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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
23.11.2018 6.209
 
Kapitel 02 – Eine von ihnen

Nachdem Henrys Unterrichtsblock vorbei ist, bin ich irgendwie voll mit Adrenalin und ich kann es mir nicht erklären.
Es war Theorie, reine Theorie zu den Tätern und ich habe bisher weder geschossen, noch mein erstes Training gehabt.
>Wir haben jetzt sechzig Minuten Pause. < nuschelt Julien alias Cruisi und schaut auf den Stundenplan. Seit zwanzig Minuten knurrt mein Magen und ich habe absolut nichts zu essen bei.
>Die Mensa ist ganz oben bei der zweiten und dritten Schülerstufe. Lasst uns was futtern gehen und dann muss ich auf den Schreck erstmal dringend eine rauchen. < verkündet Ruby und geht bereits voraus. Uns zwei lässt sie hinter sich. Na toll, ich werde von Essensgeruch umgehen sein und mein Magen wird keine Ruhe geben. Schließlich klemme ich den Kugelschreiber an meinen Block ran, schnappe mir Sam´s leeren Thermobecher und wir folgen ihr. Von weitem sehen wir schon wie voll der Fahrstuhl ist, also laufen wir lieber durch das Treppenhaus.
            In der Mensa angekommen, erkenne ich ein paar Gesichter aus dem Fahrstuhl von heute Morgen wieder, oder teilweise die gestrigen Raucher. Alle Stufen haben gleichzeitig Pause und so bekomme ich erstmals ein Gefühl für die Schülerzahl.
So viele sind wir an sich gar nicht – schätzungsweise sehe ich um die siebzig bis achtzig Personen, aber wenn alle paar Tage ein reger Wechsel vonstattengeht, dann ist die Anzahl pro Jahr sicher beachtlich. Die Drittstufigen erkenne ich, ohne vorher danach fragen zu müssen. Ihre Ausstrahlung ist eine völlig andere und ich frage mich, ob ein paar Wochen einen tatsächlich so verwandeln können oder ob die alle von Natur aus so wirken.
Mein Blick richtet sich zur Seite des Raumes. Ich sehe eine gläserne Kuchentheke mit verschiedenen Sorten Süßspeisen, ansonsten Warmgerichten, fertigen Sandwiches und einer Salatbar. Na ganz toll …
>Hier! < sagt Ruby und hält mir bereits ein Tablett hin.
>Oh nein, das brauche ich nicht. Ich habe hiervon nichts gewusst und habe leider kein Geld dabei. <
>Das ist doch schon im Schulgeld mit drin. <
>Ach ja? < frage ich verwundert und sehe umher. Ich sehe tatsächlich eine reine Selbstbedienungstheke. Niemand hier zückt ein Portemonnaie oder irgendwelche Essensmarken. Im hinteren Bereich wuselt offensichtlich ein Angestellter der Küche herum, um die leeren Behälter oder Fächer aufzufüllen.
>Ehm ja … offensichtlich zahlst du es nicht selbst, sonst wüsstest du das. < murmelt sie leise und runzelt die Stirn.
>Das stimmt. Ich habe da etwas Hilfe. < piepse ich leise und betreten. Das ist mir peinlich und ich hoffe nur, dass sie mich jetzt nicht für ein verwöhntes Gör hält, das alles bezahlt bekommt.
Sie grinst und hält mir erneut das Tablett hin. Dieses Mal nehme ich es ihr ab und greife mir das, worauf ich Lust habe. Meinen Thermobecher stelle ich unter einen Kaffeevollautomaten und fühle mich allein bei dem Duft des Getränkes zufriedengestellt.
>Oh Mann, ich habe jetzt schon Handyentzug. < jammert Julien als wir zu einem freien Tisch gehen. >Ich bin bei Pokémon Go schon so weit und hier in diesem Wald könnte ich bestimmt total viele Punkte machen. <
>Das spielt doch inzwischen kein Mensch mehr. < kichert Ruby augenrollend.
