Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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24.05.2019
3.486
Kapitel 28 – Erhobenen Hauptes
Wir nutzen die Pause lediglich dazu, etwas zu trinken und uns bereits auf den Weg nach draußen zu machen. In diesem Moment bin ich richtig froh, nicht mehr in Rubys Stufe zu sein, denn sie würde mich wieder fragen was passiert sei. Ich habe allmählich nicht mehr die Nerven. Das regelmäßige und offensichtlich systematische Schikanieren von Cataley hat ein Ausmaß angenommen, das ich bisher noch nie am eigenen Leib zu spüren bekam. Diese Demütigungen und ständige Kritik sind kaum noch tragbar und ich bekomme allmählich Magenschmerzen und schlaflose Nächte.
Ich laufe vor den anderen Schülern, höre ihre Gespräche sowie ihr Getrampel und weiß, dass sie gut gelaunt und voller Adrenalin wegen des Spiels sind. Die ganze Zeit frage ich mich, wie ich besser auf diese Situation hätte reagiert können, aber meine Trainerin hatte mich in der Falle, schoss von oben und selbst wenn ich zurückgeschossen hätte, wen hätte das gejuckt? Sie war weder Teil des Spiels, noch hätte ihr der Laser wehgetan.
Nach wenigen Minuten kommen wir bei der Lichtung an. Leider sehe ich nur Cataley und nicht Simon. Ich fange an, ihr Gesicht zu hassen. Da ich vorn laufe, sieht sie mich als Erstes. Sie steht mit verschränkten Armen da und grinst hämisch auf mich herab. Das Letzte, was ich jetzt tun sollte, ist ihr zu zeigen, dass sie mich getroffen hat. Ich hebe meinen Kopf an, tue alles um meine Schultern nicht hängenzulassen und weiche ihrem Blick nicht aus. Dieses Biest setzt mir zwar zu, aber sie kriegt mich nicht klein und das will ich ihr auch deutlich zeigen.
Ich stehe mit den Anderen in einer Reihe. Rechts von uns befindet sich der Turm mit den Tontauben. Das haben wir schon letzte Woche getan und es hat eigentlich ziemlichen Spaß gemacht. Cataley erklärt ohne Umschweife was wir tun müssen und demonstriert den Neulingen wie sie das Gewehr laden, anlegen und schießen sollen. Bei ihrer Vorführung drückt einer der Schüler auf die Fernbedienung, damit der Turm die Scheiben abschießt. Was mir sofort auffällt, ist die geänderte Einstellung. Das letzte Mal flogen die Scheiben gerade von rechts nach links rüber. Heute fliegen sie kreuz und quer durch die Luft. Die Erste Etage erscheint mir als sehr unberechenbar. Denn mal wird die Scheibe von ganz unten diagonal nach oben geschossen, mal hüpft sie über dem Boden und mal fast gerade nach oben.
Es gibt kein Muster das sich wiederholt, also weiß man nie wohin die Scheibe geht. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad enorm. Einige Neulinge sind vor mir und versagen auf ganzer Linie. Es ist fast gemein, dass ich „versagen“ denke, denn es war bereits letzte Woche enorm schwierig für die Schüler, die halbwegs gut schießen und die Neuen haben noch keinerlei Routine. Die Anderen, die mit mir bereits die Stufe seit längerer Zeit absolvieren, tun sich trotz einiger Treffer ebenfalls schwer damit. Da keiner redet, sondern alle nur konzentriert zuschauen, fällt mir allerdings etwas auf.
Ich kann hören wie die nächste Scheibe in die Vorrichtung einfährt, wie das Gerät den Winkel verstellt und schließlich für den nächsten Schützen abfeuert. George ist der Nächste an der Reihe und ich schließe meine Augen, um herauszufinden, ob meine Blitzidee funktioniert. Es klingt wie ein Knacken, als die Scheibe weiter in die Vorrichtung hineinrutscht und dann wie ein Summen, wenn der Schusswinkel eingestellt wird. Anhand dessen wie lange es summt, könnte man abschätzen, wie sehr sich der Winkel verstellt, wenn man die vorherige Position kennt.
Das Gerät wird von unten nach schräg oben schießen – ich habe es irgendwie im Gefühl. Als die Scheibe herausschießt, öffne ich die Augen und ich hatte tatsächlich recht mit meiner Vermutung. George konnte nicht so schnell reagieren und zielte irrtümlich nach unten. Bei den weiteren Leuten vor mir mache ich das Gleiche und schließe meine Augen, um besser zu hören. Ich folge einfach meinem Instinkt und höre auf den Sinn, der jetzt stärker arbeiten muss, wenn einer ausfällt.
>Also Kim, eigentlich bist du jetzt an der Reihe, aber offensichtlich willst du lieber schlafen. < motzt Cataley.
Ich öffne meine Augen, sage nichts zu ihrer dummen Stichelei und schnappe mir ein Gewehr. Mit der Waffe an meiner Schulter angelegt, warte ich auf die Tontaube. Meine Trainerin zögert und ich weiß, dass sie das mit Absicht tut. Simon verhielt sich bei jedem Schüler gleich als er die Aufgabe hatte, die Tontauben abzuschießen – Cataley tut das ganz sicher nicht. Ich schließe wieder die Augen und warte ab.
Dann höre ich endlich wie die Platte einfährt, aber es hört sich anders an als zuvor und dann höre ich das Summen, als das Gerät die Höhe einstellt. Ich öffne meine Augen und schieße, als die Platte aus der dritten Etage schräg nach unten saust.
Nach etwa sieben Metern neben dem Turm treffe ich sie bereits. Hinter mir höre ich von irgendwem ein erstauntes Keuchen. Umso höher die Etage also geht, desto mehr Geschwindigkeit nimmt die Tontaube auch noch auf sich. Ich werfe meiner Trainerin einen Blick zu und diese sieht nicht zufrieden aus.
>Ich habe mich doch glatt vertippt. < sagt sie mädchenhaft aber wieder hat sie dieses fiese Grinsen im Gesicht.
