Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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13.09.2019
3.436
Hallo Ihr Lieben,
heute startet der dritte und somit letzte Teil meiner Trilogie. Das Cover ist wie immer von mir.
Ich hoffe, dass ich Euch begeistern kann und wünsche Euch wie immer viel Spaß. Bitte schreibt mir unbedingt Eure Meinungen :)
Auch über ein Empfehlungssternchen freue ich mich riesig.
Liebe Grüße und frohes Lesen.
Eure Lynn
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Kapitel 01 – Warum?
Es gibt Menschen die in der schlechtesten Lage stecken und denen das Wasser bis zum Kragen steht und trotzdem finden sie in der noch so miesesten Situation etwas Gutes wieder.
Vielleicht ist es an der Zeit, für das was war, einfach nur „danke“ zu sagen. Danke dafür, dass ich immer noch am Leben bin und dankbar für das zu sein, was ich gelernt habe. So kann das, was wird, möglicherweise unter einem besseren Stern stehen. Das Vergangene war so beschwerlich wie ich es meinen ärgsten Feinden niemals wünschen könnte. Vielleicht muss ich nur Geduld und genug Vertrauen haben, dass das alles schon vorbeigehen wird und ich meine Sorgen irgendwann belächeln kann.
Eigentlich ein netter Gedanke und ich würde es mir beinahe selbst glauben, wenn ich mich nicht so erschlagen fühlen würde, als wäre eine Dampflok auf mich zugerast und es kommt mir vor, wie ein innerer Sturm der sich nicht legt. Ich habe zwar schon häufiger gedacht, dass es nicht mehr schlimmer werden kann und dennoch wurde es schlimmer.
Aber jetzt, hier, irgendwo im Nirgendwo bin ich mir sicher, es geht tatsächlich nicht noch furchtbarer.
Fakt ist jedenfalls: Ich kann es Meg nicht erzählen, dass ich nun allein umherwandle. Sam ist nicht mehr da und meine Mitschüler von der Hunter-Schule werde ich nicht wiedersehen. Nun befinde ich mich an einem Punkt, bei dem ich komplett bei null anfange – dieses Mal mit deutlich weniger Verletzungen und mehr Gepäck. Ich habe niemanden, der mir sagen kann, wie ich jetzt handeln sollte. Von jetzt an bin ich allein und entscheide allein.
Der Plan für heute ist eine Unterkunft zu finden und der Rest muss sich ergeben. Vielleicht muss sich mein geschockter Zustand erst legen und morgen werde ich eine Idee haben wie es weitergeht.
Nach einer gefühlten Viertelstunde, in der ich quer durch das Getreidefeld gelaufen bin, brennt die Sonne ziemlich heftig. Ich hatte vorhin ein Basecap in der Tasche entdeckt, was eigentlich nicht mir gehört. Es ist mir dennoch egal, also krame ich es hervor, um mich ein wenig zu schützen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann gehört mir gar nichts in diesen beiden Taschen. Das Einzige, was ich besitze, ist eine einzelne übrig gebliebene Haarspange aus der Nacht meines Abschlusses.
Die ganze Zeit versuche ich nach dem Grund zu suchen, warum Sam so plötzlich die Entscheidung getroffen hat, mich fortzuschicken. Gestern in dem Club waren wir eine Einheit und er sagte, dass ich die perfekte Kopfgeldjägerin wäre. Er meinte auch, ich hätte meine Sache gut gemacht und ohne mich wäre er vielleicht gar nicht an seine Zielperson herangekommen. Was wir taten, fühlte sich für mich richtig an und das, was danach passierte, erst recht.
Wir haben gemeinsam den Job erledigt und wir merkten danach, wie sehr wir einander wollten. Wo genau ist der Fehler gewesen? Ich bekomme es nicht zusammen.
Eine gehässige und hysterische Stimme in meinen Gedanken gibt mir die Erklärung. Ich bin der Fehler! Ich bin zu viel – so wie immer.
Der letzte Wassertropfen meiner Flasche ist inzwischen ausgetrunken und allmählich mache ich mir Sorgen, ob dieses verdammte Feld überhaupt endet. Logischerweise wäre es besser gewesen, neben einer Straße herzugehen, aber aus gegebenem Anlass wollte ich diesem Trucker nicht noch einmal begegnen. Ausgerechnet heute muss der Himmel völlig wolkenfrei sein und die Sonne ihren Augusthöhepunkt erreichen. Es fühlt sich wie mindestens 35 Grad an und die Hitze ist unerträglich. Allmählich glaube ich, dass Sam mir mit Absicht lange Klamotten rausgelegt hat, damit ich gegen die Sonnenstrahlen geschützt bin, aber was weiß ich denn schon was Sam denkt? Manchmal dachte ich, ich hätte ihn verstanden aber dann ist er wieder ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Da sieht kein Mensch durch und um ehrlich zu sein, will ich nicht über ihn nachdenken. Das funktioniert nicht, ohne einen heftigen Stich zu spüren und ohne einen gewaltigen Kloß im Hals zu bekommen.
Endlich sehe ich etwas hinter dem Feld und laufe schneller. Nach einigen Schritten weiß ich, dass dieser Acker dort tatsächlich ein Ende findet. Mein Weg hat dort aber sicher noch kein Ende.
Ein paar Minuten später komme ich aber immerhin endlich zu einer Straße. Vereinzelt stehen dort Bäume an der Seite und ich kann in ihrem Schutz laufen.
Inzwischen macht mein Magen unerträgliche Geräusche, denn ich habe wirklich Hunger und will nur noch eine Imbissbude finden.
Den Gedanken habe ich noch nicht ganz zu Ende gedacht, da bemerke ich, dass mit jedem weiteren Schritt ein Fleckchen Asphalt vor mir auftaucht. Ganz offensichtlich befindet sich dort ein Lokal und ich beschleunige meinen Gang.
Die wenig befahrene Straße geht zwar noch weiter Richtung Norden, aber links davon befinden sich ein Parkplatz voller Schlaglöcher und ein Diner, das aussieht, als hätte es seine besten Jahre schon hinter sich. Ich frage mich, ob es überhaupt noch geöffnet hat.
