Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
13.12.2019 4.658
 
Anmerkung der Redaktion:

Für das heutige Kapitel benötigt Ihr etwas mehr Konzentration und man kann es daher nicht so nebenbei lesen.
Den Inhalt müsst Ihr Euch bitte gut merken, denn er ist ziemlich wichtig. ;)
Etwas zum Freuen gibt es auch, aber mehr verrate ich nicht.
Viel Spaß.
LG Eure Lynn

----------------------------------

Kapitel 14 – Treffen in der Nacht

In der darauffolgenden Nacht  
(geänderte Erzählweise)

Es ist gegen 1:00 Uhr morgens. Seufzend sitzt Sam in seinem Wagen, tippt mit zwei Fingern auf dem Lenkrad herum und wartet in der Dunkelheit. Diese bedrückende  Ruhe ist so unerträglich.
Im Wagen ist es genauso leise wie in seinem Haus – nur dort ist es noch schlimmer zu ertragen, weshalb er in letzter Zeit häufiger Schießtraining macht oder seine Musik laut aufdreht, um seine eigenen Gedanken nicht hören zu müssen.
Immer öfter schläft er einfach auf dem Sofa ein, weil er die andere kalte Betthälfte in seinem Zimmer immer noch nicht sehr einladend findet. Sogar das tägliche Kaffeekochen war anfangs eine Qual, denn er machte ihn aus Versehen für zwei Personen.
Er fährt sich über den kurzen Dreitagebart – er hat ihn so beibehalten. Eigentlich lächerlich, denn ihm ist es egal, wie ihn die anderen Leute sehen. Sollen sie ihn ruhig weiterhin meiden, denn sie alle interessieren ihn nicht. Vor lauter Langeweile zückt er sein Handy, öffnet eine App und schaut auf der Landkarte auf den kleinen blauen Punkt, der sich nicht bewegt. Er weiß, dass Nayeli dieses Trackingarmband nicht trägt, aber ihm ist klar, dass sie in diesem Moment wieder in dem Diner steht und sich für ein paar Kröten abschuftet. Anfangs konnte er diese unfassbaren Arbeitszeiten überhaupt nicht begreifen, genauso wie den Biss von ihr, das durchzuhalten. Aber auch das größte Engagement nimmt irgendwann ab, wenn man keine Wertschätzung erhält und die bekommt sie dort nicht.
Eines Tages schafft sie es – er weiß es. Sie braucht nur mehr Zeit und endlich eine weiße Weste.
Sam stellt sein Handy aus, als zwanzig Meter vor seinem Auto endlich eine eiserne Hintertür aufgeht und das Metall scheppernd die Betonwand trifft. Die Person, die dort steht, zündet sich eine Zigarette an und lehnt sich gegen den Türrahmen.
Sam muss heute noch einmal hier sein. Er darf einfach nichts übersehen.
Schließlich steigt er aus, schließt den Pick-up ab und geht zu der rauchenden Person.
>Da bist du ja. < sagt der Kerl, dem die Zigaretten bereits eine kratzige Stimme verpasst haben.
>Solltest du als Arzt nicht eigentlich wissen, dass diese Dinger dich eines Tages umbringen werden? < wendet Sam ein.
>Hmm… wir müssen früher oder später alle sterben. Ich genieße die Zeit bis dahin. < er macht einen letzten Zug, drückt die gerade angezündete Zigarette auf dem Boden aus und nickt mit seinem Kopf zum Eingang, damit Sam ihm folgt.
Doktor Lennart Parker ist der beste Pathologe, den er kennt. Die Leichen, die er normalerweise auf dem Tisch hat, sind des Öfteren Sam´s Zielpersonen, wenn das Cleaner-Team sie zuvor nicht schon über den üblichen Weg verschwinden lassen hat. Laut den Autopsieberichten starben diese Personen nicht an einem unnatürlichen Tod, sondern an Herzinfarkten, Tumoren, Lungenembolien oder sonstiges. Lennart kann in seinen Befunden reinschreiben was er will, denn die Leichen kommen danach sowieso ins Krematorium und es kann nichts mehr nachgewiesen werden. Im Grunde passiert hier exakt dasselbe, wie mit Nayelis Familie – nur, dass es an diesem Ort für die gute Seite passiert. Für seine falschen Befunde zahlt man ihm reichlich Geld und auch in diesem Punkt bestehen die Parallelen zur gegnerischen Seite. Mit einem Koffer voll Scheinen ist so ziemlich jeder bestechlich. In den letzten paar Wochen beauftragte Sam den Arzt allerdings ziemlich oft nur für die Entsorgung und nicht für das Schreiben eines Berichts. Lennart stellt diesbezüglich keine Fragen. Das ist auch gut so, denn es sind keine Aufträge von offizieller Seite, die sich Sam vom Hals schafft.
