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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
07.12.2018 5.779
 
Kapitel 04 - Mantra

Umso mehr Dinge am Tag zuvor passiert sind, desto intensiver träume ich. Manchmal ergibt vieles keinen Sinn, manchmal entdecke ich Parallelen zu meinen derzeitigen Gefühlsschwankungen und manchmal sehe ich einfach nur Gesichter.
Diese Gesichter, die ich letzte Nacht gesehen habe, raubten mir nicht meinen Schlaf oder ließen mich weinend aufwachen. Stattdessen ließen sie mich entschlossen und fanatisch aufwachen. Wenn ich schon für einen Mord an mehreren Leuten angeklagt werde, dann sollen es auch die Richtigen sein. Ich schnappe mir die frisch gewaschene Kleidung und werfe mich bereits in die beige Cargohose, die im Bereich der vielen Hosentaschen noch leicht feucht ist, aber das stört mich nicht. Allein beim Anheben meines Beines durchzieht mich so ein fieser Muskelkater, dass ich mich lieber dabei hinsetze und mir die Hose hochziehe.
Selbst beim Anheben der Arme brauche ich einen Moment länger, um mein Shirt anzuziehen. Ermattet lasse ich sie dann links und rechts von meinem Körper auf das Bett fallen und kichere leise vor mich hin.
Ich habe keinen Muskelkater von ein bisschen Jogging oder Schwimmen, sondern doch tatsächlich wegen des Austeilens und Einsteckens der Kampftechniken, sowie vom Halten und Gegenhalten eines Gewehres.
In einem oder 1 ½ Monaten bin ich vielleicht dazu bereit, jemanden an die Polizei auszuliefern, um die erste Prämie zu kassieren. Mehr und mehr verstehe ich Sam, auch wenn ich keinen der Most-Wanted-Zielpersonen umbringen werde, aber dieser Reiz sie von den Straßen zu holen, ist wie ein Adrenalinstoß, der durch mich hindurchgeht.
Plötzlich geht die Tür einen Spalt auf und Sam streckt seinen Kopf durch.
>Hey du bist ja schon wach. Ich wollte dich gerade wecken. <
>Guten Morgen. Nicht nötig. <
Ich stehe auf, laufe zu ihm um die Tür weiter zu öffnen und spaziere grinsend an Sam vorbei, auf dem Weg zum Bad.
>So gut gelaunte Menschen am Morgen sind mir unheimlich. < ruft er mir hinterher. Ich lache und schließe die Tür hinter mir.
              Beim Schminken werde ich langsam besser und auch schneller, weil ich weniger korrigieren muss. Dann flechte ich mir heute einen Zopf zusammen. Gestern störten mich die einzelnen umherfliegenden Haare trotz des Pferdeschwanzes.
Beim Flechten tut mir allerdings der rechte Handballen bei den ganzen Drehungen weh. Als ich fertig bin, sehe ich dort hin und frage mich, ob ich schon jemals einen blauen Fleck mitten in der Handfläche hatte. Das wird jetzt wohl normal für mich werden. Sobald ich mit meinem Morgenprogramm fertig bin, laufe ich in Sam's Küche. Ich kann wieder über die Rohre hören, wie er oben duscht.
Währenddessen schaue ich die Schränke durch und entscheide mich für French Toast. Innerhalb von fünf Minuten riecht das ganze Haus nicht nur nach seinem Duschgel, sondern auch nach Butter, Zucker und Zimt.
In meinem Kopf gehe ich meine Mitschriften und die Techniken von gestern erneut durch. Eigentlich ist es schade, dass heute Freitag ist und ich in den nächsten beiden Tagen keine Schule haben werde. Bis gestern war ich noch froh, dass die erste Woche kurz für mich ist, aber jetzt will ich, dass sie mich so schnell und so gut wie möglich vorbereiten. Ich will bereit sein für Mischa, Phillipe, Raphael und dem Taliban.
>Was ist heute los mit dir? < fragt Sam, der leise hinter mir auftaucht. Ich drehe mich zu ihm. Er hat sich bereits seine Jeans angezogen und dreht gerade sein Shirt auf rechts, ehe er es sich über den Kopf streift. Dabei sehe ich flüchtig die runde Narbe neben seinem Nabel.
>Was meinst du? <
>Ich habe schon befürchtet, ich würde dich mit verquollenen Augen sehen und einem ziemlichen Unbehagen, wegen dem, was du heute wieder lernen wirst. <
>Im Gegenteil, ich freue mich darauf. <
Ungeniert greife ich den Saum seines Shirts und streiche ihn leicht nach oben, bis seine Narbe wieder zum Vorschein kommt. Bei der Berührung meiner Fingerspitzen sehe ich, wie der Bereich an seinem Bauch eine Gänsehaut bekommt.
>Dort eine Kugel abzubekommen ist ziemlich lebensgefährlich. Wie hast du das überlebt? <
>Eine Kugel in den Oberkörper zu bekommen, ist genauso lebensgefährlich. < kontert er wegen meiner Wunden. >Wir hatten gute Sanitäter vor Ort. In deren Haut wollte ich allerdings auch nicht stecken. Besonders dann nicht, wenn sie die Reste zu flicken hatten, die eine Landmine übriggelassen hat. <
>Hast du mal gesehen wie eine hochging? < frage ich vorsichtig.
