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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
14.12.2018 5.139
 
Kapitel 05 - Unübersehbare Spuren

So wie gestern gehe ich mit Ruby nach dem Essen raus. Ich brauche etwas frische Luft, auch wenn sie gleich wieder durch den Zigarettenqualm der anderen Schüler verpestet wird. Aber die Hauptsache ist, dass ich draußen sein kann.
Wir stehen mit Jeremy bei David, Owen und Liam aus den höheren Stufen herum. Die anderen gemischten Ränge sind ebenfalls in Grüppchen hier draußen und halten entweder das Gesicht in die Sonne oder fördern ebenfalls ihre Raucherlunge.
>Was ist eigentlich die ganze Zeit mit dir los? Du bist so still. < fragt Ruby, die gerade ihren Glimmstängel anzündet.
>Nichts weiter. Das Schießen ist nur irgendwie nicht so mein Ding. Ich habe einen gehörigen Respekt davor. <
>So ein Quatsch. < mischt sich Jeremy in unser Gespräch ein. >Louis hat mir gestern schon erzählt was da los war. Du brauchst offensichtlich bloß einen Moment länger bevor du dich eingeschossen hast. Na und? Ich kenne wirklich gute Schützen, bei denen gehen die ersten drei Schuss fast immer in die Hose, weil sich das Auge erst gewöhnen muss. <
Ich nicke daraufhin aber bei mir ist es nicht das Auge, sondern das Ohr. Sobald ich das Knallen höre, ist der Schmerz fast spürbar, der mir durch das Bein und den Oberkörper zog und mir die Luft raubte.
>Mit etwas Übung wird das schon. < erwidere ich und versuche optimistisch zu klingen.
>Ihr Neuen wollt immer gleich vom ersten Tag an alles können. < mischt sich David aus Stufe drei in unser Gespräch ein. >Ich habe zu Anfang von der anderen Seite auch mal kurz zu euch rübergeschaut. Du bist ja schließlich hier um es zu lernen, also mach dir mal keine Sorgen, wenn es nicht perfekt war. <
>Genau das ist ja das Problem. Ich fand, ich war gar nicht so schlecht aber Cataley gab mir das Gefühl, hundsmiserabel zu sein. < gestehe ich unsicher.
>Ach so, deswegen bist du so drauf. < sagt David und tut es mit einer Handbewegung ab. >Mit ihr muss man erst warm werden. Sie sieht zwar heiß aus aber ich glaube, ich würde sie nicht geschenkt haben wollen. Ihre Stimmung ist mal so und mal so. <
Alle anderen Männer in unserer kleinen Gruppe grinsen irgendwie einstimmig und werfen sich denselben Blick zu. Daraufhin lache ich. Na okay, wenn sie einfach nur ein anstrengender Typ Mensch ist, dann kann ich damit eher umgehen, als nicht zu verstehen, wo meine Fehler liegen.

           Nachdem alle ihre zweite oder auch dritte Zigarette geraucht haben, begeben wir uns langsam wieder in den Unterricht. Wir haben gleich Einsatztraining während Liam aus der zweiten Stufe Selbstverteidigung bei Lukaz hat. Er geht mit uns zusammen in das zweite Untergeschoss. Von den anderen aus der dritten Stufe verabschieden wir uns im Gang.
Sobald wir unseren Trainingsraum betreten, sehe ich, dass er schon wieder umgebaut ist. Da hier die Decken so hoch sind, wurden rings herum Boxsäcke an dem Metallgitter über unseren Köpfen befestigt, welches den Raum einrahmt. So langsam scheint es wirklich ernst zu werden. Ohne Umschweife beginnt unsere Trainerin mit ihrem Unterricht und verteilt jeweils zwei schwarze Stoffrollen an uns.
Sie zeigt uns wie wir unsere Hände damit bandagieren, da sehr viel Kraft darauf lastet. Dreimal zeigt sie uns wie wir sie wickeln sollen und kontrolliert sogar nach, damit wir uns nicht verletzen. Eines muss ich ihr lassen – selbst wenn sie die größte Zicke auf dieser Welt ist, sie macht ihre Arbeit sehr genau und die Techniken, die ich gestern von ihr gelernt habe, habe ich kapiert.
Wir stehen alle bereit vor einem Boxsack und warten auf unsere Anweisungen.
>Gestern habe ich euch gesagt, dass ich die Schlagtechniken hören und sehen will. Kim du fängst an. < dirigiert sie sofort.
