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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
06.09.2019 3.509
 
Kapitel 41 – Das Ende vom Anfang

Am nächsten Morgen
Ich bin in eine Decke gehüllt und fühle mich, als würde mein Kopf auf dem wohl weichsten Kissen liegen, auf dem er jemals war. Meine Augen sind noch geschlossen und ich genieße die Wärme, die von diesem Bett ausgeht. Mein Grinsen weckt meine Gesichtsmuskeln auf. Ist das in der letzten Nacht wirklich passiert?
Ich öffne eines meiner Augen. Das ist eindeutig Sam‘s Zimmer, es ist eindeutig sein Geruch, der dieses Bett umgibt und es sind eindeutig seine Berührungen, die noch immer auf meinem Körper brennen. Ich drehe mich zur anderen Seite um, aber kann ihn gar nicht sehen. Die Decke presse ich vor meine Brust und setze mich langsam auf, streiche mir die Haare nach hinten und dehne meinen Nacken.
Ein zufriedenes Seufzen entfährt meinen Lippen.
Ich sehe, dass Sam mir meine Sachen herausgelegt hat. Sie liegen auf seinem Schreibtischstuhl parat. Beflügelt stehe ich auf und schiebe seine Jalousie beiseite. Da draußen scheint die brennende Sonne durch die Bäume und Sam legt mir lange Jeans raus, anstatt kurzer Sachen.
Es ist toll, dass wir heute beide noch freihaben und ich erst morgen wieder zur Schule muss. Ich bin so froh, dass ich wieder in seinem Haus schlafen kann und nicht in dieser Unterkunft, wo Cataley in meinem Kopf noch präsenter ist.
Sam's Gesellschaft zog ich sowieso schon vor, aber jetzt sogar noch mehr. Mein Herz wummert allein bei dem Gedanken an ihn. Er ist sicher schon unten und macht Frühstück wie ich ihn kenne.
Ich ziehe mich in aller Seelenruhe an und suche dann meine anderen Klamotten von gestern Abend im Zimmer – was im Grunde bloß noch die Unterwäsche wäre. Allerdings finde ich sie nirgends. Danach verschwinde ich im oberen Bad und mache mich frisch.
Ich blicke in mein Spiegelbild und es strahlt mich richtig an. Sophias Make-up hat ziemlich gut gehalten und ich wische nur den etwas verwischten Mascara mit einem Tuch weg. Selbst die Haare muss ich nur etwas aufschütteln und sie sehen immer noch gut aus.  Bei all dem Stylingzeug darin, ist das wohl auch kein Wunder.
Danach laufe ich die Treppe beinahe schwebend nach unten. Irgendwo hier treibt sich Sam doch sicher rum. Heute rieche ich allerdings kein Rührei, Bacon oder frische Brötchen. Ich gehe um die Ecke herum in die Küche und grinse ihn an, als er an seinem Tisch sitzt
>Hey. < sage ich strahlend. Allerdings wirkt er irgendwie kein bisschen so beflügelt wie ich. Seine Ellenbogen sind auf der Platte, seine Hände ineinander gefaltet und er hat sein Kinn darauf gebettet. Er blickt so ernst und nachdenklich.
>Morgen. < erwidert er und schenkt mir ein winziges Lächeln. Allerdings verschwindet es gleich wieder.
>Alles okay? < frage ich irritiert und laufe auf ihn zu. Meine Hand streicht über seine Schulter.
Daraufhin dreht er sich auf dem Stuhl zu mir und nimmt meine Hand in Seine.
>Hör zu Kleines, wir müssen über etwas reden. Ich denke, du stehst inzwischen ziemlich gut auf eigenen Beinen. Deine Verletzungen sind so weit ausgeheilt, dass du meine Hilfe nicht mehr brauchst und du weißt inzwischen wie du dich verteidigen kannst. Du hast gestern mehr als bewiesen, was du allem gewachsen bist. Das ist alles, was ich wollte. < setzt er an. Dann lässt er meine Hand los, steht von seinem Stuhl auf und lehnt sich mit dem Körper gegen die Spüle. Sein Blick geht zu Boden und er steckt die Hände in die Hosentaschen.