              Er folgt dem Mann vor sich einen langen Gang entlang, dort öffnet Lennart eine Tür und führt seinen besten Vermittler in die unterkühlte Halle, eine Etage tiefer.
>Weißt du inzwischen etwas mehr? < will Sam wissen, der die Temperaturen hier drin bereits kennt.
>Ich schätze, ich habe inzwischen alle Hebel in Bewegung gesetzt, die mir zur Verfügung stehen. Um hier ranzukommen, musste ich eine ganze Menge Gefallen einfordern. < Der Pathologe führt Sam zu einem silbernen Metalltisch, auf dem eine Pappkiste mit der Beschriftung: „Misra-Fall 7. Juli 2018“ bereitsteht.
Auf dem Tisch nebenan liegt noch eine geöffnete Leiche. Der Anblick schockiert Sam nicht wirklich. Es ist eher der Geruch, der ihn anekelt. >Ich bin noch einmal alles durchgegangen. Die Kerle waren gründlich, keine Frage – aber eben nicht gründlich genug. Wenn du mich fragst, dann stinkt die ganze Sache gewaltig, aber der Reihe nach. Das hier sind all die Dinge, die ich von dir habe. < er deutet auf die Kiste und läuft dann zu einem Regal, um einen Ordner herauszuholen. Gleichzeitig greift er in eine Box mit Latexhandschuhen und wirft Sam ein Paar davon zu, die er sich überstreift. Lennart tritt wieder neben ihn, zieht sich selbst die Handschuhe über und klappt den Ordner auf. >Und das sind Kopien aus der Asservatenkammer Duluth. <  
>Das kannst du vergessen. Das ist sowieso nur der gefälschte Mist. < murrt Sam, der allmählich von der Sachlage frustriert ist.
>Ja ist wahr, aber dennoch gibt es ein paar Dinge, die du dir ansehen solltest. <
Lennart öffnet den Deckel der Box und holt den gesamten Inhalt heraus, den er von Sam erhalten hat und den bisher nie ein fremdes Labor in die Hände bekam. Leider ist es nicht viel und trotzdem existieren zwei Plastiktüten mit einem nicht unwichtigen Inhalt. In der Ersten befindet sich die blutige Munition einer Handfeuerwaffe, die in Nayelis Schulterblatt steckte. Sie stammt von einem der wahren Mörder. In der zweiten Tüte befinden sich dutzende größerer und kleinerer Holzsplitter, die in ihren Händen und Füßen steckten, ebenfalls voll mit ihrem Blut durchtränkt. Dann legt der Pathologe sämtliche Fotos der Reihe nach auf den Metalltisch, bei denen Sam erst einmal schwer schlucken muss. Es sind Aufnahmen einer halbnackten und blutenden Nayeli Misra, die drei Verletzungen durch Waffen aufweist und viele Schürfwunden sowie Kopfverletzungen von den Stürzen auf Gestein zeigt. Sam presst die Kiefer zusammen. Dass er sie einmal so vorgefunden hatte, kann er sich kaum noch vorstellen. Diese Frau zu retten, schien wichtiger als alles auf der Welt zu sein. Er schaut die Fotos durch, obwohl er sie kennt, denn immerhin sind es die Originale von ihm. Er wusste bereits damals, dass die Aufnahmen vielleicht einmal von Bedeutung sein könnten.
Der Pathologe hält die beiden Plastiktüten hoch.
>Es geht mich zwar nichts an, aber wie bist du an die Kugel aus ihrem Schulterblatt, an die Fotos von ihr, die Holzsplitter und an das Kleid herangekommen? < daraufhin deutet er auf die Fetzen von goldenen Stoffen, die einmal wunderschön an ihr ausgesehen haben müssen.
