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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
14.06.2019 6.375
 
Kapitel 30 - Schwächen

*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels enthält starke Gewaltszenen.

Wir stehen zur letzten Stunde des Tages vor unserer Trainerin. Dass sich ein paar der Anfänger über die nächste Aufgabe beschwert haben, ist irgendwie verständlich. Sie sollen am eigenen Leib spüren, wie gut die Anwärter sind, die kurz vor ihrer Lizenz stehen. Es ist so, als müssten sie sich als Spielball für die dritte Stufe zur Verfügung stellen.
Die Pause ist vorbei und Cataley tritt ein paar Schritte vor.
>Jeder eurer Gegner hat irgendeine Schwäche und ihr müsst das in jedem Fall ausnutzen. Schließlich geht es nicht darum, einer Zielperson hinterherzurennen, sie beiseite zu schubsen und einzufangen. Ich will, dass ihr die Person kampfunfähig macht und sie dann abführt. Das Ganze muss für euch glimpflich ausgehen, nicht für den Täter oder die Täterin. Also zeigt keinerlei Mitleid, wenn ihr es mit den Härtefällen zu tun bekommt. Sicher habt ihr auch mal ganz normale Bürger dabei, die ihren Gerichtstermin versäumt haben, aber die interessieren euch irgendwann nicht mehr. Es sei denn ihr habt nichts auf dem Kasten. < sofort sieht sie mich dabei an. Na danke. Ich habe also nichts auf dem Kasten? Das Gefühl gibt sie mir ja schon von Anfang an. >Nigel, du kommst in die Mitte. < ruft sie und tritt zur Seite. Er löst seine verschränkten Arme neben mir und läuft auf die Matte. >Welche Schwäche hat Nigel? < fragt sie in die Runde. Alle scheinen zu überlegen und es dauert eine Weile, bis überhaupt eine Hand nach oben geht. Was er für Schwächen hat? Hmm, gute Frage. So wie er mit mir trainiert, keine.
Schließlich sagt jemand aus seiner Stufe:
>Ich glaube er lässt sich schnell ablenken, wenn es um etwas zu Essen geht. < alle fangen an zu lachen, Nigel mit inbegriffen aber Cataley sorgt sofort wieder für Ruhe, da sie so etwas in ihrem Unterricht nicht duldet. Wäre das in Lukaz´ Unterricht gefallen, dann hätte er mitgelacht.
>Hat jemand eine Idee, was er für eine körperliche Schwäche hat? < fragt sie erneut nach, aber dieses Mal genervter. Da sich alle fragend anschauen, löst sie die Antwort endlich auf und erklärt: >Er hatte vor 1 ½ Jahren einen Bruch im linken Handgelenk, der ihm heute noch ab und zu wehtut. Solche Dinge müsst ihr bei eurer Arbeit vorher in Erfahrung bringen und genau solche Schwachstellen müsst ihr ausnutzen. Okay, dann kommen wir zu seinem Gegner. < murmelt sie. Ihre Augen wandern durch unsere Reihen, als müsste sie scharf überlegen, aber ich finde dieses Getue mehr als lächerlich, weil ich weiß, dass es nur Show ist. Ihr Blick bleibt – “selbstverständlich vollkommen unerwartet“, bei mir haften und dieser gefällt mir überhaupt nicht. >Kim komm her! Welche Schwäche hat sie? <
Ich laufe zu ihr und Nigel und bleibe dort stehen. Unruhig einatmend schließe ich meine Augen und kann nicht fassen, dass sie das tut. Heute Morgen als sie in Rubys und mein Zimmer geplatzt ist, hat sie meine Verletzungen gesehen. Bisher kam ich am heutigen Tag glimpflich davon, aber jetzt will sie mich bei den Drittstufigen richtig fertig machen. Das habe ich im Gefühl.
Dieses Mal dauert es noch länger bis eine Hand hochgeht, denn kaum einer kennt mich sonderlich gut.
Nigels Bruder Ivan sagt:
>Ihre Technik ist sauber, aber ihr fehlt noch die Kraft in der rechten Schulter, weil sie ausgekugelt war. <
Cataley feixt und wiederholt:
>Ausgekugelt? Das hat sie euch also erzählt? Das rechte Schulterblatt wurde angeschossen, sowie der linke Unterschenkel vorn und hinten. Sie kann es verdammt gut verbergen und deswegen müsst ihr auf so etwas auch bei euren gesuchten Personen achten. <
Meine Leidensgenossen schauen sich alle fragend an und ich höre das Gemurmel, das durch die Halle geht. Nigel blickt mich von der Seite her mit leicht geöffnetem Mund an. Ich kann es im Augenwinkel sehen. Durch die anderen Schüler vor mir, schaue ich eher hindurch aber auch David, Owen und vor allem Ivan sehen ebenso schockiert aus.
Ich kann es ihm nicht verübeln, was er gesagt hat, aber Ivan hält sich die Hand vor den Mund. Er soll nicht denken, dass er mich nun verraten hat. Cataley hätte es mit oder ohne seinen Anstoß gesagt. Allerdings sieht er so aus, als wenn plötzlich alles Sinn ergeben würde, weshalb ich mit dem rechten Arm und dem linken Bein nicht so funktioniere, wie ich es gern würde.
>Und was soll ich mit so einer Information jetzt tun? < fragt Nigel unsere Trainerin vollkommen irritiert.