>Das stimmt … < erwidere ich unsicher. >Aber auf was willst du hinaus? <
>Das soll heißen, du kommst inzwischen klar und brauchst mich nicht mehr. Ich denke es wird Zeit, dass du …<
>Du willst, dass ich gehe. < vervollständige ich monoton und reiße die Augen auf. Nein, das kann nicht sein Ernst sein. Doch nicht jetzt! Daraufhin nickt er. >Hast du dir das ausgedacht bevor oder nachdem wir miteinander geschlafen haben? < keuche ich und denke, er macht einen schlechten Scherz.
>Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass sich unsere Wege trennen müssen. < erklärt er ruhig.
>Das weiß ich und das war mir auch immer bewusst. Aber dass es ausgerechnet jetzt ist und du mich loswerden willst, nachdem wir … wir …< Mir fehlen einfach die Worte. Klar wusste ich, dass ich gehen würde, sobald alles geklärt ist und es gab eine Zeit, wo ich sofort von hier verschwinden wollte, aber das ist vorbei. Jetzt fühle ich mich so verraten, verletzt und nun nach dem Sex auch so benutzt. Etwas ruhiger und mit unterdrückter Entrüstung sage ich: >Es ist dein Haus. Wenn du willst, dass ich verschwinde, dann tue ich es. < schwer atmend presse ich die Lippen aufeinander. Sam wirft mir einen kurzen Blick zu, schaut dann zum Stuhl neben sich und schiebt ihn ein Stück vom Tisch weg. Von der Sitzfläche greift er sich meinen Rucksack, den ich für meine Ausbildung brauche und die Reisetasche, um beides auf den Tisch zu stellen.
>In den Taschen sind alle Dinge drin, die dir gehören. Außerdem 2000 Dollar Bargeld. Damit solltest du erstmal über die Runden kommen, bis du deine Lizenz hast und deine ersten Jobs machen kannst. <
Ich kann nicht anders, ich muss mich setzen und ihn ansehen.
>Sam, wieso jetzt? < wispere ich.
>Weil du deinen neuen Namen und den Pass hast. Die Typen suchen nicht nach dir und du bleibst unentdeckt. Deine Schule ist bis zum Schluss bezahlt und du kennst die Strecke dorthin. Mach sie fertig und dann bin ich sicher, dass du deinen Weg findest. <
>Das meinte ich nicht. Wieso tust du das ausgerechnet heute? Es tut mir leid, falls ich letzte Nacht etwas Falsches getan habe und ich kenne deine Prinzipien aber bitte Sam, bitte tu das nicht nur, weil wir …<
>Du solltest jetzt gehen. < unterbricht er mich. Seine Arme sind inzwischen vor der Brust verschränkt – ein klares Zeichen von Ablehnung. Sein Blick sucht in keinerlei Weise den Meinen.
Japsend atme ich ein und versuche mich irgendwie wieder aufzuraffen. Sobald ich stehe, sehe ich erneut zu ihm rüber. Ich kann es einfach nicht fassen. So schnell kann also alles vorbei sein. Am liebsten würde ich ihm das Geld in der Tasche vor die Füße werfen, aber ich werde es leider brauchen.
Wortlos greife ich den Rucksack und lege ihn um eine meiner Schultern. Vom Tisch nehme ich die Reisetasche und laufe mit ihr einige langsame Schritte rückwärts und hoffe, dass er es sich anders überlegt. Aber Sam schließt seine Augen. Nicht einmal jetzt kann er mir ins Gesicht sehen. Mit verschleiertem Blick laufe ich Schritt für Schritt weiter und befürchte jeden Augenblick einzuknicken.
Meine Hand legt sich auf den Türknauf. Soll es das jetzt wirklich gewesen sein? Sollte ich nicht noch irgendetwas zu ihm sagen? Aber was? Ich bin vollkommen fassungslos und stehe mit geöffnetem Mund an seiner Tür.
Er sieht mich immer noch nicht an, obwohl er vier Meter freie Sicht aus der Küche zu mir hat. Was habe ich nur getan, dass er mich plötzlich so behandelt?