So ein Mist! Das war ja klar. Zum Glück habe ich haufenweise mitgeschrieben und es gestern und heute noch gelernt. Praxis ist aber nun mal etwas anderes als Theorie.
Zögernd gehe ich näher zu meinem Sandsack heran und demonstriere den Hammerschlag, sowie die anderen, die ich gestern gezeigt bekommen habe. Mit allen nötigen Erklärungen, die mir einfallen, rattere ich mein Wissen herunter in der Hoffnung, keinen Fehler zu machen. Ich komme mir ein bisschen lächerlich vor, da sich der Ballast vor mir kaum bei meinen Schlägen bewegt.
>Na an der Technik müssen wir aber noch mächtig arbeiten. < sagt sie. >Der Rest der Aufzählung war gut. <
Ernüchtert entferne ich mich einen Schritt von dem Gewicht und sehe zu, wie der Nächste die Technik ausführen muss. Jeder ist einzeln damit dran und bei Ruby denke ich: „armer Boxsack“. Auch die anderen um mich herum sehen etwas mitleidig zu unserem Übungsopfer aber sind offensichtlich froh darüber, dass sie es nicht sind.
Cataley sieht milde beeindruckt aus, aber kann sich offensichtlich nicht dazu aufraffen, mal etwas Positives dazu zu sagen.
Nachdem wir alle einzeln durch sind, zeigt sie uns die weiteren Basics die wir trainieren sollen. Wir sollen lernen mit beiden Armen zuzuschlagen – auch wenn wir eine Lieblingsseite haben. Ich bin versiert auf mein Ziel und ignoriere das Ziehen in meiner Schulter. Wenn Sam denkt, dass es okay ist zu trainieren, dann werde ich es tun. Ich will das hier mit allen Mitteln überstehen.
Ob ich wirklich eine hohe Schmerzgrenze habe, so wie Sam sagte, weiß ich nicht. Rückblickend betrachtet bin ich als Kind allerdings mal die Klippen hinuntergestürzt und habe die Abschürfungen tapfer hingenommen, während Iye das Haus zusammenbrüllte, wenn er sich nur den Finger eingeklemmt hatte. Früher kam ich eigentlich ständig mit blutigen Knien, blauen Flecken oder Kratzern im Gesicht nach Hause. Und hätte Mum nicht jedes Mal einen Herzinfarkt bei meinem Anblick bekommen, dann hätte ich das selbst gar nicht mitgekriegt, dass ich Verletzungen hatte. Aber andererseits ist das doch normal bei Kindern, oder?
Ich versuche jegliche Gedanken über meine Familie aus meinem Kopf zu vertreiben und konzentriere mich auf das, was ich tun soll.
Unsere Trainerin läuft herum und bleibt neben mir stehen. Sie sieht mir ein paar Mal zu und wendet dann ein:
>Wenn du nach vorn zuschlägst, dann deckt deine Schulter dein Kinn und deine Schläfe ab. Falls ein Schwinger deines Gegners kommt, bist du geschützt. Geh danach zurück in die Deckung. Die andere Faust die nicht schlägt, schützt die andere Gesichtshälfte. < ich tue was sie sagt und versuche mehr Kraft aufzuwenden, indem ich mein Gewicht einsetze. >Das ist besser. Jetzt knick deinen Rumpfbereich noch etwas ein, stehe eng und drehe weiter die Hüfte rein – damit schützt du dich. <
Plötzlich ist sie so hilfreich. Ich bin dankbar für ihre berechtigte Kritik, mit der ich etwas anfangen kann und mit der verbesserten Technik bewegt sich auch endlich mein Sandsack etwas mehr. Dann geht sie weiter zu den anderen Schülern und korrigiert hier und da die Haltungen oder Deckungen.
Nach einer Weile fühlen sich meine Muskeln an, wie weichgekochte Nudeln, aber wenn ich so zur großen Uhr an der Wand schaue, dann müssen wir das noch eine ganze Zeit lang aushalten.
Doch zu meiner Überraschung beendet unsere Trainerin das Boxtraining und befiehlt uns alle in ihre Mitte. Zu ihren Füßen liegt ein Rucksack und dahinter etwas schwarzes Kastenförmiges, das ich nicht deuten kann.
