Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
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Dieses Kapitel
1 Review
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21.12.2018
5.653
Hi Ihr Lieben,
heute müsst Ihr Euch eine Box Taschentücher schnappen. Mir tat das selbst ganz schön weh, das zu schreiben. Mittendrin füge ich einen Link mit einem Song ein, der einen Kapitelabschnitt schön begleitet. Ich hoffe, Ihr könnt Euch davon genauso mitreißen lassen wie ich.
Danke fürs Lesen (und hoffentlich auch kommentieren oder empfehlen =D )
Liebste Grüße Eure Lynn
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Kapitel 06 – In Liebe Nayeli
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend und melancholisch wirken.
Während der Autofahrt dämmere ich immer wieder kurzzeitig weg. Dieses graue und verregnete Wetter da draußen macht mich irgendwie müde. Dazu kommt das körperliche und mentale Training – das ich klasse finde, aber es laugt auch ganz schön aus.
Zufrieden seufzend drehe ich meinen Kopf in Sam's Richtung und reibe mir über die Augen.
>Es ist zwar schon ein paar Tage her …< setzt er an. >Aber damals hat mein Fahrlehrer gesagt: „Das größte Kompliment, das dir dein Beifahrer machen kann, ist einzuschlafen, während du fährst.“ <
Ich grinse, weil ich meistens einschlafe, wenn wir in seinem Pick-up unterwegs sind.
>Wie lange habe ich geschlafen? <
>Weiß nicht so genau. Du warst zwischendurch immer mal weg. Offensichtlich trainieren sie dich richtig, wenn du so fertig bist. <
>Das tun sie. Jedenfalls glaube ich, dass du damit recht hattest, dass sie die Besten sind. Auch die anderen Anwärter in meiner Stufe finde ich klasse. Dort sieht mich keiner mitleidig an, nur weil ich nicht so einen Körperbau habe, wie die Meisten. <
>Weil die Meisten wissen, dass das absolut nichts zu sagen hat. Ich habe mir die anderen eine Weile angesehen und die kleine Schwarzhaarige hat den großen Kerl ganz schön ins Schwitzen gebracht. <
>Ruby hat mit Karate angefangen, noch ehe sie ohne Stützräder Fahrradfahren konnte. Übrigens hast du der Armen den Kopf verdreht. <
Er schmunzelt darüber, sieht aber weiterhin stumm auf die Straße. Eine Weile fahren wir durch die Einöde, bis mir nach und nach ein paar Orte bekannt vorkommen.
Allerdings nicht so, als wenn man zufällig schon mal hier entlanggefahren wäre, sondern so bekannt, dass ich mich hier auskenne wie in meiner Westentasche.
>Sam, du hast dich verfahren – ganz gewaltig sogar. <
>Das glaube ich nicht. <
>Doch, ich meine es ernst. Das war gerade der Vorort von Duluth. Du bringst mich nach Hause. <
>Das ist der Plan. < erwidert er nüchtern. Ich verstehe überhaupt nichts mehr und starre ihn verständnislos an. Ich werfe schließlich einen Blick nach hinten. Ganz eindeutig, hier war mal mein Zuhause. Dann drehe ich mich zurück zu ihm, als er an der Ampel wieder Gas gibt.
>Aber du hast doch gesagt, ich darf nicht in Duluth gesehen werden. <
>Stimmt, aber ich bin ja schließlich dabei. Ich will nur nicht, dass du alleine hier herkommst. Du bist nämlich noch zu unaufmerksam. <
>Hast du hier etwa einen Job zu erledigen? <
Er sieht mich mit einem mitleidigen Blick an und sagt sanft:
>Nein. Wir sind nur für dich hier. <
Stirnrunzelnd wende ich mich von seinem Gesicht ab und schaue nach vorn, als er in eine Straße einbiegt.
>Ich verstehe rein gar nichts. Was hast du denn vor? <
Daraufhin greift er sich meine Hand und führt sie zu seinem Mund. Diese Geste ist neu für mich, aber sie löst ein Kribbeln in meinem Körper aus. Wie kann so eine Lappalie so nachwirken? Dann führt er meine Hand zurück auf den Sitz aber behält sie noch in seiner eigenen.
>Ich fühle mich schuldig, weil ich dich so lange von deiner Freundin ferngehalten habe und das, obwohl sie uns wider erwartend wichtige Informationen gegeben hätte. Als wir aus Maple Hill zurückfuhren, hast du mir gesagt, dass du froh warst, dass du dich dieses Mal von Megan verabschieden konntest. Das Mal davor dachtest du, sie nie wiederzusehen und sterben zu müssen. < Ich nicke und verstehe nicht, worauf er hinaus will. Erst schaut er mich eindringlich an und dann nickt er nach vorn. Ich folge seinem Blick. Er parkt seinen Pick-up vor dem Friedhof von Duluth. Augenblicklich stockt mir der Atem. >Ich gebe dir die Möglichkeit dich von deiner Familie zu verabschieden, weil du es anders nicht konntest. <
Mir fehlen die Worte und deswegen falle ich ihm einfach um den Hals.
>Danke. < wispere ich an seiner Wange. Er streichelt über meinen Rücken und schiebt mich dann sanft ein Stück zurück.
>Na komm schon. Bei dem Sauwetter wird hoffentlich niemand hier sein. Mach die Kapuze hoch und bleib die ganze Zeit bei mir. <
Auf dem Friedhofsgelände
--> Cold von Jorge Méndez - https://www.youtube.com/watch?v=XBzkIomfrlA
Mir ist plötzlich ganz übel und ich klammere mich an Sam.
Ich lasse mich von ihm mitziehen, obwohl ich Friedhöfe hasse aber irgendwo hier liegt meine Familie.
>Hast du eine Ahnung, wo wir hinmüssen? < frage ich.
>Ich denke schon. < er löst meinen Klammergriff von seinem Handgelenk und legt seinen Arm um meine Schulter, um mich vorwärts zu schieben. Innerlich sträube ich mich ein wenig.
Mir ist klar, wenn ich das Grab sehe, dann wird es Realität. Meine Kehle schnürt sich zu, als wir an so vielen geschmückten Gräbern vorbeilaufen und dennoch weiß ich, dass das bei meiner Familie nicht so sein wird. Meg hat mir gesagt, dass es nur eine grüne Wiese ist, die mein Onkel gewollt hat. Soweit ich weiß, gibt es dort nicht mal Grabsteine.
Sam läuft zielgerichtet einen Weg lang und wirkt so, als wenn er sich hier besser auskennen würde als ich. Er stoppt plötzlich bei einem sehr langgezogenen Grünstreifen.
>Hier sieht alles gleich aus. Woher willst du wissen, dass sie hier sind? < frage ich unbehaglich und sehe hinter uns. Das ist definitiv so ein Fleckchen, wo die Toten anonym liegen.
>Ich glaube, wir sind hier falsch. Wir gehen lieber in die andere Richtung. < schlägt er eilig vor und zieht mich bereits zurück.
>Was? Aber du sagtest doch, dass es Grasgräber sind und das sind nur die hier. <
Dann greift er meine Hand fester und zieht mich seitlich weg. Trotzdem schaue ich mich um und drehe den Kopf nach vorn.
Mein Herz bleibt stehen und ich ramme meine Fersen in den Boden, um mich keinen weiteren Millimeter wegzubewegen.
Etwas weiter von uns entfernt steht eine kleine Gruppe Menschen mit schwarzen Regenschirmen vor einem Blumenmeer, Kerzen und aufgestellten Fotos. Es sind Jordan, Sasha, Nicole und Megan.
Ich keuche auf und Sam dreht mich zu sich, legt mir die Hand auf den Mund und sieht sich nach weiteren Leuten um.
>Reiß dich zusammen! Ich erkenne Megan, sind die anderen auch deine Freunde? < will er wissen.
Ich nicke und versuche meinen Kopf zu ihnen zu drehen. Mein Herz rast wie wild und ich will dort hin – sie sind doch alles, was ich noch habe.
>Nein. < haucht er und wendet meinen Versuch ab. >Lass uns gehen, Kleines. Es ist zu gefährlich. <
Ich versuche seinem Griff zu entkommen. Es ist doch nur ein Blick, mehr will ich doch gar nicht. Mein Kopf ist nach mehreren Versuchen endlich frei und ich drehe ihn zu den Anderen. Megan hat sich an Sashas Schulter gelehnt und Jordan hockt auf dem Boden mit einer Hand vor seinem Gesicht.
Megs Kopf bewegt sich bei unserem stillen Gerangel langsam in unsere Richtung. In dem Moment drückt mich Sam mit der Stirn gegen seine Brust, um mich zu verstecken. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er den Finger an die Lippen legt und ernst nach vorn schaut. Er kommuniziert mit Megan – ich weiß es.
Ich kneife die Augen zusammen, beiße mir auf die Lippe und gebe ein Wimmern von mir. Das ist so unfair. Ich will zu ihr und kann nicht. Megan bebt sicherlich auch innerlich. Ein Wunder, dass sie nicht auf uns einrennt und herumbrüllt. Sie hat Sam auf jeden Fall erkannt und nun weiß sie auch, dass ich unter dieser Kapuze stecke.
>Du bewegst dich keinen Millimeter. Sie kommen in unsere Richtung. < befiehlt er flüsternd an meinen Kopf gelehnt. Mein Herzschlag beschleunigt sich noch mehr. Sam spürt es an seiner eigenen Brust und legt schützend einen Arm auf meinen Rücken. >Pscht. <
Ich höre meine Freunde reden und ihre Stimmen kommen immer näher. Wie verrückt kralle ich mich in Sam's nasses Shirt. Er küsst mich auf den Scheitel und für Außenstehende sehen wir einfach nur aus wie ein Pärchen, was sich tröstet.
