und dieser leicht nach oben schauen musste, um sein Gesicht zu sehen. Langsam hob er eine Hand und Sam spürte die sanfte Berührung, mit der Jakes Daumen die Träne von seiner Wange wischte.
„Jake, ich –“, begann er wieder, doch Jake unterbrach ihn.
„Du würdest das Skaten für mich aufgeben?“
Sam nickte. „Du bist wichtiger als all die Bewunderung.“
Jake sah ihn an. „Sogar wichtiger, als dein Fanclub aus Zwölfjährigen und die ganzen Mädchen, die deine Haare anhimmeln?“
Für einen Moment wusste Sam nicht, was er sagen sollte. Dann sah er das Grinsen, das an Jakes Mundwinkeln zog, und ein breites Lächeln eroberte sein Gesicht. Statt zu antworten schlang er seine Arme um Jake. Der Größere reagierte zunächst nicht und Sam fragte sich erschrocken, ob er zu weit gegangen war, immerhin hatte Jake seine Entschuldigung noch nicht offiziell angenommen. Aber dann spürte er, wie Jake die Arme hob und sie ebenfalls um ihn legte, und sein Herzschlag beruhigte sich.
„Ich will nicht, dass du wegen mir aufhörst zu skaten“, flüsterte Jake da an sein Ohr. „Es gehört zu dir und ich würde nie wollen, dass du einen Teil von dir aufgibst. Ich will nur nicht, dass du mich vergisst.“
Sam schluckte und ein entschlossener Ausdruck trat in seine Augen. Jake konnte es nicht sehen, aber er spürte es in Sams Umarmung, die unwillkürlich stärker geworden war, voller Entschiedenheit, ein Versprechen, das so viel größer war als alle Worte. Sam wusste, dass Jake ihm noch nicht ganz verziehen hatte. Aber das war in Ordnung. Sie hatten Zeit und sie würden darüber reden, nicht jetzt, aber lange und in aller Ausführlichkeit. Und Sam würde sicher stellen, dass Jake nie wieder Grund haben würde, an ihm zu zweifeln.
„Das werde ich nicht. Versprochen.“
----------
I’ll Try To Make It Right
I’ll Try To Make It Right
Weißt du, Sam, eines Tages wirst du nach Hause kommen und ich werde nicht hier sein und auf dich warten.
Jakes Worte waren nicht sehr laut gewesen, doch jetzt dröhnten sie in seinem Kopf wie der Bass auf dem Konzert, das er einmal mit seinen Brüdern besucht hatte. Er war erst zwölf gewesen, aber er hatte so cool sein wollen wie Vince und Pete und mit vielen Versprechen seine Mom überreden können, sie begleiten zu dürfen. Die laute Musik hatte seinen Kopf ganz schwummrig gemacht und seine Gedanken durcheinander gewirbelt. Aber er hatte sich toll gefühlt, war erfüllt gewesen von Freude und Adrenalin, hatte den Beat gespürt, der statt Blut durch seinen Köper gepumpt worden zu sein schien.
Ich werde nicht hier sein und auf dich warten.
Jetzt spürte er keine Freude. Wie vom Blitz getroffen stand er da, starrte auf die Stelle, an der Jake bis eben noch gestanden hatte, während die Worte von den Wänden widerhallten, flüsterten und ihn anschrien, sich wie ein Echo in vielen hunderten Stimmen zu wiederholen schienen.
Weißt du, Sam …
Es war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Sie drangen auf ihn ein, erdrückten ihn, nahmen ihm den Atem. Und er konnte nichts tun, als da zu stehen und sie immer und immer wieder zu hören. Mit jeder Wiederholung schienen sie giftiger, abwertender. Es war wie Spott, wie Hohn. Als versteckte sich unter der Traurigkeit, der Enttäuschung in Jakes Worten eine hämische Stimme, die sich darüber lustig machte, dass er es nun endgültig vermasselt hatte.
Er hielt es hier nicht länger aus. Er musste raus, weg aus dieser Wohnung, fort von allem, was Jake war, bevor er ersticken würde, bevor die Worte ihn zerreißen würden, ihn verbrennen würden, von innen heraus.
