Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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28.12.2018
5.353
Kapitel 07 - Zusatztraining
In dieser Nacht bleibt Sam nicht bei mir. Ich hätte es mir gerade heute mehr als an allen anderen Tagen gewünscht, aber er hat heute Nacht einen Auftrag, den er sich nicht entgehen lassen kann. Natürlich kann ich es total nachvollziehen, wie sehr es ihn in den Fingern juckt und da ich morgen keine Schule habe, braucht er nicht in aller Frühe aufzustehen, um mich zu fahren.
Er sagte auch, dass es wahrscheinlich nicht lange dauert, weil er weder einen weiten Fahrweg hat, noch wird seine Zielperson in irgendeiner Weise geschützt oder in Gesellschaft sein. Seine Recherchen im Vorfeld sind perfekt und im Grunde genau das, was ich gerade an meiner Schule lerne. Umso besser man vorbereitet ist, desto weniger Überraschungen gibt es.
Ich sitze immer noch auf dem Bett mit dem Rücken zur Wand, so wie er mich vor zwei Stunden hier hat sitzen lassen. Meine Beine sind an meine Brust angezogen und meine Arme umgreifen sie. Stur geradeaus blickend, vegetiere ich vor mich hin und bin absolut gedankenlos.
Aber langsam bekomme ich Hunger. Vorhin hatte ich nicht mal im Traum daran gedacht, etwas Richtiges neben dem Eis zu essen. Jetzt habe ich allerdings das Gefühl etwas bei mir behalten zu können und stehe schließlich auf, um mit den warmen Socken über seinen Boden zu schlürfen. Inzwischen sind auch meine Haare von all dem Regen getrocknet und mir ist wieder warm.
In der Küche steht die Pfanne herum, in der ich die andere Hälfte des Abendessens gelassen habe. Drei Kellen werfe ich mir davon auf den Teller und esse es kalt. Das juckt mich im Grunde überhaupt nicht, weil ich einfach stumpf die Nahrung in mich hineinlöffle, ohne etwas zu schmecken.
Dann räume ich alles in den Geschirrspüler ein und lasse ihn einfach über Nacht laufen.
An meiner Hand sehe ich, dass sich eine Stelle an meinem Daumen auflöst und ich kratze daran herum. Der rechte Handschuh ist jedenfalls hin, was mich bei den letzten beiden Trainingstagen nicht wirklich wundert, denn die müssen dabei ordentlich was aushalten. Ich ziehe mir die falsche Haut ab und werfe sie in den Müll. Erschöpft lehne ich mich an seinen Küchentisch an und setze mich schließlich mit baumelnden Beinen darauf.
Es wird wirklich Zeit, dass mal wieder etwas mehr Ruhe einkehrt. Erst die Sache mit der Bounty Hunter Schule, die ich plötzlich besuche, dann der aufwühlende Besuch bei Dimitrij und schließlich das Treffen auf dem Friedhof. Ich finde, das war innerhalb von drei Tagen mehr als genug Trubel. Für Sam scheint das im Grunde genommen seine Welt zu sein. Jeden Tag passiert irgendetwas Aufwühlendes oder etwas Schreckliches, das er wegstecken muss. Ganz egal, ob ihm sein Opfer entkommen ist oder ob er es endlich erwischt hat. Sein Adrenalinpegel muss dabei jedes Mal unfassbar hoch sein. Für ihn ist das Alltag und für mich muss es das werden, wenn ich da draußen als Hunter überleben will. Was mich so unendlich traurig macht, war der Satz, als Sam sagte, dass er die schlimmsten Tage seines Lebens allein durchmachen musste. Warum war verdammt noch mal nie jemand für ihn da?
Wie kann jemand von sich selbst behaupten keine Emotionen zu haben, obwohl er mir doch so viel davon gibt?
Schließlich rutsche ich mit meinem Hintern vom Tisch runter, stampfe ins Bad und mache mich fertig, um endlich ins Bett zu gehen. Es ist irgendwas in Richtung drei Uhr Morgens und ich bin wirklich hundemüde aber innerlich sträube ich mich wie so häufig, zu schlafen, wenn ich allein bin.
In meinem Zimmer ziehe ich mich um und hüpfe unter die Decke. Da ich mich selbst kenne und weiß, dass ich beim Lesen gut einschlafen kann, greife ich zum Ende des Bettes, wo mein Rucksack steht und hole mir den Schreibblock raus. Ich lese nochmal alles über die Kautionsfälle und Paragraphen nach und ergänze auf einer weißen Seite alle Techniken, die wir in Selbstverteidigung und Einsatztraining gelernt haben. Das Ganze lenkt mich ab und sorgt dafür, dass ich nicht an den schrecklichen, vergangenen Tag denken muss.
Keine zehn Minuten später merke ich, wie meine Beschäftigung endlich Wirkung zeigt und ich kaum noch auf das Blatt schauen kann. Ich reibe mir die Augen und werfe das Zeug auf den Nachttisch. Das Licht neben mir stelle ich aus und starre zur leicht geöffneten Zimmertür. Die Bettdecke drücke ich so sehr an mich, als wäre sie das Einzige, was mich vor dieser Welt beschützen könnte.
Es kann unmöglich viel Zeit vergangen sein und ich war wahrscheinlich nur in einen sehr leichten Schlaf gefallen. Unterschwellig bekomme ich mit, wie die Eingangstür zugedrückt wird. Da ich meine Zimmertür offen habe, sehe ich einen Lichtstreifen im Flur und höre kurz darauf auch das Rascheln einer Jacke, die ausgezogen wird. Zufrieden seufzend, weil Sam wieder da ist, drehe ich mich auf die andere Seite und weiß, dass ich jetzt endlich zur Ruhe komme.
Um mich herum nehme ich die anderen Geräusche wahr, die er verursacht – auch wenn er sehr leise ist. Er gähnt, läuft offenbar ziemlich müde die Treppe nach oben und schließt eine Tür. Kurz danach höre ich das leise Rauschen, als er seine Badewanne befüllt.
Das tut er zu 90 %, wenn er von seiner Arbeit kommt. Bis auf die zwei Male, an denen sein eigenes Blut an ihm klebte, war er noch nie von dem seiner Opfer befleckt. Aber vielleicht ist das seine Art mit seinem Job umzugehen. Sich die Sachen vom Leib zu reißen und den Schmutz abzuwaschen, der nicht da ist.
Mit dem Wissen, das mein Beschützer wieder da ist, schließe ich die Augen und schlafe ein. Und wenn es nach mir geht, dann will ich, dass er für immer bleibt.
Später gegen Mittag
Als ich wach werde, bemerke ich, dass ich mich selbst umarmt habe. Ich liege auf dem Bauch und muss mit der anderen Hand nachhelfen, um meinen Arm freizukommen. Er ist komplett taub und fällt wie ein nasser Sack auf die Matratze. Erst nach ein paar Sekunden kommt nach und nach wieder Leben in diesen Teil meines Körpers. Als Sam erstmal zurück war, habe ich geschlafen wie eine Tote.
Es ist irgendwie faszinierend, wie das Unterbewusstsein einen zur Ruhe kommen lassen kann, nur mit dem Wissen, dass eine andere vertraute Person da ist. Das piksende Gefühl in meinem Arm – weil er wieder durchblutet wird, weicht und er fühlt sich einfach nur angenehm warm an. Im Sitzen kreise ich meine Schulter einige Male und schaue wie schlimm mein Muskelkater heute ist.
Fazit: Er ist übel.
Aber ich will mich trotz der zwei Tage, die ich nun freihabe, nicht ausruhen. Ich bin so unerfahren zwischen all den Karateprofis, ehemaligen Soldaten und Cops, dass ich nicht an letzter Stelle stehen will. Mir fehlen die Übung und die Routine. Deshalb stehe ich auf und suche zwischen den Sachen von Megan irgendetwas Geeignetes heraus. Natürlich hat sie mir keine Jogginghose oder so etwas eingepackt aber ich finde eine stretchige Hot Pants die immerhin geeigneter ist als eine Jeans.
Taugliche Schuhe habe ich auch nicht und in Ballerinas lässt es sich nicht besonders gut trainieren. Also nehme ich die Stiefel, die ich von der Schule erhalten habe.
Im Badezimmer mache ich meine üblichen drei Handgriffe und höre leise durch das Haus. Sam schläft offenbar noch – das ist gut. Ich will, dass er sich mal etwas ausruht, denn immerhin halte ich ihn immer sehr auf Trab.
Leise verlasse ich sein Haus und ziehe hinter mir die Tür zu. Meine Kondition und Kraft müssen besser werden, wenn ich auf dieser Schule überleben will. Inzwischen kenne ich mich gut in seinem Wald aus und nehme einfach irgendeine beliebige Richtung, um mich mit dem Jogging aufzuwärmen.
