Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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30.03.2018
2.855
Kapitel 06 - Überwachung
Ich sitze wieder zusammen mit meiner Freundin im Auto und bin ihr unheimlich dankbar, weil sie mich heute nicht zu Hause hat sitzen lassen. Mit meiner Mutter allein zu Hause glaube ich, dass ich auf weniger gute Gedanken gekommen wäre.
>Ich würde echt gern noch einen mit dir trinken gehen. < wirft Meg ein.
>Das vertagen wir. Aber wir machen es demnächst, versprochen. < erwidere ich matt.
>Erstmal kommt sowieso noch der Freitag. <
>Ich freue mich schon darauf. < strahle ich sie an und stelle mir bereits vor, wie toll dieser Abend werden wird.
Begeistert nickt mir meine Freundin zu und startet dann den Motor, damit sie mich nach Hause bringen kann.
Wir wohnen nur ein paar Autominuten voneinander entfernt und sobald sie kurz vor der Einfahrt des Waldes ist, tut mir Megan wieder richtig leid.
>Du kannst mich hier rauslassen. Ich weiß doch wie du es hasst, hier hindurchfahren zu müssen. Den Rest kann ich auch laufen. < schlage ich bei diesem Geschaukel vor.
>Ach was. So wird mein kleines Schätzchen mal gefordert. < widerspricht sie und streichelt über ihr Lenkrad. >Trotzdem hätte ich echt gern einen Pick-up. <
Insgeheim flucht sie wahrscheinlich trotzdem wegen der Buckelpiste. Wir fahren durch tiefe Pfützen, die sie weitestgehend nicht umfahren kann. Der Matsch spritzt ihr dadurch fast bis hoch an die Scheibe. Hier versickert das Wasser nicht so gut und deshalb sieht ihr roter Ford jedes Mal graubraun aus, wenn sie bei mir war.
Plötzlich legt sie eine Vollbremsung ein, die uns beide keuchend in die Gurte wirft.
>Oh Gott hast du das gesehen? Verdammt war das groß. < japst Megan und greift sich an die Brust.
>Sei froh, dass es nur ein kleines Reh und kein ausgewachsenes Wildschwein war. Da kann einem manchmal echt mulmig werden. <
>An deiner Stelle würde ich hier sowieso nicht so oft herumlaufen. Was ist, wenn die Viecher dich mal angreifen? <
>Naja zum einen sieht man ihnen das vorher an und dann sollte man schnell auf einen Baum klettern. <
Kopfschüttelnd legt Megan den ersten Gang ein und fährt weiter bis zu meiner Haustür. Ich sehe zum Küchenfenster, wo meine Mutter die Gardine zur Seite schiebt und Meg zuwinkt. Meine Freundin grinst und winkt zurück.
>Also dann. Wünsch´ mir Glück für Donnerstag. <
>Na klar, mache ich. Das machst du mit links. < spreche ich ihr Mut zu und umarme sie. >Danke nochmal für das Oberteil. <
>Ja ja schon gut. < winkt sie grinsend ab.
>Wir sehen uns Freitag. <
Daraufhin küssen wir uns auf die Wange und ich steige aus. Beim Zuwerfen ihrer Tür gehe ich einen Schritt weg und warte noch bis sie gewendet hat. Ihr roter Flitzer sieht wirklich dreckig aus und wie ich sie kenne, wird sie auf direktem Weg in die Waschstraße fahren.
Erschöpft aber fröhlich zugleich, laufe ich zur Tür und klopfe nur einmal kurz. Meine Mutter öffnet mir bereits und läuft schon wieder in Richtung Wohnzimmer.
Die Tasche und die Tüte stelle ich auf dem Boden ab, damit ich die Arme frei habe und meine Jacke aufhängen kann.
>Und wie war es? < ruft meine Mutter mir von weitem zu.
Damit ich nicht durch das halbe Haus rufen muss, schaue ich erst wo sie ist.
Iye blickt von seinem Puzzle auf und grinst mich schief an, während meine Mutter die Arbeitsplatte der Küche abwischt.
>Es war schön. Allerdings auch anstrengend. Irgendwie hat Megan echt viel Ausdauer und könnte stundenlang etwas Neues in der Kabine anprobieren. Ich hätte schon nach dem zehnten Teil keine Lust mehr. <
Ich küsse meinen Bruder auf die Stirn und setze mich zu ihm an den Tisch, um seiner Beschäftigung zuzuschauen. Er hat schon fast den Rand seines Dinosaurierpuzzles fertig und ein paar einzelne Teile zusammengefügt.
