Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
102 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
1 Review
09.08.2019
5.805
Kapitel 38 – Mörderische Vorbereitung
Nachdem ich frisch geduscht nach unserem Training in Sam's Küche trete, präsentiert er mir geschlagene zwei Stunden lang jedes noch so kleine Detail zu diesem Typen, zu seinen zwei Bodyguards und zu dem Club, in dem er sein wird. Die genaue Uhrzeit, wenn er sein teures Apartment verlässt, wird uns Sam's Insider noch verraten und wir werden auf exakt dieses Zeichen warten.
Ich war eben nur für zwei Minuten auf dem Klo und bin noch nicht mal zurück in seiner Küche, da bombardiert mich Sam schon wieder mit Fragen und testet, ob ich mir alles behalten habe. Selbst den Grundriss erkläre ich ihm noch zwei weitere Male, aber da kann ich ihn beruhigen. In solchen Dingen ist mein Gehirn ziemlich leistungsstark und ich speichere mir solche Details quasi per Augenzwinkern ab.
>Wie viele VIP-Räume gibt es und wie viele Notausgänge? < fragt er schon wieder.
Ich lasse mich hingegen seufzend auf den Küchenstuhl sinken und werfe den Kopf nach hinten.
>Es sind immer noch zehn. Jeder Raum hat einen Hinterausgang zur Gasse und direkte Notausgänge innerhalb des Clubs sind es zwei. < nuschle ich langsam angenervt.
>Ich muss sicher gehen, dass du es nicht vergisst. < rechtfertigt er sich. Ich stehe auf, schnappe mir einen Kugelschreiber und eine alte Zeitung.
>Hier! Schreibe eine beliebige Zahlenfolge auf! Ganz egal wie viele Stellen. < sage ich und lege ihm die beiden Sachen hin.
>Was? Wozu? <
>Tu es einfach, du wirst schon sehen. <
Irritiert krakelt er einfach ein paar wahllose, aneinandergereihte Zahlen hin und reicht mir dann fragend die Zeitung zurück. Ich werfe einen Blick darauf, gehe die Reihe zweimal in meinem Kopf durch, schiebe ihm die Zeitung rüber und wiederhole laut die zwanzigstellige Zahlfolge:
>9-6-2-8-5-5-1-0-0-4-6-9-5-7-3-6-1-5-4-0<
Sam reißt die Augen auf und hebt ganz langsam und vorsichtig den Kopf.
>Äh … wie hast du das denn gemacht? < keucht er.
Grinsend verschränke ich die Arme.
>Ich habe ein Zahlengedächtnis. Ganz egal ob Handynummern, Pins, Safekombinationen oder sonstige Details – ich merke mir das recht schnell. Frag mich in einer Stunde nochmal danach, wenn du mir nicht glaubst und ich rattere sie dir erneut runter. Es ist nicht nötig alle Details des Clubs minütlich mit mir zu üben. Diese Sachen sitzen bereits hier. <
Ich deute dabei auf mein Gehirn und grinse weiter in mich hinein, weil ich Sam zum ersten Mal so richtig fassungslos sehe.
>Mir war klar, dass du was im Köpfchen hast Kleines, aber das übersteigt mein Verständnis. <
>Leg dich nie mit einer Person an, die studiert hat. <
>Im Übrigen kann niemand Klugscheißer leiden. < wirft er schmunzelnd ein.
>Hey, das ist immerhin das Einzige, was ich raushängen lassen kann. < lache ich.
Kurz darauf klopft es an der Tür.
>Das muss Sophia sein. < sagt Sam und steht auf. Ich werfe einen Blick zur Uhr und runzle die Stirn. Es ist erst kurz nach 16 Uhr – ist das nicht viel zu früh?
Kurz darauf kommt sie tatsächlich auf High Heels hereinstolziert und hat ein kleines Kind auf dem Arm.
>Hey ihr zwei. Ich habe leider keinen Babysitter gefunden und da ihr immer so spontan seid, musste ich sie mitbringen. < keucht sie atemlos.
Ich grinse bei dem Anblick.
>Dass du ein Kind hast wusste ich gar nicht. Wie alt ist sie denn? < will ich wissen. Sophia kommt zu mir, küsst mich auf die Wange und gibt mir ihre Tochter direkt ohne Hemmungen in die Arme, die ich überrumpelt festklammere.
>Sie ist 1 ½ Jahre. Und auf ihren Dad – dem Idioten, ist mal wieder kein Verlass. Er sollte sie heute Morgen abholen, hat er aber nicht. Ich musste alles auf Arbeit umwerfen. Versucht mal einem verängstigten und ungeduldigen Familienvater im Zeugenschutz zu erklären, dass er und seine Familie erst morgen vor die Tür können, weil ich keine Zeit für das Umstyling habe. <
Dabei schlucke ich. Weshalb kam mein Dad eigentlich nie auf so eine Idee?
Als sie die Arme freihat, läuft sie zu Sam und drückt ihn wieder so herzlich an sich, dass ich lachen muss. Ich liebe diesen Anblick der beiden. Sophia zerquetscht ihn förmlich und küsst ihn überschwänglich auf beide Wangen. Sam steht währenddessen da wie ein Fels, grinst augenrollend und seufzt, weil sie nicht damit aufhört.
Ihre kleine Tochter greift sich eine meiner langen Haarsträhnen, sieht sie sich genau an und zieht plötzlich daran, als würde es kein Halten mehr geben.
>Autsch! < fluche ich.
>Oh oh. Ja das macht sie gerne. Trage bloß keine langen Ketten oder lange Ohrringe bei ihr. Das hat sie dann alles in ihren Fingern. < wirft ihre Mutter lässig ein, während mir gleich die Tränen in die Augen schießen. Die Kleine hat inzwischen ihre Faust um meine Haare gewickelt und ich blicke mit schief gelegtem Kopf Hilfe suchend zu Sophia. Sie nimmt mir das Kind wieder ab und drückt es plötzlich Sam in die Arme. Ich weiß nicht, wer von beiden schockierter guckt. Er oder die Kleine.
>Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, Sophia. Ich mache sie nur kaputt. < murmelt er und hält die Kleine von sich weg.
>Ach was, vor drei Monaten hast du sie auch am Leben gelassen. Ich muss mich jetzt um Nayeli kümmern und brauche meine Konzentration. Lauf mit ihr rum und bespaße sie ein bisschen, das findet sie klasse. Erzähl ihr was oder sing ihr was vor. Falls sie Hunger bekommt, habe ich alles im Auto. <
>Oh nein! Sophia ganz ehrlich, das ist die Höchststrafe für mich. < hält er sofort dagegen.
Sophia grinst schelmisch bei seinem Protest und wendet sich direkt an mich.
>Na dann los. Ab unter die Dusche und Beine rasieren. Ich hole alles aus dem Auto. <
>Ich war vor zwei Stunden schon duschen und bin fertig für dich. < erwidere ich. Daraufhin mustert sie meine Beine in meiner Hot Pants und streicht darüber, um deren Glätte zu prüfen.
>Auch gut. Dann haben wir mehr Zeit, wenn du das alles schon gemacht hast. <
>Ehrlich gesagt, habe ich das noch nie gemacht. <
Daraufhin wirft mir Sophia einen irritierten Blick zu.
>Was hast du noch nie gemacht? Dir die Beine rasiert? <
Ich grinse und halte ihr auch meine Arme hin, die sie automatisch bestreicht.
>Das haben Indianer mit den Asiaten gemeinsam. Wir haben so gut wie keine Körperbehaarung. < erwidere ich lässig. Ist ihr das bisher noch nicht aufgefallen?
>Ach hör auf. Du nimmst mich doch auf den Arm! <
>Nein. Hast du schon mal einen Indianermann mit Bart oder Brustbehaarung gesehen? <
Daraufhin denkt sie scharf nach, wirft dann einen fragenden Blick zu Sam, der mit ihrer Tochter kämpft, reißt erleuchtend die Augen auf und schüttelt den Kopf.
>Das ist ja genial. Und was man da an Zeit spart! Das kostet mich bestimmt eine Stunde meiner gesamten Woche. < quietscht sie plötzlich begeistert. Sam grinst mich plötzlich so an und wirft ein:
>Hast du nicht mal gesagt, ich sehe aus wie 40 und selbst dein Vater wäre nicht so zugewachsen wie ich? Das ist ja dann wirklich keine Kunst. < Ich gehe grinsend zu ihm und streiche über seinen mehr als 14 Tage-Bart.
>Du hättest meinen Dad in seinen 30ern sehen sollen. Seine Haare waren länger als meine und trotzdem war von ihm mehr zu erkennen, als von dir damals. <
Sophia lacht schallend und mischt sich stichelnd ein.
>Tja Sam, das sollte dir mal zu denken geben und den Seitenhieb mit dem Bart hättest du heute auch noch von mir bekommen. Wenn ich nachher noch Zeit habe, dann bist du dran. Also dann Süße, los geht’s. Wenn du so haarlos bist, umso besser. Dann habe ich nicht so einen Zeitdruck. <
Sophia rennt kurz nach draußen und kommt Sekunden später mit ihrem Köfferchen und einem Kleid zurück. Das Stück Stoff hängt sie einfach im Flur an und schiebt mich bereits vorwärts, noch bevor ich es mir genauer ansehen kann.
>Sophia warte, das geht nicht. < japst Sam und hält die Kleine einen Meter von sich weg.
>Keine Panik. Nora beißt nicht. < erwidert ihre Mutter locker. Ich sehe Sam's Gesicht an, dass das so überhaupt nicht sein Thema ist.
>Bist du sicher? < flüstere ich Sophia zu.
Wir biegen gerade zur Tür ab, als ich erneut Sam's Blick sehe. Ich weiß nicht, wer skeptischer aussieht. Er oder die Kleine.