Was ich mache, ist eher ein Intervalllaufen indem ich kurzzeitig sprinte und dann wieder langsamer laufe. Dabei komme ich ganz schön außer Atem, aber so hat uns Cataley am ersten Tag auch getriezt. Ich versuche mich an alles zu erinnern, was wir gemacht haben und halte zwischendurch irgendwo an, wo ein umgestürzter Baum liegt. Dieser wird von mir misshandelt, indem ich in einem schonenderen Winkel Liegestütze mache oder mit geschlossenen Beinen rauf und wieder runter springe.
Dieses verdammte Bein macht mich allerdings nach kurzer Zeit wieder vollkommen fertig und es nervt mich. Ich weiß, dass ich eigentlich froh sein müsste, weil der Streifschuss an meinem Arm und der Treffer an meinem Schulterblatt relativ gut verheilt sind. Das liegt wahrscheinlich auch an Sam's effektiven Übungen, mit denen er mich von Anfang an gequält hat. Ich bekomme den rechten Arm inzwischen beinahe so hoch wie den Gesunden. Er tut selbstverständlich bei Überanstrengung und Druck weh aber dieses Bein zickt schon bei weitaus kleineren Anstrengungen herum.
Aber ich darf eben nicht vergessen, dass das eine ganz andere Kategorie in Sachen Verletzungen war. Immerhin wurde meine etwa 10 cm dicke Wade durchschossen, ohne einen Knochen zu beschädigen. Ich weiß nicht, ob es jemals richtig verheilen wird, dennoch denke ich gar nicht daran, mich davon ausbremsen zu lassen. Von nichts auf der Welt will ich mich bremsen lassen, schon gar nicht, wenn es um mein Ziel geht, endlich diese Typen zu bekommen. Dazu muss ich weitaus besser werden als es mein derzeitiger Zustand erlaubt. Das ist es, was mich anspornt – die Namen Mischa, Phillipe, Raphael und der des Taliban.
Ich versuche mit meinem Speichel meine Kehle zu befeuchten und beginne wieder einen Sprint. Beim nächsten Baum oder Ast der im Weg liegt, springe ich darüber. Die Landung tut etwas weh aber ich verdränge es in den Hintergrund. Inzwischen weiß ich, das körperliche Schmerzen ein Scheißdreck gegen das sind, was emotionale Schmerzen sein können.
Ich laufe wieder in einem lockeren Rhythmus, bleibe schließlich beim nächsten Baum stehen und hangle mich an einen Ast über meinen Kopf. Ich versuche mich nur mit meinen Armen daran hochzuziehen aber na ja … immerhin 1 ½ Klimmzüge mit Schummeln könnte man gelten lassen.
Wie lange ich bisher schon durch den Wald gelaufen bin weiß ich gar nicht, aber da ich so schnell aus der Puste bin und schon wieder umdrehe, war es wahrscheinlich eher ein Witz. Der Muskelkater, der bei jeder Bewegung spürbar ist, bringt mich sogar noch schneller an meine Grenzen. Warum kann so ein Körper nicht einfach das tun, was er soll? Aber anstatt gemütlich zurück zu spazieren, raffe ich mich noch einmal auf und jogge zurück.
Ich öffne keuchend seine Haustür und weiß, dass er mittlerweile wach ist. Ich kann von oben seinen elektrischen Rasierer hören, der soeben ausgestellt wird. Im Flur versuche ich erstmal wieder zu Atem zu kommen, als Sam auch schon die Treppe heruntergelaufen kommt.
>Netter Look. < feixt er. Ich sehe an mir herab mit Shirt, Hot Pants und diesen derben Boots.
>Der ist in Paris sicher der letzte Schrei. < er kommt näher zu mir und ich streiche ihm mit meinem Daumen über sein Kinn. >Selber netter Look. <
Sam hat sich seinen Bart wieder etwas getrimmt, dass er nach einem drei-Tage-Wuchs aussieht. Wenn er ihn komplett abrasieren würde, dann sähe er bestimmt noch jünger aus und weniger düster. Aber so wie er jetzt ist gefällt er mir.
>Tja war doch mal wieder nötig, oder? < Ich grinse und nicke. >Wo warst du eigentlich? Als du nicht in deinem Bett gelegen hast, habe ich mir Sorgen gemacht. <
>Brauchst du nicht. Nachdem ich die halbe Nacht lang wach gewesen war, bin ich irgendwann so tief eingeschlafen, dass ich überhaupt nicht bemerkt habe, wie blöde ich eigentlich lag. Danach musste ich mich bewegen und war joggen. <
Daraufhin runzelt er die Stirn und fragt mit sanfter Stimme:
>Wie geht’s dir? <
Mir ist klar, worauf er anspielt und ich versuche ihm ein Lächeln zuzuwerfen.
>Es ist okay. Ich glaube, über die größte Hysterie bin ich hinweg. <
>Ist das der Moment, in dem du so tust, als würde es dir gut gehen? <
>Nein. Dass es mir gut geht habe ich nicht behauptet. Aber ich fühle mich wieder ruhiger. Und ich bin dir unglaublich dankbar, dass du mich zu meiner Familie gebracht hast. Dass meine Freunde dort stehen würden, konntest du nicht wissen. <
>Konnte ich nicht, aber vielleicht hätte ich es mir denken sollen, da es erst einen Tag her war. Ich hatte nur irgendwie das Gefühl, dir etwas von dem geben zu wollen, das du nicht selbst miterleben konntest. <
>Du hast es doch selbst gesagt … Wer sollte denn denken, dass bei einem solchen Mistwetter jemand auf den Friedhof geht? Hör auf dir deswegen Vorwürfe zu machen – ich tu es auch nicht. <
Er nickt, so als wäre die Sache damit endlich abgeschlossen. Immer will er es mir recht machen und denkt hinterher, alles falsch gemacht zu haben. Irgendwie vergisst er sich selbst immer wieder dabei. Wie viele Meilen hat er in seinem Pick-up meinetwegen schon zurückgelegt?
>Na komm schon. Lass uns was frühstücken. Oder willst du erst duschen? < fragt er.
>Ich gehe hinterher. Geschwitzt habe ich eh kaum, weil ich gar nicht so weit gekommen bin. Der Muskelkater lässt gar nicht so viel zu und ich habe eher nach Luft gerungen und gekeucht, nachdem ich ein paar Minuten unterwegs war. <
>Du musst deinen Muskeln auch die Möglichkeit geben, sich zu regenerieren. Wenn Cataley den einen Tag mit euch viel Kraft trainiert, dann wird sie am nächsten Tag mehr auf die Ausdauer gehen. Nur so können deine Muskeln wachsen. Unterschwellig wirst du in nächster Zeit aber wohl immer etwas spüren. <
>Okay, das verstehe ich ja aber ich finde es blöd, wenn ich überhaupt nichts machen kann. Immerhin habe ich doch gerade erst angefangen in der Schule zu trainieren und jetzt habe ich zwei Tage Zwangspause. <
Sam grinst.
>Dir ist wohl schon wieder langweilig. <
>Du zahlst das Ganze. Ich will nicht den Anschluss verpassen und länger brauchen als nötig. <
>Hör auf deswegen so viel nachzudenken. Der Anschluss wird dir schon gelingen. <
Ich seufze und stelle mich in der Küche neben ihn. Zusammen machen wir “Frühstück“ was eigentlich schon wieder Mittag sein müsste. Sam kocht wie immer für uns beide Kaffee. Das ist durch und durch sein Part.
>Hast du was geträumt? < will er wissen.
>Nein, nicht dass ich wüsste. Und wäre es etwas Schlimmes gewesen, dann wäre es wohl noch in meinem Kopf. <
Er stimmt mir summend zu und toastet ein paar Toastscheiben. Ich schneide derweil ein bisschen Obst und als wir so gemeinsam am Tisch sind, ist es so harmonisch wie beinahe immer in letzter Zeit. Irgendwie brauche ich das – die Routine mit ihm, seine Gesellschaft, manchmal sogar seine Strenge.
>Gestern beim Training, da fiel mir übrigens wieder etwas ein. < murmle ich noch mit vollem Mund und schlucke hinunter. >Du sagtest mal, du gibst ab und zu ein paar Stunden an dieser Schule Unterricht. Was genau tust du da? Stehst du demnächst vor mir in der 1. Stufe? <
>Nein. < feixt er. >Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich es für gewöhnlich nicht so mit Menschen. Schon gar nicht, wenn es so viele auf einen Haufen sind. <
>Das überrascht mich ja jetzt total. < spiele ich schockiert. Daraufhin wirft er mir einen belustigten Blick zu.
>Ich trainiere die Trainer und zeige ihnen, wie sie ihre Techniken noch weiter verbessern können. Auch wenn sie so wirken, als wären sie perfekt, gibt es trotzdem immer Schwachstellen und die ersticke ich im Keim. Wenn ich durch einen Job oder ein Trainingslager etwas Neues kennengelernt habe, dann zeige ich es ihnen in der Schule ebenfalls. <
>Ah verstehe. Und Cataley freut sich wahrscheinlich immer besonders, wenn du da bist. <
Daraufhin seufzt er und rollt mit den Augen.
