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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
11.04.2018 4.214
 
Kapitel 07 – Berufliche Zukunft

Seit Stunden liege ich wach in meinem Bett, weil ich nicht mehr schlafen kann.
Der gestrige Wutausbruch meines Vaters, die ständig meckernden Töne meiner Mutter… all das fühlt sich so falsch an und hat mich die ganze Nacht beschäftigt.
Um zehn Uhr muss ich bei der PR-Agentur „Greenfield Communications“ sein, also stehe ich lieber auf.
Für diesen Job kann ich nicht einfach eine Jeans tragen, also suche ich mir meine beste schwarze Stoffhose raus und bügle zur Sicherheit noch einmal drüber. Eigentlich müsste ich mir bei Gelegenheit ein paar Blusen, Businesshosen oder Röcke kaufen, aber das muss warten.
Es ist schrecklich – bei jedem Gedanken, den ich hege, kommt automatisch gleich der Gedanke an das, was mein Vater tun musste. Vielleicht lässt diese Person ja mit sich reden, wenn ich an sie herankomme. Es ist ja nicht so, dass sie ihr Geld nicht zurückbekommt, nur dass es etwas länger dauert. Sicher ist dieser Mensch kein gnadenloser Finanzhai und wollte Leuten wie meinem Vater in seiner Situation nur unter die Arme greifen. Wahrscheinlich ist er sauer aber sicherlich kein Gewalttäter deswegen. Zumindest rede ich mir das ein, dass ich die letzten beiden Tage eventuell überreagiert habe.
Ich muss wegen des gestrigen Restaurantbesuchs unbedingt noch duschen und die Haare waschen, aber dafür brauche ich nicht lange. Das neue Oberteil ist noch etwas klamm, deswegen hänge ich es so an den Badspiegel, dass der Föhn nicht nur meine Haare trocknet, sondern gleich noch den Stoff. Ich binde mir die Haare zu einem Pferdeschwanz, ziehe mich an und schminke mich dezent mit etwas Mascara.
Ich schnappe mir meine Umhängetasche und gehe nach unten. Im Dielenbereich sehe ich in den großen Spiegel und schätze, das Outfit ist tauglich für ein Büro. Dann packe ich noch eilig mein Portemonnaie in die andere Tasche um und mache mir zum Frühstück schnell einen Kaffee mit Milch. Iye hat die letzten Cornflakes aufgegessen – das ist okay, ich will, dass er etwas im Magen hat, wenn er den ganzen Tag in der Schule seinen Kopf anstrengen muss. Ich sehe zwar, dass noch etwas Pizza von gestern übriggeblieben ist aber ich lasse sie lieber für meine Mutter stehen.
>Tschau Mum, ich muss los. < schreie ich durchs Haus. Irgendwo wird sie schon sein. Ich kippe mir den letzten Schluck Kaffee in den Mund, werfe mir einen Kaugummi ein und verlasse das Haus um Punkt 9:15 Uhr.
Zu meinem Leidwesen regnet es und ich schnappe mir noch rechtzeitig eine Jacke und einen Schirm, wodurch ich einhändig mit dem Fahrrad bis zur nächsten Bushaltestelle fahren muss, um es dort abzustellen. Dort bezahle ich 2,25 $ für mein Ticket und setze mich ans Fenster.
Das wird mein zukünftiger Arbeitsweg sein – auch wenn ich bei gutem Wetter die gesamte Strecke mit dem Rad fahren will.
Ich lasse meinen Kopf gegen die Scheibe sinken und verfolge wie die Wassertropfen daran herunterlaufen.

              Nach zwanzig Minuten hält der Bus fast vor der Tür und ich steige voller Tatendrang aus. Ich habe einen sehr kurzen Fußweg vor mir und in Windeseile stehe ich schon vor dem großen Gebäude, mit dem grünen Firmenzeichen.
Im Eingangsbereich stelle ich den tropfenden Schirm in einem Ständer ab und schaue mir die Logos all der namhaften Klienten an, für die Greenfield Communications arbeitet. Ich liebe es jetzt schon.
>Haben Sie einen Termin Miss? < fragt eine rundliche Dame mit brünettem Bob und adrettem dunklen Kleid hinter einem Schreibtisch.