>Ach klar, die beiden haben sich vor einer Weile schon mal gesehen und Nora fremdelt kein bisschen. Sam übernimmt die heftigsten Jobs. Da wird er doch wohl mit einem Kleinkind auskommen. <
Das ist ein sehr merkwürdiger Vergleich und außerdem bezweifle ich, dass sich so ein kleines Kind das Gesicht von jemand fremden so schnell merkt – zumal Sam zu der Zeit noch vollkommen anders aussah mit seinem Holzfällerstyle. Aber ich finde es gut, dass sie das so locker sieht. Offensichtlich überträgt sich das auch auf ihre Tochter.
Sie packt all ihr Zeug aus und beginnt sofort mit ihrer Arbeit.
Ich mag das nicht sonderlich, aber sie zupft mir zuerst die Augenbrauen nach.
>Und wie geht’s dir so? Sam war mit Dimitrij in Russland habe ich gehört. Warst du so lange alleine hier? < will sie wissen.
>Ach weißt du das gar nicht? < frage ich irritiert.
>Weiß ich „was“ nicht? <
>Oh ähm … < ich habe keine Ahnung, ob ich Sophia das mit meiner Ausbildung erzählen darf. Plötzlich kommt Sam rein, mit einer quengelnden Nora.
>Irgendetwas passt ihr nicht. < sagt er. Das hat ja nicht lange gedauert. Ich pruste los, aber halte mir schnell die Hand vor den Mund.
>Sie hat vielleicht die Windel voll. Sieh mal nach! < erwidert Sophia lässig.
>Wie bitte? < keucht Sam. >Nur über meine Leiche! <
>Ach Sam, jetzt sei nicht so ein Macho! Das ist kinderleicht. Sag mal, weshalb muss ich dich überhaupt aufhübschen? Wo wollt ihr denn hin? < fragt sie nun wieder an mich gewandt.
Er kommt in mein Zimmer rein und setzt Nora auf meinem Bett ab.
>Gute Frage. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat, Nayeli zu meinem Auftrag mitnehmen zu wollen. < seufzt Sam und wirkt immer noch etwas hin- und hergerissen.
Sophia fällt die Pinzette aus der Hand, die klimpernd zu Boden geht und sie starrt ihn an.
>Hä? Moment mal … habe ich irgendetwas verpasst? < sie versteht überhaupt nicht was hier läuft und sieht zwischen uns beiden hin und her. >Sam, bist du irre? Was soll sie da? <
Sam guckt grinsend zu mir.
>Sie will mir dabei helfen und hatte überzeugende Argumente. <
>Was haben sie in Russland mit dir gemacht? Wobei soll sie dir denn helfen? Wenn etwas passiert und du bist nicht schnell genug bei ihr, dann …<
>Bleib locker. < wende ich ein. >Ich kann mich verteidigen. Vielleicht nicht perfekt, aber ausreichend. <
>Ihr zwei habt zusammen irgendeine Partydroge genommen, oder? Sam, ich sagte zwar mal, dass du echt entspannter werden musst und nicht immer alles so eng und genau sehen solltest, aber das habe ich ganz sicher nicht damit gemeint. <
Er lacht und beginnt Sophias Tochter auf mein Bett zu legen und auszuziehen. Dass er das wirklich tut, um ihr die Windel zu wechseln, ist echt verblüffend.
>Nayeli trainiert seit bald drei Wochen auf der Schule beim SISAM. < erklärt er. Puh okay, ich war mir nicht sicher, ob sie das wissen darf.
Langsam, ganz langsam dreht Sophia ihren Kopf zu mir und starrt mich an. Ich traue mich gar nicht etwas zu sagen. Ist sie jetzt eingefroren?
>Wow. < haucht sie kaum hörbar und fängt sich endlich wieder. Ihr Blick sieht überrascht aus und ihr Grinsen ist sehr vorsichtig, beinahe fasziniert. >Ich habe dir beim letzten Mal im Auto gesagt, dass du viel bewirken könntest, wenn du auch in dieser Branche arbeiten würdest. <
>Ja und dass es wichtig ist Leute zu haben, die genau wissen, wie es ist, alles verloren zu haben. < ergänze ich.
Sie grinst allmählich immer breiter und nickt – eher zu sich selbst.
>Stimmt, das habe ich gesagt. < murmelt sie in sich hinein.
>Ehm Sophia … ich will deinen Monolog ja nur ungern stören, aber ich brauche hier dringend mal deine Hilfe. < keucht Sam als er die Windel öffnet.
Sophia rollt mit den Augen, verschwindet aus dem Zimmer und kommt kurz darauf mit allem Zeug zurück. Auch wenn es lustig ist Sam so zu sehen, finde ich, er hatte genug zu ertragen und drum wird er für das Malheur abgelöst.
Sobald Nora frisch gewickelt ist, wird sie ganz selbstverständlich wieder in Sam's Arme gedrückt und ihre Mutter verbannt ihn wieder aus dem Zimmer.
>So und jetzt Details! < verlangt sie euphorisch von mir. >Wann genau wolltet ihr mir das denn bitte sagen? <
>Ich hatte es gerade vor, als Sam reinkam. <
>Unfassbar. Du genießt also bald „das Leben in der Grauzone.“ <
>Grauzone? <
>Ja der schmale Grat zwischen dem Legalen und dem Illegalen. Ich dachte eher an meinen Job und nicht an einen Kopfgeldjäger, als ich das letztens zu dir sagte. <
>Kann ich mir vorstellen. < lache ich. >Aber ich bin froh, dass ich mit der Schule begonnen habe. Es kommt mir irgendwie richtig vor. <
Bei diesem Satz werde ich wehmütig. Ich habe immer noch Cataley angegriffen. Es ist möglich, dass Sam am Montag einen Anruf bekommt und sie mich von der Schule werfen. Das will ich nicht, aber ich will auch meine Trainerin nicht mehr ertragen. Ich muss es Sam endlich sagen, das ist mir klar. Aber wann mache ich das am besten? Wenn ich es heute tue, dann nimmt er mich vielleicht nicht mehr mit. Er könnte an meinen Nerven zweifeln.
>Und jetzt willst du dich vor Sam beweisen? Was ist denn mit dem los? Normalerweise würde er niemals jemanden zu einem Auftrag mitnehmen. Das macht er nicht mal mit erfahrenen Leuten, weil er sich nicht auf sie verlassen kann. Die Aktion in Russland war eine Ausnahme. <
>Ich habe ihm klargemacht, dass er mich heute als Lockvogel braucht. Er ist eben keine Frau mit dunklem Teint, die in das Beuteschema von seiner Zielperson passen würde. So eine wird sich dieser Kerl allerdings heute holen wollen. <
>Verstehe. Aber trotzdem … ich meine, wow. Ich bin sprachlos. <
Ich hingegen grinse, weil ich sie so aus dem Konzept bringe.
>Er hat so viel für mich getan und ich würde mich gerne mal dafür revanchieren. Es ist nicht so, dass ich vor diesem Abend keinen Respekt hätte – glaube mir, ich bekomme etwas Muffensausen, aber ich will ihm helfen. Ich hoffe nur, ich enttäusche ihn nicht. <
Ich kann Sam plötzlich vor meinem Fenster laufen sehen. Er geht mit der Kleinen spazieren und sie läuft mit ihrem Nuckel im Mund tapsig neben ihm her, während er mit den Händen in den Hosentaschen in Richtung des Lakes schaut.
>Langsam glaube ich, für ihn würdest du so ziemlich alles tun. < murmelt sie. Ich sehe weiterhin nach draußen zu ihm und kann nicht wegsehen. Weil ich nichts dazu sage, sondern nur aus dem Fenster spähe, setzt sich Sophia vor mich auf mein Bett und nun sehe ich zu ihr. Ihr zuvor verblüffter aber trotzdem freundlicher Blick weicht einem Bekümmerten.
>Hör zu Nayeli. Du bist eine tolle, clevere Frau und du hast zu viel von dir geben müssen. Du bist ganz anders als damals, als ich dich das erste Mal traf und du am Boden zerstört warst. Ich finde das gut und ich weiß, dass Sam daran nicht unschuldig ist. Aber er ist nicht einer dieser Männer, der ein kurzes Abenteuer oder eine Beziehung sucht. Er kann es einfach nicht und wenn ich dir einen Rat geben darf, dann erwarte das nicht. <
Verwundert sehe ich sie an.
>Was meinst du? <
>Du willst bei ihm bleiben, richtig? <
>Sophia das Thema hatten wir bereits hundertmal. Sam und ich haben das geklärt. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem er mich gehen lassen wird und das weiß ich. <
>Glaub mir, ich wünschte, das würde anders kommen. < gibt sie bitter zu. Weshalb plötzlich dieser Ton?
>Ich will ihm heute nur helfen, das ist alles. <
>Na schön. Dann sollst du also den Lockvogel spielen. Das bedeutet, du musst sexy sein. < sagt sie leise und macht weiter. Ihre Worte machen mich stutzig. Natürlich hat sie nicht unrecht und natürlich musste ich viel von mir geben. So ziemlich meine gesamte alte Identität habe ich abgegeben. Wenn Meg nicht ab und zu in meinem Ohr wäre, sowie mein wahrer Name – falls Sam nicht gerade „Kleines“ sagt, dann wäre beinahe nichts mehr von mir übrig. Aber weshalb dieser bedrückte Ton? Ich entscheide mich dafür, das Thema lieber nicht weiter anzurühren und rede stattdessen über belanglosere Dinge. Sophia erzählt mir, dass sie sich von Noras Vater bereits während der Schwangerschaft trennte. Sie stellte fest, dass er nicht der war, für den sie ihn hielt und er zeigte damals kein großes Interesse an dem ungeborenen Kind. Sie ist tatsächlich so taff wie sie immer wirkt und stemmt so ziemlich alles allein. Selbst heute, wo sie eigentlich ohne Kind gewesen wäre, ist kein Verlass auf eine Hilfe und sie muss in ihrem Job umdisponieren, behält aber trotzdem ihr Lächeln und einen Plan B in petto. Ich finde es traurig, dass sie so viel um die Ohren hat aber auch bewundernswert, wie sie sich durchbeißt.