>Da hast du nicht Unrecht aber sie geht mir auf den Wecker. <
>Weißt du, dass jeder Typ in meiner Stufe oder in einer der Höheren sich das nicht nehmen lassen würde, mit ihr mal auszugehen? <
>Mag sein. Aber ich kenne sie schon eine Weile und es reizt mich nichts an ihr. <
Daraufhin starre ich ihn mit großen Augen an. Selbst ich als Frau muss zugeben, dass ich es vollkommen verstehen kann, wie die anderen Männer auf sie reagieren. Wegen meines Blickes schmunzelt Sam und fügt hinzu: >Nur weil sie aussieht, wie eine Frau aus dem Katalog, heißt das nicht, dass ich meine Zeit mit ihr verbringen will. Sie ist egoistisch, selbstverliebt, intrigant und ich schätze mal, sie lässt nichts anbrennen, wenn sie die Gelegenheit hat. Sie geht davon aus, dass sie alles haben kann, was sie will. Das ist so ziemlich alles, was ich an einer Frau hasse. <
>Du verblüffst mich immer wieder. Den meisten wäre das ziemlich egal. <
>Mir nicht und ich sehe sie andauernd wieder. Eine einzige Nacht würde solche Begegnungen ziemlich kompliziert machen, wenn es mir nur darum ginge. <
>Hmm … auch wieder wahr. Wenn ich mir vorstellen würde, ich müsste ständig mein one night stand sehen … Oh Gott. <
>Ich schätze mal, so ging es dir doch gestern, oder? < fragt er vorsichtig.
>Hä? Was? <
>Ich meine diesen Jordan, der gestern da war. Megan sagte, dass er dich liebt und du bist damals rot geworden, als du mir das erste Mal von ihm erzählt hast. <
Ich lache leise auf.
>Wieso interessiert dich das eigentlich? <
>Nur so. < spielt er leichthin und kaut an seinem Toast herum.
>Ich habe dir letztens gesagt, er ist nur ein Freund und das stimmt auch – jedenfalls für mich. Allerdings hat er mich in der Nacht als wir unseren Abschluss feierten geküsst. Ich war etwas angetrunken und dachte „hey was ist schon dabei“ aber dann ging er mir an die Wäsche und das war der Punkt, an dem das gar nicht mehr funktionieren konnte. Er wollte, dass wir in seinem Auto weitermachten, aber ich habe das abgebrochen und bin gegangen. <
>Für ihn war das wahrscheinlich ein unfassbares Erlebnis und dann verschwindet die Frau, die er will einfach. < feixt er, allerdings verschluckt er sich beinahe an seinem Frühstück, als ihm auffällt, was er da sagte. In dieser Nacht verschwand ich tatsächlich. >Tut mir leid, das kam anders raus als ich es meinte. <
>Schon klar. < murmle ich monoton und esse einfach weiter.
Ich schätze, dass Sam sich nach dem Essen an seinen Laptop setzen wird. Sicher hat er wieder dutzende E-Mails und Anfragen, die er beantworten muss oder irgendwelche offenen Chats. Deswegen räume ich in aller Ruhe auf und wundere mich, als er in einer anderen Hose als vorhin vor mir steht.
>Hast du noch was vor? < frage ich. Allerdings sieht er eher sportlich als elegant aus.
>Wir haben was vor. Komm mit. <
>Was? Aber Sam ich wollte noch schnell duschen. <
>Kannst du hinterher. < sagt er und geht bereits los. Ich runzle die Stirn aber folge ihm schließlich. Er geht nach draußen und läuft ziemlich schnell, weshalb ich ihm hinterherjoggen muss.
Dann bleibt er abrupt stehen, dreht sich zu mir um und greift bereits nach meinem Arm. Aus einem Reflex heraus springe ich zur Seite und er greift ins Leere.
Daraufhin grinst er erst keck und kommt dann wieder schneller auf mich zu.
Jetzt kapiere ich was das Ganze soll. Ich laufe einfach schneller rückwärts vor ihm weg.
>Sam lass es – ich bin noch nicht so weit. <
>Deswegen ja. Vorhin hast du dich noch beschwert, dass du nicht üben kannst. <
Er greift zu meiner Hand und verdreht sie so, dass ich wegen dem ziehenden Schmerz ganz automatisch auf ihn zulaufe, statt vor ihm wegzulaufen. Ich beiße die Zähne zusammen, so wie im Training auch. Aber dann schnappt er sich mit der anderen Hand auch schon meinen Kopf, legt seinen Ellenbogen um meinen Hals und zieht mich in eine gebückte Haltung. Mist, wie war das nochmal? Ich habe gerade keine Ahnung was ich machen muss.
Ich versuche irgendwie meinen Kopf herauszudrehen.
>Jetzt streng dich mal ein bisschen an. <
>Das ist unfair. Ich wusste doch überhaupt nicht, was du vorhast. < keuche ich bei jedem Ruck, den ich bei dem gequälten Versuch freizukommen von mir gebe.
>Du kannst davon ausgehen, dass dich niemand vorher vorwarnt, der etwas gegen dich hat. <
Ich weiß, dass ich eigentlich genau das Falsche tue, indem ich meine ganze Kraft darauf verschwende aus dem Griff zu kommen, aber Sam ist nicht so ungelernt wie Jeremy oder Louis.
>Hast du vor, dich heute noch zu wehren? < fragt er lässig, beinahe amüsiert.
Keuchend lasse ich meine Arme sinken und gebe es auf.
>Ich will dir doch nicht wehtun. <
>Ich will aber, dass du mir wehtust – vorausgesetzt du bist dazu in der Lage. Im Moment sieht es eher nach kuscheln aus. Also lass dir mal ein bisschen was einfallen. Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit, wenn es sein muss. <
Ist das sein Ernst? Na gut andererseits hat Sam bei weitem noch weniger Mitleid mit mir. Vielleicht ist das sogar ganz gut an ihm zu üben. Ich stelle mir einfach vor, es wäre irgendjemand meiner Mitschüler im Training. Das hatten wir doch erst gestern, wie kann man das vergessen? Sam verstärkt seinen Griff noch etwas mehr, weil ich zu lange überlege. Daraufhin trete ich ihm mit voller Kraft auf den Vorfuß, nutze die eine kleine Sekunde aus, die er etwas locker lässt und ziehe schnell meine rechte Hand frei, damit ich meinen Ellenbogen in seinen Bauch rammen kann. Daraufhin lässt er mich endlich los. Aber mehr als ein kurzes Keuchen und eine gebeugte Haltung konnte ich ihm nicht entlocken.
Er grinst und kommt wieder auf mich zu.
>Wenn du es schaffst, mich mit deiner Handkante hier zu treffen, dann bin ich schon mal zu Frieden. < sagt er und zeigt auf sein Brustbein.
>Ich mache das doch erst zwei Tage. Das schaffe ich doch nie an dich heranzukommen. <
>Wenn du deinen Gegner weiterhin totquatschst, hast du vielleicht Erfolg. < erwidert er augenrollend. Ich bedecke ihn mit einem beleidigten Blick und schließlich schnelle ich vor und versuche ihn dort zu treffen, wo er es mir zeigte. Dort komme ich nur leider nicht hin. Sam schnappt sich meinen anfliegenden Arm, um ihn mir so zu drehen, dass ich wieder ausweichen will. Und prompt habe ich den Arm nach hinten auf die Wirbelsäule gedreht bekommen und stehe mit dem Rücken an seine Brust gelehnt.
>Also bisher arbeitest du mir nur zu. Versuch dich nicht schnappen zu lassen. Du musst viel schneller werden. <
>Jetzt werde mal nicht unfair. < keuche ich. > Du machst das seit Jahren. <
>Und du suchst eine Ausrede. <
>Tu ich nicht! <
Er presst meinen Rücken noch mehr gegen seinen Brustkorb und verkreuzt meine Arme so blöd hinter mir, dass ich in der Klemme stecke. Mit der anderen Hand zieht er mir am Pferdeschwanz und beugt meinen Nacken nach hinten auf seine Schulter.
Ich sehe ihn schief von der Seite her an und sehe sein diebisches Grinsen.
Dann küsst er mich plötzlich auf den freigelegten Hals und mir wird heiß und kalt zur gleichen Zeit. Ich ziehe scharf die Luft ein, als seine Lippen immer noch ohne Druck daran haften.
>Wenn du dich nicht langsam mal wehrst, mache ich weiter. < murmelt er.
Daraufhin schiele ich nur seitlich zu ihm rüber und versuche so stark es geht, mein Grinsen zu unterdrücken. Mein Hinterkopf liegt entspannt auf seiner Schulter und schließlich muss ich doch schmunzeln.
>Hey, du sollst das nicht genießen! < erwidert er halb tadelnd, halb lachend.
>Dann fang doch nicht mit sowas an! <
Schließlich zuckt er mit den Schultern und beißt dann plötzlich in meinen Hals.