>Kann ja jedem Mal passieren. < zische ich ebenfalls mit einem Grinsen zurück und lege mein Gewehr wieder an, um noch meinen zweiten Schuss zu machen. Wieder zögert sie einen Moment länger und schießt die Tontaube dann wieder aus der dritten Etage heraus. Das wusste ich, denn ich konnte es hören. Die Scheibe rast gerade rüber und ich treffe sie wieder genau mittig.
>Ach Mist, ich halte die Fernbedienung ja auch falsch herum. Na das kann ja nichts werden. < lacht Cataley, worauf die anderen Schüler mit einstimmen. Nimmt ihr wirklich jemand die gespielte und dümmliche Art ab? Ich breche meine Waffe in der Mitte, um die verbrauchte Munition herauszuholen und mache Platz für den Nächsten.
Jim tritt zittrig vor und versucht die Waffe so anzulegen, wie es ihm gezeigt wurde. Ich laufe langsam wieder in meine Gruppe zurück, aber dieses Mal mit einem guten Gefühl, anstatt wie üblich mit hängenden Schultern.
Wir machen dieses Training beinahe bis zum Ende des Blockes, aber unsere Trainerin muss etwas früher Schluss machen, da sie noch ein paar Worte sagen will.
>Die Neuen müssen noch mächtig üben. Was ihr gezeigt habt, war Mist. Dafür sind ein paar andere Anwärter ziemlich gut geworden. Nicht nur beim Schießen, sondern auch bei der Stunde zuvor habe ich gute Ansätze erkennen können. Deshalb finde ich, dass die Schüler in die zweite Stufe gehören, die jetzt schon etwas länger dabei sind. In diesem Fall sind das ab morgen Karim, George, Marcus … <
Ich höre gar nicht so genau hin, als sie auch noch weitere neun Männernamen nennt. Mir ist sofort klar, dass ich jetzt die einzig Verbliebene bin, die mit den Neulingen in einer Stufe ist. Diese hat sich mal eben von vierundzwanzig Schülern auf zwölf halbiert. Ich schaue Cataley unbeteiligt an. Denn es war mir klar, dass ich heute nicht weiterkomme. Im Grunde erwarte ich es schon überhaupt nicht mehr.
Sie beendet die letzte Stunde des Tages und ich laufe, ohne ein weiteres Wort an sie zu richten, zurück zur Schule.
Dort angekommen bleibe ich allerdings nicht lange im ersten Untergeschoss, sondern laufe direkt noch weiter nach unten in den Trainingsraum. Man könnte wohl wirklich langsam denken, dass ich die Halle angemietet hätte, aber im Moment habe ich das Verlangen einen Boxsack zu verprügeln.
Sobald ich hier drin stehe, sehe ich, dass alles von unseren vorherigen Lasertaghindernissen wieder abgebaut ist. Gut so, dann habe ich wenigstens Platz und kann mich ausbreiten.
Den Boxsack habe ich zwar bereits aufgehängt, aber ich bin noch dabei meine Hände zu bandagieren. Leider komme ich mit meinem Vorhaben nicht allzu weit, denn ich sitze im Schneidersitz auf dem Boden, als die Tür des Trainingsraumes aufgeht. Cataley kommt herein, wirft mir einen genervten Blick zu und läuft mit einer Kiste die Metalltreppe nach oben. Wahrscheinlich ist dort die verbliebene Munition drin.
Sie macht ziemlich Krach da oben und kommt wieder hinunter.
>Davon wirst du auch nicht besser. < gluckst sie und will zur Tür gehen.
>Du denkst, ich würde nicht hierhergehören und irgendwann aufgeben. < erwidere ich selbstverständlich und wickle weiter meine Hände mit den Bandagen ein. Daraufhin bleibt sie stehen, stützt ihre Hände in die Hüften und klingt plötzlich gespielt nett:
>Wie kommst du denn nur auf diese Idee? <
>Hmm … lass mal überlegen. Du behandelst mich als wäre ich die Schlechteste. <
>Was daran liegt, dass du die Schlechteste bist. Selbst wenn du wochenlang oder monatelang hier bist, aus dir kann ich nichts machen. Ich hatte ja schon viele hoffnungslose Fälle, aber du bist die Krönung. <
>Was soll ich deiner Meinung nach noch tun? Ich lasse mich mit Absicht von den höheren Stufen vermöbeln, absolviere die meisten Trainings, ich treffe inzwischen jedes Ziel und ich …<
>Du hast Glück und Leute, die Mitleid mit dir haben. Das macht dich nicht zu einer guten Jägerin. <
Ich stehe bewusst auf, um wenigstens auf ihrer Augenhöhe zu sein und laufe auf sie zu.
>Ich habe hier weder das Eine noch das Andere. Langsam frage ich mich, ob du mich anders behandeln würdest, wenn ich diese Schule ohne Sam betreten hätte. <
Schockiert sieht sie sich zu mir um und fletscht die Zähne.
>Pass auf was du sagst! <
>Ich sage gar nichts. Sondern es ist eine Sache, die ich wirklich gern wüsste. Vom ersten Moment an, als Sam mich hergebracht hat und neben mir stand, da hast du mich angesehen, als wäre ich ein Parasit. Du sabotierst mich absichtlich wo du nur kannst und versuchst mich noch ein Stück tiefer zu drücken, obwohl ich dir nichts getan habe. Ich versuche lediglich das hier zu überleben. Und umso fairer du zu mir bist, desto schneller bist du mich wieder los. <
Man kann förmlich dabei zusehen, wie die Wut mehr und mehr in ihr aufsteigt. Sehr leise aber schäumend erwidert sie:
>Jetzt hör mir mal zu du kleine, aufgeblasene … <
>Cataley! < höre ich Henry plötzlich rufen, was sie kurz erschrecken lässt und aus ihrer Aggression mir gegenüber herausholt. Mit einem falschen Lächeln dreht sie sich zu ihm um, legt einen Arm um mich und sagt zuckersüß:
>Ich habe Kim gerade noch ein paar Tipps fürs nächste Mal gegeben. Wir sind gerade fertig. <
Lukaz ist neben Henrys Rollstuhl und sie kommen beide vor uns zum Stillstand.