Sobald ich dorthin hechte, erkenne ich außerdem eine Unterkunft. Ich habe immer noch keine Ahnung wo ich bin – ein Ortsschild ist mir bisher nicht vor die Augen gekommen.
Mir fallen nur all die verstreuten Kippen, zerbrochenen Flaschen, abgeknickten Laternen, beschädigten Gehwege und die Graffitis auf, die diesen Ort in ein Ghetto verwandeln.
Beim Näherkommen sehe ich auch noch, dass das Gebäude schräg gegenüber von dem Diner, eher einem Stundenhotel als einer Behausung gleicht.
Es hat zwei Etagen, wovon die Obere – links wie rechts, von außen durch eine Metalltreppe zu erreichen ist. Der lange Gang zu den einzelnen Zimmertüren wird dort oben durch ein Metallgitter gesichert. Eindeutig ein Motel, auch wenn das „M“ auf der Leuchtreklame bereits abgefallen ist. Ich suche den Eingang zur Rezeption und finde ihn seitlich. Eine amerikanische Flagge ist gehisst aber davon abgesehen, ist das Erscheinungsbild genauso heruntergekommen wie der Rest dieses Platzes.
Am Fuß der Metalltreppe sind vier offene Münztelefone nebeneinander, die vielleicht noch funktionieren. Ich sehe wieder hinter mich. Das Diner sieht von außen auch nicht unbedingt einladend und sauber aus, aber es scheint geöffnet zu haben.
Wirklich viel ist hier nicht. Generell sieht es sehr verlassen aus – was vielleicht auch an der Uhrzeit liegt. Sam hat mich heute Morgen fortgeschickt und ich bin sicherlich seit vier Stunden oder länger unterwegs. Ich finde, das ist weit genug von ihm oder Duluth weg. Eine volle Stadt muss ich nicht unbedingt um mich herum haben, daher wäre es mir lieber, an so einem Vorort wie hier ungesehen zu bleiben. Aber so verkommen wie es an diesem Ort der Fall ist, mache ich wohl lieber nur eine kurze Pause. Hier will ich auf keinen Fall länger bleiben als nötig.
Ich gehe noch weiter und hinter dem Motel sehe ich zumindest eine Haltestelle für Busse. Dort hechte ich hin und versuche herauszufinden wo ich bin.
Lesen kann ich das bei all Graffiti auf dem Plan allerdings nicht. Ich sehe erneut in alle Richtungen und bin ziemlich angeekelt. Nein, hier kann ich auf keinen Fall bleiben!
Trotzdem laufe ich erstmal zu dem Schnellrestaurant und will während des Essens herausfinden, wo ich bin.
Ich brauche etwas zwischen den Zähnen, Wasser und im besten Fall eine Landkarte.
Die Tür bimmelt, sobald ich sie öffne. Eine einzelne Kellnerin sieht kurz auf und putzt dann wieder ihr Glas mit einem schmutzigen Geschirrtuch weiter.
So leer wie der Parkplatz draußen ist, so ist es auch hier drin.
Ein paar Personen klammern sich an ihren Kaffee oder ihren Teller. Ich laufe direkt auf die Kellnerin an der Bar zu und setze mich zu ihr auf einen der roten Barstühle. Im Hintergrund läuft ein alter Klassiker aus der Jukebox. Die Sitze sind teilweise an den Nähten gerissen, außerdem riecht es nach Frittenfett und kaltem Zigarettenqualm.
>Hi. Ich befürchte, ich habe mich etwas verlaufen. Können Sie mir sagen wo ich bin? < frage ich die Bedienung.
>Jeder der hier herkommt, hat sich verlaufen. Oder Ed? < lacht sie und haut einem älteren Mann drei Plätze neben mir mit ihrem Geschirrtuch auf den Arm, der daraufhin grinst. >Schätzchen du bist hier in Angora. Obwohl wir eigentlich gar nicht dazugehören sollen. Wir passen mit diesem Vorort wohl nicht so recht dort rein und werden gerne mal weggelassen. <
>Und wie lange brauche ich, um in die Innenstadt zu kommen? <
Die Frau schaut erneut zu dem älteren Mann und zuckt mit den Achseln.
>Vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten mit dem Bus. < erwidert er daraufhin. Er hat einen Gehstock dabei und trägt ein Kordsakko. Seinen Hut hat er auf dem Tresen neben seinem Kaffee und seiner Zeitung abgelegt.
>Und wann fährt der? < will ich wissen. >Die Scheibe des Fahrplans war so beschmiert, dass ich nichts lesen konnte. <
>Keine Ahnung. Mal fährt er und mal nicht. < erwidert die Kellnerin und stellt das Glas unter ihren Tresen. Na das ist ja eine tolle Aussage.
Dann schiebt sie mir eine doppelseitig bebilderte Karte vor die Nase, die das Essensangebot aufzeigt. Aber was erwarte ich? Um mich herum kleben die Tische von dem Ahornsirup, der überall in der Mitte steht. Der Kaffee scheint aus einer Filtermaschine für 10 $ zu kommen und als ich meinen Kopf etwas neige, erblicke ich auch harte Kaugummis, die unter dem langen Bartisch angetrocknet sind. Noch genauer sollte ich mich lieber nicht umsehen und stecke meine Nase stattdessen in die Karte.
>Geben Sie mir bitte einen Milchkaffee und die Pancakes. < sage ich und schiebe ihr die Karte zurück.
>Mitchel! Einmal Pancakes! < brüllt sie so laut nach hinten, dass es mich zusammenfahren lässt.
Der alte Mann neben mir blättert friedlich in seiner Zeitung herum und scheint diesen Ton gewohnt zu sein. Die Bedienung schnappt sich eine Tasse unter dem Tresen und gießt mir schwarzen Kaffee ein. Dazu bekomme ich einen Schluck abgestandene Kaffeesahne.
>Ich habe einen Milchkaffee bestellt. < sage ich ihr.
>Sorry Schätzchen, entweder das oder schwarz. <
Na toll. Ich nehme es so hin und kippe mir die Sahne in den Kaffee. Selbst Zucker muss dieses Mal aushelfen, da ich ihn sonst nicht runterbekommen würde.