>Stimmt, es geht dich nichts an. Sag mir einfach was ich tun kann. Wenn es etwas taugt, dann zahle ich dir doppelt so viel, wie die Regierung für einen deiner falschen Befunde. <
Daraufhin werden Lennarts Augen groß. Er verdient als normaler Pathologe nicht schlecht, aber durch Sam´s Aktivitäten und dem Deal mit der Regierung dürfte er finanziell inzwischen mehr als abgesichert sein. Trotz allem bekommt dieser Mann den Hals immer noch nicht voll und ist mit großen Scheinen immer zu locken.
>In Ordnung. Aber was hast du davon, wenn du bewiesen hast, dass sie es nicht war? Diese Frau ist tot, du kannst ihr nicht mehr helfen. <
>Es geht darum etwas aufzuklären, was so niemals passiert ist. Also sag mir, mit welchen Dingen ich sie da rausholen kann. Ich bin nämlich langsam am Ende. Ihre Familie wurde nach gerade mal drei Wochen verbrannt. Es wurde beinahe alles vernichtet und sämtliche Berichte wurden gefälscht. <
Doktor Parker seufzt und zückt zuerst zwei Dinge von Sam. Es ist die blutige Munition und ein Bild von Nayelis Rücken.
>Wenn wir nachweisen können, dass es ihr Blut ist, das an der Patrone klebt, dann kann das kein Richter der Welt abstreiten, dass sie von jemandem angeschossen wurde. Man kann sich mit diesem Einschusswinkel wohl kaum selbst in den Rücken schießen, um eine falsche Fährte zu legen. Staatsanwälten legen das manchmal gern so aus. Und auf diesen Bildern hier hat sie Hämatome, die eindeutig einen menschlichen Handabdruck zeigen. < Er deutet auf das Bild ihres Oberarmes, das Sam zwei Tage nachdem sie außer Lebensgefahr war, aufgenommen hat. >Bei der Größe der Handfläche war es höchstwahrscheinlich ein Mann und ihr Vater kann es nicht gewesen sein, der hatte im Gegensatz recht kleine Hände. < Nun schlägt Lennart die kopierten Beweise aus dem Ordner auf, die er aus der Asservatenkammer hat. Der Tatort und die Mordopfer wurden zur Spurensicherung fotografiert und zum ersten Mal sieht Sam die Bilder der regelrechten Hinrichtung und die Szene, die Nayeli mit eigenen Augen ansah. Diese Männer hatten Pistolen dabei, aber sie entschieden sich für den grausameren Weg und töteten langsam. Die Nahaufnahme der Autopsie zeigt die Hände von Liwanu Misra, der tatsächlich zu kleine Hände hatte, wodurch ein Staatsanwalt nicht damit argumentieren könnte, dass er nur versucht hat, sich gegen seine Tochter zu verteidigen. Dann zeigt Lennart die Einstichstellen der getöteten Familie, zusammen mit dem sichergestellten Messer, auf dem Nayelis Fingerabdrücke sind.