>Doch ich schon. <
Bei einem Handyentzug kann ich partout nicht mitreden, schließlich habe ich noch nie eines besessen. Und nach allem was ich weiß, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich jemals eines haben will. Hier sind die Mentoren ja genauso wie Sam und deswegen heißt es: Handy abstellen und abgeben, sowie alles, was einen Datenspeicher hat oder mit sonstigen Aufzeichnungen verbunden ist, muss ebenfalls weg. Dieser Körperscanner erkennt ganz bestimmt auch Wanzen.  

              Ruby unterhält sich mit Julien über Henry. Wie er in den Rollstuhl gekommen ist, scheint sie brennend zu interessieren. Mich ehrlich gesagt nicht, denn egal wie es passiert ist, ich finde es faszinierend was er hier auf die Beine gestellt hat.
Während sie spricht, mustere ich sie kauend. Ich frage mich wie alt sie ist. Sie wirkt irgendwie kindlich und süß – sie ist klein, mit einem frechen schwarzen Bobschnitt und ziemlich großen Augen. Selbst ihre Stimme ist etwas piepsig.
Ich schaue weiter durch den Raum. Mir vorzustellen, dass ein Teil dieser großen Gruppe bereits in den kommenden Wochen einen echten Kriminellen aus dem Verkehr zieht, ist verblüffend.
>Wieso willst du eigentlich Kopfgeldjägerin werden? < will Julien wissen und reißt mich aus meinen Überlegungen.
>Ich? Ehm na ja … ich denke aus dem gleichen Grund, wie wir alle. Ich will lernen zu kämpfen und die Typen von der Straße holen, die anders nicht gefasst werden können. <
>Ich nicht. Ich mach’s wegen der Kohle. < brabbelt er lässig. >Eigentlich bin ich Anwaltsgehilfe aber mein Job nervt mich an. <
>Aber ich dachte, man kommt hier nur durch Kontakte oder durch ein paar Vorkenntnissen rein. < unterbreche ich ihn.
>Das stimmt auch. Bei einem Anwalt bekommst du irgendwann Klienten vorgesetzt, die dir mal ein Angebot machen, das du nicht ablehnen kannst. Ich war lange mit einem Kerl von der DEA im Gespräch und der hat mich hergeschleppt. <
>Das hört sich gut an. < erwidere ich erleichtert. >Ich dachte schon, ich hätte als einzige keine Ahnung davon. <
>Also die Rechtslehre muss ich hier nicht lernen – das kenne ich auswendig, aber Selbstverteidigung und Schießen sind mir komplett neu. <
Das ist wirklich beruhigend zu hören. Es ist immer besser, wenn man jemanden hat, der in derselben Lage steckt, wie man selbst. Die beiden anderen Neuen wollen ziemlich viele persönliche Dinge von mir wissen und ich darf niemals vergessen, dass ich hier Kim bin. Das ist unvorstellbar schwer, sich für jemanden auszugeben, der man nicht ist. Aber andererseits ist das wie mein eigenes kleines Projekt um zu testen, ob ich das kann. Schließlich werde ich mich in Zukunft häufiger als jemand anderes ausgeben, wenn ich an die Zielpersonen will.
Ich antworte immer recht knapp und stelle den beiden dann eine Gegenfrage, um wieder befreit zu sein. Zu morgen werde ich mich besser vorbereiten und Sam noch ein paar Kniffe entlocken.
Ich esse gerade die letzten Bissen meines Mittags auf, als Ruby bereits mit ihrem leeren Tablett aufsteht und wissen will:
>Kommst du noch mit raus eine rauchen, Kim? <
>Ich bin zwar Nichtraucher, aber ich komme gern mit. <

              Julien alias Cruisi will nicht und verzieht sich bereits in den Unterrichtsraum zurück, wo wir als Nächstes den dritten Block haben werden. Inzwischen hat er mehrmals betont, dass sein Spitzname ihn ausmacht und wir ihn auf keinen Fall Julien nennen sollen. Ruby und ich nutzen gleich die Gelegenheit und machen uns auf die Suche nach einem Damenklo. Die Schule ist mit den großen und modernen Räumen, der Cafeteria, den sauberen Toiletten und einige Duschen wirklich schön.
