Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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03.05.2019
4.366
Kapitel 25 – Der Teufel trägt Boxhandschuhe
Ein neuer Morgen, eine neue Woche und hoffentlich eine neue Stufe zum Ende des Tages.
Vor unserer Zimmertür liegen unsere gewaschenen Klamotten, die wir erst einmal unterscheiden müssen, wem welche Teile gehören. Bei den Hosen ist es kein Problem, denn ich habe die größere Größe bereits am Freitag von Lukaz bekommen und die von Ruby sind deutlich kürzer als meine. Bei den einheitlichen grauen Shirts haben wir allerdings keine Ahnung und teilen sie einfach irgendwie auf.
Ruby holt kurz darauf ihren neuen Stundenplan für die zweite Stufe ab und wir treffen uns schließlich oben in der Mensa, um wenigstens noch gemeinsam zu frühstücken.
Sie wird mir im Unterricht wirklich fehlen.
>Hey schau mal, ich habe ein neues Fach. Das nennt sich Mentaltraining – ich habe es am Freitag. < verkündet Ruby, als sie mich oben antrifft. Ich sehe auf ihren Plan und lese mir die anderen Fächer durch, die gleichgeblieben sind. Kriminalistik hat sie stattdessen nur noch einmal in der Woche anstatt zweimal. Ich erinnere mich daran, dass Sam mal sagte, dass man sich starke Nerven auch antrainieren kann und es gäbe spezielle Schulen für so etwas. Meinte er damit diese Schule und dieses Mentaltraining? Was genau macht man da mit den Schülern? Das Training ist allerdings mit Cataley und meine Neugier verfliegt sofort.
Nach dem Frühstück müssen wir in unsere Klassen. Mir ist vollkommen klar, dass ich nun immer weniger bekannte Gesichter in meiner Truppe habe. Während Ruby auf dieser Etage bleiben kann, muss ich eine nach unten laufen, da dort nun mal der Theorieraum der Erststufigen ist. Selbst der Raum muss mich an diese blöde Tatsache erinnern.
Ich komme alleine dort an und sehe mich um. Hier sind eine ganze Menge leerer Plätze. Ganz vorn ist fast alles frei geworden, da Jeremy und seine Kumpel am Freitag aufgestiegen sind. In meiner hinteren Ecke würde ich ohne Ruby und Cruisi ebenfalls alleine sitzen, also kann ich genauso gut nach vorn gehen und Henry mit dem Laptop helfen, da sein eigentlicher Assistent, nicht mehr da ist.
Ich packe in aller Seelenruhe meine Sachen aus und riskiere ab und zu einen Blick nach hinten. So langsam füllt sich der Raum und ich sehe einige in ziviler Kleidung. Zwei, vier, sechs auf den ersten Blick. Wenn man Cataleys Vermutungen glauben kann, werden es aber noch mehr neue Anwärter.
Oh, wenn man vom Teufel spricht. Da taucht sie zusammen mit Henry, Lukaz und Simon auf und läuft nach vorn. Sie steht nur einen guten Meter neben mir und ignoriert mich, während mir Henry und Lukaz zugrinsen.
>Habe ich etwa einen neuen Helfer? < fragt der Leiter an mich gewandt.
>Sicher, wenn du das willst. Irgendwer muss doch Jeremy ersetzen. < erwidere ich lachend, auch wenn mir nicht nach Lachen ist.
Das Ganze nimmt er gern an und ich starte auf seine Anweisung hin seinen Laptop und stecke die Verbindungen so zusammen, wie er sie braucht. Dann setze ich mich wieder und warte bis die Stunde losgeht.
>Ist hier noch frei? < fragt jemand. Ich sehe seitlich zu einem jungen Mann hoch.
>Klar, setz dich. <
Ungeschickt lässt er sich auf den Stuhl fallen, weil er mit dem Fuß am Stuhlbein hängengeblieben ist. Ein blutiger Anfänger, so wie ich vor exakt 12 Tagen. Dazu muss ich nicht lange raten.
>Hi ich bin Jim. < stellt er sich vor.
>Kim. < gebe ich kurz zurück. Neben ihm nimmt noch ein weiterer Schüler Platz. Offensichtlich sind es dieses Mal wirklich viele. Gut, dass in der vergangenen Woche einige aufgerückt sind, was mir allerdings wieder einen fiesen Stich versetzt.
Der Unterricht beginnt und es gibt für die Neuen die Einleitung und die Vorstellung der Trainer. Normalerweise ist Henry nicht mit dabei, weil es wahrscheinlich zu mühselig ist, mit dem Rollstuhl ständig die Etagen wechseln zu müssen. Da ich jetzt allerdings die erste Stunde mit ihm habe, eröffnet er das Ganze und nicht Cataley.
Er stellt die Trainer vor, erklärt den Ablauf der Schule und wie der Aufstieg entschieden wird. Da wir in der zweiten Stunde Einsatztraining mit Cataley haben, wird sie direkt entscheiden, wie die neuen Schüler künftig aufgeteilt werden. Daraufhin zückt sie einen Zettel und liest die neuen Namen vor, worauf sich jeder der Anwesenden melden soll:
>Patrick James, Jack Williams, Jamie Ford, Stewart Spacey, Colin Willis, Noel Murray, Adrian Stone, Fynn Connor, Jim Grant, Leander Smith, Logan Douglas. <
>Du heißt Jim Grant? < sage ich zu dem Typen neben mir.
>Ehm ja. Wieso? < fragt er irritiert.
Lukaz lacht plötzlich und fällt in unser Gespräch ein:
>Stimmt, das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Kim Grant und Jim Grant sitzen nebeneinander. <
Da Cataley aber nicht für Spaß zu haben ist, sorgt sie schnell wieder für Ruhe.
Wir sind jetzt wieder eine gerade Anzahl von 24 Schülern und es sind mehr Neulinge gekommen als ich dachte – leider wieder keine Frau. Simon hat die Aufgabe, die neuen Schüler zu durchleuchten und ihnen ihre Handys abzunehmen. Zwei von ihnen zicken etwas herum und wollen es kaum rausrücken, aber ein paar drohende Worte unserer Trainerin genügen, um sie ihnen abzuschwatzen.
Ich kann den Aufstand sowieso nicht verstehen, schließlich ist es doch nur bis 15:30 Uhr. Danach können sie die Telefone wieder benutzen.
Nachdem alle ihren Stundenplan bekommen haben, hauen die Trainer bis auf Henry ab. Wie auch schon in meiner ersten Stunde beginnt er nur mit einer ganz kurzen Erklärung des Einstiegs und ansonsten geht er sofort in die Vollen. Für die bereits existierenden Schüler setzt er bei dem Strafprozessrecht dort an, wo wir letzte Woche aufhörten. Die Anderen, die nun neu dazukamen, fangen mittendrin an.
Da ich bald länger in der ersten Stufe bin, als es üblich ist, kann ich mir vorstellen, dass der Lernstoff demnächst wieder von vorn beginnt.
Das Thema der letzten Woche haben wir schnell abgeschlossen und Henry beginnt mit einem Neuen. Mein Blatt ist vollgeschrieben, weshalb ich es in meinem Block umschlage und daraufhin eine Seite weiter meine Kritzeleien vom Wochenende finde.
Ich blättere also noch weiter und da taucht das Gesicht von Sam auf, das ich gezeichnet habe.
Bei dem Anblick muss ich kurz grinsen, aber suche dann schnell nach einer leeren Seite. Ich sehe zu Henry auf, da ich darauf warte, dass er weiterredet.