Meine Freunde laufen an uns vorbei und Megan geht ganz hinten. Fast neben mir bleibt sie mit ihrem Schirm stehen und wirft mir einen gequälten Blick zu. Ich kann nur meine Augen zu ihr bewegen, da Sam meinen Kopf nicht freigibt. Die anderen merken erst viel später, dass Meg stehengeblieben ist.
>Hey, was ist los? < ruft Jordan nasal und schnieft anschließend.
>Ehm …wisst ihr was? Geht einfach schon mal ohne mich – wir treffen uns im Haxley´s. Ich glaube, ich brauche noch einen Moment. < ruft sie ihnen zu und läuft erneut zu den Gräbern und somit von uns weg. Es ist deutlich spürbar wie Sam aufatmet, als sich meine anderen Freunde zum Ausgang bewegen. Ich sehe ihnen über Sam's Schulter nach, während Megan inzwischen sicher wieder an der Stelle steht, wo meine Familie begraben ist. Hilflos sehe ich zu Jordan, der zwar tapfer weiterläuft, aber dessen Rücken nicht gekrümmter sein könnte. Er wischt sich mit der Hand im Gesicht rum und stampft hinter den anderen beiden her.
>Warte noch bis sie wirklich weg sind. < flüstert mein Begleiter und hält mich noch fester, als ich bereits losgehen will. Aber ehrlich gesagt bin ich immens froh, dass er mich noch festhält, weil meine Knie so weich sind. Er sieht sich unauffällig um und scheint zu prüfen, wo meine Freunde sind, beziehungsweise ob sie noch einen freien Blick auf uns haben. Ich vergrabe mein verzweifeltes Gesicht noch mehr an seiner Brust und fühle mich schrecklicher denn je. Da stehe ich direkt vor meinen engsten Freunden und muss sie in diesem Trauerzustand lassen, weil niemand außer Meg etwas von mir wissen darf, solange ich als die Mörderin gelte.
Da offensichtlich alles in Ordnung zu sein scheint, lässt er mich endlich los.
>Na los. Geh schon. < haucht seine Stimme sanft. Das muss er mir nicht zweimal sagen. Ich gehe auf Megan zu und sie verzerrt bereits ihr trauriges Gesicht, als sie ebenfalls auf mich zukommt. Unsere Körper prallen gegeneinander und jede fängt die andere auf.
>Gott. Ich habe dich so sehr vermisst. < flüstert sie leise, als wir uns in den Armen liegen.
>Und ich dich erst. <
>Was macht ihr hier und wieso hast du nichts gesagt? < will sie wissen. Ich werfe einen Blick auf Sam. Dieser steht mit den Händen in den Hosentaschen im Regen und hält etwas Abstand zu uns. Er nickt Megan kurz zu.
>Ich wusste es nicht. Sam hat mich eben erst hergebracht. <
Dann löse ich mich aus ihren Armen aber halte weiterhin ihre Hand, die mich dicht unter ihren Regenschirm zieht. Als ich näher auf das Grab meiner Familie zulaufe, sehe ich, dass das nicht einfach nur eine anonyme Grabstelle ist. Es ist wunderschön und erfüllt mich mit einer Wärme als ich sehe, was sie hier alles aufgebaut haben. Aber andererseits bricht es mir auch das Herz.
Ich sehe so viele unzählige Grabkerzen, Briefe – dessen Tinte schon verlaufen ist und viele kleine Fotos meiner Familie. Außerdem stehen dort ein gerahmtes DIN A4 Bild von Iye, der mit einem fehlenden Schneidezahn in die Kamera grinst, eines meiner Mutter, wie sie nur indirekt aber mit einem hauchzarten Lächeln strahlt und eines von meinem Vater, wie er gerade herzhaft lacht und die Schultern dabei hochzieht.
Schließlich ist auch eines von mir an letzter Stelle, doch dabei stockt mir der Atem.
>Das tut mir unendlich leid. < haucht Megan wutverzerrt. >Das ist bereits der zweite Rahmen, den ich gewechselt habe. Wehe ich bekomme den Typen zu fassen, der das ständig macht. <
Daraufhin kommt auch Sam dazu und sieht das Porträtfoto von mir, worauf ich mit strahlend weißen Zähnen in die Kamera lächle. Mit verlaufener roter Farbe ist dort etwas darüber geschmiert.
„Murderer! Burn in hell!“
Ich kneife die Augen zusammen und schlucke schwer. Allmählich hört der Regen auf und wird zu einem seichten Niesel. Sam und ich sind vollkommen durchnässt und mir ist kalt.
>Nimm es einfach weg. Es versaut das ganze Grab. < flüstere ich aufgebracht zu Meg.
>Yeli bitte … du solltest wissen, dass es die Wenigsten sind, die so denken. Fast alle sind der Überzeugung, dass du es nicht warst. Du bist hier geboren und sie kennen dich seit Ewigkeiten. <
>Solange irgendein Idiot dieses Grab besudelt, taucht hier kein Foto von mir auf. <
Zwischen all den Grabkerzen, Papier und Blumen, sind außerdem Vogelfedern dazwischen gesteckt. Die meisten sind wahrscheinlich von schwarzen Raben.
>Wessen Idee war das? < frage ich und zupfe eine trockene Feder aus dem Haufen heraus, die von den Blumen vor Nässe geschützt war.
>Dein Onkel aus Alabama. Er erzählte irgendwas von Tradition und eurem Totem, aber ich habe ihn schwer verstanden. <
Ich nicke nur. So wie ich meinen Onkel noch in Erinnerung habe, fand er die amerikanische Sprache nur deswegen sprachwürdig, weil immer weniger Leute aus seinem Umkreis auf Lakota miteinander redeten. Und aus genau diesem Grund weiß ich, wie wichtig ihm dieses Ritual mit den schwarzen Federn war. Wir sind eben Indianer, wenn auch irgendwo ganz tief drin und vergraben.
Sam wirft mir einen mitfühlenden Blick zu, als ich mit zwei Fingern gegen den Strich der Feder streiche und mich dann hinhocke. Ich nehme den Deckel einer der Grabkerzen ab und fackle die Feder an. Sobald sie Feuer fängt, puste ich sie aus. Mit dem Rauch, der durch die Glut entsteht, fahre ich zuerst über das Bild von Iye und flüstere:
>Huka mihunka istahota. Icamani iyotanyapi cante tinza. Akita mani yo anpetuwi. Catkuta micante. Nayeli. < **
Schließlich ist die Feder nur noch Asche, als ich damit bei dem Bild meines Vaters angekommen bin. Ich schnipse den Federstiel nach hinten weg, richte mich gefestigt wieder auf und sehe zu Iye.
Megan hat bereits wieder Tränen in den Augen und schlingt ihre Arme um mich. Ich sehe zu Sam, der mir anteilnehmend ins Gesicht blickt.
>Ich werde sie finden Kleines. < haucht er.
Das muss er nicht, denn ich werde sie finden, aber statt ihm das in Megs Anwesenheit zu sagen, nicke ich ihm zu.
Es ist nicht gerade ein Leichtes, Megan wieder loszulassen. Ihr Anblick und der meiner Freunde stimmen mich trauriger als die Tatsache, meine Familie hier liegen zu sehen. Denn diese Tatsache ist nicht mehr zu ändern. Sie sind tot und werden niemals wieder zu mir zurückkommen. Aber es gibt hier noch Menschen, die unter den Lebenden weilen und die zu Unrecht um mich trauern, was ich falsch finde.
Ich weiß nicht, ob ich gerade unangemessen oder vielleicht auch ferngesteuert regiere, aber ich stehe völlig neben mir. Ich kann am Grab meiner Familie nicht weinen, obwohl mein Herz tonnenschwer wiegt und ich mich so katastrophal schrecklich fühle, dass ich es nicht mal beschreiben kann.
Meine Freundin schluchzt stattdessen in meinen Armen und kann das herauslassen, was ich gerade nicht kann oder vielleicht auch nicht will – ich weiß es einfach nicht.
Dann reicht sie mir den Schirm und kniet sich nach vorn, um das Bild von mir wegzunehmen. Auf der Rückseite des Rahmens öffnet sie die Klammern und nimmt es heraus, greift dann aber zu Iye´s Rahmen und öffnet dort ebenfalls die Klammern, um mein Bild einfach hinter seines zu stecken. Kurz darauf stehen nur noch drei Fotos an der Stelle und trotzdem bin ich bei ihnen.
>So besser? < fragt sie, worauf ich ihr mehr als dankbar zunicke.
Nach den Regenwolken kommt ganz langsam wieder die Sonne zum Vorschein und verwandelt diesen trostlosen Fleck vor uns, in eine hellerleuchtete Fläche. Obwohl die Wärme allmählich auf uns niederscheint, ist mir so eisig kalt, dass ich die Arme um den Körper schlinge.
>Ich muss sie wieder von hier fortbringen Megan. < erklärt Sam sanft zu meiner Freundin.
>Nein! Lass sie einfach bei mir – ich passe auf sie auf. < schluchzt sie.
>Es ist zu gefährlich, du musst das verstehen. <
>Bitte Meg. < appelliere ich monoton. >Er hat recht. Ich dürfte überhaupt nicht hier sein. <
Mit verzerrtem Gesicht löst sie sich ein Stück von mir. In all den Jahren, in denen wir uns jetzt kennen, habe ich sie noch niemals so gesehen. So ausgemergelt, unerträglich unglücklich und mutlos.