Sam spürte den Wind auf seinem Gesicht, fühlte wie er ihm durch die Haare fuhr und sie durcheinander brachte, wie er sein Shirt aufplusterte. Er hörte die Rollen unter seinen Füßen über das Pflaster rattern, nahm jeden Riss im Boden wahr. Er jagte die Straße entlang, hatte keine Acht auf die Menschen um sich herum.
Er hatte kein bestimmtes Ziel. Einfach weg, in Bewegung sein. Er raste durch die Fußgängerzone und über die Straße, obwohl die Ampel bereits auf Rot umgesprungen war. Hinter ihm ertönten empörte Rufe, aber Sam blieb nicht stehen, drehte sich nicht um. Sein Fuß stieß sich kräftig vom Boden ab, beschleunigte ihn weiter, immer schneller. Nur nicht anhalten. Denn wenn er stoppen würde, würde die Schuld ihn einholen und er wusste, dass er dann nicht die Kraft haben würde, weiter zu gehen. Aber er wusste auch, dass er nicht ewig so weiter machen konnte. Er konnte nicht für immer davon laufen, irgendwann musste er anhalten und sich dem stellen, was passiert war. Irgendwann musste er zurück gehen, musste Jake begegnen.
Jake.
Er spürte den harten Stein, den Schmerz, der wie ein Blitz sein Bein hinauf zuckte. Er sah sein Skateboard ein paar Meter weiter gegen eine Bank fahren. Es war, als würden tausend Nadeln in seinen Händen stecken und er war sich sicher, gehört zu haben, wie der Stoff seiner Jeans gerissen war. Sein Gehirn registrierte das alles, aber trotzdem reagierte er nicht darauf. Er kauerte dort auf dem verlassenen Gehweg in einem wenig besuchten Teil der Stadt und starrte auf den schwarzen Teer vor sich. Was hatte er getan?
Vor seinem geistigen Auge sah er Jakes wütenden Gesichtsausdruck. Aber nein, Sam wünschte sich, Jake wäre wütend gewesen. Er blinzelte und dann sah er die Wahrheit. Da war keine Wut, sondern nur Enttäuschung und Verletzlichkeit. Und dann war sie da.
Die Schuld hatte ihn eingeholt und stürzte sich jetzt auf ihn. Sam konnte nicht mehr atmen. Tränen stiegen ihm in die Augen und verwischten seine Sicht. Wie hatte er Jake das antun können?
Bilder überfluteten seinen Geist und eine kalte Hand schloss sich um sein Herz. Er sah sich selbst, mit ein paar Freunden auf dem Skateplatz. Einer hielt eine Kamera, während die anderen ihm zu jubelten. Er fuhr die Straße hinunter, ein fröhliches Lachen auf dem Gesicht. Er saß mit ein paar Jungs in einer Bar, sie redeten über sein neues Video. Er führte einen Trick auf seinem Skateboard vor und korrigierte ein Mädchen, das versuchte ihn nachzuahmen. All das waren Momente, in denen er glücklich gewesen war. Aber jetzt sah er auch Jake, wie er zuhause auf der Couch saß, die Pizza im Ofen. Er sah Jake, alleine im Auto, auf dem Weg zu seiner Mum. Er sah Jake in der Küche stehen, seine Lieblingscookies backend, wie er seine Lieblingssnacks kaufte und in einen Korb packte.
Der Griff um sein Herz wurde enger, seine Hand krallte sich in sein Shirt und er presste sich die Faust an die Brust, krümmte sich zusammen. Wenn es ihn so sehr schmerzte, wenn er das Gefühl hatte zu zerreißen, bei dem bloßen Gedanken daran, wie er Jake enttäuscht hatte, ihn im Stich gelassen hatte, immer und immer wieder – wie erst musste Jake sich gefühlt haben?