>Wenn ihr da zum ersten Mal herausgeht und eure Zielperson habt, dann könnt ihr davon ausgehen, dass sie freiwillig nicht mit euch mitgeht. Ihr müsst sie also abführen. Eure Ausrüstung muss immer komplett sein, sonst seid ihr im schlimmsten Fall aufgeschmissen und eure Prämie ist erstmal in weiter Entfernung, wenn der Flüchtige erneut entkommt. In manchen Bundesstaaten gibt es eine Dienstmarkenpflicht für Bounty Hunter und eine Weste wie diese. < Sie greift zum Boden hinter dem Rucksack und zieht eine schwarze und offensichtlich relativ steife Weste hervor, mit dem Aufdruck: „Bail Enforcement Agent“. Ist die etwa schusssicher? >Andere Bundesstaaten wollen keine Dienstmarke für uns und ich persönlich finde das auch gut so. Arbeitet lieber in zivil, dann geht ihr sicher, dass man euch nicht schon vorher erkennt. Später werdet ihr wahrscheinlich als Team arbeiten und euch die Belohnung teilen. Dazu müsst ihr es aber erstmal schaffen, den Flüchtigen festzunehmen. Das Schöne bei uns? Es ist alles erlaubt! < Sie grinst dabei so eigenartig als sie das sagt. Dann öffnet sie den Rucksack und holt sämtliches Zeug heraus.>Ihr solltet alles am Mann haben und nicht ewig in den Taschen suchen. Was ihr immer dabeihaben solltet, sind Handschellen, Ersatzscharniere, Ersatzketten und für harte Fälle auch Beineisen. <
Sie legt das ganze Zeug vor uns auf den Boden. Bei jedem Wort höre ich ihre Begeisterung heraus und merke wie sie für diesen Beruf lebt.
>Du bringst Schülern nicht nur bei, gute Bounty Hunter zu werden, oder? < frage ich sie in einer kurzen Atempause. >Du arbeitest selbst noch als Hunter. <
Daraufhin grinst sie sieghaft und nickt.
>Nicht mehr so viel wie früher. Aber es gibt kein besseres Gefühl, als das, wenn ihr eine der gesuchten Personen gefangen habt. Was mich zum nächsten Thema bringt: Wie ich schon sagte, ist alles erlaubt. Wenn ihr keine Handschellen habt, tun es auch Kabelbinder. < sie holt die besagten aus dem Rucksack. >Ihr solltet sie voreingerastet an eurem Gürtel haben. Um sie eurem Flüchtigen anzulegen, dürft ihr zuschlagen, schießen oder ihn mit einem Taser schocken. <
Daraufhin holt sie ein kleines schwarzes Gerät aus dem Rucksack und stellt es an. Die meisten von uns schrecken erstmal zurück als sie das Ding anwirft, da es einen grässlichen Ton bei der Aktivierung von sich gibt. Zwischen den herausstehenden Elektroden kommt es zu einem Blitz, den ich lieber nicht abbekommen will.
>So einen Elektroschocker und eine Pistole in einem Holster an eurem Gürtel, machen schon ziemlich Eindruck. In Verbindung mit dem fachlichen Können, das ihr hier lernt, kann euer Gegner einpacken. < erklärt Cataley.
>Wie stark ist so ein Ding? < fragt Cruisi. Er steht direkt neben unserer Trainerin, worauf sie ihm den Schocker an den Oberarm drückt und er erst schreiend zu Boden geht und dann zuckend dort liegenbleibt.
>Ziemlich stark. < erwidert sie amüsiert. Ich hingegen reiße die Augen auf und fand das mehr als unangebracht. Aber wahrscheinlich bin ich die Nächste, wenn ich ihr sage, dass sie eine blöde Kuh ist.

              In den nächsten fünfundvierzig Minuten wird meine Schulter dermaßen malträtiert, dass ich mir auf die Zunge beißen muss. Ich halte mehrmals die Luft an, um nicht aufzuschreien und kann es wirklich gut vertuschen, aber ist das wirklich Sinn der Sache auf Teufel komm raus hier zu überleben? Doch jedes Mal, wenn ich mir selbst diese Frage stelle, dann antworte ich mir immer wieder mit einem „Ja – das ist es wert.“
Wir üben das Festnehmen von einem Flüchtigen ohne jegliche Gnade.
Das bedeutet: Angreifen, auf den Bauch werfen und die Hände auf dem Rücken fesseln. Die meisten meiner Mitstreiter sind noch recht langsam in ihrer Technik, aber ich habe Max als Partner. Was ich inzwischen aber weiß ist, dass er ein Cop ist. Er sitzt zwar seit vielen Jahren im Büro aber er weiß dennoch, was er tun muss und braucht nicht wirklich lange, um mich in die Mangel zu nehmen.