Oh Gott, nein. Er hat natürlich mein Bild gesehen, worauf er mich breit angrinst. Ich räuspere mich stattdessen und sehe peinlich berührt auf meinen Stift. Bei dem nächsten Thema geht es um die Beobachtung und Untersuchung von Personen.
Er reißt es nur an, da das wieder Polizeiarbeit ist. Aber er nennt uns die verschiedenen Formen der körperlichen Untersuchungen. Es sind genau genommen Zwangsmaßnahmen und mit einem Eingriff in das Grundrecht verbunden. Der Beschuldigte hat zwar keine Pflicht zur aktiven Mitwirkung, aber er muss gewisse Checks dulden, selbst wenn die Maßnahmen zur Untersuchung einen schwereren Eingriff darstellen wie zum Beispiel eine Blutentnahme anstatt „ins Röhrchen zu pusten“ oder das Legen einer Magensonde, anstatt dem Schlucken von Brechmitteln. Wie immer schreibe ich alles mit und finde einige der nächsten Methoden ziemlich krass. Aber wenn es dabei hilft die waren Fieslinge aufzudecken, ist es gerechtfertigt.
Weitere Maßnahmen können auch die Unterbringung des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus sein. So erhält man ein Gutachten über den psychischen Zustand, außerdem die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, molekulargenetischen Untersuchungsergebnissen, sowie die DNA-Analyse.
Jim neben mir scheint einen etwas anderen Unterrichtsstoff erwartet zu haben, denn er kommt bei den gesagten Worten ziemlich ins Schwitzen. Vielleicht dachte er an einen sanfteren Einstieg oder an weniger Paragraphen, die uns Henry nun schon wieder um die Ohren wirft. Ich glaube nicht, dass er sie jemals abfragen wird und sie nur dazu dienen, dass wir sie schon mal gehört haben. Denn grundsätzlich können Bounty Huntern gute 99 % der Paragraphen egal sein.
Auch wenn Henry meine ganze Konzentration in seinen Fächern fordert, war sein Unterricht bisher nie langweilig. Ich helfe ihm hier und da mit seinem Laptop oder seinem Beamer aus, bis wir die ersten neunzig Minuten des Tages bereits geschafft haben. Ich packe mein Zeug zusammen und stehe auf. Aus Gewohnheit will ich warten bis Ruby ihre Sachen zusammengepackt hat, aber da fällt mir ein, dass sie nicht mehr hier ist.
>Hey Kim, kann ich dich kurz was fragen? < Ich drehe mich zu meinem Banknachbarn um, der fragend seinen Stundenplan in den Händen hält. >Wir haben jetzt Einsatzlehre. Wo müssen wir hin? <
>Ins zweite Untergeschoss. Da haben wir alle praktischen Fächer, wenn wir nicht gerade draußen sind. Komm mit, wir gehen zusammen. <
Die Neulinge laufen meinen anderen Mitschülern und mir einfach hinterher. Jim hat ziemlich viele Fragen und will so viel über diese Schule wissen.
>Was machen wir im Fach Einsatzlehre? < will er wissen.
>Wir verprügeln uns, lernen die Festnahmen mithilfe von Gerätschaften oder Grifftechniken, das Jagen, das schnelle Reagieren und eben alles, um später die Flüchtigen zu schnappen. Du musst jetzt gleich von Anfang an zeigen, was du kannst. Cataley wird dich zum Schluss bewerten. <
Er guckt mich etwas verdutzt an, als ich mit ihm in die Halle gehe, aber er grinst einen Moment später dümmlich. Er denkt wohl, ich mache Scherze. Die Neuen bestaunen genauso wie ich an meinem ersten Tag die große Trainingshalle.
Ich gehe zu meinem gewohnten Platz, wo ich mit Ruby häufig geübt habe. Und da sehe ich sie schließlich auch hinter dem Vorhang. Sie winkt mir von weitem zu und kommt dann dahinter hervor.
>Hey, wir haben gleich Selbstverteidigung mit Lukaz. Ich freue mich schon darauf. <
>Cool. Bei uns werden gleich elf Neulinge von Cataley bewertet. Heute lerne ich sicher nichts Neues bei ihr. <
>Man Kim du bist hier fertig. In der Stufe kannst du eh nichts Neues mehr lernen. Hau sie einfach alle um und lass dich nach dem Ende der Stunde zu uns schicken. Du hast mir schon im ersten Block gefehlt. Es wird Zeit, dass wir wieder zusammen sind. Jeremy und die Anderen drücken dir auch die Daumen. <
Daraufhin sehe ich an ihr vorbei zu den aufgestiegenen Schülern. Sie grinsen mich an oder zwinkern mir zu.
Cataley betritt die Halle, worauf mir Ruby nochmal Glück wünscht und auf ihrer Seite des Vorhanges verschwindet.
Ich gehe zurück und schaue mir meine Mitschüler an. Sicher muss ich wieder mit jedem kämpfen, aber ich gehe bewusst zu einem, der in meinen Augen ganz gut kämpft. Dummerweise fällt mir sein Name nicht ein.
>Hey, ist es okay, wenn wir zusammen trainieren? < frage ich ihn.
>Sicher. Meine ganzen Kumpel sind inzwischen auch da drüben. Das nervt, oder? <
>Kannst du laut sagen. < murre ich.
Cataley hat bereits die Zielscheiben aufgestellt und eine Menge Waffen vorn bereitgelegt.
>Dann müssen wir heute alles geben. < flüstert er mir zu. Ich grinse und denke mir dasselbe. Ich habe fast jeden Tag nach der Schule und am Wochenende trainiert wie eine Wahnsinnige. Außerdem habe ich mich sogar mit einem Dealer im Club angelegt, ohne vorher darüber nachzudenken. Wenn ich es heute nicht schaffe, dann weiß ich langsam auch nicht mehr weiter.
Unsere Trainerin kommt mit ihrem verboten gehörten Hüftschwung zu uns, zieht arrogant ihre Augenbrauen hoch und sieht uns alle an, wie ihre kleinen Schäfchen. Ich hasse diesen überheblichen Blick.
>Ich will sehen, wer Vorkenntnisse hat und wer nicht. Zuerst werdet ihr gegeneinander kämpfen, danach schießen. Gibt es Fragen? <
Einer der Neuen meldet sich ganz verschüchtert. Cataley nickt nur, damit er redet.
>Wie genau sollen wir denn kämpfen? < will er wissen.
Daraufhin verdreht Cataley ihre Augen. Die Frage war ihr wohl schon zu viel. Aber als ich hier anfing, hatte ich auch null Ahnung, worauf ich mich hier eingelassen habe. Louis zeigte mir als Erster wie es funktioniert und die Griffe zeigte Cataley erst, nachdem sie uns eingeschätzt hatte.
>Lauft zehn Minuten in der Halle und macht euch warm! Dann legt ihr los. Ich will sehen was ihr könnt. < ruft sie und macht uns Platz.
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Sofort setzen wir uns in Bewegung und nutzen den halben Bereich der Halle voll aus. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man die Kondition am schnellsten trainieren kann. Das kann ich nur bestätigen, die war nach meiner Auszeit der dreitägigen kompletten Bettlägerigkeit und dem darauffolgenden Schonen nämlich ein Desaster. Inzwischen klappt das Joggen wieder ziemlich gut und unser Warm-up ist schnell überstanden.
Danach finden wir uns mit unserem Partner zusammen und sollen zeigen, was wir können.
Die Blicke, die wir uns beiden zuwerfen, sind eindeutig – wir wollen heute gemeinsam weiterkommen.
Im Kopf gehe ich die wichtigsten Dinge vom Wochenende durch: Beidseits abwechselnd schlagen, den Körper nicht so eigenartig verdrehen wie ich es sonst mache, das Gesicht mit der Schulter schützen, die Beinarbeit nicht vergessen und das ganze Körpergewicht in den Schlag legen.
Wie auf Kommando hechten wir beide gleichzeitig aufeinander los. Die restlichen Schüler, die seit Freitag immer noch mit uns in dieser Stufe festhängen, lassen sich ebenfalls nicht lange bitten. Ich denke an Sam's Tipp, immer die Schulter des Gegners im Auge zu behalten, damit ich die nächsten Schläge voraussehen kann. Das klappt so gut, dass mein Partner Probleme hat, einen Treffer zu setzen, weil ich schon zuvor darauf reagiere.
Es ist zwar nicht einfach – das war es nie, aber ich schaffe es doch tatsächlich ihn auf die Matte zu bringen, seine Arme auf den Rücken zu bekommen und ihn somit festzunehmen.
Ich gebe einen erstaunten Lacher von mir selbst ab und höre die „Woohs“ von der anderen Seite. Dort stehen Ruby und ein paar Schüler, die kurz innegehalten haben, um uns zuzuschauen. Auch Lukaz bringt mich zum Grinsen, weil er einen imaginären Hut vor mir zieht. Mein Blick geht zurück. Ja! Cataley hat es gesehen.
>Na schön, dann tauscht mal die Partner. < sagt sie zu uns. Ihr Ton ist wie immer beiläufig aber ich glaube, einen kurzen Moment des Erstaunens in ihrem Blick erkannt zu haben. Ich laufe zum nächsten Gegner und es ist wieder jemand aus meinem Bestand. Seinen Namen kenne ich ebenso wenig. Verdammt, ich hätte mich vielleicht ein bisschen mehr mit den Anderen befassen sollen, als nur mit meinem kleinen Kreis.
Dieser hier ist eine Kategorie schwieriger. Er ist um ein Vielfaches schwerer und kräftiger als ich. Bei ihm brauche ich wohl meinen gesunden Arm und mein gesundes Bein. Cataley geht mit verschränkten Armen in der Runde herum. Mindestens die Hälfte der Neulinge sind blutige Anfänger, so wie ich einer war. Sie haben keine Ahnung was sie tun sollen und sehen sich fragend zu den anderen Kämpfern um.
Ich schaffe es meinen Partner in Schach zu halten und ihn gut abzuwehren, aber mehr erreiche ich bisher nicht. Cataley kommt schließlich zu uns gelaufen, was mich sofort wieder nervös macht. Ich versuche sie einfach auszublenden und will mit ein paar gezielten Schlägen meinen Gegner in die Knie zwingen. Nur leider trifft er mich zuvor mit einem Tritt exakt auf meiner Schussverletzung am Bein. Ich gehe mit schmerzverzerrtem Schrei zu Boden und japse. Als er versucht mich am Boden anzugreifen, rolle ich mich zur Seite. Ich springe gerade rechtzeitig wieder auf und muss mich vor seinem nächsten Schlag ducken. Dadurch haue ich ihm mit meiner Faust in den Magen. Er krümmt sich zusammen und bekommt im Anschluss meinen Ellenbogen auf den Rücken. Er fällt nach vorn um und ich verplempere keine Zeit, greife zu seinen Armen, lege sie auf den Rücken und hätte theoretisch die nächste Zielperson festgenommen.
>Das war genial Kim. < ruft Ruby von ihrer Hallenseite aus.
>Schluss jetzt mit dem Unfug! < zischt Cataley herüber. >Ihr seid doch nicht im Kindergarten. <
Ich steige von meinem Partner runter und helfe ihm schließlich vom Boden auf.
Keuchend hält er sich den Magen.
>Was haben sie denn mit dir gemacht? Letzte Woche Mittwoch habe ich dich noch auseinandergenommen. <
>Ich habe nur ein bisschen trainiert. < erwidere ich süß.
Er geht kopfschüttelnd zum nächsten Schüler, während ich noch einen kurzen Moment verschnaufe.
>Was hat dir an dem Tritt gerade so wehgetan? Das war doch nichts Besonderes. < will Cataley mit gerunzelter Stirn wissen.
>Das war mein Schienbein. Das tat irre weh. < lüge ich.
Sie schaut mich nachdenklich an und blickt dann zu der Menge auf der anderen Seite rüber.
>Mit wem hast du „nur ein bisschen trainiert“? < fragte sie und betont diese letzten Worte, als würde sie mir kein Wort abkaufen.
>Überwiegend mit Ruby und Jeremy, manchmal auch mit Max und zwei Brüdern aus der Dritten. Das freie Training ist erlaubt, ich habe nichts Falsches getan. <
Dass ich vor allem Hilfe von Lukaz bekomme, verkneife ich mir bewusst – obwohl auch das nicht gegen die Regeln ist.
>Na schön. < sagt sie und dreht mir den Rücken zu. War das eben auf eine ganz verquere Weise so etwas wie Anerkennung von ihr? >Hört zu! Das reicht fürs Erste. Im Kämpfen seid ihr Neuen eine Katastrophe, also zeige ich euch die ersten Griffe. Danach übt ihr mit den Anderen zusammen. Ich will nicht sehen, dass zwei Neulinge zusammen trainieren. <
Cataley gibt uns ein paar Erklärungen ab, was wir machen müssen. Danach sind wir auf uns gestellt. Die Schüler, die schon länger hier sind, zeigen den Neuen erstmal nur die Basics der Schläge. Der Erste, den ich hier gelernt habe, war der Hammerschlag. Also mache ich es genauso und zeige Jim wie das Ganze aussehen soll. Ein bisschen eigenartig ist es schon, dass ich einem neuen Schüler zeigen muss, wie man kämpft, obwohl ich doch selbst meine Schwierigkeiten habe. Danach führt Cataley ein paar weitere Schläge vor – selbstverständlich an mir. Sie deutet sie erstmal nur an und zeigt es in Zeitlupe. Die Nächsten sind natürlich purer Ernst, aber ich darf die Schläge wenigstens abwehren und muss mich nicht blind verprügeln lassen.
Mir ist immer unwohl dabei, wenn ich mit ihr zusammen im Mittelpunkt stehe. Sie spielt nicht gerade fair wie ich inzwischen weiß. Zumindest sind es im Moment wirklich nur die Schläge, die sie zeigt und nicht auch noch die Tritte.
Trotz meiner Bedenken kann ich sie zu 80 % gut abwehren. Ich würde immer noch keinen Kampf gegen sie gewinnen, aber ich würde mich auch nicht mehr so leicht von ich fertigmachen lassen. Ab und zu trifft sie mich hart, aber ich bleibe standhaft und sie zwingt mich nicht in die Knie.
Nach den ersten 45 Minuten wechseln wir zu den Waffen. Wir schießen ausschließlich mit Gewehren. Wenn meine Trainerin nicht mit ihrem kritischen Blick umherlaufen würde, dann wäre das wahrscheinlich mein Lieblingsfach. Wir helfen den Neuen beim Laden und Entsichern. Ein Gewehr hat schon so ziemlich jeder von den neuen Schülern in den Händen gehabt, aber die Munition landet weit weg von den Zielscheiben und dafür in der Styroporwand dahinter.
Geschlagene vierzig Minuten verballern wir unsere Geschosse und ich treffe jedes Mal mein Ziel. Mal bin ich exakt in der Mitte des schwarzen Punktes und mal kratze ich ihn nur an. Aber ich bin nie weiter davon entfernt als fünf Zentimeter.
Cataley beendet die Stunde, um noch ein paar Sachen mit uns zu klären.
>Von den Neulingen kann sowohl heute, als auch ganz sicher die komplette Woche keiner aufsteigen. Dass ich so viele Neue bekomme und nicht ein einziger wenigstens ein bisschen Kampferfahrung hat, ist selbst für mich schon eine Premiere. Offenbar will jetzt jeder Rambo spielen, aber dafür habt ihr hier noch einiges zu lernen. Ihr könnt gehen. <
Die Neulinge sehen alle ein bisschen beleidigt aus und überlegen wohl, ob sie sich das gefallen lassen müssen. Am liebsten würde ich ihnen zurufen, dass sie das nicht persönlich nehmen sollen. Langsam teilt sich der Kreis aus Schülern auf und ich sehe meiner Trainerin verwirrt hinterher.
>Ehm … Cataley? < rufe ich ihr nach und laufe ein paar Schritte zu ihr. >Was ist mit den Anderen? <
>Was soll mit denen sein? < fragt sie vollkommen unschuldig.
>Die Anwärter, die fehlerfrei schießen und die Basics im Kämpfen beherrschen, sollten in die andere Stufe. <
Daraufhin grinst sie diebisch und sieht an mir vorbei, in die Runde. Dann schürzt sie die Lippen und sagt:
>Da sehe ich im Moment niemanden. <
Sie lässt mich mit heruntergeklappter Kinnlade stehen und lässt mich somit wieder nicht aufsteigen. Lukaz´ Stufe hat ebenfalls Schluss und kommt auf unsere Seite. An vorderster Front läuft Ruby auf mich zu.
>Hey, du warst richtig gut. Du hattest zwei Festnahmen – zwei richtig gute wohlgemerkt. <
>Es hat trotzdem nichts gebracht. Ich bin immer noch in der ersten Stufe. <
>Was? Ist nicht dein Ernst! < flucht sie. Ruby sieht sich nach Cataley um, die bereits die Waffen wegschließt. Ich halte meine Freundin am Arm zurück, als sie einen Schritt in ihre Richtung macht.
>Lass es Ruby. Es ist okay. <
Jeremy und die anderen Zweitstufigen kommen ebenfalls auf uns zu und sehen wie ich meine Freundin zurückhalte.
>Alles in Ordnung mit euch? < fragt Louis irritiert und sieht zwischen mir und Ruby hin und her.
>Sicher. Gehen wir was essen? < frage ich und laufe bereits mit meiner frustrierten Zimmergenossin voraus. Ich muss sie zwar eher aus der Halle hinausziehen, weil sie immer wieder wütend zu Cataley hinübersieht, aber immerhin geht sie mit mir. Ich ignoriere den fragenden Blick der Männer und vor allem den von Lukaz.
In der Mensa packen wir uns wie immer unsere Tabletts mit den besten Sachen voll. Ich bekomme von allen Seiten gesagt, wie gut ich heute war und die Komplimente bauen mich auf.
Nigel und Ivan sitzen heute nicht an unserem Tisch, sondern an dem, wo die anderen Drittstufigen sind. Das passt mir sehr gut, denn die Beiden würden wohl ständig fragen, weshalb Ruby so missgelaunt ist.
>Gehen wir noch etwas raus? < frage ich meine Zimmergenossin, nachdem wir unsere Hauptmahlzeit samt Nachtisch verschlungen haben.
>Sicher. < murrt sie und räumt ihre Sachen ab. Die Männer kommen ebenfalls mit, da sie wie immer nach dem Essen eine Zigarette rauchen wollen, aber ich wäre gern mit Ruby allein.
Sobald wir draußen sind, ziehe ich sie mit mir und laufe ein Stück mit ihr in den Wald hinein.
Kaum sind wir nicht mehr in Hörweite, platzt sie heraus:
>Wieso schon wieder nicht? <
>Vielleicht haben wir zu viele Neue bekommen. Wenn Cataley jetzt die guten Schüler in die höhere Stufe schickt, dann hat sie keine guten Übungspartner mehr für die Neulinge. Ich war ja schließlich nicht die Einzige, die nicht weiterkam. <
>Du versuchst auch echt immer das Gute im Menschen zu sehen, oder? Diese … diese … hach verdammt, ich habe nicht mal ein Wort für sie, das gemein genug wäre, um sie zu beleidigen. Die ist ungerecht. Weißt du dass selbst Lukaz ab und zu mal rüberschaute und gesagt hat, dass du es heute aber wissen willst. Das ist so unfassbar. <
Ich lege meinen Arm um ihre Schulter, um sie zu beruhigen.
>Mach dir nicht so viele Gedanken. Mir ist eingefallen, dass Jeremy seinen vierten Tag hatte, als du und ich hier angefangen haben. Das heißt, es ist okay, dass ich noch bei den Anfängern bin. Wenn ich es bis zum Ende dieser Woche immer noch nicht geschafft haben sollte, dann sollte ich mir vielleicht wirklich Gedanken machen. <
>Jeremy hatte vorher null Ahnung vom Schießen und außerdem brauchte er am Anfang länger als du, um den ganzen Stoff zu kapieren. Das hat er selbst zu mir gesagt. Und es gibt so gut wie nie einen, der länger als zwei Wochen in der ersten Stufe festhängt. Dazu muss er oder sie schon ziemlich beschränkt sein. Das bist du ja wohl ganz und gar nicht. <
Ich seufze. Natürlich versuche ich mir das irgendwie schönzureden und immer aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Genervt macht sich Ruby eine Zigarette an und bläst den Qualm in die Luft.
>Kann ich auch mal ziehen? < frage ich.
>Ernsthaft? Du rauchst doch gar nicht. < mit großen Augen starrt sie mich an, aber reicht mir dann ihren Glimmstängel.
>Stimmt, aber irgendwie ist mir gerade danach. <
Ich ziehe daran und prompt huste ich mir die Seele aus dem Leib. Ruby lacht und nimmt mir die Zigarette wieder ab.
>Du hast noch nie geraucht, oder? <
>Merkt man das? < frage ich noch hustend.
Eine Weile laufen wir daraufhin schweigend durch den Wald. Das Wetter ist angenehm und ich genieße die körperliche Pause.
>Mal angenommen du hast recht … < beginnt Ruby wieder. >Und sie sieht in dir noch irgendwelche Fehler, durch die sich dich nicht weiterlassen kann, dann ist es trotzdem immer noch nicht gerechtfertigt. Du hättest heute mal den Depp Cruisi sehen müssen. Der ist noch total überfordert in der Stufe. Den hat sie schließlich auch weitergelassen. <
Ich zucke hingegen mit den Achseln. Generell freue ich mich für jeden der aufsteigt, auch wenn ich Ruby beipflichten muss. Er war wohl ein noch größerer Anfänger als ich.
>Ach ist doch jetzt auch egal. Ich kann es sowieso nicht ändern. <
>Aber versprich mir eines, wenn sie wieder solche krummen und unfairen Dinger mit dir dreht, dann sag mir das. Ich lege mich mit ihr an, wenn es sein muss. <
>Das glaube ich dir aufs Wort, aber riskiere mal lieber nicht deine Position. Ich komme schon klar. Wirklich. <
>Das hoffe ich für dich. Du hast jetzt Verhaltenstraining, oder? < fragt Ruby.
>Ja und danach Selbstverteidigung mit Lukaz. Immerhin keine Cataley mehr. <
>Na das ist wenigstens ein Hoffnungsschimmer. Dafür habe ich die Kröte gleich. <
>Halt dich zurück, okay? <
>Ja ja, schon gut. Ich werde sie schon nicht anfeinden. <
Da bin ich mir allerdings nicht so sicher, denn die kleine Ruby kann temperamentvoll sein.
Seufzend laufen wir das Stück durch den Wald wieder zurück und genießen die stimmungsaufhellende Sonne. Vielleicht sollte ich Lukaz mal überreden, das Training nach draußen zu verlagern.
Ein neuer Morgen, eine neue Woche und hoffentlich eine neue Stufe zum Ende des Tages.
Vor unserer Zimmertür liegen unsere gewaschenen Klamotten, die wir erst einmal unterscheiden müssen, wem welche Teile gehören. Bei den Hosen ist es kein Problem, denn ich habe die größere Größe bereits am Freitag von Lukaz bekommen und die von Ruby sind deutlich kürzer als meine. Bei den einheitlichen grauen Shirts haben wir allerdings keine Ahnung und teilen sie einfach irgendwie auf.
Ruby holt kurz darauf ihren neuen Stundenplan für die zweite Stufe ab und wir treffen uns schließlich oben in der Mensa, um wenigstens noch gemeinsam zu frühstücken.
Sie wird mir im Unterricht wirklich fehlen.
>Hey schau mal, ich habe ein neues Fach. Das nennt sich Mentaltraining – ich habe es am Freitag. < verkündet Ruby, als sie mich oben antrifft. Ich sehe auf ihren Plan und lese mir die anderen Fächer durch, die gleichgeblieben sind. Kriminalistik hat sie stattdessen nur noch einmal in der Woche anstatt zweimal. Ich erinnere mich daran, dass Sam mal sagte, dass man sich starke Nerven auch antrainieren kann und es gäbe spezielle Schulen für so etwas. Meinte er damit diese Schule und dieses Mentaltraining? Was genau macht man da mit den Schülern? Das Training ist allerdings mit Cataley und meine Neugier verfliegt sofort.
Nach dem Frühstück müssen wir in unsere Klassen. Mir ist vollkommen klar, dass ich nun immer weniger bekannte Gesichter in meiner Truppe habe. Während Ruby auf dieser Etage bleiben kann, muss ich eine nach unten laufen, da dort nun mal der Theorieraum der Erststufigen ist. Selbst der Raum muss mich an diese blöde Tatsache erinnern.
Ich komme alleine dort an und sehe mich um. Hier sind eine ganze Menge leerer Plätze. Ganz vorn ist fast alles frei geworden, da Jeremy und seine Kumpel am Freitag aufgestiegen sind. In meiner hinteren Ecke würde ich ohne Ruby und Cruisi ebenfalls alleine sitzen, also kann ich genauso gut nach vorn gehen und Henry mit dem Laptop helfen, da sein eigentlicher Assistent, nicht mehr da ist.
Ich packe in aller Seelenruhe meine Sachen aus und riskiere ab und zu einen Blick nach hinten. So langsam füllt sich der Raum und ich sehe einige in ziviler Kleidung. Zwei, vier, sechs auf den ersten Blick. Wenn man Cataleys Vermutungen glauben kann, werden es aber noch mehr neue Anwärter.
Oh, wenn man vom Teufel spricht. Da taucht sie zusammen mit Henry, Lukaz und Simon auf und läuft nach vorn. Sie steht nur einen guten Meter neben mir und ignoriert mich, während mir Henry und Lukaz zugrinsen.
>Habe ich etwa einen neuen Helfer? < fragt der Leiter an mich gewandt.
>Sicher, wenn du das willst. Irgendwer muss doch Jeremy ersetzen. < erwidere ich lachend, auch wenn mir nicht nach Lachen ist.
Das Ganze nimmt er gern an und ich starte auf seine Anweisung hin seinen Laptop und stecke die Verbindungen so zusammen, wie er sie braucht. Dann setze ich mich wieder und warte bis die Stunde losgeht.
>Ist hier noch frei? < fragt jemand. Ich sehe seitlich zu einem jungen Mann hoch.
>Klar, setz dich. <
Ungeschickt lässt er sich auf den Stuhl fallen, weil er mit dem Fuß am Stuhlbein hängengeblieben ist. Ein blutiger Anfänger, so wie ich vor exakt 12 Tagen. Dazu muss ich nicht lange raten.
>Hi ich bin Jim. < stellt er sich vor.
>Kim. < gebe ich kurz zurück. Neben ihm nimmt noch ein weiterer Schüler Platz. Offensichtlich sind es dieses Mal wirklich viele. Gut, dass in der vergangenen Woche einige aufgerückt sind, was mir allerdings wieder einen fiesen Stich versetzt.
Der Unterricht beginnt und es gibt für die Neuen die Einleitung und die Vorstellung der Trainer. Normalerweise ist Henry nicht mit dabei, weil es wahrscheinlich zu mühselig ist, mit dem Rollstuhl ständig die Etagen wechseln zu müssen. Da ich jetzt allerdings die erste Stunde mit ihm habe, eröffnet er das Ganze und nicht Cataley.
Er stellt die Trainer vor, erklärt den Ablauf der Schule und wie der Aufstieg entschieden wird. Da wir in der zweiten Stunde Einsatztraining mit Cataley haben, wird sie direkt entscheiden, wie die neuen Schüler künftig aufgeteilt werden. Daraufhin zückt sie einen Zettel und liest die neuen Namen vor, worauf sich jeder der Anwesenden melden soll:
>Patrick James, Jack Williams, Jamie Ford, Stewart Spacey, Colin Willis, Noel Murray, Adrian Stone, Fynn Connor, Jim Grant, Leander Smith, Logan Douglas. <
>Du heißt Jim Grant? < sage ich zu dem Typen neben mir.
>Ehm ja. Wieso? < fragt er irritiert.
Lukaz lacht plötzlich und fällt in unser Gespräch ein:
>Stimmt, das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Kim Grant und Jim Grant sitzen nebeneinander. <
Da Cataley aber nicht für Spaß zu haben ist, sorgt sie schnell wieder für Ruhe.
Wir sind jetzt wieder eine gerade Anzahl von 24 Schülern und es sind mehr Neulinge gekommen als ich dachte – leider wieder keine Frau. Simon hat die Aufgabe, die neuen Schüler zu durchleuchten und ihnen ihre Handys abzunehmen. Zwei von ihnen zicken etwas herum und wollen es kaum rausrücken, aber ein paar drohende Worte unserer Trainerin genügen, um sie ihnen abzuschwatzen.
Ich kann den Aufstand sowieso nicht verstehen, schließlich ist es doch nur bis 15:30 Uhr. Danach können sie die Telefone wieder benutzen.
Nachdem alle ihren Stundenplan bekommen haben, hauen die Trainer bis auf Henry ab. Wie auch schon in meiner ersten Stunde beginnt er nur mit einer ganz kurzen Erklärung des Einstiegs und ansonsten geht er sofort in die Vollen. Für die bereits existierenden Schüler setzt er bei dem Strafprozessrecht dort an, wo wir letzte Woche aufhörten. Die Anderen, die nun neu dazukamen, fangen mittendrin an.
Da ich bald länger in der ersten Stufe bin, als es üblich ist, kann ich mir vorstellen, dass der Lernstoff demnächst wieder von vorn beginnt.
Das Thema der letzten Woche haben wir schnell abgeschlossen und Henry beginnt mit einem Neuen. Mein Blatt ist vollgeschrieben, weshalb ich es in meinem Block umschlage und daraufhin eine Seite weiter meine Kritzeleien vom Wochenende finde.
Ich blättere also noch weiter und da taucht das Gesicht von Sam auf, das ich gezeichnet habe.
Bei dem Anblick muss ich kurz grinsen, aber suche dann schnell nach einer leeren Seite. Ich sehe zu Henry auf, da ich darauf warte, dass er weiterredet.
Oh Gott, nein. Er hat natürlich mein Bild gesehen, worauf er mich breit angrinst. Ich räuspere mich stattdessen und sehe peinlich berührt auf meinen Stift. Bei dem nächsten Thema geht es um die Beobachtung und Untersuchung von Personen.