Da sitze ich doch allen Ernstes in einem Diner mitten im Nirgendwo und trinke den wohl schlechtesten und dazu teuersten Kaffee meines Lebens.
Die Kellnerin und der alte Mann unterhalten sich, als wenn sie sich schon eine Weile kennen würden.
Mein Blick schweift währenddessen durch das Lokal. An einer Wand sehe ich, dass dort ein paar Bilder von Personen mit einem Steckbrief hängen. Ich kneife meine Augen zusammen und sehe genauer hin. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass es eine von diesen Fahndungswänden ist. Dort befinden sich gesuchte Personen, auf denen ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Ich nehme meinen Kaffee mit und laufe dorthin, um sie alle zu überfliegen. Mit Erleichterung kann ich meinen eigenen Kopf nicht sehen. Es ist gut möglich, dass ich dort vor Kurzem noch dran war – schließlich wurde in den Medien nach mir ausgerufen, bevor mein Tod verkündet wurde. Erstaunlich finde ich die Höhe des Kopfgeldes die angeboten wird, auch wenn Simon uns schon darauf vorbereitet hat. Dort an der Wand hängen die Gesichter von Männern und Frauen jeden Alters und die Summen gehen weit auseinander. Bei einer sind es 500 $ bei einem anderen fast 10.000 $ – je nachdem, was die Personen getan haben.
Das ist ein ziemlich lukratives Geschäft für das Ausliefern dieser Menschen. Wie viel zahlt die Regierung dann erst für einen Auftragsmord?
Und unweigerlich denke ich schon wieder an ihn. Als er mir den Rucksack und das Geld vorlegte, habe ich mich gefühlt, als wäre ich das Letzte für ihn. Ich blinzle und wische mit dem Handrücken über meine Augen. Was Sam für mich gewesen war, kann ich nicht beschreiben. Er war meine Zuflucht und meine Bezugsperson, die mich immer mehr verstanden hat und mir den Halt gab, den ich brauchte – zumindest bis heute Morgen.
Jetzt würde ich ihn so gern verfluchen und ihn in die Hölle verbannen, aber ich kann es nicht. Ich bin sauer, aber ich bin vor allem sauer auf mich selbst, denn ich kann nicht fassen, dass ich ihn so nah in meine Gefühlswelt ließ.
„Menschen hintergehen dich und lassen dich im Stich, wenn du sie am meisten brauchst.“ War das nicht exakt sein Wortlaut?
Ich will ihn verabscheuen, aber kann ich ihn wirklich dafür verantwortlich machen, nach allem was er getan hat? Er hat mich eigentlich nicht im Stich gelassen, er wollte nur, dass ich gehe, weil ich seiner Meinung nach inzwischen klarkomme. Das würde mir einleuchten, aber weshalb passierte das ausgerechnet heute? Warum diese Kälte und warum dieser glatte Bruch? Ich schüttele meinen Kopf und will diese Gedanken verdrängen, denn ich weiß, es liegt einfach in irgendeiner Weise an mir.
Neben dem Tresen stehend, sehe ich weiter über diese Wand.
Die rundliche Kellnerin, die mich bereits bedient hat, kommt mit der Kaffeekanne in meine Richtung.
>Das sind ganz nette Summen, die sie da auszahlen, was? <
>Kann man wohl sagen. < erwidere ich ohne davon aufzuschauen.
>Aber kein normaler Mensch würde sich mit denen anlegen. Wenn ich die auf der Straße sehen würde, dann würde ich die Polizei rufen und wegrennen. <
>Aber bis die da sind, könnte der Flüchtige entkommen sein und sich an dem nächsten Opfer vergehen. < wende ich ein.
Die Kellnerin zuckt mit den Achseln und sagt:
>Solange ich das nicht bin. <
Sie geht wieder zurück zu ihrem Tresen und ruft dann nach hinten in die Küche. So egoistisch könnte ich nicht sein. Wenn ich wüsste, dass vor mir so jemand steht, könnte ich dann einfach vorbeigehen?
Wahrscheinlich denke ich aber nur anders, weil ich an der Hunter- Schule anfing und kläglich scheiterte.
Ich lasse diese Wand zurück und setze mich neben den älteren Mann, der seine Zeitung studiert. Der Kaffee wird von Schluck zu Schluck widerlicher.
>Entschuldigung. Könnten Sie mir den Teil mit den Stellenanzeigen leihen? < frage ich.
Er wirft mir einen kurzen aber freundlichen Blick zu, blättert etwas umher und reicht mir dann eine Seite rüber.
>Hier bitte. Ich dachte immer, die jungen Leute lesen so etwas gar nicht mehr. <
>Danke. Ich sitze im Moment etwas auf dem Trockenen und habe kein Internet. Also tut es auch der analoge Weg. <
Die Kellnerin kommt aus der Küche zurück und stellt mir einen Teller Pancakes hin.
>Ich suche dringend eine Aushilfe. < mischt sie sich in unser Gespräch ein. Mein Blick wandert von ihren fettdurchzogenen Haaren über die fleckige gelbe Uniform zu ihrer Hand herunter, die diesen ekligen Kaffee bereithält.
>Danke, aber ich suche eher etwas in Richtung der öffentlichen Kommunikation und Management. <
>Keine Ahnung was das ist. Kommunikation haben wir hier jedenfalls genug. Aber falls du es dir anders überlegst, dann nehme ich dich sofort. Ich brauche händeringend irgendjemanden für den Spätdienst und du bringst bestimmt viel Trinkgeld am Abend ein. <
Keine Zehn Pferde bekommen mich zu diesem Arbeitsvertrag.
Dann verschwindet sie zu den wenigen Gästen im vorderen Bereich, um ihnen Kaffee nachzugießen.
Ich sehe mir die Pancakes an und sie triefen vor Öl. Die erste Geschmacksprobe ist auch nicht besser, denn sie schmecken auch noch so wie sie aussehen. Das ist widerlich, aber ich schlinge sie mir hinter, weil ich wirklich Hunger habe und der treibt die Kohlenhydrate irgendwie hinein.