Inzwischen tut mir die Schulter schon beim Hochnehmen weh, aber nachdem er mich schon vier Mal in Handschellen gehabt hat, weigere ich mich, nochmal zu versagen. Ich versuche alles so zu machen, wie Cataley und Lukaz es mir in den vergangenen zwei Tagen gezeigt haben aber es ist so wahnsinnig schwer, sich gegen jemanden zu verteidigen, der dreißig Jahre als Polizist gearbeitet hat und immerhin jährlich die Nahkampfauffrischungen machen muss.
>So ein Mist. < meckere ich und lasse meinen Kopf auf eine Matte fallen, als er mich schon wieder am Boden hat. Max hingegen feixt.
>Sei nicht so sauer auf dich. Na los, lass uns tauschen. < er nimmt mir die Handschellen wieder ab und ich kreise meine Schulter. Ich setze mich auf meine Fersen und muss ein paar Mal durchatmen.
>Alte Sehnenruptur? < fragt er und nickt zu meiner Schulter.
>Nein, schon gut. Ist alles okay. <
Ich versuche mir ein Lächeln abzuringen und greife zu den Handschellen.
Ohne lange abzuwarten, stehe ich wieder auf und laufe auf ihn zu. Meine Hand schnellt nach vorn, während er abwehrend zuschlägt und versucht, mich zu treffen. Einen Arm von ihm greife ich mir, drehe mich von ihm weg, um ihm den Arm auf den Rücken zu drehen. Schon tut er das gleiche, dreht sich mit mir, sodass ich wieder am Anfang stehe.
Er greift mir in den Nacken und drückt meinen Oberkörper nach unten, wahrscheinlich damit er mir den Ellenbogen auf den Rücken schlagen kann, aber ich nehme meine Faust hoch und schlage sie in seinen Magen.
Keuchend geht er in eine gebeugte Haltung und ich komme frei. Ich will ihn wieder angreifen aber er steht schon wieder und macht mich fertig.
>Der Bounty Hunter bringt den Flüchtigen zu Fall, nicht andersherum. < ruft Cataley zu uns. Toller Ratschlag, das war mir gar nicht bewusst.
Max reicht mir seine Hand, um mir aufzuhelfen und ich ergreife sie.
>Mach dich nicht fertig. Durch jeden Rückschlag wirst du härter. Was glaubst du, wie oft ich die hatte? <
>Du hast bessere Voraussetzungen als ich. <
>Die hatte ich in deinem Alter nicht. < Das ist ein Argument. Wenn ich ihn jetzt so ansehe, dann kann man sich nicht vorstellen, dass ein Mann wie er, überhaupt mal Rückschläge erlebt hat.
>Weißt du was? Ich finde es gut, dass hier niemand Mitleid mit mir hat. Ihr schlagt einfach drauflos und das ist alles andere als zaghaft. <
Daraufhin grinst er.
>Wieso sollten wir auch? Die, die hierherkommen sind taff. Auch die Neuen brauchen kein Mitleid. Ich finde, du hast gute Ansätze, du brauchst nur die Übungen und ein paar Muskeln mehr. Probiere es nochmal! <
Bis die Stunde um ist, versuche ich es viele Male ihn festzunehmen. Manchmal bin ich kurz davor und einmal war er sogar mit einer Hand in den Schellen drin, aber wirklich erfolgreich war ich nicht. Ich war so auf mich konzentriert, dass ich die anderen nicht beäugt habe, aber offensichtlich waren in Cataleys Augen einige gut. Denn zum Ende unseres Einsatztrainings verkündet sie lauthals:
>Max, Joey, Andy und Oliver. Ihr seid am Montag in Stufe zwei. Findet euch um acht Uhr in der zweiten Etage ein, dann wird euch alles Weitere gesagt. <
Die Männer klatschen sich daraufhin ab. Ich spreche meinem Partner meinen Glückwunsch aus und lächle ihm zu.
>Danke. Da kommst du auch noch hin – wirst schon sehen. Nur nicht entmutigen lassen. <
Ich nicke hingegen und laufe dann an den Rand des Raumes zu meinem Wasserbecher. Max kam am Mittwoch in diese erste Stufe und hätte er als Cop eine Stelle im Außendienst, dann bin ich sicher, er wäre direkt in die Zweite gekommen.
Entkräftet setze ich mich auf die Matte und sehe zu, wie einige meiner Leidensgenossen den Raum verlassen.