>Na was wohl? Triff sie dort, wo ihre Verletzungen sind und zwing sie in die Knie. Mit dem Gesuchten darfst du auch kein Mitleid haben. <
>Cataley, ich möchte nicht aufmüpfig sein aber …<
>Dann tu's auch nicht und fangt beide endlich an. < zischt sie Nigel an.
>Er soll ihr jetzt beim Training auf die alten Verletzungen schlagen? < keucht ein anderer Schüler aus der dritten Stufe und sieht unsere Ausbilderin ungläubig an.
Diese zeigt mit ihren Augen ganz eindeutig, dass sie keine Widerworte mehr duldet.
Mir ist klar, dass diese Situation für sie ein gefundenes Fressen ist. Sie wird es genießen, wenn ich keuchend am Boden liege. Ich stelle mich Nigel gegenüber, der mit dem Kopf schüttelt.
>Nein, vergiss es! Die Wunden sind noch nicht alt, wenn du noch keine Kraft im Arm und im Bein hast. Ich schmeiße dich damit wochenlang in deinem Heilungsprozess zurück, wenn ich dich richtig treffe. < flüstert er mir zu.
>Das interessiert sie aber nicht. < murmele ich zurück.
>Auf keinen Fall. Das ist doch bescheuert. Weshalb sollte ich einer aus der ersten Stufe absichtlich einen solchen Schaden zufügen wollen? Der Kampf ist doch so oder so schon unfair. < faucht er Cataley direkt an. Sie guckt erst relativ unbeeindruckt, aber dann grinst sie gehässig und sagt mit süßer Stimme:
>Ich bin diejenige, die dir deine Lizenz erteilt. Oder gibt es da auch ein paar Änderungen, von denen ich wissen sollte? Tu jetzt was ich sage, ansonsten tut es ein Anderer. <
Ich greife Nigel am Handgelenk und ziehe ihn von ihr weg.
>Hey es ist okay. Mach es einfach. Ich werde versuchen, dich abzuwehren. < In meiner Stimme schwingt etwas Flehendes mit. Ich bin die Letzte, wegen der man sich Ärger einhandeln sollte.
Wie benommen schaut er dann zu mir und lässt sich zumindest mitziehen, bis wir auf einer Matte stehen.
Ich nehme meine Grundspannung ein und fixiere mit meinem Blick sein Handgelenk. Aber wenn ich ehrlich bin, dann bin ich auch nicht sonderlich scharf darauf, ihn an seiner verletzlichsten Stelle zu treffen, auch wenn es 1 ½ Jahre her sind.
Nigel zögert allerdings immer noch, weshalb unsere Trainerin immer ungehaltener wird.
>Das ist jetzt das letzte Mal, dass ich es sage. Deine Lizenz und die deines Bruders sind theoretisch für nächste Woche angesetzt. Zeig, ob du sie verdienst oder lass es. <
>Tut mir wirklich leid. < sagt er leise in meine Richtung. Ich nicke und weiß, dass er es ernst meint. Aber er muss hier genauso diese Zeit überstehen, wie ich. Er kommt auf mich zu und will gegen mein Bein treten, weshalb ich einen Schritt zur Seite mache und ihn mit der Faust treffe. Als er zusammensackt, schnappe ich mir sein Handgelenk. Leider dreht er sich heraus und haut mir seinen Ellenbogen direkt auf das rechte Schulterblatt. Japsend sinke ich auf die Knie.
Auf der Wirbelsäule oder auf das Steißbein habe ich diese Hiebe ja schon oft abbekommen, aber noch nicht direkt auf meine Verletzung.
>Alles okay? < fragt er besorgt. Ich nicke hektisch, aber kann nicht sofort aufstehen. Der Schmerz ist heftig, aber immerhin vergeht er wieder.
>Viel zu lange gewartet. Du hättest direkt weitermachen müssen. < meckert Cataley. Nigel ignoriert ihren Kommentar und fängt erneut an, als ich wieder stehe.
Ich weiß, wie schlimm er diesen Kampf findet. Jeder Flüchtige wäre nach seinem ersten Handgriff festgenommen worden und hätte kapituliert, aber wir zwei müssen weitermachen, während uns zwei Stufen dabei zuschauen.
Zum Glück klappt das Abwehren inzwischen richtig gut, dass ich das ein oder andere Mal glimpflich davonkomme. Aber manchmal trifft er meine rechte Seite so zielgenau, dass ich am liebsten die Halle zusammenbrüllen will. Ich habe allerdings immer noch meinen Stolz und versuche, keinen Schmerzensschrei von mir zu geben. Nigel bekommt ab und zu auch ein paar Treffer von mir ab, die ihn bei weitem nicht so stören. Sein Handgelenk ist nicht so schlimm beeinträchtigt wie ich befürchtet habe – zum Glück eigentlich, aber dafür hat es ihm nicht so viel ausgemacht, als ich ihm mit der Handkante direkt darauf geschlagen habe.
Manchmal müssen wir einen kleinen Umweg gehen, um an unser Ziel zu kommen, weshalb wir einander durch Tritte in den Magen oder Schläge ins Gesicht zuerst auf den Boden befördern wollen. Bei der nächsten Attacke machen wir im selben Moment die gleiche Technik und treffen beide den Anderen an der Schläfe, dass wir beide zu Boden gehen. Keuchend raffen wir uns wieder auf.
Nigel wirft mir ein Grinsen zu und sagt leise in meine Richtung:
>Das war richtig gut. Da siehst du mal, wie weit du schon gekommen bist. <
>Hört auf zu quatschen und macht weiter. < motzt Cataley sofort. Nigel kommt wieder auf mich zu und will mich am Bein erwischen, ich kann ihn davon abbringen, mich zu treffen und hole mit einem Schwinger aus, um ihn umzuhauen, aber da ist er auch schon wieder aus meiner Ziellinie.