Er schaut auf mich runter und presst die Lippen zusammen. Meine Finger liegen immer noch an seinem Bauch und er schiebt sie auch nicht weg.
>Mehr als einmal. Es ist eigenartig danach wieder zurückzufliegen und zu wissen, dass es sowas hier nicht gibt. Man bewegt sich vollkommen anders, irgendwie ferngesteuert. Es dauert eine Weile bis man wieder halbwegs ein normaler Mensch ist. Bei jeder Fehlzündung eines Autos wollte ich in Deckung springen und meine Waffe zücken, die nicht da war. <
Erst dann lasse ich meine Hand wieder runter.
Sam redet fast nie drüber und wenn, dann hat er dieses Thema schnell und erfolgreich abgewimmelt. Er geht zu der Pfanne und grinst wie ein kleines Kind an Weihachten als er hineinsieht. Neben ihm stehen bereits zwei Teller, auf denen ein paar Toasts gestapelt sind.
Danach macht er sich daran, Kaffee zu kochen und wie immer den Orangensaft einzugießen.
Normalerweise lassen wir uns ewig Zeit bei dem Frühstück und Sam liest meistens in seiner Zeitung oder auf dem Handy, was am Tag zuvor passiert ist. Aber ich merke schnell, dass Sam absolut kein Morgenmensch ist. Für ihn ist es normal nachts zu arbeiten, lange zu schlafen und irgendwann zu frühstücken (obwohl es für mich schon fast Mittag ist).
>Wenn du zu müde zum Fahren bist, dann könnte ich das übernehmen. < grinse ich, als er zum wiederholten Mal gähnt.
>Das hättest du wohl gern. < lacht er und stopft sich ein großes Stück French Toast in den Mund.
>Na klar. Ich habe doch jetzt den falschen Führerschein von Dimitrij bekommen. <
>Das stimmt aber den Pick-up da draußen bekommt keiner außer mir in die Hände. <
Ich grummle etwas Unverständliches in mich hinein, denn ich würde wirklich gern mal wieder Autofahren. Dann fällt mir wieder ein, dass Sam gestern Abend so schnell mit dem Laptop verschwunden war und ich wechsele abrupt das Thema.
>Hat Dimitrij gestern noch irgendwas wegen meiner Familie gesagt? < frage ich voller Unbehagen.
>Nichts was wichtig für deinen Fall ist. Er ärgert sich schwarz, weil ihm das mit der Feuerbestattung entgangen ist. Da der Bericht zur Herausgabe erst viel später geschrieben – beziehungsweise veröffentlicht wurde, gibt es irgendjemanden der sämtliche Informationen unter den Tisch fallen lässt oder länger als nötig zurückhält. Gut möglich, dass es der Gleiche ist, der zuvor die falsche Beweislage weitergegeben hat. Wir haben einen Maulwurf und den muss ich finden. <
>Aber weshalb machen sie das denn immer noch? Sollten sie sich nicht in Sicherheit wiegen, weil ich doch eigentlich tot bin? <
>Ich schätze ab jetzt wiegen sie sich tatsächlich in Sicherheit, da sie denken, nun endgültig alle Beweise losgeworden zu sein. An sich bist du jetzt sicherer als in den letzten drei Wochen zuvor, als du hier Zuflucht gefunden hast. <
>Schön und gut. Aber du wirst mich niemals aus dieser Sache herausholen können. Ich werde – egal ob tot oder lebendig, immer die Mörderin aus Duluth sein. <
>Wieso sagst du das? <
>Weil ich dich vorgestern bei Dimitrij gehört habe. „Wie soll ich sie jetzt noch da rausholen?“ – das waren deine Worte. <
Er seufzt und stellt seinen Kaffee ab.
>Das stimmt, das habe ich gesagt. Ich wollte das eigentlich nicht tun und dir damit womöglich Angst einjagen, aber du warst nicht die Einzige, die mit dieser Nachricht überrascht wurde. <
>Tja ich schätze, wenn es keine Beweise mehr gibt und die Kerle immer noch da draußen herumlaufen, dann bleibt eigentlich nur noch ein Weg. < murmle ich gedankenverloren eher zu mir selbst. Daraufhin runzelt Sam die Stirn und legt den Kopf schief.
Ich sage nichts und lege meine Gabel auf den leeren Teller. Wahrscheinlich müssen wir gleich los, also will ich lieber noch schnell die Küche aufräumen und fange an das Geschirr zusammenzustellen.
Dann lacht Sam plötzlich schnaubend durch die Nase.
>Moment mal, glaube ich gerade zu wissen was du denkst? <
>Keine Ahnung. < erwidere ich und stelle alles in den Geschirrspüler. >Wenn ich wüsste was du denkst, dann würde mir manches leichter fallen. <
Er steht von seinem Stuhl auf und kommt zu mir gelaufen. Sam schaut so eindringlich in meine Augen wie er es häufiger tut, deswegen verunsichert er mich damit auch kaum noch. Ich warte ruhig ab, denn ich weiß, dass er meistens nur über seine Formulierung nachdenkt. Dann kneift er ganz leicht seine Augen zusammen und nickt kaum merklich.