Das Einzige, an das ich denken kann, ist, dass ich jetzt auf keinen Fall anfangen darf, vor ihm zu weinen.
Ich würde ihm so gern sagen, wie dankbar ich ihm für alles bin, aber ich kann nicht. Diese Worte hängen in meiner Kehle fest.
>Mach’s gut Sam. < hauche ich stattdessen und eile schließlich durch die Tür. Mit hämmerndem Herzen höre ich wie sie zufällt. Ich habe nicht mal eine Ahnung wo ich hin soll. Was mache ich jetzt ohne ihn?
Ohne einen Plan zu haben, gehe ich in den Wald hinein. Zumindest weiß ich wo ich langgehen muss, um zu einer Straße zu kommen. Bevor ich hinter den Büschen verschwinde, drehe ich mich noch ein letztes Mal zu seinem Haus um, aber er folgt mir nicht.
Wahrscheinlich steht er immer noch wie angewurzelt in seiner Küche herum.
Träume ich das alles etwa gerade? Falls ja, dann wäre jetzt ein ziemlich guter Zeitpunkt aufzuwachen.
Was ich jedenfalls nicht träume, ist, dass mein Herz so sehr wummert, dass es gleich herausspringt. Ich schniefe und atme heftig.
Nicht heulen! Ich wusste, dass es so kommen würde. Er hat es immer wieder gesagt und nicht vorgehabt, mich bei sich zu behalten. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Wir kannten uns kaum und das, was er getan hat, war mehr als freundlich. Ich will wirklich nicht undankbar sein, aber er hat mir gerade so unfassbar weggetan.
Um möglichst bald von hier wegzukommen, gehe ich noch schneller. Meine Tränen bahnen sich ihren Weg und wütend über mich selbst, wische ich sie grob weg und trete ein paar liegende Zweige nach vorn. Sophia hatte mich gewarnt und ich habe darauf nicht hören wollen.

              Nach zehn Minuten gelange ich zu der Straße, an der ich vor einer Weile schon einmal entlang spazierte. Nur, dass ich jetzt nicht spaziere, sondern versuche so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Dort angelangt lasse ich den Rucksack von meinen Schultern gleiten und greife hinein. Ich bin froh, dass ich neben dem Geld, meinem Pass, den Handschuhen und meinen Schulsachen immerhin auch eine Wasserflasche finde. Auch in die andere Tasche werfe ich einen Blick hinein. Wann hat Sam damit angefangen, das ganze Zeug zusammenzupacken? Offensichtlich war er damit bereits in der Nacht beschäftigt, weil er mich nicht mehr neben sich ertragen konnte. Kaum zu glauben, dass ich überhaupt so viel Zeug besitze. Immerhin kam ich hier mit nichts an.
Ich stopfe das Geld ganz nach unten in den Rucksack und schließe den Reißverschluss wieder, schwinge ihn mir um und laufe einfach weiter am Straßenrand.
Meine Gedanken rasen alle wie wild durcheinander, denn ich brauche einen Plan. Den Weg zur Schule kenne ich nicht direkt, aber ich würde sicher irgendwie dorthin finden und ein Taxi recht gut lotsen können. Wenn ich drüber nachdenke, dann ist mir klar, dass ich dort sowieso nicht mehr hin kann. Ich habe Cataley zu Boden gerissen und sie beschimpft. Das war es, was ich Sam seit zwei Tagen immer wieder sagen wollte, aber ich brachte es nicht über die Lippen.
Entweder schmeißt mich Henry sowieso aus meiner Stufe raus oder meine Trainerin wird mir zukünftig noch mehr antun – und nichts davon wird annähernd so zu erdulden sein, wie das in den letzten Wochen. Sie wird mir keine faire Chance geben und mich nicht aufsteigen lassen, vollkommen egal was ich mache. Weshalb sollte ich, nachdem was jetzt passiert ist, diese Tortur weiterhin durchmachen und mich mit Cataley anlegen?
