Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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01.02.2019
3.640
Kapitel 12 – Die letzte gemeinsame Nacht
Bei Sam's Worten werde ich hellhörig, weil seine Tonlage so vorsichtig und leise ist. Noch dazu rückt er nicht gleich mit der Sprache heraus und das hat er schon mal auf diese Weise getan, als er mir diesen schrecklichen Ordner vor die Nase legte, in dem die Fotos von Iye und mir waren.
>Was wolltest du vorher mit mir bereden? < frage ich unheilvoll. Er presst daraufhin die Lippen zusammen. >Oh oh. < murmle ich, als mir Schreckliches schwant. Immer wenn er in diesem Ton mit mir geredet hat, dann war es bisher nichts Gutes.
>Nein keine Panik. < erwidert er sofort. >Es ist nur so … ich habe einen ziemlich guten Auftrag bekommen, den ich gleich mit mehreren Personen verbinden kann, aber dazu muss ich die USA verlassen. <
>Okay. < murmle ich bloß. >Und für wie lange? <
>So genau kann ich dir das nicht sagen. Dimitrij wird mich begleiten, denn sein Russisch ist besser als meines. Wir müssen nach Sankt Petersburg fliegen. Es kann sein, dass ich ein oder zwei Wochen dort bin. Das bedeutet allerdings, dass ich dich nicht zur Schule bringen kann. <
>Du bist Amerikaner und willst nach Russland? < keuche ich.
>Sicher. Du weißt doch, meine besten Kontakte kommen von dort. <
>Naja aber Dimitrij und Lukaz sind ja auch cool. <
Er lacht.
>Merk dir eines. Ein Russe ist entweder dein Freund oder dein Feind. Ich schätze es, ihn als Freund zu haben, egal was unser Präsident davon hält. <
>Du glaubst also nicht an diese Cyberangriffe zur Wahl? <
>Ich weiß nur, was sie für mich tun und das reicht mir, um meine eigene Meinung zu bilden. Sie haben Edward Snowden Asyl gegeben, als er vor der US-Regierung fliehen musste. Sein Leben im Exil ist zwar nicht gerade etwas Reizvolles und mit der korrupten Regierung will er nichts zu tun haben, aber trotzdem beschreibt er die Landsleute als warmherzig und klug. Sie sind Patrioten wie wir. <
>Die einzigen Russen, die ich kenne, sind deine beiden Freunde und sie helfen mir, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber ich schätze, du willst nicht mit mir darüber reden, was ich von den anderen Nationen halte. <
>Nein. Ich will nur wissen, ob das okay für dich ist, wenn du für diese Zeit in der Schule bleibst, bis ich dich wieder holen kann. <
>Ob das für mich okay ist? Sam für mich ist alles okay. Das ist dein Job, wie könnte ich dich davon abhalten, nur weil ich lieber in dem gewohnten Bett schlafe? <
Er grinst.
>Dann ist ja gut. Ich werde versuchen mich zu beeilen. Das will ich mir wirklich nicht entgehen lassen und da könnte ein sinnvoller Deal bei rauskommen. <
>Was ist das für ein Auftrag? <
>Ich bin seit fast einem Jahr an einem dieser vielen Fälle dran, die sich dort ergeben haben. Es geht um einen Kerl, der sich sein Vermögen mit dem Waffenhandel von Russland in die USA, Türkei und Deutschland verdient. Illegale Geldschieberei, Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe, dubiose Waffengeschäfte und so weiter. Er hat zu viel Kohle und Einfluss, also sind er und sein Sicherheitschef natürlich freigekommen. Sie waren wegen der Anklagepunkte in vorzeitiger Haft, aber wurden “völlig überraschend“ beide rausgeholt. Er hat richtig Dreck am Stecken und endlich kriege ich ihn. Ich muss morgen losfliegen, wenn ich nicht will, dass er mir durch die Lappen geht und danach sind noch ein paar andere auf meiner Liste, die nachweislich in Russland sind. <
>Denkst du denn, dass dir die Landsleute wohlgesonnen sein werden, wenn du in ihrem Land mehrere Russen umbringst? <
>Allerdings, denn sie wollen sie selbst loswerden. Außerdem wird keiner wissen, dass ich da war, den das nichts angeht. <
>Und deine Wunde? Kannst du damit überhaupt zu so einem Auftrag fliegen? < will ich wissen und sehe automatisch zu seinem Bauch.
>Mach dir mal deswegen keine Sorgen. Ich habe dir doch gesagt, dass es mir gut geht, aber ist das wirklich okay für dich? Du wirst ohne mich sein und ich kann dir nicht sagen wie lange. <
>Ich hab’s ja verstanden Sam und es ist natürlich okay, es ist dein Job. Trotzdem weiß ich es zu schätzen, dass du mich fragst. <
>Und du sagst das nicht einfach nur so, damit ich mich besser fühle? <
Doch ein bisschen schon und ich höre in seiner Stimme, dass ihm das nicht sonderlich gefällt. Ich setze trotzdem ein Grinsen auf und erwidere lässig:
>Nein tue ich nicht. Auf diese Weise kann ich Ruby endlich mal besser kennenlernen und mir wurden gute Clubbesuche von den Männern versprochen. <
Er gluckst und schüttelt dabei den Kopf.
>Du sollst lernen und nicht Typen aufreißen. <
>Wer sagt denn was von aufreißen? <
>Na ich. Mir ist noch nie eine Frau untergekommen, die einen so hohen Männerverschleiß hat wie du. < sagt er immer noch kopfschüttelnd und mit todernster Stimme – nur sein Grinsen verrät ihn.
>Blödmann. Als würdest du etwas von meinem Verschleiß wissen. < ebenfalls lachend schubse ich ihn gegen die Schulter und setze mich dann wieder auf den mittleren Sitz neben ihn.