>Wie lange soll das gehen? Ich kann nicht jedes Mal auf ein Lebenszeichen von dir warten. <
>Das war meine Schuld. < unterbricht Sam. >Ich dachte nicht, dass du uns helfen könntest und ich konnte es nicht riskieren, dass euch jemand abhört. Ihr redet zu offensichtlich über die Ereignisse. Aber leider musste ich feststellen, dass meine fanatische Meinung dafür sorgte, dass uns etwas Wichtiges durch dich entgangen ist. Ich werde euch alle paar Tage miteinander reden lassen. <
Seine Einsicht stimmt mich ruhiger aber auch wehmütig.
>Hör auf dir die Schuld dafür zu geben. Meg hätte uns höchstens das Datum der Beerdigung sagen können. <
>Ja, das stimmt allerdings. < seufzt sie und wischt sich schniefend die Tränen mit ihrem Ärmel weg. >Plötzlich ging das alles so schnell und innerhalb von zwei Tagen hieß es, wann wir uns hier einfinden sollen. Aber weshalb ist das so wichtig? Du hättest doch sowieso nicht herkommen können. <
>Nayeli hätte es aber wahrscheinlich gern vorher erfahren und nicht nachdem alles bereits vorbei gewesen ist. < legt Sam eilig vor. Na klar, wir können ja Meg kaum sagen, dass nun sämtliche Beweise vernichtet wurden. Okay theoretisch könnte ich es ihr sagen aber Sam wird schon seinen Grund haben, es nicht so anzusprechen.
Meine Freundin nickt verständnisvoll und sieht dann wieder zu Sam.
>Und du sagst das nicht nur wieder so, dass wir uns alle paar Tagen hören können? < will sie wissen.
>Nein. Es tut mir leid, dass ich euch zwei voneinander ferngehalten habe. Ich dachte, ich könnte Nayeli damit helfen. <
>Ich weiß. < hauche ich. >Ich nehme dir das nicht übel. <
Dass er sich deswegen Vorwürfe macht weiß ich aber es ist Unsinn. Vorgestern Abend als er sich zu mir ins Bett legte, da hatte er sich bereits dafür entschuldigt. Mir ist klar, dass er das getan hat, was er für richtig hielt.
Sam schaut um sich herum, weil das Wetter plötzlich immer besser wird.
>Wir sollten wirklich gehen. < wendet er ein, als ein Ehepaar den Friedhof betritt. Megan folgt seinem Blick und nickt. Ich ziehe die Kapuze weiter in mein Gesicht hinein und er schottet mich leicht vor fremden Blicken ab, bis wir bei seinem Pick-up sind.
Dort sieht auch Megan sich um. Unsere Freunde sind glücklicherweise wirklich schon vorgegangen und haben nicht vor dem Tor auf sie gewartet.
>Ich weiß im Moment nicht so recht, wie ich Jordan über Wasser halten soll. < gibt sie plötzlich traurig von sich. >Er liebt dich und ist am Boden zerstört. <
Das habe ich vorhin gesehen, als er vor dem Grab kniete. Auch in der Nacht unseres Abschlusses kam er mir so nah, wie sonst noch nie und ich hätte es mir denken sollen.
>Glaube nicht, dass mir das weniger wehtut als dir, ihn und die anderen so zu sehen. < beteure ich und sie seufzt. Es ist ein genauso blöder Moment wie in Maple Hill, als wir nicht wussten, wann und ob wir uns wiedersehen. Ein weiteres Auto parkt auf dem Parkplatz und Sam wird langsam ungeduldig.
>Wir müssen wirklich los. < drängt er. Ich nicke und gehe enger zu Megan. Auch sie hat inzwischen verstanden, dass man Sam nicht zu lange warten lassen sollte, wenn er seine Gründe hat. In Duluth bin ich nun mal bekannt. Auch wenn hier 86.000 Einwohner leben, gibt es die wohl dümmsten Zufälle, wie man so eben gesehen hat.
Sie schlingt die Arme um mich und küsst mich auf die Wange.
>Melde dich so schnell wie möglich, okay? <
>Okay. < hauche an ihrem Ohr und schlucke den schweren Kloß in meinem Hals hinunter. Sie löst sich und geht ein paar Schritte zu Sam rüber.
>Danke, dass du so für sie da bist. <
Daraufhin grinst er leicht, schlägt die Augen nieder und nickt. Seufzend laufe ich rückwärts von Meg weg, während Sam die Tür für mich aufmacht.
>Hab´ dich lieb, vergiss das bloß nicht. < schluchzt sie einen Hauch lauter und folgt mir noch mal eilig drei Schritte hinterher.
>Würde mir nie im Traum einfallen. <
Dann steige ich ein und lasse von Sam die Tür zuwerfen. Ich atme schwerfällig durch meine leicht geöffneten Lippen, versuche immer wieder diesen Kloß hinunterzuschlucken und das Brennen in meiner Kehle zu ignorieren. Ebenso das unangenehme Brennen in meinen Augen blinzle ich einfach weg und versuche all das nicht mehr an mich herankommen zu lassen. Doch das ist viel leichter gesagt als getan.
Sam setzt sich neben mich und sieht sich ein letztes Mal zu allen Seiten um. Er soll sich entspannen. Hier hat mich niemand bemerkt. Mir ist kalt und ich schlinge die Arme um meinen durchnässten Körper. Auch die nassen Schuhe streife ich ab und ziehe die Beine an meinen Körper ran.
Wir rollen vom Parkplatz und ich winke Meg zu, bevor ich sie aus den Augen verliere.
Sam mustert meine Haltung und stellt mir die Sitzheizung an. Ich murmle so etwas wie ein „Danke“ und lasse meinen Kopf zur Scheibe fallen, damit er mich nicht sehen kann. Schwerfällig bemühe ich mich ruhig und gleichmäßig zu atmen, blinzle wieder mehrere Male und ermahne mich selbst, mich zusammenzureißen. Die ersten fünf Minuten klappt das relativ gut, aber ich schaffe es nicht meinen Kopf auszustellen und verfalle in eine noch gekrümmtere Haltung. Damit Sam nicht mitbekommt, wie schlecht ich mich eigentlich fühle, räuspere ich mich anstatt zu schluchzen, aber ich winde meinen Kopf quälend hin und her.
>Nayeli hör auf damit! < zischt Sam zähneknirschend und fährt eilig rechts ran. Ich blicke erschrocken und mit verzogenem Gesicht zu ihm. >Hör auf damit, so verflucht stark sein zu wollen. <
>Was? Du sagst doch immer, dass ich das sein soll. < flüstere ich, weil meine Stimme nicht mehr hergibt.
>Nein … ich sage, dass es okay ist Schwäche zu zeigen, sich einen Moment dafür zu nehmen und danach wieder stark zu sein. Aber du bist noch nicht so weit und quälst dich – das kann ich einfach nicht sehen. < mit melancholischer Stimme und dem dazu passenden Blick, greift er zu meinem Gurt und schnallt mich ab. Das stimmt, dass ich mich quäle. Ich kralle meine Finger in den Sitz, bekomme kaum Luft – so sehr wehre ich mich gegen das Weinen.
>Komm her. < sagt er und umgreift mit einem Arm meine Taille. Er zieht mich seitlich zu sich auf den Schoß und statt diese Nähe eigenartig zu finden, versenke ich mein Gesicht sofort in seiner Schulter und lege die Arme um ihn. Ich weine plötzlich hemmungslos wie die ganze Zeit noch nicht. Es ist nicht wie vorgestern aus Angst und auch nicht so wie die Male davor, aus Trauer oder Verzweiflung. Jetzt ist es, weil ich mich so schrecklich allein und bestraft für etwas fühle, wofür ich nichts kann. Sam drückt mich an sich und es scheint ihn absolut nicht zu stören, dass ich neben sein Ohr schluchze. Mein Körper bebt und ich glaube komplett die Kontrolle darüber verloren zu haben.
Ich habe das Bedürfnis zu schreien, mir die Haut vom Körper zu reißen und irgendetwas zu tun, was diesen Schmerz in meinem Inneren wettmachen kann. Meine Empfindungen kann ich weder annähernd so zeigen wie sie sich anfühlen, noch kann ich sie erklären. Dieses Gefühl allein zu sein, wünsche ich niemandem auf der Welt.
Sam streicht mir seufzend über den Rücken und küsst mich auf den Scheitel. Ich kann einfach nicht mehr denken. Was passiert ist, ist passiert und schlimme Dinge kann man nicht mehr rückgängig machen aber trotzdem wünschte ich, die Zeit zurückdrehen zu können.
Meine Finger krallen sich in Sam's Rückenmuskeln und meine Tränen laufen auf sein ohnehin schon nasses Shirt.
>Es tut mir leid, dass du deine Freunde gesehen hast. Ich dachte, bei so einem Wetter wäre niemand hier. Wahrscheinlich hat es das nur schlimmer für dich gemacht. < murmelt er in mein Haar. Ich kann nicht einmal antworten und schluchze einfach weiter. >Als mein Bruder starb, wusste ich, dass ich akzeptieren musste was passiert war, aber von verkraften kann keine Rede sein. Etwas in mir ist in tausend Teile zerbrochen. Ich höre seine Stimme selbst heute noch in meinem Ohr und habe sein Bild im Kopf, weil die Spuren des Lebens nie völlig an einem vorbeigehen. Ich sage dir zwar, dass du stark sein musst, aber es ist okay auch mal schwach zu sein. Die schwersten Tage in meinem Leben habe ich allein überstanden, aber ich bin bei dir. <
Bei seinen ehrlichen Worten kneife ich die Augen noch mehr zusammen. Sam redet für gewöhnlich nicht über diese Dinge.