Nach dem Nachkommen der Grundbedürfnisse, nehmen wir wieder die Treppenstufen nach unten, da es uns sonst zu lange dauert. Von hier oben kann man bis runter in die Eingangshalle schauen. Wir laufen neben dem Schutzgitter einen halben Kreis auf der obersten Etage entlang, bis die ersten Stufen nach unten zum 1. Obergeschoss führen und wir den nächsten Halbkreis bis zur Eingangshalle laufen. Ein paar wenige der Zweit- und Drittstufigen tun das auch, da der Fahrstuhl sonst ewig bräuchte. Wieder mustere ich sie alle genauer.
>Unsere Statur ist ja im Vergleich zu den anderen, nicht gerade eindrucksvoll. < wende ich murmelnd ein.
>Du meinst, weil ich so klein bin, werden mich die üblen Typen da draußen auslachen, wenn ich sie verhaften will? < fragt sie ernst. Daraufhin stutze ich, denn ich wollte sie nicht beleidigen. Doch dann grinst sie plötzlich. >War nur ein Scherz, jetzt schaue nicht so. Kleine Frauen sollten nicht unterschätzt werden. Ich mache seit meinem vierten Lebensjahr Karate und ich habe sie alle fertig gemacht. Angefangen bei den Jungs in der Schule, die mir mein Pausenbrot wegnehmen wollten, bis hin zu meinem Stiefvater, der mal nachsehen wollte, ob er nicht nachts in mein Bett kann. Also mach dir darüber keine Gedanken – wir müssen kein Hulk sein. <
>Was dein Stiefvater? < keuche ich. Sofort kommen mir die schlimmsten Szenarien in den Sinn.
>Oh keine Sorge, der konnte mir trotz seiner Versuche nie etwas antun und kommt meiner Mum und mir nie wieder zu nahe – das überlegt der sich dreimal. <
Über ihre süße und unbekümmerte Art muss ich schmunzeln. Die Kleine ist wirklich taff.
>Wie alt bist du eigentlich? Du siehst so jung aus. < will ich wissen.
>Bin letzte Woche 18 geworden. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet, weil ich endlich hier anfangen wollte. Seit Jahren ist mein Name auf dieser Schule vorgemerkt. Ich musste nur das gewisse Alter haben. Mein Dad hat mir als ich noch klein war, schon viel beigebracht und meinte immer, dass ich später mal Kopfgeldjägerin werde. Meine Mum fand das natürlich nicht gerade toll. Vor 10 Jahren schieden sie sich aber mein Dad war immer noch für mich da. Ich war halt noch nie das kleine Prinzesschen und wollte was mit Action machen. Mein Vater sah das genauso und ließ mich hier einschreiben. Natürlich weiß meine Mum von nichts. Sie denkt, ich würde brav in Kanada mein Au-pair Jahr machen. <
>Was macht dein Dad beruflich, wenn er dich hier einschreiben konnte? <
>Oh tut mir leid aber das kann ich dir nicht sagen. <
Ich grinse, denn das kommt mir alles sehr bekannt vor. Sam wollte mir zu Anfang auch kaum etwas verraten und das zu Recht wie ich inzwischen weiß.
              Wir müssen über das Parkhaus nach draußen gehen, da es keinen anderen direkten Eingang im Erdgeschoss gibt. Niemand kommt hier rein, der nicht hier hingehört. Das Tor wird von außen per App – durch einen der Trainer geöffnet oder durch unseren zuvor eingescannten Fingerabdruck, den wir auf die kleine Apparatur neben dem Poller am Tor einlesen lassen müssen.
Von innen gibt es einfach eine Schnur, an der wir ziehen müssen, um das Tor nach oben aufrollen zu lassen. Ruby und ich laufen vom Parkhaus die kleine Steigung nach oben, als sich der Ausgang allmählich zeigt.