Sam sah angeblich etwas in mir und nun, da ich das offensichtlich geworden bin, stehe ich allein da. Wo haben mich all die Kämpfe und all die Schmerzen hingebracht? Er denkt, ich stehe auf eigenen Beinen, dabei stehe ich nun wieder am Anfang, nur dass ich nun auch noch einen Menschen mit auf dem Gewissen habe. Nie im Leben will ich damit noch etwas zu tun haben. Und deswegen weiß ich, dass ich diese Lizenz niemals machen werde und nicht zur Schule fahre. Scheiß drauf. Ich schaffe das anders – auf meine Weise.
Vielleicht könnte ich Megan anrufen. Sicher finde ich irgendwo eine Telefonzelle, um sie zu kontaktieren. Aber wie erklärt sie das ihren Eltern, wenn ich quicklebendig in ihrer Tür stehe?
Wütend stampfe ich neben der Straße weiter, weil ich mit meinen Gedanken und dem, was machbar ist, auf keinen Nenner komme.
              Nach einer Weile werden die Taschen wirklich schwer und ich muss eine Pause einlegen. Dann höre ich hinter mir einen Motor und drehe mich dorthin um. Es kommt ein Truck angefahren und ich halte winkend den Daumen raus.
Ich habe trampen noch nie für eine gute Idee gehalten, aber irgendwie muss ich von hier wegkommen.
Der Truck wird langsamer und fährt noch ein Stück vor mir weiter, ehe er etwa zehn Meter später zum Stillstand kommt. Ich renne zur Beifahrerseite hin, als bereits das Seitenfenster heruntergeht.
>Wo soll’s denn hingehen? < ruft der Fahrer. Der Truck ist so hoch, dass ich den Kerl nicht mal sehen kann.
>Kommt darauf an. Wohin wollen Sie? <
>Winniepeg, Kanada. Ich fahre über den Highway 53 und könnte in 10 Fahrstunden dort sein. <
Die USA sollte ich lieber nicht verlassen, aber unterwegs wird sich sicher etwas ergeben.
>Okay, Sie können mich unterwegs rausschmeißen. <
>Na dann hüpf rein. < sagt er und lehnt sich rüber, um mir die Tür zu öffnen.
Ich bleibe noch stehen und verkralle meine Hand in den Rucksackriemen. Meine Gedanken überschlagen sich, aber ich denke, dass es nicht anders geht, als einzusteigen. Schließlich schaue ich mich noch ein letztes Mal nach hinten um, verabschiede mich still von dieser Gegend und trete auf die Fußstütze, um mich dann neben meinen Fahrer fallen zu lassen.
>Danke. <
Er winkt grinsend ab. Es ist keiner der typischen Trucker. Der Fahrer ist sehr dünn und wirkt in der Jeans ziemlich verloren. Sein vom Nikotin gefärbter Oberlippenbart hebt sich beim Grinsen und er trägt ein breites Cappi.
Der Truck stinkt übel nach Zigarettenqualm, aber da muss ich jetzt durch. Sollte mir dieser Typ zu nahe kommen, kenne ich meine Mittel und Wege zur Verteidigung.
Ich schnalle mich an und er setzt sein Kraftfahrzeug in Bewegung.
>Noch so unentschlossen wo die Reise hingehen soll? < fragt er, aber dann sieht er in meine Augen, die von den neuen anbahnenden Tränen glänzen. >Oh, sind Sie sicher, dass ich Sie mitnehmen soll? < will er nun viel mitfühlender wissen und entscheidet sich schnell um, mich plötzlich zu siezen.
>Ja klar. Mir geht’s gut. Ich lasse es einfach auf mich zukommen. <
Mir geht es alles andere als gut – mir geht es richtig mies. Mein Herz fühlt sich tonnenschwer an und meine Hände zittern immer noch. Innerlich bebt mein ganzer Körper.
Ich greife zu der Wasserflasche aus dem Rucksack und nehme einen großen Schluck. Das Verrückte an der ganzen Sache ist, immer wenn man denkt, es könnte nicht schlimmer kommen, dann wird es schlimmer – in meinem Fall immer gleich zehnfach.
>Wie heißen Sie? < will der Trucker wissen.