Danach zahle ich und lasse mir reichlich Kleingeld zurückgeben. Ich schnappe mir meine Sachen und suche das Damen-WC auf, wo ich meine Wasserflasche auffülle. Hier drin will ich mich gar nicht genauer umsehen.
Mit den Stellenanzeigen verschwinde ich nach draußen und laufe zu den Telefonzellen. Meine Chancen stehen alles andere als gut, aber ich versuche es erstmal mit den Jobs, die ich eingekreist habe und stecke das Kleingeld in den Schlitz des Münztelefons.
Fazit nach einer Stunde: Nur zwei der vier Telefone funktionieren überhaupt, aber das ist das geringere Übel. Was deutlich mehr nervt, ist, dass an einem Sonntag kein Büro zu erreichen ist, das mir auch nur annähernd meinen Wohlfühljob geben könnte. Ich telefoniere stattdessen sämtliche andere Angebote durch, bei denen ich das Personal heute an den Hörer bekomme.
Nur leider merke ich jetzt schon, dass ich ein riesengroßes Problem namens Bürokratie habe.
Ich trage keine Zeugnisse, keinen Ausbildungsnachweis oder ein Diplom bei mir. Alles, was mir zu einem Job verhelfen könnte, den ich mir ansatzweise vorstellen kann, trage ich nicht bei mir. Und selbst wenn ich die geforderten Dokumente besäße, würde dort ein anderer Name draufstehen, den ich nicht mehr benutzen kann. Wie sollte ich das erklären?
Mehrere Male muss ich zurück in das Diner, um ein paar Scheine als Kleingeld zurückzubekommen. Und jedes Mal grinst die Kellnerin – und offenbar auch Ladeninhaberin, noch mehr und fragt immer wieder:
>Na? Doch lieber hier anfangen? <
Nach dem zweiundzwanzigsten Telefonat gebe ich es mit den Stellenanzeigen auf. Das wird heute einfach nichts und ich sollte es morgen lieber direkt und zu den regulären Öffnungszeiten in den Büros versuchen. Bei mehreren Telefonen sprang ein Anrufbeantworter an, aber der bringt mir rein gar nichts. Mich kann niemand auf einem Handy zurückrufen. An sich besitze ich einen E-Mail-Account, den ich an Megs PC immer mal durchsehen konnte, aber dieser besteht aus meinem echten Namen und das würde noch mehr Unheil anrichten.
Niedergeschlagen lehne ich meinen Kopf gegen den eingerasteten Hörer.
>Hey Miss. Sie haben doch vorhin gefragt, ob hier ein Bus fährt. Heute kommt hier sicher keiner mehr und ein Bewerbungsgespräch kommt sicher auch nicht mehr zu Stande. Soll ich Sie vielleicht in die Stadt mitnehmen? <
Ich drehe mich zu dem alten Mann um, von dem ich die Stellenanzeigen bekommen habe. Inzwischen hat er seinen Hut aufgesetzt und ist mit seinem Krückstock sogar noch kleiner, als ich es vermutet hätte.
>Das wäre großartig. < erwidere ich dankbar.
Im Schlendergang folge ich ihm zu seinem alten Wagen. Er ist ohne Zentralverriegelung und so wie er aussieht, sogar ohne Servolenkung.
Das erinnert mich an den alten Wagen meines Dads und ich finde ihn klasse. Als er die Beifahrerseite von innen für mich öffnet, werfe ich die Tasche und den Rucksack auf den Rücksitz und nehme vorne Platz. Wir unterhalten uns und er erzählt mir, dass er seit zwei Jahren täglich in diesem Diner isst, um mit Debra – der Inhaberin, seine Zeit zu verbringen. Freiwillig würde ich dort nie wieder einen Fuß hineinsetzen. Aber dann erzählt er mir, dass er nicht gern allein zu Hause ist, seitdem seine Frau starb. Die Ablenkung im Lokal tut ihm gut und das kann ich wiederum sehr verstehen. Er tut mir leid, weil ich merke, dass es ihm selbst jetzt noch schmerzt darüber zu reden und das nach dieser langen Zeit.
Ich schätze, wer wirklich liebt, der kommt nicht so leicht über diesen Verlust hinweg. Wegen des Anblicks, den ich in Iyes Zimmer zu Gesicht bekam, könnte ich mir ebenfalls immer noch mein Herz herausreißen.
Der alte Mann nennt sich Ed – die Kurzform für Edgar, und lässt mich nach einer viertel Stunde irgendwo in Angora raus, wo es belebter ist. Ich bedanke mich hundertfach für seine Freundlichkeit, worauf er nur grinsend abwinkt. Zumindest bin ich aus diesem Vorort raus.
Offensichtlich muss ich mein Glück selbst in die Hand nehmen und die Initiative ergreifen. Ich schnappe mir mein Zeug und werfe die Autotür zu.
Als er davonfährt, gehe ich weiter durch die Stadt und sehe mich um. Die Restaurants und Cafés haben geöffnet, sowie ein paar Imbissbuden.
In einem Schaufenster sehe ich mir mein Erscheinungsbild an, wühle nochmal in meinen Haaren herum und wische mir unter den Augen das verwischte Make-up weg, damit ich nicht so fertig aussehe. Mir ist klar, dass es jetzt noch schwieriger werden wird, in meiner gewohnten Branche ernst genommen zu werden, aber ich muss versuchen, genauso clever und selbstsicher aufzutreten wie bei Greenfields Communication.
Ich bekomme hier schnell einen guten Überblick und speichere für morgen einige Stellen und Büros in meinem Kopf ab. Die Auswahl ist nicht schlecht, aber für heute muss ich mein Jagdgebiet auf andere Jobs ausweiten, die mir weniger zusagen.
Wenn ich bereits heute etwas finde, das in meinen Augen ein vertretbarer Start ist, dann weiß ich, dass ich zumindest besser schlafen kann. Und falls sich die Tage etwas noch Besseres ergibt, dann habe ich das größte Problem schon mal eingedämmt. Irgendwie schaffe ich das schon allein.
heute startet der dritte und somit letzte Teil meiner Trilogie. Das Cover ist wie immer von mir.