>Autsch! < kreische ich und trete ihm aus Reflex von hinten gegen das Schienbein. Dann bekomme ich meine Arme wieder frei, drehe mich ein klein wenig und ziele auf sein Brustbein. Leider hält er meinen Ellenbogen auf, worauf ich die andere Hand als Hilfe nehme und wieder auf ihn ziele.
Wieder schnappt er sich locker mein Handgelenk und zieht sein Bein lässig durch meine Füße, worauf ich zu Boden gehe. Sam hat mich allerdings immer noch in seinem Griff, weshalb ich sanft falle.
Das frustriert mich bisher nur. In den letzten zwei Tagen dachte ich, ich wäre gar nicht mal so schrecklich, aber offensichtlich habe ich mich geirrt und ich bin so hundsmiserabel wie Cataley sagt.
Genervt lasse ich meinen Kopf sinken.
>Komm schon, nochmal. Aber es muss schneller gehen. < heizt mich Sam an.
Ich lasse mir von ihm hoch helfen und stehe erneut ein paar Schritte von ihm weg.
Das Ziel ist sein Brustbein zu treffen aber das muss ich doch nicht sofort tun, oder? Damit rechnet er doch nur. Also gehe ich los und ducke mich weg, als er schon wieder nach mir greifen will.
Dann schlage ich seine Hände zur Abwehr weg und das Ganze geht umher wie ein Kinderklatschspiel, nur mit weitaus mehr Elan und Ernst.
Er treibt mich etwas weiter nach hinten und ich weiß nicht, weshalb ich rückwärtsgehe. Ich sollte lieber ihn in die Ecke treiben, statt mich dorthin treiben zu lassen. Beim nächsten Mal ducke ich mich unter seinem Arm durch, bis ich kurzzeitig hinter ihm stehe. Aber Sam ist so schnell, dass das Gleiche wieder von vorn losgeht. Keine Minute später liege ich erneut am Boden.
>Das war relativ gut. Dieses Mal versuche es noch schneller. <
Schnaufend lasse ich mich erneut von ihm auf die Beine ziehen. Gnade hat er mit mir auf gar keinen Fall.
Er probiert Dinge mit mir aus, die ich in den letzten beiden Tagen noch nicht zu Gesicht bekommen habe und zeigt mir Techniken, die mir helfen können, die Oberhand zu gewinnen.
>Glaubst du nicht, dass Lukaz sauer ist, wenn du vorgreifst? <
>Im Gegenteil. Dann ist mal etwas mehr Aktion in Stufe eins. <
Er steht schon wieder so schnell hinter mir, dass ich gar nicht so schnell gucken kann und greift mit beiden Händen um meine Taille. Das hatten wir doch erst gestern. Ich beuge mich daraufhin nach unten, greife zwischen meinen Beinen durch, fasse zu seinem Fuß und ziehe ihn nach vorn. Daraufhin lässt er mich los und fällt nach hinten. Ich kann mein Glück gar nicht fassen, springe umher wie ein junges Reh und freue mich meines Lebens, weil Sam am Boden sitzt.
>Das war nicht mein Brustbein. <
>Oh stimmt. <
Mit neuer Motivation gehe ich auf ihn zu, denn so schnell kann nicht mal er aufstehen.
Dann versuche ich es erneut und will ihn endlich treffen, wenn auch nur leicht. Er kreuzt vor seinem Körper die Arme und klemmt meine Hand darin ein.
Und zack – schon wieder bin ich diejenige, die liegt. Aber da auch Sam noch auf gleiche Höhe ist, bekomme ich wieder sein Bein zu fassen und kann es ihm so umdrehen, dass dieses Mal er derjenige ist, der sich herauswinden will. Im Gegensatz zu mir ist das für ihn aber kein Ding. Ihm scheint das ganze eher Spaß zu machen, während ich denke, hier draußen an Sauerstoffmangel zu leiden.
Ich habe keine Ahnung wie lange wir dieses Spiel treiben, aber eines ist sicher. Gegen Sam kann so leicht keiner anstinken. Er macht mich vollkommen fertig, ohne mich zu verletzen und zeigt mir Dinge, die ich sofort umsetzen kann … okay an ihm vielleicht eher weniger aber am Montag muss Jeremy herhalten.
Keuchend setze ich mich auf den Boden.
>Du bist das Böse in Person. < rufe ich ihm entgegen. >Dagegen ist Lukaz ja ein Klacks. <
Dann lasse ich mich nach hinten fallen. Grinsend kommt er zu mir und geht vor mir in die Knie.
>Du hast recht. Ich bin das Böse in Person. Unglaublich, dass dir das jetzt erst aufgefallen ist. < Er hockt lässig und ohne jegliche Grundspannung vor mir. Jetzt oder nie.
Schnell werfe ich meine zusammengefalteten Hände um seinen Nacken und werfe ihn einfach zur anderen Seite neben mich. Er nimmt allerdings seine Hände nach vorn, um sich zumindest abzurollen und nicht mit der Nase zu bremsen. Sobald er auf dem Rücken liegt, nutze ich schon den Schwung und springe auf. Links und rechts neben seinem Körper stehe ich mit meinen Beinen und meine Faust rast auf ihn hinunter. Er streckt seinen Arm lässig nach vorn aus, um meine Faust mit seiner Handfläche aufzuhalten. Nur ganz leicht dreht er mein Handgelenk, dass ich automatisch in die Knie gehe, weil ich diese Haltung schmerzhaft finde. Ich lande rittlings und sanft auf seinem Becken.
>Du bist trotzdem festgenagelt. < sage ich grinsend.
Sam nimmt hingegen feixend die Hände neben den Kopf.
>Schon gut, ich ergebe mich. <
Doch dann gehen seine Hände an meine Hüften. Ich mache mich schon darauf gefasst, dass ich gleich heruntergeworfen werde, aber er drückt dort fester zu und schiebt mich etwas weiter nach oben, damit es bequemer für ihn ist.
>Wenn du wolltest, würde ich schon längst wieder unten liegen. <
>Ich will dich weder komplett fertigmachen noch will ich, dass du am Montag bei irgendetwas nicht mitmachen kannst. Aber du hast die letzten beiden Tage ziemlich gut aufgepasst. In drei oder vier Wochen halte ich mich keinen Prozent mehr zurück. Versprochen. <
>Selbst mit deinem gedrosselten Schlag komme ich nicht gegen dich an. < wende ich frustriert ein.
>Hab´ Geduld. Du kriegst das schon hin, wenn du viel trainierst und dranbleibst. <
Ich sitze immer noch auf ihm, seine Hände sind an meinen Hüftknochen und meine Hände befinden sich am Boden neben seinem Kopf. Dabei fällt mir wieder etwas ein. Mit einer schnellen Bewegung schlage ich sein Brustbein mit der Handkante leicht an und grinse.
>Hab dich. <
>Wenn du das beim nächsten Mal schaffst, ohne dass ich von dir abgelenkt bin, dann wäre das allerdings besser. <
>Dann sollten wir vielleicht weitermachen anstatt hier faul herumzusitzen. <
Und die eine Sekunde, in der ich nicht aufgepasst habe, dreht er sich und plötzlich bin ich diejenige, die im Moos liegt. Ich spüre den Druck seiner Hand immer noch auf mir, obwohl sie nicht mehr dort ist.
Am Boden liegend schlinge ich ihm mein Bein um den Nacken, was ihn eher belustigt als ihn aus der Puste bringt. Er drückt meine Arme nach oben und zwickt mich mit der anderen Hand in die Seite.
Ich versuche mich unter ihm zu winden und lache auf.
>Hör auf damit. < kreische ich schrill.
>Nein, wehre dich einfach. < lacht er ebenfalls auf.
Mit aller Macht versuche ich es ja aber Sam kämpft mit wirklich unfairen Mitteln. Nachdem ich mich vergeblich weiter lachend abmühe, hört er aber schließlich endlich damit auf.
Ich sehe in sein grinsendes Gesicht hoch, als er meine Hände schließlich freigibt. Ohne drüber nachzudenken, lege ich sie vorsichtig um seinen Nacken herum. Mein Blick wandert zu seinen Lippen.
Sein Kuss auf meinem Hals kribbelt immer noch und ich will ihm um so vieles näher sein als jetzt. Immerhin liege ich direkt unter ihm, aber das reicht mir nicht. Mein Daumen streicht über seinen Nacken und ich sehe, wie er davon am Hals eine Gänsehaut bekommt. Sein Grinsen weicht allmählich und er schluckt. Abrupt löst er sich von mir, springt auf und reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen.
>Lass uns in meiner Halle weitermachen. < schlägt er vor und läuft bereits vor mir davon. Mein Puls muss sich erst wieder beruhigen bei all dieser Flut an Berührungen und Empfindungen. Sam war eindeutig in seinen Aussagen. Alles, was sich gerade in meinem Kopf abspielt, sollte ich vergessen. Megan hatte Unrecht. Da ist nichts. Oder besser gesagt, da darf nichts sein, weil ich weiß, dass Sam mich nicht will.
Schließlich trommle ich mit meinen Händen gegen meinen Kopf, um das Kopfkino auszuschalten und folge ihm.