Henry mustert erst mich und dann Cataley. Natürlich hat sie mir keine Tipps gegeben, aber weiß er das auch? Lukaz´ Blick kann ich schwer deuten, da die Trainer ja schließlich auch gelernt haben, ein Pokerface aufzusetzen.
>Es ist sehr praktisch, dass wir ausgerechnet euch beide hier drin finden. Leider muss es kurzfristig ein paar Änderungen im Lehrplan geben, die so nicht vorgesehen waren, aber ich möchte dich bitten, mit mir in mein Büro zu kommen. Da können wir alles Weitere besprechen. < sagt der Leiter zu meiner Trainerin und dreht seinen Rollstuhl bereits in einem Halbkreis um.
>Und du kommst mit mir. < wendet sich Lukaz an mich. Er dreht sich ebenfalls schon zur Tür. Grob stößt mich Cataley von sich und folgt dann dem Leiter.
Ermattet trabe ich hinter Lukaz her, der so lange nicht redet, bis wir draußen vor der Schule sind.
Wir laufen ein paar Schritte in den Wald hinein, bis wir vor neugierigen Augen und Ohren der Schüler abgeschottet sind, die draußen wieder ihre Zigaretten qualmen. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Oh bitte Ruby, du hast mir versprochen nichts über Cataley zu sagen.
>Wo gehen wir hin? < frage ich, als er immer noch nicht stoppt.
>Ein bisschen spazieren. <
Aha, spazieren also. Das klingt auch überhaupt nicht eigenartig und schon gar nicht, weil es kein gemütliches Schlendern ist, sondern er hat ein ziemliches Tempo drauf.
>Lukaz, jetzt sag schon was los ist und veranstalte nicht so ein Wettrennen. <
Ich muss beinahe hinter ihm hinterher joggen. Wenn er einen Schritt macht, muss ich zwei machen.
Dann endlich läuft er langsamer und sieht sich kurz um, ob jemand in unserer Nähe ist. Wieso hätten wir das nicht in der Halle oder in meinem Zimmer besprechen können? Allerdings bin ich froh, nicht zusammen mit ihm und Cataley in Henrys Büro zu sitzen. Mein russischer Trainer sieht mich plötzlich so eigenartig von der Seite her an.
>Sam hat mich angerufen. <
>Geht es ihm gut? < frage ich sofort und reiße die Augen auf. Lukaz grinst daraufhin.
>Ich wusste, dass das deine erste Frage sein wird. Aber ja, es geht ihm gut. Es gibt nur ein paar Komplikationen. Er und Dimitrij brauchen mich. Ich hatte im letzten Block keinen Unterricht und meine Sachen sind bereits gepackt. Sobald ich dir alles gesagt habe, muss ich mich auf den Weg machen. <
>Was für Komplikationen? < will ich erschrocken wissen.
>Nichts was dich beunruhigen sollte. Aber Sam braucht einen Komplizen mehr, der der russischen Sprache vollständig mächtig ist. Seine Augen können nun mal nicht überall sein und die Aufträge sind zu wichtig, als dass er sie abblasen könnte. Seine schwarze Liste wird für dieses Land immer kürzer und kürzer, aber im Moment hängt er bei den letzten wenigen Personen etwas fest. Wenn es Zielpersonen sind, die sich zu viel bewegen, dann braucht man manchmal Hilfe – auch wenn Sam das hasst wie die Pest, aber dieser Auftrag ist zu wichtig. Er wird danach in der Schuld von einigen wichtigen Leuten sein und das ist von sehr großer Bedeutung. Er musste sich jetzt schnell entscheiden, ob er dich hier allein lassen kann. Denn wenn ich auch noch gehe, dann hast du hier nur noch Henry, aber wir werden uns beeilen. <
Das Erste, was mir durch den Kopf geht, ist, dass ich geliefert bin. Er kann nicht auch noch verschwinden, das ist doch ein schlechter Aprilscherz.
>Aber was ist mit den Unterrichtsfächern, wenn du nicht mehr da bist? <
>Genau deswegen wollte ich mit dir reden. Solange wie ich weg bin, werden die Stufen zusammen unterrichtet, da Cataley alle praktischen Fächer übernehmen wird. Du trainierst also teilweise mit den Zweit- oder Drittstufigen zusammen. Ich finde das ist das Beste, was dir passieren kann – denn sie fordern dich. In Stufe eins hast du schon lange nichts mehr verloren und so kommst du weiter. Halte dich an die Männer mit denen du sowieso schon trainierst. < Ich starre ihn nur an, als wäre ich in einer anderen Welt. Hat er das gerade wirklich gesagt oder träume ich? Offensichtlich muss ich so verwirrt und schockiert aussehen wie ich mich fühle, denn Lukaz mustert mich irritiert. >Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe? <
>Ja … ich habe Cataley noch häufiger. < mein Ton ist mürrisch und das wollte ich nicht. Wenn Lukaz jetzt auch noch verschwindet, dann ist mein persönliches Chaos perfekt. Mein Trainer nickt wortlos und mustert mich nachdenklich.
>Ist irgendetwas zwischen euch beiden vorgefallen, dass du mir sagen willst? <
Ich versuche zu lächeln und einen ganz unverfänglichen Ton anzuschlagen.
>Nein. Wie kommst du darauf? <
>Weil ich mit ihr normalerweise – bis auf wenige Ausnahmen, einer Meinung bin, wenn es um den Aufstieg der Schüler geht. Und irgendwie kommst du einfach nicht weiter. Ihr wird klar sein, dass dich das wurmt. Außerdem laufen hier ein paar sehr eigenartige Dinge ab, wie dein Punktestand von vorhin zum Beispiel. <
>Vielleicht bist du nur anderer Meinung, weil du Sam helfen willst, indem du mir hilfst. Cataleys Kritik ist bestimmt berechtigt. Wie sie die Kritik herüberbringt ist vielleicht eine andere Sache, aber wenn sie mich nicht aufsteigen lässt, dann hat das sicher einen Grund. Ich werde einfach weiter üben müssen. < versichere ich ihm. Es stimmte nicht ein einziges Wort. Ruby und er denken inzwischen, dass irgendetwas an der Sache faul ist und jeder will, dass ich ihm mein Herz ausschütte. Das wird nicht passieren.