>Ich habe sie …heute vor drei Wochen …zum letzten Mal gesehen. < wimmere ich vor mich hin.
>Und irgendwann wirst du sie wiedersehen, aber bis dahin ist noch sehr viel Zeit. Morgen hast du wieder die Kraft dazu so zu tun als würde es dir gut gehen, aber jetzt für den Moment will ich, dass du vergisst eine taffe Frau sein zu wollen. <
>Aber das nervt mich … dass ich so nah … am Wasser gebaut bin. Ich will das nicht. < schluchze ich und hole mehrmals japsend Luft.
>Sei froh darüber. Hab´ lieber zu viele Emotionen als gar keine – so wie ich. <
Schniefend löse ich mich ein Stück von ihm und sehe ihn mit Tränen in den Augen an.
>Du hast Emotionen. <
>Nicht sehr viele. < haucht er und legt seine Hand auf meinen Hinterkopf. Die Finger seiner anderen Hand gehen unter meine Augen und streichen die Tränen weg. Es ist aber sinnlos, denn ich kann die Neuen nicht stoppen.
>Ich wünschte, ich hätte dich schon früher getroffen. <
>Wünsch dir das lieber nicht. < erwidert er bitter.
Was auch immer er damit meint, es ist mir egal. Ich lasse meinen Kopf wieder auf seine Schulter sinken und er umgreift mich mit beiden Armen. Seine Lippen streifen mein Ohr und er sagt:
>Was auch immer uns noch in diesem Leben passieren wird, wir werden es irgendwie überleben, weil wir das schlimmste schon durchlebt haben. <
Ich nicke schluchzend, weil ich weiß, dass er recht hat. Nichts auf der Welt kann noch schlimmer werden als das, was ich bisher durchmachen musste. Mir ist klar, dass er sich nicht nur wegen Megan Vorwürfe macht, weil wir nicht telefonieren konnten, sondern jetzt auch noch, weil meine Freunde unerwartet da waren. Aber alles davon ist völliger Schwachsinn, das ich ihm gern vermitteln würde, aber meine Stimme fühlt sich so brüchig an, dass ich einfach gar nichts mehr sagen will.
Sam hat sich wirklich viel Zeit für meinen Zusammenbruch genommen. Ich denke immer, dass ich ihn mit diesen Heulattacken nerve und ich will ihn nicht noch mehr belasten als ohnehin schon, aber ich bin so froh, dass er ihn ausgelöst hat. Anfangs wusste ich überhaupt nicht wohin mit mir und wie ich meinen Kummer verstecken sollte, aber Sam wusste, dass ich ihn brauchen würde. Irgendwann konnten wir endlich wieder weiterfahren aber ich rutschte nicht einen Zentimeter von seiner Seite und klebte förmlich an seiner Flanke. Den Rest der Zeit laufen mir stumm die Tränen herunter und ich schaue stur geradeaus auf die Straße, die mir inzwischen genauso geläufig ist, wie die zu meinem eigenen Haus.
Er hält vor seinem Heim und seufzend schnalle ich mich ab. Ich fühle mich so kraftlos und ausgelaugt.
Mit einem Hüpfer lande ich neben dem Pick-up im Matsch und laufe zum Haus.
Drinnen angekommen streife ich die Schuhe im Flur ab, gehe direkt in mein Zimmer und stelle den Rucksack neben dem Bett ab.
Kurz darauf kommt Sam zu mir rein.
>Du musst aus den nassen Klamotten raus, sonst wirst du krank. <
>Das musst du gerade sagen. < erwidere ich, ohne ihn anzusehen.
>Deswegen geh ich erstmal heiß duschen. Falls etwas ist, dann ruf mich okay? <
Stumm nickend sehe ich nach draußen in den Wald. Er ist kaum noch zu erkennen, da es bei dem Regenwetter ziemlich schnell dunkel wurde. Wir waren ewig unterwegs und Sam hat sicher Hunger. Ich ziehe mir warme und trockene Sachen an und rubble mir die Haare mit einem Handtuch etwas trocken.
Auf die Schnelle mache ich irgendeine Gemüse-Hackfleisch-Pfanne, gebe die Hälfte auf einen Teller und stelle es Sam hin. Ich habe absolut keinen Hunger und verziehe mich einfach wieder in mein Zimmer. Ermattet krieche ich komplett angezogen und mit dicken Socken unter die Bettdecke und starre die Wand an. Mein Gesicht ist zur Hälfte verdeckt und ich schmiege mich in den Stoff hinein. Ich glaube, ich will nie wieder aus diesem Bett aussteigen.
Nach einer Weile höre ich Sam die Treppen herunterkommen. Sicher tapst er in die Küche und sieht, dass dort nur ein Teller steht. Ich will ihm nicht das Gefühl geben etwas falsch gemacht zu haben, denn das hat er nicht, aber ich befürchte, im Moment bin ich nicht gerade eine freudige Gesellschaft und er ist wahrscheinlich froh, mich auch mal los zu sein. Wenn ich er wäre, würde ich dieses Häufchen Elend in diesem Zimmer zum Kotzen finden. Ich höre Besteck klimpern und einen Stuhl rücken. Er hat sich seinen Feierabend genauso verdient wie jeder andere und sollte sich noch ein paar Stunden stumpf vor den Fernseher setzen, irgendein Footballspiel sehen oder Musik hören. Was ich nicht will ist, dass er sich für mich verantwortlich fühlt.
Aber da mache ich wie immer die Rechnung ohne ihn, denn kurz darauf schiebt er meine Tür auf und klopft überflüssigerweise einmal dagegen, als ich ihn bereits ansehe. Er lehnt sich lässig gegen den Türrahmen, hält mit der einen Hand das Ben & Jerry´s Eis hoch und mit der anderen einen Löffel.
>Kummerkanister? <
Ich schaffe es nicht etwas zu antworten aber ich nicke. Er kommt zu mir und setzt sich an die Wand angelehnt zu mir auf das Bett. Damit ich ihn nicht herunterwerfe, setze ich mich ebenfalls auf und bleibe neben ihm.
Den Deckel der Eisschachtel wirft er auf den Nachttisch und steckt den Löffel in den Inhalt hinein, um ihn mir vor mein Gesicht zu halten. Erst schaue ich ihn fragend an aber dann nehme ich den Bissen.
Ich rücke ein Stück näher zu ihm, als er seinen Arm ausbreitet und lehne dann meinen Kopf gegen seine Brust. Wieder hält er mir einen Löffel vor die Nase und so essen wir abwechselnd vom selben Besteck.
>In dieser kurzen Zeit habe ich gesehen wie du einen Rückschlag nach dem anderen erlebst und jeden einzelnen wegstecken musst. Wenn es wirklich so etwas wie Karma gibt, dann ist es echt mies verteilt. < sagt Sam kopfschüttelnd.
>An sowas glaube ich nicht mehr. <
Dieses Mal schnappe ich mir den Löffel und stecke ihn mir in den Mund.
>Kann ich dich was fragen? < setzt er an und nimmt mir den Löffel ab. Ich nicke bloß, denn normalerweise ist das meine Frage an ihn. >Was hast du da bei deiner Familie gesagt? Du hast eine andere Sprache gesprochen. War das ein Gebet oder sowas? <
>Das war Lakota. Und es war kein Gebet. Es war eher etwas, das ich ihnen unbedingt sagen wollte. <
>Zum Schluss hast du „Nayeli“ gesagt. Was das bedeutet weiß ich inzwischen, aber was war das davor? <
Ich blicke ihn an und schaffe es mir ein leichtes Lächeln abzugewinnen.
>Diese toten Sprachen klingen übersetzt immer etwas geschwollen und abgedroschen, aber sinngemäß habe ich gesagt, dass ich keine Angst habe, weil ein Mann mit grauen Augen bei mir ist, der mich nicht alleine lässt. Und ich habe ihnen gesagt, dass es irgendwann wieder besser werden wird und ich sie niemals vergessen werde. <
Sein Blick wirkt versteinert und er sieht mir so intensiv in die Augen, wie schon so oft.
Er stellt den leeren Eisbehälter auf den Nachttisch und streicht dann über meine Wange.
>Du machst etwas Besseres aus mir, als ich bin. < haucht er.
Schwerfällig lasse ich meinen Kopf auf seiner Schulter liegen, aber umgreife mit beiden Händen seinen Rumpf.
>Hör auf das immer zu sagen. Ich weiß nicht was ich ohne dich gemacht hätte und ich weiß auch nicht, was ich jemals wieder ohne dich tun soll. Du kannst mich nicht alleine lassen Sam – ich will das nicht. <
>Lass uns das ein anderes Mal besprechen. <
>Nein, du kannst es nicht. < wiederhole ich monoton. >Ich will nicht mehr ohne dich sein. <
Seufzend fährt er mir liebevoll durch die Haare und lehnt seinen Kopf gegen die Wand.
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**Ich fürchte mich nicht. Mein Wahlverwandter mit den grauen Augen ist bei mir. Er ist der, der neben mir geht, der ehrbar ist und ein tapferes Herz hat. Ich beobachte alles auf meinem Weg bis die Tagessonne wieder aufgeht. Ihr habt alle einen Ehrenplatz in meinem Herzen. Ich liebe euch.