In dieser Nacht bleibt Sam nicht bei mir. Ich hätte es mir gerade heute mehr als an allen anderen Tagen gewünscht, aber er hat heute Nacht einen Auftrag, den er sich nicht entgehen lassen kann. Natürlich kann ich es total nachvollziehen, wie sehr es ihn in den Fingern juckt und da ich morgen keine Schule habe, braucht er nicht in aller Frühe aufzustehen, um mich zu fahren.
Er sagte auch, dass es wahrscheinlich nicht lange dauert, weil er weder einen weiten Fahrweg hat, noch wird seine Zielperson in irgendeiner Weise geschützt oder in Gesellschaft sein. Seine Recherchen im Vorfeld sind perfekt und im Grunde genau das, was ich gerade an meiner Schule lerne. Umso besser man vorbereitet ist, desto weniger Überraschungen gibt es.
Ich sitze immer noch auf dem Bett mit dem Rücken zur Wand, so wie er mich vor zwei Stunden hier hat sitzen lassen. Meine Beine sind an meine Brust angezogen und meine Arme umgreifen sie. Stur geradeaus blickend, vegetiere ich vor mich hin und bin absolut gedankenlos.
Aber langsam bekomme ich Hunger. Vorhin hatte ich nicht mal im Traum daran gedacht, etwas Richtiges neben dem Eis zu essen. Jetzt habe ich allerdings das Gefühl etwas bei mir behalten zu können und stehe schließlich auf, um mit den warmen Socken über seinen Boden zu schlürfen. Inzwischen sind auch meine Haare von all dem Regen getrocknet und mir ist wieder warm.
In der Küche steht die Pfanne herum, in der ich die andere Hälfte des Abendessens gelassen habe. Drei Kellen werfe ich mir davon auf den Teller und esse es kalt. Das juckt mich im Grunde überhaupt nicht, weil ich einfach stumpf die Nahrung in mich hineinlöffle, ohne etwas zu schmecken.
Dann räume ich alles in den Geschirrspüler ein und lasse ihn einfach über Nacht laufen.
An meiner Hand sehe ich, dass sich eine Stelle an meinem Daumen auflöst und ich kratze daran herum. Der rechte Handschuh ist jedenfalls hin, was mich bei den letzten beiden Trainingstagen nicht wirklich wundert, denn die müssen dabei ordentlich was aushalten. Ich ziehe mir die falsche Haut ab und werfe sie in den Müll. Erschöpft lehne ich mich an seinen Küchentisch an und setze mich schließlich mit baumelnden Beinen darauf.
Es wird wirklich Zeit, dass mal wieder etwas mehr Ruhe einkehrt. Erst die Sache mit der Bounty Hunter Schule, die ich plötzlich besuche, dann der aufwühlende Besuch bei Dimitrij und schließlich das Treffen auf dem Friedhof. Ich finde, das war innerhalb von drei Tagen mehr als genug Trubel. Für Sam scheint das im Grunde genommen seine Welt zu sein. Jeden Tag passiert irgendetwas Aufwühlendes oder etwas Schreckliches, das er wegstecken muss. Ganz egal, ob ihm sein Opfer entkommen ist oder ob er es endlich erwischt hat. Sein Adrenalinpegel muss dabei jedes Mal unfassbar hoch sein. Für ihn ist das Alltag und für mich muss es das werden, wenn ich da draußen als Hunter überleben will. Was mich so unendlich traurig macht, war der Satz, als Sam sagte, dass er die schlimmsten Tage seines Lebens allein durchmachen musste. Warum war verdammt noch mal nie jemand für ihn da?
Wie kann jemand von sich selbst behaupten keine Emotionen zu haben, obwohl er mir doch so viel davon gibt?
Schließlich rutsche ich mit meinem Hintern vom Tisch runter, stampfe ins Bad und mache mich fertig, um endlich ins Bett zu gehen. Es ist irgendwas in Richtung drei Uhr Morgens und ich bin wirklich hundemüde aber innerlich sträube ich mich wie so häufig, zu schlafen, wenn ich allein bin.
In meinem Zimmer ziehe ich mich um und hüpfe unter die Decke. Da ich mich selbst kenne und weiß, dass ich beim Lesen gut einschlafen kann, greife ich zum Ende des Bettes, wo mein Rucksack steht und hole mir den Schreibblock raus. Ich lese nochmal alles über die Kautionsfälle und Paragraphen nach und ergänze auf einer weißen Seite alle Techniken, die wir in Selbstverteidigung und Einsatztraining gelernt haben. Das Ganze lenkt mich ab und sorgt dafür, dass ich nicht an den schrecklichen, vergangenen Tag denken muss.
Keine zehn Minuten später merke ich, wie meine Beschäftigung endlich Wirkung zeigt und ich kaum noch auf das Blatt schauen kann. Ich reibe mir die Augen und werfe das Zeug auf den Nachttisch. Das Licht neben mir stelle ich aus und starre zur leicht geöffneten Zimmertür. Die Bettdecke drücke ich so sehr an mich, als wäre sie das Einzige, was mich vor dieser Welt beschützen könnte.
Es kann unmöglich viel Zeit vergangen sein und ich war wahrscheinlich nur in einen sehr leichten Schlaf gefallen. Unterschwellig bekomme ich mit, wie die Eingangstür zugedrückt wird. Da ich meine Zimmertür offen habe, sehe ich einen Lichtstreifen im Flur und höre kurz darauf auch das Rascheln einer Jacke, die ausgezogen wird. Zufrieden seufzend, weil Sam wieder da ist, drehe ich mich auf die andere Seite und weiß, dass ich jetzt endlich zur Ruhe komme.
Um mich herum nehme ich die anderen Geräusche wahr, die er verursacht – auch wenn er sehr leise ist. Er gähnt, läuft offenbar ziemlich müde die Treppe nach oben und schließt eine Tür. Kurz danach höre ich das leise Rauschen, als er seine Badewanne befüllt.
Das tut er zu 90 %, wenn er von seiner Arbeit kommt. Bis auf die zwei Male, an denen sein eigenes Blut an ihm klebte, war er noch nie von dem seiner Opfer befleckt. Aber vielleicht ist das seine Art mit seinem Job umzugehen. Sich die Sachen vom Leib zu reißen und den Schmutz abzuwaschen, der nicht da ist.
Mit dem Wissen, das mein Beschützer wieder da ist, schließe ich die Augen und schlafe ein. Und wenn es nach mir geht, dann will ich, dass er für immer bleibt.
Später gegen Mittag
Als ich wach werde, bemerke ich, dass ich mich selbst umarmt habe. Ich liege auf dem Bauch und muss mit der anderen Hand nachhelfen, um meinen Arm freizukommen. Er ist komplett taub und fällt wie ein nasser Sack auf die Matratze. Erst nach ein paar Sekunden kommt nach und nach wieder Leben in diesen Teil meines Körpers. Als Sam erstmal zurück war, habe ich geschlafen wie eine Tote.
Es ist irgendwie faszinierend, wie das Unterbewusstsein einen zur Ruhe kommen lassen kann, nur mit dem Wissen, dass eine andere vertraute Person da ist. Das piksende Gefühl in meinem Arm – weil er wieder durchblutet wird, weicht und er fühlt sich einfach nur angenehm warm an. Im Sitzen kreise ich meine Schulter einige Male und schaue wie schlimm mein Muskelkater heute ist.
Fazit: Er ist übel.
Aber ich will mich trotz der zwei Tage, die ich nun freihabe, nicht ausruhen. Ich bin so unerfahren zwischen all den Karateprofis, ehemaligen Soldaten und Cops, dass ich nicht an letzter Stelle stehen will. Mir fehlen die Übung und die Routine. Deshalb stehe ich auf und suche zwischen den Sachen von Megan irgendetwas Geeignetes heraus. Natürlich hat sie mir keine Jogginghose oder so etwas eingepackt aber ich finde eine stretchige Hot Pants die immerhin geeigneter ist als eine Jeans.
Taugliche Schuhe habe ich auch nicht und in Ballerinas lässt es sich nicht besonders gut trainieren. Also nehme ich die Stiefel, die ich von der Schule erhalten habe.
Im Badezimmer mache ich meine üblichen drei Handgriffe und höre leise durch das Haus. Sam schläft offenbar noch – das ist gut. Ich will, dass er sich mal etwas ausruht, denn immerhin halte ich ihn immer sehr auf Trab.
Leise verlasse ich sein Haus und ziehe hinter mir die Tür zu. Meine Kondition und Kraft müssen besser werden, wenn ich auf dieser Schule überleben will. Inzwischen kenne ich mich gut in seinem Wald aus und nehme einfach irgendeine beliebige Richtung, um mich mit dem Jogging aufzuwärmen.