Und auf einmal fiel sein Blick auf sein Skateboard. Wenn er nicht skaten gewesen wäre, hätte er seinen freien Abend mit Jake verbracht. Hätte er das Video nicht gedreht, wären sie zusammen ins Kino gegangen. Er wäre mit Jake zu seiner Mom gefahren. Er hatte Jake vergessen, weil er skaten gewesen war, weil ihm sein Ruf und seine Beliebtheit mehr bedeutet hatten, als die eine Person, für die das alles nicht wichtig war.
Sam starrte das Board an, wie es dort unter der Bank stand, und fühlte Hass in sich aufsteigen. Er hatte das Skaten immer geliebt. Seit er das Foto seiner Mom gesehen hatte, auf dem sie die Juniorsurfmeisterschaft gewonnen hatte, hatte er sie angefleht, ihm ein Surfbrett zu kaufen. Seine Mom war immer sein Vorbild gewesen, er hatte genauso sein wollen wie sie. Aber sie hatte gelacht und ihn gefragt, wo er denn in Bremin surfen gehen wollte. Trotzdem hatte Sam nicht locker gelassen und so hatten ihm seine Eltern zum nächsten Geburtstag ein Skateboard geschenkt. Zwar hatte er über die Jahre hinweg viele verschiedene Boards gehabt, aber dieses erste, mit dem alles angefangen hatte, hing immer noch in seinem Zimmer im Haus seiner Eltern an der Wand. Und obwohl es Momente gegeben hatte, in denen er sein Skateboard verflucht hatte, in denen er es am liebsten verbrannt hätte, weil der neue Stunt einfach zu schwierig war und Sam sich sicher war, dass er ihn nie meistern würde, war es immer sein bester Freund gewesen.
Doch in diesem Augenblick sah er das Holz, das so stabil war und ihn nie fallen ließ, betrachtete die Räder, die ihn über alle Hindernisse getragen hatten, und verabscheute nichts anderes in seinem Leben so sehr. Und er wusste, dass es unsinnig war. Das Skateboard hatte nichts getan, es war seine eigene Schuld. Denn er war es, der bewundert werden wollte. Er war es, der die Aufmerksamkeit für selbstverständlich nahm. Er war es, der sich selbst für wichtig hielt, wichtiger als so vieles andere. Er war es, der Dinge versprach, aber sie nicht hielt, weil seine Aufmerksamkeit viel zu schnell umher sprang, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um andere zu bemerken. Er war es, der immer seiner nächsten Laune folgte, ohne über die Folgen nachzudenken. Und er war es, der wusste, dass all diese Sachen wahr waren, und der sich ändern wollte, aber nicht bereit war, etwas dafür zu opfern.
Sam wusste, dass er alleine daran schuld war, dass Jake diese Worte gesagt hatte. Aber es war so viel einfacher, das Skateboard zu hassen, ihm die Schuld daran zu geben, dass er vielleicht nie wieder Jakes Lachen hören würde, nie wieder seine Neckereien über sich würde ergehen lassen müssen, nie wieder das Blitzen in Jakes Augen sehen würde, wenn er mit ihm schimpfte, ihm aber ihn Wahrheit gar nicht böse war, nie wieder abends mit ihm vor dem Fernseher kuscheln würde, nie wieder in seine grauen Augen blicken würde, wenn er morgens aufwachte. Allein der Gedanke an ein Leben ohne Jake löste Panik in ihm aus.
Und da fasste er einen Entschluss. Er würde es wieder gutmachen. All den Schmerz, die Enttäuschung, die Jake seinetwegen durch litten hatte. Egal, was es kosten würde. Er konnte Jake nicht verlieren und er würde alles geben, um ihm zu zeigen, wie Leid es ihm tat.
Mit entschlossener Miene stand Sam auf. Ein stechender Schmerz zuckte durch sein Bein und er sog scharf die Luft ein. Zum ersten Mal, seit er gestürzt war, betrachtete er seine aufgeschürften Handflächen, das Loch in der Hose, die geschundenen Knie. Sam dachte an den Helm, den er bei seinen überstürzten Aufbruch zuhause hatte liegen lassen. Er hatte Glück gehabt, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. Vorsichtig puhlte er die kleinen Steinchen aus der Wunde, ignorierte den erneuten Schmerz, der wie Feuer unter seiner Haut brannte. Er hatte es verdient. Dann schnappte er sich sein Skateboard. Das Gefühl des Glücks, der Freiheit war verschwunden, als er die Straße zurück fuhr, und er konnte es kaum ertragen, das vertraute Stück Holz unter seinen Füßen zu spüren, zu wissen, wie es auf die kleinste Bewegung reagieren würde. Aber es war der schnellste Weg nach Hause, Geld für die Bahn oder den Bus hatte er nicht dabei.