>Das hier ist auf keinen Fall die Tatwaffe. Diese Frau mag das Messer in der Hand gehabt haben, aber sicher nicht um ihre Familie zu töten. Es hat eine zu große, zu lange und zu stumpfe Klinge und das alles passt nicht zu den Einstichspuren der Familie. Auch wenn es keine Leichen mehr gibt, haben wir trotzdem die Fotos des Tatortes, obwohl ich nur mit sehr viel Hilfe an sie herangekommen bin. Komischerweise lagen sie nicht bei den anderen Beweisen. Ein Polizist, der damals als erster am Tatort war, sagte mir wo ich sie finden würde. Seine erste Einschätzung zu diesem Mord wurde völlig übergangen, sein Bericht komplett geändert und er wurde danach wegen einer anderen hässlichen und womöglich inszenierten Sache suspendiert. < Daraufhin zieht Sam die Augenbrauen hoch und Lennart sagt heuchlerisch lachend:
>Ich sag es ja, die Sache stinkt zum Himmel. Worauf dieses Messer mit ihren Abdrücken allerdings passt, ist eine 5 cm breite Spur in der Wand des oberen Flurs. Vielleicht hat sie es zu jemanden geworfen oder versucht auf diesen Jemand einzustechen. Auf jeden Fall war die Waffe zu diesem Zeitpunkt noch ohne Blutspuren, denn sie befinden sich nicht an der getroffenen Wand. Das Blut der Familie kam also erst hinterher auf die Klinge. Wenn du mich fragst, dann wurde sie im Nachhinein präpariert. <
Er packt alles beiseite und legt Sam die Fotos außerhalb des Hauses vor. Sämtliche gesicherte Spuren sind auf den Bildern mit Nummern gekennzeichnet – die aufgebrochene offene Eingangstür, das gebrochene Holzgerüst unter den Kinderzimmern und Patronenkugeln, die in Bäumen steckten sowie die leeren Hülsen auf dem Waldboden. Dieselbe Munition, die in Nayelis Körper steckte. >Leider hat es in der Nacht sehr stark geregnet. Blutspuren waren außerhalb kaum zu sichern. Auf dem Foto siehst du von außen eine eingebrochene Weinranke. Wenn ich die Holzsplitter aus ihren Händen mit denen des Rankgitters vergleichen würde, wären sie sicher identisch. Das Fenster ihres Zimmers stand offen und die Polizei musste gewaltsam in den Raum stürmen, da die Tochter des Hauses einen Stuhl unter die Klinke geklemmt hatte. Sie ist nur geflohen und nicht zum Täter geworden. Meiner Meinung nach, wurde hier ganz eindeutig versucht, ihr etwas in die Schuhe zu schieben. <
Sam nickt nur, denn diese Geschichte kennt er von seinem Schützling persönlich.
Er greift zu den Fotos, die Nayelis Familie zeigen. Neben den Einstichen liegt bei jedem Bild ein Maßband, das die Klingenbreite der Mordwaffe beweist. Lennard hat recht, das Messer mit Nayelis Fingerabdrücken kann eindeutig nicht den Wunden zugewiesen werden.
>Jetzt kommt aber erst das Interessante. < erklärt der Pathologe und schiebt den Ordner in die Mitte. Er blättert etwas darin umher und sucht einige Folien heraus.
>Das Ganze muss eine abgekartete Sache sein. Denn es gab einen ersten aussagekräftigen Bericht von Doktor Eric Spencer, der die drei Mordopfer auf dem Tisch hatte. Dieser Bericht ist sowohl digital als auch auf Papier nur wenig später verschwunden. Er bekam deshalb einen gewaltigen Ärger und anstatt ihn einfach seine Arbeit ein weiteres Mal ausführen zu lassen, wurde er genauso wie der erste Polizist am Tatort von dem Fall abgezogen. Ein Pathologe namens Doktor Lecter führte die Autopsie ein zweites Mal durch. Ich kontaktierte Doktor Spencer und legte ihm den zweiten Bericht seines Kollegen vor. Er sagte mir, dass er ihn inhaltlich komplett anders geschrieben hätte. Was er mir ebenfalls sagte war, dass sein Aufnahmegerät, das er während der gesamten Leichenbeschauung besprach, ebenfalls am selben Tag verschwand wie sein Bericht. Schon komisch, oder? Der zweite Pathologe, der die Berichte schließlich veröffentlichte und wenige Tage später die Tochter auf dem Tisch hatte, will nicht reden. <
Sam hebt hellhörig den Kopf von den Fotos und grinst boshaft.