>Kim. < erwidere ich monoton und sehe aus dem Seitenfenster in den Wald hinein.
>Wollen Sie mir vielleicht erzählen, wovor Sie davonlaufen? <
>Nein. < entgegne ich ruhig, obwohl ich ihm das lieber ins Gesicht gebrüllt hätte. Der arme Kerl kann nicht mal etwas für meine miese Stimmung.
>Falls Ihnen etwas angetan wurde, dann fahre ich mit Ihnen auf ein Policedepartment. <
Ich runzle die Stirn, sehe ihn an und schüttele langsam den Kopf. Ja mir wurde vor Wochen körperlich und seelisch etwas Furchtbares angetan, aber keine Polizei kann mir helfen. Sam konnte mir helfen, aber der will mich nicht mehr bei sich haben. Wie konnte das so schnell passieren? Gestern Abend war ich ihm so nah, wie ich es mir nur vorstellen kann. Ich schlage die Hände vors Gesicht und wimmere so leise wie ich kann. Mein Gesicht versuche ich schließlich hinter den Haaren zu verstecken und sehe einfach aus dem Fenster. Meine Mitfahrgelegenheit scheint sich über die Gesellschaft zu freuen, aber ich habe auf ständig aufwühlende Fragen weder Lust, noch im Moment die Kraft dazu.
Bisher antwortete ich so einsilbig und unbeteiligt, dass er allerdings schnell aufhört zu reden und stattdessen das Radio etwas lauter stellt. Ich durchsuche nun auch die Reisetasche genauer nach ihrem Inhalt. Kaum zu glauben, dass alles, was ich besitze, in eine Tasche passt. Eigentlich durchsuche ich sie nur, weil ich mich ablenken will. Ablenken von der Tatsache, dass ich wirklich Angst davor habe, jetzt allein zu sein. Inzwischen ist mir klargeworden, dass ich Megan auf keinen Fall erzählen kann, was passiert ist. Sie würde sich in ihren Ford setzen und mich holen, aber wo sollte sie mit mir hin? In Duluth würde ich wahrscheinlich erkannt werden. Dorthin kann ich nicht und das weiß ich. Wenn mich jemand in meiner Heimatstadt sieht, obwohl ich tot sein müsste, dann bin ich wohl schneller im Gefängnis, als ich es mir vorstellen kann. Ich werde noch zusätzlich wegen Flucht und illegalem Besitz eines falschen Passes angezeigt werden und sicher auch noch wegen Urkundenfälschung. Der eigentliche Tatvorwurf des dreifachen Mordes gibt mir den Rest und alles zusammen würde mir wohl eine Haft bis zu meinem Lebensende einbringen.
Die Beweislage sieht immer noch übel für mich aus und selbst einige aus Duluth halten mich für die Mörderin. Das Geschmiere auf dem Bilderrahmen am Grab meiner Familie war eindeutig. Jetzt wo Sam nicht mehr für mich verantwortlich ist, werden die drei wahren Täter für ihn sicher nicht mehr interessant sein. Er hätte davon finanziell sowieso nie etwas gehabt und der Reiz sie zu jagen, wird dahin sein.

                Wenn ich gerade mal nicht meine Gedanken ordne, dann blicke ich immer wieder auf die Digitaluhr in dem Armaturenbrett.
Seit drei Stunden bin ich jetzt unterwegs und der Abstand zwischen Sam und mir ist nicht mehr nur in Meilen messbar – dieser Abstand ist emotional.
>Ich muss den Truck volltanken. Wollen Sie etwas essen? In zwei Meilen kommt eine Tankstelle. <
>Nein Danke. Ich habe keinen Hunger. < das ist gelogen, da ich nicht mal etwas zum Frühstück hatte. Da ich allerdings erst sehen muss, wohin es mich treibt, muss ich das Geld zusammenhalten. Zu hungern ist nichts Neues für mich, das schaffe ich wieder. Nur dieses Mal muss ich es für mich tun, nicht für Iye. Das ist vielleicht das Gute daran, wenn man allein unterwegs ist. Man macht sich um niemanden sonst Sorgen, denn es gibt nur mich.