>Oh… ähm ja. Ich bin Nayeli Misra und um 10 Uhr mit Misses Blair verabredet. <
Daraufhin lächelnd sie freundlich und drückt einen Knopf auf ihrem Telefon. Als jemand antwortet, spricht sie hinein um mich anzukündigen.
>Vierte Etage. Drittes Büro links. < erklärt sie mir.
>Danke. <
Ich laufe weiter zu den Aufzügen und warte bis er unten ist. Die Türen öffnen sich und heraus kommt eine Menschenmasse. Schnell mache ich einen Schritt zur Seite, um sie alle vorbeizulassen. Männer und Frauen unterschiedlichen Alters in Businesskleidung treten heraus und ich erhasche einen kurzen Blick auf Mister Greenfield persönlich. Er ist mein eigentlicher Chef. Dieser läuft erst weiter, sieht einen Moment zu mir und weitet die Augen. Er bleibt stehen und fragt:
>Miss Misra habe ich recht? <
Ich lächle und wundere mich, dass er mich überhaupt erkannt hat. Er war bei meinem Bewerbungsgespräch überhaupt nicht anwesend.
>Ja, ganz richtig. Schön Sie kennenzulernen. < erwidere ich erfreut.
Er reicht mir seine warme Hand und schüttelt sie.
>Freut mich ebenfalls. Ich habe Ihre Bewerbung gesehen. Ihr Gesicht fällt hier auf. Sie sind doch hoffentlich hier um zu unterzeichnen? <
>Ja ich bin mit Misses Blair verabredet. <
>Großartig. Dann willkommen im Team – ich hoffe doch wir können vieles von Ihnen erwarten. <
>Danke. Ich werde mein Bestes geben. < grinse ich verlegen.
Ich muss den Fahrstuhlknopf erneut betätigen, steige dann ein und drücke auf die Nummer vier. Die Musik im Lift ist total entspannend und gerade als ich in Versuchung komme mitzusummen, geht die Tür auf.
>Drittes Büro links. < murmle ich vor mich hin und gehe weiter. Ich klopfe an die Tür und kurz darauf wird mir auch schon geöffnet.
Mrs. Blair grinst mich mit ihrem Zahnpastalächeln breit an und reicht mir die Hand.
>Hallo Miss Misra. Und? Darf man gratulieren? <
>Guten Morgen. Ja das dürfen Sie. <
>Toll. Dann meinen Glückwunsch – kommen Sie bitte rein. <
Ihr Büro ist wahnsinnig schick und modern. Sie bedeutet mir, mich hinzusetzen und schnell packe ich mein Zeugnis aus, um es ihr vorzulegen. Sie schaut erst eine Weile wortlos darauf und fängt dann an zu grinsen.
>Für Theologie war ich auch nicht zu begeistern. < murmelt sie feixend als sie sich meine Noten anschaut. Beworben habe ich mich immerhin mit einem vorherigen Zeugnis und da hatte ich durchweg die Note A.
Sie legt das Dokument wieder vor sich hin und verschränkt ihre Finger ineinander, um mich zu mustern.
Irgendwie verunsichert mich das. Oh Gott, es liegt doch nicht wirklich an dem B - ?
>Kann ich davon ausgehen, dass Ihr Interesse an Greenfield Communications noch vorhanden ist? <
>Ja! Ja auf jeden Fall. < platze ich euphorisch heraus aber muss mich sofort wieder bremsen. >Entschuldigung, ich bin etwas nervös. <
>Weshalb? < lacht sie. >Das Bewerbungsgespräch war doch schon. Kommen wir nun also zum wichtigen Teil. <
Daraufhin zieht sie ihr Schubfach auf und legt zwei Exemplare getackerten Papiers vor meine Nase. Mein Herz macht einen Satz, als ich endlich den Vertrag vor meinen Augen sehe.
>Es ist sehr schade, dass Sie Mister Greenfield verpasst haben. Vor einer halben Stunde war er noch kurz in meinem Büro. Er hätte Sie sicher gern kennengelernt – er war begeistert als er Ihre Bewerbung gesehen hat. <
>Ich habe ihn vor ein paar Minuten am Fahrstuhl getroffen. Wir haben uns ganz kurz unterhalten. <
>Ach wirklich? Und wie war Ihr Eindruck? < will sie wissen.