(Es war ein harter Kampf überhaupt eine ungefähre Übersetzung zu finden, aber es ist tatsächlich Lakota und klingt leider etwas abgedroschen. Aber immerhin ist es nicht ausgedacht.)
heute müsst Ihr Euch eine Box Taschentücher schnappen. Mir tat das selbst ganz schön weh, das zu schreiben. Mittendrin füge ich einen Link mit einem Song ein, der einen Kapitelabschnitt schön begleitet. Ich hoffe, Ihr könnt Euch davon genauso mitreißen lassen wie ich.
Danke fürs Lesen (und hoffentlich auch kommentieren oder empfehlen =D )
Liebste Grüße Eure Lynn
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Kapitel 06 – In Liebe Nayeli
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend und melancholisch wirken.
Während der Autofahrt dämmere ich immer wieder kurzzeitig weg. Dieses graue und verregnete Wetter da draußen macht mich irgendwie müde. Dazu kommt das körperliche und mentale Training – das ich klasse finde, aber es laugt auch ganz schön aus.
Zufrieden seufzend drehe ich meinen Kopf in Sam's Richtung und reibe mir über die Augen.
>Es ist zwar schon ein paar Tage her …< setzt er an. >Aber damals hat mein Fahrlehrer gesagt: „Das größte Kompliment, das dir dein Beifahrer machen kann, ist einzuschlafen, während du fährst.“ <
Ich grinse, weil ich meistens einschlafe, wenn wir in seinem Pick-up unterwegs sind.
>Wie lange habe ich geschlafen? <
>Weiß nicht so genau. Du warst zwischendurch immer mal weg. Offensichtlich trainieren sie dich richtig, wenn du so fertig bist. <
>Das tun sie. Jedenfalls glaube ich, dass du damit recht hattest, dass sie die Besten sind. Auch die anderen Anwärter in meiner Stufe finde ich klasse. Dort sieht mich keiner mitleidig an, nur weil ich nicht so einen Körperbau habe, wie die Meisten. <
>Weil die Meisten wissen, dass das absolut nichts zu sagen hat. Ich habe mir die anderen eine Weile angesehen und die kleine Schwarzhaarige hat den großen Kerl ganz schön ins Schwitzen gebracht. <
>Ruby hat mit Karate angefangen, noch ehe sie ohne Stützräder Fahrradfahren konnte. Übrigens hast du der Armen den Kopf verdreht. <
Er schmunzelt darüber, sieht aber weiterhin stumm auf die Straße. Eine Weile fahren wir durch die Einöde, bis mir nach und nach ein paar Orte bekannt vorkommen.
Allerdings nicht so, als wenn man zufällig schon mal hier entlanggefahren wäre, sondern so bekannt, dass ich mich hier auskenne wie in meiner Westentasche.
>Sam, du hast dich verfahren – ganz gewaltig sogar. <
>Das glaube ich nicht. <
>Doch, ich meine es ernst. Das war gerade der Vorort von Duluth. Du bringst mich nach Hause. <
>Das ist der Plan. < erwidert er nüchtern. Ich verstehe überhaupt nichts mehr und starre ihn verständnislos an. Ich werfe schließlich einen Blick nach hinten. Ganz eindeutig, hier war mal mein Zuhause. Dann drehe ich mich zurück zu ihm, als er an der Ampel wieder Gas gibt.
>Aber du hast doch gesagt, ich darf nicht in Duluth gesehen werden. <
>Stimmt, aber ich bin ja schließlich dabei. Ich will nur nicht, dass du alleine hier herkommst. Du bist nämlich noch zu unaufmerksam. <
>Hast du hier etwa einen Job zu erledigen? <
Er sieht mich mit einem mitleidigen Blick an und sagt sanft:
>Nein. Wir sind nur für dich hier. <
Stirnrunzelnd wende ich mich von seinem Gesicht ab und schaue nach vorn, als er in eine Straße einbiegt.
>Ich verstehe rein gar nichts. Was hast du denn vor? <
Daraufhin greift er sich meine Hand und führt sie zu seinem Mund. Diese Geste ist neu für mich, aber sie löst ein Kribbeln in meinem Körper aus. Wie kann so eine Lappalie so nachwirken? Dann führt er meine Hand zurück auf den Sitz aber behält sie noch in seiner eigenen.
>Ich fühle mich schuldig, weil ich dich so lange von deiner Freundin ferngehalten habe und das, obwohl sie uns wider erwartend wichtige Informationen gegeben hätte. Als wir aus Maple Hill zurückfuhren, hast du mir gesagt, dass du froh warst, dass du dich dieses Mal von Megan verabschieden konntest. Das Mal davor dachtest du, sie nie wiederzusehen und sterben zu müssen. < Ich nicke und verstehe nicht, worauf er hinaus will. Erst schaut er mich eindringlich an und dann nickt er nach vorn. Ich folge seinem Blick. Er parkt seinen Pick-up vor dem Friedhof von Duluth. Augenblicklich stockt mir der Atem. >Ich gebe dir die Möglichkeit dich von deiner Familie zu verabschieden, weil du es anders nicht konntest. <
Mir fehlen die Worte und deswegen falle ich ihm einfach um den Hals.
>Danke. < wispere ich an seiner Wange. Er streichelt über meinen Rücken und schiebt mich dann sanft ein Stück zurück.
>Na komm schon. Bei dem Sauwetter wird hoffentlich niemand hier sein. Mach die Kapuze hoch und bleib die ganze Zeit bei mir. <
Auf dem Friedhofsgelände
--> Cold von Jorge Méndez - https://www.youtube.com/watch?v=XBzkIomfrlA
Mir ist plötzlich ganz übel und ich klammere mich an Sam.
Ich lasse mich von ihm mitziehen, obwohl ich Friedhöfe hasse aber irgendwo hier liegt meine Familie.
>Hast du eine Ahnung, wo wir hinmüssen? < frage ich.
>Ich denke schon. < er löst meinen Klammergriff von seinem Handgelenk und legt seinen Arm um meine Schulter, um mich vorwärts zu schieben. Innerlich sträube ich mich ein wenig.
Mir ist klar, wenn ich das Grab sehe, dann wird es Realität. Meine Kehle schnürt sich zu, als wir an so vielen geschmückten Gräbern vorbeilaufen und dennoch weiß ich, dass das bei meiner Familie nicht so sein wird. Meg hat mir gesagt, dass es nur eine grüne Wiese ist, die mein Onkel gewollt hat. Soweit ich weiß, gibt es dort nicht mal Grabsteine.
Sam läuft zielgerichtet einen Weg lang und wirkt so, als wenn er sich hier besser auskennen würde als ich. Er stoppt plötzlich bei einem sehr langgezogenen Grünstreifen.
>Hier sieht alles gleich aus. Woher willst du wissen, dass sie hier sind? < frage ich unbehaglich und sehe hinter uns. Das ist definitiv so ein Fleckchen, wo die Toten anonym liegen.
>Ich glaube, wir sind hier falsch. Wir gehen lieber in die andere Richtung. < schlägt er eilig vor und zieht mich bereits zurück.
>Was? Aber du sagtest doch, dass es Grasgräber sind und das sind nur die hier. <
Dann greift er meine Hand fester und zieht mich seitlich weg. Trotzdem schaue ich mich um und drehe den Kopf nach vorn.
Mein Herz bleibt stehen und ich ramme meine Fersen in den Boden, um mich keinen weiteren Millimeter wegzubewegen.
Etwas weiter von uns entfernt steht eine kleine Gruppe Menschen mit schwarzen Regenschirmen vor einem Blumenmeer, Kerzen und aufgestellten Fotos. Es sind Jordan, Sasha, Nicole und Megan.
Ich keuche auf und Sam dreht mich zu sich, legt mir die Hand auf den Mund und sieht sich nach weiteren Leuten um.
>Reiß dich zusammen! Ich erkenne Megan, sind die anderen auch deine Freunde? < will er wissen.
Ich nicke und versuche meinen Kopf zu ihnen zu drehen. Mein Herz rast wie wild und ich will dort hin – sie sind doch alles, was ich noch habe.
>Nein. < haucht er und wendet meinen Versuch ab. >Lass uns gehen, Kleines. Es ist zu gefährlich. <
Ich versuche seinem Griff zu entkommen. Es ist doch nur ein Blick, mehr will ich doch gar nicht. Mein Kopf ist nach mehreren Versuchen endlich frei und ich drehe ihn zu den Anderen. Megan hat sich an Sashas Schulter gelehnt und Jordan hockt auf dem Boden mit einer Hand vor seinem Gesicht.
Megs Kopf bewegt sich bei unserem stillen Gerangel langsam in unsere Richtung. In dem Moment drückt mich Sam mit der Stirn gegen seine Brust, um mich zu verstecken. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er den Finger an die Lippen legt und ernst nach vorn schaut. Er kommuniziert mit Megan – ich weiß es.
Ich kneife die Augen zusammen, beiße mir auf die Lippe und gebe ein Wimmern von mir. Das ist so unfair. Ich will zu ihr und kann nicht. Megan bebt sicherlich auch innerlich. Ein Wunder, dass sie nicht auf uns einrennt und herumbrüllt. Sie hat Sam auf jeden Fall erkannt und nun weiß sie auch, dass ich unter dieser Kapuze stecke.
>Du bewegst dich keinen Millimeter. Sie kommen in unsere Richtung. < befiehlt er flüsternd an meinen Kopf gelehnt. Mein Herzschlag beschleunigt sich noch mehr. Sam spürt es an seiner eigenen Brust und legt schützend einen Arm auf meinen Rücken. >Pscht. <
Ich höre meine Freunde reden und ihre Stimmen kommen immer näher. Wie verrückt kralle ich mich in Sam's nasses Shirt. Er küsst mich auf den Scheitel und für Außenstehende sehen wir einfach nur aus wie ein Pärchen, was sich tröstet.