>Kommst du mit raus? Ich brauche dringend eine Zigarette. < fragt Ruby, die genauso verschwitzt und fertig neben mir steht, wie ich mich fühle.
>Nein jetzt nicht. Ich bleibe hier lieber sitzen. <
Daraufhin geht sie mit den meisten anderen nach draußen. Das werden wohl die härtesten Wochen meines Lebens.
Cataley räumt die ganzen Handschellen wieder zurück und läuft dann an mir vorbei. Allerdings bleibt sie plötzlich stehen und schaut zu mir, was ich aus dem Augenwinkel sehe.
Sie kommt näher, stellt sich neben mich und lehnt sich mit der Schulter gegen die Wand.
>Sag mal, woher kennst du Sam eigentlich? < will sie unerwartet wissen. Wieso will heute jeder etwas zu Sam und mir wissen?
Perplex schaue ich neben mich. Mit verschränkten Armen und engen Augenschlitzen steht sie da und durchbohrt mich. Ich kann ihr auf keinen Fall die Wahrheit sagen, denn Sam war sehr eindeutig. Es wissen nur Henry und Lukaz, dass er mich gerettet hat und wer ich bin. Selbst bei Simon darf ich nichts sagen.
>Wir kommen beide aus Tennessee und sind in einem Diner ins Gespräch gekommen. Er hat gemerkt, dass ich in Schwierigkeiten steckte, weil ich von zu Hause fortgelaufen bin und nur ab und zu mal jobbte. Jetzt hilft er mir etwas auf die Beine. Wir sind Freunde. <
>Und das bedeutet, dass du bei ihm wohnen musst? < fragt sie mit einem deutlich skeptischen und giftigen Unterton.
>Nur so lange bis ich hier fertig bin. Danach schaffe ich es schon allein. <
>Sam spricht doch nicht einfach irgendwelche Teenager an und lässt sie dann in sein Haus. <
>Ich habe keine Ahnung wie gut du ihn kennst, aber der Sam, den ich kenne, spricht durchaus Frauen an und greift ihnen unter die Arme. Im Übrigen bin ich einundzwanzig und kein Teenager. Und er mag es nicht, wenn man über ihn redet. <
Ups das war wohl der falsche Satz. Ihr Mund wird schmallippig und ihre Augen verengen sich noch mehr.
>Und was tust du dafür, dass du bei ihm wohnen kannst? <
Ich merke wie sie versucht, mich in die Ecke zu treiben aber das funktioniert nicht. Nicht bei diesem Thema.
>Sam und ich hegen keinerlei Gefühle füreinander, falls es das ist, was du denkst. Ist es so ungewöhnlich, dass Mann und Frau einfach nur Freunde sind? <
Sie rümpft ihre Nase und zieht ab, ohne noch etwas zu sagen. Mein Blick folgt ihr und ich habe irgendwie das dumme Gefühl, dass ihr diese Antwort nicht gefällt. Wahrscheinlich hätte ihr keine Antwort gefallen, außer dass Sam und ich uns im Grunde nicht kennen und ich in einem Hotel wohne.

           Nach der Pause geht es weiter mit dem letzten Block. Wir haben Selbstverteidigung mit Lukaz und so langsam merke ich, wie viele Dinge ineinander übergreifen. Das Abwehren von den Schlägen, um Schläfe, Nase und Kinn zu schützen, gehen so langsam in Fleisch und Blut über. Heute zeigt er uns allerdings zusätzlich, wie wir Kicks mit dem Knie abblocken können und uns aus einem engen Griff herauswinden. In dieser Stunde ist Ruby meine Partnerin und ich bin vollkommen baff, was die Kleine drauf hat.
Sie greift mir von hinten um die Taille. Ich beuge mich nach vorn, greife durch meine gegrätschten Beine zu ihrem Bein und ziehe es nach vorn, damit sie nach hinten fällt. Das klappt erstaunlich gut und ich habe sie echt zu Boden gerissen. Lukaz will das wir ab und zu unsere Partner tauschen und zu meiner Begeisterung ist das eine ziemlich taugliche Technik – auch für schwächere Leute wie mich. Ich schaffe es bei jedem, dass er nach hinten umfällt. Sobald ich an der Reihe bin der Angreifer zu sein, merke ich allerdings auch weshalb. Es ist einfach nahezu unmöglich, sich dabei auf den Beinen zu halten und man fällt nach hinten um, wie ein nasser Sack.