>Die Fotos gestern Abend, die haben etwas mit dir angestellt. < haucht er.
>Was? <
>Dieses Lodern in deinen Augen … du bist scharf darauf, sie dir selbst zu holen. Die Kerle sind die einzigen Beweise, die noch da sind, vorausgesetzt man kann sie zum Reden bringen. Und wie du weißt, würde dich das endlich entlasten. <
Erst starre ich ihn mit leicht geöffnetem Mund an und dann verzieht er sich zu einem leichten Lächeln.
>Ganz im Ernst – findest du, ich werde langsam wahnsinnig? < will ich wissen.
>Nein überhaupt nicht. Du brennst auf etwas und blühst auf. Das ist etwas völlig anderes. Bei dir entwickelt sich eine Furchtlosigkeit, die ich faszinierend finde. <
So wie er es sagt, hört es sich nach etwas Gutem an. Irgendwie fühle ich mich wirklich anders seit gestern.
>Wie machst du das bloß immer? Du siehst mich an und weißt was in mir vorgeht. <
>Ich habe dir doch gesagt, ich kann dich lesen wie ein Buch. < verkündet er munter und stupst mit seinem Finger meine Nase an. >Na los, bringen wir dich in die Schule, das kann ja nur besser werden. <
Kurz darauf füllt er wieder zwei Thermobecher mit Kaffee und Milch, um sie ins Auto mitzunehmen.

Später im Bounty Hunter Quartier
Nach der langen Fahrzeit liest Sam seinen Fingerabdruck am Eingang ein und parkt den Pick-up nicht so wie gestern auf einer der freien Flächen, sondern bleibt vor dem Fahrstuhl stehen.
>Na dann Kleines. Ich hole dich später wieder ab, wenn ich fertig bin. <
>Lass dich nicht erwischen … bei was auch immer. <
Seine weißen Zähne blitzen auf als er lacht.
>Das passiert schon nicht. Erzähl mir lieber, was du jetzt für ein Fach hast. <
>Strafprozessrecht mit Henry. Ich weiß aber noch nicht was mich da erwartet. <
>Oh Gott. Das habe ich gehasst, weil es staubtrocken ist. Aber so wie ich dich kenne, wird es dir gefallen. <
Ich schnappe mir den Rucksack und öffne die Tür einen Spalt. Er greift zu meinem Kaffeebecher und reicht ihn mir rüber.
>Danke. Ich erzähle dir später wie es war. <
>Unbedingt. < entgegnet er und zwinkert mir keck zu. Oh Mann, das ist zum Dahinschmelzen. Ehe ich noch einen zu tiefen Seufzer von mir gebe, sollte ich hier lieber verschwinden. Ich küsse ihn auf die Wange, steige aus und schließe seine Tür. Den Rucksack werfe ich mir über eine Schulter, warte auf den Fahrstuhl und sehe ihm grinsend hinterher, bis er weggefahren ist.
In der kurzen Zeit ist mir niemand entgegengekommen und ich bin vollkommen allein. Die Fahrstuhltüren gehen auf und ich drücke auf den Knopf für das 1. Obergeschoss, weil ich es eigenartig finde, mit einem Glasgehäuse zu reden. Während mich der Lift nach oben befördert, summe ich vor mich hin. Allerdings nicht irgendeine Melodie, sondern innerlich sage ich ihre Namen immer wieder wie ein Mantra auf.
Mischa, Phillipe, Raphael, der Taliban.
Der Boden unter meinen Füßen verschwindet immer weiter weg und kehrt schließlich wieder zurück, als ich den Lift verlasse. Hier ist schon deutlich mehr Bewegung als im Parkhaus. Jeremy und ein anderer namens Steve stehen müde auf dem Gang und unterhalten sich. Von der anderen Seite läuft ein Weiterer aus meiner Stufe auf mich zu und verschwindet kurz darauf auf halber Strecke im Raum.
>Morgen Kim. < grüßt Jeremy gähnend. >Wir wollten gestern Abend noch etwas mit den Neuen abhängen aber dann haben wir erst gemerkt, dass du gar kein Zimmer hier hast. <
>Hey. < erwidere ich ebenfalls etwas müde. >Das stimmt, ich werde von einem Freund hergebracht und abgeholt. Deswegen bleibe ich nicht hier. <
>Das ist schade. Auf diese Weise lernt man die Anderen erst richtig kennen. <
>Das müssen wir dann wohl auf dem üblichen Weg schaffen. < werfe ich grinsend ein und gehe schließlich an ihm vorbei.
In unserem Raum sehe ich sofort Ruby, auch wenn sie auf ihrem ausgestreckten Arm liegt. Was haben die denn gestern noch alle gemacht? Wirklich ausgeschlafen wirkt hier niemand. Bis auf Jeremy scheint auch keiner besonders gesprächig zu sein. Ich setze mich neben Ruby und packe den Block von gestern aus.
Da sie nicht reagiert, stoße ich sie mit meinem Ellenbogen an.
