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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
12.07.2019 4.595
 
Kapitel 34 – Niederlage

*TRIGGERWARNUNG!*
Dieses Kapitel beinhaltet starke körperliche Gewalt und kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend und/oder belastend sein.

Als ich die Trainingshalle betrete, kommt sofort Jim zu mir gelaufen und er wirkt etwas ruhelos.
>Hey wo hast du gesteckt? Ich dachte, wir treffen uns alle in der Cafeteria? Deine Freundin Ruby hat gewartet und es war komisch, als du nicht aufgetaucht bist. <
>Ja ich weiß, tut mir leid. Ich musste mich kurz hinlegen und bin ins Bett gefallen. <
>War es so schlimm für dich? < fragt er sofort und berührt meine Schulter.
>N… nein das war es nicht. Aber meine Konzentration ist heute wirklich durch. Ich wollte für die letzte Einheit noch etwas Kraft tanken. < lüge ich, um das Thema schnell abzuwimmeln. Kraft brauche ich allerdings wirklich, denn ich fühle mich furchtbar wegen meinem Ausraster. Ich wollte mich auf keinen Fall provozieren lassen und nun hat sie es doch geschafft.
Jim runzelt die Stirn und mustert mich. Offensichtlich glaubt er mir aber mein Geflunker.
>Na dann hoffe ich mal, dass deine Kraft noch reicht. Wir haben Kampftraining mit den Drittstufigen. Das ist doch schon wieder sau unfair. < erwidert er maulig.
>Wenn ich ehrlich bin, dann mag ich das. So wird man jedes Mal mehr gefordert. Außerdem mag ich die Leute. <
>Ja klar, du hast das ja auch richtig gut drauf. <
Ich ziehe verwundert die Augenbrauen hoch und gehe schließlich mit ihm zu den anderen in die Mitte. Ich hatte zuvor noch totalen Hunger, weil ich in der Mensa nichts aß, aber der ist nun nach meinem Mentaltraining komplett verschwunden. Was soll das für ein Training sein, wenn man damit nur für das Amüsement der Trainerin sorgt? Ich bin noch nicht mal vor der Schülergruppe zum Stillstand gekommen, da fragt mich Nigel von Weitem:
>Mann Kim, ist alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. <
>Stimmt. Du bist ziemlich blass. Das ist bei deiner Hautfarbe schon eine Kunst. < wirft sein Bruder noch nach. Auch David und Owen stehen um uns herum. Verdammt, dabei gebe ich mir doch die größte Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Ich verberge meine Gefühle hinter einem Lächeln und erwidere:
>Mir geht’s gut. Wahrscheinlich waren die letzten Tage wegen des ganzen Zusatztrainings einfach nur hart für mich, <
>Vielleicht solltest du mal etwas kürzertreten. Feierabend heißt Feierabend. Wir hauen den ganzen Tag auf uns drauf. Irgendwann muss auch mal genug sein. < erklärt David auf eine verständnisvolle Art.
>Ja … wahrscheinlich hast du recht. <
>Der Unterricht hat begonnen! < schreit Cataley. >Nehmt euch ein paar Tapes und Bandagen und dann geht’s los. <
>Na die hat ja wieder eine Laune. < murmelt mir Owen zu. Tja, ich weiß auch warum sie die hat.
Zum Schutz unserer Fingerknöchel und Handgelenke wickeln wir unsere Hände ein. Sobald wir so weit sind, kommen wir alle wieder zusammen. Auch unsere Trainerin hat ihre Hände eingewickelt, was bedeutet, dass sie mit im Rennen ist. Mir gefällt nicht, wie sie mich ansieht. Aber den Blick habe ich auch drauf, du verdammtes Miststück.
>Tut euch zusammen! Fäuste, Knie, Ellenbogen … ganz egal. Vor euch steht eine „most-wanted-person“, macht sie alle, als wäre das ein Job. Vorerst die Erststufigen gegen ihre eigenen Leute und die Dritten gegen ihre Stufe. <
Ihr Ton ist unverkennbar wütend. Schlimmer als ich es bisher jemals zu hören bekommen habe. Daran bin zu hundert Prozent ich schuld und nun bekommen es auch noch die Anderen ab.