              Nachdem ich einige schlimme Tritte und Schläge abbekommen habe, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Inzwischen blute ich ziemlich aus der Nase und der Bereich über meiner linken Augenbraue fühlt sich so an, als würde er anschwellen. Auf dem Boden neben uns sind Blutflecken und ich glaube, sie sind alle von mir. Ich hole aus, um ihn zwischen seine Beine zu treffen. Aber er hält mein Bein fest, kneift kurz seine Augen zusammen als würde er sich zu etwas überwinden müssen und schlägt dann mit seiner Faust direkt vorn auf mein Schienbein. Meine Schusswunde ist direkt daneben und dieses Mal kann ich nicht anders.
Er schlägt mehrere Male immer wieder auf die gleiche Stelle und ich schreie mir vor Schmerz die Seele aus dem Leib. Dabei falle ich nach hinten um und stürze mit dem Kopf auf den Boden, dorthin wo keine Matte mehr ist. Ich ringe nach Luft aber ziehe sie immer wieder nur kurz ein, obwohl ich viel mehr Sauerstoff bräuchte. Nigel lässt mein Bein los, lässt sich an meine Seite fallen und beteuert mir, wie leid ihm das tut. Ich kann nichts sagen. Japsend liege ich da und kann mich nicht bewegen. Mein Bein zittert und es fühlt sich so eigenartig an. Mein Kopf geht nur ein Stück vom Boden hoch und ich sehe nach unten. Auch wenn es sich so anfühlt, blutet es nicht. Immer noch zitternd ziehe ich meine Beine an und versuche aufzustehen.
>Nein Kim, lass es sein. Du musst zu Alejandro. < keucht Nigel.
>Erst beendest du deinen Kampf. Meine Güte, bist du jetzt in der dritten Stufe oder in der Mittwochsgruppe für Zivile? < motzt unsere Trainerin barsch.
>Was soll diese Quälerei verdammt? < schreit er Cataley an. Ich sehe plötzlich Sterne und bekomme gar nicht mehr so viel mit. Dieser bebende Schmerz vergeht einfach nicht und ich falle wieder nach hinten, zurück auf den Boden und mit dem Kopf ebenfalls wieder neben die Matte. Ich wimmere, weil es einfach nicht aufhört und dann ganz plötzlich, wird mir schwarz vor Augen und der Schmerz ist von jetzt auf gleich weg.  

Später, im Zimmer von Ruby
Mir ist so verdammt übel, als ich blinzelnd die Augen öffne. Da stehen Leute um mich herum, aber das Licht über mir strahlt so hell, dass ich sie kaum identifizieren kann. Mit meiner Hand befühle ich meinen Kopf, der furchtbar brummt. Da liegt ein Eisbeutel auf meiner Stirn.
>Was ist los? < murmle ich.
Wie ich jetzt erst erkenne, sitzt Alejandro neben mir auf dem Bett und wedelt mit seinem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. Irritiert folge ich ihm mit meinen Augen. Dann tut er irgendetwas an meinem Bein. Er redet irgendwelche schnellen Sätze auf Spanisch und ich verstehe nicht ein einziges Wort.
>Er sagt, dass du vor Schmerz ohnmächtig geworden bist. < erklärt Henry, der mit seinem Rollstuhl am Zimmereingang steht. >Du bist mindestens zweimal mit deinem Kopf aufgeschlagen, aber offenbar hast du keine Gehirnerschütterung und auch sonst bist du nicht schlimm verletzt. <
Wieder erklärt Alejandro irgendetwas und hebt mein Bein etwas an, damit ich es sehen kann. Es sieht irgendwie geschwollen und gerötet aus, aber immerhin sehe ich kein Blut.
>Das war eine Schutzfunktion deines Gehirns, bei starken Schmerzen abzuschalten, damit du keinen Schaden davon trägst. Die Wunden sind zu, du hast also nichts zu befürchten. < übersetzt der Leiter erneut für mich.
>Nichts zu befürchten? < brüllt Ruby aus einer Ecke. Die hatte ich bisher gar nicht wahrgenommen. >Wie konnte das überhaupt passieren? <
>Hey beruhige dich. Hier landet sicher jeder mal bei Alejandro. < antworte ich leise und versuche mich etwas aufzustützen. >Ich bin niemals so gut wie einer aus der dritten Stufe. Das ist doch klar, dass mich derjenige k.o. schlägt. <
>Wer war eigentlich dein Gegner? < will Henry wissen.
>Weshalb ist das wichtig? Er kann nichts dafür. Ich war einfach nicht gut genug. <
>Weil ich gern wüsste, ob es Absicht war. <
>Nein, das war es nicht. Wir hatten beide unsere Anweisungen. <
>Na schön. < seufzt er. >Ich denke es ist besser, wenn du für ein oder zwei Tage bei den praktischen Fächern aussetzt. Nur um dich zu erholen. <
Ich reiße die Augen auf. Das kann er nicht tun und das würde mich nur zurückwerfen. Außerdem müsste ich mir noch mehr von Cataleys spöttischem Grinsen antun, wenn ich auf der Bank sitze und zuschaue.
>Auf keinen Fall. Mir geht es gut und Alejandro hat gesagt, es ist nicht schlimmes passiert. < widerspreche ich sofort.