Ich überlege kurz was ich sagen soll, ohne dass es rüberkommt, als würde ich schleimen wollen.
>Ein netter, aufgeschlossener Mann. Ich habe mich nicht unwohl gefühlt. <
Daraufhin lächelt und nickt sie.
>Also dann. Fangen wir an. < sagt sie und zückt einen Kugelschreiber.
Ich gehe jeden einzelnen Punkt des Vertrages mit ihr durch und unterschreibe selbstverständlich am Ende mit einem Grinsen auf den Lippen. Alle angesammelten Überstunden werden ausgezahlt, ich habe jeden Tag eine Stunde Pause und 25 Tage Urlaub, bekomme ein ziemlich gutes Einstiegsgehalt und sogar noch ein 13. Gehalt im Dezember. Gearbeitet wird von 8:00 – 17:00 Uhr von Montag bis Freitag.
Der einzige Haken ist, dass ich nur eine Vertretung für eine schwangere Kollegin bin, aber das habe ich bereits gewusst. Für dieses befristete Jahr bekomme ich so lange ihr Büro, welches mir soeben gezeigt wird. Laut meiner neuen Vorgesetzten kann ich mich dekorativ vollkommen hier drin ausleben und sehe jetzt schon all die Fotos vor meinem inneren Auge. Das Büro ist nach hinten raus gerichtet und zeigt auf eine Grünfläche. Ich habe also ab einer bestimmten Uhrzeit, sogar einen Sonnenplatz.
>Wenn Sie etwas Zeit mitgebracht haben, dann könnte ich Sie heute schon etwas einarbeiten. < erklärt Mrs. Blair.
>Ja liebend gern. <
Innerlich juble ich die ganze Zeit und kann es nicht fassen. Ich finde bisher einfach alles toll. Ich sauge all die Information förmlich in mir auf, die sie mir erklärt und kann bereits mit einigem Wissen schon bei ihr punkten. Die einzige Schwierigkeit, die ich bisher habe, ist der iMac der schwangeren Kollegin. Misses Blair zeigt mir wie er zu bedienen ist und mit Erschrecken muss ich feststellen, dass die Computer die wir in der Schule hatten, vollkommen anders funktionierten. Aber ich werde mich da schon hineinfuchsen – ich bin nicht unbeholfen was Technik angeht und habe das bestimmt schnell raus.

             Nach 1 ½ Stunden habe ich mich mit dem iMac ein wenig angefreundet und Mrs. Blair schlägt eine Kaffeepause vor. Wir stehen zusammen in der Personalküche, unterhalten uns etwas privater – was ich total angenehm finde, und trinken einen Kaffee. So einen aus diesen Vollautomaten, der einfach alles kann. Ich liebe es hier.
Sie fragt mich etwas nach meiner Familie, woher ich komme, woher mein Name stammt und wie ich darauf kam, ausgerechnet Geisteswissenschaften zu studieren. Ich komme mir gar nicht so vor, als würde ich hier mit einer Frau stehen, die mehrere Gehaltsklassen über mir steht. Als wir unsere Tassen leer haben und zurück in ihrem Büro sind, sagt sie:
>Ich brauche noch Ihren Ausweis. Davon muss ich eine Kopie machen und Sie anmelden. Am besten kopiere ich auch nochmal Ihr Zeugnis für die Unterlagen. Sie müssen noch einen Personalfragebogen ausfüllen und dann wären wir fertig für heute. <
>Klar. < ich krame bereits in meiner Tasche herum, als sie aus einem Ordner den Fragebogen herausholt und mir vor die Nase legt. Ich reiche ihr alles was sie braucht und überfliege den Zettel, den sie mir gegeben hat. Als Mrs. Blair mir meine Sachen über den Tisch zurückschiebt, sagt sie:
>Bringen Sie ihn einfach ausgefüllt am Montag zusammen mit Ihrem Diplom mit. <
>In Ordnung. Dann sehen wir uns also um acht Uhr? < grinse ich und packe meine Sachen wieder sorgfältig in die Tasche.
Sie nickt, hält mir ihre Hand hin und ich ergreife sie.
>Ich freue mich. Kommen Sie dann erstmal in mein Büro, dann machen wir weiter, wo wir heute aufgehört haben. Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Abschlussfeier. <
>Danke. < erwidere ich und strahle sie an.