Zuhause. Sam schluckte bei dem Gedanken daran, was ihn dort erwarten würde.
„Verdammt!“
Hastig schaltete Sam den Ofen aus und riss die Tür auf. Qualm schlug ihm entgegen, füllte seinen Mund aus und ließ ihn husten. Schnell öffnete er ein Fenster und wedelte mit einem Geschirrtuch, in dem schwachen Versuch, den Rauch und den Geruch nach Verbranntem aus der Küche zu schaffen. Als er sich so weit verzogen hatte, dass Sam in den Ofen hinein sehen konnte, sank sein Herz. Jede Hoffnung, dass er das Essen, welches sich darin befand, noch würde retten können, verpuffte bei dem Anblick des schwarzverkohlten Etwas, dass sich in der Schüssel befand. Sam griff nach den Topflappen und holte die Form vorsichtig heraus. Einen Augenblick sah er auf den ungenießbaren Inhalt darin, dann seufzte er frustriert und kippte ihn in den Mülleimer. Wenigstens hatte er noch –
Ein Blubbern ließ ihn herum fahren. Entsetzt starrte er den Topf auf dem Herd an, in dem es viel zu sehr schäumte. Diese kurze Schrecksekunde reichte aus, um den Inhalt überlaufen zu lassen. Als Sam endlich reagierte, konnte er gerade noch verhindern, dass etwas auf den Boden tropfte. Er schaltete die Herdplatte aus und schob den Topf zur Seite. Nervös wartete er darauf, dass er Schaum zurück ging, dann spähte er vorsichtig hinein.
Es sah gar nicht so schlecht aus. Probehalber kostete er einen Löffel voll – und verzog das Gesicht. Das konnten sie unmöglich essen. Schweren Herzens schüttete er auch den Inhalt des Topfes weg, dann stand er in der Küche und sah sich verzweifelt um. Was sollte er jetzt tun? Er musste nicht den Kühlschrank öffnen, um zu wissen, dass er darin nichts finden würde. Er selbst war heute Nachmittag einkaufen gewesen und er hatte nur das besorgt, was er für das Gericht, das er hatte kochen wollen, benötigte. Das Gericht, welches nun im Abfall lag.
Sam ließ sich auf einen Stuhl am Tisch sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen. Noch auf dem Nachhauseweg nach seinem Sturz mit dem Skateboard hatte er fieberhaft überlegt, was er tun könnte, um sich bei Jake zu entschuldigen und ihm zu beweisen, dass es nie wieder vorkommen würde. Dass er ihn nie wieder vergessen würde.
Der Gedanken an den Blonden stach ihm wie jedes Mal in den vergangenen Tagen ins Herz. Jake war nicht zuhause gewesen, als Sam zurück gekommen war. Und er war auch an diesem Abend nicht mehr aufgetaucht. Am Frühstückstisch waren sie sich das nächste Mal begegnet. Jake hatte versucht, sich normal zu verhalten, so zu tun, als wäre nichts passiert. Er hatte Sam gefragt, was er heute vorhabe, hatte die Nachrichten gelesen, wie jeden Morgen.