Lukaz´ nächste Übung sieht so einfach aus, wenn er es an einem der Anderen vorzeigt, doch nun sind wir an der Reihe. Ruby hat mich im Würgegriff. Sie steht hinter mir und hat ihre Ellenbeuge um meinen Hals geschlungen. Währenddessen erklärt Lukaz weiter, was wir tun sollen.
>Das geht jetzt an die, die im Würgegriff festhängen: Euer Stand ist gegrätscht, baut die Körperspannung auf und beugt euch mit Schwung nach vorn, damit euer Gegner über eure Schulter rollt. Sobald er auf dem Rücken liegt, solltet ihr ihn festnageln. < ruft Lukaz und geht die Reihen durch.
Ich spanne mich an und werfe sie mit Schwung über meine Schulter. Keuchend rollt sie sich zusammen und ich setze mich lachend auf sie.
>Mit dir funktioniert das. Du bist so schön leicht. < juble ich bei meinem kleinen Erfolg.
>Challenge akzeptiert. < lacht einer hinter mir. Ich drehe mich um und schaue zu Jeremys breitem Grinsen hoch. Er ist bedeutend größer und schwerer als Ruby.
>Ich sollte lieber lernen die Klappe zu halten. < nuschle ich.
>Hast du etwa Angst vor mir? <
Ich grinse und lasse Ruby frei, die sich zu Jeremys Partner begibt. Er lässt keine Zeit vergehen und ist deutlich sicherer in seiner Handfassung. So wie er meine Kehle zusammendrückt, fühlt es sich total einengend an und ich will ihn loswerden. Als sich meine zusammengekniffenen Augen öffnen, sehe ich wieder Sam am Türrahmen gelehnt stehen.
Na toll. Das auch noch. Jetzt muss ich Jeremy aber echt fertigmachen. Na gut – jetzt oder nie. Also gegrätschter Stand, Körperspannung, schnell nach vorn beugen und meinen Gegner über meine Schulter rollen.
Die Abfolge mache ich dieses Mal mit meiner ganzen Kraft und siehe da. Jeremy liegt.
>Du hast mitgeholfen, oder? < meckere ich. Er dreht sich hingegen keuchend auf die Seite und kommt dann auf alle Viere hoch.
>Vergiss es. Das warst du alleine. <
Ich grinse zu Sam, der mein Strahlen erwidert. Wenn er mir schon das Ganze hier bezahlt, dann will ich wenigstens, dass er sich sicher sein kann, dass ich es ernst nehme.
>Okay tauscht nochmal! Max geht zu Kim! < ruft Lukaz. Ist das sein Ernst? Bei Max dem Ex-Cop muss ich beinahe den Kopf in den Nacken werfen, um ihn anzusehen.
>Na los. Wir zwei funktionieren doch schon ganz gut zusammen. < feixt er und nimmt mich sofort in den unangenehmen Griff, der bei ihm sogar noch schlimmer ist, als bei Jeremy. Absolut kein Mitleid – das finde ich gut.
Wie bei den anderen Malen zuvor mache ich genau das Gleiche aber bei ihm funktioniert es nicht so gut. Ich beuge mich ja so schon schnell nach vorn wie es mir gezeigt wurde, aber Max rutscht mit dem Oberkörper nur leicht über meine Schulter. Allerdings so blöd, dass er von meinem rechten Schulterblatt rutscht und ich japsend zurück in den Stand schnelle.
>Was war das denn? < sagt Max und drückt meinen Hals noch enger.
Ich will ihm sagen, dass meine Schulter das einfach nicht schafft, aber gestern hat Louis zu mir gesagt: „Das ist keine Ausrede. Immerhin bist du fit genug, um hier zu sein.“
Ich kann hierbei nicht versagen und erst recht nicht, wenn Sam auch noch zusieht.
Alles, was Lukaz gesagt hat, versuche ich erneut im Schnellverfahren und schaffe es, dass mir Max über die Schulter rollt und ich ihn auf die Matte werfe. Sobald er auf dem Rücken liegt, stemme ich mein Knie in seine Seite und drücke meinen Ellenbogen gegen seinen Hals.
>Na bitte. So muss das aussehen! < ruft Lukaz lachend und klatscht zweimal.
Vollkommen fertig, rutsche ich von Max runter und bleibe auf dem Boden sitzen. >Na gut Leute. Wir sind fertig. Wer bleibt das Wochenende hier? < fragt unser Trainer in die Runde. Ein paar Leute melden sich. Wahrscheinlich ist der Anfahrtsweg für die meisten einfach zu weit, weshalb sie lieber hier bleiben. >Den Anderen, die nach Hause fahren, wünsche ich ein schönes Wochenende. Wir sehen uns wieder am Montag. <
Daraufhin stehen die meisten auf und laufen nach und nach zur Tür. Ich gehe ermattet zu Ruby und reiche ihr meine Hand, damit sie aufsteht.