>Naja bei eurer Figur würde ich wahrscheinlich auch ewig alles anprobieren wollen. <
>Was redest du denn da? < feixe ich. >Du siehst toll aus Mum. <
>Du weißt nicht wie ich in deinem Alter ausgesehen habe. Da rannten mir die Männer massenhaft hinterher. Nur dass es zu meiner Zeit verpönt war, sich mit so vielen zu treffen. Hach … manchmal wäre ich gern nochmal 21 Jahre alt. <
>Wünsche dir das lieber nicht. Das ist auch nicht gerade ein Zuckerschlecken. <
>Aber nur, weil ihr heute alle studieren müsst. <
Tja wo sie recht hat. Aber anderseits habe ich das gewollt und keinen Grund mich darüber zu beschweren. Meine Mum wollte damals lieber, dass ich gleich arbeiten gehe, aber mein Dad hat sie davon überzeugt, dass ich das tun sollte, was ich will.
>Hast du das Mehl bekommen? < will sie wissen.
>Ach ja. Die Tüte steht noch in der Diele. Eine Milchpackung habe ich auch noch für Iyes Cornflakes mitgebracht. <
Kaum habe ich das gesagt, da ist sie schon auf dem Weg und holt sie sich selbst.
>Wie war die Schule bei dir? < frage ich meinen Bruder.
>So wie immer. < murmelt er und versucht zwei ungleiche Teile wieder auseinanderzudrücken.
>Nayeli? < ruft eine nicht erfreute Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe wie meine Mutter schockiert die Tüte in der einen und mein neues Oberteil in der anderen Hand hält. >Von welchem Geld hast du das bezahlt? Das kostet 25 $. <
>Reg´ dich nicht auf. Megan hat es mir zum Abschluss geschenkt. <
Sie presst die Lippen zusammen und schaut mich nicht mehr ganz so ernst an.
Ich schnappe mir einfach eine Handvoll Puzzleteile und drehe sie alle auf die bedruckte Fläche herum.
>Das ist sehr hübsch. < sagt sie und versucht offenbar Konversation zu machen, nachdem sie sich so aufgeregt hat.
>Hmm. < ist alles, was ich darauf sagen kann. Normalerweise ist sie nicht so schnell ungehalten und ich mag das ganz und gar nicht, wenn sie so ist.
>Warst du wieder im Taj Mahal? Du riechst voll komisch. < fragt mein Bruder und hält sich die Nase zu.
>Ja ich war mit Megan noch da. So schlimm? < spiele ich gekränkt. Allerdings muss man sich nach einem Besuch im Restaurant tatsächlich gleich unter die Dusche stellen. So sehr wie ich die Gewürze und all das mag, so sitzen die Gerüche leider immer in den Haaren und in den Klamotten fest.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine Mutter das Oberteil zurück in die Tüte legt und das Mehl zusammen mit der Milch auf der Arbeitsplatte abstellt.
Ich habe ein bisschen was vom Himmel zusammengepuzzelt und stehe dann auf, um den Teig für die Pizza zu machen. Immerhin habe ich versprochen, dass ich heute mal wieder mit der Zubereitung dran bin.
Nachdem ich den Teig vermengt und durchgeknetet habe, lasse ich ihn in der Schüssel und lege ein Tuch darüber, damit er noch etwas aufgehen kann. Als ich dann wieder zu meinem Bruder schaue, sage ich:
>Hey super, du bist ja schon viel weiter. <
>Das ist aber voll schwer. <
>500 Teile sind ja auch schon etwas mehr als die, die du sonst hast. Und dann sehen die Wasser- und Himmelteile auch noch fast gleich aus. <
Als er irgendwann keine Lust mehr hat, helfe ich ihm die einzelnen gepuzzelten Bereiche in die Verpackung zu legen, damit er ein anderes Mal weitermachen kann.
>Sind deine Hausaufgaben fertig? <
>Ja. < sagt er genervt. Ich glaube, manchmal höre ich mich wirklich an wie seine Mutter. Nachdem ich ihn dann auch noch nach oben zum Duschen schicke, komme ich mir auch noch so vor.
In der Zeit mache ich den Teig fertig und rolle ihn großzügig aus. Mein Blick geht aus dem Küchenfenster. Da draußen braut sich schon wieder etwas zusammen und es wird ziemlich dunkel. Zugegeben, wir wohnen mitten im Wald zwischen all den Bäumen, also ist es meistens ohne Licht sehr düster hier drin. Aber jetzt sehe ich, wie sich über dem Lake die dunklen Wolken mischen und es aussieht, wie der Weltuntergang. Zum Glück war ich mit Megan am Vormittag unterwegs.
Ich mache ein großes Blech mit dem Teig voll, steche mehrfach kleine Löcher mit einer Gabel hinein und fange dann an, die Pizza zu belegen. Mein Vater hätte sicher mehr Lust auf einen Eintopf oder einem Auflauf, aber dafür reicht das, was wir im Kühlschrank haben nicht mehr. Also muss es Pizza Hawaii werden. Ich schiebe das belegte Backblech in den Ofen und stelle eine Eieruhr.
Auf einem Stuhl liegt immer noch die Tüte mit dem Inhalt aus der Shoppingmall. Ich will sie in mein Zimmer bringen und laufe die Treppe hoch.