Ich hoffe, dass ich Euch begeistern kann und wünsche Euch wie immer viel Spaß. Bitte schreibt mir unbedingt Eure Meinungen :)
Auch über ein Empfehlungssternchen freue ich mich riesig.
Liebe Grüße und frohes Lesen.
Eure Lynn
-------------------------------------------------------------
Teil 3
- Tränen trocknen –
- Tränen trocknen –
Kapitel 01 – Warum?
Es gibt Menschen die in der schlechtesten Lage stecken und denen das Wasser bis zum Kragen steht und trotzdem finden sie in der noch so miesesten Situation etwas Gutes wieder.
Vielleicht ist es an der Zeit, für das was war, einfach nur „danke“ zu sagen. Danke dafür, dass ich immer noch am Leben bin und dankbar für das zu sein, was ich gelernt habe. So kann das, was wird, möglicherweise unter einem besseren Stern stehen. Das Vergangene war so beschwerlich wie ich es meinen ärgsten Feinden niemals wünschen könnte. Vielleicht muss ich nur Geduld und genug Vertrauen haben, dass das alles schon vorbeigehen wird und ich meine Sorgen irgendwann belächeln kann.
Eigentlich ein netter Gedanke und ich würde es mir beinahe selbst glauben, wenn ich mich nicht so erschlagen fühlen würde, als wäre eine Dampflok auf mich zugerast und es kommt mir vor, wie ein innerer Sturm der sich nicht legt. Ich habe zwar schon häufiger gedacht, dass es nicht mehr schlimmer werden kann und dennoch wurde es schlimmer.
Aber jetzt, hier, irgendwo im Nirgendwo bin ich mir sicher, es geht tatsächlich nicht noch furchtbarer.
Fakt ist jedenfalls: Ich kann es Meg nicht erzählen, dass ich nun allein umherwandle. Sam ist nicht mehr da und meine Mitschüler von der Hunter-Schule werde ich nicht wiedersehen. Nun befinde ich mich an einem Punkt, bei dem ich komplett bei null anfange – dieses Mal mit deutlich weniger Verletzungen und mehr Gepäck. Ich habe niemanden, der mir sagen kann, wie ich jetzt handeln sollte. Von jetzt an bin ich allein und entscheide allein.
Der Plan für heute ist eine Unterkunft zu finden und der Rest muss sich ergeben. Vielleicht muss sich mein geschockter Zustand erst legen und morgen werde ich eine Idee haben wie es weitergeht.
Nach einer gefühlten Viertelstunde, in der ich quer durch das Getreidefeld gelaufen bin, brennt die Sonne ziemlich heftig. Ich hatte vorhin ein Basecap in der Tasche entdeckt, was eigentlich nicht mir gehört. Es ist mir dennoch egal, also krame ich es hervor, um mich ein wenig zu schützen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann gehört mir gar nichts in diesen beiden Taschen. Das Einzige, was ich besitze, ist eine einzelne übrig gebliebene Haarspange aus der Nacht meines Abschlusses.
Die ganze Zeit versuche ich nach dem Grund zu suchen, warum Sam so plötzlich die Entscheidung getroffen hat, mich fortzuschicken. Gestern in dem Club waren wir eine Einheit und er sagte, dass ich die perfekte Kopfgeldjägerin wäre. Er meinte auch, ich hätte meine Sache gut gemacht und ohne mich wäre er vielleicht gar nicht an seine Zielperson herangekommen. Was wir taten, fühlte sich für mich richtig an und das, was danach passierte, erst recht.
Wir haben gemeinsam den Job erledigt und wir merkten danach, wie sehr wir einander wollten. Wo genau ist der Fehler gewesen? Ich bekomme es nicht zusammen.
Eine gehässige und hysterische Stimme in meinen Gedanken gibt mir die Erklärung. Ich bin der Fehler! Ich bin zu viel – so wie immer.
Der letzte Wassertropfen meiner Flasche ist inzwischen ausgetrunken und allmählich mache ich mir Sorgen, ob dieses verdammte Feld überhaupt endet. Logischerweise wäre es besser gewesen, neben einer Straße herzugehen, aber aus gegebenem Anlass wollte ich diesem Trucker nicht noch einmal begegnen. Ausgerechnet heute muss der Himmel völlig wolkenfrei sein und die Sonne ihren Augusthöhepunkt erreichen. Es fühlt sich wie mindestens 35 Grad an und die Hitze ist unerträglich. Allmählich glaube ich, dass Sam mir mit Absicht lange Klamotten rausgelegt hat, damit ich gegen die Sonnenstrahlen geschützt bin, aber was weiß ich denn schon was Sam denkt? Manchmal dachte ich, ich hätte ihn verstanden aber dann ist er wieder ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Da sieht kein Mensch durch und um ehrlich zu sein, will ich nicht über ihn nachdenken. Das funktioniert nicht, ohne einen heftigen Stich zu spüren und ohne einen gewaltigen Kloß im Hals zu bekommen.
Endlich sehe ich etwas hinter dem Feld und laufe schneller. Nach einigen Schritten weiß ich, dass dieser Acker dort tatsächlich ein Ende findet. Mein Weg hat dort aber sicher noch kein Ende.
Ein paar Minuten später komme ich aber immerhin endlich zu einer Straße. Vereinzelt stehen dort Bäume an der Seite und ich kann in ihrem Schutz laufen.
Inzwischen macht mein Magen unerträgliche Geräusche, denn ich habe wirklich Hunger und will nur noch eine Imbissbude finden.
Den Gedanken habe ich noch nicht ganz zu Ende gedacht, da bemerke ich, dass mit jedem weiteren Schritt ein Fleckchen Asphalt vor mir auftaucht. Ganz offensichtlich befindet sich dort ein Lokal und ich beschleunige meinen Gang.
Die wenig befahrene Straße geht zwar noch weiter Richtung Norden, aber links davon befinden sich ein Parkplatz voller Schlaglöcher und ein Diner, das aussieht, als hätte es seine besten Jahre schon hinter sich. Ich frage mich, ob es überhaupt noch geöffnet hat.