>Mann Kim! Das ist Schikane! < meckert Ruby. >Wie kann Cataley zulassen, dass du so verletzt wirst? Wie weit soll das noch gehen? <
>Hör auf. < zische ich sie an. Sie hat mir versprochen den Mund zu halten.
>Pfff … dann mach doch deinen Scheiß alleine. <
Wütend verlässt sie das Zimmer und lässt die Tür hinter sich zuknallen.
Ich kneife angestrengt die Augen zusammen und öffne sie langsam wieder. Vor mir kommt Henry zum Vorschein und er bläht wütend seine Nasenlöcher.
>Bitte Henry. < flehe ich. >Wenn du mich jetzt aus den praktischen Fächern herausnimmst, dann lerne ich es nie. Ich finde es nicht schlimm gegen Drittstufige zu kämpfen. Ich trainiere schon die ganze Zeit mit Höherrangigen und auch Lukaz sagte, ich soll mich an diejenigen halten, die mich weiterbringen. Wir haben nur getan, was uns aufgetragen wurde. Mein Gegner kann nichts dafür. <
>Ich habe das Gefühl, du schützt die falsche Person. Wie genau war eure Aufgabenstellung? <
>Die Schwäche unseres Gegners auszunutzen. < murmle ich.
>Und woher kannte man deine Schwäche? Du solltest doch den Mund halten. <
>Das habe ich auch. Die Einzige die davon weiß ist Ruby, weil sie es beim Duschen gesehen hat. Aber heute Morgen sah Cataley die Wunden, weil sie wegen der Waffenübung in unser Zimmer kam. <
>Und jetzt wissen es alle … <
Ich nicke nur. Vor Erschöpfung würde ich am liebsten schlafen und mich in eine Decke einmurmeln.
Vorsichtig bewege ich mein Bein, aber es ist okay. Offensichtlich war es nur der Schlag, der so höllisch wehtat.
>Ich werde mit Cataley reden. < erklärt Henry.
>Nein! < hechle ich sofort und sehe ihn mit großen Augen an.
>Kim, ich bin hier der Leiter dieser Einrichtung. Was glaubst du eigentlich, was mein Job ist? <
>Ich weiß, dass du hier für Ordnung sorgen musst, aber ich komme klar damit. Es war doch nur ein Kampf, bei dem ich verloren habe. Ich verliere andauernd, das ist keine große Sache. <
>Stolz kann einen umbringen. Wenn hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht, dann muss ich wieder für ein Gleichgewicht sorgen. <
>Das weiß ich. Aber die anderen Mentoren bläuen uns genauso ein, dass wir unsere Zielperson kennen müssen, um ihre Schwäche auszunutzen. Was ist daran anders? <
>Anders ist, dass wir nicht gezielt auf Schusswunden schlagen, nur weil wir es am Morgen bei einer Schülerin gesehen haben. Deine Schwäche hätte genauso gut ein gewisser Kraftmangel sein können, aber sie nahm sich die verletzlichsten Bereiche bei dir vor. < giftet er jetzt wütend. Dem Ganzen stimme ich zu. Dieses Biest hat es genossen, mich so zu sehen. Aber noch mehr wird sie es genießen, wenn ich auf allen Vieren angekrochen komme und nicht mehr weitermachen kann. Die meisten gemeinen Dinge die Cataley bisher tat, fanden im Verborgenen statt. Viele Dinge konnten weder Schüler noch Lehrer mitbekommen.
>Ich weiß, wie das für dich klingen muss. Aber ich bin sicher, wenn ich irgendwann in Stufe drei bin und ich dieselbe Aufgabe nochmal bekomme, dann haut mich das nicht so schnell um. Meine Technik war heute einfach noch nicht gut genug. <
>Kim, ich meine es ernst. Rede nicht so daher, nur damit mein Verantwortungsgefühl als Leiter zufriedengestellt ist. Du musst mit mir reden. <
>Ich weiß. Und wenn ich an diesem Punkt bin, dass ich das Bedürfnis danach habe, dann werde ich mit dir reden. Bisher habe ich aus allem was passiert ist, eine Lehre gezogen und ich weiß, dass mir hier niemand ernsthaften Schaden zufügen will. Also bitte lass mir meinen Stolz und belasse es dabei, dass ich während einer Trainingseinheit einfach k.o. gehauen wurde. <
>Na schön. Du bist erwachsen wie alle hier. Wenn du glaubst, dass alles gerechtfertigt ist, dann werde ich es dabei belassen. <
>Danke. < antworte ich leise und sehe auf meine Hände. Henry sagt etwas auf Spanisch und Alejandro verschwindet zusammen mit ihm. Sobald die Tür zugeht, schnaufe ich und lasse mich wieder zurück in mein Bett gleiten. Ich schließe die Augen und denke darüber nach, wie lange ich hier eigentlich noch bleiben muss. Wann kommt Sam endlich wieder? Er sagte, dass er es nicht genau wüsste und nun ist auch noch Lukaz weg. Wenn ich wenigstens mit ihm telefonieren könnte. Ich rolle mich auf die Seite, um mein Schulterblatt etwas zu entlasten. Ein wenig Bewegung tat immer gut, also versuche ich meine Schulter leicht zu kreisen. Die Schmerzen, die ich in der Nacht am Lake zu spüren bekam, waren um ein zehnfaches schlimmer, also sollte ich mich jetzt zusammenreißen.
Die Tür geht auf und mein Kopf schnellt nach oben. Ruby ist zurück und lässt sich auf ihr Bett plumpsen. Ich kann nur hören wie tief sie atmet und merke allein daran, wie wütend sie ist.