Als ich vor fünf Wochen einen Einblick in Sam's Welt bekam, habe ich viele meiner Ansichten geändert. Nun weiß ich, dass diese Welt verlogen, kriminell und einsam ist und sie hat nichts mit dem zu tun, das ich vorher kannte. Wo war ich nur all die Jahre?
Ich schätze, ich war in einer kleinen und heilen Traumblase und bekam nie etwas davon mit, wie es wirklich zugeht. Außerhalb der Blase gibt es wenige Menschen, denen man sein Vertrauen schenken kann. Diese Begegnungen machten Sam und Sophia eindeutig zu häufig.
Während wir uns weiter unterhalten, schneidet Sophia meinen Pony um einen halben Zentimeter nach, macht mir die Haare und schminkt mich. Sie macht mir in den längeren Strähnen große Korkenzieherlocken rein und ich gebe zum Ausdruck, dass das bei meinen Haaren sowieso nicht hält, aber sie räuchert mich mit so viel Sprühflaschen und Stylingzeug ein, dass das zu halten scheint. Allein bekomme ich so etwas nie hin.
Nach etwa einer Stunde ist ihr Werk vollbracht und wie beim letzten Mal erkenne ich mich nicht wieder. So wie ich jetzt aussehe, hätte ich mal auf meine Abschlussparty gehen sollen. Es ist unglaublich.
Wir gehen nach der Ausführung ihrer Arbeit in das Wohnzimmer, wo Sam mit ihrer Tochter sitzt. Als er mich sieht, weiten sich seine Augen für einen Moment, aber er wendet sich schnell ab und schaut zu Sophias Tochter, die auf dem Sofa eingeschlafen ist.
>Oh Gott, wie süß. < sagt ihre Mutter daraufhin und verschwindet plötzlich hinter mir.
>Scheint doch ganz gut geklappt zu haben. < feixe ich und nicke zu Nora.
Sam hingegen schaut mich völlig fertig an.
>Hör bloß auf. <
Dann taucht Sophia wieder auf und reicht mir das Kleid auf einem Bügel. Es ist kurz, schlicht, schwarz, eng, mit breiteren Trägern. Nicht weiter auffällig – so wie Sam es wollte.
>Das Kleid ist eine Leihgabe und das hätte ich gerne wieder, aber die hier kannst du behalten. Die sind mir zu eng. < Sophia reicht mir schwarze Pumps dazu.
>Cool danke. < grinse ich. Dann geht sie mit einem Zeigefinger über eine Augenbraue von mir und streicht noch irgendetwas zurecht.
>Das muss jetzt eine Weile halten. Versuche nicht zu viel in den Haaren oder im Gesicht herumzufummeln, dann sollte es locker einige Stunden weiterhin so aussehen. < erklärt sie und betrachtet ihr Gesamtkunstwerk.
>Okay. Könntest du eine Sache noch tun? < frage ich.
>Sicher. Was denn? <
>Meine Zimmergenossin aus der Schule hat mir letztens so eine Tarnpaste auf mein Bein geschmiert. Dieses Loch sah nicht mehr so schlimm aus. < daraufhin zeige ich ihr mein Bein.
>Oh je. Daran habe ich ja gar nicht gedacht. < japst sie und rennt plötzlich wieder weg.
>Wo willst du hin? Das Zeug steht hier unten im Bad. < rufe ich ihr hinterher.
>Behalte das mal. Ich habe auch Camouflage in meinem Köfferchen. < erwidert sie von weitem. Als sie wieder da ist, drückt sie mich auf das Sofa, kniet vor meinem Bein und behebt den Schaden noch weitaus besser als Ruby. Sie erklärt mir sogar, wie ich es allein am besten anstellen soll. Das weckt sogar Sam's Interesse und er sieht sich genau an, was sie da tut.
>Wow, das ist kaum noch zu sehen. < erwidert er fasziniert.
>Man sieht leider trotzdem, dass da eine Delle im Muskel ist. Tut mir leid um diese schönen Beine, aber das wird wohl nicht mehr besser werden. < erklärt mir Sophia.
>Ja das weiß ich. Es gibt Schlimmeres. < ich zucke mit den Achseln, denn heute weiß ich, dass es wirklich wichtiges gibt, als sich wegen einer Narbe Gedanken zu machen.
>Vielleicht lässt du da mal einen plastischen Chirurgen draufschauen. Inzwischen können die ganze Gesichtshälften modellieren. <
>Nayeli und ich haben vor kurzem schon mal festgestellt, dass wir unsere Narben im Grunde mögen. < antwortet Sam für mich und grinst mir zu. Das stimmt, da erklärte ich noch, dass sie uns daran erinnern was man einmal durchgemacht hat und vor allem, was wir überstanden haben.
>Na schön, dann bin ich fertig mit dir und nun bist du dran … aber hey. < motzt Sophia in Sam's Richtung als sie ihn genauer ansieht. >Du hast dich ja schon rasiert. <
Mir fiel das sofort auf, als wir in das Zimmer kamen. Sein Bart ist auf wenige Millimeter getrimmt, genauso wie seine zuvor dichteren Haare. Das ist ein Look, der ihn kernig aussehen lässt und ich mag es an ihm.
>Guck nicht so, das war reiner Selbstschutz. Wer weiß was du mit mir angestellt hättest. < verteidigt er sich.
>Spielverderber. < brabbelt Sophia hingegen in sich hinein und sieht etwas beleidigt aus.
Behutsam nimmt sie ihre schlafende Tochter vom Sofa hoch und versucht sie kurz darauf in ihren Autositz zu setzen, ohne dass sie davon aufwacht. Sam und ich bringen derweil ihr ganzes Zeug zum Auto, damit sie nicht noch mal zurücklaufen muss. An ihrem Jeep verabschieden wir uns schließlich von ihr.
>Dann viel Erfolg ihr zwei Verrückten. Ich will hinterher wissen, wie es war. < jubelt sie. Ich werfe einen kurzen Blick zu Sam und leider sieht er nicht allzu begeistert aus. Hoffentlich ändert er seine Meinung nicht wieder, wenn er länger über unsere bevorstehende Aktion nachdenkt. Sophia küsst ihn wieder überschwänglich auf beide Wangen und er gibt ein genervtes Stöhnen von sich, weil sie nicht aufhört. Herrlich.
Mich drückt sie kurz an sich und sagt:
>Habe keine Angst. Fang das Gefühl des Erfolgs ein und behalte es dir, wenn alles glatt lief. Der erste Auftrag ist der Wichtigste. Er formt dich. <
>Okay. < erwidere ich, weil ich nicht weiß, was ich darauf sonst antworten soll. Bei „viel Glück“ hätte ich mehr damit anfangen können. Sie steigt in ihren Wagen ein und startet den Motor. Wir bleiben einen Moment und winken ihr zu – kurz darauf läuft Sam ins Haus zurück, während ich noch stehenbleibe und Sophia mit verschränkten Armen hinterhersehe.
„Der erste Auftrag ist der Wichtigste. Er formt dich.“
Das bedeutet, sollte nachher etwas schiefgehen, dann habe ich das ewig im Kopf und bin vielleicht für den nächsten Auftrag so gehemmt, dass ich nichts mehr gebacken bekomme. Andererseits, sollte ich das ganz passabel hinbekommen, dann werde ich vielleicht nach und nach mutiger. Wollen wir hoffen, dass das Zweite eintritt.
Ich gehe wieder ins Haus hinein und finde Sam im Flur. Er sieht gerade sehr beschäftigt aus und blickt auf sein Handy. Als er mich bemerkt, sieht er allerdings auf und lässt es in seiner Hosentasche verschwinden. Ich laufe zu ihm und will ihn eigentlich fragen, ob er schon weiß, wann wir losmüssen, aber er kommt mir zuvor und sagt:
>Das steht dir. < daraufhin nimmt er sich ein paar Haare von mir zwischen die Finger und streicht über die gelockten unteren Strähnen.
>Danke. Das war in etwa das, was ich mir für meinen Abschluss vorgestellt hatte, aber allein habe ich das nie hinbekommen. <
>Was ist es stattdessen geworden? <
>Meine Mum hatte mir die Haare zu so einem hohen Ballerina-Dutt hochgesteckt. Da hat sie mir diesen Kamm integriert, der wohl schon seit Ewigkeiten in unserer Familie ist. Vorher wusste ich gar nicht, dass wir sowas besessen haben und jetzt ist er vom Lake verschluckt. <
>Tut mir leid Kleines. Ich hatte nichts gefunden. <
>Ist vielleicht auch besser so. Ich glaube, das würde nur noch mehr wehtun, wenn ich ihn täglich anschauen müsste. <
>Nein würde es nicht. Ich sehe dir an, dass du daran hängst, so wie ich an meinem Wagen. Manchmal sind es eben die kleinen materiellen Dinge, die aber eigentlich einen ideellen Wert für uns haben. <
>Hmm … mag sein. < erwidere ich leise. Sam zieht erneut sein Handy aus der Hose, sieht auf die Uhrzeit und steckt es wieder weg. Es ist gerade mal 17:30 Uhr.
>Ein paar Stunden müssen wir noch die Zeit totschlagen. Ich glaube, ich leg´ mich nochmal eine Runde aufs Ohr. <
>Mach das. < erwidere ich und sehe ihm hinterher, als er in Richtung der Treppe läuft.