Er reißt es nur an, da das wieder Polizeiarbeit ist. Aber er nennt uns die verschiedenen Formen der körperlichen Untersuchungen. Es sind genau genommen Zwangsmaßnahmen und mit einem Eingriff in das Grundrecht verbunden. Der Beschuldigte hat zwar keine Pflicht zur aktiven Mitwirkung, aber er muss gewisse Checks dulden, selbst wenn die Maßnahmen zur Untersuchung einen schwereren Eingriff darstellen wie zum Beispiel eine Blutentnahme anstatt „ins Röhrchen zu pusten“ oder das Legen einer Magensonde, anstatt dem Schlucken von Brechmitteln. Wie immer schreibe ich alles mit und finde einige der nächsten Methoden ziemlich krass. Aber wenn es dabei hilft die waren Fieslinge aufzudecken, ist es gerechtfertigt.
Weitere Maßnahmen können auch die Unterbringung des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus sein. So erhält man ein Gutachten über den psychischen Zustand, außerdem die Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken, molekulargenetischen Untersuchungsergebnissen, sowie die DNA-Analyse.
Jim neben mir scheint einen etwas anderen Unterrichtsstoff erwartet zu haben, denn er kommt bei den gesagten Worten ziemlich ins Schwitzen. Vielleicht dachte er an einen sanfteren Einstieg oder an weniger Paragraphen, die uns Henry nun schon wieder um die Ohren wirft. Ich glaube nicht, dass er sie jemals abfragen wird und sie nur dazu dienen, dass wir sie schon mal gehört haben. Denn grundsätzlich können Bounty Huntern gute 99 % der Paragraphen egal sein.
Auch wenn Henry meine ganze Konzentration in seinen Fächern fordert, war sein Unterricht bisher nie langweilig. Ich helfe ihm hier und da mit seinem Laptop oder seinem Beamer aus, bis wir die ersten neunzig Minuten des Tages bereits geschafft haben. Ich packe mein Zeug zusammen und stehe auf. Aus Gewohnheit will ich warten bis Ruby ihre Sachen zusammengepackt hat, aber da fällt mir ein, dass sie nicht mehr hier ist.
>Hey Kim, kann ich dich kurz was fragen? < Ich drehe mich zu meinem Banknachbarn um, der fragend seinen Stundenplan in den Händen hält. >Wir haben jetzt Einsatzlehre. Wo müssen wir hin? <
>Ins zweite Untergeschoss. Da haben wir alle praktischen Fächer, wenn wir nicht gerade draußen sind. Komm mit, wir gehen zusammen. <
Die Neulinge laufen meinen anderen Mitschülern und mir einfach hinterher. Jim hat ziemlich viele Fragen und will so viel über diese Schule wissen.
>Was machen wir im Fach Einsatzlehre? < will er wissen.
>Wir verprügeln uns, lernen die Festnahmen mithilfe von Gerätschaften oder Grifftechniken, das Jagen, das schnelle Reagieren und eben alles, um später die Flüchtigen zu schnappen. Du musst jetzt gleich von Anfang an zeigen, was du kannst. Cataley wird dich zum Schluss bewerten. <
Er guckt mich etwas verdutzt an, als ich mit ihm in die Halle gehe, aber er grinst einen Moment später dümmlich. Er denkt wohl, ich mache Scherze. Die Neuen bestaunen genauso wie ich an meinem ersten Tag die große Trainingshalle.
Ich gehe zu meinem gewohnten Platz, wo ich mit Ruby häufig geübt habe. Und da sehe ich sie schließlich auch hinter dem Vorhang. Sie winkt mir von weitem zu und kommt dann dahinter hervor.
>Hey, wir haben gleich Selbstverteidigung mit Lukaz. Ich freue mich schon darauf. <
>Cool. Bei uns werden gleich elf Neulinge von Cataley bewertet. Heute lerne ich sicher nichts Neues bei ihr. <
>Man Kim du bist hier fertig. In der Stufe kannst du eh nichts Neues mehr lernen. Hau sie einfach alle um und lass dich nach dem Ende der Stunde zu uns schicken. Du hast mir schon im ersten Block gefehlt. Es wird Zeit, dass wir wieder zusammen sind. Jeremy und die Anderen drücken dir auch die Daumen. <
Daraufhin sehe ich an ihr vorbei zu den aufgestiegenen Schülern. Sie grinsen mich an oder zwinkern mir zu.
Cataley betritt die Halle, worauf mir Ruby nochmal Glück wünscht und auf ihrer Seite des Vorhanges verschwindet.
Ich gehe zurück und schaue mir meine Mitschüler an. Sicher muss ich wieder mit jedem kämpfen, aber ich gehe bewusst zu einem, der in meinen Augen ganz gut kämpft. Dummerweise fällt mir sein Name nicht ein.
>Hey, ist es okay, wenn wir zusammen trainieren? < frage ich ihn.
>Sicher. Meine ganzen Kumpel sind inzwischen auch da drüben. Das nervt, oder? <
>Kannst du laut sagen. < murre ich.
Cataley hat bereits die Zielscheiben aufgestellt und eine Menge Waffen vorn bereitgelegt.
>Dann müssen wir heute alles geben. < flüstert er mir zu. Ich grinse und denke mir dasselbe. Ich habe fast jeden Tag nach der Schule und am Wochenende trainiert wie eine Wahnsinnige. Außerdem habe ich mich sogar mit einem Dealer im Club angelegt, ohne vorher darüber nachzudenken. Wenn ich es heute nicht schaffe, dann weiß ich langsam auch nicht mehr weiter.
Unsere Trainerin kommt mit ihrem verboten gehörten Hüftschwung zu uns, zieht arrogant ihre Augenbrauen hoch und sieht uns alle an, wie ihre kleinen Schäfchen. Ich hasse diesen überheblichen Blick.
>Ich will sehen, wer Vorkenntnisse hat und wer nicht. Zuerst werdet ihr gegeneinander kämpfen, danach schießen. Gibt es Fragen? <
Einer der Neuen meldet sich ganz verschüchtert. Cataley nickt nur, damit er redet.
>Wie genau sollen wir denn kämpfen? < will er wissen.
Daraufhin verdreht Cataley ihre Augen. Die Frage war ihr wohl schon zu viel. Aber als ich hier anfing, hatte ich auch null Ahnung, worauf ich mich hier eingelassen habe. Louis zeigte mir als Erster wie es funktioniert und die Griffe zeigte Cataley erst, nachdem sie uns eingeschätzt hatte.
>Lauft zehn Minuten in der Halle und macht euch warm! Dann legt ihr los. Ich will sehen was ihr könnt. < ruft sie und macht uns Platz.
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Sofort setzen wir uns in Bewegung und nutzen den halben Bereich der Halle voll aus. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man die Kondition am schnellsten trainieren kann. Das kann ich nur bestätigen, die war nach meiner Auszeit der dreitägigen kompletten Bettlägerigkeit und dem darauffolgenden Schonen nämlich ein Desaster. Inzwischen klappt das Joggen wieder ziemlich gut und unser Warm-up ist schnell überstanden.
Danach finden wir uns mit unserem Partner zusammen und sollen zeigen, was wir können.
Die Blicke, die wir uns beiden zuwerfen, sind eindeutig – wir wollen heute gemeinsam weiterkommen.
Im Kopf gehe ich die wichtigsten Dinge vom Wochenende durch: Beidseits abwechselnd schlagen, den Körper nicht so eigenartig verdrehen wie ich es sonst mache, das Gesicht mit der Schulter schützen, die Beinarbeit nicht vergessen und das ganze Körpergewicht in den Schlag legen.