>Was? < schreckt sie auf und sieht sich um.
>Junge, was habt ihr alle angestellt? <
>Ritus. < gähnt sie müde und lässt ihren Kopf wieder auf den Arm fallen.
Oh je. Ich war gestern als einzige Neue nicht da. Was stellen sie mit mir an?
>Was musstest du denn tun? <
>Voll eklige Sachen trinken. Einer aus der dritten Stufe trank zehn Shots hintereinander und dabei wird die Zeit gestoppt. Dann mussten Julien und ich ran und ihn unterbieten. Bloß dass wir keinen Schnaps hatten so wie der Kerl, sondern warmgemachten Ananassaft, Rote-Beete-Saft mit Kümmel oder irgend so ein Pfeffergetränk, wovon ich mich fast übergeben hätte. Also total widerliche Dinge, was die uns vorher nicht gesagt haben. Wir beide haben natürlich haushoch verloren. <
>Okay das klingt irgendwie witzig und so, als wäre es im Rahmen geblieben. <
>Muss es auch. Henry hat ganz strenge Vorschriften. Aber es ging einfach total lange und wir waren erst irgendwann um vier Uhr im Bett. Die Leute hier sind echt nett. Schade dass du nicht hier warst – das hätte dir sicher auch gefallen. <
>Mit irgendetwas werde ich sicherlich auch noch dran sein befürchte ich. Spätestens wenn der nächste Schwung an Erststufigen nachrückt. <
>Vielleicht vergessen sie dich auch einfach. Ich bin übrigens ganz allein auf meinem Zimmer, weil ich fast die einzige Frau bin. Die anderen haben alle einen Zimmergenossen. Wieso bleibst du nicht einfach hier? <
>Sam besteht darauf, dass er mich herfährt. Mit ihm diskutiert man lieber nicht. <
>Ist das der Kerl, der dich gestern nach den Schießübungen abgeholt hat? <
Ich nicke und nippe an meinem Thermobecher.
>Ist er dein Freund? <
Daraufhin spucke ich den Kaffee zurück.
>Oh nein. < lache ich. >Nichts dergleichen. <
>Also ist er Single? Der sieht voll scharf aus. <
Da hat sie absolut nicht Unrecht. Wenn ich ihn in nur wenigen Worten beschreiben müsste, dann würde mir zu ihm einfach nur kernig und maskulin einfallen.
Aber sorry kleine Ruby. Achtzehn ist für Sam noch unerhörter als einundzwanzig.
>Er ist mit niemandem zusammen aber er hat vielleicht mal hier und da eine Nacht mit einer Anderen. So genau habe ich ihn das nie gefragt. <
>Stell dich doch mal nachts vor sein Haus, dann siehst du ja wen er anschleppt. < kichert sie.
>Ich wohne im Moment bei ihm. Er schleppt niemanden an. <
>Wie jetzt? Ihr wohnt zusammen und du hältst das aus, den ständig vor dir zu sehen? Zu ihm würde ich ja jede Nacht ins Bett krabbeln. <
>Man kann auch auf mentaler Wellenlänge schweben. < erwidere ich zähneknirschend. Ich kenne Ruby erst seit gestern und ich habe nicht vor, ihr mein Innerstes zu zeigen. Das geht sie absolut nichts an was Sam und ich füreinander sind.
>Wo ist eigentlich Julien? < lenke ich schnell vom Thema ab und sehe mich um.
>Keine Ahnung, der ist sogar noch nach mir ins Bett gegangen. <
Jeremy und Steve kommen vom Flur rein und laufen nach vorn zu ihren Plätzen. So wie gestern schaltet Jeremy den Beamer ein und schnappt sich eine Fernbedienung. Kurz darauf rollt auch schon Henry in den Raum hinein.
Ich lehne mich müde an meinen Stuhl an und nehme noch einen großen Schluck Kaffee, um richtig wach zu werden.
Henry und Jeremy klären vorn noch ein paar Dinge ab, die sich offenbar um die Einstellungen am Laptop drehen. Wenn ich so drüber nachdenke, dann braucht unser Dozent für alles eine Hilfe. Wie geht er auf die Toilette? Wie isst er? Wer kratzt ihn an der Nase, wenn sie juckt? Braucht er nicht eigentlich einen Pfleger rund um die Uhr?
Ich schaue zur Tür. Wo bleibt Julien alias Cruisi?
Alle anderen Schüler sitzen bereits auf ihren Plätzen, zwar mehr müde als munter aber zumindest anwesend. Dann läuft Jeremy mit diesem komischen Gerät zu jedem von uns und nimmt denjenigen ihr Handy ab, die eines dabeihaben. Es sind lediglich zwei Personen, die es aus Gewohnheit mitgenommen haben. Der Rest weiß, dass es ihnen sowieso abgenommen wird, also lassen sie es gleich auf dem Zimmer.
Henry steuert seinen Rollstuhl mithilfe seines Kinns etwas vom Beamer weg und gerade als er den Mund öffnet, um etwas zu sagen, huscht Cruisi noch durch die Tür und lässt sich schwerfällig und keuchend neben mich fallen.
>Gerade noch pünktlich. < japst er.