Dieser Rhythmus wird für mich wohl auch irgendwann normal sein. So normal, dass ich mich entspannt vor dem Job schlafen legen kann, statt so aufgekratzt zu sein wie jetzt.
Es ist zwar Unsinn, dass ich das tue, aber ich gehe in meinem Zimmer alles noch einmal in meinem Kopf durch, was Sam mir für diesen Abend erzählt hat. Einerseits bin ich total heiß auf diesen Auftrag, aber ich habe trotzdem etwas Angst. Immerhin habe ich das noch nie gemacht. Der Grundriss des Clubs ist zweidimensional in meinem Kopf abgespeichert und ich bin gespannt, ob ich räumlich alles zuordnen kann, sobald ich vor Ort bin. Ich gehe auch meine Kampftechniken noch einmal im Kopf durch. So geschminkt und gestylt wie ich bin, will ich lieber nichts vor dem Spiegel üben, sonst war Sophias Arbeit umsonst. Stattdessen schließe ich meine Augen und überlege, was alles schiefgehen könnte und wie ich das Problem dann lösen würde.
Er könnte ein Messer bei sich haben und mich verletzen. Ich könnte trotz Vorsicht und Vermeidung seiner Getränke irgendwie in Kontakt mit diesen K.o.-Tropfen kommen. Es könnte auch sein, dass seine Bodyguards mich nicht mit ihm allein lassen oder – was wir in Betracht ziehen müssen, dass er einfach nicht auf mich steht.
In der Liste seiner vermutlichen Opfer sah ich Frauen, die einen kolumbianischen, brasilianischen oder philippinischen Touch hatten. Von einer Indianerin habe ich nichts gesehen und drum hoffe ich, dass ich Sam auch tatsächlich helfen kann.
Ich laufe schließlich nach draußen und drehe eine gemütliche Strecke durch den Wald. Zu weit will ich allerdings auch nicht von Sam's Haus weggehen. Es wäre ziemlich blöd, wenn er eine wichtige Mitteilung bekommt, mir Bescheid sagen will und ich bin verschwunden. Also beschließe ich, mich lieber in seiner Nähe aufzuhalten und entdecke bei meiner Rückkehr, dass er wieder das Zahlenschloss zu seiner Schießhalle offengelassen hat. Da er zuvor schon sagte, dass es ihn nicht stört, wenn ich allein dort übe, suche ich drinnen nach den Soft Air Pistolen und lade sie. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mich vor dem heutigen Abend etwas einschieße – nur für den Fall, dass ich es später tun muss. Ich denke zwar, dass Sam derjenige sein wird der diesen Scofieldt erledigt und nicht ich, aber für den Moment sorgt meine Tätigkeit für Ablenkung.
Ich gehe so weit wie möglich von dem Ziel weg und mache ein paar Probeschüsse. Die Flugkraft der Kunststoffkugel ist schlechter als die der echten Munition, aber es reicht für meine Zwecke. Inzwischen entspannt mich das Schießen und das hätte ich bis vor Kurzem wohl nie geglaubt. Mein Aufwärmprogramm bekommt allerdings nicht allzu viel Zeit, denn wenige Minuten später taucht Sam hinter mir auf.
>Hey, ich habe mir schon gedacht, dass du hier sein wirst. < sagt er wenig überrascht.
>Habe ich dich wach gemacht? <
>Nein. Ich habe mir extra den Wecker gestellt. Mehr als Powernapping sollte man vor einem Auftrag lieber nicht machen, sonst ist man zu nichts mehr zu gebrauchen. Dass du allerdings wach sein würdest und schon wieder in irgendeiner Weise aktiv bist, war mir aber klar. <
>In der Hunter-Schule hatten meine Mitschüler schon Wetten abgeschlossen, ob ich im Trainingsraum sein würde. Offensichtlich bin ich ziemlich berechenbar. <
>Manchmal. < erwidert er schelmisch. >Aber weshalb nimmst du nicht die richtigen Waffen? <
>Ich wollte nicht sinnlos deine teure Munition verschießen. <
>Ach Unsinn. Außerdem will ich wissen, ob du so gut bist, wie alle sagen. <
>Wer sind denn „alle“? < frage ich skeptisch.
>Okay das war übertrieben. Aber Henry und Lukaz haben mir erzählt, dass du das Schießen draufhast. Dein Ergebnis der ungeplanten Waffenübung soll genial gewesen sein. <
Er geht zur Tür und ist kurz darauf verschwunden. Nach dieser Ankündigung bin ich mir sicher, dass er seine Waffen aus dem Keller holt.
Wenige Minuten später wird mein Verdacht bestätigt und er gibt mir eine geladene Pistole in die Hand.
>Na dann mal los! Das will ich jetzt unbedingt sehen. <
>Super. < nuschle ich sarkastisch zwischen meinen Zähnen. Sam schaut mich so erwartungsvoll an und ich nehme die weiteste Entfernung zu meinem Ziel ein, die in dieser Halle möglich ist. Auf sein Zeichen hin feuere ich die Munition ab und fühle mich von Sekunde eins an, in meinem Element. Ist das denn zu glauben, nachdem ich mir anfangs so sehr in die Hosen gemacht hatte? Er lässt mich einmal nachladen, bis ich zwei Magazine komplett verschossen habe. Dann drehe ich mich zu ihm um und sehe, wie er mit erstauntem Blick zu meinen beiden Zielscheiben blickt.
>Du bist ein ekelhafter Streber. < murmelt er. >Deine Trefferquote ist besser als ich dachte. <
>Ekelhafter Streber? < wiederhole ich schockiert.
Er feixt, nimmt mir die Waffe aus der Hand und legt seinen Arm um meine Schulter, um mich aus der Halle herauszuschieben.
>Na um dein Gedächtnis und um deine Schießtauglichkeit müssen wir uns jedenfalls keine Gedanken machen. <
>Aber um meine Kampftechnik schon? <
Er verschließt seine Halle und geht mit mir zurück zum Haus.
>Sorgen müssen wir uns deswegen nicht machen. Deine Technik ist ganz okay, aber immer noch ausbaufähig. Das kommt mit der Erfahrung und den Muskeln. <
Ich nicke und denke, dass er recht hat. Sollte Cataley nicht gerade eine Beschwerde über mich eingereicht haben, dann bekomme ich das schon irgendwie hin.
Leider vergeht die Zeit am Abend nur sehr schwer und besonders dann, wenn man etwas erwartet, dann verstreicht sie noch langsamer.
Ich mache uns etwas zu essen und wie so oft verbringen wir unsere Zeit gemeinsam bei einer Folge Breaking Bad.
Danach folgt noch eine Weitere, bis ich allmählich müde werde.
>Hast du deine Handschuhe schon dran? < will Sam wissen, wodurch ich wieder hochgerissen werde.
>Nein noch nicht, aber sie liegen schon auf dem Bett. <
>Mach das am besten gleich. Wenn ich das Startzeichen von meinem Insider bekomme, sollten wir direkt von hier verschwinden. <
Ich tue das, was er sagt, erwärme mir die Handschuhe und ziehe sie dann schließlich über. Danach mache ich mir einen Kaffee und schaue zur Uhr. Bis 23 Uhr habe ich es immerhin schon durchgehalten. Bald muss doch sicher sein Zeichen kommen.
Im Badezimmer sehe ich noch einmal nach dem Rechten und lockere die Haare etwas auf. Das, was Sophia getan hat, hält immer noch und ich bin begeistert. Ich kehre zurück ins Wohnzimmer und sage hingerissen:
>Was auch immer ich da in den Haaren habe, ich habe das Gefühl, sie könnten drei Tage lang so aussehen wie jetzt. <
>Die Stylisten bekommen alles hin. Wenn ich mir Sophias Koffer immer so ansehe, will ich nicht wissen, was alles in ihrem Badezimmer herumsteht. Ich war schon mal in Noras Kinderzimmer – selbst das war ein Männeralptraum. <
>Wieso? < frage ich lachend.
>Alles war rosa und haufenweise Schnickschnack stand herum. < erwidert er unheilvoll.
Dann klingelt ein Handy, welches unter dem Couchtisch auf der Ablage liegt. Es ist eines dieser Prepaidtelefone. Sam nimmt es in die Hand, liest einen Text und macht das Handy schließlich vollständig aus.
>Los geht’s Kleines. Sei in zwei Minuten fertig. < befiehlt Sam und steht auf, um seine Treppe nach oben zu laufen. Sofort beginnt mein Herz zu rasen. Oh oh, ob ich das wirklich hinbekomme? Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Ich mache eilig den Fernseher aus, flitze dann in mein Zimmer, reiße mir dort die Klamotten vom Leib und ziehe das stretchige Kleid über meinen Körper. Als ich zurücklaufe, steht Sam im Flur bereit und wirft seine Lederhandschuhe und seine Mütze in den Rucksack hinein. Er sieht gar nicht so aus wie sonst, wenn er zu einem Job fährt, sondern richtig schick mit einer enganliegenden Stoffhose und Casual Schuhen.
>Bereit? < fragt er.
>Jeden Moment. < ich stütze mich mit einer Hand an seiner Schulter ab und ziehe mir eilig die Pumps an. Kurz darauf drehe ich mich mit dem Rücken zu Sam, lege meine Haare über eine Seite und ohne, dass ich ein Wort sagen muss, zieht er mir den Reißverschluss nach oben. Ich könnte schwören, dass er seine Hand eine Sekunde länger als nötig an meinem Nacken hatte, was mir sofort eine Gänsehaut beschert. Noch einmal atme ich tief durch und sitze nur wenige Sekunden später in seinem Pick-up. Ich kann nicht fassen, was wir gleich tun werden.