Meine Freunde laufen an uns vorbei und Megan geht ganz hinten. Fast neben mir bleibt sie mit ihrem Schirm stehen und wirft mir einen gequälten Blick zu. Ich kann nur meine Augen zu ihr bewegen, da Sam meinen Kopf nicht freigibt. Die anderen merken erst viel später, dass Meg stehengeblieben ist.
>Hey, was ist los? < ruft Jordan nasal und schnieft anschließend.
>Ehm …wisst ihr was? Geht einfach schon mal ohne mich – wir treffen uns im Haxley´s. Ich glaube, ich brauche noch einen Moment. < ruft sie ihnen zu und läuft erneut zu den Gräbern und somit von uns weg. Es ist deutlich spürbar wie Sam aufatmet, als sich meine anderen Freunde zum Ausgang bewegen. Ich sehe ihnen über Sam's Schulter nach, während Megan inzwischen sicher wieder an der Stelle steht, wo meine Familie begraben ist. Hilflos sehe ich zu Jordan, der zwar tapfer weiterläuft, aber dessen Rücken nicht gekrümmter sein könnte. Er wischt sich mit der Hand im Gesicht rum und stampft hinter den anderen beiden her.
>Warte noch bis sie wirklich weg sind. < flüstert mein Begleiter und hält mich noch fester, als ich bereits losgehen will. Aber ehrlich gesagt bin ich immens froh, dass er mich noch festhält, weil meine Knie so weich sind. Er sieht sich unauffällig um und scheint zu prüfen, wo meine Freunde sind, beziehungsweise ob sie noch einen freien Blick auf uns haben. Ich vergrabe mein verzweifeltes Gesicht noch mehr an seiner Brust und fühle mich schrecklicher denn je. Da stehe ich direkt vor meinen engsten Freunden und muss sie in diesem Trauerzustand lassen, weil niemand außer Meg etwas von mir wissen darf, solange ich als die Mörderin gelte.
Da offensichtlich alles in Ordnung zu sein scheint, lässt er mich endlich los.
>Na los. Geh schon. < haucht seine Stimme sanft. Das muss er mir nicht zweimal sagen. Ich gehe auf Megan zu und sie verzerrt bereits ihr trauriges Gesicht, als sie ebenfalls auf mich zukommt. Unsere Körper prallen gegeneinander und jede fängt die andere auf.
>Gott. Ich habe dich so sehr vermisst. < flüstert sie leise, als wir uns in den Armen liegen.
>Und ich dich erst. <
>Was macht ihr hier und wieso hast du nichts gesagt? < will sie wissen. Ich werfe einen Blick auf Sam. Dieser steht mit den Händen in den Hosentaschen im Regen und hält etwas Abstand zu uns. Er nickt Megan kurz zu.
>Ich wusste es nicht. Sam hat mich eben erst hergebracht. <
Dann löse ich mich aus ihren Armen aber halte weiterhin ihre Hand, die mich dicht unter ihren Regenschirm zieht. Als ich näher auf das Grab meiner Familie zulaufe, sehe ich, dass das nicht einfach nur eine anonyme Grabstelle ist. Es ist wunderschön und erfüllt mich mit einer Wärme als ich sehe, was sie hier alles aufgebaut haben. Aber andererseits bricht es mir auch das Herz.
Ich sehe so viele unzählige Grabkerzen, Briefe – dessen Tinte schon verlaufen ist und viele kleine Fotos meiner Familie. Außerdem stehen dort ein gerahmtes DIN A4 Bild von Iye, der mit einem fehlenden Schneidezahn in die Kamera grinst, eines meiner Mutter, wie sie nur indirekt aber mit einem hauchzarten Lächeln strahlt und eines von meinem Vater, wie er gerade herzhaft lacht und die Schultern dabei hochzieht.
Schließlich ist auch eines von mir an letzter Stelle, doch dabei stockt mir der Atem.
>Das tut mir unendlich leid. < haucht Megan wutverzerrt. >Das ist bereits der zweite Rahmen, den ich gewechselt habe. Wehe ich bekomme den Typen zu fassen, der das ständig macht. <
Daraufhin kommt auch Sam dazu und sieht das Porträtfoto von mir, worauf ich mit strahlend weißen Zähnen in die Kamera lächle. Mit verlaufener roter Farbe ist dort etwas darüber geschmiert.
„Murderer! Burn in hell!“
Ich kneife die Augen zusammen und schlucke schwer. Allmählich hört der Regen auf und wird zu einem seichten Niesel. Sam und ich sind vollkommen durchnässt und mir ist kalt.
>Nimm es einfach weg. Es versaut das ganze Grab. < flüstere ich aufgebracht zu Meg.
>Yeli bitte … du solltest wissen, dass es die Wenigsten sind, die so denken. Fast alle sind der Überzeugung, dass du es nicht warst. Du bist hier geboren und sie kennen dich seit Ewigkeiten. <
>Solange irgendein Idiot dieses Grab besudelt, taucht hier kein Foto von mir auf. <
Zwischen all den Grabkerzen, Papier und Blumen, sind außerdem Vogelfedern dazwischen gesteckt. Die meisten sind wahrscheinlich von schwarzen Raben.
>Wessen Idee war das? < frage ich und zupfe eine trockene Feder aus dem Haufen heraus, die von den Blumen vor Nässe geschützt war.
>Dein Onkel aus Alabama. Er erzählte irgendwas von Tradition und eurem Totem, aber ich habe ihn schwer verstanden. <
Ich nicke nur. So wie ich meinen Onkel noch in Erinnerung habe, fand er die amerikanische Sprache nur deswegen sprachwürdig, weil immer weniger Leute aus seinem Umkreis auf Lakota miteinander redeten. Und aus genau diesem Grund weiß ich, wie wichtig ihm dieses Ritual mit den schwarzen Federn war. Wir sind eben Indianer, wenn auch irgendwo ganz tief drin und vergraben.
Sam wirft mir einen mitfühlenden Blick zu, als ich mit zwei Fingern gegen den Strich der Feder streiche und mich dann hinhocke. Ich nehme den Deckel einer der Grabkerzen ab und fackle die Feder an. Sobald sie Feuer fängt, puste ich sie aus. Mit dem Rauch, der durch die Glut entsteht, fahre ich zuerst über das Bild von Iye und flüstere:
>Huka mihunka istahota. Icamani iyotanyapi cante tinza. Akita mani yo anpetuwi. Catkuta micante. Nayeli. < **
Schließlich ist die Feder nur noch Asche, als ich damit bei dem Bild meines Vaters angekommen bin. Ich schnipse den Federstiel nach hinten weg, richte mich gefestigt wieder auf und sehe zu Iye.
Megan hat bereits wieder Tränen in den Augen und schlingt ihre Arme um mich. Ich sehe zu Sam, der mir anteilnehmend ins Gesicht blickt.
>Ich werde sie finden Kleines. < haucht er.
Das muss er nicht, denn ich werde sie finden, aber statt ihm das in Megs Anwesenheit zu sagen, nicke ich ihm zu.
Es ist nicht gerade ein Leichtes, Megan wieder loszulassen. Ihr Anblick und der meiner Freunde stimmen mich trauriger als die Tatsache, meine Familie hier liegen zu sehen. Denn diese Tatsache ist nicht mehr zu ändern. Sie sind tot und werden niemals wieder zu mir zurückkommen. Aber es gibt hier noch Menschen, die unter den Lebenden weilen und die zu Unrecht um mich trauern, was ich falsch finde.
Ich weiß nicht, ob ich gerade unangemessen oder vielleicht auch ferngesteuert regiere, aber ich stehe völlig neben mir. Ich kann am Grab meiner Familie nicht weinen, obwohl mein Herz tonnenschwer wiegt und ich mich so katastrophal schrecklich fühle, dass ich es nicht mal beschreiben kann.
Meine Freundin schluchzt stattdessen in meinen Armen und kann das herauslassen, was ich gerade nicht kann oder vielleicht auch nicht will – ich weiß es einfach nicht.
Dann reicht sie mir den Schirm und kniet sich nach vorn, um das Bild von mir wegzunehmen. Auf der Rückseite des Rahmens öffnet sie die Klammern und nimmt es heraus, greift dann aber zu Iye´s Rahmen und öffnet dort ebenfalls die Klammern, um mein Bild einfach hinter seines zu stecken. Kurz darauf stehen nur noch drei Fotos an der Stelle und trotzdem bin ich bei ihnen.
>So besser? < fragt sie, worauf ich ihr mehr als dankbar zunicke.
Nach den Regenwolken kommt ganz langsam wieder die Sonne zum Vorschein und verwandelt diesen trostlosen Fleck vor uns, in eine hellerleuchtete Fläche. Obwohl die Wärme allmählich auf uns niederscheint, ist mir so eisig kalt, dass ich die Arme um den Körper schlinge.
>Ich muss sie wieder von hier fortbringen Megan. < erklärt Sam sanft zu meiner Freundin.
>Nein! Lass sie einfach bei mir – ich passe auf sie auf. < schluchzt sie.
>Es ist zu gefährlich, du musst das verstehen. <
>Bitte Meg. < appelliere ich monoton. >Er hat recht. Ich dürfte überhaupt nicht hier sein. <
Mit verzerrtem Gesicht löst sie sich ein Stück von mir. In all den Jahren, in denen wir uns jetzt kennen, habe ich sie noch niemals so gesehen. So ausgemergelt, unerträglich unglücklich und mutlos.