Wie an den Tagen zuvor, kommt Jim direkt zu mir gelaufen, aber Cataley drückt ihre Handfläche gegen seinen Brustkorb und schiebt ihn erbost aus dem Weg.
>Such dir einen anderen Schüler! <
Jim blickt sie ganz verdutzt an und versteht die Welt nicht. Etwas stotternd widerspricht er:
>Aber … wir sind alle schon aufgeteilt. Kim ist die einzige … <
>Na dann such dir jemanden aus der Dritten! < zischt sie.
>Was? D…du sagtest doch gerade … <
>Heute noch! <
Verschüchtert blickt er mich an und läuft schließlich schnell weiter, um jemanden aus der Dritten zu finden. Ohne ein Wort zu sagen und ohne meine Trainerin aus den Augen zu lassen, gehe ich rückwärts ein paar Schritte weg.
>Hast du mir etwas zu sagen? < fragt sie mich leise. Ihre Stimme ist so kalt wie eh und je und in ihren Augen lodern buchstäblich die Flammen.
>Du meinst so etwas wie eine Entschuldigung? Nur über meine Leiche! < flüstere ich zurück. Langsam legt sie den Kopf etwas schief und grinst noch mehr, bis ihre Zähne aufblitzen. Irgendwie hat dieser ich-reiß-dir-den-Arsch-auf-Blick etwas Verstörendes an sich.
>Na schön, dann hoffe ich, dass du geübt hast. <
Und sofort läuft sie zu mir, nimmt ihre Deckung auf und schlägt gleichzeitig auf Höhe meines Gesichts. Ich halte meinen Ellenbogen dagegen und will ihr mit der anderen Hand einen tiefen Haken geben. Ich sage das wirklich nicht oft, aber es gibt manchmal Begegnungen im Leben, die waren ein Geschenk und andere wiederum, die waren eine Strafe und gleichzeitig eine Lektion. Cataley zu begegnen, war die Höchststrafe.
Sie kickt meine Beine weg, weshalb ich nach hinten falle und stürzt sich auf mich. Das hat Lukaz schon so verdammt oft mit mir gemacht, dass ich instinktiv zutrete, noch ehe sie mir einen Schlag verpassen kann. Diese Frau nur ein einziges Mal auf dem Boden zu haben, wäre mein persönliches Highlight, um ihr dieses Lachen aus dem Gesicht zu wischen. Der Angriff im Mentaltraining, war für sie völlig unvorbereitet und daher zählt es für mich nicht. Jetzt will ich sie mitten im Kampf schlagen und um diesen Willen durchzusetzen, muss ich nicht an die üblichen Namen denken, die mir sonst durch den Kopf sausen. Ich springe wieder auf, gehe offensiv einen Schritt nach vorn und es gelingt mir, einen Treffer zu landen. Sie sollte nicht unnötig viel Zeit bekommen sich davon zu erholen, also springe ich gleich wieder nach vorn. Mein Haken geht in Richtung ihres Kinns, aber leider wehrt sie mich ab und versucht erneut auf meine Beine zu gehen, aber da trete ich bereits zurück.
Sie versucht ganz offensiv die Stellen an meinem Körper zu treffen, die sehr verwundbar sind und ich weiß, dass ich mich dort am meisten schützen muss, sonst kann ich nicht mehr aufstehen.