Nachdem ich frisch geduscht nach unserem Training in Sam's Küche trete, präsentiert er mir geschlagene zwei Stunden lang jedes noch so kleine Detail zu diesem Typen, zu seinen zwei Bodyguards und zu dem Club, in dem er sein wird. Die genaue Uhrzeit, wenn er sein teures Apartment verlässt, wird uns Sam's Insider noch verraten und wir werden auf exakt dieses Zeichen warten.
Ich war eben nur für zwei Minuten auf dem Klo und bin noch nicht mal zurück in seiner Küche, da bombardiert mich Sam schon wieder mit Fragen und testet, ob ich mir alles behalten habe. Selbst den Grundriss erkläre ich ihm noch zwei weitere Male, aber da kann ich ihn beruhigen. In solchen Dingen ist mein Gehirn ziemlich leistungsstark und ich speichere mir solche Details quasi per Augenzwinkern ab.
>Wie viele VIP-Räume gibt es und wie viele Notausgänge? < fragt er schon wieder.
Ich lasse mich hingegen seufzend auf den Küchenstuhl sinken und werfe den Kopf nach hinten.
>Es sind immer noch zehn. Jeder Raum hat einen Hinterausgang zur Gasse und direkte Notausgänge innerhalb des Clubs sind es zwei. < nuschle ich langsam angenervt.
>Ich muss sicher gehen, dass du es nicht vergisst. < rechtfertigt er sich. Ich stehe auf, schnappe mir einen Kugelschreiber und eine alte Zeitung.
>Hier! Schreibe eine beliebige Zahlenfolge auf! Ganz egal wie viele Stellen. < sage ich und lege ihm die beiden Sachen hin.
>Was? Wozu? <
>Tu es einfach, du wirst schon sehen. <
Irritiert krakelt er einfach ein paar wahllose, aneinandergereihte Zahlen hin und reicht mir dann fragend die Zeitung zurück. Ich werfe einen Blick darauf, gehe die Reihe zweimal in meinem Kopf durch, schiebe ihm die Zeitung rüber und wiederhole laut die zwanzigstellige Zahlfolge:
>9-6-2-8-5-5-1-0-0-4-6-9-5-7-3-6-1-5-4-0<
Sam reißt die Augen auf und hebt ganz langsam und vorsichtig den Kopf.
>Äh … wie hast du das denn gemacht? < keucht er.
Grinsend verschränke ich die Arme.
>Ich habe ein Zahlengedächtnis. Ganz egal ob Handynummern, Pins, Safekombinationen oder sonstige Details – ich merke mir das recht schnell. Frag mich in einer Stunde nochmal danach, wenn du mir nicht glaubst und ich rattere sie dir erneut runter. Es ist nicht nötig alle Details des Clubs minütlich mit mir zu üben. Diese Sachen sitzen bereits hier. <
Ich deute dabei auf mein Gehirn und grinse weiter in mich hinein, weil ich Sam zum ersten Mal so richtig fassungslos sehe.
>Mir war klar, dass du was im Köpfchen hast Kleines, aber das übersteigt mein Verständnis. <
>Leg dich nie mit einer Person an, die studiert hat. <
>Im Übrigen kann niemand Klugscheißer leiden. < wirft er schmunzelnd ein.
>Hey, das ist immerhin das Einzige, was ich raushängen lassen kann. < lache ich.
Kurz darauf klopft es an der Tür.
>Das muss Sophia sein. < sagt Sam und steht auf. Ich werfe einen Blick zur Uhr und runzle die Stirn. Es ist erst kurz nach 16 Uhr – ist das nicht viel zu früh?
Kurz darauf kommt sie tatsächlich auf High Heels hereinstolziert und hat ein kleines Kind auf dem Arm.
>Hey ihr zwei. Ich habe leider keinen Babysitter gefunden und da ihr immer so spontan seid, musste ich sie mitbringen. < keucht sie atemlos.
Ich grinse bei dem Anblick.
>Dass du ein Kind hast wusste ich gar nicht. Wie alt ist sie denn? < will ich wissen. Sophia kommt zu mir, küsst mich auf die Wange und gibt mir ihre Tochter direkt ohne Hemmungen in die Arme, die ich überrumpelt festklammere.
>Sie ist 1 ½ Jahre. Und auf ihren Dad – dem Idioten, ist mal wieder kein Verlass. Er sollte sie heute Morgen abholen, hat er aber nicht. Ich musste alles auf Arbeit umwerfen. Versucht mal einem verängstigten und ungeduldigen Familienvater im Zeugenschutz zu erklären, dass er und seine Familie erst morgen vor die Tür können, weil ich keine Zeit für das Umstyling habe. <
Dabei schlucke ich. Weshalb kam mein Dad eigentlich nie auf so eine Idee?
Als sie die Arme freihat, läuft sie zu Sam und drückt ihn wieder so herzlich an sich, dass ich lachen muss. Ich liebe diesen Anblick der beiden. Sophia zerquetscht ihn förmlich und küsst ihn überschwänglich auf beide Wangen. Sam steht währenddessen da wie ein Fels, grinst augenrollend und seufzt, weil sie nicht damit aufhört.
Ihre kleine Tochter greift sich eine meiner langen Haarsträhnen, sieht sie sich genau an und zieht plötzlich daran, als würde es kein Halten mehr geben.
>Autsch! < fluche ich.
>Oh oh. Ja das macht sie gerne. Trage bloß keine langen Ketten oder lange Ohrringe bei ihr. Das hat sie dann alles in ihren Fingern. < wirft ihre Mutter lässig ein, während mir gleich die Tränen in die Augen schießen. Die Kleine hat inzwischen ihre Faust um meine Haare gewickelt und ich blicke mit schief gelegtem Kopf Hilfe suchend zu Sophia. Sie nimmt mir das Kind wieder ab und drückt es plötzlich Sam in die Arme. Ich weiß nicht, wer von beiden schockierter guckt. Er oder die Kleine.
>Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, Sophia. Ich mache sie nur kaputt. < murmelt er und hält die Kleine von sich weg.
>Ach was, vor drei Monaten hast du sie auch am Leben gelassen. Ich muss mich jetzt um Nayeli kümmern und brauche meine Konzentration. Lauf mit ihr rum und bespaße sie ein bisschen, das findet sie klasse. Erzähl ihr was oder sing ihr was vor. Falls sie Hunger bekommt, habe ich alles im Auto. <
>Oh nein! Sophia ganz ehrlich, das ist die Höchststrafe für mich. < hält er sofort dagegen.
Sophia grinst schelmisch bei seinem Protest und wendet sich direkt an mich.
>Na dann los. Ab unter die Dusche und Beine rasieren. Ich hole alles aus dem Auto. <
>Ich war vor zwei Stunden schon duschen und bin fertig für dich. < erwidere ich. Daraufhin mustert sie meine Beine in meiner Hot Pants und streicht darüber, um deren Glätte zu prüfen.
>Auch gut. Dann haben wir mehr Zeit, wenn du das alles schon gemacht hast. <
>Ehrlich gesagt, habe ich das noch nie gemacht. <
Daraufhin wirft mir Sophia einen irritierten Blick zu.
>Was hast du noch nie gemacht? Dir die Beine rasiert? <
Ich grinse und halte ihr auch meine Arme hin, die sie automatisch bestreicht.
>Das haben Indianer mit den Asiaten gemeinsam. Wir haben so gut wie keine Körperbehaarung. < erwidere ich lässig. Ist ihr das bisher noch nicht aufgefallen?
>Ach hör auf. Du nimmst mich doch auf den Arm! <
>Nein. Hast du schon mal einen Indianermann mit Bart oder Brustbehaarung gesehen? <
Daraufhin denkt sie scharf nach, wirft dann einen fragenden Blick zu Sam, der mit ihrer Tochter kämpft, reißt erleuchtend die Augen auf und schüttelt den Kopf.
>Das ist ja genial. Und was man da an Zeit spart! Das kostet mich bestimmt eine Stunde meiner gesamten Woche. < quietscht sie plötzlich begeistert. Sam grinst mich plötzlich so an und wirft ein:
>Hast du nicht mal gesagt, ich sehe aus wie 40 und selbst dein Vater wäre nicht so zugewachsen wie ich? Das ist ja dann wirklich keine Kunst. < Ich gehe grinsend zu ihm und streiche über seinen mehr als 14 Tage-Bart.
>Du hättest meinen Dad in seinen 30ern sehen sollen. Seine Haare waren länger als meine und trotzdem war von ihm mehr zu erkennen, als von dir damals. <
Sophia lacht schallend und mischt sich stichelnd ein.
>Tja Sam, das sollte dir mal zu denken geben und den Seitenhieb mit dem Bart hättest du heute auch noch von mir bekommen. Wenn ich nachher noch Zeit habe, dann bist du dran. Also dann Süße, los geht’s. Wenn du so haarlos bist, umso besser. Dann habe ich nicht so einen Zeitdruck. <
Sophia rennt kurz nach draußen und kommt Sekunden später mit ihrem Köfferchen und einem Kleid zurück. Das Stück Stoff hängt sie einfach im Flur an und schiebt mich bereits vorwärts, noch bevor ich es mir genauer ansehen kann.
>Sophia warte, das geht nicht. < japst Sam und hält die Kleine einen Meter von sich weg.
>Keine Panik. Nora beißt nicht. < erwidert ihre Mutter locker. Ich sehe Sam's Gesicht an, dass das so überhaupt nicht sein Thema ist.
>Bist du sicher? < flüstere ich Sophia zu.
Wir biegen gerade zur Tür ab, als ich erneut Sam's Blick sehe. Ich weiß nicht, wer skeptischer aussieht. Er oder die Kleine.