Später in Grand Portage
Wir fuhren die 60 Meilen südöstlich zurück und ich hätte während der gesamten Fahrt eigentlich schon wieder schlafen können, war aber einfach zu sehr in Gedanken. Sam hatte den Arm um mich gelegt, als ich mich wieder enger an ihn setzte und ich kuschelte mich gegen seine Schulter. In dem Moment als wir immer noch in dieser Position in seinem Auto sind, wird mir bewusst, wie lang mir diese Zeit vorkommen wird, in der er nicht bei mir sein kann. Der Gedanke ist seltsam, immerhin war er die letzten drei Wochen für mich da. Aber wie alles andere geht auch das vorüber.
Ich muss meinen Rücken durchstrecken, als er vor seinem Haus hält.
Drinnen angekommen verschwindet Sam in seinem Bad, um sich unter seine Dusche zu stellen, während ich wie immer etwas zu Essen machen will. Ich nenne meine Gerichte zwar immer „Kühlschrank-aufräumen“, aber an sich sind sie immer anders.
Ich werfe alles was zusammenpasst in die Pfanne und verwende die meisten Sachen, die bereits angefangen sind oder innerhalb der nächsten ein oder zwei Wochen verderben würden. Hackfleisch oder andere Lebensmittel, die ich heute nicht mehr aufbrauchen kann, bringe ich nach unten in Sam's Keller und friere die Sachen ein.
Ein paar Hähnchenkeulen lasse ich im Backofen knusprig werden und schaue auf die Uhr. Solange sie brutzeln, verschwinde ich in meinem Zimmer und fange an, ein paar Sachen zusammenzupacken. Ich staple meine Freizeitkleidung sowie die Trainingskleidung von der Schule auf der Matratze übereinander. Die Bücher lasse ich auf dem Nachttisch liegen und sortiere Sam's Shirt mit den Tennessee Titans aus, weil ich es vorher nochmal waschen will. Viel liegt da wirklich nicht auf dem Bett, was nun mal daran liegt, das ich nichts besitze. Auch in dem Bad krame ich alles zusammen und werfe die wenigen Dinge aufs Bett. Das fühlt sich an wie ein merkwürdiger Abschied von Sam und ich verdränge die aufkeimenden, negativen Gefühle. Als ich so musternd auf das Bett starre, drückt er hinter mir die Tür weiter auf, worauf ich mich zu ihm drehe.
>Hier du brauchst eine Reisetasche. < daraufhin legt er mir eine auf das Bett.
>Danke. Du musst auch noch ein paar Dinge zusammenpacken. <
>Damit habe ich nebenbei schon angefangen. < nuschelt er und schaut über meinen kleinen Berg aus Klamotten und Co. Sein Blick fällt auf die transparente Tüte aus Handschuhen. >Pack dir den Föhn ein. Du bekommst sie sonst nicht an. Und kontrolliere sie immer, wenn du sie mehrere Tage trägst. <
>Wie soll ich die Dinger wechseln, wenn ich einen Zimmergenossen habe? <
>Schließe dich im Bad ein und sag, du brauchst deine Privatsphäre. <
Ich nicke, das ist schließlich die einzige Möglichkeit. >Ich habe schon mit Henry telefoniert. Er weiß Bescheid, dass du morgen kommst. <
>Okay. < murmle ich und packe nebenbei alles in die Tasche hinein. Sam verschwindet wieder aus dem Zimmer und ich hole mir den Föhn aus dem Bad. Ich hoffe, ich kann das wirklich geheim halten.
Dann gehe ich wieder zurück in die Küche und mache das Essen fertig.
Sam ist in den nächsten zwei Stunden viel an seinem Laptop und seinem Handy, woraufhin ich ihn nicht stören will. Sicher muss er vieles planen und vorbereiten. Die Flüge hat Dimitrij bereits gebucht.
Nachdem ich alles sauber gemacht und aufgeräumt habe, überlege ich schlafen zu gehen. Ich fühle mich ziemlich ausgelaugt von heute und vor allem immer noch vom Wochenende.
Als ich den Flur zum unteren Bad entlanggehen will, kommt Sam plötzlich von draußen ins Haus hinein.
>Wo kommst du denn her? Ich dachte, du bist in deinem Zimmer. < wende ich verblüfft ein.
>Nein. Zieh dir eine Jacke drüber und komm mit. <
Gerade als ich fragen will weshalb, ist er schon wieder verschwunden. Ich hole aus der Tasche eine dünne Jacke von Megan heraus und gehe vor die Tür. Es ist wahnsinnig dunkel und Sam ist nicht in Sichtweite.
>Wo bist du? < frage ich in die Finsternis hinein. Ich erhalte keine Antwort. Meine Arme gehen schützend vor meinen Körper und ich laufe langsam ein paar Schritte vor. >Sam? < rufe ich jetzt lauter. Mein Herzschlag beschleunigt sich, denn ich kann kaum etwas sehen. Umso mehr Schritte ich vorwärtsgehe, desto mehr sehe ich allerdings einen hellen, rotorangen Schein hinter dem Haus flackern. Hektisch sehe ich mich um, denn von Sam ist immer noch keine Spur und er antwortet nicht. Bei jedem Schritt knackt ein Zweig unter meinen Füßen, bei dem ich zusammenzucke.
„Es ist einfach nur dunkel – sei nicht so ein Feigling!“, rede ich mir ein und laufe einfach dorthin, wo die einzige Lichtquelle herkommt. Nach ein paar Schritten sehe ich das Feuer tanzen, das Sam draußen entzündet hat. Das hätte er doch auch drinnen im Kamin anmachen können.
Ich beruhige mich etwas als ich ihn sehe, ziehe die Jacke enger um meinen Körper und schlinge die Arme wieder um meinen Körper. Sam wirft noch ein paar Holzscheite in die Flammen und dreht sich dann zu mir um.
>Was hast du vor? < frage ich und runzle die Stirn. Ich sehe sein grinsendes Gesicht, als er sich zum Boden bückt. Dann kommt er wieder hoch und hält in der einen Hand zwei Stöcke und in der anderen eine Packung Marshmallows. >Oh Mann, du kannst auch den ganzen Tag essen. < lache ich.
>Hast du keine Lust darauf? <
>Doch, na klar. <
Ich setze mich auf den Baumstamm, der vor dem Feuer liegt und nehme ihm einen der Stöcke ab. Er piekst die Schaumzuckerwatte auf und setzt sich dann neben mich. Sofort halten wir sie beide über das Feuer.