>Guten Morgen. Das muss ja gestern eine ziemlich gute Party gewesen sein. Weshalb war ich nicht eingeladen? < lacht Henry bei all den verschlafenen Gesichtern.
Mit langem Geschwätz hält sich unser Dozent allerdings nicht auf, denn wir haben einen straffen Zeitplan.

              Es geht in dieser Stunde um das Vollstreckungsverfahren und mit jedem Satz den Henry von sich gibt, kann ich Sam mehr und mehr verstehen, wieso er dieses Fach nicht leiden kann. Es ist viel zu dogmatisch und staubtrocken. Mein Hirn hat hierbei ziemlich was zu tun und ich komme mir vor, als wäre ich in einer Juravorlesung.
>Die erste Voraussetzung für eine Vollstreckung ist, dass das Urteil eine Geld- oder Freiheitsstrafe beinhalten muss. Bei Verwarnungen oder dem Jugendstrafrecht entfällt ein Vollstreckungsverfahren. Zweite Voraussetzung ist die Rechtskraft der Entscheidung. < erklärt uns Henry. Ich schreibe eilig mit, aber danach haut er uns haufenweise Paragraphen um die Ohren, bis Ruby stöhnend den Kopf auf den Tisch knallt und selbst ich nochmal nachfragen muss, wie der Sachverhalt ist. Cruisi – der ehemalige Anwaltsgehilfe, lehnt sich allerdings entspannt an seinen Stuhl an und hört eher beiläufig hin. Diese Strafgesetzbücher, Paragraphen und Behördensprache sind für ihn der normale Wahnsinn.
Dann erklärt uns unser Ausbilder die Möglichkeiten des Aufschubs der Vollstreckung und in welcher Weise die Geldstrafen und Freiheitsstrafen vollstreckt werden.
Mein Kopf raucht nach gerade mal einer halben Stunde und auch Rubys Blick gleicht reinster Verzweiflung. Die Gesetzesabsätze fliegen noch eine ganze Weile durch den Raum und ich bin so froh, als er in der letzten halben Stunde des Blockes auf ein anderes Thema zu sprechen kommt, das ich allerdings wirklich interessant finde. Er vermittelt uns, wenn der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die nicht zur Bewährung ausgesetzt ist, dann muss er die Strafe absitzen – das ist nichts Neues für mich. Aber es geht auch um das, was passiert, wenn der Fall noch nicht klar ist und die Verhandlungen noch laufen.
>Das amerikanische Kautionssystem unterscheidet sich erheblich von anderen Ländern. < teilt uns Henry mit. >Der Angeklagte kann gegen Zahlung einer Kaution bis zur Verhandlung auf freiem Fuß bleiben und muss nicht in Haft. Das Geld leiht er sich häufig von einem privaten Kautionsbüro, das eine Gebühr verlangt. Durch die gezahlte Kaution soll das Erscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung sichergestellt werden. Ansonsten geht das Geld nach einer bestimmten Frist an den Staat. Bei Abschluss des Verfahrens wird es zurückerstattet, vorausgesetzt der Angeklagte ist zu allen Verhandlungsterminen erschienen. Der Richter kann statt dem Haftgeld allerdings auch andere Dinge festlegen, wie das Verhängen von Hausarrest, Drogentests oder einer elektronischen Fußfessel. Bei schwerwiegenden Delikten wird allerdings zu einer Inhaftierung empfohlen. <
EMPFOHLEN! Ich glaube, ich höre nicht richtig. Schwerwiegende Delikte heißen im Klartext: Sexualverbrechen, Raub oder Mord. Wieso wird es nur empfohlen und nicht knallhart festgelegt? >Wenn der Angeklagte allerdings nicht zur Verhandlung erscheint, muss das Kautionsbüro das vorgestreckte Geld entrichten. Diese Kautionsagenten sind eure Auftraggeber und zahlen das Honorar an euch, womit ihr als Bounty Hunter ins Spiel kommt. Der Agent wird sich bemühen, den Flüchtigen durch einen von euch ergreifen zu lassen. Von staatlicher Seite wird der Flüchtige zur Fahndung ausgeschrieben, da seine Flucht noch eine weitere Straftat darstellt. Somit habt ihr euren Haftbefehl. Im Gegensatz zur Polizei oder sonstigen Privatpersonen habt ihr die Sonderrechte. Ihr dürft jegliche Form der Täuschung einsetzen, um an Informationen über den Aufenthaltsort des Flüchtigen zu gelangen. Außerdem dürft ihr einen Flüchtigen auch in andere Bundesstaaten verfolgen und ihr dürft sogar – wenn es sein muss, mit Gewalt ein Gebäude betreten, um den Flüchtigen festzunehmen. Allerdings müsst ihr euch hierbei wirklich sicher sein, dass sich der Gesuchte im Gebäude aufhält. Eure Tätigkeiten sind außerhalb des Justizsystems und ihr liefert die Zielperson an die Polizei aus. <
Meine Hand geht schon wieder so schnell über mein Blatt Papier, sodass meine Hand so wie gestern wehtut. Henry beginnt mit dem nächsten Thema, wenn nicht der Kautionsagent unser Auftraggeber ist, sondern direkt die Polizei. Hier geht es um die Most-Wanted-Person, die gefährlich und seit Ewigkeiten untergetaucht ist. Am liebsten hätte ich noch viel mehr darüber erfahren, aber die ersten neunzig Minuten des Tages sind um und dieses Thema muss bis nächste Woche warten.