>Redest du jetzt nicht mal mehr mit mir? < meckert sie.
>Worüber willst du denn reden? < frage ich mit neutraler Stimme.
>Na zum Beispiel mal über das, was da im Unterricht passiert ist. Ich war ja schließlich nicht dabei. <
>Dann will ich tatsächlich nicht mit dir darüber reden. <
>Na ganz toll. Aber offensichtlich ist dir nicht klar, dass jetzt alle munkeln, weshalb du so verletzt hierherkamst. <
>Doch, das kann ich mir gut vorstellen. Aber so etwas ist wie auf der Highschool. Alle nerven dich mit irgendeiner peinlichen Sache und nach zwei Wochen ist es ausgelutscht und alle haben es wieder vergessen. < Jetzt drehe ich mich schließlich doch zur anderen Seite. Ich dachte Rubys Gesicht wäre wutverzerrt. Dabei hat sie Tränen in den Augen. >Hey es geht mir gut, okay? <
>Das hat sie mit Absicht gemacht, oder? <
Ich schweige und schlage die Hände über dem Kopf zusammen. Weshalb muss alles immer wieder durchgekaut werden? Wahrscheinlich kann ich mich heute nicht mal an den Tisch setzen, ohne dass alle die gleiche Frage stellen werden.
>Bitte lass uns über etwas anderes reden. Es ist nicht mehr zu ändern und du kannst mir glauben, dass ich am liebsten im Erdboden versinken würde. 2/3 der Schule haben mich wie ein kleines Kind jammern gehört und zugesehen, wie ich vermöbelt wurde. <
>Was, das ist deine Sorge? Was die Anwärter deswegen jetzt von dir halten? < fragt sie völlig verwirrt. >Also in dem Fall kann ich dich beruhigen, denn die ziehen alle einen Hut vor dir. <
>Guter Witz. < erwidere ich sarkastisch.
>Nein, ich meine es ernst. Die aus der ersten Stufe halten dich für Rambo. Angeblich bist du immer wieder aufgestanden – und das kenne ich ja schon von dir. Du hast Nigel sogar umgehauen, ihn auf dem Boden gehabt und dich bis zum Schluss verteidigt. Und das alles gegen einen aus der Dritten! Niemand aus der ersten Stufe hätte dir das auch nur annähernd nachmachen können und wahrscheinlich nur sehr wenige aus der Zweiten. Du hast allen Grund dazu, morgen hocherhobenen Hauptes in die Halle zu marschieren und Cataley den Mittelfinger zu zeigen. <
Ich lache leise und sehe verlegen zur Seite. Trotzdem bleibt dieses furchtbare Gefühl, es schon wieder nicht geschafft zu haben.
>Ruby, sie werden alle wissen wollen, weshalb ich dort Schusswunden habe, die so frisch sind, dass sie mich zu Boden reißen. <
>Kein Problem. Ich kann eine Ansage machen, wenn du willst. <
>Oh und was willst du sagen? Dass sie mich in Ruhe lassen sollen? <
>Ja ganz genau. Jeder hat einen Grund, weshalb er hier ist und du hast nicht vor deinen zu verraten. Mindestens die Hälfte der Schüler, die hier ausgebildet wird, ist auch verschlossen bei diesem Thema. Und gut 15 % der Schüler haben mit Sicherheit auch Schusswunden. Hier sind Cops und Soldaten. Glaubst du die haben keine alten Verletzungen? <
>Aber sie sahen alle so schockiert aus, als Cataley ihnen dieses kleine Detail auf dem Silbertablett serviert hat. <
>Vielleicht, weil du noch so jung und eine Frau bist. Wahrscheinlich hätte es niemanden gewundert, wenn du zuvor bei der Army gewesen wärst. Aber eine angeschossene, zivile Frau? Das sorgt schon irgendwie für einen Schockmoment. <
>Ich will nicht wie ein rohes Ei behandelt werden und ich will nicht andauernd drüber reden müssen. < maule ich in mein Kissen hinein.
>Okay das krieg ich hin. Aber das mit Cataley muss ein Ende nehmen. Wir können ihr das Handwerk legen, da bin ich sicher. Auch so eine blöde, überhebliche, sadistische, kaltblütige, verzogene, widerwärtige …<
>Ruby! <
> … Mistkuh ist nicht gegen alles immun. <
Gegen meinen Willen muss ich allerdings lachen. Wie viele Adjektive wären ihr wohl noch eingefallen, wenn ich sie nicht gestoppt hätte?
>Weißt du, dass dich dieser Job wirklich ausmachen wird? < werfe ich ein. >Du hast ein so starkes Bedürfnis nach Gerechtigkeit, da bist du als Bounty Hunter gerade richtig. <
>Ja aber der Hang zur Gerechtigkeit kommt noch mehr zum Vorschein bei Leuten, die ich mag. <
Ich grinse.
>Du würdest also auch dann für mich einstehen, wenn ich wirklich, wirklich in der Patsche stecken würde? <
>Na sicher würde ich das. < versichert sie mir. Und würde sie mir auch glauben, dass ich meine Familie niemals umgebracht habe und mir helfen diese Typen zu kriegen? Oh nein, raus aus meinem Kopf. Ich werde da nicht noch mehr Menschen mit hineinziehen.