Lukaz mustert meine Gesichtszüge und mir ist klar, dass er nach der Lüge darin sucht. Ich versuche alles, was ich gestern bei Simon gelernt habe, zu beherzigen und die verräterischen Zeichen zu unterdrücken.
>Na schön. < sagt er schließlich. >Wenn sie die Stufen zusammenbringt, dann will ich, dass du mit den höheren Stufen trainierst. Deine Anfängergruppe bringt dir nichts. Nimm nach Möglichkeit immer die Stärksten und die Schüler, von denen du weißt, dass sie dich nicht schonen. Das hilft dir sonst nicht weiter. Trainiere nach dem Unterricht allein und versuche deine Angst mit der Dunkelheit in den Griff zu bekommen. Wenn es sein muss, dann verlasse jede Nacht dein Zimmer und laufe im dunklen Gebäude herum. Schließe immer wieder deine Augen und trainiere deine anderen Sinne. Dein Potenzial ist wahnsinnig groß und ich weiß, wo ich dich hintreiben kann. Du hast bereits jetzt gezeigt, wie schnell du kapierst und du weißt, wofür du das machst. Also vergiss nie, weshalb du hier bist. <
Ich nicke nur, auch wenn mein Herz immer schneller wummert. Kann es denn noch schlimmer werden?
Lukaz muss sich jetzt beeilen, um sein Flugzeug zu bekommen. Er muss allerdings nicht zu einem üblichen Flughafen, da das Boarding laut seiner Aussage zu lange dauert und er keine Lust auf mögliche Verspätungen hat. Also saust er soeben mit seinem Gepäck davon und fährt auf irgendeinen Flugplatz in der Nähe, wo ein Jet auf ihn wartet. Als ich das Rolltor dabei beobachte, wie es nach Lukaz´ Verschwinden wieder heruntergeht, vergrabe ich meine Hände verzweifelt in den Haaren. Das darf doch alles einfach nicht wahr sein. Verdammt Sam, bitte komm einfach zurück. Ich weiß nicht, nach wie vielen Minuten das Licht in dem Parkhaus ausgeht, aber offensichtlich stehe ich hier lang genug herum, dass es plötzlich stockdunkel wird. Hier sieht man kaum die eigene Hand vor Augen. Zumindest sehe ich ganz vorne den Fahrstuhlknopf etwas schimmern, sowie den erhellten Fahrstuhlschacht, der aus Glas ist und von dem etwas Tageslicht durch das Erdgeschoss herunterkommt.
Seufzend gehe ich dort hin, wische mit meiner Hand über den Sensor, sage dem Fahrstuhl wo er hin soll und laufe unten angekommen in Rubys und mein Zimmer.
Als ich eintrete, ist sie nicht da. Auch hier drin ist es so stockdunkel, dass ich erstmal das Licht anstellen muss. Duschen scheint sie auch nicht zu sein. Ich streife meine Schuhe ab und lasse mich in das Bett fallen. Schnaufend lege ich einen Arm über mein Gesicht. Jede Woche gibt es eine neue Hiobsbotschaft und so langsam reicht mir das für mein ganzes Leben. Ich glaube, ich bin in dem vergangenen Monat um zwei Jahre gealtert – jedenfalls fühlt es sich so an.
Das Schloss an der Tür klickt einige Minuten später und Ruby tritt ein.
>Hey, du bist ja mal nicht im Trainingsraum. < erwidert sie erstaunt.
>Ich hatte es aber vor. < nuschle ich immer noch mit meinem Arm über dem Gesicht.
>Hier gehen voll komische Gerücht herum. Es heißt Lukaz wäre weg. <
Dann richte ich mich schließlich auf und sehe Ruby an.
>Leider stimmen sie. Er ist gerade gefahren. <
>Ist er etwa entlassen worden? < keucht sie.
>Nein, ich habe ihn zufällig draußen getroffen. Er hat einen Auftrag und musste schnell los. < lüge ich.
Meine Mitbewohnerin schluckt meine Ausrede allerdings sofort. Immerhin werden wir alle Bounty Hunter und sobald wir einen Hinweis auf den Aufenthalt einer Zielperson bekommen, düsen wir los. Weshalb sollte es da bei Lukaz anders sein? Aber ich finde es schon beunruhigend, dass Sam ihn so dringend braucht, dass er einer Schule den Dozenten abschwatzen muss. Ist wirklich alles okay?
Ruby setzt sich neben mich.
>Wollen wir jetzt mal darüber reden, was da vorhin im dritten Block passiert ist? < fragt sie eindringlich. Oh nein, das wollen wir ganz und gar nicht.
>War doch ganz lustig. < erwidere ich grinsend.
>Ganz lustig? Ich habe in einem sicheren Moment auf das Display geschaut. Ich konnte dabei zugucken wie deine Punkte innerhalb einer Minute fast weg waren. <
>Ja, darüber ärgere ich mich immer noch. Ich hatte mich plötzlich verfranzt und war umzingelt. <
>Weshalb sagst du mir nicht die Wahrheit? Du hast jedes Mal gleich mehrere Punkte gleichzeitig verloren. Das ging doch überhaupt nicht. <
Genervt stehe ich auf. Was um Himmelswillen soll ich ihr denn erzählen, damit sie aufgibt? Nervös zupfe ich mir meine Klamotten zurecht und versuche dieser Situation zu entkommen.