Zwei Meilen später halten wir an einer Zapfsäule. Es gibt hier nur zwei davon und wir befinden uns mitten in der Prärie. Hier stehen zwar noch mehrere Trucks herum, aber die Fahrer machen nur Pause oder halten ihre Schlafzeiten ein. Ich lasse meinen Kopf erschöpft gegen die Kopflehne fallen und sehe wie meine Mitfahrgelegenheit an einer Telefonzelle stehenbleibt, während das Benzin in seinen Truck hineinfließt.
Das gefällt mir nicht. Vielleicht übertreibe ich und werde paranoid, aber der Typ hat doch sicher ein Handy. Weshalb telefoniert er außerhalb der Fahrerkabine?
Falls er denkt, ich würde tatsächlich vor irgendeinem Schlägertypen davonlaufen, dann wäre die Polizei das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.
Ich greife mir die Taschen, steige aus und bleibe versteckt hinter dem Truck stehen, um ihn im Auge zu behalten. Beim Umsehen habe ich eine Idee und verschwinde langsam hinter den anderen geparkten Fahrzeugen. Wo bin ich überhaupt? Unbemerkt laufe ich weiter und bleibe so lange in Deckung, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe weiterzugehen. Schließlich startet irgendwo in den Reihen der geparkten Fahrzeuge ein Motor. Ich sehe mich um, aber für niemanden bin ich aufgrund des toten Winkels zu sehen. Also hüpfe ich zwischen all den LKWs hin und her, bis ich sehe, welches Fahrzeug gerade startet. Nun denke ich absolut nicht mehr nach, was ich tue. Meine Beine machen es einfach von allein und ich stelle mich hinten auf den Auflieger des Trucks rauf. Das ist bescheuert und wahnsinnig zugleich. Meine Hand verkrallt sich in den Spanngurten der Plane, weil die Andere die Tasche halten muss.
Wie soll ich hier wieder herunterkommen? Was ist, wenn andere Autos hinter mir fahren und mich sehen?
Na schöner Mist. Soviel zu spontanen Ideen, das war vollkommen idiotisch und vielleicht auch total paranoid und unnötig. Der Trucker, der mich in Grand Portage aufgabelte, hat vielleicht gar nicht mit der Polizei telefoniert.
Ich lasse mich zumindest ungesehen von dieser Tankstelle wegfahren und warte, bis ich ein paar hundert Meter weiter bin. Dann tue ich etwas, was noch bescheuerter ist, als bei einem Fremden mitzufahren und bei dem nächstbesten Truck aufzuspringen. Die Reisetasche werfe ich seitlich ab und springe dann bei voller Fahrt hinunter. Dabei rolle ich mich nach rechts in den Straßengraben ab. Bei der Geschwindigkeit habe ich damit zu kämpfen, überhaupt durch eigener Kraft anzuhalten. Als ich allerdings unsanft aufkomme und hustend bei all dem aufwühlenden Sand sitze, sehe ich mich nach hinten um. Schließlich klopfe ich mir den Schmutz ab und haste einige Meter zurück, um mir die Reisetasche zu greifen und laufe einfach orientierungslos weiter.
Eigentlich sieht es hier ganz nett aus, auch wenn ich keine Ahnung habe, wo ich eigentlich bin. Neben der Straße beginnen Felder voll mit Hafer. Nun sollte ich lieber schnell verschwinden, denn der Trucker der mich von Grand Portage mitnahm, wird hier sicherlich gleich vorbeifahren. Ich stampfe mitten durch das Getreide und versinke zur Hälfte darin. Keine Ahnung wohin es mich führt, aber irgendwo muss doch ein Platz auf dieser Welt für mich sein. Jegliche Sorge versuche ich in den Hintergrund zu verbannen und ich bemühe mich, meine jetzige Lage als einen Neustart anzusehen. Vielleicht kann das auch eine Chance sein, so wie es eine dieser vier indianischen Säulen besagt. Nichts passiert ohne Grund und dieses Mal bin ich in einer besseren psychischen und physischen Verfassung als das letzte Mal.

- Ende von Teil 2 -
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