Die Bürotür geht hinter mir zu und ich nehme den Fahrstuhl nach unten.
Sobald ich im Erdgeschoss bin, sehe ich am Eingang einen Pappaufsteller von Steve Greenfield – dem Geschäftsführer, der mir vorhin begegnet ist. Er steht in seinem Anzug gekleidet da und wirbt mit dem Firmenmotto. Ich weiß gar nicht wie alt er ist, denn seine Haare sind vollständig Weiß aber noch sehr voll.
Ich laufe grinsend an der brünetten Empfangsdame vorbei, nehme den Schirm aus dem Ständer und werfe ihr ein freudiges „Auf Wiedersehen“ zu.
Sobald ich draußen und ein paar Schritte gelaufen bin, springe ich in die Luft und kreische. Kann das wahr sein? Ich habe meinen Traumjob bekommen – okay nur für ein Jahr, aber es ist ein Anfang. Schleunigst laufe ich zu der Bushaltestelle und habe sogar Glück. Ich musste nur fünf Minuten auf mein Verkehrsmittel warten, es hat aufgehört zu regnen und der Busfahrer hat mich einfach so ohne Ticket mitfahren lassen. Manchmal tun sie das einfach so bei kürzeren Strecken.
Ich habe das Gefühl, dass mir heute nichts die Laune vermiesen kann und setze mich wieder grinsend an eines der Fenster. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen im Bus und hier trifft man alle möglichen Arten von Menschen – die mürrischen, die kommunikativen, diejenigen die über den Fahrstil des Fahrers meckern, die die gleich zwei Plätze für sich allein beanspruchen und die, die ihr Ticket mit einzelnen Pennys bezahlen. Man beobachtet all die Leute um sich herum zwangsläufig, um sich die Zeit zu vertreiben.
Als ich nach zwanzig Minuten wieder aussteige, wische ich über den nassen Sattel meines Fahrrads drüber und beeile mich schnell nach Hause zu kommen.
Lieblos schiebe ich meinen Drahtesel schleunigst in den Schuppen hinein und laufe hektisch zur Tür. Genervt suche ich meinen Schlüssel in der Tasche und werfe dessen Inhalt von links nach rechts, bis ich ihn endlich gefunden habe. Ich beeile mich, meine Sachen in der Diele abzulegen und renne dann durch das Haus, um meine Mutter zu suchen. Oben in Iyes Zimmer finde ich sie endlich, als sie seine Sachen in den Kleiderschrank einräumt.
Euphorisch platze ich dort hinein und quassle einfach drauflos, um ihr alles zu erzählen. Ich rede viel zu hektisch und schnell, sodass sie im Grunde gar nichts mitkommt, aber sie lacht die ganze Zeit bei meiner Begeisterung. Schlussendlich zeige ich ihr mein Exemplar des Arbeitsvertrages.
>Das ist so toll mein Schatz. < sagt sie und küsst mich auf die Wange. Sie drückt mich danach so eng an sich, dass ich keine Luft mehr bekomme.
>Mum, ist ja gut. Du erdrückst mich. < keuche ich, bis sie mich endlich loslässt. >Sie hat heute schon damit angefangen, mich etwas einzuarbeiten. Der PC, mit dem ich arbeiten muss, wird eine kleine Herausforderung aber abgesehen davon, freue ich mich total auf Montag. Ich habe auch Mister Greenfield ganz kurz getroffen – er wusste sofort wer ich war und er ist total nett. <
>Na da hast du scheinbar einen ziemlichen Eindruck hinterlassen. Und ich habe mich schon gewundert, wieso du so lange gebraucht hast. Ich hoffe es gefällt dir dort. Sobald der Alltag erstmal begonnen hat, wird es leider meist anders. <
>Sei nicht so negativ. Das wird schon. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten und ich muss unbedingt Megan anrufen. < quietsche ich, springe aus dem Zimmer und rutsche dann das Treppengeländer herunter.
In der Küche nehme ich das Festnetz von der Wand und hüpfe auf die Arbeitsplatte rauf. Die beiden Nummern meiner besten Freundin kann ich auswendig, daher wähle ich schnell und warte bis es ein Freizeichen gibt. Es dauert eine Weile, doch schließlich nimmt sie ab.