>Ach klar, die beiden haben sich vor einer Weile schon mal gesehen und Nora fremdelt kein bisschen. Sam übernimmt die heftigsten Jobs. Da wird er doch wohl mit einem Kleinkind auskommen. <
Das ist ein sehr merkwürdiger Vergleich und außerdem bezweifle ich, dass sich so ein kleines Kind das Gesicht von jemand fremden so schnell merkt – zumal Sam zu der Zeit noch vollkommen anders aussah mit seinem Holzfällerstyle. Aber ich finde es gut, dass sie das so locker sieht. Offensichtlich überträgt sich das auch auf ihre Tochter.
Sie packt all ihr Zeug aus und beginnt sofort mit ihrer Arbeit.
Ich mag das nicht sonderlich, aber sie zupft mir zuerst die Augenbrauen nach.
>Und wie geht’s dir so? Sam war mit Dimitrij in Russland habe ich gehört. Warst du so lange alleine hier? < will sie wissen.
>Ach weißt du das gar nicht? < frage ich irritiert.
>Weiß ich „was“ nicht? <
>Oh ähm … < ich habe keine Ahnung, ob ich Sophia das mit meiner Ausbildung erzählen darf. Plötzlich kommt Sam rein, mit einer quengelnden Nora.
>Irgendetwas passt ihr nicht. < sagt er. Das hat ja nicht lange gedauert. Ich pruste los, aber halte mir schnell die Hand vor den Mund.
>Sie hat vielleicht die Windel voll. Sieh mal nach! < erwidert Sophia lässig.
>Wie bitte? < keucht Sam. >Nur über meine Leiche! <
>Ach Sam, jetzt sei nicht so ein Macho! Das ist kinderleicht. Sag mal, weshalb muss ich dich überhaupt aufhübschen? Wo wollt ihr denn hin? < fragt sie nun wieder an mich gewandt.
Er kommt in mein Zimmer rein und setzt Nora auf meinem Bett ab.
>Gute Frage. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat, Nayeli zu meinem Auftrag mitnehmen zu wollen. < seufzt Sam und wirkt immer noch etwas hin- und hergerissen.
Sophia fällt die Pinzette aus der Hand, die klimpernd zu Boden geht und sie starrt ihn an.
>Hä? Moment mal … habe ich irgendetwas verpasst? < sie versteht überhaupt nicht was hier läuft und sieht zwischen uns beiden hin und her. >Sam, bist du irre? Was soll sie da? <
Sam guckt grinsend zu mir.
>Sie will mir dabei helfen und hatte überzeugende Argumente. <
>Was haben sie in Russland mit dir gemacht? Wobei soll sie dir denn helfen? Wenn etwas passiert und du bist nicht schnell genug bei ihr, dann …<
>Bleib locker. < wende ich ein. >Ich kann mich verteidigen. Vielleicht nicht perfekt, aber ausreichend. <
>Ihr zwei habt zusammen irgendeine Partydroge genommen, oder? Sam, ich sagte zwar mal, dass du echt entspannter werden musst und nicht immer alles so eng und genau sehen solltest, aber das habe ich ganz sicher nicht damit gemeint. <
Er lacht und beginnt Sophias Tochter auf mein Bett zu legen und auszuziehen. Dass er das wirklich tut, um ihr die Windel zu wechseln, ist echt verblüffend.
>Nayeli trainiert seit bald drei Wochen auf der Schule beim SISAM. < erklärt er. Puh okay, ich war mir nicht sicher, ob sie das wissen darf.
Langsam, ganz langsam dreht Sophia ihren Kopf zu mir und starrt mich an. Ich traue mich gar nicht etwas zu sagen. Ist sie jetzt eingefroren?
>Wow. < haucht sie kaum hörbar und fängt sich endlich wieder. Ihr Blick sieht überrascht aus und ihr Grinsen ist sehr vorsichtig, beinahe fasziniert. >Ich habe dir beim letzten Mal im Auto gesagt, dass du viel bewirken könntest, wenn du auch in dieser Branche arbeiten würdest. <
>Ja und dass es wichtig ist Leute zu haben, die genau wissen, wie es ist, alles verloren zu haben. < ergänze ich.
Sie grinst allmählich immer breiter und nickt – eher zu sich selbst.
>Stimmt, das habe ich gesagt. < murmelt sie in sich hinein.
>Ehm Sophia … ich will deinen Monolog ja nur ungern stören, aber ich brauche hier dringend mal deine Hilfe. < keucht Sam als er die Windel öffnet.
Sophia rollt mit den Augen, verschwindet aus dem Zimmer und kommt kurz darauf mit allem Zeug zurück. Auch wenn es lustig ist Sam so zu sehen, finde ich, er hatte genug zu ertragen und drum wird er für das Malheur abgelöst.
Sobald Nora frisch gewickelt ist, wird sie ganz selbstverständlich wieder in Sam's Arme gedrückt und ihre Mutter verbannt ihn wieder aus dem Zimmer.
>So und jetzt Details! < verlangt sie euphorisch von mir. >Wann genau wolltet ihr mir das denn bitte sagen? <
>Ich hatte es gerade vor, als Sam reinkam. <
>Unfassbar. Du genießt also bald „das Leben in der Grauzone.“ <
>Grauzone? <
>Ja der schmale Grat zwischen dem Legalen und dem Illegalen. Ich dachte eher an meinen Job und nicht an einen Kopfgeldjäger, als ich das letztens zu dir sagte. <
>Kann ich mir vorstellen. < lache ich. >Aber ich bin froh, dass ich mit der Schule begonnen habe. Es kommt mir irgendwie richtig vor. <
Bei diesem Satz werde ich wehmütig. Ich habe immer noch Cataley angegriffen. Es ist möglich, dass Sam am Montag einen Anruf bekommt und sie mich von der Schule werfen. Das will ich nicht, aber ich will auch meine Trainerin nicht mehr ertragen. Ich muss es Sam endlich sagen, das ist mir klar. Aber wann mache ich das am besten? Wenn ich es heute tue, dann nimmt er mich vielleicht nicht mehr mit. Er könnte an meinen Nerven zweifeln.
>Und jetzt willst du dich vor Sam beweisen? Was ist denn mit dem los? Normalerweise würde er niemals jemanden zu einem Auftrag mitnehmen. Das macht er nicht mal mit erfahrenen Leuten, weil er sich nicht auf sie verlassen kann. Die Aktion in Russland war eine Ausnahme. <
>Ich habe ihm klargemacht, dass er mich heute als Lockvogel braucht. Er ist eben keine Frau mit dunklem Teint, die in das Beuteschema von seiner Zielperson passen würde. So eine wird sich dieser Kerl allerdings heute holen wollen. <
>Verstehe. Aber trotzdem … ich meine, wow. Ich bin sprachlos. <
Ich hingegen grinse, weil ich sie so aus dem Konzept bringe.
>Er hat so viel für mich getan und ich würde mich gerne mal dafür revanchieren. Es ist nicht so, dass ich vor diesem Abend keinen Respekt hätte – glaube mir, ich bekomme etwas Muffensausen, aber ich will ihm helfen. Ich hoffe nur, ich enttäusche ihn nicht. <
Ich kann Sam plötzlich vor meinem Fenster laufen sehen. Er geht mit der Kleinen spazieren und sie läuft mit ihrem Nuckel im Mund tapsig neben ihm her, während er mit den Händen in den Hosentaschen in Richtung des Lakes schaut.
>Langsam glaube ich, für ihn würdest du so ziemlich alles tun. < murmelt sie. Ich sehe weiterhin nach draußen zu ihm und kann nicht wegsehen. Weil ich nichts dazu sage, sondern nur aus dem Fenster spähe, setzt sich Sophia vor mich auf mein Bett und nun sehe ich zu ihr. Ihr zuvor verblüffter aber trotzdem freundlicher Blick weicht einem Bekümmerten.
>Hör zu Nayeli. Du bist eine tolle, clevere Frau und du hast zu viel von dir geben müssen. Du bist ganz anders als damals, als ich dich das erste Mal traf und du am Boden zerstört warst. Ich finde das gut und ich weiß, dass Sam daran nicht unschuldig ist. Aber er ist nicht einer dieser Männer, der ein kurzes Abenteuer oder eine Beziehung sucht. Er kann es einfach nicht und wenn ich dir einen Rat geben darf, dann erwarte das nicht. <
Verwundert sehe ich sie an.
>Was meinst du? <
>Du willst bei ihm bleiben, richtig? <
>Sophia das Thema hatten wir bereits hundertmal. Sam und ich haben das geklärt. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem er mich gehen lassen wird und das weiß ich. <
>Glaub mir, ich wünschte, das würde anders kommen. < gibt sie bitter zu. Weshalb plötzlich dieser Ton?
>Ich will ihm heute nur helfen, das ist alles. <
>Na schön. Dann sollst du also den Lockvogel spielen. Das bedeutet, du musst sexy sein. < sagt sie leise und macht weiter. Ihre Worte machen mich stutzig. Natürlich hat sie nicht unrecht und natürlich musste ich viel von mir geben. So ziemlich meine gesamte alte Identität habe ich abgegeben. Wenn Meg nicht ab und zu in meinem Ohr wäre, sowie mein wahrer Name – falls Sam nicht gerade „Kleines“ sagt, dann wäre beinahe nichts mehr von mir übrig. Aber weshalb dieser bedrückte Ton? Ich entscheide mich dafür, das Thema lieber nicht weiter anzurühren und rede stattdessen über belanglosere Dinge. Sophia erzählt mir, dass sie sich von Noras Vater bereits während der Schwangerschaft trennte. Sie stellte fest, dass er nicht der war, für den sie ihn hielt und er zeigte damals kein großes Interesse an dem ungeborenen Kind. Sie ist tatsächlich so taff wie sie immer wirkt und stemmt so ziemlich alles allein. Selbst heute, wo sie eigentlich ohne Kind gewesen wäre, ist kein Verlass auf eine Hilfe und sie muss in ihrem Job umdisponieren, behält aber trotzdem ihr Lächeln und einen Plan B in petto. Ich finde es traurig, dass sie so viel um die Ohren hat aber auch bewundernswert, wie sie sich durchbeißt.