>Meine Fresse, waren das viele Paragraphen. < keucht Ruby als wir unsere Sachen zusammenpacken. Cruisi wirft uns hingegen einen kecken Blick zu und sieht auf sein weißes Blatt Papier.

              Auf dem Gang holen wir uns alle einen Becher und stellen ihn unter den Wasserspender. Mein Stundenplan für heute ist wirklich fies, denn der erste Block war die einzige Theoriestunde für heute. Es folgt der zweite Block Schießen mit Cataley, der dritte mit Einsatzlehre – ebenfalls Cataley und Selbstverteidigung mit Lukaz zum Schluss.
>Ich glaube, ich muss nach diesem Tag erstmal duschen. Nach 4 ½ Stunden Praxisunterricht will ich so nicht in Sam's Auto einsteigen. <
>Wieso? So einen heißen, verschwitzten Frauenkörper findet ein Mann doch sicher toll. < lacht Ruby.
Ich schürze die Lippen und sage lieber nichts dazu.
Sobald wir im 2. Untergeschoss sind, riechen wir trotz Lüftungsanlage bereits den Schwefelgeruch. Gestern hat Cataley den eigentlichen Schießunterricht offensichtlich zur Hälfte in das Einsatztraining verwandelt. Ich nehme an, sie wollte uns damit tatsächlich überprüfen und sehen wie fit wir sind. Wenn es allerdings danach geht, müsste Ruby direkt in der dritten Stufe gelandet sein.
Wir betreten unseren Trainingsraum und sind nicht alleine. Die eine Hälfte des großen Untergeschosses ist mit einem Netz abgeteilt und dort sehe ich Owen und David mit ein paar anderen aus der dritten Stufe.
Auf unserer Hälfte ist bereits alles Mögliche für unsere Schießübungen aufgebaut. So wie am gestrigen Tag stehen sämtliche Holzspanplatten mit dem Umriss eines Menschen bereit.
Die Papierziele sind makellos und ohne Einschusslöcher – also sind sie schon für uns vorbereitet. Gegenüber von den Zielen steht ein langer klappbarer Tisch und darauf liegt eine Reihe von Handfeuerwaffen. Mit dem Gewehr bin ich besser und genauer. Hoffentlich bekomme ich das hin.
Ich setze mich auf eine der Matten auf dem Boden. Zwei Blöcke hintereinander mit Cataley – na das kann ja lustig werden, wenn sie dauerhaft so mürrisch ist wie gestern.
Schnaufend lässt sich Cruisi neben mich fallen und streckt alle viere von sich aus.
>Ich habe offensichtlich mehr Muskeln als ich dachte. Ich spüre nämlich jeden einzelnen von gestern. < jammert er.
Ruby setzt sich mir gegenüber in den Schneidersitz und feixt.
>Geht mir genauso aber ich mag das Gefühl von Muskelkater. <
>Das ist bei dir wahrscheinlich auch ein Dauerzustand, oder? < mutmaße ich. Wer vierzehn Jahre lang Karate macht, der muss doch sicher eine Sportsucht entwickelt haben und kein Ende mehr finden. So klein wie Ruby auch ist, aber unter ihren Klamotten blitzen hier und da Muskeln auf und ihre Oberarme haben eindeutig mehr Fülle als die von Cruisi. Auch Jeremy und ein Anderer aus unserer Stufe kommen kurz darauf zu uns rüber. Sie setzen sich beide neben Ruby und trinken ihre Becher mit Wasser leer.
>Wie fandet ihr den ersten Tag? < will Jeremy wissen, aber sieht dabei eigentlich nur mich an.
>Echt anstrengend aber gut. < gebe ich zurück.
>Ich habe dich gestern Schießen sehen. Du bist richtig gut. Hast du das früher oft gemacht? <
In dem Moment wo ich ihm ein Lächeln zuwerfe und mich für die Ermunterung bedanken will, bricht Cruisi dazwischen und sagt:
>Ich fand das auch anstrengend. Das bin ich gar nicht mehr gewöhnt, den ganzen Tag zuhören zu müssen und zu lernen. Schon gar nicht bin ich es gewohnt, so früh aufzustehen – ich bin selbst jetzt noch nicht richtig wach. Eigentlich würde ich um diese Zeit erst die Kanzlei aufschließen und anfangen Tee für meinen Chef zu kochen. <
>Sei nicht so ein Mädchen. Soweit ich weiß, hast du gestern noch am längsten von allen mitgemacht. Da wäre ich auch so müde. < lacht der andere Mann in Begleitung von Jeremy. Er scheint in unserer Stufe am ältesten zu sein und hat offenbar kein Problem damit, mit uns zusammenzusitzen. Schätzungsweise ist er um die fünfzig, hat eine volle aber gräuliche Haarpracht und ist ziemlich groß – wodurch er auffällt.