Sobald ich dorthin hechte, erkenne ich außerdem eine Unterkunft. Ich habe immer noch keine Ahnung wo ich bin – ein Ortsschild ist mir bisher nicht vor die Augen gekommen.
Mir fallen nur all die verstreuten Kippen, zerbrochenen Flaschen, abgeknickten Laternen, beschädigten Gehwege und die Graffitis auf, die diesen Ort in ein Ghetto verwandeln.
Beim Näherkommen sehe ich auch noch, dass das Gebäude schräg gegenüber von dem Diner, eher einem Stundenhotel als einer Behausung gleicht.
Es hat zwei Etagen, wovon die Obere – links wie rechts, von außen durch eine Metalltreppe zu erreichen ist. Der lange Gang zu den einzelnen Zimmertüren wird dort oben durch ein Metallgitter gesichert. Eindeutig ein Motel, auch wenn das „M“ auf der Leuchtreklame bereits abgefallen ist. Ich suche den Eingang zur Rezeption und finde ihn seitlich. Eine amerikanische Flagge ist gehisst aber davon abgesehen, ist das Erscheinungsbild genauso heruntergekommen wie der Rest dieses Platzes.
Am Fuß der Metalltreppe sind vier offene Münztelefone nebeneinander, die vielleicht noch funktionieren. Ich sehe wieder hinter mich. Das Diner sieht von außen auch nicht unbedingt einladend und sauber aus, aber es scheint geöffnet zu haben.
Wirklich viel ist hier nicht. Generell sieht es sehr verlassen aus – was vielleicht auch an der Uhrzeit liegt. Sam hat mich heute Morgen fortgeschickt und ich bin sicherlich seit vier Stunden oder länger unterwegs. Ich finde, das ist weit genug von ihm oder Duluth weg. Eine volle Stadt muss ich nicht unbedingt um mich herum haben, daher wäre es mir lieber, an so einem Vorort wie hier ungesehen zu bleiben. Aber so verkommen wie es an diesem Ort der Fall ist, mache ich wohl lieber nur eine kurze Pause. Hier will ich auf keinen Fall länger bleiben als nötig.
Ich gehe noch weiter und hinter dem Motel sehe ich zumindest eine Haltestelle für Busse. Dort hechte ich hin und versuche herauszufinden wo ich bin.
Lesen kann ich das bei all Graffiti auf dem Plan allerdings nicht. Ich sehe erneut in alle Richtungen und bin ziemlich angeekelt. Nein, hier kann ich auf keinen Fall bleiben!
Trotzdem laufe ich erstmal zu dem Schnellrestaurant und will während des Essens herausfinden, wo ich bin.
Ich brauche etwas zwischen den Zähnen, Wasser und im besten Fall eine Landkarte.
Die Tür bimmelt, sobald ich sie öffne. Eine einzelne Kellnerin sieht kurz auf und putzt dann wieder ihr Glas mit einem schmutzigen Geschirrtuch weiter.
So leer wie der Parkplatz draußen ist, so ist es auch hier drin.
Ein paar Personen klammern sich an ihren Kaffee oder ihren Teller. Ich laufe direkt auf die Kellnerin an der Bar zu und setze mich zu ihr auf einen der roten Barstühle. Im Hintergrund läuft ein alter Klassiker aus der Jukebox. Die Sitze sind teilweise an den Nähten gerissen, außerdem riecht es nach Frittenfett und kaltem Zigarettenqualm.
>Hi. Ich befürchte, ich habe mich etwas verlaufen. Können Sie mir sagen wo ich bin? < frage ich die Bedienung.
>Jeder der hier herkommt, hat sich verlaufen. Oder Ed? < lacht sie und haut einem älteren Mann drei Plätze neben mir mit ihrem Geschirrtuch auf den Arm, der daraufhin grinst. >Schätzchen du bist hier in Angora. Obwohl wir eigentlich gar nicht dazugehören sollen. Wir passen mit diesem Vorort wohl nicht so recht dort rein und werden gerne mal weggelassen. <
>Und wie lange brauche ich, um in die Innenstadt zu kommen? <
Die Frau schaut erneut zu dem älteren Mann und zuckt mit den Achseln.
>Vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten mit dem Bus. < erwidert er daraufhin. Er hat einen Gehstock dabei und trägt ein Kordsakko. Seinen Hut hat er auf dem Tresen neben seinem Kaffee und seiner Zeitung abgelegt.
>Und wann fährt der? < will ich wissen. >Die Scheibe des Fahrplans war so beschmiert, dass ich nichts lesen konnte. <
>Keine Ahnung. Mal fährt er und mal nicht. < erwidert die Kellnerin und stellt das Glas unter ihren Tresen. Na das ist ja eine tolle Aussage.
Dann schiebt sie mir eine doppelseitig bebilderte Karte vor die Nase, die das Essensangebot aufzeigt. Aber was erwarte ich? Um mich herum kleben die Tische von dem Ahornsirup, der überall in der Mitte steht. Der Kaffee scheint aus einer Filtermaschine für 10 $ zu kommen und als ich meinen Kopf etwas neige, erblicke ich auch harte Kaugummis, die unter dem langen Bartisch angetrocknet sind. Noch genauer sollte ich mich lieber nicht umsehen und stecke meine Nase stattdessen in die Karte.
>Geben Sie mir bitte einen Milchkaffee und die Pancakes. < sage ich und schiebe ihr die Karte zurück.
>Mitchel! Einmal Pancakes! < brüllt sie so laut nach hinten, dass es mich zusammenfahren lässt.
Der alte Mann neben mir blättert friedlich in seiner Zeitung herum und scheint diesen Ton gewohnt zu sein. Die Bedienung schnappt sich eine Tasse unter dem Tresen und gießt mir schwarzen Kaffee ein. Dazu bekomme ich einen Schluck abgestandene Kaffeesahne.
>Ich habe einen Milchkaffee bestellt. < sage ich ihr.
>Sorry Schätzchen, entweder das oder schwarz. <
Na toll. Ich nehme es so hin und kippe mir die Sahne in den Kaffee. Selbst Zucker muss dieses Mal aushelfen, da ich ihn sonst nicht runterbekommen würde.