Was ich mache, ist eher ein Intervalllaufen indem ich kurzzeitig sprinte und dann wieder langsamer laufe. Dabei komme ich ganz schön außer Atem, aber so hat uns Cataley am ersten Tag auch getriezt. Ich versuche mich an alles zu erinnern, was wir gemacht haben und halte zwischendurch irgendwo an, wo ein umgestürzter Baum liegt. Dieser wird von mir misshandelt, indem ich in einem schonenderen Winkel Liegestütze mache oder mit geschlossenen Beinen rauf und wieder runter springe.
Dieses verdammte Bein macht mich allerdings nach kurzer Zeit wieder vollkommen fertig und es nervt mich. Ich weiß, dass ich eigentlich froh sein müsste, weil der Streifschuss an meinem Arm und der Treffer an meinem Schulterblatt relativ gut verheilt sind. Das liegt wahrscheinlich auch an Sam's effektiven Übungen, mit denen er mich von Anfang an gequält hat. Ich bekomme den rechten Arm inzwischen beinahe so hoch wie den Gesunden. Er tut selbstverständlich bei Überanstrengung und Druck weh aber dieses Bein zickt schon bei weitaus kleineren Anstrengungen herum.
Aber ich darf eben nicht vergessen, dass das eine ganz andere Kategorie in Sachen Verletzungen war. Immerhin wurde meine etwa 10 cm dicke Wade durchschossen, ohne einen Knochen zu beschädigen. Ich weiß nicht, ob es jemals richtig verheilen wird, dennoch denke ich gar nicht daran, mich davon ausbremsen zu lassen. Von nichts auf der Welt will ich mich bremsen lassen, schon gar nicht, wenn es um mein Ziel geht, endlich diese Typen zu bekommen. Dazu muss ich weitaus besser werden als es mein derzeitiger Zustand erlaubt. Das ist es, was mich anspornt – die Namen Mischa, Phillipe, Raphael und der des Taliban.
Ich versuche mit meinem Speichel meine Kehle zu befeuchten und beginne wieder einen Sprint. Beim nächsten Baum oder Ast der im Weg liegt, springe ich darüber. Die Landung tut etwas weh aber ich verdränge es in den Hintergrund. Inzwischen weiß ich, das körperliche Schmerzen ein Scheißdreck gegen das sind, was emotionale Schmerzen sein können.
Ich laufe wieder in einem lockeren Rhythmus, bleibe schließlich beim nächsten Baum stehen und hangle mich an einen Ast über meinen Kopf. Ich versuche mich nur mit meinen Armen daran hochzuziehen aber na ja … immerhin 1 ½ Klimmzüge mit Schummeln könnte man gelten lassen.
Wie lange ich bisher schon durch den Wald gelaufen bin weiß ich gar nicht, aber da ich so schnell aus der Puste bin und schon wieder umdrehe, war es wahrscheinlich eher ein Witz. Der Muskelkater, der bei jeder Bewegung spürbar ist, bringt mich sogar noch schneller an meine Grenzen. Warum kann so ein Körper nicht einfach das tun, was er soll? Aber anstatt gemütlich zurück zu spazieren, raffe ich mich noch einmal auf und jogge zurück.
Ich öffne keuchend seine Haustür und weiß, dass er mittlerweile wach ist. Ich kann von oben seinen elektrischen Rasierer hören, der soeben ausgestellt wird. Im Flur versuche ich erstmal wieder zu Atem zu kommen, als Sam auch schon die Treppe heruntergelaufen kommt.
>Netter Look. < feixt er. Ich sehe an mir herab mit Shirt, Hot Pants und diesen derben Boots.
>Der ist in Paris sicher der letzte Schrei. < er kommt näher zu mir und ich streiche ihm mit meinem Daumen über sein Kinn. >Selber netter Look. <
Sam hat sich seinen Bart wieder etwas getrimmt, dass er nach einem drei-Tage-Wuchs aussieht. Wenn er ihn komplett abrasieren würde, dann sähe er bestimmt noch jünger aus und weniger düster. Aber so wie er jetzt ist gefällt er mir.
>Tja war doch mal wieder nötig, oder? < Ich grinse und nicke. >Wo warst du eigentlich? Als du nicht in deinem Bett gelegen hast, habe ich mir Sorgen gemacht. <
>Brauchst du nicht. Nachdem ich die halbe Nacht lang wach gewesen war, bin ich irgendwann so tief eingeschlafen, dass ich überhaupt nicht bemerkt habe, wie blöde ich eigentlich lag. Danach musste ich mich bewegen und war joggen. <
Daraufhin runzelt er die Stirn und fragt mit sanfter Stimme:
>Wie geht’s dir? <
Mir ist klar, worauf er anspielt und ich versuche ihm ein Lächeln zuzuwerfen.
>Es ist okay. Ich glaube, über die größte Hysterie bin ich hinweg. <
>Ist das der Moment, in dem du so tust, als würde es dir gut gehen? <
>Nein. Dass es mir gut geht habe ich nicht behauptet. Aber ich fühle mich wieder ruhiger. Und ich bin dir unglaublich dankbar, dass du mich zu meiner Familie gebracht hast. Dass meine Freunde dort stehen würden, konntest du nicht wissen. <
>Konnte ich nicht, aber vielleicht hätte ich es mir denken sollen, da es erst einen Tag her war. Ich hatte nur irgendwie das Gefühl, dir etwas von dem geben zu wollen, das du nicht selbst miterleben konntest. <
>Du hast es doch selbst gesagt … Wer sollte denn denken, dass bei einem solchen Mistwetter jemand auf den Friedhof geht? Hör auf dir deswegen Vorwürfe zu machen – ich tu es auch nicht. <
Er nickt, so als wäre die Sache damit endlich abgeschlossen. Immer will er es mir recht machen und denkt hinterher, alles falsch gemacht zu haben. Irgendwie vergisst er sich selbst immer wieder dabei. Wie viele Meilen hat er in seinem Pick-up meinetwegen schon zurückgelegt?
>Na komm schon. Lass uns was frühstücken. Oder willst du erst duschen? < fragt er.
>Ich gehe hinterher. Geschwitzt habe ich eh kaum, weil ich gar nicht so weit gekommen bin. Der Muskelkater lässt gar nicht so viel zu und ich habe eher nach Luft gerungen und gekeucht, nachdem ich ein paar Minuten unterwegs war. <
>Du musst deinen Muskeln auch die Möglichkeit geben, sich zu regenerieren. Wenn Cataley den einen Tag mit euch viel Kraft trainiert, dann wird sie am nächsten Tag mehr auf die Ausdauer gehen. Nur so können deine Muskeln wachsen. Unterschwellig wirst du in nächster Zeit aber wohl immer etwas spüren. <
>Okay, das verstehe ich ja aber ich finde es blöd, wenn ich überhaupt nichts machen kann. Immerhin habe ich doch gerade erst angefangen in der Schule zu trainieren und jetzt habe ich zwei Tage Zwangspause. <
Sam grinst.
>Dir ist wohl schon wieder langweilig. <
>Du zahlst das Ganze. Ich will nicht den Anschluss verpassen und länger brauchen als nötig. <
>Hör auf deswegen so viel nachzudenken. Der Anschluss wird dir schon gelingen. <
Ich seufze und stelle mich in der Küche neben ihn. Zusammen machen wir “Frühstück“ was eigentlich schon wieder Mittag sein müsste. Sam kocht wie immer für uns beide Kaffee. Das ist durch und durch sein Part.
>Hast du was geträumt? < will er wissen.
>Nein, nicht dass ich wüsste. Und wäre es etwas Schlimmes gewesen, dann wäre es wohl noch in meinem Kopf. <
Er stimmt mir summend zu und toastet ein paar Toastscheiben. Ich schneide derweil ein bisschen Obst und als wir so gemeinsam am Tisch sind, ist es so harmonisch wie beinahe immer in letzter Zeit. Irgendwie brauche ich das – die Routine mit ihm, seine Gesellschaft, manchmal sogar seine Strenge.
>Gestern beim Training, da fiel mir übrigens wieder etwas ein. < murmle ich noch mit vollem Mund und schlucke hinunter. >Du sagtest mal, du gibst ab und zu ein paar Stunden an dieser Schule Unterricht. Was genau tust du da? Stehst du demnächst vor mir in der 1. Stufe? <
>Nein. < feixt er. >Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich es für gewöhnlich nicht so mit Menschen. Schon gar nicht, wenn es so viele auf einen Haufen sind. <
>Das überrascht mich ja jetzt total. < spiele ich schockiert. Daraufhin wirft er mir einen belustigten Blick zu.
>Ich trainiere die Trainer und zeige ihnen, wie sie ihre Techniken noch weiter verbessern können. Auch wenn sie so wirken, als wären sie perfekt, gibt es trotzdem immer Schwachstellen und die ersticke ich im Keim. Wenn ich durch einen Job oder ein Trainingslager etwas Neues kennengelernt habe, dann zeige ich es ihnen in der Schule ebenfalls. <
>Ah verstehe. Und Cataley freut sich wahrscheinlich immer besonders, wenn du da bist. <
Daraufhin seufzt er und rollt mit den Augen.