>Er behauptet, dass er Nayeli auf dem Tisch hatte? <
>Ja und er hat auch das veröffentlicht.  < Lennart schlägt eine weitere Folie auf, in der noch ein Autopsiebericht steckt. Dort ist zu lesen, dass Nayeli Misras Tod durch Ertrinken eintrat. Allein deswegen runzelt Sam verständnislos die Stirn. >Und das Zweite ist, dass er einen Antrag auf baldige Einäscherung gestellt hat, die auch erfolgte. Was allerdings nicht erfolgte, war das Ausstellen eines Totenscheins der angeklagten Tochter. Offensichtlich ist der ebenfalls weggekommen oder wurde vollkommen vergessen. Dadurch lebt sie in den Registern noch und das ist bisher noch keinem aufgefallen. <
Sam ist sofort klar, dass dieser Doktor Lecter in dem Fall geschlampt hat. Da Dimitrij die Sache ins Rollen brachte und Nayelis Tod zu ihrer Sicherheit einfädelte, musste De Angelis irgendwie reagieren und da sie angeblich im Lake gefunden wurde, erscheint ein Ertrinkungstod am plausibelsten. Selbstverständlich hat dieser besagte zweite Arzt Nayeli niemals obduziert, aber das weiß nur Sam. In gewisser Weise haben er und Dimitrij mit der erfundenen Geschichte Mischa De Angelis in die Hände gespielt, aber ohne es zu wissen, haben sie ihm auch gleichzeitig eine Falle gestellt. Da Doktor Lecter dafür unterschrieben hat, dass er Nayeli höchstpersönlich auf dem Tisch hatte, weiß Sam, dass dieser Mann genau der Richtige ist und im Auftrag von dem Mafiaboss handelte – sowohl die falschen Berichte, als auch die Einäscherung gehen auf seine Rechnung.
>Hast du irgendwelche Kontaktdaten von diesem zweiten Pathologen? < will Sam wissen.
>Leider nicht. Ich hatte zwar seine Nummer herausbekommen und habe auch mit ihm gesprochen, aber es war höchstens eine Minute, in der er mich abwimmelte und zu diesem Fall keine Aussagen machen wollte. Seitdem existiert die Nummer nicht mehr. Er scheint beinahe untergetaucht zu sein und arbeitet nicht mehr bei seiner alten Stelle. < Sam seufzt, da das abzusehen war. Für das Geld, das ihm Mischa für seine Dienste gezahlt haben muss, kann sich dieser Arzt wahrscheinlich auf den Bahamas zur Ruhe setzen. Das alles passt genau in das Bild, das sich Sam in seinem Kopf zusammengereimt hat.
>Ich habe noch einen weiteren Namen für dich. < sagt Lennart unheilvoll und reißt Sam somit aus seinen Gedanken. >Es war damals ein Polizist, der keine 12 Stunden später diesen zweiten Autopsiebericht veranlasste und Doktor Lecter beauftragte, anstatt nach dem Ersten weitersuchen zu lassen. <
>Wie ist sein Name? <
>Detective Howard Archer. < Sam runzelt die Stirn und es rattert in seinem Kopf. Wo hat er diesen Namen nur schon mal gehört? >Das ganze Verschwinden der Berichte, die nicht passende Mordwaffe und das schnelle Begräbnis der Familie klingen mehr als eigenartig. Und dann auch noch diese Drohbriefe und Fotos, die der Familienvater bekam. < In diesem Zuge schiebt Doktor Parker die in Folie verpackten Bilder in die Mitte, die Sam Nayeli einmal gezeigt hatte und bei denen sie leichenblass wurde, als ihr klar wurde, dass ihr Verfolgungswahn nicht eingebildet, sondern Realität war. Daneben auch drei Drohbriefe.
Der Inhalt ist im Grunde immer derselbe: Zahl deine Schulden oder deine Familie bezahlt dafür. Schalte die Polizei ein und sie bezahlt ebenfalls.
Sam streicht sich gedankenversunken übers Kinn. Ist das genug?
>Was denkst du, wie stehen die Aussichten? Es sind überwiegend Indizien und weniger Beweise. < will er von Lennart wissen.
>Sagen wir mal, leicht wird das Ganze nicht. Es kommt immer auf den Richter, den Staatsanwalt, die Verteidigung und auf die Jury an. Als Erstes musst du aber die Misra-Akte wieder öffnen lassen. Aktuell ist daran kein öffentliches Interesse mehr, da der Fall abgeschlossen ist. Du musst begründen, weshalb daran wieder gearbeitet werden soll und erst dann hast du mit verdammt viel Glück einen Gerichtstermin in fünf Jahren für jemanden, dessen Unschuld bewiesen werden soll, der bereits tot ist. Die zweite Sache ist, selbst wenn du den Richter dazu bringst zuzuhören und du ihn vielleicht davon überzeugst die Frau freizusprechen, dann haben wir keine Täter, keine DNA und keine wahre Mordwaffe. Ich kann dir nicht sagen, wohin das führt. Aber wenn du mich fragst, ist sie unschuldig. Auch wenn die Opfer nicht mehr da sind, ist das Material in der Kiste trotzdem etwas, um zu zeigen, dass sie keine Mörderin war. <
Sam fährt sich erleichtert durch die Haare.