Ich überlege, dass am Sonntag der Monatsanfang war und mein Dad hätte am nächsten Tag seinen Gehaltsscheck bekommen müssen. Es kam sogar schon manchmal vor, dass er sein Geld ein oder zwei Tage früher bekommen hatte.
Ich hoffe, dass er es heute endlich bekommen hat.
Oben angekommen will ich in mein Zimmer laufen, aber dabei sehe ich durch die offene Tür ins Schafzimmer meiner Eltern.
Vor dem Wäscheständer steht meine Mutter und legt unsere Kleidung zusammen. Kommentarlos will ich eigentlich in mein Zimmer verschwinden aber die Chance habe ich leider nicht.
>Kommst du mal bitte? < ruft sie. Unwillkürlich verdrehe ich die Augen, denn eigentlich will ich das ganz und gar nicht. Trotzdem stampfe ich widerwillig in ihr Zimmer und lehne mich gegen den Türrahmen. >Ich weiß, ich bin gerade nicht sehr einfach. Es ist nur alles so schwierig im Moment und ich würde so gerne wieder arbeiten gehen. Aber da ich einfach nichts finde, kann ich nichts tun, um das Problem weniger schlimm zu machen. <
>Ich bin kein kleines Mädchen mehr und verstehe unsere Situation. Glaubst du wirklich, ich würde so viel Geld ausgeben, wenn ich weiß, dass ich es eigentlich gar nicht habe? Darum geht es doch gerade, oder? <
>Nein, natürlich glaube ich das nicht und ich weiß doch, dass du vernünftig bist. Ich habe einfach überreagiert, weil es im Augenblick nicht leicht ist. Mir ist nicht klar, wie lange das schon so geht, dass sich dein Vater Geld leiht. Er redet mit mir nicht darüber – Sonntagabend versicherte er mir allerdings, dass wir uns keine Sorgen machen sollen. Wir haben noch Zeit und bald ist das Problem vom Tisch. Ich möchte nur, dass du dir das ebenfalls aus deinem Kopf schlägst. Du hast damit nichts zu tun. <
Natürlich habe ich etwas damit zu tun. Mein Studium war trotz Stipendium zu teuer für meine Eltern. Auch wenn das jetzt egoistisch klingt, bin ich trotzdem froh, es erst jetzt erfahren zu haben, sonst hätte ich wahrscheinlich frühzeitig alles abgebrochen. Trotzdem nicke ich auf die Worte meiner Mutter hin.
Ich laufe in mein Zimmer und mache das Preisschild von dem überteuerten Oberteil ab. Über meinem Schreibtisch pinne ich die neue Postkarte an meine Fotowand und lese sie mir noch einmal durch.
Mein Zeugnis liegt immer noch herum, weshalb ich es sicher in eine Klarsichtfolie packe und dann in einen kleinen Ordner hefte, den ich in meiner Umhängetasche verstaue. Für den Fall, dass ich mir morgen bei dem zweiten Jobgespräch ein paar Notizen machen muss, lasse ich Block und Kugelschreiber einfach in der Tasche. Das neue Oberteil würde ich dort gerne tragen, weswegen ich direkt eine Waschmaschine mit bunter Kleidung fertigmache.
Ich höre wie die Eieruhr schrill im Erdgeschoss klingelt und laufe runter um den Ofen auszuschalten. Das Blech lasse ich allerdings noch drin, damit die Pizza nicht kalt wird. Mein Vater arbeitet heute scheinbar länger – leider bringt ihm das finanziell nichts, da Überstunden nicht ausgezahlt werden. Er bekommt nur einen etwas höheren Stundenlohn, wenn er am Wochenende arbeitet. Das ist aber viel zu selten.
Von oben höre ich die Tür knallen und Iye herumpoltern. Ich muss mich dazu zwingen, nicht schon wieder hochzugehen um zu schauen, ob er sich inzwischen angezogen hat. Ich decke den Tisch und räume die Küche etwas auf, bis meine Mutter schließlich herunterkommt.
>Wo bleibt Dad so lange? < frage ich.
Automatisch schaut sie erst zur Wanduhr und antwortet dann:
>Vielleicht ist zu viel Verkehr auf den Straßen. <
Schulterzuckend räumt sie die Schultasche meines Bruders aus dem Weg und setzt sich dann seufzend auf das Sofa, um die Nachrichten zu sehen. Skeptisch sehe ich aus dem Fenster. Es ist so düster und sieht nach einem Sturm aus, aber bisher kommt kein Regen runter. Ich mache die Küche sauber, bis sie glänzt und setze mich schließlich zu meiner Mum dazu.
Im Fernsehen geht es wie immer um das Wetter, um Kriminalfälle in unserem Land, um die Twitter-Botschaften von unserem Präsidenten Trump und ansonsten jeder Menge Unsinn.