>Guten Tag. Meg´s Tierimbiss – sie überfahren's, wir überbacken's. < meldet sie sich. Daraufhin brülle ich laut los vor Lachen.
>Na das ist ja mal was ganz Neues. < gluckse ich immer noch. >Was ist aus „Meg´s Brennholzverleih“ geworden? <
>Der Spruch war schon total ausgelutscht. Warte kurz, ich ruf´ dich zurück. <
Sie legt auf und ich packe den Hörer ebenfalls zurück auf die Station. Megan tut das immer, um unsere Telefonkosten damit nicht in die Höhe zu treiben. Ein paar Sekunden später klingelt es und ich gehe ran.
>Ich war heute bei Greenfield und habe endlich unterschrieben. < berichte ich strahlend.
>Echt? Das ist ja stark. Und was für einen Knebelvertrag hast du da unterschrieben? Klozeiten nur erlaubt nach 10-stündiger Tipparbeit – bis dahin verkneifen? <
>Du bist blöd. < lache ich auf und wickele das Telefonkabel um meinen Finger. >Wie ist es denn bei dir? Ist schon was Neues wegen deines Gesprächs von Montag herausgekommen? <
>Nö. Ich hoffe ja immer noch darauf, dass der Verlag mir morgen mehr sagt. Das ist echt frustrierend. Wieso können die nicht einfach sagen, ob man denen zumindest gefällt oder ob sie von Anfang an denken, dass es eh nichts wird? Das macht mich ganz mürbe. <
>Bei Greenfield habe ich fast drei Wochen gewartet. Da war das Pokerface meiner Vorgesetzten auch echt gemein. < erinnere ich mich.
>Eines sage ich dir. Wenn wir beide irgendwann mal Chefinnen sind, dann quälen wir die Bewerber nicht so lange. <
>Na du steckst deine Ziele ja echt hoch. <
>Logisch. Tiefstapeln kann ja jeder… Süße, ich will dich nicht abwimmeln aber ich muss jetzt los. Meinen Eltern sind ein paar Sachen fürs Restaurant ausgegangen und ich muss für sie in den Großmarkt fahren. Ich melde mich aber morgen bei dir, falls ich etwas weiß okay? <
>In Ordnung. Ich drücke dir die Daumen. <
>Danke und herzlichen Glückwunsch zu deinem Vertrag. Wir hören uns. <
>Okay. Ich hab´ dich lieb. <
>Dito. <
Dann lege ich in dem Moment auf, als meine Mum die Treppe herunterkommt und zu mir in die Küche spaziert.
>Ich mache mir einen Kaffee. Willst du auch einen? < fragt sie mich.
>Nein, danke. Ich hatte im Büro schon einen. Falls du mich suchst, ich bin oben und packe mein Zeug aus. <
Sie nickt nur und macht sich bereits an der Filtermaschine zu schaffen. Ehrlich gesagt hätte ich liebend gern einen Kaffee gehabt aber ich trinke ihn nur mit verdammt viel Milch und die will ich Iye nicht wegtrinken.
Oben angekommen, schnappe ich mir meine abgestellte Tasche und laufe in mein eigenes Reich.
Dort packe ich mein Zeugnis in ein Schubfach hinein und fange an, etwas aufzuräumen. Besser gesagt miste ich ziemlich aus, denn ich habe einen riesigen, offenen Bücherschrank. Diversen Inhalt davon habe ich sogar mehrmals gelesen. Einige lege ich auf einen Stapel mit den Büchern, die weg sollen und ein paar Minuten später, landen dieselben Bücher auf der gegenüberliegenden Sammlung – wo die Bücher liegen, die ich behalten will. Es ist furchtbar aber von manchem muss ich mich definitiv trennen. Vielleicht bekomme ich mit dem Verkauf ja schon genug Geld zusammen, um einen kleinen Wocheneinkauf tätigen zu können, in dem auch Iyes Lieblingscornflakes enthalten sind. Allmählich bekomme ich einen riesigen Hunger und über etwas zu Essen nachzudenken, macht es nur noch schlimmer. Mehr als zwei Kaffee am Morgen habe ich noch nicht in den Magen bekommen. Wenn ich mich noch recht erinnere, dann habe ich vor einiger Zeit mal ein paar Notfallkekse gebunkert. Ich ziehe ein paar Schubfächer raus und durchkrame sie.