>Da ich hier eine Weile sein werde, will ich schließlich auch die Leute kennenlernen, mit denen ich die meiste Zeit verbringe. < erwidert Cruisi etwas beleidigt.
>Das schafft man aber nicht, wenn man sich mit nur einer Person unterhält, die zuvor schon drei Mal gesagt hat, dass sie jetzt ins Bett will. < wirft Ruby ein.
>Du bist doch nur neidisch, weil ich schon Freunde gefunden habe. <
Daraufhin plustert Ruby die Backen auf, umgreift schnell meinen Arm, um ihn an sich zu drücken und kontert:
>Von wegen! Kim ist meine Freundin. <
Na das ging ja schnell, denke ich mir und grinse in mich hinein. Ein bisschen dürfen wir uns aber noch kennenlernen bis wir Freunde sind, oder? Andererseits kann niemals jemand Megan ersetzen, auch wenn ich wirklich froh wäre, jemanden zum Reden zu haben.
Ich schaue zum Eingang, wo gerade Lukaz und Cataley zusammen hereinkommen. Der Auftritt von beiden ist unverkennbar selbstsicher. Vor allem die rassige Brünette mit den dunkel geschminkten Katzenaugen und der top Figur schüchtert einen irgendwie ein. Ihr Blick wirkt gelangweilt und sie verschränkt defensiv ihre Arme vor der Brust, als sie mit unserem russischen Trainer redet.
Jeremy und der andere ältere Anwärter – Max wie ich inzwischen weiß, flüstern und grinsen zu ihrer Erscheinung.
Wahrscheinlich mag sie diese ganze Aufmerksamkeit auch noch, die ihr die ganzen Männer hier schenken. Sie und Lukaz teilen sich auf. Während sie auf der einen Hälfte bleibt, verschwindet der andere Trainer hinter der Abtrennung. Cataley geht auf den langen Tisch zu und packt dort einige Schachteln der Munition aus.
>Bereit für die Höhle der Löwin? < murmelt Jeremy zu ein paar der anderen Anwärter, die mittlerweile ebenfalls zu uns gestoßen sind. Die meisten grinsen etwas breit und richten sich dann vom Boden auf. Lukaz trommelt bereits seine dritte Stufe zusammen und erklärt ihnen den heutigen Ablauf.
Auch ich hieve mich vom Boden hoch und stelle mich neben Louis, der mir gestern schon so viel half. Oh Mann, schießen mit der Kurzwaffe – na das kann ja was werden. Da Louis gestern zwangsläufig meine anfängliche Panik mitbekommen hat, neigt er sich etwas zu mir rüber und nuschelt:
>Keine Angst. Das ist bestimmt kein bisschen anders als gestern. Die 45er ist für die meisten in Stufe eins neu. <
>Ernsthaft? Mir kommt es so vor, als wärt ihr alle schon total weit. <
>Nein, die meisten haben wenn überhaupt einen Vorsprung seit Montag oder Mittwoch. So wie dir ging es uns allen am ersten Tag – außer natürlich denen, die bereits am ersten Tag gleich in Stufe zwei oder drei landeten, weil sie schon erfahrene Cops oder ähnliches sind. <
Für diese ermunternden Worte bin ich ihm wirklich dankbar.
>Die Waffen liegen bereit. < ruft uns Cataley entgegen. >Jeder nimmt sich eine und lädt sie! <
Mit langen Erklärungen scheint sie sich wirklich nicht aufhalten zu wollen. Vorn am Tisch nehmen wir uns alle einen Gehörschutz und eine Schutzbrille. Was machen denn die auf der anderen Hälfte des Untergeschosses, die diese Dinge nicht hat? Bei diesen Wänden hallt es doch zurück wie ein Echo.
Ich schnappe mir eine der Kurzwaffen und die Munition. Zum Glück hat mir Sam gezeigt wie das geht. Ohne groß drüber nachzudenken, mache ich mir zwei Magazine voll und warte dann auf weitere Anweisungen. Ruby hingegen sieht ziemlich verzweifelt aus und ich helfe ihr auf die Schnelle. Cataley steht allerdings einfach nur da und beäugt mich kritisch, aber sie sagt nichts.
Als wir alle bereitstehen keift unsere Trainerin in einem kalten Offizierston:
>Laden, entsichern, schießen! <
Ich schiebe das Magazin in die Pistole, löse die Sicherung und … fange wieder an zu zittern. „Verdammt nicht jetzt!“, fluche ich innerlich. Die meisten anderen Schüler haben schon angefangen zu schießen. Dieser Lärm ist trotz Schützer einfach zu laut.
>Brauchst du eine Extraeinladung, Kim? < ruft Cataley mir zu.
Ich gebe einen tiefen Seufzer von mir und nehme die Waffe hoch. So wie Sam gesagt hat, lasse ich den Finger auf dem Abzug und lasse mich einfach vom Schuss überraschen. Es knallt aus meiner Waffe und die Kugel landet irgendwo hinter meinem Ziel in der Styroporwand und nicht mal auf meiner Holzspanplatte.