>Wie gesagt, ich saß in der Falle und war eingekreist. Ich weiß nicht, was du jetzt machst, aber ich schau mal nach, ob einer der Jungs Lust zum Trainieren hat. <
Wir nutzen die Pause lediglich dazu, etwas zu trinken und uns bereits auf den Weg nach draußen zu machen. In diesem Moment bin ich richtig froh, nicht mehr in Rubys Stufe zu sein, denn sie würde mich wieder fragen was passiert sei. Ich habe allmählich nicht mehr die Nerven. Das regelmäßige und offensichtlich systematische Schikanieren von Cataley hat ein Ausmaß angenommen, das ich bisher noch nie am eigenen Leib zu spüren bekam. Diese Demütigungen und ständige Kritik sind kaum noch tragbar und ich bekomme allmählich Magenschmerzen und schlaflose Nächte.
Ich laufe vor den anderen Schülern, höre ihre Gespräche sowie ihr Getrampel und weiß, dass sie gut gelaunt und voller Adrenalin wegen des Spiels sind. Die ganze Zeit frage ich mich, wie ich besser auf diese Situation hätte reagiert können, aber meine Trainerin hatte mich in der Falle, schoss von oben und selbst wenn ich zurückgeschossen hätte, wen hätte das gejuckt? Sie war weder Teil des Spiels, noch hätte ihr der Laser wehgetan.
Nach wenigen Minuten kommen wir bei der Lichtung an. Leider sehe ich nur Cataley und nicht Simon. Ich fange an, ihr Gesicht zu hassen. Da ich vorn laufe, sieht sie mich als Erstes. Sie steht mit verschränkten Armen da und grinst hämisch auf mich herab. Das Letzte, was ich jetzt tun sollte, ist ihr zu zeigen, dass sie mich getroffen hat. Ich hebe meinen Kopf an, tue alles um meine Schultern nicht hängenzulassen und weiche ihrem Blick nicht aus. Dieses Biest setzt mir zwar zu, aber sie kriegt mich nicht klein und das will ich ihr auch deutlich zeigen.
Ich stehe mit den Anderen in einer Reihe. Rechts von uns befindet sich der Turm mit den Tontauben. Das haben wir schon letzte Woche getan und es hat eigentlich ziemlichen Spaß gemacht. Cataley erklärt ohne Umschweife was wir tun müssen und demonstriert den Neulingen wie sie das Gewehr laden, anlegen und schießen sollen. Bei ihrer Vorführung drückt einer der Schüler auf die Fernbedienung, damit der Turm die Scheiben abschießt. Was mir sofort auffällt, ist die geänderte Einstellung. Das letzte Mal flogen die Scheiben gerade von rechts nach links rüber. Heute fliegen sie kreuz und quer durch die Luft. Die Erste Etage erscheint mir als sehr unberechenbar. Denn mal wird die Scheibe von ganz unten diagonal nach oben geschossen, mal hüpft sie über dem Boden und mal fast gerade nach oben.
Es gibt kein Muster das sich wiederholt, also weiß man nie wohin die Scheibe geht. Das erhöht den Schwierigkeitsgrad enorm. Einige Neulinge sind vor mir und versagen auf ganzer Linie. Es ist fast gemein, dass ich „versagen“ denke, denn es war bereits letzte Woche enorm schwierig für die Schüler, die halbwegs gut schießen und die Neuen haben noch keinerlei Routine. Die Anderen, die mit mir bereits die Stufe seit längerer Zeit absolvieren, tun sich trotz einiger Treffer ebenfalls schwer damit. Da keiner redet, sondern alle nur konzentriert zuschauen, fällt mir allerdings etwas auf.
Ich kann hören wie die nächste Scheibe in die Vorrichtung einfährt, wie das Gerät den Winkel verstellt und schließlich für den nächsten Schützen abfeuert. George ist der Nächste an der Reihe und ich schließe meine Augen, um herauszufinden, ob meine Blitzidee funktioniert. Es klingt wie ein Knacken, als die Scheibe weiter in die Vorrichtung hineinrutscht und dann wie ein Summen, wenn der Schusswinkel eingestellt wird. Anhand dessen wie lange es summt, könnte man abschätzen, wie sehr sich der Winkel verstellt, wenn man die vorherige Position kennt.
Das Gerät wird von unten nach schräg oben schießen – ich habe es irgendwie im Gefühl. Als die Scheibe herausschießt, öffne ich die Augen und ich hatte tatsächlich recht mit meiner Vermutung. George konnte nicht so schnell reagieren und zielte irrtümlich nach unten. Bei den weiteren Leuten vor mir mache ich das Gleiche und schließe meine Augen, um besser zu hören. Ich folge einfach meinem Instinkt und höre auf den Sinn, der jetzt stärker arbeiten muss, wenn einer ausfällt.
>Also Kim, eigentlich bist du jetzt an der Reihe, aber offensichtlich willst du lieber schlafen. < motzt Cataley.
Ich öffne meine Augen, sage nichts zu ihrer dummen Stichelei und schnappe mir ein Gewehr. Mit der Waffe an meiner Schulter angelegt, warte ich auf die Tontaube. Meine Trainerin zögert und ich weiß, dass sie das mit Absicht tut. Simon verhielt sich bei jedem Schüler gleich als er die Aufgabe hatte, die Tontauben abzuschießen – Cataley tut das ganz sicher nicht. Ich schließe wieder die Augen und warte ab.
Dann höre ich endlich wie die Platte einfährt, aber es hört sich anders an als zuvor und dann höre ich das Summen, als das Gerät die Höhe einstellt. Ich öffne meine Augen und schieße, als die Platte aus der dritten Etage schräg nach unten saust.
Nach etwa sieben Metern neben dem Turm treffe ich sie bereits. Hinter mir höre ich von irgendwem ein erstauntes Keuchen. Umso höher die Etage also geht, desto mehr Geschwindigkeit nimmt die Tontaube auch noch auf sich. Ich werfe meiner Trainerin einen Blick zu und diese sieht nicht zufrieden aus.
>Ich habe mich doch glatt vertippt. < sagt sie mädchenhaft aber wieder hat sie dieses fiese Grinsen im Gesicht.