Wie auf Kommando hechten wir beide gleichzeitig aufeinander los. Die restlichen Schüler, die seit Freitag immer noch mit uns in dieser Stufe festhängen, lassen sich ebenfalls nicht lange bitten. Ich denke an Sam's Tipp, immer die Schulter des Gegners im Auge zu behalten, damit ich die nächsten Schläge voraussehen kann. Das klappt so gut, dass mein Partner Probleme hat, einen Treffer zu setzen, weil ich schon zuvor darauf reagiere.
Es ist zwar nicht einfach – das war es nie, aber ich schaffe es doch tatsächlich ihn auf die Matte zu bringen, seine Arme auf den Rücken zu bekommen und ihn somit festzunehmen.
Ich gebe einen erstaunten Lacher von mir selbst ab und höre die „Woohs“ von der anderen Seite. Dort stehen Ruby und ein paar Schüler, die kurz innegehalten haben, um uns zuzuschauen. Auch Lukaz bringt mich zum Grinsen, weil er einen imaginären Hut vor mir zieht. Mein Blick geht zurück. Ja! Cataley hat es gesehen.
>Na schön, dann tauscht mal die Partner. < sagt sie zu uns. Ihr Ton ist wie immer beiläufig aber ich glaube, einen kurzen Moment des Erstaunens in ihrem Blick erkannt zu haben. Ich laufe zum nächsten Gegner und es ist wieder jemand aus meinem Bestand. Seinen Namen kenne ich ebenso wenig. Verdammt, ich hätte mich vielleicht ein bisschen mehr mit den Anderen befassen sollen, als nur mit meinem kleinen Kreis.
Dieser hier ist eine Kategorie schwieriger. Er ist um ein Vielfaches schwerer und kräftiger als ich. Bei ihm brauche ich wohl meinen gesunden Arm und mein gesundes Bein. Cataley geht mit verschränkten Armen in der Runde herum. Mindestens die Hälfte der Neulinge sind blutige Anfänger, so wie ich einer war. Sie haben keine Ahnung was sie tun sollen und sehen sich fragend zu den anderen Kämpfern um.
Ich schaffe es meinen Partner in Schach zu halten und ihn gut abzuwehren, aber mehr erreiche ich bisher nicht. Cataley kommt schließlich zu uns gelaufen, was mich sofort wieder nervös macht. Ich versuche sie einfach auszublenden und will mit ein paar gezielten Schlägen meinen Gegner in die Knie zwingen. Nur leider trifft er mich zuvor mit einem Tritt exakt auf meiner Schussverletzung am Bein. Ich gehe mit schmerzverzerrtem Schrei zu Boden und japse. Als er versucht mich am Boden anzugreifen, rolle ich mich zur Seite. Ich springe gerade rechtzeitig wieder auf und muss mich vor seinem nächsten Schlag ducken. Dadurch haue ich ihm mit meiner Faust in den Magen. Er krümmt sich zusammen und bekommt im Anschluss meinen Ellenbogen auf den Rücken. Er fällt nach vorn um und ich verplempere keine Zeit, greife zu seinen Armen, lege sie auf den Rücken und hätte theoretisch die nächste Zielperson festgenommen.
>Das war genial Kim. < ruft Ruby von ihrer Hallenseite aus.
>Schluss jetzt mit dem Unfug! < zischt Cataley herüber. >Ihr seid doch nicht im Kindergarten. <
Ich steige von meinem Partner runter und helfe ihm schließlich vom Boden auf.
Keuchend hält er sich den Magen.
>Was haben sie denn mit dir gemacht? Letzte Woche Mittwoch habe ich dich noch auseinandergenommen. <
>Ich habe nur ein bisschen trainiert. < erwidere ich süß.
Er geht kopfschüttelnd zum nächsten Schüler, während ich noch einen kurzen Moment verschnaufe.
>Was hat dir an dem Tritt gerade so wehgetan? Das war doch nichts Besonderes. < will Cataley mit gerunzelter Stirn wissen.
>Das war mein Schienbein. Das tat irre weh. < lüge ich.
Sie schaut mich nachdenklich an und blickt dann zu der Menge auf der anderen Seite rüber.
>Mit wem hast du „nur ein bisschen trainiert“? < fragte sie und betont diese letzten Worte, als würde sie mir kein Wort abkaufen.
>Überwiegend mit Ruby und Jeremy, manchmal auch mit Max und zwei Brüdern aus der Dritten. Das freie Training ist erlaubt, ich habe nichts Falsches getan. <
Dass ich vor allem Hilfe von Lukaz bekomme, verkneife ich mir bewusst – obwohl auch das nicht gegen die Regeln ist.
>Na schön. < sagt sie und dreht mir den Rücken zu. War das eben auf eine ganz verquere Weise so etwas wie Anerkennung von ihr? >Hört zu! Das reicht fürs Erste. Im Kämpfen seid ihr Neuen eine Katastrophe, also zeige ich euch die ersten Griffe. Danach übt ihr mit den Anderen zusammen. Ich will nicht sehen, dass zwei Neulinge zusammen trainieren. <
Cataley gibt uns ein paar Erklärungen ab, was wir machen müssen. Danach sind wir auf uns gestellt. Die Schüler, die schon länger hier sind, zeigen den Neuen erstmal nur die Basics der Schläge. Der Erste, den ich hier gelernt habe, war der Hammerschlag. Also mache ich es genauso und zeige Jim wie das Ganze aussehen soll. Ein bisschen eigenartig ist es schon, dass ich einem neuen Schüler zeigen muss, wie man kämpft, obwohl ich doch selbst meine Schwierigkeiten habe. Danach führt Cataley ein paar weitere Schläge vor – selbstverständlich an mir. Sie deutet sie erstmal nur an und zeigt es in Zeitlupe. Die Nächsten sind natürlich purer Ernst, aber ich darf die Schläge wenigstens abwehren und muss mich nicht blind verprügeln lassen.
Mir ist immer unwohl dabei, wenn ich mit ihr zusammen im Mittelpunkt stehe. Sie spielt nicht gerade fair wie ich inzwischen weiß. Zumindest sind es im Moment wirklich nur die Schläge, die sie zeigt und nicht auch noch die Tritte.
Trotz meiner Bedenken kann ich sie zu 80 % gut abwehren. Ich würde immer noch keinen Kampf gegen sie gewinnen, aber ich würde mich auch nicht mehr so leicht von ich fertigmachen lassen. Ab und zu trifft sie mich hart, aber ich bleibe standhaft und sie zwingt mich nicht in die Knie.
Nach den ersten 45 Minuten wechseln wir zu den Waffen. Wir schießen ausschließlich mit Gewehren. Wenn meine Trainerin nicht mit ihrem kritischen Blick umherlaufen würde, dann wäre das wahrscheinlich mein Lieblingsfach. Wir helfen den Neuen beim Laden und Entsichern. Ein Gewehr hat schon so ziemlich jeder von den neuen Schülern in den Händen gehabt, aber die Munition landet weit weg von den Zielscheiben und dafür in der Styroporwand dahinter.
Geschlagene vierzig Minuten verballern wir unsere Geschosse und ich treffe jedes Mal mein Ziel. Mal bin ich exakt in der Mitte des schwarzen Punktes und mal kratze ich ihn nur an. Aber ich bin nie weiter davon entfernt als fünf Zentimeter.
Cataley beendet die Stunde, um noch ein paar Sachen mit uns zu klären.