>Da hast du nicht Unrecht aber sie geht mir auf den Wecker. <
>Weißt du, dass jeder Typ in meiner Stufe oder in einer der Höheren sich das nicht nehmen lassen würde, mit ihr mal auszugehen? <
>Mag sein. Aber ich kenne sie schon eine Weile und es reizt mich nichts an ihr. <
Daraufhin starre ich ihn mit großen Augen an. Selbst ich als Frau muss zugeben, dass ich es vollkommen verstehen kann, wie die anderen Männer auf sie reagieren. Wegen meines Blickes schmunzelt Sam und fügt hinzu: >Nur weil sie aussieht, wie eine Frau aus dem Katalog, heißt das nicht, dass ich meine Zeit mit ihr verbringen will. Sie ist egoistisch, selbstverliebt, intrigant und ich schätze mal, sie lässt nichts anbrennen, wenn sie die Gelegenheit hat. Sie geht davon aus, dass sie alles haben kann, was sie will. Das ist so ziemlich alles, was ich an einer Frau hasse. <
>Du verblüffst mich immer wieder. Den meisten wäre das ziemlich egal. <
>Mir nicht und ich sehe sie andauernd wieder. Eine einzige Nacht würde solche Begegnungen ziemlich kompliziert machen, wenn es mir nur darum ginge. <
>Hmm … auch wieder wahr. Wenn ich mir vorstellen würde, ich müsste ständig mein one night stand sehen … Oh Gott. <
>Ich schätze mal, so ging es dir doch gestern, oder? < fragt er vorsichtig.
>Hä? Was? <
>Ich meine diesen Jordan, der gestern da war. Megan sagte, dass er dich liebt und du bist damals rot geworden, als du mir das erste Mal von ihm erzählt hast. <
Ich lache leise auf.
>Wieso interessiert dich das eigentlich? <
>Nur so. < spielt er leichthin und kaut an seinem Toast herum.
>Ich habe dir letztens gesagt, er ist nur ein Freund und das stimmt auch – jedenfalls für mich. Allerdings hat er mich in der Nacht als wir unseren Abschluss feierten geküsst. Ich war etwas angetrunken und dachte „hey was ist schon dabei“ aber dann ging er mir an die Wäsche und das war der Punkt, an dem das gar nicht mehr funktionieren konnte. Er wollte, dass wir in seinem Auto weitermachten, aber ich habe das abgebrochen und bin gegangen. <
>Für ihn war das wahrscheinlich ein unfassbares Erlebnis und dann verschwindet die Frau, die er will einfach. < feixt er, allerdings verschluckt er sich beinahe an seinem Frühstück, als ihm auffällt, was er da sagte. In dieser Nacht verschwand ich tatsächlich. >Tut mir leid, das kam anders raus als ich es meinte. <
>Schon klar. < murmle ich monoton und esse einfach weiter.
Ich schätze, dass Sam sich nach dem Essen an seinen Laptop setzen wird. Sicher hat er wieder dutzende E-Mails und Anfragen, die er beantworten muss oder irgendwelche offenen Chats. Deswegen räume ich in aller Ruhe auf und wundere mich, als er in einer anderen Hose als vorhin vor mir steht.
>Hast du noch was vor? < frage ich. Allerdings sieht er eher sportlich als elegant aus.
>Wir haben was vor. Komm mit. <
>Was? Aber Sam ich wollte noch schnell duschen. <
>Kannst du hinterher. < sagt er und geht bereits los. Ich runzle die Stirn aber folge ihm schließlich. Er geht nach draußen und läuft ziemlich schnell, weshalb ich ihm hinterherjoggen muss.
Dann bleibt er abrupt stehen, dreht sich zu mir um und greift bereits nach meinem Arm. Aus einem Reflex heraus springe ich zur Seite und er greift ins Leere.
Daraufhin grinst er erst keck und kommt dann wieder schneller auf mich zu.
Jetzt kapiere ich was das Ganze soll. Ich laufe einfach schneller rückwärts vor ihm weg.
>Sam lass es – ich bin noch nicht so weit. <
>Deswegen ja. Vorhin hast du dich noch beschwert, dass du nicht üben kannst. <
Er greift zu meiner Hand und verdreht sie so, dass ich wegen dem ziehenden Schmerz ganz automatisch auf ihn zulaufe, statt vor ihm wegzulaufen. Ich beiße die Zähne zusammen, so wie im Training auch. Aber dann schnappt er sich mit der anderen Hand auch schon meinen Kopf, legt seinen Ellenbogen um meinen Hals und zieht mich in eine gebückte Haltung. Mist, wie war das nochmal? Ich habe gerade keine Ahnung was ich machen muss.
Ich versuche irgendwie meinen Kopf herauszudrehen.
>Jetzt streng dich mal ein bisschen an. <
>Das ist unfair. Ich wusste doch überhaupt nicht, was du vorhast. < keuche ich bei jedem Ruck, den ich bei dem gequälten Versuch freizukommen von mir gebe.
>Du kannst davon ausgehen, dass dich niemand vorher vorwarnt, der etwas gegen dich hat. <
Ich weiß, dass ich eigentlich genau das Falsche tue, indem ich meine ganze Kraft darauf verschwende aus dem Griff zu kommen, aber Sam ist nicht so ungelernt wie Jeremy oder Louis.
>Hast du vor, dich heute noch zu wehren? < fragt er lässig, beinahe amüsiert.
Keuchend lasse ich meine Arme sinken und gebe es auf.
>Ich will dir doch nicht wehtun. <
>Ich will aber, dass du mir wehtust – vorausgesetzt du bist dazu in der Lage. Im Moment sieht es eher nach kuscheln aus. Also lass dir mal ein bisschen was einfallen. Ich habe den ganzen Nachmittag Zeit, wenn es sein muss. <
Ist das sein Ernst? Na gut andererseits hat Sam bei weitem noch weniger Mitleid mit mir. Vielleicht ist das sogar ganz gut an ihm zu üben. Ich stelle mir einfach vor, es wäre irgendjemand meiner Mitschüler im Training. Das hatten wir doch erst gestern, wie kann man das vergessen? Sam verstärkt seinen Griff noch etwas mehr, weil ich zu lange überlege. Daraufhin trete ich ihm mit voller Kraft auf den Vorfuß, nutze die eine kleine Sekunde aus, die er etwas locker lässt und ziehe schnell meine rechte Hand frei, damit ich meinen Ellenbogen in seinen Bauch rammen kann. Daraufhin lässt er mich endlich los. Aber mehr als ein kurzes Keuchen und eine gebeugte Haltung konnte ich ihm nicht entlocken.
Er grinst und kommt wieder auf mich zu.
>Wenn du es schaffst, mich mit deiner Handkante hier zu treffen, dann bin ich schon mal zu Frieden. < sagt er und zeigt auf sein Brustbein.
>Ich mache das doch erst zwei Tage. Das schaffe ich doch nie an dich heranzukommen. <
>Wenn du deinen Gegner weiterhin totquatschst, hast du vielleicht Erfolg. < erwidert er augenrollend. Ich bedecke ihn mit einem beleidigten Blick und schließlich schnelle ich vor und versuche ihn dort zu treffen, wo er es mir zeigte. Dort komme ich nur leider nicht hin. Sam schnappt sich meinen anfliegenden Arm, um ihn mir so zu drehen, dass ich wieder ausweichen will. Und prompt habe ich den Arm nach hinten auf die Wirbelsäule gedreht bekommen und stehe mit dem Rücken an seine Brust gelehnt.
>Also bisher arbeitest du mir nur zu. Versuch dich nicht schnappen zu lassen. Du musst viel schneller werden. <
>Jetzt werde mal nicht unfair. < keuche ich. > Du machst das seit Jahren. <
>Und du suchst eine Ausrede. <
>Tu ich nicht! <
Er presst meinen Rücken noch mehr gegen seinen Brustkorb und verkreuzt meine Arme so blöd hinter mir, dass ich in der Klemme stecke. Mit der anderen Hand zieht er mir am Pferdeschwanz und beugt meinen Nacken nach hinten auf seine Schulter.
Ich sehe ihn schief von der Seite her an und sehe sein diebisches Grinsen.
Dann küsst er mich plötzlich auf den freigelegten Hals und mir wird heiß und kalt zur gleichen Zeit. Ich ziehe scharf die Luft ein, als seine Lippen immer noch ohne Druck daran haften.
>Wenn du dich nicht langsam mal wehrst, mache ich weiter. < murmelt er.
Daraufhin schiele ich nur seitlich zu ihm rüber und versuche so stark es geht, mein Grinsen zu unterdrücken. Mein Hinterkopf liegt entspannt auf seiner Schulter und schließlich muss ich doch schmunzeln.
>Hey, du sollst das nicht genießen! < erwidert er halb tadelnd, halb lachend.
>Dann fang doch nicht mit sowas an! <
Schließlich zuckt er mit den Schultern und beißt dann plötzlich in meinen Hals.