>Wie lange soll das gehen? Ich kann nicht jedes Mal auf ein Lebenszeichen von dir warten. <
>Das war meine Schuld. < unterbricht Sam. >Ich dachte nicht, dass du uns helfen könntest und ich konnte es nicht riskieren, dass euch jemand abhört. Ihr redet zu offensichtlich über die Ereignisse. Aber leider musste ich feststellen, dass meine fanatische Meinung dafür sorgte, dass uns etwas Wichtiges durch dich entgangen ist. Ich werde euch alle paar Tage miteinander reden lassen. <
Seine Einsicht stimmt mich ruhiger aber auch wehmütig.
>Hör auf dir die Schuld dafür zu geben. Meg hätte uns höchstens das Datum der Beerdigung sagen können. <
>Ja, das stimmt allerdings. < seufzt sie und wischt sich schniefend die Tränen mit ihrem Ärmel weg. >Plötzlich ging das alles so schnell und innerhalb von zwei Tagen hieß es, wann wir uns hier einfinden sollen. Aber weshalb ist das so wichtig? Du hättest doch sowieso nicht herkommen können. <
>Nayeli hätte es aber wahrscheinlich gern vorher erfahren und nicht nachdem alles bereits vorbei gewesen ist. < legt Sam eilig vor. Na klar, wir können ja Meg kaum sagen, dass nun sämtliche Beweise vernichtet wurden. Okay theoretisch könnte ich es ihr sagen aber Sam wird schon seinen Grund haben, es nicht so anzusprechen.
Meine Freundin nickt verständnisvoll und sieht dann wieder zu Sam.
>Und du sagst das nicht nur wieder so, dass wir uns alle paar Tagen hören können? < will sie wissen.
>Nein. Es tut mir leid, dass ich euch zwei voneinander ferngehalten habe. Ich dachte, ich könnte Nayeli damit helfen. <
>Ich weiß. < hauche ich. >Ich nehme dir das nicht übel. <
Dass er sich deswegen Vorwürfe macht weiß ich aber es ist Unsinn. Vorgestern Abend als er sich zu mir ins Bett legte, da hatte er sich bereits dafür entschuldigt. Mir ist klar, dass er das getan hat, was er für richtig hielt.
Sam schaut um sich herum, weil das Wetter plötzlich immer besser wird.
>Wir sollten wirklich gehen. < wendet er ein, als ein Ehepaar den Friedhof betritt. Megan folgt seinem Blick und nickt. Ich ziehe die Kapuze weiter in mein Gesicht hinein und er schottet mich leicht vor fremden Blicken ab, bis wir bei seinem Pick-up sind.
Dort sieht auch Megan sich um. Unsere Freunde sind glücklicherweise wirklich schon vorgegangen und haben nicht vor dem Tor auf sie gewartet.
>Ich weiß im Moment nicht so recht, wie ich Jordan über Wasser halten soll. < gibt sie plötzlich traurig von sich. >Er liebt dich und ist am Boden zerstört. <
Das habe ich vorhin gesehen, als er vor dem Grab kniete. Auch in der Nacht unseres Abschlusses kam er mir so nah, wie sonst noch nie und ich hätte es mir denken sollen.
>Glaube nicht, dass mir das weniger wehtut als dir, ihn und die anderen so zu sehen. < beteure ich und sie seufzt. Es ist ein genauso blöder Moment wie in Maple Hill, als wir nicht wussten, wann und ob wir uns wiedersehen. Ein weiteres Auto parkt auf dem Parkplatz und Sam wird langsam ungeduldig.
>Wir müssen wirklich los. < drängt er. Ich nicke und gehe enger zu Megan. Auch sie hat inzwischen verstanden, dass man Sam nicht zu lange warten lassen sollte, wenn er seine Gründe hat. In Duluth bin ich nun mal bekannt. Auch wenn hier 86.000 Einwohner leben, gibt es die wohl dümmsten Zufälle, wie man so eben gesehen hat.
Sie schlingt die Arme um mich und küsst mich auf die Wange.
>Melde dich so schnell wie möglich, okay? <
>Okay. < hauche an ihrem Ohr und schlucke den schweren Kloß in meinem Hals hinunter. Sie löst sich und geht ein paar Schritte zu Sam rüber.
>Danke, dass du so für sie da bist. <
Daraufhin grinst er leicht, schlägt die Augen nieder und nickt. Seufzend laufe ich rückwärts von Meg weg, während Sam die Tür für mich aufmacht.
>Hab´ dich lieb, vergiss das bloß nicht. < schluchzt sie einen Hauch lauter und folgt mir noch mal eilig drei Schritte hinterher.
>Würde mir nie im Traum einfallen. <
Dann steige ich ein und lasse von Sam die Tür zuwerfen. Ich atme schwerfällig durch meine leicht geöffneten Lippen, versuche immer wieder diesen Kloß hinunterzuschlucken und das Brennen in meiner Kehle zu ignorieren. Ebenso das unangenehme Brennen in meinen Augen blinzle ich einfach weg und versuche all das nicht mehr an mich herankommen zu lassen. Doch das ist viel leichter gesagt als getan.
Sam setzt sich neben mich und sieht sich ein letztes Mal zu allen Seiten um. Er soll sich entspannen. Hier hat mich niemand bemerkt. Mir ist kalt und ich schlinge die Arme um meinen durchnässten Körper. Auch die nassen Schuhe streife ich ab und ziehe die Beine an meinen Körper ran.
Wir rollen vom Parkplatz und ich winke Meg zu, bevor ich sie aus den Augen verliere.
Sam mustert meine Haltung und stellt mir die Sitzheizung an. Ich murmle so etwas wie ein „Danke“ und lasse meinen Kopf zur Scheibe fallen, damit er mich nicht sehen kann. Schwerfällig bemühe ich mich ruhig und gleichmäßig zu atmen, blinzle wieder mehrere Male und ermahne mich selbst, mich zusammenzureißen. Die ersten fünf Minuten klappt das relativ gut, aber ich schaffe es nicht meinen Kopf auszustellen und verfalle in eine noch gekrümmtere Haltung. Damit Sam nicht mitbekommt, wie schlecht ich mich eigentlich fühle, räuspere ich mich anstatt zu schluchzen, aber ich winde meinen Kopf quälend hin und her.
>Nayeli hör auf damit! < zischt Sam zähneknirschend und fährt eilig rechts ran. Ich blicke erschrocken und mit verzogenem Gesicht zu ihm. >Hör auf damit, so verflucht stark sein zu wollen. <
>Was? Du sagst doch immer, dass ich das sein soll. < flüstere ich, weil meine Stimme nicht mehr hergibt.
>Nein … ich sage, dass es okay ist Schwäche zu zeigen, sich einen Moment dafür zu nehmen und danach wieder stark zu sein. Aber du bist noch nicht so weit und quälst dich – das kann ich einfach nicht sehen. < mit melancholischer Stimme und dem dazu passenden Blick, greift er zu meinem Gurt und schnallt mich ab. Das stimmt, dass ich mich quäle. Ich kralle meine Finger in den Sitz, bekomme kaum Luft – so sehr wehre ich mich gegen das Weinen.
>Komm her. < sagt er und umgreift mit einem Arm meine Taille. Er zieht mich seitlich zu sich auf den Schoß und statt diese Nähe eigenartig zu finden, versenke ich mein Gesicht sofort in seiner Schulter und lege die Arme um ihn. Ich weine plötzlich hemmungslos wie die ganze Zeit noch nicht. Es ist nicht wie vorgestern aus Angst und auch nicht so wie die Male davor, aus Trauer oder Verzweiflung. Jetzt ist es, weil ich mich so schrecklich allein und bestraft für etwas fühle, wofür ich nichts kann. Sam drückt mich an sich und es scheint ihn absolut nicht zu stören, dass ich neben sein Ohr schluchze. Mein Körper bebt und ich glaube komplett die Kontrolle darüber verloren zu haben.
Ich habe das Bedürfnis zu schreien, mir die Haut vom Körper zu reißen und irgendetwas zu tun, was diesen Schmerz in meinem Inneren wettmachen kann. Meine Empfindungen kann ich weder annähernd so zeigen wie sie sich anfühlen, noch kann ich sie erklären. Dieses Gefühl allein zu sein, wünsche ich niemandem auf der Welt.
Sam streicht mir seufzend über den Rücken und küsst mich auf den Scheitel. Ich kann einfach nicht mehr denken. Was passiert ist, ist passiert und schlimme Dinge kann man nicht mehr rückgängig machen aber trotzdem wünschte ich, die Zeit zurückdrehen zu können.
Meine Finger krallen sich in Sam's Rückenmuskeln und meine Tränen laufen auf sein ohnehin schon nasses Shirt.
>Es tut mir leid, dass du deine Freunde gesehen hast. Ich dachte, bei so einem Wetter wäre niemand hier. Wahrscheinlich hat es das nur schlimmer für dich gemacht. < murmelt er in mein Haar. Ich kann nicht einmal antworten und schluchze einfach weiter. >Als mein Bruder starb, wusste ich, dass ich akzeptieren musste was passiert war, aber von verkraften kann keine Rede sein. Etwas in mir ist in tausend Teile zerbrochen. Ich höre seine Stimme selbst heute noch in meinem Ohr und habe sein Bild im Kopf, weil die Spuren des Lebens nie völlig an einem vorbeigehen. Ich sage dir zwar, dass du stark sein musst, aber es ist okay auch mal schwach zu sein. Die schwersten Tage in meinem Leben habe ich allein überstanden, aber ich bin bei dir. <
Bei seinen ehrlichen Worten kneife ich die Augen noch mehr zusammen. Sam redet für gewöhnlich nicht über diese Dinge.