>Ich treffe mich morgen mit Misses Blair und kann dir nicht sagen wie lange es dauern wird. < informiere ich meine Mum, damit es nicht wieder Grund zur Panik gib, wenn ich länger fort bin.
>Zum Unterschreiben? < will sie wissen.
>Ja. In erster Linie will sie natürlich erstmal von mir wissen, ob sie mit mir rechnen kann. Als ich das Gespräch bei ihr hatte, wusste ich noch nicht, ob ich meine Prüfung geschafft habe. Aber aufgrund des glücklichen Falles unterschreibe ich den Vertrag wohl morgen. <
>Gott sei Dank. < sagt sie und tätschelt meine Hand. >Wir sind wirklich stolz auf dich, ich hätte das nicht geschafft. <
>Danke. Es gab Tage da dachte ich das auch. <
>Manchmal habe ich dich bloß eine halbe Stunde am Tag gesehen, weil du nur in deinem Zimmer oder bei Megan warst und gelernt hast. <
Kurz darauf scheinen helle Scheinwerfer durch das Küchenfenster und mein Dad kommt endlich von der Arbeit. Ich sehe zur Uhr und bezweifle, dass er im Verkehr feststeckte.
Im Fernsehen beginnen jetzt die Prominews, die niemanden von uns interessieren, deshalb stellen wir das Gerät aus. Meine Mum geht nach oben und sieht nach Iye, weil er so lange braucht und ich hole die Pizza aus dem Ofen, um sie anzuschneiden. Noch immer sind die Scheinwerfer des Wagens an und strahlen direkt in die Küche hinein. Irritiert gehe ich näher an das Fenster heran und ich werde von einem zusätzlichen kurzen Blitz aus der Fahrerkabine wachgerüttelt. Das ist überhaupt nicht Dads Auto!
Ich laufe schnell zur Diele, reiße die Eingangstür auf und renne schockiert nach draußen. Sofort gibt die Person Gas und fährt mit durchdrehenden Rädern weg in den Wald. Im selben Augenblick kommt ein zweiter Wagen aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung um die Ecke. Der Weg ist nur einspurig und durch die Bäume so schmal, dass der Entgegenkommende mit blitzschnellen Reflexen, in eine Lücke zwischen den Büschen hineinfahren muss. Wenn er das nicht getan hätte, dann wäre er mit dem anderen Wagen kollidiert, der bis eben noch vor unserer Tür stand.
Sobald die Fahrbahn wieder frei ist, stehe ich stocksteif in unserer Einfahrt bis mein Vater mit seinem Auto einfährt und abrupt abbremst.
>Was ist los? Hat er mit dir geredet? < fragt er schockiert und schlägt in Windeseile seine Tür zu, um bei mir zu sein. In meinem Gesicht ist sicherlich das blanke Entsetzen zu lesen.
>Er stand einfach nur so da draußen und hat uns beobachtet. < kreische ich schrill und fühle mich ausspioniert.
>Pscht! Schreie nicht so laut herum. Wo ist deine Mutter? <
>Oben bei Iye… Jemand verfolgt uns hab ich recht? Da ist irgendeiner hinter uns her. <
>Nein Unsinn. Da hatte sich sicher nur jemand verfahren. Du hast zu viel Fantasie und bildest dir das ein. <
>Was? Ich bin doch nicht blöd. Du versuchst uns irgendetwas zu verheimlichen. Das Auto fuhr mit durchdrehenden Reifen weg, sobald ich herausrannte. < keuche ich und kann meine Lautstärke nicht drosseln.
>Nayeli, ich will, dass du den Mund hältst! < fordert er jetzt energischer und hält mich an beiden Oberarmen fest.
>Wir sind deine Familie! Du kannst sowas doch nicht verharmlosen! Das ist…<
Und plötzlich erhob er die Hand und knallte mir eine. Fassungslos starre ich ihn an und er mich. Sekunden des Fixierens vergehen und niemand sagt etwas.
Auf meiner Wange brennt und pocht es. In all den Jahren hat er niemals seine Hand gegen eines seiner Kinder erhoben.
>T…tut mir leid. Das wollte ich nicht. < stammelt er und greift zu meinen Schultern.
Ich wende mich von ihm ab und laufe ins Haus, als meine Mutter und Iye soeben die Treppe herunterkommen. Offenbar haben sie nichts mitbekommen.
Schnell wende ich mein Gesicht von ihnen ab und sage im Vorbeigehen:
>Ich bin noch total satt vom Taj Mahal. Die Pizza gehört euch. <
>Super. < jubelt mein Bruder und rennt zum Tisch. Meine Mutter schaut irritiert als ich bereits die Treppe ansteuere.
Meinen Vater sehe ich nicht mehr an, sondern laufe schnurstracks zu meinem Zimmer hoch.
An dem gesamten Abend gehe ich nur raus, um die fertige Wäsche aufzuhängen und um aufs Klo zu gehen. Abgesehen davon, lasse ich nichts mehr von mir hören.