Aber Sam kannte Jake. Er kannte ihn zu gut, um zu wissen, dass er sich nicht normal verhielt. Jake war zurückhaltender, wo er sonst eine Bemerkung einwarf, schwieg er nun. Auch lachte er weniger und das Lächeln, das sonst immer auf seinen Lippen zu liegen schien, wenn er mit Sam sprach, war auch nicht mehr da. Er bemühte sich, doch Sam bemerkte das Fehlen der sarkastischen Kommentare, das Ausbleiben des Augenrollens – der kleine Unterschied zwischen Belustigung und Genervtheit kam ihm in den Sinn und zog an seinem Herzen. Er wusste nicht, ob Jake noch wütend auf ihn war oder enttäuscht. Er wusste, dass er es verdient hatte, aber es schmerzte, dass sie nicht darüber redeten, dass Jake ihm eine heile Welt vorspielte, wenn er doch genau sah, dass es nicht so war.
Die nächsten Tage waren genau dasselbe. Jake war nicht sichtbar böse auf ihn, er schimpfte nicht, er regte sich nicht auf. Aber er lachte auch nicht oder verbrachte außergewöhnlich viel Zeit mit Sam. Er war einfach neutral. Und das war so viel schlimmer für Sam, als wenn er geschrien hätte. Jake hätte toben können, hätte ihm vorwerfen können, was für ein schlechter Freund er war. Sam wäre damit klar gekommen, wenn Jake ihn ignoriert hätte, wenn er zu seiner Mum gefahren wäre und Abstand von ihm gebraucht hätte. Aber diese Neutralität machte ihn verrückt. Denn er wusste, dass es nicht ewig so sein würde. Jake hatte gesagt, dass er nicht für immer auf ihn warten würde, und Sam hatte nicht vor, das auch nur einmal noch geschehen zu lassen. Doch er war sich bewusst, dass mehr nötig war. Er musste sich entschuldigen, mehr als das. Und zwar schnell, sonst würde es sie beide zerbrechen. Und so hatte er begonnen, den Plan, der sich auf dem Nachhause weg an jenem Abend in seinem Kopf gebildet hatte, in die Tat um zusetzten.
Doch jetzt saß er hier, in einer Küche, die immer noch schwach nach Verbranntem roch, und wusste nicht weiter. Jeden Augenblick würde Jake durch die Türe kommen, das Footballtrainig hatte vor ein paar Minuten aufgehört. Er würde nichts Ungewöhnliches bemerken, wusste er ja nicht, dass Sam etwas Besonderes geplant hatte. Aber Sam hatte das nagende Gefühl, dass es heute sein musste, dass alles kaputt gehen würde, wenn er auch nur einen Tag länger warten würde. Er hatte es sowieso schon zu lange hinaus gezögert. Doch was sollte er tun?
Er hatte ein Essen geplant, etwas aufwendiges, wie sie es sonst nur selten zuhause aßen. Aber das offene Fenster war Beweis für sein Versagen. Er hatte sogar singen wollen. Er war extra zu Felix gefahren und hatte ihn angefleht, ihm bei zubringen, wie man Gitarre spielte. Es hatte sich heraus gestellt, dass Sam sogar ein gewisses Talent für das Instrument besaß. Doch egal wie viele verschiedene Lieder sie versuchten und wie viele Tipps Felix ihm gab – Sam konnte für sein Leben nicht singen. So blieb ihm von seinem ursprünglichen Vorhaben nur das Skateboard. Es lehnte an seinem üblichen Platz neben der Tür, der Helm lag daneben auf dem Boden. Aber Sam hatte nicht vor, es weiter dort stehen zu lassen. Er wollte es Jake geben. Damit das Skaten nicht mehr wichtiger sein konnte als er.
Sam stand auf und schloss das Fenster. Wenn Jake herein kommen würde, würde er ihm keine Zeit lassen, der Situation auszuweichen. Er würde ihm sein Skateboard geben und sagen, dass es ihm Leid tat. Er wusste nicht, ob es reichen würde. Wieder dachte er an das Essen, das hinter ihm im Mülleimer vergammelte. Er seufzte. Dann hatte er eine Idee. Es war nicht viel und Jake hatte so viel mehr verdient, aber es war das Einzige, das er jetzt auf die Schnelle noch machen konnte.
Als Jake ein paar Minuten später die Tür hinter sich schloss, wartete Sam in der Küche auf ihn. Er stand neben dem Tisch, sein Skateboard in der Hand und kaute nervös auf seiner Unterlippe. Jakes Blick fiel auf das Sandwich, das auf dem Tisch stand. Es war sein Lieblingssandwich, die wenigen Zutaten dafür waren alles, was Sam in der Küche noch hatte finden können.