Als ich vor fünf Wochen einen Einblick in Sam's Welt bekam, habe ich viele meiner Ansichten geändert. Nun weiß ich, dass diese Welt verlogen, kriminell und einsam ist und sie hat nichts mit dem zu tun, das ich vorher kannte. Wo war ich nur all die Jahre?
Ich schätze, ich war in einer kleinen und heilen Traumblase und bekam nie etwas davon mit, wie es wirklich zugeht. Außerhalb der Blase gibt es wenige Menschen, denen man sein Vertrauen schenken kann. Diese Begegnungen machten Sam und Sophia eindeutig zu häufig.
Während wir uns weiter unterhalten, schneidet Sophia meinen Pony um einen halben Zentimeter nach, macht mir die Haare und schminkt mich. Sie macht mir in den längeren Strähnen große Korkenzieherlocken rein und ich gebe zum Ausdruck, dass das bei meinen Haaren sowieso nicht hält, aber sie räuchert mich mit so viel Sprühflaschen und Stylingzeug ein, dass das zu halten scheint. Allein bekomme ich so etwas nie hin.
Nach etwa einer Stunde ist ihr Werk vollbracht und wie beim letzten Mal erkenne ich mich nicht wieder. So wie ich jetzt aussehe, hätte ich mal auf meine Abschlussparty gehen sollen. Es ist unglaublich.
Wir gehen nach der Ausführung ihrer Arbeit in das Wohnzimmer, wo Sam mit ihrer Tochter sitzt. Als er mich sieht, weiten sich seine Augen für einen Moment, aber er wendet sich schnell ab und schaut zu Sophias Tochter, die auf dem Sofa eingeschlafen ist.
>Oh Gott, wie süß. < sagt ihre Mutter daraufhin und verschwindet plötzlich hinter mir.
>Scheint doch ganz gut geklappt zu haben. < feixe ich und nicke zu Nora.
Sam hingegen schaut mich völlig fertig an.
>Hör bloß auf. <
Dann taucht Sophia wieder auf und reicht mir das Kleid auf einem Bügel. Es ist kurz, schlicht, schwarz, eng, mit breiteren Trägern. Nicht weiter auffällig – so wie Sam es wollte.
>Das Kleid ist eine Leihgabe und das hätte ich gerne wieder, aber die hier kannst du behalten. Die sind mir zu eng. < Sophia reicht mir schwarze Pumps dazu.
>Cool danke. < grinse ich. Dann geht sie mit einem Zeigefinger über eine Augenbraue von mir und streicht noch irgendetwas zurecht.
>Das muss jetzt eine Weile halten. Versuche nicht zu viel in den Haaren oder im Gesicht herumzufummeln, dann sollte es locker einige Stunden weiterhin so aussehen. < erklärt sie und betrachtet ihr Gesamtkunstwerk.
>Okay. Könntest du eine Sache noch tun? < frage ich.
>Sicher. Was denn? <
>Meine Zimmergenossin aus der Schule hat mir letztens so eine Tarnpaste auf mein Bein geschmiert. Dieses Loch sah nicht mehr so schlimm aus. < daraufhin zeige ich ihr mein Bein.
>Oh je. Daran habe ich ja gar nicht gedacht. < japst sie und rennt plötzlich wieder weg.
>Wo willst du hin? Das Zeug steht hier unten im Bad. < rufe ich ihr hinterher.
>Behalte das mal. Ich habe auch Camouflage in meinem Köfferchen. < erwidert sie von weitem. Als sie wieder da ist, drückt sie mich auf das Sofa, kniet vor meinem Bein und behebt den Schaden noch weitaus besser als Ruby. Sie erklärt mir sogar, wie ich es allein am besten anstellen soll. Das weckt sogar Sam's Interesse und er sieht sich genau an, was sie da tut.
>Wow, das ist kaum noch zu sehen. < erwidert er fasziniert.
>Man sieht leider trotzdem, dass da eine Delle im Muskel ist. Tut mir leid um diese schönen Beine, aber das wird wohl nicht mehr besser werden. < erklärt mir Sophia.
>Ja das weiß ich. Es gibt Schlimmeres. < ich zucke mit den Achseln, denn heute weiß ich, dass es wirklich wichtiges gibt, als sich wegen einer Narbe Gedanken zu machen.
>Vielleicht lässt du da mal einen plastischen Chirurgen draufschauen. Inzwischen können die ganze Gesichtshälften modellieren. <
>Nayeli und ich haben vor kurzem schon mal festgestellt, dass wir unsere Narben im Grunde mögen. < antwortet Sam für mich und grinst mir zu. Das stimmt, da erklärte ich noch, dass sie uns daran erinnern was man einmal durchgemacht hat und vor allem, was wir überstanden haben.
>Na schön, dann bin ich fertig mit dir und nun bist du dran … aber hey. < motzt Sophia in Sam's Richtung als sie ihn genauer ansieht. >Du hast dich ja schon rasiert. <
Mir fiel das sofort auf, als wir in das Zimmer kamen. Sein Bart ist auf wenige Millimeter getrimmt, genauso wie seine zuvor dichteren Haare. Das ist ein Look, der ihn kernig aussehen lässt und ich mag es an ihm.
>Guck nicht so, das war reiner Selbstschutz. Wer weiß was du mit mir angestellt hättest. < verteidigt er sich.
>Spielverderber. < brabbelt Sophia hingegen in sich hinein und sieht etwas beleidigt aus.
Behutsam nimmt sie ihre schlafende Tochter vom Sofa hoch und versucht sie kurz darauf in ihren Autositz zu setzen, ohne dass sie davon aufwacht. Sam und ich bringen derweil ihr ganzes Zeug zum Auto, damit sie nicht noch mal zurücklaufen muss. An ihrem Jeep verabschieden wir uns schließlich von ihr.
>Dann viel Erfolg ihr zwei Verrückten. Ich will hinterher wissen, wie es war. < jubelt sie. Ich werfe einen kurzen Blick zu Sam und leider sieht er nicht allzu begeistert aus. Hoffentlich ändert er seine Meinung nicht wieder, wenn er länger über unsere bevorstehende Aktion nachdenkt. Sophia küsst ihn wieder überschwänglich auf beide Wangen und er gibt ein genervtes Stöhnen von sich, weil sie nicht aufhört. Herrlich.
Mich drückt sie kurz an sich und sagt:
>Habe keine Angst. Fang das Gefühl des Erfolgs ein und behalte es dir, wenn alles glatt lief. Der erste Auftrag ist der Wichtigste. Er formt dich. <
>Okay. < erwidere ich, weil ich nicht weiß, was ich darauf sonst antworten soll. Bei „viel Glück“ hätte ich mehr damit anfangen können. Sie steigt in ihren Wagen ein und startet den Motor. Wir bleiben einen Moment und winken ihr zu – kurz darauf läuft Sam ins Haus zurück, während ich noch stehenbleibe und Sophia mit verschränkten Armen hinterhersehe.
„Der erste Auftrag ist der Wichtigste. Er formt dich.“
Das bedeutet, sollte nachher etwas schiefgehen, dann habe ich das ewig im Kopf und bin vielleicht für den nächsten Auftrag so gehemmt, dass ich nichts mehr gebacken bekomme. Andererseits, sollte ich das ganz passabel hinbekommen, dann werde ich vielleicht nach und nach mutiger. Wollen wir hoffen, dass das Zweite eintritt.
Ich gehe wieder ins Haus hinein und finde Sam im Flur. Er sieht gerade sehr beschäftigt aus und blickt auf sein Handy. Als er mich bemerkt, sieht er allerdings auf und lässt es in seiner Hosentasche verschwinden. Ich laufe zu ihm und will ihn eigentlich fragen, ob er schon weiß, wann wir losmüssen, aber er kommt mir zuvor und sagt:
>Das steht dir. < daraufhin nimmt er sich ein paar Haare von mir zwischen die Finger und streicht über die gelockten unteren Strähnen.
>Danke. Das war in etwa das, was ich mir für meinen Abschluss vorgestellt hatte, aber allein habe ich das nie hinbekommen. <
>Was ist es stattdessen geworden? <
>Meine Mum hatte mir die Haare zu so einem hohen Ballerina-Dutt hochgesteckt. Da hat sie mir diesen Kamm integriert, der wohl schon seit Ewigkeiten in unserer Familie ist. Vorher wusste ich gar nicht, dass wir sowas besessen haben und jetzt ist er vom Lake verschluckt. <
>Tut mir leid Kleines. Ich hatte nichts gefunden. <
>Ist vielleicht auch besser so. Ich glaube, das würde nur noch mehr wehtun, wenn ich ihn täglich anschauen müsste. <
>Nein würde es nicht. Ich sehe dir an, dass du daran hängst, so wie ich an meinem Wagen. Manchmal sind es eben die kleinen materiellen Dinge, die aber eigentlich einen ideellen Wert für uns haben. <
>Hmm … mag sein. < erwidere ich leise. Sam zieht erneut sein Handy aus der Hose, sieht auf die Uhrzeit und steckt es wieder weg. Es ist gerade mal 17:30 Uhr.
>Ein paar Stunden müssen wir noch die Zeit totschlagen. Ich glaube, ich leg´ mich nochmal eine Runde aufs Ohr. <
>Mach das. < erwidere ich und sehe ihm hinterher, als er in Richtung der Treppe läuft.