>Du bist sicher, dass das reicht? <
>Das muss reichen. Mehr haben wir nicht. Das Beste wäre natürlich, wenn das Mädchen noch leben würde, dann könnte sie aussagen, nachdem diese Beweise eingereicht wurden. Der Fall würde wieder geöffnet werden, die Beweise werden neu vorgelegt und nachdem dann die Logik langsam durch die Köpfe sickert, erst dann könnte man sie einem Richter vorführen. Nur so würde man sie anhören, wenn bis zum Schluss geglaubt wird, sie wäre eigentlich tot. Und irgendwie habe ich so ein Gefühl... < nuschelt Lennart und mustert Sam´s Gesichtszüge ganz genau.
>Tut mir leid dich zu enttäuschen, aber das hier muss reichen. < sagt er und sieht sich erneut das Beweismaterial an. Seine Hand geht zu den goldenen Stofffetzen. Sein Schützling war halbnackt, als sie angetrieben wurde. Sam knüllt das Kleid wieder zusammen und wirft es auf den Metalltisch. Allerdings hören beide Männer kurz darauf ein Klimpern. Erneut greift er zu dem Stoff, breitet die Schichten aus und sieht etwas Funkelndes zwischen all den Fäden hängen.
>Das habe ich noch gar nicht bemerkt. Was ist das? < fragt Lennart, kneift die Augen enger zusammen und richtet seine Brille auf der Nase.
Sam versucht es herauszuzupfen, ohne das Beweisstück noch mehr zu zerstören, aber es sitzt wahnsinnig fest. Letzten Endes muss er doch etwas daran herumreißen und er denkt, dass es bei diesem Kleid wahrscheinlich keinen großen Unterschied mehr machen wird, wie sehr es zerrissen wird.
>Das ist … ihr Kamm. < sagt er leise. Nayeli hatte ihn erwähnt und schien traurig  über sein Verschwinden zu sein, da er für sie wertvoll war. Sam streicht mit dem Daumen über die goldene Feder und muss schwer schlucken. Wie sie die schwarze Feder am Grab ihrer Familie verbrannte und mit dem Rauch die Bilder der Gestorbenen weihte, ist ihm immer noch im Gedächtnis - sowie ihre Stimme, ihr Gesicht, ihr Lachen, ihre Liebe, ihre Stärke. Er schließt den Kamm fest in seiner Faust ein und presst die Lippen zusammen.
Lennart sieht wie sein Vermittler innehält, räuspert sich und sagt schließlich:
>Dieser Fall wird das öffentliche Interesse wecken. Wenn es eine Verschwörung und eine Vertuschung gab und du es beweisen kannst, dann wird diese Sache durch die Presse gehen. Wenn sie dann den Gerichtssaal betritt und aussagt, dann erhöhst du ihre Chancen auf einen Sieg erheblich, wenn man sie anhören kann. <
Sam hat sich selbst bereits verraten, als er wegen des Kamms innehielt. Lennart weiß bereits, dass sein Vermittler in irgendeiner Weise Kontakt zu Nayeli hatte.
Wie sollte er sonst an die Munition und an die Splitter aus ihrem Körper herangekommen sein oder das Kleid und die Fotos von ihr haben? Außerdem war er es, den Sam vor 4 Monaten anrief und ihn fragte, wie man eine Kugel aus einem Körper entfernt.
Sam überlegt einen Moment, aber er hat niemanden sonst, der ihm in dieser Sachlage so helfen kann, wie Lennart. Also beschließt er reinen Tisch zu machen.