>Vielleicht solltest du dich erstmal saubermachen und danach gehen wir nach oben und trinken eines von diesen Mixbieren. Falls dich irgendjemand doof anquatscht, dann wende ich Karate an. Ich verspreche es. < Automatisch rieche ich an meinem Shirt. >Mit „saubermachen“ meine ich vor allem dein Gesicht. < sagt sie im Nachgang.
Im Bad wird mir klar, was sie meint. Meine Nase hat ganz schön geblutet. Nigel hat mir ziemlich auf diesen unechten Nasenring gehauen und das war schon schmerzhaft genug. Das, was danach folgte, hat mir allerdings im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter ausgeknipst.

            Als ich geduscht wieder aus dem Bad komme, sitzt Ruby auf ihrem Bett.
>Können wir dann? < fragt sie.
>Ach ich weiß nicht. Irgendwie habe ich keinen Hunger. <
>Vergiss es, du wirst da jetzt mit mir hochgehen. Außerdem sehen zwei aus deiner Stufe noch viel schlimmer aus. Die waren nämlich nach dir dran und die konnten sich ja nun wirklich noch kaum verteidigen. <
>Was? < keuche ich. >Das hat sie wirklich getan? <
Ruby wirft mir einen „echt-jetzt?-Blick“ zu. Logo tut Cataley so etwas, aber sicher tat sie das eher aus dem Grund heraus, damit es nicht so aussieht, als wenn ich als einzige Person malträtiert wurde. Immerhin war das nicht so eine versteckte Bosheit wie sonst, sondern öffentlich. Sie ist clever und wenn nur ich so zugerichtet worden wäre, dann hätte Henry vielleicht wirklich schon etwas unternommen. Eigentlich ärgere ich mich über mich selbst, weil ich sie mehr oder weniger schütze. Aber ich will einfach nicht nachgeben. Von mir aus soll man mich ruhig starrköpfig nennen, aber ich will ihr die Stirn bieten, anstatt zu petzen, wie sie mich behandelt. Seufzend bei Rubys fordernden Blick, gehe ich noch einmal ins Badezimmer und sehe mich ein letztes Mal im Spiegel an. Ich erkenne kein Blut, keine offenen Stellen und die Beule über meiner Augenbraue kann ich durch den Pony verstecken.
>Na schön, dann los. < sage ich zu ihr. Ruby springt auf und ich folge ihr.
Das Einzige, was unübersehbar ist, ist mein Humpeln. Ich kann es nicht unterdrücken, denn es tut so höllisch weh. Leider muss sich meine Zimmergenossin an mein Gangtempo anpassen, denn schneller geht es einfach nicht.

              Oben in der Mensa ist es so wie ich befürchtet habe – ich werde angestarrt.
Das Gute ist allerdings, dass ich zumindest nicht mitleidig beäugt werde. Ich bin jetzt eben die Schülerin, die bis zum knock out verprügelt wurde und die, die merkwürdigerweise Schüsse abbekommen hat.
>Na super. < nuschle ich durch meine Zähne hindurch und schnappe mir mein Abendessen.
>Kopf hoch, sonst fällt das Krönchen runter. < kichert Ruby neben mir.
Wir laufen zu den Leuten, bei denen wir meistens sind und ich befürchte eine peinliche Stille, wegen dieses Kampfes.
>Hey Mädels. < sagt Max allerdings locker, als ich mich setze.
>Hi. Ich hol jetzt erstmal Bier. Will noch jemand was? < fragt Ruby. Louis springt sofort auf und bietet an, dass er ihr hilft. An unserem Tisch sitzen noch Jeremy, Liam, David und Ivan.
>Wo ist Nigel? < frage ich, weil er nicht in unserer Runde ist und ich ihn auch sonst nirgends sitzen sehe.
>Er ist in unserem Zimmer. < erklärt sein Bruder. >Wegen dem, was er mit dir machen musste, will er nicht rauskommen. Er kommt sich ziemlich schäbig vor. <
Ich beiße mir auf die Lippe und sehe kritisch auf meinen Teller. Cataley hat heute nicht nur eine Person im ersten Kampf am Boden liegen sehen, sondern gleich noch eine Zweite dorthin befördert.
>So ein Schwachsinn! Entschuldigt mich. < erwidere ich kühl, schiebe mein Tablett ein Stück von mir weg und stehe auf. Das Auftreten tut so weh und dadurch kann ich das Humpeln nicht abstellen. Am besten lasse ich mir für die Nacht einen Eisbeutel geben, dann wird es morgen sicher besser sein.
Am Ende des Ganges drücke ich den Fahrstuhlknopf, weil ich das Laufen einfach nicht noch mehr provozieren will.
Unten bei den Zimmern angekommen, klopfe ich bei der Nummer 14 an. Es dauert eine Weile, aber schließlich macht Nigel die Tür auf. Er sieht mich etwas erschrocken an.
>Darf ich reinkommen? < frage ich. Er nickt auf eine beschämte Weise. Normalerweise ist er ein absoluter Witzbold mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. Aber jetzt sagt er mir nicht mal „hallo“.
Hinter mir schließe ich die Tür und bleibe im Raum stehen, während er sich auf sein Bett setzt und ein Motormagazin zuklappt.
>Ich mache dir keinen Vorwurf. Du musst mich also nicht meiden. < komme ich direkt zur Sache.