Dieser Rhythmus wird für mich wohl auch irgendwann normal sein. So normal, dass ich mich entspannt vor dem Job schlafen legen kann, statt so aufgekratzt zu sein wie jetzt.
Es ist zwar Unsinn, dass ich das tue, aber ich gehe in meinem Zimmer alles noch einmal in meinem Kopf durch, was Sam mir für diesen Abend erzählt hat. Einerseits bin ich total heiß auf diesen Auftrag, aber ich habe trotzdem etwas Angst. Immerhin habe ich das noch nie gemacht. Der Grundriss des Clubs ist zweidimensional in meinem Kopf abgespeichert und ich bin gespannt, ob ich räumlich alles zuordnen kann, sobald ich vor Ort bin. Ich gehe auch meine Kampftechniken noch einmal im Kopf durch. So geschminkt und gestylt wie ich bin, will ich lieber nichts vor dem Spiegel üben, sonst war Sophias Arbeit umsonst. Stattdessen schließe ich meine Augen und überlege, was alles schiefgehen könnte und wie ich das Problem dann lösen würde.
Er könnte ein Messer bei sich haben und mich verletzen. Ich könnte trotz Vorsicht und Vermeidung seiner Getränke irgendwie in Kontakt mit diesen K.o.-Tropfen kommen. Es könnte auch sein, dass seine Bodyguards mich nicht mit ihm allein lassen oder – was wir in Betracht ziehen müssen, dass er einfach nicht auf mich steht.
In der Liste seiner vermutlichen Opfer sah ich Frauen, die einen kolumbianischen, brasilianischen oder philippinischen Touch hatten. Von einer Indianerin habe ich nichts gesehen und drum hoffe ich, dass ich Sam auch tatsächlich helfen kann.
Ich laufe schließlich nach draußen und drehe eine gemütliche Strecke durch den Wald. Zu weit will ich allerdings auch nicht von Sam's Haus weggehen. Es wäre ziemlich blöd, wenn er eine wichtige Mitteilung bekommt, mir Bescheid sagen will und ich bin verschwunden. Also beschließe ich, mich lieber in seiner Nähe aufzuhalten und entdecke bei meiner Rückkehr, dass er wieder das Zahlenschloss zu seiner Schießhalle offengelassen hat. Da er zuvor schon sagte, dass es ihn nicht stört, wenn ich allein dort übe, suche ich drinnen nach den Soft Air Pistolen und lade sie. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich mich vor dem heutigen Abend etwas einschieße – nur für den Fall, dass ich es später tun muss. Ich denke zwar, dass Sam derjenige sein wird der diesen Scofieldt erledigt und nicht ich, aber für den Moment sorgt meine Tätigkeit für Ablenkung.
Ich gehe so weit wie möglich von dem Ziel weg und mache ein paar Probeschüsse. Die Flugkraft der Kunststoffkugel ist schlechter als die der echten Munition, aber es reicht für meine Zwecke. Inzwischen entspannt mich das Schießen und das hätte ich bis vor Kurzem wohl nie geglaubt. Mein Aufwärmprogramm bekommt allerdings nicht allzu viel Zeit, denn wenige Minuten später taucht Sam hinter mir auf.
>Hey, ich habe mir schon gedacht, dass du hier sein wirst. < sagt er wenig überrascht.
>Habe ich dich wach gemacht? <
>Nein. Ich habe mir extra den Wecker gestellt. Mehr als Powernapping sollte man vor einem Auftrag lieber nicht machen, sonst ist man zu nichts mehr zu gebrauchen. Dass du allerdings wach sein würdest und schon wieder in irgendeiner Weise aktiv bist, war mir aber klar. <
>In der Hunter-Schule hatten meine Mitschüler schon Wetten abgeschlossen, ob ich im Trainingsraum sein würde. Offensichtlich bin ich ziemlich berechenbar. <
>Manchmal. < erwidert er schelmisch. >Aber weshalb nimmst du nicht die richtigen Waffen? <
>Ich wollte nicht sinnlos deine teure Munition verschießen. <
>Ach Unsinn. Außerdem will ich wissen, ob du so gut bist, wie alle sagen. <
>Wer sind denn „alle“? < frage ich skeptisch.
>Okay das war übertrieben. Aber Henry und Lukaz haben mir erzählt, dass du das Schießen draufhast. Dein Ergebnis der ungeplanten Waffenübung soll genial gewesen sein. <
Er geht zur Tür und ist kurz darauf verschwunden. Nach dieser Ankündigung bin ich mir sicher, dass er seine Waffen aus dem Keller holt.
Wenige Minuten später wird mein Verdacht bestätigt und er gibt mir eine geladene Pistole in die Hand.
>Na dann mal los! Das will ich jetzt unbedingt sehen. <
>Super. < nuschle ich sarkastisch zwischen meinen Zähnen. Sam schaut mich so erwartungsvoll an und ich nehme die weiteste Entfernung zu meinem Ziel ein, die in dieser Halle möglich ist. Auf sein Zeichen hin feuere ich die Munition ab und fühle mich von Sekunde eins an, in meinem Element. Ist das denn zu glauben, nachdem ich mir anfangs so sehr in die Hosen gemacht hatte? Er lässt mich einmal nachladen, bis ich zwei Magazine komplett verschossen habe. Dann drehe ich mich zu ihm um und sehe, wie er mit erstauntem Blick zu meinen beiden Zielscheiben blickt.
>Du bist ein ekelhafter Streber. < murmelt er. >Deine Trefferquote ist besser als ich dachte. <
>Ekelhafter Streber? < wiederhole ich schockiert.
Er feixt, nimmt mir die Waffe aus der Hand und legt seinen Arm um meine Schulter, um mich aus der Halle herauszuschieben.
>Na um dein Gedächtnis und um deine Schießtauglichkeit müssen wir uns jedenfalls keine Gedanken machen. <
>Aber um meine Kampftechnik schon? <
Er verschließt seine Halle und geht mit mir zurück zum Haus.
>Sorgen müssen wir uns deswegen nicht machen. Deine Technik ist ganz okay, aber immer noch ausbaufähig. Das kommt mit der Erfahrung und den Muskeln. <
Ich nicke und denke, dass er recht hat. Sollte Cataley nicht gerade eine Beschwerde über mich eingereicht haben, dann bekomme ich das schon irgendwie hin.
Leider vergeht die Zeit am Abend nur sehr schwer und besonders dann, wenn man etwas erwartet, dann verstreicht sie noch langsamer.
Ich mache uns etwas zu essen und wie so oft verbringen wir unsere Zeit gemeinsam bei einer Folge Breaking Bad.
Danach folgt noch eine Weitere, bis ich allmählich müde werde.
>Hast du deine Handschuhe schon dran? < will Sam wissen, wodurch ich wieder hochgerissen werde.
>Nein noch nicht, aber sie liegen schon auf dem Bett. <
>Mach das am besten gleich. Wenn ich das Startzeichen von meinem Insider bekomme, sollten wir direkt von hier verschwinden. <
Ich tue das, was er sagt, erwärme mir die Handschuhe und ziehe sie dann schließlich über. Danach mache ich mir einen Kaffee und schaue zur Uhr. Bis 23 Uhr habe ich es immerhin schon durchgehalten. Bald muss doch sicher sein Zeichen kommen.
Im Badezimmer sehe ich noch einmal nach dem Rechten und lockere die Haare etwas auf. Das, was Sophia getan hat, hält immer noch und ich bin begeistert. Ich kehre zurück ins Wohnzimmer und sage hingerissen:
>Was auch immer ich da in den Haaren habe, ich habe das Gefühl, sie könnten drei Tage lang so aussehen wie jetzt. <
>Die Stylisten bekommen alles hin. Wenn ich mir Sophias Koffer immer so ansehe, will ich nicht wissen, was alles in ihrem Badezimmer herumsteht. Ich war schon mal in Noras Kinderzimmer – selbst das war ein Männeralptraum. <
>Wieso? < frage ich lachend.
>Alles war rosa und haufenweise Schnickschnack stand herum. < erwidert er unheilvoll.
Dann klingelt ein Handy, welches unter dem Couchtisch auf der Ablage liegt. Es ist eines dieser Prepaidtelefone. Sam nimmt es in die Hand, liest einen Text und macht das Handy schließlich vollständig aus.
>Los geht’s Kleines. Sei in zwei Minuten fertig. < befiehlt Sam und steht auf, um seine Treppe nach oben zu laufen. Sofort beginnt mein Herz zu rasen. Oh oh, ob ich das wirklich hinbekomme? Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Ich mache eilig den Fernseher aus, flitze dann in mein Zimmer, reiße mir dort die Klamotten vom Leib und ziehe das stretchige Kleid über meinen Körper. Als ich zurücklaufe, steht Sam im Flur bereit und wirft seine Lederhandschuhe und seine Mütze in den Rucksack hinein. Er sieht gar nicht so aus wie sonst, wenn er zu einem Job fährt, sondern richtig schick mit einer enganliegenden Stoffhose und Casual Schuhen.
>Bereit? < fragt er.
>Jeden Moment. < ich stütze mich mit einer Hand an seiner Schulter ab und ziehe mir eilig die Pumps an. Kurz darauf drehe ich mich mit dem Rücken zu Sam, lege meine Haare über eine Seite und ohne, dass ich ein Wort sagen muss, zieht er mir den Reißverschluss nach oben. Ich könnte schwören, dass er seine Hand eine Sekunde länger als nötig an meinem Nacken hatte, was mir sofort eine Gänsehaut beschert. Noch einmal atme ich tief durch und sitze nur wenige Sekunden später in seinem Pick-up. Ich kann nicht fassen, was wir gleich tun werden.