>Sollte das ein Warnschuss sein Kim? Ich glaube, die Holzplatte hat jetzt Angst vor dir bekommen. < lacht sie und klatscht sich ihre Hand an die Stirn. Ist das ihr Ernst? Wenn ich mich so umsehe, dann sind Ruby, Cruisi und noch zwei andere auch nicht gerade besser. Ich ignoriere ihre blöde Bemerkung und konzentriere mich auf mein Ziel, um erneut zu schießen.
Dieses Mal bin ich immerhin außerhalb der Markierung meines Papiermenschen, aber nur einen Zentimeter – zumindest habe ich das Brett getroffen. Ich brauche viel mehr Zeit als die anderen und kann nicht von null auf hundert sofort eine Waffe abfeuern. Ich bin zu Anfang einfach zu unruhig. Allerdings bin ich das nicht so sehr bei Sam. Es liegt an der Lautstärke und an den Kugeln, die neben mir abgefeuert werden. Das hier ist nicht mein Haus in Duluth mit drei Mördern. Das hier ist eine Schule mit Anwärtern, die es ernst meinen und nicht mit einer Waffe herumspielen. Ich kneife die Augen zusammen, atme nochmal aus und halte wieder meine Pistole hoch. Dieses Mal schieße ich viele Male hintereinander und muss schließlich das Magazin wechseln.
Ich werde besser und sicherer. Inzwischen treffe ich jedes Mal auf meinen Menschen. Es ist lange nicht perfekt, aber bis auf die ersten beiden Kugeln ging keine außerhalb des Bildes. Dann stellt sich Cataley direkt neben mich. Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu aber versuche mich nicht beirren zu lassen.
Die Patrone verlässt erneut den Lauf und schlägt im Ziel ein. Sie ist nicht exakt in der Mitte aber ich habe den schwarzen Kreis getroffen und nur einen Millimeter des weißen Randes mit angeritzt.
>Mehr Präzision. Sonst wird das nie was. < zischt Cataley in mein Ohr.
Ich sehe irritiert zu den Zielen der anderen. Viele andere sind ebenso nah an der Höchstpunktzahl wie ich inzwischen. Was hat sie denn für ein Problem? Die Pistole lasse ich sinken und spüre ihren Blick auf mir. Weshalb ist sie so überkritisch?
>Was ist los? Keine Kraft mehr die Waffe zu halten? Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen. Geh doch einen Kaffee trinken, während wir anderen weiter üben. < säuselt sie gehässig.
>Schon gut. < murmle ich und hebe die Waffe wieder hoch.
>Was? <
>Ich habe mir nur die Technik den anderen ansehen wollen. <
Ich schieße und treffe wieder ins Ziel, wobei ich den äußeren Ring nur leicht ankratze. Beim zweiten und dritten Mal komme ich leider auch immer nur ein paar Millimeter aus der Mitte des Zieles heraus.
>Wow, ist die gut. < sagt Louis und stößt die Schulter von Jeremy an.
Ich ziele noch mal, dieses Mal genauer und treffe exakt mittig. Meine Lippen ziehen sich zu einem Grinsen nach oben. Ich schaue zu Cataley, die völlig baff zum Ziel schaut. Dann fängt sie sich, als sie bemerkt, dass ich zu ihr sehe.
>Noch ein paar mehr dieser Zufallstreffer und mit viel Glück bekommst du eine Zielperson. Natürlich sollte die noch direkt vor dir stehen und nicht in Bewegung sein. <
Daraufhin geht sie weg und lässt mich wie eine Idiotin stehen.
>Was? < flüstere ich verständnislos und sehe ihr mit gerunzelter Stirn nach. Habe ich vielleicht das Ziel meines Nachbars angepeilt statt meines? Ich sehe nochmal dort hin. Nein definitiv nicht.
>Lass dir keinen Mist erzählen. < nuschelt Louis, der die Gemeinheit als einziger in diesem Maße mitbekommen hat. >Sie ist an manchen Tagen ein bisschen schwierig. Versuch dich einfach nicht unterkriegen zu lassen. < dann zwinkert er mir zu und schießt weiter.

            Nachdem wir noch ein paar weitere Magazine verschossen haben, bin ich so unendlich froh, endlich Pause zu haben. Ich fühlte mich den Rest der Zeit nämlich völlig von meiner Trainerin beobachtet. Wir geben die Waffen alle wieder ab und gehen zur Tür. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie Cataley wütend die Pistolen zusammenwirft. Sicher können die eine ganze Menge aushalten, trotzdem sollte sie damit echt pfleglicher umgehen. Es ist möglich, dass eine Waffe danach nicht mehr genau schießt – das sollte sie eigentlich selbst wissen.
Ich laufe mit den anderen nach oben in die Mensa und mag mich gar nicht so richtig an den anderen Gesprächen beteiligen, obwohl ich ihnen zuhöre. Sie tauschen sich darüber aus, wie gut oder schlecht sie waren und ich verstehe überhaupt nicht wo das Problem meiner Trainerin war. Denn wenn ich mich so umhöre, dann war ich recht gut. Mit Mühe und Not versuche ich das einfach aus meinem Kopf zu vertreiben und packe mir oben angekommen mein Tablett mit Essen voll.
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