>Du solltest mir aber Vorwürfe machen. Als Cataley mir mit der Lizenz drohte, habe ich nur an mich gedacht. Aber dich so schreien zu hören, als ich auf dein Bein eingeschlagen habe, stellte mir wirklich die Nackenhaare auf. Das würde ich mit keiner Zielperson machen, wenn es nicht sein muss. Ich hatte dich bereits am Boden und hätte dir auf der Straße einfach Handschellen anlegen können oder ich hätte einen Elektroschocker benutzt, aber das … das war nicht richtig weiterzumachen, nur weil es Cataley sagte. Ich bin immerhin noch ein eigenständig denkender Mensch und ich wusste durch das Training, dass du verletzt warst. Mir war nur nicht klar, dass es sowas sein würde. <
>Tja ich schätze mal ihre Autorität schüchtert so einige Leute ein. < seufzend setze ich mich auf das andere Bett und befinde mich gegenüber von ihm.
>Sie schüchtert mich nicht ein. Sie hat nur leider etwas zu melden, das ist ein Unterschied. <
Ich weiß, was er meint. Wirkliche Angst habe ich nicht vor ihr, nur vor ihren Handlungen, dem Vorführen und den unberechenbaren Gemeinheiten.
>Lass uns nach oben gehen. Ich weiß, dass du dich genauso bloßgestellt fühlst wie ich mich, aber Ruby meinte, dass ich morgen hocherhobenen Hauptes in Cataleys Unterricht gehen sollte und ich finde, die Kleine hat recht. Wenn Cataley morgen mitbekommt, dass wir zwei uns nicht mehr ansehen, dann hat sie gewonnen. <
>Ja … stimmt schon. < antwortet er erschöpft. Etwas nervös beißt er sich auf der Lippe herum, als er mich wieder ansieht. >Was ist dir da passiert? <
>Das versucht Ruby auch schon die ganze Zeit herauszufinden und es wäre mir lieb gewesen, wenn sie es als einzige Person gewusst hätte, dass ich verletzt wurde. Aber ich kann es euch nicht sagen. Ich ehm … ich stecke in Schwierigkeiten und deswegen muss ich das hier schaffen. Ich brauche diese Lizenz um wieder jemand zu sein. <
>Du bist jemand. <
Ich versuche irgendwie ein Lächeln zustande zu bringen, doch es ist eher gequält. Schließlich kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Mein alter Name trägt keine weiße Weste mehr, egal wie es dazu kam.
>Nein, ich bin niemand mehr. Aber das muss sich ändern. Deswegen ist es mir egal, wie viele Schmerzen ich hier durchstehen muss. Nichts davon ist so schlimm, wie das, was ich vorher ertragen musste. Also mach dir bitte keine Vorwürfe mehr. Du hast getan, was du tun musstest. <
>In welcher Art Schwierigkeit steckst du? Du lernst hier dutzende Leute kennen, vielleicht können wir dir helfen. <
>Danke. Ich befürchte allerdings, dass der einzige Mensch, der mir helfen kann, Sam ist. Nur, dass der sich gerade woanders aufhält. <
Er kneift die Augen zusammen und scheint zu überlegen. Oh Mist, habe ich jetzt zu viel verraten?
>Das mit deinem Bein ist mir noch gar nicht aufgefallen. Du hattest doch letztens im Club sogar eine kurze Hose an. Kann ich das mal sehen? <
>Ruby hat das ganz gut kaschieren können. < Ich zögere allerdings ihm mein Bein zu zeigen, aber er weiß es doch nun sowieso. Also streife ich meinen Schuh ab, ziehe das Hosenbein hoch und hebe das Bein etwas schwerfällig auf seine Bettkante. Seine Gesichtszüge ändern sich zu einem Grübeln, als er erst zur Wunde und dann zu mir sieht.
>Wie lange ist das her? <
>Es sind jetzt fast 5 Wochen. <
>Du machst Witze, oder? < Er streicht über mein Bein und dreht es leicht, um auch die Eintrittswunde im hinteren Bereich zu sehen. >Ist dir klar, dass ein Muskelfaserriss etwa zwei bis sechs Wochen Ruhe braucht? Und du läufst mit einer Schusswunde herum? Ich meine, du joggst und trittst damit zu. Bist du wahnsinnig? <
>Ich muss zugeben, dass mich das ziemlich aus der Bahn geworfen hat, aber ich hatte hierbei viel Glück. Es war kein Schuss im Gelenk, keine Verletzung des Knochens, von großen Blutgefäßen oder Nerven. Ich hatte mir das Bein direkt abgebunden, bis ich Hilfe bekam. Fragmente oder Splitter steckten ebenfalls nicht im Bein und es war zum Glück eine Pistole – kein Gewehr. Nur deswegen ist das Loch nicht Faustgroß. Jedenfalls hat Sam mir das so erklärt. <
>Na schön, aber selbst wenn du gut weggekommen bist, musst du dem Ganzen auch die Zeit zum Heilen lassen. Du bewegst dich, als hättest du kaum etwas. <
>Das erfordert auch eine ziemliche Beherrschung, dass man mir das nicht ansieht. Sam hat mich täglich mit Bewegungsübungen gequält und ich fing an zu schwimmen. Ich humpelte sehr früh ohne Hilfsmittel herum und mit viel Entschlossenheit habe ich es im Griff. Aber glaub mir, das Ganze ging auch nur mit vielen, vielen Tränen und Schmerzmitteln. Ich habe das keineswegs locker weggesteckt. <
>Es kann unter Umständen Jahre dauern, bis du schmerzfrei herumlaufen kannst. <
>Ich weiß, aber ich kann es sehr gut ignorieren. Am Schlimmsten ist dieses irreführende Gefühl, als würde es andauernd bluten, aber da ist nichts. <
Ich nehme mein Bein wieder von seinem Bett und streife das Hosenbein hinunter.