>Kann ja jedem Mal passieren. < zische ich ebenfalls mit einem Grinsen zurück und lege mein Gewehr wieder an, um noch meinen zweiten Schuss zu machen. Wieder zögert sie einen Moment länger und schießt die Tontaube dann wieder aus der dritten Etage heraus. Das wusste ich, denn ich konnte es hören. Die Scheibe rast gerade rüber und ich treffe sie wieder genau mittig.
>Ach Mist, ich halte die Fernbedienung ja auch falsch herum. Na das kann ja nichts werden. < lacht Cataley, worauf die anderen Schüler mit einstimmen. Nimmt ihr wirklich jemand die gespielte und dümmliche Art ab? Ich breche meine Waffe in der Mitte, um die verbrauchte Munition herauszuholen und mache Platz für den Nächsten.
Jim tritt zittrig vor und versucht die Waffe so anzulegen, wie es ihm gezeigt wurde. Ich laufe langsam wieder in meine Gruppe zurück, aber dieses Mal mit einem guten Gefühl, anstatt wie üblich mit hängenden Schultern.
Wir machen dieses Training beinahe bis zum Ende des Blockes, aber unsere Trainerin muss etwas früher Schluss machen, da sie noch ein paar Worte sagen will.
>Die Neuen müssen noch mächtig üben. Was ihr gezeigt habt, war Mist. Dafür sind ein paar andere Anwärter ziemlich gut geworden. Nicht nur beim Schießen, sondern auch bei der Stunde zuvor habe ich gute Ansätze erkennen können. Deshalb finde ich, dass die Schüler in die zweite Stufe gehören, die jetzt schon etwas länger dabei sind. In diesem Fall sind das ab morgen Karim, George, Marcus … <
Ich höre gar nicht so genau hin, als sie auch noch weitere neun Männernamen nennt. Mir ist sofort klar, dass ich jetzt die einzig Verbliebene bin, die mit den Neulingen in einer Stufe ist. Diese hat sich mal eben von vierundzwanzig Schülern auf zwölf halbiert. Ich schaue Cataley unbeteiligt an. Denn es war mir klar, dass ich heute nicht weiterkomme. Im Grunde erwarte ich es schon überhaupt nicht mehr.
Sie beendet die letzte Stunde des Tages und ich laufe, ohne ein weiteres Wort an sie zu richten, zurück zur Schule.
Dort angekommen bleibe ich allerdings nicht lange im ersten Untergeschoss, sondern laufe direkt noch weiter nach unten in den Trainingsraum. Man könnte wohl wirklich langsam denken, dass ich die Halle angemietet hätte, aber im Moment habe ich das Verlangen einen Boxsack zu verprügeln.
Sobald ich hier drin stehe, sehe ich, dass alles von unseren vorherigen Lasertaghindernissen wieder abgebaut ist. Gut so, dann habe ich wenigstens Platz und kann mich ausbreiten.
Den Boxsack habe ich zwar bereits aufgehängt, aber ich bin noch dabei meine Hände zu bandagieren. Leider komme ich mit meinem Vorhaben nicht allzu weit, denn ich sitze im Schneidersitz auf dem Boden, als die Tür des Trainingsraumes aufgeht. Cataley kommt herein, wirft mir einen genervten Blick zu und läuft mit einer Kiste die Metalltreppe nach oben. Wahrscheinlich ist dort die verbliebene Munition drin.
Sie macht ziemlich Krach da oben und kommt wieder hinunter.
>Davon wirst du auch nicht besser. < gluckst sie und will zur Tür gehen.
>Du denkst, ich würde nicht hierhergehören und irgendwann aufgeben. < erwidere ich selbstverständlich und wickle weiter meine Hände mit den Bandagen ein. Daraufhin bleibt sie stehen, stützt ihre Hände in die Hüften und klingt plötzlich gespielt nett:
>Wie kommst du denn nur auf diese Idee? <
>Hmm … lass mal überlegen. Du behandelst mich als wäre ich die Schlechteste. <
>Was daran liegt, dass du die Schlechteste bist. Selbst wenn du wochenlang oder monatelang hier bist, aus dir kann ich nichts machen. Ich hatte ja schon viele hoffnungslose Fälle, aber du bist die Krönung. <
>Was soll ich deiner Meinung nach noch tun? Ich lasse mich mit Absicht von den höheren Stufen vermöbeln, absolviere die meisten Trainings, ich treffe inzwischen jedes Ziel und ich …<
>Du hast Glück und Leute, die Mitleid mit dir haben. Das macht dich nicht zu einer guten Jägerin. <
Ich stehe bewusst auf, um wenigstens auf ihrer Augenhöhe zu sein und laufe auf sie zu.
>Ich habe hier weder das Eine noch das Andere. Langsam frage ich mich, ob du mich anders behandeln würdest, wenn ich diese Schule ohne Sam betreten hätte. <
Schockiert sieht sie sich zu mir um und fletscht die Zähne.
>Pass auf was du sagst! <
>Ich sage gar nichts. Sondern es ist eine Sache, die ich wirklich gern wüsste. Vom ersten Moment an, als Sam mich hergebracht hat und neben mir stand, da hast du mich angesehen, als wäre ich ein Parasit. Du sabotierst mich absichtlich wo du nur kannst und versuchst mich noch ein Stück tiefer zu drücken, obwohl ich dir nichts getan habe. Ich versuche lediglich das hier zu überleben. Und umso fairer du zu mir bist, desto schneller bist du mich wieder los. <
Man kann förmlich dabei zusehen, wie die Wut mehr und mehr in ihr aufsteigt. Sehr leise aber schäumend erwidert sie:
>Jetzt hör mir mal zu du kleine, aufgeblasene … <
>Cataley! < höre ich Henry plötzlich rufen, was sie kurz erschrecken lässt und aus ihrer Aggression mir gegenüber herausholt. Mit einem falschen Lächeln dreht sie sich zu ihm um, legt einen Arm um mich und sagt zuckersüß:
>Ich habe Kim gerade noch ein paar Tipps fürs nächste Mal gegeben. Wir sind gerade fertig. <
Lukaz ist neben Henrys Rollstuhl und sie kommen beide vor uns zum Stillstand.
Henry mustert erst mich und dann Cataley. Natürlich hat sie mir keine Tipps gegeben, aber weiß er das auch? Lukaz´ Blick kann ich schwer deuten, da die Trainer ja schließlich auch gelernt haben, ein Pokerface aufzusetzen.
>Es ist sehr praktisch, dass wir ausgerechnet euch beide hier drin finden. Leider muss es kurzfristig ein paar Änderungen im Lehrplan geben, die so nicht vorgesehen waren, aber ich möchte dich bitten, mit mir in mein Büro zu kommen. Da können wir alles Weitere besprechen. < sagt der Leiter zu meiner Trainerin und dreht seinen Rollstuhl bereits in einem Halbkreis um.
>Und du kommst mit mir. < wendet sich Lukaz an mich. Er dreht sich ebenfalls schon zur Tür. Grob stößt mich Cataley von sich und folgt dann dem Leiter.
Ermattet trabe ich hinter Lukaz her, der so lange nicht redet, bis wir draußen vor der Schule sind.
Wir laufen ein paar Schritte in den Wald hinein, bis wir vor neugierigen Augen und Ohren der Schüler abgeschottet sind, die draußen wieder ihre Zigaretten qualmen. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl. Oh bitte Ruby, du hast mir versprochen nichts über Cataley zu sagen.
>Wo gehen wir hin? < frage ich, als er immer noch nicht stoppt.
>Ein bisschen spazieren. <
Aha, spazieren also. Das klingt auch überhaupt nicht eigenartig und schon gar nicht, weil es kein gemütliches Schlendern ist, sondern er hat ein ziemliches Tempo drauf.
>Lukaz, jetzt sag schon was los ist und veranstalte nicht so ein Wettrennen. <
Ich muss beinahe hinter ihm hinterher joggen. Wenn er einen Schritt macht, muss ich zwei machen.
Dann endlich läuft er langsamer und sieht sich kurz um, ob jemand in unserer Nähe ist. Wieso hätten wir das nicht in der Halle oder in meinem Zimmer besprechen können? Allerdings bin ich froh, nicht zusammen mit ihm und Cataley in Henrys Büro zu sitzen. Mein russischer Trainer sieht mich plötzlich so eigenartig von der Seite her an.
>Sam hat mich angerufen. <
>Geht es ihm gut? < frage ich sofort und reiße die Augen auf. Lukaz grinst daraufhin.
>Ich wusste, dass das deine erste Frage sein wird. Aber ja, es geht ihm gut. Es gibt nur ein paar Komplikationen. Er und Dimitrij brauchen mich. Ich hatte im letzten Block keinen Unterricht und meine Sachen sind bereits gepackt. Sobald ich dir alles gesagt habe, muss ich mich auf den Weg machen. <
>Was für Komplikationen? < will ich erschrocken wissen.
>Nichts was dich beunruhigen sollte. Aber Sam braucht einen Komplizen mehr, der der russischen Sprache vollständig mächtig ist. Seine Augen können nun mal nicht überall sein und die Aufträge sind zu wichtig, als dass er sie abblasen könnte. Seine schwarze Liste wird für dieses Land immer kürzer und kürzer, aber im Moment hängt er bei den letzten wenigen Personen etwas fest. Wenn es Zielpersonen sind, die sich zu viel bewegen, dann braucht man manchmal Hilfe – auch wenn Sam das hasst wie die Pest, aber dieser Auftrag ist zu wichtig. Er wird danach in der Schuld von einigen wichtigen Leuten sein und das ist von sehr großer Bedeutung. Er musste sich jetzt schnell entscheiden, ob er dich hier allein lassen kann. Denn wenn ich auch noch gehe, dann hast du hier nur noch Henry, aber wir werden uns beeilen. <
Das Erste, was mir durch den Kopf geht, ist, dass ich geliefert bin. Er kann nicht auch noch verschwinden, das ist doch ein schlechter Aprilscherz.
>Aber was ist mit den Unterrichtsfächern, wenn du nicht mehr da bist? <
>Genau deswegen wollte ich mit dir reden. Solange wie ich weg bin, werden die Stufen zusammen unterrichtet, da Cataley alle praktischen Fächer übernehmen wird. Du trainierst also teilweise mit den Zweit- oder Drittstufigen zusammen. Ich finde das ist das Beste, was dir passieren kann – denn sie fordern dich. In Stufe eins hast du schon lange nichts mehr verloren und so kommst du weiter. Halte dich an die Männer mit denen du sowieso schon trainierst. < Ich starre ihn nur an, als wäre ich in einer anderen Welt. Hat er das gerade wirklich gesagt oder träume ich? Offensichtlich muss ich so verwirrt und schockiert aussehen wie ich mich fühle, denn Lukaz mustert mich irritiert. >Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe? <
>Ja … ich habe Cataley noch häufiger. < mein Ton ist mürrisch und das wollte ich nicht. Wenn Lukaz jetzt auch noch verschwindet, dann ist mein persönliches Chaos perfekt. Mein Trainer nickt wortlos und mustert mich nachdenklich.
>Ist irgendetwas zwischen euch beiden vorgefallen, dass du mir sagen willst? <
Ich versuche zu lächeln und einen ganz unverfänglichen Ton anzuschlagen.
>Nein. Wie kommst du darauf? <
>Weil ich mit ihr normalerweise – bis auf wenige Ausnahmen, einer Meinung bin, wenn es um den Aufstieg der Schüler geht. Und irgendwie kommst du einfach nicht weiter. Ihr wird klar sein, dass dich das wurmt. Außerdem laufen hier ein paar sehr eigenartige Dinge ab, wie dein Punktestand von vorhin zum Beispiel. <
>Vielleicht bist du nur anderer Meinung, weil du Sam helfen willst, indem du mir hilfst. Cataleys Kritik ist bestimmt berechtigt. Wie sie die Kritik herüberbringt ist vielleicht eine andere Sache, aber wenn sie mich nicht aufsteigen lässt, dann hat das sicher einen Grund. Ich werde einfach weiter üben müssen. < versichere ich ihm. Es stimmte nicht ein einziges Wort. Ruby und er denken inzwischen, dass irgendetwas an der Sache faul ist und jeder will, dass ich ihm mein Herz ausschütte. Das wird nicht passieren.
Lukaz mustert meine Gesichtszüge und mir ist klar, dass er nach der Lüge darin sucht. Ich versuche alles, was ich gestern bei Simon gelernt habe, zu beherzigen und die verräterischen Zeichen zu unterdrücken.
>Na schön. < sagt er schließlich. >Wenn sie die Stufen zusammenbringt, dann will ich, dass du mit den höheren Stufen trainierst. Deine Anfängergruppe bringt dir nichts. Nimm nach Möglichkeit immer die Stärksten und die Schüler, von denen du weißt, dass sie dich nicht schonen. Das hilft dir sonst nicht weiter. Trainiere nach dem Unterricht allein und versuche deine Angst mit der Dunkelheit in den Griff zu bekommen. Wenn es sein muss, dann verlasse jede Nacht dein Zimmer und laufe im dunklen Gebäude herum. Schließe immer wieder deine Augen und trainiere deine anderen Sinne. Dein Potenzial ist wahnsinnig groß und ich weiß, wo ich dich hintreiben kann. Du hast bereits jetzt gezeigt, wie schnell du kapierst und du weißt, wofür du das machst. Also vergiss nie, weshalb du hier bist. <
Ich nicke nur, auch wenn mein Herz immer schneller wummert. Kann es denn noch schlimmer werden?
Lukaz muss sich jetzt beeilen, um sein Flugzeug zu bekommen. Er muss allerdings nicht zu einem üblichen Flughafen, da das Boarding laut seiner Aussage zu lange dauert und er keine Lust auf mögliche Verspätungen hat. Also saust er soeben mit seinem Gepäck davon und fährt auf irgendeinen Flugplatz in der Nähe, wo ein Jet auf ihn wartet. Als ich das Rolltor dabei beobachte, wie es nach Lukaz´ Verschwinden wieder heruntergeht, vergrabe ich meine Hände verzweifelt in den Haaren. Das darf doch alles einfach nicht wahr sein. Verdammt Sam, bitte komm einfach zurück. Ich weiß nicht, nach wie vielen Minuten das Licht in dem Parkhaus ausgeht, aber offensichtlich stehe ich hier lang genug herum, dass es plötzlich stockdunkel wird. Hier sieht man kaum die eigene Hand vor Augen. Zumindest sehe ich ganz vorne den Fahrstuhlknopf etwas schimmern, sowie den erhellten Fahrstuhlschacht, der aus Glas ist und von dem etwas Tageslicht durch das Erdgeschoss herunterkommt.
Seufzend gehe ich dort hin, wische mit meiner Hand über den Sensor, sage dem Fahrstuhl wo er hin soll und laufe unten angekommen in Rubys und mein Zimmer.
Als ich eintrete, ist sie nicht da. Auch hier drin ist es so stockdunkel, dass ich erstmal das Licht anstellen muss. Duschen scheint sie auch nicht zu sein. Ich streife meine Schuhe ab und lasse mich in das Bett fallen. Schnaufend lege ich einen Arm über mein Gesicht. Jede Woche gibt es eine neue Hiobsbotschaft und so langsam reicht mir das für mein ganzes Leben. Ich glaube, ich bin in dem vergangenen Monat um zwei Jahre gealtert – jedenfalls fühlt es sich so an.
Das Schloss an der Tür klickt einige Minuten später und Ruby tritt ein.
>Hey, du bist ja mal nicht im Trainingsraum. < erwidert sie erstaunt.
>Ich hatte es aber vor. < nuschle ich immer noch mit meinem Arm über dem Gesicht.
>Hier gehen voll komische Gerücht herum. Es heißt Lukaz wäre weg. <
Dann richte ich mich schließlich auf und sehe Ruby an.
>Leider stimmen sie. Er ist gerade gefahren. <
>Ist er etwa entlassen worden? < keucht sie.
>Nein, ich habe ihn zufällig draußen getroffen. Er hat einen Auftrag und musste schnell los. < lüge ich.
Meine Mitbewohnerin schluckt meine Ausrede allerdings sofort. Immerhin werden wir alle Bounty Hunter und sobald wir einen Hinweis auf den Aufenthalt einer Zielperson bekommen, düsen wir los. Weshalb sollte es da bei Lukaz anders sein? Aber ich finde es schon beunruhigend, dass Sam ihn so dringend braucht, dass er einer Schule den Dozenten abschwatzen muss. Ist wirklich alles okay?
Ruby setzt sich neben mich.
>Wollen wir jetzt mal darüber reden, was da vorhin im dritten Block passiert ist? < fragt sie eindringlich. Oh nein, das wollen wir ganz und gar nicht.
>War doch ganz lustig. < erwidere ich grinsend.
>Ganz lustig? Ich habe in einem sicheren Moment auf das Display geschaut. Ich konnte dabei zugucken wie deine Punkte innerhalb einer Minute fast weg waren. <
>Ja, darüber ärgere ich mich immer noch. Ich hatte mich plötzlich verfranzt und war umzingelt. <
>Weshalb sagst du mir nicht die Wahrheit? Du hast jedes Mal gleich mehrere Punkte gleichzeitig verloren. Das ging doch überhaupt nicht. <
Genervt stehe ich auf. Was um Himmelswillen soll ich ihr denn erzählen, damit sie aufgibt? Nervös zupfe ich mir meine Klamotten zurecht und versuche dieser Situation zu entkommen.
>Wie gesagt, ich saß in der Falle und war eingekreist. Ich weiß nicht, was du jetzt machst, aber ich schau mal nach, ob einer der Jungs Lust zum Trainieren hat. <