>Du magst die Erfahrungen als Trainerin von vielen Jahren haben … < sage ich ihr atemlos, während wir uns in unserer Deckung umkreisen. > …aber das gibt dir nicht das Recht, mich so zu behandeln. Das ist schon lange nicht mehr witzig. <
>Ohhh du fühlst dich von mir ungerecht behandelt? < fragt sie mit einem Schmollmund. >Wieso gehst du dann nicht einfach zu Henry? Aber ich sage dir eines …< Daraufhin teilt sie wieder aus und will mich an der Flanke treffen, aber ich klemme ihren Arm ein, drehe mich herum und habe die Gelegenheit, ihr einige Schläge mit dem Ellenbogen zu verpassen. Keuchend windet sie sich raus. An ihrem Blick erkenne ich, dass sie damit nicht gerechnet hat. Lukaz und die Drittstufigen haben mich im wahrsten Sinne des Wortes bluten lassen. Aber das war es wert, nur um es jetzt an Cataley auszulassen. > …niemand wird dir das glauben. Du bist nur eine kleine, lügende Schülerin, die es versteht sich an jemanden heranzumachen, der genügend Kontakte hat. Sonst wärst du hier sicherlich niemals gelandet. <
>Lass Sam da raus! < erwidere ich erbost. Mittlerweile sind wir beinahe am äußeren Rand der Halle angekommen und stehen entfernt von den meisten Schülern.
Sie lacht wieder ihr falsches Lachen.
>Du willst darauf also nicht eingehen? <
>Nein das habe ich nicht nötig. <
Ich sprinte vor und liefere mir mit ihr eine regelrechte Schlacht. Immer wieder will sie auf meine Beine schlagen – speziell auf das Linke. Sie will am liebsten meine Wunde treffen. Es hat sie nicht davon abgehalten, die Anderen darauf zu hetzen, sie selbst wird am wenigstens darauf Rücksicht nehmen. Cataley wirft mich hart zu Boden, aber ich wende die Abrolltechnik von Lukaz an und kann so schnell wieder zum Stehen kommen. Das, was ich von meiner Trainerin abbekomme, tut wahnsinnig weh, aber ich beiße die Zähne zusammen und mache einfach weiter. Meine angestaute Wut an dem Verursacher auszulassen, ist das beste Gefühl der Welt.
Plötzlich als Cataley wieder angreifen will, stellt sich jemand vor mich und wir halten beide inne.
Atemlos berühre ich ihn vor mir an der Schulter.
>Hey, was soll das? < frage ich. Nigel dreht sich zu mir. Weiter davor haben sich auch David und Ivan vor Cataley gestellt.
>Ihr sollt weiter üben! < zischt unsere Trainerin.
>Was wird das hier? < Nigel sieht mich mit aufgerissenen Augen an und wendet dann wieder unserer Trainerin zu. >Erst heißt es, die Erststufigen sollen unter sich sein, aber Kim muss gegen dich kämpfen? Und dann auch noch auf so eine Weise? Das ist unfair. <
>Du findest also, sie ist mir nicht gewachsen? Schön, dass ihr das endlich mal jemand ins Gesicht sagt. < jubelt sie entzückt.
>Ich glaube, das ist es nicht, was er damit sagen wollte. < wirft David ruhig, aber sehr bestimmt ein.
>Was soll der Mist? Haltet euch da raus. < erwidere ich sorgenvoll und dränge mich an den Jungs vorbei. Ist ihnen klar, was ihnen blüht?
>Na schön. Alle Mann, stopp! < ruft unsere Trainerin und geht in die Mitte. Ich laufe ein paar Meter weiter und versuche den Jungs den Kopf zurechtzurücken.
>Das hättet ihr nicht tun dürfen! Ich kam klar. < fluche ich und kann einfach nicht fassen, dass sie sich so einmischen.
>Die Frage ist, wie lange wärst du noch klargekommen? Was soll das? Ihr zwei seid ja wie Furien aufeinander los. < wirft Ivan ein. Sein Blick wirkt vollkommen verständnislos wegen meiner Gegenwehr.
Ich beiße mir auf die Lippen und bin so wütend. Nicht weil sie uns unterbrochen haben, sondern weil sie sich selbst ins Visier nehmen lassen.
>Ich finde, es wird Zeit, hier ein bisschen mehr Action in den Unterricht zu bringen. Kim, in die Mitte! Stanley du auch! Die Anderen bewerten sie! Jeder Fehler wird analysiert und hinterher ausgewertet, denn Hochmut unterstütze ich hier nicht <
Mit „sie“ bin ich gemeint. Jetzt will mich dieses Miststück endgültig vor den Anderen fertigmachen.