>Ich habe sie …heute vor drei Wochen …zum letzten Mal gesehen. < wimmere ich vor mich hin.
>Und irgendwann wirst du sie wiedersehen, aber bis dahin ist noch sehr viel Zeit. Morgen hast du wieder die Kraft dazu so zu tun als würde es dir gut gehen, aber jetzt für den Moment will ich, dass du vergisst eine taffe Frau sein zu wollen. <
>Aber das nervt mich … dass ich so nah … am Wasser gebaut bin. Ich will das nicht. < schluchze ich und hole mehrmals japsend Luft.
>Sei froh darüber. Hab´ lieber zu viele Emotionen als gar keine – so wie ich. <
Schniefend löse ich mich ein Stück von ihm und sehe ihn mit Tränen in den Augen an.
>Du hast Emotionen. <
>Nicht sehr viele. < haucht er und legt seine Hand auf meinen Hinterkopf. Die Finger seiner anderen Hand gehen unter meine Augen und streichen die Tränen weg. Es ist aber sinnlos, denn ich kann die Neuen nicht stoppen.
>Ich wünschte, ich hätte dich schon früher getroffen. <
>Wünsch dir das lieber nicht. < erwidert er bitter.
Was auch immer er damit meint, es ist mir egal. Ich lasse meinen Kopf wieder auf seine Schulter sinken und er umgreift mich mit beiden Armen. Seine Lippen streifen mein Ohr und er sagt:
>Was auch immer uns noch in diesem Leben passieren wird, wir werden es irgendwie überleben, weil wir das schlimmste schon durchlebt haben. <
Ich nicke schluchzend, weil ich weiß, dass er recht hat. Nichts auf der Welt kann noch schlimmer werden als das, was ich bisher durchmachen musste. Mir ist klar, dass er sich nicht nur wegen Megan Vorwürfe macht, weil wir nicht telefonieren konnten, sondern jetzt auch noch, weil meine Freunde unerwartet da waren. Aber alles davon ist völliger Schwachsinn, das ich ihm gern vermitteln würde, aber meine Stimme fühlt sich so brüchig an, dass ich einfach gar nichts mehr sagen will.
Sam hat sich wirklich viel Zeit für meinen Zusammenbruch genommen. Ich denke immer, dass ich ihn mit diesen Heulattacken nerve und ich will ihn nicht noch mehr belasten als ohnehin schon, aber ich bin so froh, dass er ihn ausgelöst hat. Anfangs wusste ich überhaupt nicht wohin mit mir und wie ich meinen Kummer verstecken sollte, aber Sam wusste, dass ich ihn brauchen würde. Irgendwann konnten wir endlich wieder weiterfahren aber ich rutschte nicht einen Zentimeter von seiner Seite und klebte förmlich an seiner Flanke. Den Rest der Zeit laufen mir stumm die Tränen herunter und ich schaue stur geradeaus auf die Straße, die mir inzwischen genauso geläufig ist, wie die zu meinem eigenen Haus.
Er hält vor seinem Heim und seufzend schnalle ich mich ab. Ich fühle mich so kraftlos und ausgelaugt.
Mit einem Hüpfer lande ich neben dem Pick-up im Matsch und laufe zum Haus.
Drinnen angekommen streife ich die Schuhe im Flur ab, gehe direkt in mein Zimmer und stelle den Rucksack neben dem Bett ab.
Kurz darauf kommt Sam zu mir rein.
>Du musst aus den nassen Klamotten raus, sonst wirst du krank. <
>Das musst du gerade sagen. < erwidere ich, ohne ihn anzusehen.
>Deswegen geh ich erstmal heiß duschen. Falls etwas ist, dann ruf mich okay? <
Stumm nickend sehe ich nach draußen in den Wald. Er ist kaum noch zu erkennen, da es bei dem Regenwetter ziemlich schnell dunkel wurde. Wir waren ewig unterwegs und Sam hat sicher Hunger. Ich ziehe mir warme und trockene Sachen an und rubble mir die Haare mit einem Handtuch etwas trocken.
Auf die Schnelle mache ich irgendeine Gemüse-Hackfleisch-Pfanne, gebe die Hälfte auf einen Teller und stelle es Sam hin. Ich habe absolut keinen Hunger und verziehe mich einfach wieder in mein Zimmer. Ermattet krieche ich komplett angezogen und mit dicken Socken unter die Bettdecke und starre die Wand an. Mein Gesicht ist zur Hälfte verdeckt und ich schmiege mich in den Stoff hinein. Ich glaube, ich will nie wieder aus diesem Bett aussteigen.
Nach einer Weile höre ich Sam die Treppen herunterkommen. Sicher tapst er in die Küche und sieht, dass dort nur ein Teller steht. Ich will ihm nicht das Gefühl geben etwas falsch gemacht zu haben, denn das hat er nicht, aber ich befürchte, im Moment bin ich nicht gerade eine freudige Gesellschaft und er ist wahrscheinlich froh, mich auch mal los zu sein. Wenn ich er wäre, würde ich dieses Häufchen Elend in diesem Zimmer zum Kotzen finden. Ich höre Besteck klimpern und einen Stuhl rücken. Er hat sich seinen Feierabend genauso verdient wie jeder andere und sollte sich noch ein paar Stunden stumpf vor den Fernseher setzen, irgendein Footballspiel sehen oder Musik hören. Was ich nicht will ist, dass er sich für mich verantwortlich fühlt.
Aber da mache ich wie immer die Rechnung ohne ihn, denn kurz darauf schiebt er meine Tür auf und klopft überflüssigerweise einmal dagegen, als ich ihn bereits ansehe. Er lehnt sich lässig gegen den Türrahmen, hält mit der einen Hand das Ben & Jerry´s Eis hoch und mit der anderen einen Löffel.
>Kummerkanister? <
Ich schaffe es nicht etwas zu antworten aber ich nicke. Er kommt zu mir und setzt sich an die Wand angelehnt zu mir auf das Bett. Damit ich ihn nicht herunterwerfe, setze ich mich ebenfalls auf und bleibe neben ihm.
Den Deckel der Eisschachtel wirft er auf den Nachttisch und steckt den Löffel in den Inhalt hinein, um ihn mir vor mein Gesicht zu halten. Erst schaue ich ihn fragend an aber dann nehme ich den Bissen.
Ich rücke ein Stück näher zu ihm, als er seinen Arm ausbreitet und lehne dann meinen Kopf gegen seine Brust. Wieder hält er mir einen Löffel vor die Nase und so essen wir abwechselnd vom selben Besteck.
>In dieser kurzen Zeit habe ich gesehen wie du einen Rückschlag nach dem anderen erlebst und jeden einzelnen wegstecken musst. Wenn es wirklich so etwas wie Karma gibt, dann ist es echt mies verteilt. < sagt Sam kopfschüttelnd.
>An sowas glaube ich nicht mehr. <
Dieses Mal schnappe ich mir den Löffel und stecke ihn mir in den Mund.
>Kann ich dich was fragen? < setzt er an und nimmt mir den Löffel ab. Ich nicke bloß, denn normalerweise ist das meine Frage an ihn. >Was hast du da bei deiner Familie gesagt? Du hast eine andere Sprache gesprochen. War das ein Gebet oder sowas? <
>Das war Lakota. Und es war kein Gebet. Es war eher etwas, das ich ihnen unbedingt sagen wollte. <
>Zum Schluss hast du „Nayeli“ gesagt. Was das bedeutet weiß ich inzwischen, aber was war das davor? <
Ich blicke ihn an und schaffe es mir ein leichtes Lächeln abzugewinnen.
>Diese toten Sprachen klingen übersetzt immer etwas geschwollen und abgedroschen, aber sinngemäß habe ich gesagt, dass ich keine Angst habe, weil ein Mann mit grauen Augen bei mir ist, der mich nicht alleine lässt. Und ich habe ihnen gesagt, dass es irgendwann wieder besser werden wird und ich sie niemals vergessen werde. <
Sein Blick wirkt versteinert und er sieht mir so intensiv in die Augen, wie schon so oft.
Er stellt den leeren Eisbehälter auf den Nachttisch und streicht dann über meine Wange.
>Du machst etwas Besseres aus mir, als ich bin. < haucht er.
Schwerfällig lasse ich meinen Kopf auf seiner Schulter liegen, aber umgreife mit beiden Händen seinen Rumpf.
>Hör auf das immer zu sagen. Ich weiß nicht was ich ohne dich gemacht hätte und ich weiß auch nicht, was ich jemals wieder ohne dich tun soll. Du kannst mich nicht alleine lassen Sam – ich will das nicht. <
>Lass uns das ein anderes Mal besprechen. <
>Nein, du kannst es nicht. < wiederhole ich monoton. >Ich will nicht mehr ohne dich sein. <
Seufzend fährt er mir liebevoll durch die Haare und lehnt seinen Kopf gegen die Wand.
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**Ich fürchte mich nicht. Mein Wahlverwandter mit den grauen Augen ist bei mir. Er ist der, der neben mir geht, der ehrbar ist und ein tapferes Herz hat. Ich beobachte alles auf meinem Weg bis die Tagessonne wieder aufgeht. Ihr habt alle einen Ehrenplatz in meinem Herzen. Ich liebe euch.
(Es war ein harter Kampf überhaupt eine ungefähre Übersetzung zu finden, aber es ist tatsächlich Lakota und klingt leider etwas abgedroschen. Aber immerhin ist es nicht ausgedacht.)