Da sitze ich doch allen Ernstes in einem Diner mitten im Nirgendwo und trinke den wohl schlechtesten und dazu teuersten Kaffee meines Lebens.
Die Kellnerin und der alte Mann unterhalten sich, als wenn sie sich schon eine Weile kennen würden.
Mein Blick schweift währenddessen durch das Lokal. An einer Wand sehe ich, dass dort ein paar Bilder von Personen mit einem Steckbrief hängen. Ich kneife meine Augen zusammen und sehe genauer hin. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass es eine von diesen Fahndungswänden ist. Dort befinden sich gesuchte Personen, auf denen ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Ich nehme meinen Kaffee mit und laufe dorthin, um sie alle zu überfliegen. Mit Erleichterung kann ich meinen eigenen Kopf nicht sehen. Es ist gut möglich, dass ich dort vor Kurzem noch dran war – schließlich wurde in den Medien nach mir ausgerufen, bevor mein Tod verkündet wurde. Erstaunlich finde ich die Höhe des Kopfgeldes die angeboten wird, auch wenn Simon uns schon darauf vorbereitet hat. Dort an der Wand hängen die Gesichter von Männern und Frauen jeden Alters und die Summen gehen weit auseinander. Bei einer sind es 500 $ bei einem anderen fast 10.000 $ – je nachdem, was die Personen getan haben.
Das ist ein ziemlich lukratives Geschäft für das Ausliefern dieser Menschen. Wie viel zahlt die Regierung dann erst für einen Auftragsmord?
Und unweigerlich denke ich schon wieder an ihn. Als er mir den Rucksack und das Geld vorlegte, habe ich mich gefühlt, als wäre ich das Letzte für ihn. Ich blinzle und wische mit dem Handrücken über meine Augen. Was Sam für mich gewesen war, kann ich nicht beschreiben. Er war meine Zuflucht und meine Bezugsperson, die mich immer mehr verstanden hat und mir den Halt gab, den ich brauchte – zumindest bis heute Morgen.
Jetzt würde ich ihn so gern verfluchen und ihn in die Hölle verbannen, aber ich kann es nicht. Ich bin sauer, aber ich bin vor allem sauer auf mich selbst, denn ich kann nicht fassen, dass ich ihn so nah in meine Gefühlswelt ließ.
„Menschen hintergehen dich und lassen dich im Stich, wenn du sie am meisten brauchst.“ War das nicht exakt sein Wortlaut?
Ich will ihn verabscheuen, aber kann ich ihn wirklich dafür verantwortlich machen, nach allem was er getan hat? Er hat mich eigentlich nicht im Stich gelassen, er wollte nur, dass ich gehe, weil ich seiner Meinung nach inzwischen klarkomme. Das würde mir einleuchten, aber weshalb passierte das ausgerechnet heute? Warum diese Kälte und warum dieser glatte Bruch? Ich schüttele meinen Kopf und will diese Gedanken verdrängen, denn ich weiß, es liegt einfach in irgendeiner Weise an mir.
Neben dem Tresen stehend, sehe ich weiter über diese Wand.
Die rundliche Kellnerin, die mich bereits bedient hat, kommt mit der Kaffeekanne in meine Richtung.
>Das sind ganz nette Summen, die sie da auszahlen, was? <
>Kann man wohl sagen. < erwidere ich ohne davon aufzuschauen.
>Aber kein normaler Mensch würde sich mit denen anlegen. Wenn ich die auf der Straße sehen würde, dann würde ich die Polizei rufen und wegrennen. <
>Aber bis die da sind, könnte der Flüchtige entkommen sein und sich an dem nächsten Opfer vergehen. < wende ich ein.
Die Kellnerin zuckt mit den Achseln und sagt:
>Solange ich das nicht bin. <
Sie geht wieder zurück zu ihrem Tresen und ruft dann nach hinten in die Küche. So egoistisch könnte ich nicht sein. Wenn ich wüsste, dass vor mir so jemand steht, könnte ich dann einfach vorbeigehen?
Wahrscheinlich denke ich aber nur anders, weil ich an der Hunter- Schule anfing und kläglich scheiterte.
Ich lasse diese Wand zurück und setze mich neben den älteren Mann, der seine Zeitung studiert. Der Kaffee wird von Schluck zu Schluck widerlicher.
>Entschuldigung. Könnten Sie mir den Teil mit den Stellenanzeigen leihen? < frage ich.
Er wirft mir einen kurzen aber freundlichen Blick zu, blättert etwas umher und reicht mir dann eine Seite rüber.
>Hier bitte. Ich dachte immer, die jungen Leute lesen so etwas gar nicht mehr. <
>Danke. Ich sitze im Moment etwas auf dem Trockenen und habe kein Internet. Also tut es auch der analoge Weg. <
Die Kellnerin kommt aus der Küche zurück und stellt mir einen Teller Pancakes hin.
>Ich suche dringend eine Aushilfe. < mischt sie sich in unser Gespräch ein. Mein Blick wandert von ihren fettdurchzogenen Haaren über die fleckige gelbe Uniform zu ihrer Hand herunter, die diesen ekligen Kaffee bereithält.
>Danke, aber ich suche eher etwas in Richtung der öffentlichen Kommunikation und Management. <
>Keine Ahnung was das ist. Kommunikation haben wir hier jedenfalls genug. Aber falls du es dir anders überlegst, dann nehme ich dich sofort. Ich brauche händeringend irgendjemanden für den Spätdienst und du bringst bestimmt viel Trinkgeld am Abend ein. <
Keine Zehn Pferde bekommen mich zu diesem Arbeitsvertrag.
Dann verschwindet sie zu den wenigen Gästen im vorderen Bereich, um ihnen Kaffee nachzugießen.
Ich sehe mir die Pancakes an und sie triefen vor Öl. Die erste Geschmacksprobe ist auch nicht besser, denn sie schmecken auch noch so wie sie aussehen. Das ist widerlich, aber ich schlinge sie mir hinter, weil ich wirklich Hunger habe und der treibt die Kohlenhydrate irgendwie hinein.