„Ich weiß, es ist nicht viel“, fing Sam an und Jake sah auf, „und ich hatte etwas viel besseres geplant. Ich wollte dir ein richtiges Essen kochen, aber noch nicht einmal das bekomme ich hin, was?“ Er lachte bitter auf und fuhr sich durch die Haare. Dann schluckte er und sah Jake reuevoll an. „Es tut mir Leid, Jake. Ich weiß, dass ich ein Idiot war und dass es nichts gibt, was es wirklich wieder gut machen könnte. Aber ich verspreche dir, dass es nie wieder passieren wird. Du bist mir viel zu wichtig! Du –“ Sam merkte, wie seine Augen feucht wurden, und er atmete tief durch. „Hier.“ Er drückte einem überraschten Jake sein Skateboard in die Hand. „Nach dem, was passiert ist … ich kann verstehen, wenn du mir nicht vertraust, wenn ich dir verspreche, dass ich in Zukunft besser sein werde. Ich habe das Skaten dir vorgezogen und das ist etwas, was nie hätte passieren dürfen. Aber wenn du darauf aufpasst … Dann habe ich nicht mehr die Möglichkeit, dich zu vernachlässigen und du kannst auch sicher sein. Es tut mir nämlich wirklich Leid, Jake, ich kann dir gar nicht sagen wie sehr. Aber ich kann dich nicht … ich …“ Eine Träne löste sich aus Sams Augenwinkel. Jake sah ihn an und Sam sah zurück, versuchte, etwas in den grauen Augen zu erkennen, etwas, das ihn aus dieser Angst befreien würde, das ihm sagen würde, dass er Jake nicht verloren hatte.
Jake legte das Skateboard auf Seite und trat einen Schritt näher heran, so dass er direkt vor Sam stand und dieser leicht nach oben schauen musste, um sein Gesicht zu sehen. Langsam hob er eine Hand und Sam spürte die sanfte Berührung, mit der Jakes Daumen die Träne von seiner Wange wischte.
„Jake, ich –“, begann er wieder, doch Jake unterbrach ihn.
„Du würdest das Skaten für mich aufgeben?“
Sam nickte. „Du bist wichtiger als all die Bewunderung.“
Jake sah ihn an. „Sogar wichtiger, als dein Fanclub aus Zwölfjährigen und die ganzen Mädchen, die deine Haare anhimmeln?“
Für einen Moment wusste Sam nicht, was er sagen sollte. Dann sah er das Grinsen, das an Jakes Mundwinkeln zog, und ein breites Lächeln eroberte sein Gesicht. Statt zu antworten schlang er seine Arme um Jake. Der Größere reagierte zunächst nicht und Sam fragte sich erschrocken, ob er zu weit gegangen war, immerhin hatte Jake seine Entschuldigung noch nicht offiziell angenommen. Aber dann spürte er, wie Jake die Arme hob und sie ebenfalls um ihn legte, und sein Herzschlag beruhigte sich.
„Ich will nicht, dass du wegen mir aufhörst zu skaten“, flüsterte Jake da an sein Ohr. „Es gehört zu dir und ich würde nie wollen, dass du einen Teil von dir aufgibst. Ich will nur nicht, dass du mich vergisst.“
Sam schluckte und ein entschlossener Ausdruck trat in seine Augen. Jake konnte es nicht sehen, aber er spürte es in Sams Umarmung, die unwillkürlich stärker geworden war, voller Entschiedenheit, ein Versprechen, das so viel größer war als alle Worte. Sam wusste, dass Jake ihm noch nicht ganz verziehen hatte. Aber das war in Ordnung. Sie hatten Zeit und sie würden darüber reden, nicht jetzt, aber lange und in aller Ausführlichkeit. Und Sam würde sicher stellen, dass Jake nie wieder Grund haben würde, an ihm zu zweifeln.
„Das werde ich nicht. Versprochen.“