>Was läuft hier eigentlich? < fragt mein Kampfpartner vor mir, den ich bisher kaum kenne. Ich greife einfach seinen Arm und ziehe ihn mit mir. Aus der Nummer kommen wir sowieso nicht raus.
>Hier läuft immer noch euer Training. Stanley, keine Gnade. Zeig alles was du gelernt hast! < weist sie autoritär an.
>Cataley, sie ist doch erst in der ersten Stufe … <
Er versucht ihr noch ins Gewissen zu reden, aber keine Chance. Ihr Blick reicht vollkommen, um ihn zum Verstummen zu bringen. Ich gehe in meine Position und nicke ihm zu. Es hat keinen Sinn, er muss da genauso durch wie ich.
Er zögert, aber das wird Cataley ihm nicht durchgehen lassen. Also laufe ich zuerst los und zwinge ihn, sich zu verteidigen. Wir haben innerhalb dieser Woche schon zwei oder dreimal zusammen trainiert, das ist jetzt nichts anderes. Schließlich tut er, was von ihm gefordert wird. Ich kenne nicht all die Griffe, die sie in der Dritten gelernt haben, aber zumindest ein paar. Bisher reichen meine Abwehrtechniken aus, um zumindest nicht ausgeknockt zu werden. Lange wird das aber sicher nicht gut gehen. Und leider muss ich Ivan beipflichten, denn es wäre auch nicht mehr lange zwischen Cataley und mir gutgegangen. Sie hätte mich wohl innerhalb der nächsten Minuten fertig gemacht.
Ab und zu habe ich schon mal eine gute Verteidigung gegen einen Höherrangigen vorzeigen können. Bisher dachte ich allerdings immer, dass ich das nur schaffte, weil sie zum Ende des Trainings schon so kaputt waren und ihnen irgendwann die Kraft fehlte.
Ich halte meinen Kampfpartner in Schach so gut ich nur kann, stecke hier und da einen Hieb oder Tritt ein, aber teile auch mal aus. Egal was passiert, jetzt muss ich ihn besiegen – das lässt mich Cataley sonst niemals vergessen. Was sie mich auch nicht vergessen lassen wird, ist, was ich vorhin nach dem Mentaltraining getan habe. Einen Moment lang bin ich zu sehr in Gedanken und bekomme einen ziemlich heftigen Schlag ab, der mich auf den Boden befördert.
Ich halte mit zwei Fingern mein schmerzendes Nasenbein und raffe mich wieder auf. Stanleys Blick zeigt eindeutig, wie mies er diesen Kampf findet, besonders mit all den Zuschauern, vor denen wir auf dem Präsentierteller sind. Er kommt dennoch wieder auf mich zu und das Spiel geht von vorne los. Ich komme richtig ins Schwitzen, denn unser Kampf geht hin und her – nur leider bekomme ich mehr von seiner Verteidigung ab. Mein Gegner versucht ebenfalls auf meine Beine abzuzielen, aber ich springe rechtzeitig weg. Natürlich will er mir hinterher und läuft dann direkt in meine Faust hinein. Ich versenke sie in seinem Magen, nehme gleich darauf mein Knie hoch und schlage erneut zu. Jetzt habe ich ihn in der Mangel und drehe ihn mir so hin, dass ich ihn am besten erwische. Er keucht noch im Stehen, aber er kann seine Deckung nicht mehr einnehmen. Seine Arme hängen an ihm herunter. Kurz darauf stürzt er bäuchlings auf die Matte und … bleibt liegen.