>Ich zerre sie vor kein Gericht. Wir müssen es ohne sie schaffen. Du hast es eben selbst gesagt, dass das öffentliche Interesse plötzlich durch die Decke gehen wird. Diesen verdammten Hyänen von der Presse, werde ich sie nicht zum Fraß vorwerfen. Sie werden sie unglaubwürdig dastehen lassen und fertigmachen – du weißt wie das läuft. <
>Nicht, wenn unsere Seite besser vorbereitet ist. <
>Diese Frau hat viel durchgemacht und sie trägt bereits jetzt zu viel Ballast mit sich herum. Ich kann sie nicht in einen Gerichtssaal schleifen. Sie ist vom Radar verschwunden, so wie ich es wollte. < erklärt Sam. Sonst war es nie schwer für ihn, sein Pokerface zu wahren, doch jetzt bröckelt es. Seufzend öffnet er seine Faust und gibt den Kamm frei. >Ist das deiner Meinung nach ein wichtiger Beweis oder kann ich ihn haben? <
>Wenn ein Haar von ihr daran ist, dann ist er wichtig. < Lennart klemmt eine Uhrmacherlupe in sein Auge und prüft den Kamm. Der Pathologe hätte gern noch ein weiteres Beweisstück gehabt, doch der Lake hat jede DNA-Spur von der Indianerin darauf weggespült. Er macht zur Sicherheit ein Foto des Kamms aus zwei Perspektiven und gibt ihn zurück. >Du kannst ihn haben. Das Kleid mit ihrem Blut ist wichtig. <
>Gut. < erwidert Sam und steckt das Schmuckstück in die Innentasche seiner Jacke. Er ist sich selbst nicht so sicher, was er damit anfangen will. Aber es hier zu lassen, erscheint ihm falsch. >Pack das alles zusammen und schreib mir eine vollständige Analyse davon. Ich versuche in der Zeit irgendwie Zeugen zusammenzukratzen. <
>Doktor Spencer sagte mir, er würde aussagen, dass sein Bericht und sein Aufnahmegerät verschwunden sind und dass seine Einschätzung eine andere war, als die von dem zweiten Gerichtsmediziner. <
>Sehr gut. Immerhin etwas. Schick mir alles detailliert zu, sobald du fertig bist. Die Fallakte geht erst raus, wenn du von mir grünes Licht hast. <
>Ich habe von dir nichts anderes erwartet. < schmunzelt der Pathologe. Sam streift die Latexhandschuhe ab und wirft sie in den Müll. Mit wummerndem Herzschlag läuft er bereits zur Tür – denn so viel wie heute, hatte er bisher nicht zusammenbekommen. Vielleicht existiert eine reelle Chance für Nayeli.  
>Sam? < wird er noch mal zurückgerufen. Daraufhin dreht er sich zu seinem Bekannten um. >Wo auch immer sie ist, finde diese Frau und setze sie in einen Gerichtssaal! Und bring mir eine Blutprobe von ihr! <
Ohne darauf etwas zu antworten, stemmt er den Ellenbogen gegen die Tür und verlässt das Leichenschauhaus.

(--> „Miss her“ von Jurrivh -https://www.youtube.com/watch?v=Z2xhcUk83ro
Diese Hetzjagd wird er ihr niemals antun und er wird sich ihr nie wieder zeigen. Er hat ihr nicht einfach nur wehgetan, er hat ihr das Herz herausgerissen, obwohl ihm das alles unendlich leidtut. Nichts davon kann er je wieder gut machen und nichts könnte er zu ihr sagen, um diesen Morgen danach unvergessen zu machen. Irgendwie wird er es allein schaffen, sie zu entlasten und wenn er das getan hat, erst dann kann sie wieder zu der Frau werden, die sie eigentlich ist.
Sie soll in einem Büro sitzen, das sich mitten in einem Hochhaus befindet. Sie soll in einer tollen Stadt wie New York leben und direkt auf den Central Park schauen. Ihre Feierabende soll sie auf ihrem Balkon verbringen, mit einem guten Buch und einem Wein in der Hand. Was hatte er sich nur bei all dem gedacht? Eine Kopfgeldjägerin? - sie?
Sie ist viel zu sanft, viel zu rein für all das. Niemals wollte er ihr diese Natur austreiben und doch hat er es versucht.
Die Hintertür, durch die er kam, geht knallend zu und er öffnet seinen Wagen. Im Auto sitzend, trommelt er wütend auf seinem Lenkrad herum, immer und immer wieder.