>Wegen wie vielen Personen fliegst du nach Russland? < will ich wissen.
>Das wird sich noch herausstellen. Es sind einige und ich hoffe, dass sie alle in dem Land bleiben. Sie wechseln andauernd ihre Aufenthaltsorte, was es wirklich anstrengend macht, ihnen hinterherzujagen. <
Meine Arme sind zu kurz und ich muss mich ziemlich strecken, um die Kalorienbombe zum Schmelzen zu bringen. Deswegen setze ich mich schließlich einfach weiter vor den Baumstamm auf den Boden. Hier am Feuer ist es angenehm warm und ich friere dadurch nicht.
>Ich dachte immer, du wärst ausschließlich in den Staaten als Killer unterwegs. < wende ich ein.
>Das ist bequemer für mich, aber notfalls steige ich auch in den Flieger. Kriege aber erstmal so viele Waffen durch den Flughafen wie ich. Das ist jedes Mal auf Neue lustig. <
Er rutscht an die Stelle, wo ich bis eben noch gesessen habe und ist mit gegrätschten Beine genau hinter mir. Ich lehne meinen Rücken gegen das Holz und teilweise auch gegen ihn. Sofort fängt er an – wie so oft, mit meinen Haarsträhnen herumzuspielen, was mich so unglaublich beruhigt.
>Und wie bekommst du sie durch die Kontrolle? < frage ich, um mich von seiner Berührung abzulenken. Fast hätte ich bei dem letzten Wort geseufzt.
>Mit haufenweise Dokumenten, die es mir erlauben, das Zeug einzufliegen – und mit Kontakten. <
Seine Finger streifen meinen Nacken und ich bekomme eine Gänsehaut.
>Ist dir kalt? < fragt er, als er sie offensichtlich unter seinen Fingerspitzen spürt.
>Ja. < lüge ich. Aber die Reaktion kommt nicht von der Luft hier draußen. Er greift mit seinem freien Arm um meinen Brustkorb und zieht mich noch ein Stück näher zu sich heran. Er bleibt etwas vorgebeugt, weshalb er seinen Oberkörper auf meinem Rücken hat. Sein Kinn legt er beinahe auf meiner Schulter ab.
Oh Mann Sam, wieso tust du das? Das macht es doch nicht besser. Ich bin nur froh, dass er mein Gesicht nicht sieht. Wenn er sich doch nur an gestern erinnern würde.
>Was hat Dimitrij mit deinem Auftrag zu tun? Er ist doch nur Phantomzeichner. < lenke ich schnell wieder ab. Ich höre ihn neben mir leise auflachen.
>Ja das ist die offizielle Version. Dimitrij ist der Mann, wenn es um Kommunikation und um russische Verbindungen geht. <
>Und da willst du mir noch erzählen, dass du keinem traust? < feixe ich und neige meinen Kopf etwas zur Seite, um ihn ansehen zu können.
>Ich glaube, das liegt ein bisschen an dir. Du zeigst mir jeden Tag aufs Neue, dass es doch noch Menschen gibt, denen man vertrauen kann. Damit will ich nicht sagen, dass ich Dimitrij oder den Anderen alles aushändige was ich weiß, aber ich denke, es fällt mir leichter mit ihnen zu arbeiten. <
>Gern geschehen. < lache ich und puste meinen heißen Marshmallow etwas kühler. Er ist perfekt goldbraun geworden. Sam hat seinen allerdings für ein paar Sekunden nicht im Blick gehabt und nun brennt er. Ich pruste los als er versucht, ihn auszuwedeln und schließlich ins Feuer wirft. Essbar ist er sowieso nicht mehr gewesen, also steckt er sich einen Neuen auf den Stock.
>Russische Frauen sollen ziemlich hübsch sein. < wende ich gedankenverloren ein und ich weiß überhaupt nicht weshalb ich das sage. Ich zerdrücke die Zuckermasse lieber schnell mit meinem Gaumen. >Vielleicht änderst du deine Meinung mit dem anderen Geschlecht noch. <
>Ich glaube kaum, dass ich Zeit für ein Date haben werde. < gluckst er.
>Wer weiß. Vielleicht kommst du zurück und bist vollkommen beflügelt. <
Daraufhin klimpere ich übertrieben mit den Wimpern. Mir vorzustellen, dass Sam ganz verliebt zurückkehrt, ist zwar total surreal, aber trotzdem würde ich ihm das wünschen.
>Du hast wohl zu viel Rauch eingeatmet. Dazu müsste ich von vornherein alles auspacken, was sich um meinen Job dreht. Und mal angenommen ich wäre so wahnsinnig das zu tun, dann würden 99 Prozent der Frauen schreiend weglaufen oder womöglich ihr Pfefferspray auspacken. Wahrscheinlich würde ich so etwas niemals erwähnen aber eine Beziehung auf einer Lüge aufzubauen, ist bereits zum Scheitern verurteilt, noch ehe sie angefangen hat. <
>Du hast es mir doch auch gesagt. < murmle ich und sehe wieder zu ihm. Sein zweiter Marshmallow ist endlich gelungen und er stopft ihn in den Mund. Im Schein des knisternden Feuers sehe ich allerdings seinen Gesichtsausdruck. Die Tatsache, die er eben beschrieben hat, gefällt ihm alles andere als gut. Er mag sich damit abgefunden haben, allein zu sein, aber deswegen findet er es nicht gerade toll. Er antwortet allerdings nichts, deswegen pieke ich einen neuen Schaumzuckerball auf und halte ihn über das Feuer.
>Die nächste Zeit wird sicher kein Zuckerschlecken für dich. Ich will, dass du dir niemals die Butter vom Brot nehmen lässt, okay Kleines? Du kriegst das hin und ich will nicht, dass du dir etwas Anderes einredest. Und lass dir auch von niemandem sonst etwas Anderes sagen. Und falls doch, dann heul kurz für zehn Minuten und zieh danach in deinen persönlichen Krieg. < setzt er mit einem anderen Thema an.