>Das ist doch bestimmt langweilig, das ganze Wochenende hier zu verbringen, oder? < frage ich, da sie ebenfalls ihre Hand hob.
>Nö, mein Dad wohnt in der Nähe. Wir wollten uns treffen und ich freue mich total ihn zu sehen. <
Wir beide gehen ebenfalls zur Tür, da wo Sam steht.
>Hey. < schnaufe ich als ich bei ihm bin.
>Na Kleines. Das sah so aus, als hätten wir einen Ansatzpunkt, mit dem wir arbeiten können. < erwidert er schmunzelnd. Hach, dieses zufriedene Grinsen an ihm ist einfach unschlagbar. Ich räuspere mich und glätte wieder meine Gesichtszüge. Ruby steht neben mir und blickt ihn interessiert an.
>Das ist Ruby – die einzige andere Frau in meiner Stufe. < eigentlich will ich ihr ganz offiziell sagen, wer mein Fahrer ist, aber da drückt sie ihre Schulter auch schon an mir vorbei und greift nach seiner Hand.
>Hi Sam. Dich sieht man jetzt also jeden Tag? Das find ich gut. < säuselt sie. Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche bei ihrem Blick nicht loszulachen.
>Freut mich Ruby. Sieht ganz so aus. <
Bevor sie als Nächstes ruft, dass sie ihn heiraten will und noch mehr Süßholz raspelt, platze ich schnell dazwischen.
>Hast du noch eine viertel Stunde Zeit? Ich würde wirklich gern duschen. <
>Sicher, ich kenne dich doch. Dann zieh dich gleich um. < daraufhin reicht er mir seine andere Hand, in der er offensichtlich eine Hose, ein Oberteil und Ballerinas hat.
>Woher hast du das denn? <
>Ich habe es schnell unterwegs besorgt. Heute Morgen hatte ich Henry darum gebeten, mir deinen Stundenplan zu schicken und bei drei Blöcken Training hintereinander war mir klar, dass du dich erst duschen willst. Ich warte unten in der Tiefgarage. <
>Das ist ja gruselig, wie gut du mich kennst. Ich beeile mich. <
Er nickt mir entspannt zu und dreht sich bereits zum Gehen um. Ruby greift mich ziemlich fest am Handgelenk und kichert still in seine Richtung. Ach herrje. War ich mit 18 auch so? Aber irgendwie ist es ja niedlich.

           Ruby hat in ihrem Doppelzimmer eigentlich eine eigene Dusche, aber sie kommt mit in die Damenumkleide und duscht zusammen mit mir, um mich zu löchern. Das Handtuch und Duschgel hat sie mir glücklicherweise geliehen. Vielleicht sollte ich hier für die nächsten Wochen ein bisschen Zeug deponieren.
>Er ist wirklich Single? Warum? < fragt sie zum wiederholten Male.
>Es ist vollkommen egal, wie oft du mich das fragst aber ja, er ist allein und ich schätze, er will einfach nur seine Ruhe. Manche Singles sind auch ohne Partner ganz glücklich. <
>So eine Verschwendung. < keucht sie. Ich beeile mich und will ihn nicht lange warten lassen. Hier sind mehr Duschkabinen zur Auswahl als es aktuell Anwärterinnen an der Schule gibt. Sie sind offen und nur lediglich durch etwas Milchglas abgeteilt.
              Nachdem ich wieder frisch rieche, schnappe ich mir eilig Rubys geliehenes Handtuch und trockne mich ab. Sam hat mir eine Jeans besorgt und einen dünnen Pulli mit Kapuze. Ich werfe mich in meine Unterwäsche als Ruby auch fertig aus ihrer Dusche herauskommt.
>Ach du Scheiße. Was ist dir denn passiert? < japst sie. Ich drehe mich um und könnte mich ohrfeigen, weil ich nicht daran gedacht habe. Sie hat mein Schulterblatt gesehen und die Rückseite meines Beines. Jetzt als ich mich drehe, sieht sie auch noch die Vorderseite und starrt mit offenem Mund dorthin. >Wieso wurdest du angeschossen? Und das sieht auch nicht gerade alt aus – im Gegenteil. <
Ich weiß nicht was ich sagen soll und sehe sie wortlos an. Schließlich erwidere ich nach einigen Gedankensprüngen matt:
>Vielleicht erzähle ich dir das irgendwann mal aber bitte behalte das für dich. Jetzt muss ich aber los. <
Sie starrt von meinem Bein in mein Gesicht und nickt dann schließlich.