Ich lasse mich erst ermattet auf die Knie fallen und schließlich einfach nach hinten. So bleibe ich vollkommen fertig am Boden liegen und versuche wieder eine normale Atmung zu bekommen. Er hat mich viele Male wirklich hart getroffen, davon oft im Gesicht, aber ich habe tatsächlich gegen einen Drittstufigen gewonnen. Mein Blick geht zu Cataley, die abwesend zu ihren Nägeln schaut. Hat sie überhaupt zugesehen? Langsam reicht es mir. Ich gebe etwas Druck auf meine Stirn, wo sich eine ziemliche Beule entwickeln muss. Alle um uns herum schweigen oder sehen wütend zur Seite. Nigel sehe ich es an, dass er Cataley an die Gurgel springen will.
Vorn am Eingang geht plötzlich die Tür geräuschvoll auf und jeder dreht sich instinktiv dorthin – auch ich. Da kommt ein Mann herein. Mein erster Blick geht sofort wieder weg von ihm, aber dann blicke ich doch mit aufgerissenen Augen zurück. Da seine Haare und sein Bart zuvor so kurz waren, fällt es jetzt auf, dass beides wieder länger geworden ist. Er sieht müde aus, aber es ist eindeutig Sam. Ich kann es kaum glauben ihn dort stehen zu sehen. Er lächelt leicht als er mich am Boden sieht und irgendwie schaffe ich es aufzustehen. Knurrend richtet sich nun auch mein Gegner auf alle Viere, aber verharrt noch in dieser Position.
Bitte lass es keine Gehirnerschütterung mit einer Halluzination sein. Ohne auf das zu achten, was hinter mir abläuft, humple ich langsam auf ihn zu und er kommt mir entgegen. Erst die letzten zwei Meter beschleunige ich und lasse mich in seine offenen Arme fallen. Ich schaffe gar nicht etwas zu sagen. Mein Gesicht ist an seinem Brustkorb geschmiegt und ich rieche sein Parfum an ihm. Er ist es wirklich.
>Es ist so schön dich zu sehen. < flüstere ich kraftlos.
Er drückt mich an sich und ich vergrabe mein Gesicht in seinem Hemdkragen.
>Du hast mir gefehlt Kleines. < Ich grinse wegen dieses Kosenamens und löse mich von ihm. >Und? Welche Stufe bist du? Dein Gegner sieht nach der Dritten aus, das wäre ja irre. < fragt er begeistert. Doch dann vergeht mir mein Grinsen schlagartig und ich schaue peinlich berührt zur Seite. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie wir ganz eindeutig die Aufmerksamkeit auf uns gezogen haben. Speziell die von Cataley.
>Der Unterricht ist noch nicht vorbei Kim! < keift sie.
>Ich muss weitermachen. Vielleicht wartest du lieber draußen. < sage ich eilig und gehe wieder zu den Anderen. Der Blick meiner Ausbilderin könnte nicht gefährlicher sein. Am liebsten würde sie mich in der Luft zerreißen.
>Kim und Nigel. < sagt sie sauer und nickt zu der Matte.
>Was? Sie war doch gerade erst dran! < wendet David ein und zieht seinen Kumpel Stanley auf die Beine. Sie bringt ihn jedoch mit einem Blick zum Schweigen. Kein anderer der Männer traut sich etwas zu sagen und das ist auch gut so. Die Stimmung hier drin ist so greifbar geladen. Ich sehe zur Tür und Sam ist immer noch dort. Mit verschränkten Armen hat er sich an die Wand gelehnt und Cataley schickt ihn nicht raus. Weshalb sollte sie auch? Wahrscheinlich kann sie ihn somit länger anhimmeln und ihm ihre Autorität präsentieren. Sicher gefällt ihr das und sie denkt, dass ihm das auch gefällt.
Er soll bitte einfach gehen, denn ich will nicht, dass er das sieht, wie ich hier versage.
>Ich habe es mir anders überlegt. Langsam können wir dich mal etwas fordern. < sagt sie triumphal und zeigt zusätzlich auf David, der eben noch den Einwand hatte, mir lieber eine Pause zu gönnen. Das hat er jetzt davon.