Ich grinse über seine Wortwahl aber nuschle leise:
>Ab und zu bin ich aber ziemlich unsicher, ob ich das schaffe. <
>Ich weiß und das solltest du ablegen, denn zu 80 % des Tages bist du eine ziemlich selbstbewusste Frau. Wie viele Jahre hast du an den Weihnachtsmann geglaubt? <
>Bitte was? < lache ich los und starre ihn verdutzt an.
>Sag schon. <
>Keine Ahnung. Bis ich acht oder neun war, denke ich. <
>Wer so lange an eine erfundene Person geglaubt hat, der kann auch mal für die nächsten 14 Tage an sich selbst glauben. <
Ich taste an meinem Nachtisch herum, ob er gut ist und verschlinge dann grinsend das kleine Ding. Dann setze ich mich wieder hoch auf den Baumstamm neben Sam. >Ich glaube, du wirst mir fehlen. < gebe ich flüsternd zu.
Er grinst und legt wie so oft seinen Arm um meine Schulter.
>Ich schätze, du mir auch. Dimitrij wird es nicht leicht mit mir haben. <
Das Feuer wurde nach und nach immer kleiner. Die heiße Glut verebbte und es wurde kälter hier draußen. Wir müssen morgen noch früher als sonst aufstehen, da wir mit Henry in seinem Büro verabredet sind und Sam danach zum Flughafen muss. Ich mache mich im Badezimmer fertig und lasse nur noch die wenigen Dinge darin, die ich für morgen früh brauche.
In dem Zimmer angekommen steht alles gepackt und bereit auf dem Bett. Das ist irgendwie seltsam. Ich greife zur Tasche und zum Rucksack und setze sie auf den Boden. Die Bettwäsche ist von letzter Nacht noch in Sam's Zimmer, also laufe ich zu ihm hoch. Seine Tür steht weit offen und ich sehe, wie er seine letzten Sachen ebenfalls zusammenräumt.
Ich laufe zu seinem Bett und angle das Kissen heran, dass ich mir unter den Arm klemme.
>Was machst du? < fragt er und runzelt die Stirn.
>Ich habe heute Morgen nicht daran gedacht, die Sachen wieder hinunterzubringen. <
>Bleib doch einfach hier. <
>Ernsthaft? <
>Ja, stell dir nur mal vor ich bekomme Fieber. < grinst er schelmisch und wiederholt damit meine Ausrede von letzter Nacht. Ich pruste los und werfe das Kissen wieder zurück an seinen Platz. Bis Sam fertig ist, gehe ich nochmal die Stufen runter, ziehe mir in meinem Zimmer etwas zum Schlafen an und tapse dann wieder nach oben. Ich bin hundemüde und lasse mich direkt in sein Bett fallen. Dieses Mal muss ich immerhin nicht über ihn klettern, da er am anderen Ende des Zimmers noch mit seiner Tasche beschäftigt ist.
>Wie siehst du denn aus? < keucht er, als er einen kurzen Blick auf meine Beine erhascht, die ich eilig bedecke.
>Das ist vom Training. Schau dir mal das an. < Daraufhin ziehe ich mein Shirt ein kleines bisschen höher und zeige ihm meinen blau verfärbten Rippenbogen. Das muss erst innerhalb der letzten paar Stunden so eingeblutet haben. Cataley war immerhin kein bisschen zimperlich mit mir. Er reißt seine Augen auf.
>Hast du dich mit der gesamten ersten Stufe gleichzeitig angelegt? <
>Nein, nur mit der Trainerin. Aber ich schätze, das kommt aufs Gleiche hinaus. <
>Cataley war das? < fragt er und sein Blick wird eigenartig finster. >War das im offiziellen Training? <
>Sicher. Wo sonst? Wir haben geübt. < erwidere ich lässig. Ich merke an seinem Ton, dass ihm das nicht gefällt. Er soll sich meinetwegen keine Sorgen machen, ich schaffe das schon irgendwie. >Mir geht’s gut. Sie zeigt mir sofort meine Fehler auf. Da ist nichts dabei. <
>An diesem Spruch: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, scheint echt etwas dran zu sein. < erwidert er teils beeindruckt aber auch definitiv erbost. Er kann es nur gut verstecken.
>Blödsinn, natürlich habe ich auch Schmerzen, aber das hier war nicht schlimm. < lüge ich. Natürlich fand ich es schlimm. Ich habe mich ernsthaft gefragt, weshalb sie so akribisch immer wieder auf mich ging.
>Falls etwas ist, dann hast du immer Lukaz oder Henry, mit denen du reden kannst. <
Ich nicke, lasse das Shirt wieder herunterfallen und ziehe mir die Decke über den Körper. Diese zarte Seele will ich nicht sein, die andauernd heult. Ich kann das wegstecken und die anderen Schüler sagten, Cataleys Launen seien normal. Das ist schon okay und es kann mich nur stärker machen.
>Du Sam? <
>Hmm? < murmelt er. Ohne aufzusehen, verstaut er ein paar Waffen mitten auf seinen Shirts.
>Auf einer Skala von eins bis zehn, wie gefährlich ist das, was du da in Russland tust? <
>Irgendwas zwischen sieben und acht. <
>Das ist hoch. <
Dann zieht er endlich die Reißverschlüsse seiner Tasche zu und schaut leicht grinsend zu mir.
>Mach dir keine Sorgen, uns wird nichts passieren. <
Daraufhin zieht er sein Shirt über den Kopf und sofort blitzt das Pflaster auf.
>Du bist nicht Superman. < meckere ich in mich hinein und drehe meinen Kopf anstandshalber zur Wand als er sich den Rest auszieht.
>Aber nah dran. < erwidert er trocken, worauf ich mir die Hand kichernd vor die Stirn klatsche. Kann er dabei nicht mal ernst bleiben? Kurz darauf kommt er ins Bett und ich rücke ein bisschen weg, damit er Platz hat, aber so weit komme ich gar nicht. Er zieht mich schon wieder zu sich ran, damit ich nicht abhaue.
>Wenn wir das nächste Mal wieder zusammen sind, dann ist jeder von uns ein Stück weitergekommen. < flüstert er an meinem Ohr.