>Autsch! < kreische ich und trete ihm aus Reflex von hinten gegen das Schienbein. Dann bekomme ich meine Arme wieder frei, drehe mich ein klein wenig und ziele auf sein Brustbein. Leider hält er meinen Ellenbogen auf, worauf ich die andere Hand als Hilfe nehme und wieder auf ihn ziele.
Wieder schnappt er sich locker mein Handgelenk und zieht sein Bein lässig durch meine Füße, worauf ich zu Boden gehe. Sam hat mich allerdings immer noch in seinem Griff, weshalb ich sanft falle.
Das frustriert mich bisher nur. In den letzten zwei Tagen dachte ich, ich wäre gar nicht mal so schrecklich, aber offensichtlich habe ich mich geirrt und ich bin so hundsmiserabel wie Cataley sagt.
Genervt lasse ich meinen Kopf sinken.
>Komm schon, nochmal. Aber es muss schneller gehen. < heizt mich Sam an.
Ich lasse mir von ihm hoch helfen und stehe erneut ein paar Schritte von ihm weg.
Das Ziel ist sein Brustbein zu treffen aber das muss ich doch nicht sofort tun, oder? Damit rechnet er doch nur. Also gehe ich los und ducke mich weg, als er schon wieder nach mir greifen will.
Dann schlage ich seine Hände zur Abwehr weg und das Ganze geht umher wie ein Kinderklatschspiel, nur mit weitaus mehr Elan und Ernst.
Er treibt mich etwas weiter nach hinten und ich weiß nicht, weshalb ich rückwärtsgehe. Ich sollte lieber ihn in die Ecke treiben, statt mich dorthin treiben zu lassen. Beim nächsten Mal ducke ich mich unter seinem Arm durch, bis ich kurzzeitig hinter ihm stehe. Aber Sam ist so schnell, dass das Gleiche wieder von vorn losgeht. Keine Minute später liege ich erneut am Boden.
>Das war relativ gut. Dieses Mal versuche es noch schneller. <
Schnaufend lasse ich mich erneut von ihm auf die Beine ziehen. Gnade hat er mit mir auf gar keinen Fall.
Er probiert Dinge mit mir aus, die ich in den letzten beiden Tagen noch nicht zu Gesicht bekommen habe und zeigt mir Techniken, die mir helfen können, die Oberhand zu gewinnen.
>Glaubst du nicht, dass Lukaz sauer ist, wenn du vorgreifst? <
>Im Gegenteil. Dann ist mal etwas mehr Aktion in Stufe eins. <
Er steht schon wieder so schnell hinter mir, dass ich gar nicht so schnell gucken kann und greift mit beiden Händen um meine Taille. Das hatten wir doch erst gestern. Ich beuge mich daraufhin nach unten, greife zwischen meinen Beinen durch, fasse zu seinem Fuß und ziehe ihn nach vorn. Daraufhin lässt er mich los und fällt nach hinten. Ich kann mein Glück gar nicht fassen, springe umher wie ein junges Reh und freue mich meines Lebens, weil Sam am Boden sitzt.
>Das war nicht mein Brustbein. <
>Oh stimmt. <
Mit neuer Motivation gehe ich auf ihn zu, denn so schnell kann nicht mal er aufstehen.
Dann versuche ich es erneut und will ihn endlich treffen, wenn auch nur leicht. Er kreuzt vor seinem Körper die Arme und klemmt meine Hand darin ein.
Und zack – schon wieder bin ich diejenige, die liegt. Aber da auch Sam noch auf gleiche Höhe ist, bekomme ich wieder sein Bein zu fassen und kann es ihm so umdrehen, dass dieses Mal er derjenige ist, der sich herauswinden will. Im Gegensatz zu mir ist das für ihn aber kein Ding. Ihm scheint das ganze eher Spaß zu machen, während ich denke, hier draußen an Sauerstoffmangel zu leiden.
Ich habe keine Ahnung wie lange wir dieses Spiel treiben, aber eines ist sicher. Gegen Sam kann so leicht keiner anstinken. Er macht mich vollkommen fertig, ohne mich zu verletzen und zeigt mir Dinge, die ich sofort umsetzen kann … okay an ihm vielleicht eher weniger aber am Montag muss Jeremy herhalten.
Keuchend setze ich mich auf den Boden.
>Du bist das Böse in Person. < rufe ich ihm entgegen. >Dagegen ist Lukaz ja ein Klacks. <
Dann lasse ich mich nach hinten fallen. Grinsend kommt er zu mir und geht vor mir in die Knie.
>Du hast recht. Ich bin das Böse in Person. Unglaublich, dass dir das jetzt erst aufgefallen ist. < Er hockt lässig und ohne jegliche Grundspannung vor mir. Jetzt oder nie.
Schnell werfe ich meine zusammengefalteten Hände um seinen Nacken und werfe ihn einfach zur anderen Seite neben mich. Er nimmt allerdings seine Hände nach vorn, um sich zumindest abzurollen und nicht mit der Nase zu bremsen. Sobald er auf dem Rücken liegt, nutze ich schon den Schwung und springe auf. Links und rechts neben seinem Körper stehe ich mit meinen Beinen und meine Faust rast auf ihn hinunter. Er streckt seinen Arm lässig nach vorn aus, um meine Faust mit seiner Handfläche aufzuhalten. Nur ganz leicht dreht er mein Handgelenk, dass ich automatisch in die Knie gehe, weil ich diese Haltung schmerzhaft finde. Ich lande rittlings und sanft auf seinem Becken.
>Du bist trotzdem festgenagelt. < sage ich grinsend.
Sam nimmt hingegen feixend die Hände neben den Kopf.
>Schon gut, ich ergebe mich. <
Doch dann gehen seine Hände an meine Hüften. Ich mache mich schon darauf gefasst, dass ich gleich heruntergeworfen werde, aber er drückt dort fester zu und schiebt mich etwas weiter nach oben, damit es bequemer für ihn ist.
>Wenn du wolltest, würde ich schon längst wieder unten liegen. <
>Ich will dich weder komplett fertigmachen noch will ich, dass du am Montag bei irgendetwas nicht mitmachen kannst. Aber du hast die letzten beiden Tage ziemlich gut aufgepasst. In drei oder vier Wochen halte ich mich keinen Prozent mehr zurück. Versprochen. <
>Selbst mit deinem gedrosselten Schlag komme ich nicht gegen dich an. < wende ich frustriert ein.
>Hab´ Geduld. Du kriegst das schon hin, wenn du viel trainierst und dranbleibst. <
Ich sitze immer noch auf ihm, seine Hände sind an meinen Hüftknochen und meine Hände befinden sich am Boden neben seinem Kopf. Dabei fällt mir wieder etwas ein. Mit einer schnellen Bewegung schlage ich sein Brustbein mit der Handkante leicht an und grinse.
>Hab dich. <
>Wenn du das beim nächsten Mal schaffst, ohne dass ich von dir abgelenkt bin, dann wäre das allerdings besser. <
>Dann sollten wir vielleicht weitermachen anstatt hier faul herumzusitzen. <
Und die eine Sekunde, in der ich nicht aufgepasst habe, dreht er sich und plötzlich bin ich diejenige, die im Moos liegt. Ich spüre den Druck seiner Hand immer noch auf mir, obwohl sie nicht mehr dort ist.
Am Boden liegend schlinge ich ihm mein Bein um den Nacken, was ihn eher belustigt als ihn aus der Puste bringt. Er drückt meine Arme nach oben und zwickt mich mit der anderen Hand in die Seite.
Ich versuche mich unter ihm zu winden und lache auf.
>Hör auf damit. < kreische ich schrill.
>Nein, wehre dich einfach. < lacht er ebenfalls auf.
Mit aller Macht versuche ich es ja aber Sam kämpft mit wirklich unfairen Mitteln. Nachdem ich mich vergeblich weiter lachend abmühe, hört er aber schließlich endlich damit auf.
Ich sehe in sein grinsendes Gesicht hoch, als er meine Hände schließlich freigibt. Ohne drüber nachzudenken, lege ich sie vorsichtig um seinen Nacken herum. Mein Blick wandert zu seinen Lippen.
Sein Kuss auf meinem Hals kribbelt immer noch und ich will ihm um so vieles näher sein als jetzt. Immerhin liege ich direkt unter ihm, aber das reicht mir nicht. Mein Daumen streicht über seinen Nacken und ich sehe, wie er davon am Hals eine Gänsehaut bekommt. Sein Grinsen weicht allmählich und er schluckt. Abrupt löst er sich von mir, springt auf und reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen.
>Lass uns in meiner Halle weitermachen. < schlägt er vor und läuft bereits vor mir davon. Mein Puls muss sich erst wieder beruhigen bei all dieser Flut an Berührungen und Empfindungen. Sam war eindeutig in seinen Aussagen. Alles, was sich gerade in meinem Kopf abspielt, sollte ich vergessen. Megan hatte Unrecht. Da ist nichts. Oder besser gesagt, da darf nichts sein, weil ich weiß, dass Sam mich nicht will.
Schließlich trommle ich mit meinen Händen gegen meinen Kopf, um das Kopfkino auszuschalten und folge ihm.