Danach zahle ich und lasse mir reichlich Kleingeld zurückgeben. Ich schnappe mir meine Sachen und suche das Damen-WC auf, wo ich meine Wasserflasche auffülle. Hier drin will ich mich gar nicht genauer umsehen.
Mit den Stellenanzeigen verschwinde ich nach draußen und laufe zu den Telefonzellen. Meine Chancen stehen alles andere als gut, aber ich versuche es erstmal mit den Jobs, die ich eingekreist habe und stecke das Kleingeld in den Schlitz des Münztelefons.
Fazit nach einer Stunde: Nur zwei der vier Telefone funktionieren überhaupt, aber das ist das geringere Übel. Was deutlich mehr nervt, ist, dass an einem Sonntag kein Büro zu erreichen ist, das mir auch nur annähernd meinen Wohlfühljob geben könnte. Ich telefoniere stattdessen sämtliche andere Angebote durch, bei denen ich das Personal heute an den Hörer bekomme.
Nur leider merke ich jetzt schon, dass ich ein riesengroßes Problem namens Bürokratie habe.
Ich trage keine Zeugnisse, keinen Ausbildungsnachweis oder ein Diplom bei mir. Alles, was mir zu einem Job verhelfen könnte, den ich mir ansatzweise vorstellen kann, trage ich nicht bei mir. Und selbst wenn ich die geforderten Dokumente besäße, würde dort ein anderer Name draufstehen, den ich nicht mehr benutzen kann. Wie sollte ich das erklären?
Mehrere Male muss ich zurück in das Diner, um ein paar Scheine als Kleingeld zurückzubekommen. Und jedes Mal grinst die Kellnerin – und offenbar auch Ladeninhaberin, noch mehr und fragt immer wieder:
>Na? Doch lieber hier anfangen? <
Nach dem zweiundzwanzigsten Telefonat gebe ich es mit den Stellenanzeigen auf. Das wird heute einfach nichts und ich sollte es morgen lieber direkt und zu den regulären Öffnungszeiten in den Büros versuchen. Bei mehreren Telefonen sprang ein Anrufbeantworter an, aber der bringt mir rein gar nichts. Mich kann niemand auf einem Handy zurückrufen. An sich besitze ich einen E-Mail-Account, den ich an Megs PC immer mal durchsehen konnte, aber dieser besteht aus meinem echten Namen und das würde noch mehr Unheil anrichten.
Niedergeschlagen lehne ich meinen Kopf gegen den eingerasteten Hörer.
>Hey Miss. Sie haben doch vorhin gefragt, ob hier ein Bus fährt. Heute kommt hier sicher keiner mehr und ein Bewerbungsgespräch kommt sicher auch nicht mehr zu Stande. Soll ich Sie vielleicht in die Stadt mitnehmen? <
Ich drehe mich zu dem alten Mann um, von dem ich die Stellenanzeigen bekommen habe. Inzwischen hat er seinen Hut aufgesetzt und ist mit seinem Krückstock sogar noch kleiner, als ich es vermutet hätte.
>Das wäre großartig. < erwidere ich dankbar.
Im Schlendergang folge ich ihm zu seinem alten Wagen. Er ist ohne Zentralverriegelung und so wie er aussieht, sogar ohne Servolenkung.
Das erinnert mich an den alten Wagen meines Dads und ich finde ihn klasse. Als er die Beifahrerseite von innen für mich öffnet, werfe ich die Tasche und den Rucksack auf den Rücksitz und nehme vorne Platz. Wir unterhalten uns und er erzählt mir, dass er seit zwei Jahren täglich in diesem Diner isst, um mit Debra – der Inhaberin, seine Zeit zu verbringen. Freiwillig würde ich dort nie wieder einen Fuß hineinsetzen. Aber dann erzählt er mir, dass er nicht gern allein zu Hause ist, seitdem seine Frau starb. Die Ablenkung im Lokal tut ihm gut und das kann ich wiederum sehr verstehen. Er tut mir leid, weil ich merke, dass es ihm selbst jetzt noch schmerzt darüber zu reden und das nach dieser langen Zeit.
Ich schätze, wer wirklich liebt, der kommt nicht so leicht über diesen Verlust hinweg. Wegen des Anblicks, den ich in Iyes Zimmer zu Gesicht bekam, könnte ich mir ebenfalls immer noch mein Herz herausreißen.
Der alte Mann nennt sich Ed – die Kurzform für Edgar, und lässt mich nach einer viertel Stunde irgendwo in Angora raus, wo es belebter ist. Ich bedanke mich hundertfach für seine Freundlichkeit, worauf er nur grinsend abwinkt. Zumindest bin ich aus diesem Vorort raus.
Offensichtlich muss ich mein Glück selbst in die Hand nehmen und die Initiative ergreifen. Ich schnappe mir mein Zeug und werfe die Autotür zu.
Als er davonfährt, gehe ich weiter durch die Stadt und sehe mich um. Die Restaurants und Cafés haben geöffnet, sowie ein paar Imbissbuden.
In einem Schaufenster sehe ich mir mein Erscheinungsbild an, wühle nochmal in meinen Haaren herum und wische mir unter den Augen das verwischte Make-up weg, damit ich nicht so fertig aussehe. Mir ist klar, dass es jetzt noch schwieriger werden wird, in meiner gewohnten Branche ernst genommen zu werden, aber ich muss versuchen, genauso clever und selbstsicher aufzutreten wie bei Greenfields Communication.
Ich bekomme hier schnell einen guten Überblick und speichere für morgen einige Stellen und Büros in meinem Kopf ab. Die Auswahl ist nicht schlecht, aber für heute muss ich mein Jagdgebiet auf andere Jobs ausweiten, die mir weniger zusagen.
Wenn ich bereits heute etwas finde, das in meinen Augen ein vertretbarer Start ist, dann weiß ich, dass ich zumindest besser schlafen kann. Und falls sich die Tage etwas noch Besseres ergibt, dann habe ich das größte Problem schon mal eingedämmt. Irgendwie schaffe ich das schon allein.