Bei Sam's Worten werde ich hellhörig, weil seine Tonlage so vorsichtig und leise ist. Noch dazu rückt er nicht gleich mit der Sprache heraus und das hat er schon mal auf diese Weise getan, als er mir diesen schrecklichen Ordner vor die Nase legte, in dem die Fotos von Iye und mir waren.
>Was wolltest du vorher mit mir bereden? < frage ich unheilvoll. Er presst daraufhin die Lippen zusammen. >Oh oh. < murmle ich, als mir Schreckliches schwant. Immer wenn er in diesem Ton mit mir geredet hat, dann war es bisher nichts Gutes.
>Nein keine Panik. < erwidert er sofort. >Es ist nur so … ich habe einen ziemlich guten Auftrag bekommen, den ich gleich mit mehreren Personen verbinden kann, aber dazu muss ich die USA verlassen. <
>Okay. < murmle ich bloß. >Und für wie lange? <
>So genau kann ich dir das nicht sagen. Dimitrij wird mich begleiten, denn sein Russisch ist besser als meines. Wir müssen nach Sankt Petersburg fliegen. Es kann sein, dass ich ein oder zwei Wochen dort bin. Das bedeutet allerdings, dass ich dich nicht zur Schule bringen kann. <
>Du bist Amerikaner und willst nach Russland? < keuche ich.
>Sicher. Du weißt doch, meine besten Kontakte kommen von dort. <
>Naja aber Dimitrij und Lukaz sind ja auch cool. <
Er lacht.
>Merk dir eines. Ein Russe ist entweder dein Freund oder dein Feind. Ich schätze es, ihn als Freund zu haben, egal was unser Präsident davon hält. <
>Du glaubst also nicht an diese Cyberangriffe zur Wahl? <
>Ich weiß nur, was sie für mich tun und das reicht mir, um meine eigene Meinung zu bilden. Sie haben Edward Snowden Asyl gegeben, als er vor der US-Regierung fliehen musste. Sein Leben im Exil ist zwar nicht gerade etwas Reizvolles und mit der korrupten Regierung will er nichts zu tun haben, aber trotzdem beschreibt er die Landsleute als warmherzig und klug. Sie sind Patrioten wie wir. <
>Die einzigen Russen, die ich kenne, sind deine beiden Freunde und sie helfen mir, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber ich schätze, du willst nicht mit mir darüber reden, was ich von den anderen Nationen halte. <
>Nein. Ich will nur wissen, ob das okay für dich ist, wenn du für diese Zeit in der Schule bleibst, bis ich dich wieder holen kann. <
>Ob das für mich okay ist? Sam für mich ist alles okay. Das ist dein Job, wie könnte ich dich davon abhalten, nur weil ich lieber in dem gewohnten Bett schlafe? <
Er grinst.
>Dann ist ja gut. Ich werde versuchen mich zu beeilen. Das will ich mir wirklich nicht entgehen lassen und da könnte ein sinnvoller Deal bei rauskommen. <
>Was ist das für ein Auftrag? <
>Ich bin seit fast einem Jahr an einem dieser vielen Fälle dran, die sich dort ergeben haben. Es geht um einen Kerl, der sich sein Vermögen mit dem Waffenhandel von Russland in die USA, Türkei und Deutschland verdient. Illegale Geldschieberei, Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe, dubiose Waffengeschäfte und so weiter. Er hat zu viel Kohle und Einfluss, also sind er und sein Sicherheitschef natürlich freigekommen. Sie waren wegen der Anklagepunkte in vorzeitiger Haft, aber wurden “völlig überraschend“ beide rausgeholt. Er hat richtig Dreck am Stecken und endlich kriege ich ihn. Ich muss morgen losfliegen, wenn ich nicht will, dass er mir durch die Lappen geht und danach sind noch ein paar andere auf meiner Liste, die nachweislich in Russland sind. <
>Denkst du denn, dass dir die Landsleute wohlgesonnen sein werden, wenn du in ihrem Land mehrere Russen umbringst? <
>Allerdings, denn sie wollen sie selbst loswerden. Außerdem wird keiner wissen, dass ich da war, den das nichts angeht. <
>Und deine Wunde? Kannst du damit überhaupt zu so einem Auftrag fliegen? < will ich wissen und sehe automatisch zu seinem Bauch.
>Mach dir mal deswegen keine Sorgen. Ich habe dir doch gesagt, dass es mir gut geht, aber ist das wirklich okay für dich? Du wirst ohne mich sein und ich kann dir nicht sagen wie lange. <
>Ich hab’s ja verstanden Sam und es ist natürlich okay, es ist dein Job. Trotzdem weiß ich es zu schätzen, dass du mich fragst. <
>Und du sagst das nicht einfach nur so, damit ich mich besser fühle? <
Doch ein bisschen schon und ich höre in seiner Stimme, dass ihm das nicht sonderlich gefällt. Ich setze trotzdem ein Grinsen auf und erwidere lässig:
>Nein tue ich nicht. Auf diese Weise kann ich Ruby endlich mal besser kennenlernen und mir wurden gute Clubbesuche von den Männern versprochen. <
Er gluckst und schüttelt dabei den Kopf.
>Du sollst lernen und nicht Typen aufreißen. <
>Wer sagt denn was von aufreißen? <
>Na ich. Mir ist noch nie eine Frau untergekommen, die einen so hohen Männerverschleiß hat wie du. < sagt er immer noch kopfschüttelnd und mit todernster Stimme – nur sein Grinsen verrät ihn.
>Blödmann. Als würdest du etwas von meinem Verschleiß wissen. < ebenfalls lachend schubse ich ihn gegen die Schulter und setze mich dann wieder auf den mittleren Sitz neben ihn.
Später in Grand Portage
Wir fuhren die 60 Meilen südöstlich zurück und ich hätte während der gesamten Fahrt eigentlich schon wieder schlafen können, war aber einfach zu sehr in Gedanken. Sam hatte den Arm um mich gelegt, als ich mich wieder enger an ihn setzte und ich kuschelte mich gegen seine Schulter. In dem Moment als wir immer noch in dieser Position in seinem Auto sind, wird mir bewusst, wie lang mir diese Zeit vorkommen wird, in der er nicht bei mir sein kann. Der Gedanke ist seltsam, immerhin war er die letzten drei Wochen für mich da. Aber wie alles andere geht auch das vorüber.
Ich muss meinen Rücken durchstrecken, als er vor seinem Haus hält.
Drinnen angekommen verschwindet Sam in seinem Bad, um sich unter seine Dusche zu stellen, während ich wie immer etwas zu Essen machen will. Ich nenne meine Gerichte zwar immer „Kühlschrank-aufräumen“, aber an sich sind sie immer anders.
Ich werfe alles was zusammenpasst in die Pfanne und verwende die meisten Sachen, die bereits angefangen sind oder innerhalb der nächsten ein oder zwei Wochen verderben würden. Hackfleisch oder andere Lebensmittel, die ich heute nicht mehr aufbrauchen kann, bringe ich nach unten in Sam's Keller und friere die Sachen ein.
Ein paar Hähnchenkeulen lasse ich im Backofen knusprig werden und schaue auf die Uhr. Solange sie brutzeln, verschwinde ich in meinem Zimmer und fange an, ein paar Sachen zusammenzupacken. Ich staple meine Freizeitkleidung sowie die Trainingskleidung von der Schule auf der Matratze übereinander. Die Bücher lasse ich auf dem Nachttisch liegen und sortiere Sam's Shirt mit den Tennessee Titans aus, weil ich es vorher nochmal waschen will. Viel liegt da wirklich nicht auf dem Bett, was nun mal daran liegt, das ich nichts besitze. Auch in dem Bad krame ich alles zusammen und werfe die wenigen Dinge aufs Bett. Das fühlt sich an wie ein merkwürdiger Abschied von Sam und ich verdränge die aufkeimenden, negativen Gefühle. Als ich so musternd auf das Bett starre, drückt er hinter mir die Tür weiter auf, worauf ich mich zu ihm drehe.
>Hier du brauchst eine Reisetasche. < daraufhin legt er mir eine auf das Bett.
>Danke. Du musst auch noch ein paar Dinge zusammenpacken. <
>Damit habe ich nebenbei schon angefangen. < nuschelt er und schaut über meinen kleinen Berg aus Klamotten und Co. Sein Blick fällt auf die transparente Tüte aus Handschuhen. >Pack dir den Föhn ein. Du bekommst sie sonst nicht an. Und kontrolliere sie immer, wenn du sie mehrere Tage trägst. <
>Wie soll ich die Dinger wechseln, wenn ich einen Zimmergenossen habe? <
>Schließe dich im Bad ein und sag, du brauchst deine Privatsphäre. <
Ich nicke, das ist schließlich die einzige Möglichkeit. >Ich habe schon mit Henry telefoniert. Er weiß Bescheid, dass du morgen kommst. <
>Okay. < murmle ich und packe nebenbei alles in die Tasche hinein. Sam verschwindet wieder aus dem Zimmer und ich hole mir den Föhn aus dem Bad. Ich hoffe, ich kann das wirklich geheim halten.
Dann gehe ich wieder zurück in die Küche und mache das Essen fertig.
Sam ist in den nächsten zwei Stunden viel an seinem Laptop und seinem Handy, woraufhin ich ihn nicht stören will. Sicher muss er vieles planen und vorbereiten. Die Flüge hat Dimitrij bereits gebucht.
Nachdem ich alles sauber gemacht und aufgeräumt habe, überlege ich schlafen zu gehen. Ich fühle mich ziemlich ausgelaugt von heute und vor allem immer noch vom Wochenende.
Als ich den Flur zum unteren Bad entlanggehen will, kommt Sam plötzlich von draußen ins Haus hinein.
>Wo kommst du denn her? Ich dachte, du bist in deinem Zimmer. < wende ich verblüfft ein.
>Nein. Zieh dir eine Jacke drüber und komm mit. <
Gerade als ich fragen will weshalb, ist er schon wieder verschwunden. Ich hole aus der Tasche eine dünne Jacke von Megan heraus und gehe vor die Tür. Es ist wahnsinnig dunkel und Sam ist nicht in Sichtweite.
>Wo bist du? < frage ich in die Finsternis hinein. Ich erhalte keine Antwort. Meine Arme gehen schützend vor meinen Körper und ich laufe langsam ein paar Schritte vor. >Sam? < rufe ich jetzt lauter. Mein Herzschlag beschleunigt sich, denn ich kann kaum etwas sehen. Umso mehr Schritte ich vorwärtsgehe, desto mehr sehe ich allerdings einen hellen, rotorangen Schein hinter dem Haus flackern. Hektisch sehe ich mich um, denn von Sam ist immer noch keine Spur und er antwortet nicht. Bei jedem Schritt knackt ein Zweig unter meinen Füßen, bei dem ich zusammenzucke.
„Es ist einfach nur dunkel – sei nicht so ein Feigling!“, rede ich mir ein und laufe einfach dorthin, wo die einzige Lichtquelle herkommt. Nach ein paar Schritten sehe ich das Feuer tanzen, das Sam draußen entzündet hat. Das hätte er doch auch drinnen im Kamin anmachen können.
Ich beruhige mich etwas als ich ihn sehe, ziehe die Jacke enger um meinen Körper und schlinge die Arme wieder um meinen Körper. Sam wirft noch ein paar Holzscheite in die Flammen und dreht sich dann zu mir um.
>Was hast du vor? < frage ich und runzle die Stirn. Ich sehe sein grinsendes Gesicht, als er sich zum Boden bückt. Dann kommt er wieder hoch und hält in der einen Hand zwei Stöcke und in der anderen eine Packung Marshmallows. >Oh Mann, du kannst auch den ganzen Tag essen. < lache ich.
>Hast du keine Lust darauf? <
>Doch, na klar. <
Ich setze mich auf den Baumstamm, der vor dem Feuer liegt und nehme ihm einen der Stöcke ab. Er piekst die Schaumzuckerwatte auf und setzt sich dann neben mich. Sofort halten wir sie beide über das Feuer.
>Wegen wie vielen Personen fliegst du nach Russland? < will ich wissen.
>Das wird sich noch herausstellen. Es sind einige und ich hoffe, dass sie alle in dem Land bleiben. Sie wechseln andauernd ihre Aufenthaltsorte, was es wirklich anstrengend macht, ihnen hinterherzujagen. <
Meine Arme sind zu kurz und ich muss mich ziemlich strecken, um die Kalorienbombe zum Schmelzen zu bringen. Deswegen setze ich mich schließlich einfach weiter vor den Baumstamm auf den Boden. Hier am Feuer ist es angenehm warm und ich friere dadurch nicht.
>Ich dachte immer, du wärst ausschließlich in den Staaten als Killer unterwegs. < wende ich ein.
>Das ist bequemer für mich, aber notfalls steige ich auch in den Flieger. Kriege aber erstmal so viele Waffen durch den Flughafen wie ich. Das ist jedes Mal auf Neue lustig. <
Er rutscht an die Stelle, wo ich bis eben noch gesessen habe und ist mit gegrätschten Beine genau hinter mir. Ich lehne meinen Rücken gegen das Holz und teilweise auch gegen ihn. Sofort fängt er an – wie so oft, mit meinen Haarsträhnen herumzuspielen, was mich so unglaublich beruhigt.
>Und wie bekommst du sie durch die Kontrolle? < frage ich, um mich von seiner Berührung abzulenken. Fast hätte ich bei dem letzten Wort geseufzt.
>Mit haufenweise Dokumenten, die es mir erlauben, das Zeug einzufliegen – und mit Kontakten. <
Seine Finger streifen meinen Nacken und ich bekomme eine Gänsehaut.
>Ist dir kalt? < fragt er, als er sie offensichtlich unter seinen Fingerspitzen spürt.
>Ja. < lüge ich. Aber die Reaktion kommt nicht von der Luft hier draußen. Er greift mit seinem freien Arm um meinen Brustkorb und zieht mich noch ein Stück näher zu sich heran. Er bleibt etwas vorgebeugt, weshalb er seinen Oberkörper auf meinem Rücken hat. Sein Kinn legt er beinahe auf meiner Schulter ab.
Oh Mann Sam, wieso tust du das? Das macht es doch nicht besser. Ich bin nur froh, dass er mein Gesicht nicht sieht. Wenn er sich doch nur an gestern erinnern würde.
>Was hat Dimitrij mit deinem Auftrag zu tun? Er ist doch nur Phantomzeichner. < lenke ich schnell wieder ab. Ich höre ihn neben mir leise auflachen.
>Ja das ist die offizielle Version. Dimitrij ist der Mann, wenn es um Kommunikation und um russische Verbindungen geht. <
>Und da willst du mir noch erzählen, dass du keinem traust? < feixe ich und neige meinen Kopf etwas zur Seite, um ihn ansehen zu können.
>Ich glaube, das liegt ein bisschen an dir. Du zeigst mir jeden Tag aufs Neue, dass es doch noch Menschen gibt, denen man vertrauen kann. Damit will ich nicht sagen, dass ich Dimitrij oder den Anderen alles aushändige was ich weiß, aber ich denke, es fällt mir leichter mit ihnen zu arbeiten. <
>Gern geschehen. < lache ich und puste meinen heißen Marshmallow etwas kühler. Er ist perfekt goldbraun geworden. Sam hat seinen allerdings für ein paar Sekunden nicht im Blick gehabt und nun brennt er. Ich pruste los als er versucht, ihn auszuwedeln und schließlich ins Feuer wirft. Essbar ist er sowieso nicht mehr gewesen, also steckt er sich einen Neuen auf den Stock.
>Russische Frauen sollen ziemlich hübsch sein. < wende ich gedankenverloren ein und ich weiß überhaupt nicht weshalb ich das sage. Ich zerdrücke die Zuckermasse lieber schnell mit meinem Gaumen. >Vielleicht änderst du deine Meinung mit dem anderen Geschlecht noch. <
>Ich glaube kaum, dass ich Zeit für ein Date haben werde. < gluckst er.
>Wer weiß. Vielleicht kommst du zurück und bist vollkommen beflügelt. <
Daraufhin klimpere ich übertrieben mit den Wimpern. Mir vorzustellen, dass Sam ganz verliebt zurückkehrt, ist zwar total surreal, aber trotzdem würde ich ihm das wünschen.
>Du hast wohl zu viel Rauch eingeatmet. Dazu müsste ich von vornherein alles auspacken, was sich um meinen Job dreht. Und mal angenommen ich wäre so wahnsinnig das zu tun, dann würden 99 Prozent der Frauen schreiend weglaufen oder womöglich ihr Pfefferspray auspacken. Wahrscheinlich würde ich so etwas niemals erwähnen aber eine Beziehung auf einer Lüge aufzubauen, ist bereits zum Scheitern verurteilt, noch ehe sie angefangen hat. <
>Du hast es mir doch auch gesagt. < murmle ich und sehe wieder zu ihm. Sein zweiter Marshmallow ist endlich gelungen und er stopft ihn in den Mund. Im Schein des knisternden Feuers sehe ich allerdings seinen Gesichtsausdruck. Die Tatsache, die er eben beschrieben hat, gefällt ihm alles andere als gut. Er mag sich damit abgefunden haben, allein zu sein, aber deswegen findet er es nicht gerade toll. Er antwortet allerdings nichts, deswegen pieke ich einen neuen Schaumzuckerball auf und halte ihn über das Feuer.
>Die nächste Zeit wird sicher kein Zuckerschlecken für dich. Ich will, dass du dir niemals die Butter vom Brot nehmen lässt, okay Kleines? Du kriegst das hin und ich will nicht, dass du dir etwas Anderes einredest. Und lass dir auch von niemandem sonst etwas Anderes sagen. Und falls doch, dann heul kurz für zehn Minuten und zieh danach in deinen persönlichen Krieg. < setzt er mit einem anderen Thema an.
Ich grinse über seine Wortwahl aber nuschle leise:
>Ab und zu bin ich aber ziemlich unsicher, ob ich das schaffe. <
>Ich weiß und das solltest du ablegen, denn zu 80 % des Tages bist du eine ziemlich selbstbewusste Frau. Wie viele Jahre hast du an den Weihnachtsmann geglaubt? <
>Bitte was? < lache ich los und starre ihn verdutzt an.
>Sag schon. <
>Keine Ahnung. Bis ich acht oder neun war, denke ich. <
>Wer so lange an eine erfundene Person geglaubt hat, der kann auch mal für die nächsten 14 Tage an sich selbst glauben. <
Ich taste an meinem Nachtisch herum, ob er gut ist und verschlinge dann grinsend das kleine Ding. Dann setze ich mich wieder hoch auf den Baumstamm neben Sam. >Ich glaube, du wirst mir fehlen. < gebe ich flüsternd zu.
Er grinst und legt wie so oft seinen Arm um meine Schulter.
>Ich schätze, du mir auch. Dimitrij wird es nicht leicht mit mir haben. <
Das Feuer wurde nach und nach immer kleiner. Die heiße Glut verebbte und es wurde kälter hier draußen. Wir müssen morgen noch früher als sonst aufstehen, da wir mit Henry in seinem Büro verabredet sind und Sam danach zum Flughafen muss. Ich mache mich im Badezimmer fertig und lasse nur noch die wenigen Dinge darin, die ich für morgen früh brauche.
In dem Zimmer angekommen steht alles gepackt und bereit auf dem Bett. Das ist irgendwie seltsam. Ich greife zur Tasche und zum Rucksack und setze sie auf den Boden. Die Bettwäsche ist von letzter Nacht noch in Sam's Zimmer, also laufe ich zu ihm hoch. Seine Tür steht weit offen und ich sehe, wie er seine letzten Sachen ebenfalls zusammenräumt.
Ich laufe zu seinem Bett und angle das Kissen heran, dass ich mir unter den Arm klemme.
>Was machst du? < fragt er und runzelt die Stirn.
>Ich habe heute Morgen nicht daran gedacht, die Sachen wieder hinunterzubringen. <
>Bleib doch einfach hier. <
>Ernsthaft? <
>Ja, stell dir nur mal vor ich bekomme Fieber. < grinst er schelmisch und wiederholt damit meine Ausrede von letzter Nacht. Ich pruste los und werfe das Kissen wieder zurück an seinen Platz. Bis Sam fertig ist, gehe ich nochmal die Stufen runter, ziehe mir in meinem Zimmer etwas zum Schlafen an und tapse dann wieder nach oben. Ich bin hundemüde und lasse mich direkt in sein Bett fallen. Dieses Mal muss ich immerhin nicht über ihn klettern, da er am anderen Ende des Zimmers noch mit seiner Tasche beschäftigt ist.
>Wie siehst du denn aus? < keucht er, als er einen kurzen Blick auf meine Beine erhascht, die ich eilig bedecke.
>Das ist vom Training. Schau dir mal das an. < Daraufhin ziehe ich mein Shirt ein kleines bisschen höher und zeige ihm meinen blau verfärbten Rippenbogen. Das muss erst innerhalb der letzten paar Stunden so eingeblutet haben. Cataley war immerhin kein bisschen zimperlich mit mir. Er reißt seine Augen auf.
>Hast du dich mit der gesamten ersten Stufe gleichzeitig angelegt? <
>Nein, nur mit der Trainerin. Aber ich schätze, das kommt aufs Gleiche hinaus. <
>Cataley war das? < fragt er und sein Blick wird eigenartig finster. >War das im offiziellen Training? <
>Sicher. Wo sonst? Wir haben geübt. < erwidere ich lässig. Ich merke an seinem Ton, dass ihm das nicht gefällt. Er soll sich meinetwegen keine Sorgen machen, ich schaffe das schon irgendwie. >Mir geht’s gut. Sie zeigt mir sofort meine Fehler auf. Da ist nichts dabei. <
>An diesem Spruch: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, scheint echt etwas dran zu sein. < erwidert er teils beeindruckt aber auch definitiv erbost. Er kann es nur gut verstecken.
>Blödsinn, natürlich habe ich auch Schmerzen, aber das hier war nicht schlimm. < lüge ich. Natürlich fand ich es schlimm. Ich habe mich ernsthaft gefragt, weshalb sie so akribisch immer wieder auf mich ging.
>Falls etwas ist, dann hast du immer Lukaz oder Henry, mit denen du reden kannst. <
Ich nicke, lasse das Shirt wieder herunterfallen und ziehe mir die Decke über den Körper. Diese zarte Seele will ich nicht sein, die andauernd heult. Ich kann das wegstecken und die anderen Schüler sagten, Cataleys Launen seien normal. Das ist schon okay und es kann mich nur stärker machen.
>Du Sam? <
>Hmm? < murmelt er. Ohne aufzusehen, verstaut er ein paar Waffen mitten auf seinen Shirts.
>Auf einer Skala von eins bis zehn, wie gefährlich ist das, was du da in Russland tust? <
>Irgendwas zwischen sieben und acht. <
>Das ist hoch. <
Dann zieht er endlich die Reißverschlüsse seiner Tasche zu und schaut leicht grinsend zu mir.
>Mach dir keine Sorgen, uns wird nichts passieren. <
Daraufhin zieht er sein Shirt über den Kopf und sofort blitzt das Pflaster auf.
>Du bist nicht Superman. < meckere ich in mich hinein und drehe meinen Kopf anstandshalber zur Wand als er sich den Rest auszieht.
>Aber nah dran. < erwidert er trocken, worauf ich mir die Hand kichernd vor die Stirn klatsche. Kann er dabei nicht mal ernst bleiben? Kurz darauf kommt er ins Bett und ich rücke ein bisschen weg, damit er Platz hat, aber so weit komme ich gar nicht. Er zieht mich schon wieder zu sich ran, damit ich nicht abhaue.
>Wenn wir das nächste Mal wieder zusammen sind, dann ist jeder von uns ein Stück weitergekommen. < flüstert er an meinem Ohr.