>Ihr zwei als Team gegen Kim. Na los Beeilung – schlaft nicht ein! <
Ich sehe wie Sam die Stirn in Falten legt und die Situation nicht ganz begreift. Die Anderen stehen immerhin nur um uns herum und üben nicht selbst. Wenn er mir jetzt auch noch zusieht, macht es das nur noch schlimmer. Ich bin noch k.o. von den ersten beiden Kämpfen und jetzt soll ich gleichzeitig gegen zwei Personen antreten. Wie konnte ich nur so dämlich sein und Sam vor ihren Augen in die Arme fallen? Okay zugegeben, allein sein Erscheinungsbild ließ mein Herz für einen Moment höher schlagen und ich musste einfach zu ihm. Aber dadurch habe ich meiner Trainerin noch mehr Zündstoff gegeben. Verdammt, weshalb musste ich vorhin so ausrasten? Das ist ihre persönliche Rache.
David und Nigel stehen mir mit wenig Begeisterung gegenüber. Es geht aber nun mal um ihre Lizenz und die wollen sie beide selbstverständlich haben. Mehr als zwei Wochen habe ich versucht diese Schikane nicht der Öffentlichkeit preiszugeben und es stattdessen mit mir allein ausgemacht. Aber nun bekommen es die Schüler live mit. Weshalb soll ich jetzt noch den dritten Kampf hintereinander machen, der unfairer nicht sein könnte? Weshalb sollen mir alle dabei zusehen, während ich zu Boden geprügelt werde? Das ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern pure Genugtuung und wenn ich Cataleys Blick richtig deute, dann fühlt sie sich gerade unglaublich überlegen. Sie will Sam immer noch beeindrucken und ganz offensichtlich denkt sie, sie schafft das mit ihrer Autorität als Trainerin.
Ich schätze, die anderen Neulinge bekommen es auch langsam mit der Angst zu tun, denn seit dieser Woche sehen und spüren sie ständig, wie der niedrige Rang verheizt wird.
>Fangt endlich an! < sagt Cataley genervt. >Und die Anderen achten auf Fehler. Hinterher machen wir die Auswertung. <
Nigel beginnt als Erster, holt von oben aus und ich ducke mich unter seinem Arm drunter. Dort steht auch schon David bereit. Ich wehre ihn ab und muss mich gleichzeitig wieder vor Nigel in Acht nehmen. Gott sei Dank habe ich eine ähnliche Situation schon mal mit ihm und seinem Bruder geübt und somit ist sie nicht komplett neu für mich. Hierbei muss ich nur leider so schnell sein, wie noch nie. Ich schaffe es irgendwie, dass meine beiden Gegner sich gegenseitig eine verpassen, als ich mich im richtigen Moment herauswinde. Aber da steht David auch schon wieder, packt mich und wirft mich auf die Seite. Bei diesem Schwung rolle ich noch ein Stück weiter, springe auf und renne wieder in ihn hinein. Nigel steht hinter mir, also muss ich mich andauernd zu beiden Seiten hin und her drehen, oder mit den Beinen nach hinten ausschlagen. Lukaz hat mir gezeigt, wie ich im Dunkeln kämpfen muss. Es ist so als wäre das Licht aus, denn derjenige von beiden der hinter mir steht, ist für mich nur hör- und spürbar, nicht sichtbar. Ein paar Minuten halte ich dem ganzen relativ solide stand, gehe nur ein paar Mal in die Knie, stecke ein paar Schläge und Tritte ein, aber komme wieder hoch.
>Miguel, in die Mitte! < sagt Cataley plötzlich.
>Wer … von uns …soll raus? < fragt David, der gerade angestrengt am Austeilen ist.
>Keiner. < erwidert sie lässig. Das bringt das Fass zum Überlaufen. In dem Moment wo ich zu meinem weiteren Gegner schaue, fange ich auch Sam's Blick ein. Er guckt gleichermaßen sauer und irritiert.