Da stand sie vor ihm, diese intelligente, hübsche, wundervolle und charakterstarke Frau und was tat er? Er schickte sie fort in der Hoffnung, sie könnte ihren Weg gehen. Schnaufend lässt er seinen Hinterkopf gegen die Kopfstütze fallen und schaut durch die Windschutzscheibe in die dunkle Nacht hinaus. Sie fragte ihn einmal etwas, das er seit Monaten immer wieder in seinem Kopf hört.
„Was ist, wenn die Eine vor dir steht und du ihr keine Chance gibst, weil du blind und in dieser negativen Einstellung gefangen bist?“
Auf diese Frage sagte er ihr dasselbe, wie er es auch noch heute tun würde. Sobald man liebt, ist man angreifbar und er würde es niemals ertragen, diese Eine durch einen Racheakt zu verlieren. Sam zückt sein Handy und öffnet die datengeschützte Tracking-App. Der kleine blaue Punkt blinkt in einem Vorort von Angora auf, wird jetzt die Tageseinnahmen des Diners zählen, bald in sein Bett verschwinden und morgen wieder den täglichen Kampf mit dem normalen Leben führen. Der blaue Punkt wird es eines Tages zu diesem Büro am Central Park schaffen. Sam schließt die App, aber drückt längere Zeit auf das Symbol.
„Durch das Löschen dieser App werden auch die dazugehörigen Daten gelöscht.“
Sein Finger drückt „ok“ auf dem Button und der blaue Punkt ist für ihn nun nicht mehr auffindbar.
>Vielleicht im nächsten Leben Kleines. < haucht er leise und seufzt.
Das letzte Mal als er so einen Schritt ging, um allein zu sein, kam es ihm genauso schwer vor, aber er hatte sich schneller daran gewöhnt. Selbst Sophia oder Dimitrij können diese Leere mit ihrer Anwesenheit nicht wettmachen. Niemand kann das.
Wie oft hatte er sich mit Nayeli wegen Kleinigkeiten gerauft? Es war doch meist nur Unsinn und nicht der Rede wert.
Wie oft lagen sie gemeinsam in einem Bett? Wenn er genauer darüber nachdenkt, nicht genug. Wie oft kam es zu Berührungen zwischen ihnen, die nie hätten sein dürfen? Sam zählte sie zwar nie, aber es waren viele Male und trotzdem zu wenig.
Wie oft hatte er Nayeli nachts alleingelassen, nur wegen seines Jobs? Er hätte bei ihr bleiben und jede Nacht neben ihr sein müssen, damit sie besser schlief, anstatt sie mit sich und ihren Gedanken in der Blockhütte zu lassen.
Wenn er könnte, würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen um ihr ihre Familie zurückgeben und somit auch ihre Freude und ihre Heimat. Ihr Lachen wäre ihm all diesen verdammten Schmerz wert, den er fühlt.
Auf dem Smartphone will Sam eigentlich zur nächsten Seite wischen, aber sein Finger war zu langsam und dadurch zu lange auf einem Symbol, wodurch sich sein Ordner mit den Fotos öffnet. Sein Herz stolpert, als er eines in der sehr kurzen Liste bemerkt. Er hat für gewöhnlich so gut wie keine Bilder auf dem Handy aber da ist eines, das er antippen muss, um es größer zu sehen. Das Datum zeigt, dass es zwei Wochen zuvor geschossen wurde, bevor Nayeli das Haus verließ.
Er kann sich nur an eine Situation erinnern, in der sie sein Handy hatte, weil sie es für ein Rezept brauchte. Offensichtlich konnte sie nicht anders, als ein Selfie von sich zu machen. Sie grinst und streckt die Zunge dabei heraus und ist so wunderschön.
Gefühlte endlose Minuten starrt Sam auf das Foto, auf dem Nayeli so ausgelassen und glücklich aussieht. Sein Finger tippt auf den Mülleimer, worauf ihn sein Handy fragt, ob er das Bild wirklich löschen will. Doch schließlich klickt er auf „abbrechen“ und lässt sein Telefon in seiner Jackentasche verschwinden. Vielleicht ist es okay, wenn er diese Aufnahme behält – nur diese eine.
Er wirft den Motor an und rollt vom Gelände. Diese Ruhe und dieses Schweigen sind ihm immer noch fremd, aber auch das wird eines Tages wieder normal für Sam werden.
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast