Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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17.05.2019
3.937
Kapitel 27 – Unfaire Mittel
Es ist Dienstag und ein neuer Tag steht an. Was auch immer Lukaz und Cataley heute mit uns vorhaben, es wird mit Sicherheit eine Mischung aus Gemeinheit und Spaß sein. Allerdings beruhigt es mich, dass zwei Trainer anwesend sind, von dem einer der Beiden bekannterweise fair ist.
Heute muss ich Ruby mal nicht aus dem Bett zerren, denn sie kommt immerhin von ganz allein.
Wir treffen uns oben mit den Anderen am Tisch und frühstücken gemeinsam. Dort werden wir auch gleich mit Fragen bombardiert, wo wir Mädels gestern Abend abgeblieben sind. Denn offensichtlich haben wir eine ganze Reihe lustiger Aufnahmerituale verpasst. Rubys gestriger Vorschlag mit dem Abend zu zweit war allerdings super und ich brauchte ihn viel dringender, als ich es ursprünglich dachte. Ich fühlte mich von Tag zu Tag bekümmerter und sie schaffte es, meine Stimmung wieder aufzuhellen. Mir fällt mehr und mehr auf, dass ich häufig ein Lächeln aufsetze, obwohl mir nicht danach ist und sage „es geht mir gut“, obwohl das nicht stimmt.
Am Tisch schließe ich müde die Augen und höre den Anderen einfach nur zu. Es sind leise und beruhigende Gespräche, da die meisten Schüler ebenfalls noch nicht wach sind. Aufnahmerituale haben offenbar die Angewohnheit ziemlich lange zu gehen – ganz besonders bei elf Neulingen.
Das Beste um wach zu werden ist ganz eindeutig der Latte Macchiato am Morgen. Den Kaffeeautomaten bei Greenfields hatte ich sofort in mein Herz geschlossen, aber der hier an der Schule ist noch um Längen besser. Man will die Augen dabei verdrehen und ein zufriedenes Seufzen von sich geben. Nur leider brennt die heiße Flüssigkeit heute in meinem Mund, genauso wie das zu kauende Frühstück davor. Bei dem gestrigen Kampf mit Lukaz krachten meine Zähne so sehr aufeinander, dass ich mir die Lippe und die Wange aufgebissen habe, weshalb ich gestern auch das Blut schmeckte. Jetzt habe ich auf der Innenseite eine offene Stelle und alles, was ich im Mund habe, reibt jedes Mal schmerzhaft dagegen. Auch sämtliche andere Stellen meines Körpers tun mir weh, aber das ist ja inzwischen schon ein Normalzustand.
>Ich sage es ja nur ungern Leute, aber wir müssen los. < gähnt Nigel. Hätte er mich nicht noch ein paar Minuten mit meinem geliebten Kaffeegeschmack auf der Zunge und in meiner kleinen Traumblase lassen können?
>Ihr habt jetzt Schießunterricht, oder? < frage ich ihn, damit wir gemeinsam in die Halle gehen können.
>Ja, aber wir treffen uns draußen mit Cataley. Wir lernen heute wie man um die Ecken schießt und die Winkel ausnutzt. Das könnte in der Halle ins Auge gehen. <
>Ups das stimmt allerdings. < sagt Ruby und steht auf, um ihr Tablett abzuräumen.
>Winkel zu nutzen? Wie meinst du das? < will ich wissen. Auch ich stehe mit den Anderen auf, um mein Zeug abzuräumen.
>Mal angenommen du hast kein freies Schussfeld, dann musst du gegen irgendwas schießen, wovon die Kugel abprallt, damit sie dann ihr Ziel trifft. Dazu musst du den Winkel einschätzen können, damit die Munition nicht völlig quer schlägt. Es gibt auch Sturmgewehre mit einem Krummlauf, mit denen man sich die ganze Winkelberechnung sparen kann, aber mit denen muss man erstmal umgehen können. <
Ich schürze beeindruckt die Lippen. Das finde ich ja genial und vor allem werde ich das irgendwann auch gezeigt bekommen.
Wir verabschieden uns und werden uns erst zur Mittagspause wiedersehen.
Ich gehe die Treppe nach unten, als plötzlich jemand von hinten ruft.
>Kim, warte auf mich. <
Es ist der aus meiner Stufe, mit dem ich gestern als Erstes bei Cataley trainierte.
>Oh hey. Du musst mir bitte deinen Namen nochmal verraten. Der ist mir entfallen. < beichte ich.
>Ist nicht schlimm. Bisher haben wir ja auch nicht viel geredet. Ich bin George. Mir ist aufgefallen, dass du viel allein bist, seitdem Ruby und die Anderen aufgestiegen sind. <
>Du hast doch gesagt, dass deine ganzen Kumpel auch in der Zweiten sind. <
>Das stimmt. Also müssen sich die Hinterbliebenen zusammentun, oder? <
Ich grinse und gehe mit ihm nach unten, wo Lukaz schon bereitsteht und auf seine Schützlinge wartet.
Nach und nach wird es in der Halle voller, bis alle 24 Schüler bereit sind. Ich sehe den Neulingen ihren Muskelkater schon von weitem an. Ihre Körperhaltung sagt so viel aus und ich fühle mit ihnen. In meiner ersten Woche bin ich auf allen Vieren aus der Halle gekrabbelt und im Grunde fühle ich mich jetzt kaum anders.
>Hey alles klar? < fragt mich Lukaz leise, der hinter mir umherschleicht.
>Ja mir geht’s gut. <
>Du nimmst es mir nicht übel, dass ich dich so malträtiere? <
>Nein natürlich nicht. Deine neue Methode gefällt mir zwar nicht sonderlich, aber du kennst meine kämpferischen Schwächen wie kein Anderer – abgesehen von Sam. < flüstere ich leise zurück.
Er nickt und lächelt, geht dann in die Mitte und klatscht ein paar Mal in seine Hände, damit er unsere Aufmerksamkeit hat.
>Morgen Leute. Ich wollte Cataley gerade noch umstimmen, weil wir zu viele Neue in unseren Reihen haben, aber sie besteht darauf, dass heute Nachmittag die Stufen zusammen trainieren. Es bleibt also so wie besprochen. Heute zeige ich euch wieder die Techniken der Verteidigung und ihr trainiert sie zusammen mit eurem Partner. <
Er nimmt sich einen der neuen Schüler und zeigt ihm eine Abwehrhaltung. Hierbei geht es wieder um Schnelligkeit und den richtigen Hebel.
Die ersten Runden trainiere ich mit George. Ich weiß nicht genau was es ist, aber irgendetwas stört mich an der heutigen Handfassung, die Lukaz gezeigt hat. Mache ich etwas falsch? Eigentlich habe ich das alles bereits durch, aber irgendwas finde ich daran blöd. Es sieht nicht so aus wie bei ihm, obwohl ich meinen Partner sicher abwehre. Vielleicht klappt es besser, wenn ich es variiere.
Als George das nächste Mal angreift, denke ich gar nicht über Lukaz´ Technik nach. Aus irgendeinem Grund will ich etwas ausprobieren und tue es prompt, als mir mein Gegner zu nahe kommt.
Erschrocken von mir selbst, nehme ich die Hände über dem Kopf zusammen, als er hart auf der Seite landet und vor Schmerz flucht. Ich will mich gerade dafür bei ihm entschuldigen, weil das dumm von mir war, aber da ruft er mir schon mit aufgerissenen Augen entgegen:
>Was war das denn bitte? <
Lukaz kommt bei uns vorbei und mischt sich ganz lässig mit den Worten ein:
>Das war mal eben Stufe 3-Level. < und geht einfach schlendernd zu den Anderen weiter.
>Das tut mir so leid George, das ging mir einfach gerade durch den Kopf. Ich habe die andere Technik nicht mehr im Sinn gehabt. <
Ich reiche ihm meine Hand um ihm hochzuhelfen, aber er steht von allein auf.
>Das kommt davon, wenn man so viel mit den anderen Stufen trainiert. <
>Hey es ist nicht verboten. < verteidige ich mich.
>Ich weiß, schon gut. Ich war nur überrascht. <
Wir machen weiter wie bisher und ich halte mich brav an meine Vorgabe, ohne weitere Experimente mit den Griffen zu wagen.
Später üben wir mit den Neuen die Abwehr. Irgendwie wollte ich mich zu Anfang immer mit den Schlägen zurückhalten, aber kurz darauf erinnere ich mich daran, dass mich an meinem ersten Tag hier niemand geschont hat. Das fand ich nicht gemein oder benachteiligend, sondern gut. Ich wollte nicht, dass mich jemand bemitleidet. Am selben Tag habe ich sogar meinen ersten Treffer gelandet, und zwar deswegen, weil ich gezwungen war mich zu wehren. Nur aus diesem Grund können wir alle überhaupt so schnell lernen. Wir werden von Beginn an ins eiskalte Wasser geworfen. Also zeige ich ebenfalls keine Scheu mehr.
Lukaz geht zwar immer wieder um uns alle rum, korrigiert hier und da die fehlerhaften Haltungen und zeigt es erneut bei Fragen vor, aber irgendwie spüre ich, dass er mich andauernd beobachtet. Ich weiß nicht, warum er das tut. Vielleicht sucht er nach Fehlern in meiner Technik, die ich so akribisch an mir suche. Vielleicht will er aber auch nur sichergehen, dass ich den Neuen nichts erzähle, was falsch ist.
Nach dem ersten Block müssen wir nach oben zu unserem Theorieraum laufen. Wir haben Kriminalistik und die Neuen lernen die düstere Seite unseres zukünftigen Jobs kennen. Henry kann das ja immer sehr gut zur Geltung bringen.
Aber die Stunde vergeht so schnell wie ein Wimpernschlag. Es ist eben nicht zu vergleichen mit dem staubtrockenen Strafprozessrecht. Dafür rückt danach auch schon die 1-stündige Pause an, in der ich Ruby und die Anderen wiedersehe. Wir werden im folgenden Block zusammen mit Lukaz und Cataley trainieren und ich bin wirklich gespannt was sie vorhaben. Aber genauso nervös bin ich auch.
Anderseits kann meine Trainerin zumindest keine krummen Sachen drehen. Wie beim letzten Mal, als ich dachte, ich bräuchte meine Schnelligkeit und meine Kraft ganz besonders für die nächste Stunde, esse ich mich nicht komplett voll bis ich platze. Stattdessen halte ich mich eher an eine leichte Kost und werde dafür heute Abend wieder die Mensa leer futtern.
Wie immer raucht Ruby nach dem Essen ihre Zigarette, aber dieses Mal nur eine Halbe. Es regnet draußen, weshalb ich immerhin noch trocken am geöffneten Rolltor stehe und warte, bis sie wieder zu mir kommt. Für gewöhnlich gehe ich nur mit nach draußen, weil ich das Tageslicht genauso brauche wie die Luft zum Atmen. Megan sagte vor ein paar Wochen zu Sam, dass er mich auf keinen Fall einsperren darf, denn ich bin ein Freigänger – schon immer gewesen. Eine bessere Beschreibung hätte sie ihm nicht für mich geben können.
Als es plötzlich noch mehr zu regnen beginnt, drückt Ruby die glühende Hälfte im Standaschenbecher aus und rennt schnell wieder zu mir hinein.
>Oh Mann. Dass das immer gleich so kalt wird, sobald es mal regnet. Ich hasse diese Gegend hier. < bibbert sie und schlingt ihre Arme um den Körper.
Daraufhin grinse ich vor mich hin. Das Wetter in Minnesota ist eben genauso unberechenbar wie der Superior Lake. Mehr hüpfend als laufend peilt sie die Richtung des Fahrstuhls an.
Der dürftigen Information zur Folge wissen wir nur, dass wir uns nach der Pause in der Trainingshalle einfinden sollen.
Als wir dort hineinkommen, erkennen wir unsere Halle gar nicht wieder. Überall stehen große Klötze oder andere Hindernisse im Weg. Ich sehe auch Rampen und aufgebaute Mauern, die sicher nur aus Spanplatten bestehen.
>Sieht wie ein Parcours aus. Aber sowas haben wir doch vor zwei Wochen schon mal gemacht. Was soll daran besonders sein? < fragt Louis neben mir.
Plötzlich gehen die Neonlampen über uns aus und nacheinander gehen Schwarzlichtlampen an, die provisorisch in dem Metallgitter über unseren Köpfen eingehängt wurden. In Pink, blau, grün und orange leuchten die Umrandungen der Hindernisse auf.
>Also jetzt verstehe ich gar nichts mehr. < sagt irgendjemand hinter uns, dessen Stimme ich nicht dem Gesicht zuordnen kann. Unsere beiden Trainer laufen von oben die Metalltreppe herunter und sofort gehen alle Köpfe der Schüler in ihre Richtung.
Bei dem Schwarzlicht sehe ich Cataleys weiße Perlenohrringe aufleuchten, sowie Lukaz´ Zähne, wenn er so breit grinst.
>Heute machen wir mal etwas Lustiges mit einem ernsten Hintergrund. < erklärt er uns und läuft zu einer mobilen Kleiderstange. Ich kann nicht deuten was genau dort hängt, da das Licht ziemlich grausig ist. Daher bin ich froh, dass Lukaz die letzten beiden Tage solche ähnlichen Situationen mit mir trainiert hat, sonst würde ich schreiend herauslaufen. Er nimmt etwas von der Stange und kommt zu uns. Wir sind schätzungsweise etwas weniger als 50 Personen in diesem Raum und ich frage mich, ob wir alle gegeneinander kämpfen müssen.
Er kommt mit so etwas wie einer blinkenden Weste in unsere Mitte, aber Cataley nimmt sie ihm aus den Händen, steht wie sie es mag im Mittelpunkt und erklärt:
>Heute spielt ihr Lasertag. Für alle die es nicht kennen: Ihr schießt mit einem Laser auf die aktivierten Westen. Sobald ihr getroffen werdet, deaktiviert sich die Weste für eine Sekunde. Ihr habt allerdings unendlich viele Leben, also spielt einfach weiter, wenn ihr getroffen wurdet. Für jeden Treffen den ihr erzielt, gibt es Punkte – wenn ihr getroffen werdet, dann werden sie euch wieder abgezogen. Da vorne hängt eure Ausrüstung. Greift euch ein Kleidungsstück und eure Waffe plus eine der Karten, die in der Box liegen. <
Jeder von uns sammelt sich sein Material zusammen. Erst suche ich nach einer Weste in meiner Größe, aber die sind alle gleich wie ich dann feststelle. Dann richtet Lukaz immerhin wieder das Wort an uns.
>An den Seiten könnt ihr sie auf eure Größe einstellen. Ihr aktiviert eure Westen mit dieser Membercard und kurz darauf erscheint euer Avatar auf dem Display von eurem Phaser. Treffer und Munition sind unbegrenzt. <
Wir machen alle das Gleiche, was Lukaz uns zeigt und auf meiner Laserpistole leuchtet ein kleiner Affe mit einem Punktestand von 000 auf. Auch die Westen beginnen an beiden Schultern, an der Front und am Rücken zu leuchten, sobald sie aktiviert sind.
Dann läuft Cataley mit langsamen, eleganten Schritten und verschränkten Armen noch näher zu uns, bis sie direkt vor Cruisi steht.
>Meistens geht es dabei um Spiel und Spaß und man teilt sich in Teams auf. Wir sind hier aber in keinem Kindergarten, sondern an einer Bounty-Hunter-Schule. Hier kämpft heute jeder für sich. Es geht um Taktik, um Zielgenauigkeit und Schnelligkeit. Wer die meisten Punkte hat, ist der Sieger. <
Während sie das erklärt, läuft sie vor der ersten Reihe rauf und runter.
Immerhin trägt sie keine leuchtende Weste und das Spiel scheint nur für die Schüler zu sein. So kann ich hoffen, dass es anständig zugeht, da sie es im Spiel nicht auf mich abgesehen haben kann. Lukaz tippt auf einem iPad herum und dreht es dann zu uns, dass wir darauf schauen können.
>Ihr habt knapp neunzig Minuten Zeit so viele Punkte zu sammeln, wie es geht. Cataley und ich sehen zu und schauen uns eure Taktiken an. Macht alle erstmal ein paar Testschüsse auf eure Klassenkameraden. Noch gibt es keine Punkte. <
Wir schießen einfach blind umher und sobald wir treffen, piepen die Phaser. Die blinkenden Westen der Getroffenen erlöschen und brauchen eine Sekunde um wieder hochzufahren. Offensichtlich bedeutet das, dass man ein Leben verloren hat, auch wenn wir unbegrenzt erschossen werden können.
Lukaz gibt uns ein Zeichen, dass wir uns alle erstmal wirr verstecken sollen. Als wir das getan haben, drückt er auf diese grausige Gaströte und los geht das Spiel.
Während wahrscheinlich mehr als die Hälfte bereits losrennt, bleibe ich noch hinter meinem großen Klotz versteckt und schaue mir die Umgebung genauer an. Überall sind Hürden und Stolperfallen aufgebaut. Das Auge hat sich allmählich an die grellen Farben, aber auch gleichzeitig an die Dunkelheit gewöhnt. Ich höre die Schritte um mich herum und bereits die ersten Töne der Westen und Phaser. Trotzdem warte ich immer noch ab und sehe mich um, soweit ich kann.
Als ich glaube, einen guten Überblick zu haben, stecke ich meinen Kopf etwas hervor. Die ersten paar Leute stehen mit dem Rücken zu mir und ich richte den Phaser auf sie, um gleich 3 Leute abzuschießen. Ich sehe wie ihre Westen blinken und sie sich meckernd nach dem Schützen umsehen. Aber da bin ich schon verschwunden und gehe etwas geduckter vorwärts. So schreckhaft wie ich seit dem Vorfall mit meiner Familie geworden bin, bekomme ich sicherlich einen Herzinfarkt, wenn plötzlich jemand vor mir auftaucht.
Die meiste Zeit suche ich Deckung und springe nur selten hervor, wenn ich denke, dass es nötig ist. Ansonsten halte ich mich eher bedeckt und greife aus einem Hinterhalt an. Ich bin in einer Sackgasse gelandet und kann hören, wie jemand angerannt kommt. Meine Spielzeugwaffe werfe ich mir über die Schulter und ziehe mich an der Wand hoch. Ich bleibe dort oben in der Hocke und habe einen Blick von ganz oben. Kaum einer hat die gleiche Idee wie ich und daher schalte ich schnell Jeremy, George und Viktor aus. Als mich jemand entdeckt, muss ich mich ducken, um nicht ebenfalls getroffen zu werden und ich klettere zur anderen Seite herunter, um weiterzulaufen. Mein alter Posten wäre nun zu gefährlich.
Das macht so einen Spaß und bisher komme ich perfekt durch. Mir fällt bei den Anderen auf, sobald jemand getroffen wird, steht der Nächste an derselben Stelle und wird ebenfalls dort getroffen. Ich versuche meine Umgebung mit im Blick zu behalten und nicht dorthin zu gehen, wo gerade einer meiner Mitschüler abgeschossen wurde. Viele Schützen bleiben nämlich in ihrer Ecke stehen und warten, bis die Anderen ihnen einfach vor den Lauf geraten. Aber das Problem ist, dass man den Laserstrahl sehen kann, weshalb es nicht klug ist, zu lange an einer Stelle zu sein. Andere sind dumm genug und laufen denen hinterher, die gerade auf ihren Kumpel geschossen haben, um sich zu rächen. Das wäre noch okay, wenn sie nicht auch noch lautstark fluchen würden. Mit diesem sinnlosen Hinterherrennen machen sie weniger Punkte, genauso wie mit dem ewigen Starren auf das Display. Sie vergeuden Zeit und stehen teils mitten in der Ziellinie ohne es zu merken. Ich schieße einen nach dem Anderen ab.
Das Spiel läuft noch gute fünf Minuten und ich laufe hinter einem dieser Klötze, ganz in der Nähe des Einganges. Erst jetzt komme ich mal dazu, auf das Display zu schauen.
Genial! Endlich kann ich mich mal behaupten und das auch noch gegen die zweite Stufe. Denn ich kann darauf sehen, dass ich führe. Deswegen wurde ich wohl die letzte viertel Stunde auch so akribisch verfolgt. Sie wollen mich ausschalten, weil ich die meisten Punkte habe. Das liegt auch daran, dass ich nicht einmal abgeschossen wurde. Ich muss nur noch auf Zeit spielen und warten, bis auch die letzte Minute um ist. Aber plötzlich taucht Cataley dort auf, wo ich gerade bin. Ich nehme meine Waffe vor Schreck hoch, aber sofort wieder runter, da sie keine Gefahr bedeutet.
Aber halt! Warum trägt sie einen Phaser ohne eine Weste? Ihr höhnisches Grinsen lässt mich bereits ahnen, was das soll. Ich drehe mich um und höre sofort das Piepen meiner Weste. Sie leuchtet auf und geht für eine Sekunde aus. Dann startet sie wieder neu und ich renne weg. Was soll der Mist? Sie ist nicht mal im Spiel. Auf dem Display kann ich sehen, wie die Zeit rückwärts läuft und immer weiter verstreicht. Ich stehe noch ganz oben auf der Liste mit den meisten Punkten. Dann piept meine Weste wieder auf. Verdammt, woher kommt der Laser? Wieder und wieder werde ich getroffen, aber hier steht niemand. Und immer wenn ich mich umdrehe, kann ich keinen Laser sehen. Ich laufe weiter, bis ich mich verfranzt habe und in einer Ecke feststecke. Dann sehe ich nach oben. Da steht Cataley über meinem Kopf auf dem Metallgitter und hält unendliche Male den Phaser auf mich. Es ist egal wohin ich laufe, von dort oben, trifft sie mich aus jedem Winkel.
>Hey hör auf. Was soll das? < fluche ich über die anderen Schreie hinweg und sehe sofort zu meinem Punktestand. Es ertönt ein lauter Ton der Gaströte und meine Weste hört gänzlich auf zu leuchten. Um uns herum wird es sofort noch lauter und alle kommen quatschend aus ihren Verstecken und lachen aufgekratzt. Cataley läuft leise die Metalltreppe herunter. Sie hat nicht nur einen Phaser genommen und ihn auf mich gehalten, um mir ein paar Punkte abzuziehen, sondern sie griff auch noch zu einem größeren Modell, das mir fast alle Punkte nahm. Die Waffen, die wir Schüler haben, schenkten uns einen Punkt pro Treffer. Cataleys Phaser hat mir gleich zehn Punkte mit einem Mal genommen. Ich sehe sie so verächtlich an, wie es meine Gesichtsmuskeln nur irgendwie zustande bringen können.
>Du warst unaufmerksam und nun bekommst du was du verdienst. < flüstert sie triumphal.
>Ach ja? Hast du das bei den anderen Anwärtern auch gemacht? < frage ich etwas zu spitz, weshalb ich sofort ihr selbstgefälliges Grinsen einfange. Natürlich hat sie das nicht bei den Anderen gemacht. Sie wirft sich die Waffe über die Schulter und geht pfeifend weg.
Ich kann es einfach nicht fassen. Beinahe meine ganzen Punkte sind weg.
>Cataley warte! < ich laufe hinter ihr her, während sich alle Anderen sicher bereits vor den Hindernissen bei Lukaz eingefunden haben. >Weshalb tust du das? <
>Glaubst du eigentlich, dass dich die Zielpersonen dort draußen mit Samthandschuhen anfassen? Du bist hier, damit wir aus dir eine Jägerin machen. Also hör auf zu jammern. <
Sie zieht arrogant ihre Augenbrauen hoch und geht weg. Ich höre Lukaz rufen, dass auch die restlichen Schüler zu ihm kommen sollen. Schockiert sehe ich meiner Trainerin hinterher und kann nicht glauben, dass sie mir diesen kleinen Erfolg verbaut hat. Mit hängenden Schultern laufe ich fast bis zum anderen Ende der Halle und gelange zu meinen Mitschülern. Die Meisten lachen wegen des spaßigen Spiels oder nehmen sich in den Schwitzkasten, wahrscheinlich weil ihr bester Kumpel sie abgeschossen hat.
>Okay dann machen wir mal die Auswertung. < erklärt Lukaz heiter. >Also ich muss sagen, bei einigen sah das ganz gut aus. Vor allem bei dir Kim. Du hast taktisch klug gehandelt. Das, was ich gesehen habe, war super. < Ich gewinne mir ein leichtes Lächeln ab, das allerdings nur für die Leute ist, die mich jetzt ansehen. >Bei einigen war es offensichtlich mehr Spiel und Spaß. Dem Schützen hinterherzurennen und zu schreien: „Eh wer hat meinen Freund abgeschossen?“, ist ziemlich dämlich. Aber gut kommen wir zum Punktestand. < sagt er grinsend und starrt auf das Display. Er scrollt die Liste herunter und sein Blick wird immer verwirrter und düsterer. Zum Schluss geht er sogar mit seinem Gesicht näher heran, als wenn er seinen Augen nicht traut. >Kim … aber … was? Wo sind deine Punkte? Du warst doch zum Ende ganz vorn. < erwidert er vollkommen verwirrt.
>Tja, da war sie wohl zu überheblich, fühlte sich zu sicher und passte dann nicht mehr auf. < trällert Cataley und stellt sich mit verschränkten Armen neben ihn. Ich hingegen bedecke sie mit einem hasserfüllten Blick. Sie weiß ganz genau wie sehr sie mich in der Hand hat. Sie entscheidet, ob ich aufsteige oder nicht. Dieses Biest gönnt mir rein gar nichts. Ich könnte hundert dieser Spiele gewinnen und sie würde mich immer noch nicht aufrücken lassen. Also was soll dieses ganze Theater hier eigentlich noch?
>Bei dem Punktestand müssten dich über zweihundert Leute gleichzeitig beschossen haben. < erwidert er vollkommen verwirrt. Genaugenommen wurde ich nur mehr als zwanzigmal beschossen. Aber dann sieht er wie ich zu Cataley schaue und seine Stirn glättet sich, als würde ihm ein Licht aufgehen. >Okay Leute. Wir sind fertig für heute. Josh, du bist der Ranghöchste. Hängt die Westen wieder zurück und legt die Phaser in die Kiste. < murmelt er nur noch unverständlich und geht einfach davon. Bis eben schien er noch gute Laune gehabt zu haben. Jetzt offensichtlich nicht mehr.
>Was war denn plötzlich mit dir los? < fragt Ruby und berührt mich am Arm. >Ich verstehe das nicht, denn ich habe es doch auch auf dem Display gesehen, du warst richtig gut. <
>Ich schätze, ich war abgelenkt. < flüstere ich und sehe zu Boden.
Cataley verkündet nur, dass wir uns nach der Pause draußen treffen, wo wir das letzte Mal die Tontauben zerschossen haben. Dann geht sie mit ihrem dramatischen Hüftschwung zur Tür und ich würde ihr so verdammt gern den Hals umdrehen.
Es ist Dienstag und ein neuer Tag steht an. Was auch immer Lukaz und Cataley heute mit uns vorhaben, es wird mit Sicherheit eine Mischung aus Gemeinheit und Spaß sein. Allerdings beruhigt es mich, dass zwei Trainer anwesend sind, von dem einer der Beiden bekannterweise fair ist.
Heute muss ich Ruby mal nicht aus dem Bett zerren, denn sie kommt immerhin von ganz allein.
Wir treffen uns oben mit den Anderen am Tisch und frühstücken gemeinsam. Dort werden wir auch gleich mit Fragen bombardiert, wo wir Mädels gestern Abend abgeblieben sind. Denn offensichtlich haben wir eine ganze Reihe lustiger Aufnahmerituale verpasst. Rubys gestriger Vorschlag mit dem Abend zu zweit war allerdings super und ich brauchte ihn viel dringender, als ich es ursprünglich dachte. Ich fühlte mich von Tag zu Tag bekümmerter und sie schaffte es, meine Stimmung wieder aufzuhellen. Mir fällt mehr und mehr auf, dass ich häufig ein Lächeln aufsetze, obwohl mir nicht danach ist und sage „es geht mir gut“, obwohl das nicht stimmt.
Am Tisch schließe ich müde die Augen und höre den Anderen einfach nur zu. Es sind leise und beruhigende Gespräche, da die meisten Schüler ebenfalls noch nicht wach sind. Aufnahmerituale haben offenbar die Angewohnheit ziemlich lange zu gehen – ganz besonders bei elf Neulingen.
Das Beste um wach zu werden ist ganz eindeutig der Latte Macchiato am Morgen. Den Kaffeeautomaten bei Greenfields hatte ich sofort in mein Herz geschlossen, aber der hier an der Schule ist noch um Längen besser. Man will die Augen dabei verdrehen und ein zufriedenes Seufzen von sich geben. Nur leider brennt die heiße Flüssigkeit heute in meinem Mund, genauso wie das zu kauende Frühstück davor. Bei dem gestrigen Kampf mit Lukaz krachten meine Zähne so sehr aufeinander, dass ich mir die Lippe und die Wange aufgebissen habe, weshalb ich gestern auch das Blut schmeckte. Jetzt habe ich auf der Innenseite eine offene Stelle und alles, was ich im Mund habe, reibt jedes Mal schmerzhaft dagegen. Auch sämtliche andere Stellen meines Körpers tun mir weh, aber das ist ja inzwischen schon ein Normalzustand.
>Ich sage es ja nur ungern Leute, aber wir müssen los. < gähnt Nigel. Hätte er mich nicht noch ein paar Minuten mit meinem geliebten Kaffeegeschmack auf der Zunge und in meiner kleinen Traumblase lassen können?
>Ihr habt jetzt Schießunterricht, oder? < frage ich ihn, damit wir gemeinsam in die Halle gehen können.
>Ja, aber wir treffen uns draußen mit Cataley. Wir lernen heute wie man um die Ecken schießt und die Winkel ausnutzt. Das könnte in der Halle ins Auge gehen. <
>Ups das stimmt allerdings. < sagt Ruby und steht auf, um ihr Tablett abzuräumen.
>Winkel zu nutzen? Wie meinst du das? < will ich wissen. Auch ich stehe mit den Anderen auf, um mein Zeug abzuräumen.
>Mal angenommen du hast kein freies Schussfeld, dann musst du gegen irgendwas schießen, wovon die Kugel abprallt, damit sie dann ihr Ziel trifft. Dazu musst du den Winkel einschätzen können, damit die Munition nicht völlig quer schlägt. Es gibt auch Sturmgewehre mit einem Krummlauf, mit denen man sich die ganze Winkelberechnung sparen kann, aber mit denen muss man erstmal umgehen können. <
Ich schürze beeindruckt die Lippen. Das finde ich ja genial und vor allem werde ich das irgendwann auch gezeigt bekommen.
Wir verabschieden uns und werden uns erst zur Mittagspause wiedersehen.
Ich gehe die Treppe nach unten, als plötzlich jemand von hinten ruft.
>Kim, warte auf mich. <
Es ist der aus meiner Stufe, mit dem ich gestern als Erstes bei Cataley trainierte.
>Oh hey. Du musst mir bitte deinen Namen nochmal verraten. Der ist mir entfallen. < beichte ich.
>Ist nicht schlimm. Bisher haben wir ja auch nicht viel geredet. Ich bin George. Mir ist aufgefallen, dass du viel allein bist, seitdem Ruby und die Anderen aufgestiegen sind. <
>Du hast doch gesagt, dass deine ganzen Kumpel auch in der Zweiten sind. <
>Das stimmt. Also müssen sich die Hinterbliebenen zusammentun, oder? <
Ich grinse und gehe mit ihm nach unten, wo Lukaz schon bereitsteht und auf seine Schützlinge wartet.
Nach und nach wird es in der Halle voller, bis alle 24 Schüler bereit sind. Ich sehe den Neulingen ihren Muskelkater schon von weitem an. Ihre Körperhaltung sagt so viel aus und ich fühle mit ihnen. In meiner ersten Woche bin ich auf allen Vieren aus der Halle gekrabbelt und im Grunde fühle ich mich jetzt kaum anders.
>Hey alles klar? < fragt mich Lukaz leise, der hinter mir umherschleicht.
>Ja mir geht’s gut. <
>Du nimmst es mir nicht übel, dass ich dich so malträtiere? <
>Nein natürlich nicht. Deine neue Methode gefällt mir zwar nicht sonderlich, aber du kennst meine kämpferischen Schwächen wie kein Anderer – abgesehen von Sam. < flüstere ich leise zurück.
Er nickt und lächelt, geht dann in die Mitte und klatscht ein paar Mal in seine Hände, damit er unsere Aufmerksamkeit hat.
>Morgen Leute. Ich wollte Cataley gerade noch umstimmen, weil wir zu viele Neue in unseren Reihen haben, aber sie besteht darauf, dass heute Nachmittag die Stufen zusammen trainieren. Es bleibt also so wie besprochen. Heute zeige ich euch wieder die Techniken der Verteidigung und ihr trainiert sie zusammen mit eurem Partner. <
Er nimmt sich einen der neuen Schüler und zeigt ihm eine Abwehrhaltung. Hierbei geht es wieder um Schnelligkeit und den richtigen Hebel.
Die ersten Runden trainiere ich mit George. Ich weiß nicht genau was es ist, aber irgendetwas stört mich an der heutigen Handfassung, die Lukaz gezeigt hat. Mache ich etwas falsch? Eigentlich habe ich das alles bereits durch, aber irgendwas finde ich daran blöd. Es sieht nicht so aus wie bei ihm, obwohl ich meinen Partner sicher abwehre. Vielleicht klappt es besser, wenn ich es variiere.
Als George das nächste Mal angreift, denke ich gar nicht über Lukaz´ Technik nach. Aus irgendeinem Grund will ich etwas ausprobieren und tue es prompt, als mir mein Gegner zu nahe kommt.
Erschrocken von mir selbst, nehme ich die Hände über dem Kopf zusammen, als er hart auf der Seite landet und vor Schmerz flucht. Ich will mich gerade dafür bei ihm entschuldigen, weil das dumm von mir war, aber da ruft er mir schon mit aufgerissenen Augen entgegen:
>Was war das denn bitte? <
Lukaz kommt bei uns vorbei und mischt sich ganz lässig mit den Worten ein:
>Das war mal eben Stufe 3-Level. < und geht einfach schlendernd zu den Anderen weiter.
>Das tut mir so leid George, das ging mir einfach gerade durch den Kopf. Ich habe die andere Technik nicht mehr im Sinn gehabt. <
Ich reiche ihm meine Hand um ihm hochzuhelfen, aber er steht von allein auf.
>Das kommt davon, wenn man so viel mit den anderen Stufen trainiert. <
>Hey es ist nicht verboten. < verteidige ich mich.
>Ich weiß, schon gut. Ich war nur überrascht. <
Wir machen weiter wie bisher und ich halte mich brav an meine Vorgabe, ohne weitere Experimente mit den Griffen zu wagen.
Später üben wir mit den Neuen die Abwehr. Irgendwie wollte ich mich zu Anfang immer mit den Schlägen zurückhalten, aber kurz darauf erinnere ich mich daran, dass mich an meinem ersten Tag hier niemand geschont hat. Das fand ich nicht gemein oder benachteiligend, sondern gut. Ich wollte nicht, dass mich jemand bemitleidet. Am selben Tag habe ich sogar meinen ersten Treffer gelandet, und zwar deswegen, weil ich gezwungen war mich zu wehren. Nur aus diesem Grund können wir alle überhaupt so schnell lernen. Wir werden von Beginn an ins eiskalte Wasser geworfen. Also zeige ich ebenfalls keine Scheu mehr.
Lukaz geht zwar immer wieder um uns alle rum, korrigiert hier und da die fehlerhaften Haltungen und zeigt es erneut bei Fragen vor, aber irgendwie spüre ich, dass er mich andauernd beobachtet. Ich weiß nicht, warum er das tut. Vielleicht sucht er nach Fehlern in meiner Technik, die ich so akribisch an mir suche. Vielleicht will er aber auch nur sichergehen, dass ich den Neuen nichts erzähle, was falsch ist.
Nach dem ersten Block müssen wir nach oben zu unserem Theorieraum laufen. Wir haben Kriminalistik und die Neuen lernen die düstere Seite unseres zukünftigen Jobs kennen. Henry kann das ja immer sehr gut zur Geltung bringen.
Aber die Stunde vergeht so schnell wie ein Wimpernschlag. Es ist eben nicht zu vergleichen mit dem staubtrockenen Strafprozessrecht. Dafür rückt danach auch schon die 1-stündige Pause an, in der ich Ruby und die Anderen wiedersehe. Wir werden im folgenden Block zusammen mit Lukaz und Cataley trainieren und ich bin wirklich gespannt was sie vorhaben. Aber genauso nervös bin ich auch.
Anderseits kann meine Trainerin zumindest keine krummen Sachen drehen. Wie beim letzten Mal, als ich dachte, ich bräuchte meine Schnelligkeit und meine Kraft ganz besonders für die nächste Stunde, esse ich mich nicht komplett voll bis ich platze. Stattdessen halte ich mich eher an eine leichte Kost und werde dafür heute Abend wieder die Mensa leer futtern.
Wie immer raucht Ruby nach dem Essen ihre Zigarette, aber dieses Mal nur eine Halbe. Es regnet draußen, weshalb ich immerhin noch trocken am geöffneten Rolltor stehe und warte, bis sie wieder zu mir kommt. Für gewöhnlich gehe ich nur mit nach draußen, weil ich das Tageslicht genauso brauche wie die Luft zum Atmen. Megan sagte vor ein paar Wochen zu Sam, dass er mich auf keinen Fall einsperren darf, denn ich bin ein Freigänger – schon immer gewesen. Eine bessere Beschreibung hätte sie ihm nicht für mich geben können.
Als es plötzlich noch mehr zu regnen beginnt, drückt Ruby die glühende Hälfte im Standaschenbecher aus und rennt schnell wieder zu mir hinein.
>Oh Mann. Dass das immer gleich so kalt wird, sobald es mal regnet. Ich hasse diese Gegend hier. < bibbert sie und schlingt ihre Arme um den Körper.
Daraufhin grinse ich vor mich hin. Das Wetter in Minnesota ist eben genauso unberechenbar wie der Superior Lake. Mehr hüpfend als laufend peilt sie die Richtung des Fahrstuhls an.
Der dürftigen Information zur Folge wissen wir nur, dass wir uns nach der Pause in der Trainingshalle einfinden sollen.
Als wir dort hineinkommen, erkennen wir unsere Halle gar nicht wieder. Überall stehen große Klötze oder andere Hindernisse im Weg. Ich sehe auch Rampen und aufgebaute Mauern, die sicher nur aus Spanplatten bestehen.
>Sieht wie ein Parcours aus. Aber sowas haben wir doch vor zwei Wochen schon mal gemacht. Was soll daran besonders sein? < fragt Louis neben mir.
Plötzlich gehen die Neonlampen über uns aus und nacheinander gehen Schwarzlichtlampen an, die provisorisch in dem Metallgitter über unseren Köpfen eingehängt wurden. In Pink, blau, grün und orange leuchten die Umrandungen der Hindernisse auf.
>Also jetzt verstehe ich gar nichts mehr. < sagt irgendjemand hinter uns, dessen Stimme ich nicht dem Gesicht zuordnen kann. Unsere beiden Trainer laufen von oben die Metalltreppe herunter und sofort gehen alle Köpfe der Schüler in ihre Richtung.
Bei dem Schwarzlicht sehe ich Cataleys weiße Perlenohrringe aufleuchten, sowie Lukaz´ Zähne, wenn er so breit grinst.
>Heute machen wir mal etwas Lustiges mit einem ernsten Hintergrund. < erklärt er uns und läuft zu einer mobilen Kleiderstange. Ich kann nicht deuten was genau dort hängt, da das Licht ziemlich grausig ist. Daher bin ich froh, dass Lukaz die letzten beiden Tage solche ähnlichen Situationen mit mir trainiert hat, sonst würde ich schreiend herauslaufen. Er nimmt etwas von der Stange und kommt zu uns. Wir sind schätzungsweise etwas weniger als 50 Personen in diesem Raum und ich frage mich, ob wir alle gegeneinander kämpfen müssen.
Er kommt mit so etwas wie einer blinkenden Weste in unsere Mitte, aber Cataley nimmt sie ihm aus den Händen, steht wie sie es mag im Mittelpunkt und erklärt:
>Heute spielt ihr Lasertag. Für alle die es nicht kennen: Ihr schießt mit einem Laser auf die aktivierten Westen. Sobald ihr getroffen werdet, deaktiviert sich die Weste für eine Sekunde. Ihr habt allerdings unendlich viele Leben, also spielt einfach weiter, wenn ihr getroffen wurdet. Für jeden Treffen den ihr erzielt, gibt es Punkte – wenn ihr getroffen werdet, dann werden sie euch wieder abgezogen. Da vorne hängt eure Ausrüstung. Greift euch ein Kleidungsstück und eure Waffe plus eine der Karten, die in der Box liegen. <
Jeder von uns sammelt sich sein Material zusammen. Erst suche ich nach einer Weste in meiner Größe, aber die sind alle gleich wie ich dann feststelle. Dann richtet Lukaz immerhin wieder das Wort an uns.
>An den Seiten könnt ihr sie auf eure Größe einstellen. Ihr aktiviert eure Westen mit dieser Membercard und kurz darauf erscheint euer Avatar auf dem Display von eurem Phaser. Treffer und Munition sind unbegrenzt. <
Wir machen alle das Gleiche, was Lukaz uns zeigt und auf meiner Laserpistole leuchtet ein kleiner Affe mit einem Punktestand von 000 auf. Auch die Westen beginnen an beiden Schultern, an der Front und am Rücken zu leuchten, sobald sie aktiviert sind.
Dann läuft Cataley mit langsamen, eleganten Schritten und verschränkten Armen noch näher zu uns, bis sie direkt vor Cruisi steht.
>Meistens geht es dabei um Spiel und Spaß und man teilt sich in Teams auf. Wir sind hier aber in keinem Kindergarten, sondern an einer Bounty-Hunter-Schule. Hier kämpft heute jeder für sich. Es geht um Taktik, um Zielgenauigkeit und Schnelligkeit. Wer die meisten Punkte hat, ist der Sieger. <
Während sie das erklärt, läuft sie vor der ersten Reihe rauf und runter.
Immerhin trägt sie keine leuchtende Weste und das Spiel scheint nur für die Schüler zu sein. So kann ich hoffen, dass es anständig zugeht, da sie es im Spiel nicht auf mich abgesehen haben kann. Lukaz tippt auf einem iPad herum und dreht es dann zu uns, dass wir darauf schauen können.
>Ihr habt knapp neunzig Minuten Zeit so viele Punkte zu sammeln, wie es geht. Cataley und ich sehen zu und schauen uns eure Taktiken an. Macht alle erstmal ein paar Testschüsse auf eure Klassenkameraden. Noch gibt es keine Punkte. <
Wir schießen einfach blind umher und sobald wir treffen, piepen die Phaser. Die blinkenden Westen der Getroffenen erlöschen und brauchen eine Sekunde um wieder hochzufahren. Offensichtlich bedeutet das, dass man ein Leben verloren hat, auch wenn wir unbegrenzt erschossen werden können.
Lukaz gibt uns ein Zeichen, dass wir uns alle erstmal wirr verstecken sollen. Als wir das getan haben, drückt er auf diese grausige Gaströte und los geht das Spiel.
Während wahrscheinlich mehr als die Hälfte bereits losrennt, bleibe ich noch hinter meinem großen Klotz versteckt und schaue mir die Umgebung genauer an. Überall sind Hürden und Stolperfallen aufgebaut. Das Auge hat sich allmählich an die grellen Farben, aber auch gleichzeitig an die Dunkelheit gewöhnt. Ich höre die Schritte um mich herum und bereits die ersten Töne der Westen und Phaser. Trotzdem warte ich immer noch ab und sehe mich um, soweit ich kann.
Als ich glaube, einen guten Überblick zu haben, stecke ich meinen Kopf etwas hervor. Die ersten paar Leute stehen mit dem Rücken zu mir und ich richte den Phaser auf sie, um gleich 3 Leute abzuschießen. Ich sehe wie ihre Westen blinken und sie sich meckernd nach dem Schützen umsehen. Aber da bin ich schon verschwunden und gehe etwas geduckter vorwärts. So schreckhaft wie ich seit dem Vorfall mit meiner Familie geworden bin, bekomme ich sicherlich einen Herzinfarkt, wenn plötzlich jemand vor mir auftaucht.
Die meiste Zeit suche ich Deckung und springe nur selten hervor, wenn ich denke, dass es nötig ist. Ansonsten halte ich mich eher bedeckt und greife aus einem Hinterhalt an. Ich bin in einer Sackgasse gelandet und kann hören, wie jemand angerannt kommt. Meine Spielzeugwaffe werfe ich mir über die Schulter und ziehe mich an der Wand hoch. Ich bleibe dort oben in der Hocke und habe einen Blick von ganz oben. Kaum einer hat die gleiche Idee wie ich und daher schalte ich schnell Jeremy, George und Viktor aus. Als mich jemand entdeckt, muss ich mich ducken, um nicht ebenfalls getroffen zu werden und ich klettere zur anderen Seite herunter, um weiterzulaufen. Mein alter Posten wäre nun zu gefährlich.
Das macht so einen Spaß und bisher komme ich perfekt durch. Mir fällt bei den Anderen auf, sobald jemand getroffen wird, steht der Nächste an derselben Stelle und wird ebenfalls dort getroffen. Ich versuche meine Umgebung mit im Blick zu behalten und nicht dorthin zu gehen, wo gerade einer meiner Mitschüler abgeschossen wurde. Viele Schützen bleiben nämlich in ihrer Ecke stehen und warten, bis die Anderen ihnen einfach vor den Lauf geraten. Aber das Problem ist, dass man den Laserstrahl sehen kann, weshalb es nicht klug ist, zu lange an einer Stelle zu sein. Andere sind dumm genug und laufen denen hinterher, die gerade auf ihren Kumpel geschossen haben, um sich zu rächen. Das wäre noch okay, wenn sie nicht auch noch lautstark fluchen würden. Mit diesem sinnlosen Hinterherrennen machen sie weniger Punkte, genauso wie mit dem ewigen Starren auf das Display. Sie vergeuden Zeit und stehen teils mitten in der Ziellinie ohne es zu merken. Ich schieße einen nach dem Anderen ab.
Das Spiel läuft noch gute fünf Minuten und ich laufe hinter einem dieser Klötze, ganz in der Nähe des Einganges. Erst jetzt komme ich mal dazu, auf das Display zu schauen.
Genial! Endlich kann ich mich mal behaupten und das auch noch gegen die zweite Stufe. Denn ich kann darauf sehen, dass ich führe. Deswegen wurde ich wohl die letzte viertel Stunde auch so akribisch verfolgt. Sie wollen mich ausschalten, weil ich die meisten Punkte habe. Das liegt auch daran, dass ich nicht einmal abgeschossen wurde. Ich muss nur noch auf Zeit spielen und warten, bis auch die letzte Minute um ist. Aber plötzlich taucht Cataley dort auf, wo ich gerade bin. Ich nehme meine Waffe vor Schreck hoch, aber sofort wieder runter, da sie keine Gefahr bedeutet.
Aber halt! Warum trägt sie einen Phaser ohne eine Weste? Ihr höhnisches Grinsen lässt mich bereits ahnen, was das soll. Ich drehe mich um und höre sofort das Piepen meiner Weste. Sie leuchtet auf und geht für eine Sekunde aus. Dann startet sie wieder neu und ich renne weg. Was soll der Mist? Sie ist nicht mal im Spiel. Auf dem Display kann ich sehen, wie die Zeit rückwärts läuft und immer weiter verstreicht. Ich stehe noch ganz oben auf der Liste mit den meisten Punkten. Dann piept meine Weste wieder auf. Verdammt, woher kommt der Laser? Wieder und wieder werde ich getroffen, aber hier steht niemand. Und immer wenn ich mich umdrehe, kann ich keinen Laser sehen. Ich laufe weiter, bis ich mich verfranzt habe und in einer Ecke feststecke. Dann sehe ich nach oben. Da steht Cataley über meinem Kopf auf dem Metallgitter und hält unendliche Male den Phaser auf mich. Es ist egal wohin ich laufe, von dort oben, trifft sie mich aus jedem Winkel.
>Hey hör auf. Was soll das? < fluche ich über die anderen Schreie hinweg und sehe sofort zu meinem Punktestand. Es ertönt ein lauter Ton der Gaströte und meine Weste hört gänzlich auf zu leuchten. Um uns herum wird es sofort noch lauter und alle kommen quatschend aus ihren Verstecken und lachen aufgekratzt. Cataley läuft leise die Metalltreppe herunter. Sie hat nicht nur einen Phaser genommen und ihn auf mich gehalten, um mir ein paar Punkte abzuziehen, sondern sie griff auch noch zu einem größeren Modell, das mir fast alle Punkte nahm. Die Waffen, die wir Schüler haben, schenkten uns einen Punkt pro Treffer. Cataleys Phaser hat mir gleich zehn Punkte mit einem Mal genommen. Ich sehe sie so verächtlich an, wie es meine Gesichtsmuskeln nur irgendwie zustande bringen können.
>Du warst unaufmerksam und nun bekommst du was du verdienst. < flüstert sie triumphal.
>Ach ja? Hast du das bei den anderen Anwärtern auch gemacht? < frage ich etwas zu spitz, weshalb ich sofort ihr selbstgefälliges Grinsen einfange. Natürlich hat sie das nicht bei den Anderen gemacht. Sie wirft sich die Waffe über die Schulter und geht pfeifend weg.
Ich kann es einfach nicht fassen. Beinahe meine ganzen Punkte sind weg.
>Cataley warte! < ich laufe hinter ihr her, während sich alle Anderen sicher bereits vor den Hindernissen bei Lukaz eingefunden haben. >Weshalb tust du das? <
>Glaubst du eigentlich, dass dich die Zielpersonen dort draußen mit Samthandschuhen anfassen? Du bist hier, damit wir aus dir eine Jägerin machen. Also hör auf zu jammern. <
Sie zieht arrogant ihre Augenbrauen hoch und geht weg. Ich höre Lukaz rufen, dass auch die restlichen Schüler zu ihm kommen sollen. Schockiert sehe ich meiner Trainerin hinterher und kann nicht glauben, dass sie mir diesen kleinen Erfolg verbaut hat. Mit hängenden Schultern laufe ich fast bis zum anderen Ende der Halle und gelange zu meinen Mitschülern. Die Meisten lachen wegen des spaßigen Spiels oder nehmen sich in den Schwitzkasten, wahrscheinlich weil ihr bester Kumpel sie abgeschossen hat.
>Okay dann machen wir mal die Auswertung. < erklärt Lukaz heiter. >Also ich muss sagen, bei einigen sah das ganz gut aus. Vor allem bei dir Kim. Du hast taktisch klug gehandelt. Das, was ich gesehen habe, war super. < Ich gewinne mir ein leichtes Lächeln ab, das allerdings nur für die Leute ist, die mich jetzt ansehen. >Bei einigen war es offensichtlich mehr Spiel und Spaß. Dem Schützen hinterherzurennen und zu schreien: „Eh wer hat meinen Freund abgeschossen?“, ist ziemlich dämlich. Aber gut kommen wir zum Punktestand. < sagt er grinsend und starrt auf das Display. Er scrollt die Liste herunter und sein Blick wird immer verwirrter und düsterer. Zum Schluss geht er sogar mit seinem Gesicht näher heran, als wenn er seinen Augen nicht traut. >Kim … aber … was? Wo sind deine Punkte? Du warst doch zum Ende ganz vorn. < erwidert er vollkommen verwirrt.
>Tja, da war sie wohl zu überheblich, fühlte sich zu sicher und passte dann nicht mehr auf. < trällert Cataley und stellt sich mit verschränkten Armen neben ihn. Ich hingegen bedecke sie mit einem hasserfüllten Blick. Sie weiß ganz genau wie sehr sie mich in der Hand hat. Sie entscheidet, ob ich aufsteige oder nicht. Dieses Biest gönnt mir rein gar nichts. Ich könnte hundert dieser Spiele gewinnen und sie würde mich immer noch nicht aufrücken lassen. Also was soll dieses ganze Theater hier eigentlich noch?
>Bei dem Punktestand müssten dich über zweihundert Leute gleichzeitig beschossen haben. < erwidert er vollkommen verwirrt. Genaugenommen wurde ich nur mehr als zwanzigmal beschossen. Aber dann sieht er wie ich zu Cataley schaue und seine Stirn glättet sich, als würde ihm ein Licht aufgehen. >Okay Leute. Wir sind fertig für heute. Josh, du bist der Ranghöchste. Hängt die Westen wieder zurück und legt die Phaser in die Kiste. < murmelt er nur noch unverständlich und geht einfach davon. Bis eben schien er noch gute Laune gehabt zu haben. Jetzt offensichtlich nicht mehr.
>Was war denn plötzlich mit dir los? < fragt Ruby und berührt mich am Arm. >Ich verstehe das nicht, denn ich habe es doch auch auf dem Display gesehen, du warst richtig gut. <
>Ich schätze, ich war abgelenkt. < flüstere ich und sehe zu Boden.
Cataley verkündet nur, dass wir uns nach der Pause draußen treffen, wo wir das letzte Mal die Tontauben zerschossen haben. Dann geht sie mit ihrem dramatischen Hüftschwung zur Tür und ich würde ihr so verdammt gern den Hals umdrehen.