Gegen drei Personen habe ich noch nie gleichzeitig gekämpft und das ist verdammt schwer, wie ich nur ein paar Sekunden später feststellen muss. Miguel trifft mich mit seiner Faust im Gesicht und ich falle nach hinten um. Es ist wieder die Nasenwurzel und meine Augen tränen wahnsinnig davon. Die Drei lassen mir einen kurzen Augenblick Zeit, mich wieder aufzuraffen. Auch sie tauschen untereinander bedauernde Blicke aus.
Normalerweise müsste ein Hunter sofort wieder zu dem Täter zu gehen, sobald er am Boden liegt und ihn festnehmen.
Mit einem Keuchen raffe ich mich wieder auf und plötzlich starten sie alle gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen. Ich muss mich so schnell umherdrehen, um ihren Schlägen und Tritten irgendwie auszuweichen, dass ich selbst nicht einmal zurückschlagen kann, da mir einfach die Zeit fehlt. Ein Knietritt in den Bauch zwingt mich zurück auf die Matte und ich bleibe auf den Knien. Bitte Sam, sieh dir das nicht an!
>Macht weiter Leute! Das habe ich euch so ganz sicher nicht beigebracht. < mault Cataley.
>Glaubst du nicht, dass mal genug sein sollte? < wendet Nigel ein. >Das haben wir noch nie getan. Das ist doch Wahnsinn. <
Er kommt zu mir und reicht mir seine Hand. Ich ergreife sie, um aufzustehen. Stöhnend halte ich mir vor Schmerz sowohl meinen Magen als auch mein Nasenbein. Ich schniefe und wische über meine Nase aber zumindest blute ich nicht – noch nicht.
>Wahnsinn? < fragt sie beinahe im Flüsterton. >Du machst jetzt weiter mit dem Training. Ich bin deine Mentorin. <
>Schon gut. < versichere ich ihm nasal und will, dass er einfach weitermacht. >Ich komme klar, denk daran, dass du nächste Woche wahrscheinlich deine Lizenz bekommst. <
Er schnauft wütend und fängt schließlich wieder gemeinsam mit den anderen beiden Gegnern an. David bekommt von mir einen Tritt in die Kniekehle und sobald er stürzt, treffe ich sein Kinn. Damit geht immerhin der Erste zu Boden. Miguel steht hinter mir und legt die Arme um mich. Nigel kommt bereits auf mich zu und ich trete mit meinem Bein nach ihm, damit ich den Zweiten vorerst los bin. Dann beuge ich mich vor, um mir den letzten Gegner über die Schulter zu werfen.
Ich bin jeden einzelnen für einen kurzen Moment losgeworden, aber immer, wenn einer fällt, dann steht der Nächste wieder bereit. So ist es zum wiederholten Male mit David. Er steht wieder vor mir und gibt mir einen Schlag in die Rumpfseite. Ich kann das hier überhaupt nicht gewinnen. Es sind zu viele auf einmal, mit zu viel Erfahrung. Jeder einzelne Gegner wäre vielleicht noch okay für mich, aber nicht das hier. Nigel und ich treten im selben Moment zu, dass unsere Schuhsohlen aufeinander krachen. David reißt mich schließlich schon wieder von der Seite her um, hält mich in einem Klammergriff am Boden fest, dass ich mich nicht herauswinden kann. Mir bleibt nur die Möglichkeit, meinen Kopf gegen seine Nase zu rammen und das tue ich auch. Dadurch komme ich ein paar Meter von ihm weg. Aber was versuche ich hier eigentlich? Das Ganze ist ein Trauerspiel.
Miguel greift sich meinen rechten Arm, noch ehe ich stehen kann und verdreht ihn, worauf ich schmerzerfüllt stöhne.
Er schleift mich zurück zu David und Nigel, die inzwischen etwas fertig aussehen. Mit einem Tritt auf Miguels Hand komme ich immerhin frei und springe auf. Allerdings wird mir schwindlig und ich sehe Sterne vor mir. Ich kann nicht mehr und ich sinke herunter auf ein Knie. Etwas läuft meine Nase runter und ich taste daran herum – es ist Blut.