Ich sitze wieder zusammen mit meiner Freundin im Auto und bin ihr unheimlich dankbar, weil sie mich heute nicht zu Hause hat sitzen lassen. Mit meiner Mutter allein zu Hause glaube ich, dass ich auf weniger gute Gedanken gekommen wäre.
>Ich würde echt gern noch einen mit dir trinken gehen. < wirft Meg ein.
>Das vertagen wir. Aber wir machen es demnächst, versprochen. < erwidere ich matt.
>Erstmal kommt sowieso noch der Freitag. <
>Ich freue mich schon darauf. < strahle ich sie an und stelle mir bereits vor, wie toll dieser Abend werden wird.
Begeistert nickt mir meine Freundin zu und startet dann den Motor, damit sie mich nach Hause bringen kann.
Wir wohnen nur ein paar Autominuten voneinander entfernt und sobald sie kurz vor der Einfahrt des Waldes ist, tut mir Megan wieder richtig leid.
>Du kannst mich hier rauslassen. Ich weiß doch wie du es hasst, hier hindurchfahren zu müssen. Den Rest kann ich auch laufen. < schlage ich bei diesem Geschaukel vor.
>Ach was. So wird mein kleines Schätzchen mal gefordert. < widerspricht sie und streichelt über ihr Lenkrad. >Trotzdem hätte ich echt gern einen Pick-up. <
Insgeheim flucht sie wahrscheinlich trotzdem wegen der Buckelpiste. Wir fahren durch tiefe Pfützen, die sie weitestgehend nicht umfahren kann. Der Matsch spritzt ihr dadurch fast bis hoch an die Scheibe. Hier versickert das Wasser nicht so gut und deshalb sieht ihr roter Ford jedes Mal graubraun aus, wenn sie bei mir war.
Plötzlich legt sie eine Vollbremsung ein, die uns beide keuchend in die Gurte wirft.
>Oh Gott hast du das gesehen? Verdammt war das groß. < japst Megan und greift sich an die Brust.
>Sei froh, dass es nur ein kleines Reh und kein ausgewachsenes Wildschwein war. Da kann einem manchmal echt mulmig werden. <
>An deiner Stelle würde ich hier sowieso nicht so oft herumlaufen. Was ist, wenn die Viecher dich mal angreifen? <
>Naja zum einen sieht man ihnen das vorher an und dann sollte man schnell auf einen Baum klettern. <
Kopfschüttelnd legt Megan den ersten Gang ein und fährt weiter bis zu meiner Haustür. Ich sehe zum Küchenfenster, wo meine Mutter die Gardine zur Seite schiebt und Meg zuwinkt. Meine Freundin grinst und winkt zurück.
>Also dann. Wünsch´ mir Glück für Donnerstag. <
>Na klar, mache ich. Das machst du mit links. < spreche ich ihr Mut zu und umarme sie. >Danke nochmal für das Oberteil. <
>Ja ja schon gut. < winkt sie grinsend ab.
>Wir sehen uns Freitag. <
Daraufhin küssen wir uns auf die Wange und ich steige aus. Beim Zuwerfen ihrer Tür gehe ich einen Schritt weg und warte noch bis sie gewendet hat. Ihr roter Flitzer sieht wirklich dreckig aus und wie ich sie kenne, wird sie auf direktem Weg in die Waschstraße fahren.
Erschöpft aber fröhlich zugleich, laufe ich zur Tür und klopfe nur einmal kurz. Meine Mutter öffnet mir bereits und läuft schon wieder in Richtung Wohnzimmer.
Die Tasche und die Tüte stelle ich auf dem Boden ab, damit ich die Arme frei habe und meine Jacke aufhängen kann.
>Und wie war es? < ruft meine Mutter mir von weitem zu.
Damit ich nicht durch das halbe Haus rufen muss, schaue ich erst wo sie ist.
Iye blickt von seinem Puzzle auf und grinst mich schief an, während meine Mutter die Arbeitsplatte der Küche abwischt.
>Es war schön. Allerdings auch anstrengend. Irgendwie hat Megan echt viel Ausdauer und könnte stundenlang etwas Neues in der Kabine anprobieren. Ich hätte schon nach dem zehnten Teil keine Lust mehr. <
Ich küsse meinen Bruder auf die Stirn und setze mich zu ihm an den Tisch, um seiner Beschäftigung zuzuschauen. Er hat schon fast den Rand seines Dinosaurierpuzzles fertig und ein paar einzelne Teile zusammengefügt.
>Naja bei eurer Figur würde ich wahrscheinlich auch ewig alles anprobieren wollen. <
>Was redest du denn da? < feixe ich. >Du siehst toll aus Mum. <
>Du weißt nicht wie ich in deinem Alter ausgesehen habe. Da rannten mir die Männer massenhaft hinterher. Nur dass es zu meiner Zeit verpönt war, sich mit so vielen zu treffen. Hach … manchmal wäre ich gern nochmal 21 Jahre alt. <
>Wünsche dir das lieber nicht. Das ist auch nicht gerade ein Zuckerschlecken. <
>Aber nur, weil ihr heute alle studieren müsst. <
Tja wo sie recht hat. Aber anderseits habe ich das gewollt und keinen Grund mich darüber zu beschweren. Meine Mum wollte damals lieber, dass ich gleich arbeiten gehe, aber mein Dad hat sie davon überzeugt, dass ich das tun sollte, was ich will.
>Hast du das Mehl bekommen? < will sie wissen.
>Ach ja. Die Tüte steht noch in der Diele. Eine Milchpackung habe ich auch noch für Iyes Cornflakes mitgebracht. <
Kaum habe ich das gesagt, da ist sie schon auf dem Weg und holt sie sich selbst.
>Wie war die Schule bei dir? < frage ich meinen Bruder.
>So wie immer. < murmelt er und versucht zwei ungleiche Teile wieder auseinanderzudrücken.
>Nayeli? < ruft eine nicht erfreute Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe wie meine Mutter schockiert die Tüte in der einen und mein neues Oberteil in der anderen Hand hält. >Von welchem Geld hast du das bezahlt? Das kostet 25 $. <
>Reg´ dich nicht auf. Megan hat es mir zum Abschluss geschenkt. <
Sie presst die Lippen zusammen und schaut mich nicht mehr ganz so ernst an.
Ich schnappe mir einfach eine Handvoll Puzzleteile und drehe sie alle auf die bedruckte Fläche herum.
>Das ist sehr hübsch. < sagt sie und versucht offenbar Konversation zu machen, nachdem sie sich so aufgeregt hat.
>Hmm. < ist alles, was ich darauf sagen kann. Normalerweise ist sie nicht so schnell ungehalten und ich mag das ganz und gar nicht, wenn sie so ist.
>Warst du wieder im Taj Mahal? Du riechst voll komisch. < fragt mein Bruder und hält sich die Nase zu.
>Ja ich war mit Megan noch da. So schlimm? < spiele ich gekränkt. Allerdings muss man sich nach einem Besuch im Restaurant tatsächlich gleich unter die Dusche stellen. So sehr wie ich die Gewürze und all das mag, so sitzen die Gerüche leider immer in den Haaren und in den Klamotten fest.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie meine Mutter das Oberteil zurück in die Tüte legt und das Mehl zusammen mit der Milch auf der Arbeitsplatte abstellt.
Ich habe ein bisschen was vom Himmel zusammengepuzzelt und stehe dann auf, um den Teig für die Pizza zu machen. Immerhin habe ich versprochen, dass ich heute mal wieder mit der Zubereitung dran bin.
Nachdem ich den Teig vermengt und durchgeknetet habe, lasse ich ihn in der Schüssel und lege ein Tuch darüber, damit er noch etwas aufgehen kann. Als ich dann wieder zu meinem Bruder schaue, sage ich:
>Hey super, du bist ja schon viel weiter. <
>Das ist aber voll schwer. <
>500 Teile sind ja auch schon etwas mehr als die, die du sonst hast. Und dann sehen die Wasser- und Himmelteile auch noch fast gleich aus. <
Als er irgendwann keine Lust mehr hat, helfe ich ihm die einzelnen gepuzzelten Bereiche in die Verpackung zu legen, damit er ein anderes Mal weitermachen kann.
>Sind deine Hausaufgaben fertig? <
>Ja. < sagt er genervt. Ich glaube, manchmal höre ich mich wirklich an wie seine Mutter. Nachdem ich ihn dann auch noch nach oben zum Duschen schicke, komme ich mir auch noch so vor.
In der Zeit mache ich den Teig fertig und rolle ihn großzügig aus. Mein Blick geht aus dem Küchenfenster. Da draußen braut sich schon wieder etwas zusammen und es wird ziemlich dunkel. Zugegeben, wir wohnen mitten im Wald zwischen all den Bäumen, also ist es meistens ohne Licht sehr düster hier drin. Aber jetzt sehe ich, wie sich über dem Lake die dunklen Wolken mischen und es aussieht, wie der Weltuntergang. Zum Glück war ich mit Megan am Vormittag unterwegs.
Ich mache ein großes Blech mit dem Teig voll, steche mehrfach kleine Löcher mit einer Gabel hinein und fange dann an, die Pizza zu belegen. Mein Vater hätte sicher mehr Lust auf einen Eintopf oder einem Auflauf, aber dafür reicht das, was wir im Kühlschrank haben nicht mehr. Also muss es Pizza Hawaii werden. Ich schiebe das belegte Backblech in den Ofen und stelle eine Eieruhr.
Auf einem Stuhl liegt immer noch die Tüte mit dem Inhalt aus der Shoppingmall. Ich will sie in mein Zimmer bringen und laufe die Treppe hoch.
Ich überlege, dass am Sonntag der Monatsanfang war und mein Dad hätte am nächsten Tag seinen Gehaltsscheck bekommen müssen. Es kam sogar schon manchmal vor, dass er sein Geld ein oder zwei Tage früher bekommen hatte.
Ich hoffe, dass er es heute endlich bekommen hat.
Oben angekommen will ich in mein Zimmer laufen, aber dabei sehe ich durch die offene Tür ins Schafzimmer meiner Eltern.
Vor dem Wäscheständer steht meine Mutter und legt unsere Kleidung zusammen. Kommentarlos will ich eigentlich in mein Zimmer verschwinden aber die Chance habe ich leider nicht.
>Kommst du mal bitte? < ruft sie. Unwillkürlich verdrehe ich die Augen, denn eigentlich will ich das ganz und gar nicht. Trotzdem stampfe ich widerwillig in ihr Zimmer und lehne mich gegen den Türrahmen. >Ich weiß, ich bin gerade nicht sehr einfach. Es ist nur alles so schwierig im Moment und ich würde so gerne wieder arbeiten gehen. Aber da ich einfach nichts finde, kann ich nichts tun, um das Problem weniger schlimm zu machen. <
>Ich bin kein kleines Mädchen mehr und verstehe unsere Situation. Glaubst du wirklich, ich würde so viel Geld ausgeben, wenn ich weiß, dass ich es eigentlich gar nicht habe? Darum geht es doch gerade, oder? <
>Nein, natürlich glaube ich das nicht und ich weiß doch, dass du vernünftig bist. Ich habe einfach überreagiert, weil es im Augenblick nicht leicht ist. Mir ist nicht klar, wie lange das schon so geht, dass sich dein Vater Geld leiht. Er redet mit mir nicht darüber – Sonntagabend versicherte er mir allerdings, dass wir uns keine Sorgen machen sollen. Wir haben noch Zeit und bald ist das Problem vom Tisch. Ich möchte nur, dass du dir das ebenfalls aus deinem Kopf schlägst. Du hast damit nichts zu tun. <
Natürlich habe ich etwas damit zu tun. Mein Studium war trotz Stipendium zu teuer für meine Eltern. Auch wenn das jetzt egoistisch klingt, bin ich trotzdem froh, es erst jetzt erfahren zu haben, sonst hätte ich wahrscheinlich frühzeitig alles abgebrochen. Trotzdem nicke ich auf die Worte meiner Mutter hin.
Ich laufe in mein Zimmer und mache das Preisschild von dem überteuerten Oberteil ab. Über meinem Schreibtisch pinne ich die neue Postkarte an meine Fotowand und lese sie mir noch einmal durch.
Mein Zeugnis liegt immer noch herum, weshalb ich es sicher in eine Klarsichtfolie packe und dann in einen kleinen Ordner hefte, den ich in meiner Umhängetasche verstaue. Für den Fall, dass ich mir morgen bei dem zweiten Jobgespräch ein paar Notizen machen muss, lasse ich Block und Kugelschreiber einfach in der Tasche. Das neue Oberteil würde ich dort gerne tragen, weswegen ich direkt eine Waschmaschine mit bunter Kleidung fertigmache.
Ich höre wie die Eieruhr schrill im Erdgeschoss klingelt und laufe runter um den Ofen auszuschalten. Das Blech lasse ich allerdings noch drin, damit die Pizza nicht kalt wird. Mein Vater arbeitet heute scheinbar länger – leider bringt ihm das finanziell nichts, da Überstunden nicht ausgezahlt werden. Er bekommt nur einen etwas höheren Stundenlohn, wenn er am Wochenende arbeitet. Das ist aber viel zu selten.
Von oben höre ich die Tür knallen und Iye herumpoltern. Ich muss mich dazu zwingen, nicht schon wieder hochzugehen um zu schauen, ob er sich inzwischen angezogen hat. Ich decke den Tisch und räume die Küche etwas auf, bis meine Mutter schließlich herunterkommt.
>Wo bleibt Dad so lange? < frage ich.
Automatisch schaut sie erst zur Wanduhr und antwortet dann:
>Vielleicht ist zu viel Verkehr auf den Straßen. <
Schulterzuckend räumt sie die Schultasche meines Bruders aus dem Weg und setzt sich dann seufzend auf das Sofa, um die Nachrichten zu sehen. Skeptisch sehe ich aus dem Fenster. Es ist so düster und sieht nach einem Sturm aus, aber bisher kommt kein Regen runter. Ich mache die Küche sauber, bis sie glänzt und setze mich schließlich zu meiner Mum dazu.
Im Fernsehen geht es wie immer um das Wetter, um Kriminalfälle in unserem Land, um die Twitter-Botschaften von unserem Präsidenten Trump und ansonsten jeder Menge Unsinn.
>Ich treffe mich morgen mit Misses Blair und kann dir nicht sagen wie lange es dauern wird. < informiere ich meine Mum, damit es nicht wieder Grund zur Panik gib, wenn ich länger fort bin.
>Zum Unterschreiben? < will sie wissen.
>Ja. In erster Linie will sie natürlich erstmal von mir wissen, ob sie mit mir rechnen kann. Als ich das Gespräch bei ihr hatte, wusste ich noch nicht, ob ich meine Prüfung geschafft habe. Aber aufgrund des glücklichen Falles unterschreibe ich den Vertrag wohl morgen. <
>Gott sei Dank. < sagt sie und tätschelt meine Hand. >Wir sind wirklich stolz auf dich, ich hätte das nicht geschafft. <
>Danke. Es gab Tage da dachte ich das auch. <
>Manchmal habe ich dich bloß eine halbe Stunde am Tag gesehen, weil du nur in deinem Zimmer oder bei Megan warst und gelernt hast. <
Kurz darauf scheinen helle Scheinwerfer durch das Küchenfenster und mein Dad kommt endlich von der Arbeit. Ich sehe zur Uhr und bezweifle, dass er im Verkehr feststeckte.
Im Fernsehen beginnen jetzt die Prominews, die niemanden von uns interessieren, deshalb stellen wir das Gerät aus. Meine Mum geht nach oben und sieht nach Iye, weil er so lange braucht und ich hole die Pizza aus dem Ofen, um sie anzuschneiden. Noch immer sind die Scheinwerfer des Wagens an und strahlen direkt in die Küche hinein. Irritiert gehe ich näher an das Fenster heran und ich werde von einem zusätzlichen kurzen Blitz aus der Fahrerkabine wachgerüttelt. Das ist überhaupt nicht Dads Auto!
Ich laufe schnell zur Diele, reiße die Eingangstür auf und renne schockiert nach draußen. Sofort gibt die Person Gas und fährt mit durchdrehenden Rädern weg in den Wald. Im selben Augenblick kommt ein zweiter Wagen aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung um die Ecke. Der Weg ist nur einspurig und durch die Bäume so schmal, dass der Entgegenkommende mit blitzschnellen Reflexen, in eine Lücke zwischen den Büschen hineinfahren muss. Wenn er das nicht getan hätte, dann wäre er mit dem anderen Wagen kollidiert, der bis eben noch vor unserer Tür stand.
Sobald die Fahrbahn wieder frei ist, stehe ich stocksteif in unserer Einfahrt bis mein Vater mit seinem Auto einfährt und abrupt abbremst.
>Was ist los? Hat er mit dir geredet? < fragt er schockiert und schlägt in Windeseile seine Tür zu, um bei mir zu sein. In meinem Gesicht ist sicherlich das blanke Entsetzen zu lesen.
>Er stand einfach nur so da draußen und hat uns beobachtet. < kreische ich schrill und fühle mich ausspioniert.
>Pscht! Schreie nicht so laut herum. Wo ist deine Mutter? <
>Oben bei Iye… Jemand verfolgt uns hab ich recht? Da ist irgendeiner hinter uns her. <
>Nein Unsinn. Da hatte sich sicher nur jemand verfahren. Du hast zu viel Fantasie und bildest dir das ein. <
>Was? Ich bin doch nicht blöd. Du versuchst uns irgendetwas zu verheimlichen. Das Auto fuhr mit durchdrehenden Reifen weg, sobald ich herausrannte. < keuche ich und kann meine Lautstärke nicht drosseln.
>Nayeli, ich will, dass du den Mund hältst! < fordert er jetzt energischer und hält mich an beiden Oberarmen fest.
>Wir sind deine Familie! Du kannst sowas doch nicht verharmlosen! Das ist…<
Und plötzlich erhob er die Hand und knallte mir eine. Fassungslos starre ich ihn an und er mich. Sekunden des Fixierens vergehen und niemand sagt etwas.
Auf meiner Wange brennt und pocht es. In all den Jahren hat er niemals seine Hand gegen eines seiner Kinder erhoben.
>T…tut mir leid. Das wollte ich nicht. < stammelt er und greift zu meinen Schultern.
Ich wende mich von ihm ab und laufe ins Haus, als meine Mutter und Iye soeben die Treppe herunterkommen. Offenbar haben sie nichts mitbekommen.
Schnell wende ich mein Gesicht von ihnen ab und sage im Vorbeigehen:
>Ich bin noch total satt vom Taj Mahal. Die Pizza gehört euch. <
>Super. < jubelt mein Bruder und rennt zum Tisch. Meine Mutter schaut irritiert als ich bereits die Treppe ansteuere.
Meinen Vater sehe ich nicht mehr an, sondern laufe schnurstracks zu meinem Zimmer hoch.
An dem gesamten Abend gehe ich nur raus, um die fertige Wäsche aufzuhängen und um aufs Klo zu gehen. Abgesehen davon, lasse ich nichts mehr von mir hören.