>Tut das weh? < will sie wissen.
>Im Moment brennt es wie Feuer. <
>Dafür sieht man es dir aber nicht an. U…und hey warte mal, du kämpfst damit. Ist das nicht gefährlich? <
>Die Wunden sind zu. Sam meint es ist okay, wenn ich hier mitmache. < schnell springe ich in die Hose rein und streife mir den Pulli über den Kopf. >Ich wünsche dir viel Spaß mit deinem Dad. Und danke für das Handtuch. <
>Okay … < haucht sie immer noch mit offenem Mund und sieht mir hinterher. Eilig verlasse ich die Duschen und verschwinde auf dem Gang.
Die war ja vollkommen durch den Wind. Wir schießen immerhin mit scharfer Munition und es wird der Tag kommen, an dem sie auf jemanden zielen und vielleicht auch abdrücken muss. Der Anblick meiner Verletzung sollte sie nicht so sehr schocken. Und bei den Anwärtern sind nicht nur Leute wie ich dabei, sondern Cops oder ehemalige Elitesoldaten, die sicher deutlich mehr von diesen Narben am Körper haben.
Ich klemme mir meine Trainingsklamotten unter den Arm und laufe die Treppen nach unten in das Parkhaus.
Dort angekommen sehe ich Sam's Wagen relativ weit vorn. Er hat seinen Arm lässig an der Scheibe angelehnt und spielt an seinem Smartphone herum.
Ich bleibe kurz auf meinem Fleck stehen und grinse zu ihm. Das ist das Beste an diesem Tag. Mit ihm zusammen zurückzufahren und zu wissen, ich kann nun ganz ich sein. Hinter mir geht knallend die Metalltür zu und ich schrecke auf.
Cataley kommt in einer weißen Stretchhose und hohen Stiefeln hinter mir entlanggelaufen und tippt gedankenverloren auf ihrem Handy herum. Erst als sie mich bemerkt, bleibt sie stehen und schaut automatisch zu den Autos, bis sie Sam sieht.
Sie presst die Kiefer zusammen und sieht mich an.
>Ehm …schönes Wochenende. < gurgle ich eilig und mache mich auf die Socken zu seinem Wagen. Hoffentlich ruft sie mir nicht noch irgendetwas hinterher, aber da öffne ich auch schon seine Wagentür und steige ein.
Sam lässt sein Handy sinken und schaut mich grinsend an. Er hebt seine Hand zu meinem Gesicht und ich zische:
>Fass mich nicht an, Sam! <
>Wie bitte? < keucht er entgeistert und lässt seine Hand sinken.
>Cataley steht dort hinten und beobachtet wahrscheinlich jeden deiner Handgriffe. <
Er sieht nicht zu ihr hin, nickt aber und wirft den Motor an, um den Wagen in Richtung Tor zu steuern.
>Lässt sie dich in Ruhe? < fragt er mit einer komischen Stimme.
>Wie meinst du das? Sie nimmt mich natürlich im Training dran und korrigiert mich. <
>Ich will wissen, ob sie dich vorführt oder gemein zu dir ist. <
>Nein. < lüge ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich will nicht, dass er denkt, ich könnte das nicht aushalten und würde gleich das Handtuch werfen. >Sie ist ein bisschen launisch, aber das ist sie zu allen. <
Er nickt wieder und fährt nach draußen in den Wald hinein. Es regnet und die Tropfen sind so laut bei dem Aufprall, dass ich das Radio ein kleines bisschen lauter mache, weil einer meiner Lieblingssongs läuft.
>Es geht mich zwar nichts an, aber …war da mal irgendwas zwischen euch? <
>Gott bewahre. Nein! < japst er schockiert und starrt mich an. >Aber sie hätte es gern und deswegen will ich, dass du nicht über mich redest. <
>Sie wollte wissen, wo wir uns kennengelernt haben aber ich habe das schnell abgewimmelt und mir etwas aus den Fingern gesaugt. <
>Gut so. Dann mach das weiter. <
Ich nicke daraufhin. Wenn Cataley – diese unfassbar schöne Frau, keine Chance bei ihm hat, wer dann?
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