Alle drei Männer halten inne, worüber ich unendlich froh bin, denn ich schaffe es einfach nicht mehr. Sie schauen so als würden sie das nicht richtig finden. Sie alle hier in diesem Raum tun das nicht, außer einer gewissen Frau. Nigel kommt langsam mit bitterem Blick zu mir und hockt sich zu mir runter.
>Wir hören auf – egal was sie sagt! Ich kann das nicht mehr. < sagt er leise.
>Nigel deine Lizenz …<
>Scheiß darauf, wir gehen zu Henry. Das hat nichts mehr mit Training zu tun. < Ich will ihn anflehen das nicht zu tun. Zum Glück reden wir zwei so leise, dass Cataley es nicht hören kann. >Ich glaube, der Name Kimberly passt perfekt zu dir. Kennst du den Vulkanstein Kimberlit? Du bist genauso steinhart und ich glaube, ich hätte bei so vielen Gegnern nicht so lange durchgehalten wie du. Komm, steh auf! <
Ich greife zittrig seine Hand bis ich stehe.
>Herr Gott. Das werdet ihr ja wohl kaum mit eurer Zielperson machen. < sagt Cataley genervt und rollt mit den Augen. >Los ihr Drei! Noch kann sie stehen, also weiter geht’s. <
>Das reicht! < höre ich wütend aus der hinteren Ecke. Sam löst seine verschränkten Arme auf, kommt zu uns gelaufen und ich sinke wieder zurück auf die Knie. Es ist so peinlich vor ihm so zu versagen und ich kann nicht mal mehr stehen. >Der Unterricht ist vorbei. Geht jetzt! < befiehlt er. Die Schüler wissen, dass er hier kein Trainer sein kann, denn die Meisten haben ihn noch nie gesehen. Sein Blick ist allerdings so angsteinflößend und in seiner Stimme schwingt etwas Gebieterisches mit, dass die Meisten sich das nicht zweimal sagen lassen. Besonders Nigel, David und Miguel wirken erleichtert, weil diese Tortur vorbei ist. Sam beendet den Unterricht und ich hätte ihn keine Sekunde mehr durchgestanden. Ein paar wenige Schüler scheinen sich allerdings nicht sicher zu sein, ob sie wirklich gehen sollen. Cataley winkt ihnen daher lässig mit der Hand zu, damit sie verschwinden. Sam kommt zu mir und kniet sich ebenfalls runter. In seinem Gesicht ist die reinste Wut zu erkennen. Ich schließe die Augen, denn ich will das nicht sehen. Wie groß seine Enttäuschung von mir ist, weil alles Bisherige umsonst war, will ich nicht wissen.
>Geh duschen Kleines und pack deine Sachen. Ich komme gleich in dein Zimmer und nehme dich wieder mit mir. < Ich nicke und hasse mich selbst so sehr. Seine Hand geht unter mein Kinn und hebt es etwas an, dass ich schließlich auch wieder die Augen öffne. >Das war eine beeindruckende Leistung von dir, aber das konnte keiner mehr mit ansehen. < sagt er sanft. Beeindruckend? Was war daran beeindruckend? Ich habe haushoch verloren. Der Raum leert sich allmählich, aber ein paar wenige wie Nigel, Ivan, David und Owen bleiben noch schockiert zurück. Sam steht auf und zieht mich mit sich nach oben.
>Bringt sie in ihr Zimmer! < sagt er zu niemand bestimmten. Nigel greift mich sofort am Arm, um mich mit sich zu ziehen. Ich sehe zu Sam, der in Richtung Cataley geht. Ihr falsches gehässiges Grinsen macht dem Anhimmelnden für Sam Platz. Sie löst ihre verschränkten Arme und läuft mit einem Hüftschwung auf ihn zu. Sie muss sich gerade besonders toll vorkommen. Nigel schiebt mich weiter durch die Tür, bis ich Sam nicht mehr sehen kann. Meine Nase blutet immer noch und mein Shirt sieht aus, als hätte es darauf ein Massaker gegeben.
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