Nichts.
Auch unter meinem Schreibtisch sehe ich alles durch. Grübelnd stehe ich in der Mitte des Zimmers und drehe mich in alle Richtungen, um zu schauen, wo ich noch nicht gesucht habe.
In meinem Bettkasten werde ich allerdings fündig. Ein paar billige und imitierte Oreo Kekse sind noch in ihrer Verpackung.
Mein Dad muss endlich seinen Lohn bekommen. Ich glaube so schlimm wie aktuell, war es zuletzt, als er noch Fischer war und einen schlechten Fang hatte. Allerdings ist sein Gehalt jetzt besser. Haushalten können wir mehr als gut … also warum ist es schon wieder alles so eng?
Tja, leider kenne ich die Antwort. Meinetwegen schlägt es ein Loch ins Portemonnaie. Dieser Abend am Freitag kostet ordentlich Geld und das wurde bereits eingefordert, bevor die Planungen und Bestellungen von unserem College konkret wurden, damit sie ein Budget hatten.
Ich nehme mir für morgen vor, zu Noah zu fahren. Er besitzt einen An- und Verkauf für Bücher, CDs und sonstiges. Er ist ein netter Kerl im Alter von meinem Vater und ich weiß, dass er mir wie immer alles abnehmen wird, was ich habe. Ebenfalls wie die Eltern von Megan, kam er vor vielen Jahren nach Amerika und verfolgte seinen Traum, der nie so richtig über diesen kleinen Buchladen hinausging. Er schwärmt viel von seiner alten Heimat Australien und ich habe in letzter Zeit wirklich Sorge, dass er zurückkehrt. Mit der Liebe hat er es schon lange aufgegeben und daher hält ihn hier nichts, wie er selbst sagt. Er wohnt direkt über seinem Laden in einer 1-Zimmer-Wohnung und hat nichts als seine Arbeit. Auch wenn ich seine Sehnsucht verstehen kann, würde ich es zutiefst bedauern, wenn er zurückgehen würde.

              Ich packe sämtliche Bücher, von denen ich mich trennen werde, zusammen und packe sie in eine Pappkiste hinein. Als ich sie anhebe, ist sie unglaublich schwer. Ich durchforste mein Zimmer noch eine Weile lang nach weiteren Dingen, bis Iye endlich von der Schule kommt und ohne Vorwarnung mit Anlauf in mein Bett hineinspringt.
>Hey Vorsicht. Du tust dir sonst wieder weh. < keuche ich schrill, als er fast eine Rolle nach hinten macht.
>Dein Bett ist aber viel weicher. < gackert er.
Ich grinse und falte den Karton zu. Er wirft sich mit dem Gesicht in mein Kissen und bleibt einfach liegen.
>Hast du Hausaufgaben auf? < will ich wissen. Als ich keine Antwort bekomme, drehe ich mich zu ihm. >Iye, du schläfst nicht. Hast du welche auf oder nicht? <
Ich seufze auf, als er sich immer noch schlafend stellt. Mit etwas Anstrengung schiebe ich die Kiste in eine Ecke, wo sie mich im Moment nicht stört und laufe zu meinem Bett, um meinen Bruder an den Füßen hochzuziehen und kopfüber zu halten.
>Hey. < lacht er auf. >Lass mich wieder runter! <
>Erst wenn du mir eine Antwort gibst. <
>Ich habe Mathe auf, muss zwei Seiten lesen und was für Bio malen. <
>Na los, dann mal an die Arbeit. <
Er nörgelt und protestiert natürlich aber irgendwann habe ich ihn so weit, dass er seine Aufgaben mit mir zusammen macht. Für Biologie muss er eine Pflanzenzelle malen, was ich für einen neunjährigen ziemlich fortgeschritten finde, aber nach fast zwei Stunden sind wir endlich mit allem durch.