>Von den Neulingen kann sowohl heute, als auch ganz sicher die komplette Woche keiner aufsteigen. Dass ich so viele Neue bekomme und nicht ein einziger wenigstens ein bisschen Kampferfahrung hat, ist selbst für mich schon eine Premiere. Offenbar will jetzt jeder Rambo spielen, aber dafür habt ihr hier noch einiges zu lernen. Ihr könnt gehen. <
Die Neulinge sehen alle ein bisschen beleidigt aus und überlegen wohl, ob sie sich das gefallen lassen müssen. Am liebsten würde ich ihnen zurufen, dass sie das nicht persönlich nehmen sollen. Langsam teilt sich der Kreis aus Schülern auf und ich sehe meiner Trainerin verwirrt hinterher.
>Ehm … Cataley? < rufe ich ihr nach und laufe ein paar Schritte zu ihr. >Was ist mit den Anderen? <
>Was soll mit denen sein? < fragt sie vollkommen unschuldig.
>Die Anwärter, die fehlerfrei schießen und die Basics im Kämpfen beherrschen, sollten in die andere Stufe. <
Daraufhin grinst sie diebisch und sieht an mir vorbei, in die Runde. Dann schürzt sie die Lippen und sagt:
>Da sehe ich im Moment niemanden. <
Sie lässt mich mit heruntergeklappter Kinnlade stehen und lässt mich somit wieder nicht aufsteigen. Lukaz´ Stufe hat ebenfalls Schluss und kommt auf unsere Seite. An vorderster Front läuft Ruby auf mich zu.
>Hey, du warst richtig gut. Du hattest zwei Festnahmen – zwei richtig gute wohlgemerkt. <
>Es hat trotzdem nichts gebracht. Ich bin immer noch in der ersten Stufe. <
>Was? Ist nicht dein Ernst! < flucht sie. Ruby sieht sich nach Cataley um, die bereits die Waffen wegschließt. Ich halte meine Freundin am Arm zurück, als sie einen Schritt in ihre Richtung macht.
>Lass es Ruby. Es ist okay. <
Jeremy und die anderen Zweitstufigen kommen ebenfalls auf uns zu und sehen wie ich meine Freundin zurückhalte.
>Alles in Ordnung mit euch? < fragt Louis irritiert und sieht zwischen mir und Ruby hin und her.
>Sicher. Gehen wir was essen? < frage ich und laufe bereits mit meiner frustrierten Zimmergenossin voraus. Ich muss sie zwar eher aus der Halle hinausziehen, weil sie immer wieder wütend zu Cataley hinübersieht, aber immerhin geht sie mit mir. Ich ignoriere den fragenden Blick der Männer und vor allem den von Lukaz.
In der Mensa packen wir uns wie immer unsere Tabletts mit den besten Sachen voll. Ich bekomme von allen Seiten gesagt, wie gut ich heute war und die Komplimente bauen mich auf.
Nigel und Ivan sitzen heute nicht an unserem Tisch, sondern an dem, wo die anderen Drittstufigen sind. Das passt mir sehr gut, denn die Beiden würden wohl ständig fragen, weshalb Ruby so missgelaunt ist.
>Gehen wir noch etwas raus? < frage ich meine Zimmergenossin, nachdem wir unsere Hauptmahlzeit samt Nachtisch verschlungen haben.
>Sicher. < murrt sie und räumt ihre Sachen ab. Die Männer kommen ebenfalls mit, da sie wie immer nach dem Essen eine Zigarette rauchen wollen, aber ich wäre gern mit Ruby allein.
Sobald wir draußen sind, ziehe ich sie mit mir und laufe ein Stück mit ihr in den Wald hinein.
Kaum sind wir nicht mehr in Hörweite, platzt sie heraus:
>Wieso schon wieder nicht? <
>Vielleicht haben wir zu viele Neue bekommen. Wenn Cataley jetzt die guten Schüler in die höhere Stufe schickt, dann hat sie keine guten Übungspartner mehr für die Neulinge. Ich war ja schließlich nicht die Einzige, die nicht weiterkam. <
>Du versuchst auch echt immer das Gute im Menschen zu sehen, oder? Diese … diese … hach verdammt, ich habe nicht mal ein Wort für sie, das gemein genug wäre, um sie zu beleidigen. Die ist ungerecht. Weißt du dass selbst Lukaz ab und zu mal rüberschaute und gesagt hat, dass du es heute aber wissen willst. Das ist so unfassbar. <
Ich lege meinen Arm um ihre Schulter, um sie zu beruhigen.
>Mach dir nicht so viele Gedanken. Mir ist eingefallen, dass Jeremy seinen vierten Tag hatte, als du und ich hier angefangen haben. Das heißt, es ist okay, dass ich noch bei den Anfängern bin. Wenn ich es bis zum Ende dieser Woche immer noch nicht geschafft haben sollte, dann sollte ich mir vielleicht wirklich Gedanken machen. <
>Jeremy hatte vorher null Ahnung vom Schießen und außerdem brauchte er am Anfang länger als du, um den ganzen Stoff zu kapieren. Das hat er selbst zu mir gesagt. Und es gibt so gut wie nie einen, der länger als zwei Wochen in der ersten Stufe festhängt. Dazu muss er oder sie schon ziemlich beschränkt sein. Das bist du ja wohl ganz und gar nicht. <
Ich seufze. Natürlich versuche ich mir das irgendwie schönzureden und immer aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Genervt macht sich Ruby eine Zigarette an und bläst den Qualm in die Luft.
>Kann ich auch mal ziehen? < frage ich.
>Ernsthaft? Du rauchst doch gar nicht. < mit großen Augen starrt sie mich an, aber reicht mir dann ihren Glimmstängel.
>Stimmt, aber irgendwie ist mir gerade danach. <
Ich ziehe daran und prompt huste ich mir die Seele aus dem Leib. Ruby lacht und nimmt mir die Zigarette wieder ab.
>Du hast noch nie geraucht, oder? <
>Merkt man das? < frage ich noch hustend.
Eine Weile laufen wir daraufhin schweigend durch den Wald. Das Wetter ist angenehm und ich genieße die körperliche Pause.
>Mal angenommen du hast recht … < beginnt Ruby wieder. >Und sie sieht in dir noch irgendwelche Fehler, durch die sich dich nicht weiterlassen kann, dann ist es trotzdem immer noch nicht gerechtfertigt. Du hättest heute mal den Depp Cruisi sehen müssen. Der ist noch total überfordert in der Stufe. Den hat sie schließlich auch weitergelassen. <
Ich zucke hingegen mit den Achseln. Generell freue ich mich für jeden der aufsteigt, auch wenn ich Ruby beipflichten muss. Er war wohl ein noch größerer Anfänger als ich.
>Ach ist doch jetzt auch egal. Ich kann es sowieso nicht ändern. <
>Aber versprich mir eines, wenn sie wieder solche krummen und unfairen Dinger mit dir dreht, dann sag mir das. Ich lege mich mit ihr an, wenn es sein muss. <
>Das glaube ich dir aufs Wort, aber riskiere mal lieber nicht deine Position. Ich komme schon klar. Wirklich. <
>Das hoffe ich für dich. Du hast jetzt Verhaltenstraining, oder? < fragt Ruby.
>Ja und danach Selbstverteidigung mit Lukaz. Immerhin keine Cataley mehr. <
>Na das ist wenigstens ein Hoffnungsschimmer. Dafür habe ich die Kröte gleich. <
>Halt dich zurück, okay? <
>Ja ja, schon gut. Ich werde sie schon nicht anfeinden. <
Da bin ich mir allerdings nicht so sicher, denn die kleine Ruby kann temperamentvoll sein.
Seufzend laufen wir das Stück durch den Wald wieder zurück und genießen die stimmungsaufhellende Sonne. Vielleicht sollte ich Lukaz mal überreden, das Training nach draußen zu verlagern.