>Es gibt sowas wie Phantomschmerzen. Das habe ich zwar nur mal bei Amputationen gehört und bei schweren Hirnverletzungen, aber vielleicht ist es sowas in der Art. Was sagt denn dein Arzt dazu? <
>Im Grunde das Gleiche. Es kann Jahre dauern. < lüge ich schnell. Wenn ich ihm sage, dass ich nicht mal eine medizinische Betreuung habe, dann flippt er wohl völlig aus.
>Na gut. Du wirst durch dein angefangenes Studium schon wissen, was du tust. Trotzdem ist das ziemlich krass. Und was ist mit der anderen Wunde? <
>Die Munition prallte auf mein Schulterblatt und ist steckengeblieben. Das hat mich allerdings nicht so sehr eingeschränkt und ging die ganze Zeit schon besser, als das Bein. Solche Sachen kann ich aber leider noch nicht. < ich hebe meinen rechten Arm so weit wie es geht hoch und versuche über meinem Kopf mein linkes Ohr zu berühren, aber keine Chance. Keuchend lasse ich den Arm wieder sinken.
>Vielleicht solltest du deinen Arzt anrufen. Sicher ist sicher. Hoffentlich habe ich dir keinen Schaden zugefügt. <
>Keine Sorge. Alejandro hat bereits nachgesehen. Es tut weh, aber das ist normal. Ich werde es genauso ignorieren wie sonst auch. <
Nigel schüttelt mit dem Kopf als wäre ich vollkommen irre und murmelt etwas in sich hinein.
>Du hättest dir Zeit lassen müssen. Fünf Wochen sind nichts mit einer Schussverletzung im Bein. Jeder vernünftige Arzt hätte dich zu einer Reha geschickt, statt in so eine Schule. <
>Ich weiß, aber ich bin ziemlich ungeduldig und ich wollte auf keinen Fall länger als nötig ans Bett gefesselt sein. Es hat mich wahnsinnig gemacht mich nicht bewegen zu können. Sam ist auch irgendwann an mir verzweifelt und hat mich schließlich einfach machen lassen, wenn ich die Stützen mal wieder in die Ecke geworfen habe. <
Nigel sieht mich die ganze Zeit aus zusammengekniffenen Augen an. Dann schnappt er sich sein Handy.
>Lass uns mal unsere Nummern tauschen. Ich habe keine Ahnung wie lange ich noch hier sein werde. Wenn du wirklich in Schwierigkeiten steckst, dann wirst du vielleicht irgendwann mal Hilfe brauchen und dann kannst du mich anrufen. Wenn du mich nicht anrufst, dann ist das deine Entscheidung. <
>Na schön. Aber du musst mir deine Nummer aufschreiben. Ich habe kein Handy. <
So wie jeder andere auf diesem Planeten schaut er mich völlig irritiert an.
>Wenn du ein Blackberry benutzt, dann sind diese Telefone sicherer. Und auf dem hier ist eine extra Verschlüsselungssoftware. < erklärt er und zeigt mir seines.
>Das habe ich auch schon gehört, aber es geht gar nicht um die Angst, nicht sicher zu sein oder abgehört zu werden. Es ist nur so, dass ich noch nie ein Handy besessen habe. <
>Ich muss schon sagen, irgendetwas an dir ist ziemlich rätselhaft. < sagt er leise und reißt ein Stück von seinem Block ab, um darauf seine Nummer zu schreiben.
>Es wäre auch gut, wenn das so bleibt. Ich habe dir mehr erzählt als Ruby, also … <
>Schon klar, ich halte die Klappe. < Ich nicke seufzend. >Aber es ist jemand hinter dir her, habe ich recht? <
>Jemand war hinter mir her. Das ist vorbei und deswegen kämpfe ich mich wieder zurück. Ich habe nichts Falsches oder Illegales getan, falls du das denkst. <
Er grinst und schnauft dabei.
>Das glaub ich dir. Auch wenn ich als Hunter sicher erst Beweise dafür bräuchte, aber du siehst nicht aus, wie eine kleine Verbrecherin. <
>Tja, aber wie wir mittlerweile wissen, sehen die Wenigsten so aus. <
>Hey willst du etwa, dass ich dich doch noch verhöre? <
>Okay, okay. < lache ich und hebe sofort ergebend meine Hände. Dann stehe ich auf und will, dass er endlich mit mir kommt. >Also was ist denn nun? Gehen wir endlich was essen? <
>Die Leute werden mich wahrscheinlich ansehen, als wäre ich ein Vollidiot. <
>Die deutliche Mehrheit der Schüler war da. Ich denke nicht, dass sie anders gehandelt hätten, wenn sie in deiner Lage gesteckt hätten. <
Er hält mir den Zettel mit seiner Telefonnummer entgegen. Ob ich sie jemals wählen werde, bezweifle ich, aber zumindest wandert sie in meine Hosentasche.
>Na schön, aber wir nehmen den Fahrstuhl und du läufst heute nicht mehr lange herum, ansonsten werfe ich dich über meine Schulter. Ich besorge dir etwas Eis zum Kühlen. <
Mit dieser Forderung kann ich leben, also nicke ich und grinse. Ich will nicht, dass er sich schlecht fühlt. Dennoch finde ich, dass das viel über seinen Charakter aussagt, weil er es tut. Mir würde es kein bisschen anders gehen als ihm, wenn ich in seiner Haut stecken müsste.
Aber Cataley wird niemanden von uns kleinkriegen.
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