Ab und zu musste ich mich dabei zügeln, ihm nicht immer zu viel zu helfen. Gerade in Mathe erkläre ich ihm den Lösungsweg gerne auch hundertmal, aber ich will, dass er von alleine darauf kommt. Dass ich in der Hinsicht ziemlich streng bin weiß ich, aber mein Bruder ist eigentlich ziemlich clever und ich hoffe, dass ich ihm mit meinen konsequenten kleinen Hilfestellungen eines Tages geholfen habe, anstatt ihn nur zu nerven. Als er gerade seinen letzten Zahlendreher mit einem Tintenkiller korrigiert, steckt mein Vater plötzlich seinen Kopf durch Iyes Zimmertür und mein Bruder springt erfreut auf. Ich habe gar nicht gehört, dass er überhaupt gekommen ist.
>Na ihr zwei. Was macht ihr hier? < will er wissen, als Iye ihm soeben in den Arm springt.
>Nayeli hat Hausaufgaben mit mir gemacht. < erklärt der Kleine. Ich hingegen halte mich völlig raus und sortiere einfach alles zusammen, was am Boden liegt.
>Seid ihr fertig? < will mein Dad von ihm wissen.
>Ja. Endlich kann ich spielen. <
>Jetzt nicht kleiner Mann. Deine Mutter hat unten gekocht. Wasch dir deine Hände und dann essen wir erst. <
Nörgelnd geht der Kleine aus seinem Zimmer. Ich ignoriere meinen Vater und staple die Hefte aufeinander, um sie dann auf Iyes Schreibtisch zu legen.
>Willst du mir nicht mal „Hallo“ sagen? < fragt er geknickt. Als ich in sein Gesicht sehe, sieht es schmerzverzerrt aus.
>Hallo Dad. < sage ich monoton.
Mit zusammengepressten Lippen kommt er zu mir und setzt sich dann aufs Bett meines Bruders.
>Es war falsch von mir, dir eine Ohrfeige gegeben zu haben. Du hast nichts getan, was so etwas von mir rechtfertigen würde. < Darauf erwidere ich nichts, sondern sehe ihn nur an. >Ich muss mich bei dir entschuldigen, das hätte ich nicht tun dürfen. <
>Warum hast du es überhaupt gemacht? < will ich wissen und stehe abweisend mit verschränkten Armen mitten im Zimmer.
>Mach bitte die Tür zu. < spricht er leise. Irritiert laufe ich ein paar Schritte und schließe sie. >Ich möchte weder, dass deine Mutter, noch dein Bruder Angst bekommen. Wir wohnen mitten im Wald neben einem Abhang. Ich finde, dass das schon beängstigend genug für ein Kind ist. Aber wenn abends noch irgendwelche eigenartigen Leute vor der Tür stehen, dann sorgt das für eine gewisse Panik. Du bist alt genug und zu clever – dir kann ich nichts mehr vormachen aber Iye schon. Du bist so außer dir gewesen, dass ich dem schnell ein Ende setzen wollte… aber das werde ich nie wieder auf so eine Weise tun. Ich verspreche es dir. <
>Dad, sag mir die Wahrheit. Wer war das? <
>Ich weiß es nicht. Sicher hatte sich nur jemand verfahren. Es wäre nicht das erste Mal. <
>Nein das zwar nicht aber normalerweise klingeln die Leute bei uns und fragen nach dem Weg. Sie bleiben nicht im Auto sitzen und strahlen minutenlang mit den Scheinwerfern in unsere Küche hinein. Und ich habe auch ein kurzes Blitzlicht gesehen, als hätte man mich fotografiert. <
>Du hast aber nicht gesehen, was die Person im Auto wirklich getan hat. Vielleicht hat derjenige irgendwas auf diesem Schmartfons oder wie das heißt eingestellt. Kann man da nicht auch den Weg eingeben? <
>Smartphone Papa. <
>Ja ja, diese Dinger jedenfalls. <
Ich gluckse. Habe ich vielleicht überreagiert und soll ich ihm das wirklich glauben? Anderseits sieht er so reumütig aus, wie er da auf dem Bett hockt und ich will mich nicht mit ihm streiten.
>Na los, komm schon. Gehen wir was essen. < sage ich.
Er steht auf und nimmt mich kurz in den Arm. Dann küsst er mich auf die Stirn.
>Ich habe dich lieb. Du weißt, es war keine Absicht, oder? <
>Klar. < sage ich tonlos.
Schließlich gehen wir gemeinsam hinunter und schauen, was meine Mutter aus den wenigen Zutaten, die wir noch haben, gezaubert hat.
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