Etwa zehn Leute stehen hinter dem Gebäude vor einem Aschenbecher und unterhalten sich lachend. Ohne Ausnahme, sehe ich wieder nur Männer.
Ruby und ich stellen uns einfach dazu und unterhalten uns leise. Aber lange bleiben wir nicht unter uns und werden auch schon interessiert angesprochen.
>Ihr seid seit heute neu, oder? < will plötzlich einer von ihnen wissen, der einen zusammengedrehten Männerdutt trägt. Er pustet den Zigarettenqualm seitlich aus und mustert uns beide.
>Stimmt. < murmelt Ruby zwischen den Zähnen, die gerade versucht bei dem Wind ihre Zigarette anzubekommen.
>Klar sind sie neu, du Trottel. < feixt ein blonder Kerl Ende zwanzig. >Seit Wochen haben wir außer Cataley und den beiden Blondieren in Stufe drei, keine andere Frau gesehen. <
>Cataley ist aber auch genug Frau, für eine ganze Schule. < erwidert ein Weiterer. Erst denke ich, das ist so ein blöder Macho-Spruch gewesen von wegen „Frauen haben hier nichts verloren“, aber er verdreht genießerisch die Augen und mir wird klar, dass diese Trainerin der Gaumenschmaus an der Schule ist.
Der mit dem Männerdutt stellt sich uns als Liam vor und ist in der zweiten Stufe. Die anderen beiden sind Owen und David in der dritten Stufe – sie werden also schon bald ihre Lizenz haben.
Ich finde es toll, dass sich die Stufen zusammenfinden und keine Gruppe nur für sich ist. Zu meinem Erstaunen muss ich feststehen, dass ich mir den ersten Tag weitaus schlimmer vorgestellt habe. Es ist wie eine richtige Schule und eigentlich fühle ich mich bisher ganz wohl.
Viel interessanter finde ich den Gedanken, dass ich hier natürlich von den anderen Schülern beachtet und angesehen werde, aber niemand sagt „Hey, du siehst dieser Mörderin aus Duluth sehr ähnlich.“ Vielleicht liegt es daran, dass bereits nach ein paar Tagen die Sache vom Tisch war – da ich ja tot sein soll, aber vielleicht liegt es am Desinteresse der Einzelnen, was außerhalb ihres Wohnortes abgeht. Das wird sich sicher schon bald ändern, wenn es um ihre Aufträge geht.
Im Moment bin ich hier draußen lieber der stille Zuhörer und lausche gebannt, wie die in den höheren Stufen über ihren Unterricht reden. Wenn ich auch all das lernen könnte, über das sie sich gerade unterhalten, dann könnte ich mir tatsächlich vorstellen, diesen Job lange Zeit auszuführen. Es muss nicht nur ein Übergang für Kim sein, es könnte vielleicht Nayelis Berufung sein.

            Als Nächstes haben wir bis 13:45 Uhr eine Trainingseinheit mit Lukaz. Darauf freue ich mich besonders seit dem gestrigen Tag. Ich will es endlich sehen und selbst probieren, wie das mit der Selbstverteidigung funktioniert. Wir treffen uns alle eine Etage unter dem Parkhaus. Irgendwo hier sind auch die Unterkünfte für die Anwärter, die nicht so wie ich jeden Tag herfahren können. Ruby und ich folgen einfach den Männern vor uns und betreten einen großen Trainingsraum.
Ich bin wirklich beeindruckt wie viel Platz hier unten ist. Die Decke ist hier sehr hoch und über unseren Köpfen ist ein Metallgitter, welches den Raum ringsum einrahmt. Eine kleine Metalltreppe neben der Eingangstür führt dort hoch. Ich riskiere einen Blick nach oben. Dort scheinen noch weitere Lagerungsmöglichkeiten durch mehrere Erker zu sein.
Die Turnhalle, in der ich gestern war, ist ein Witz dagegen.
>Wow, die Halle ist ja riesig. < johlt Ruby und dreht sich im Kreis.
>Muss sie auch. < wirft jemand hinter uns. Wir drehen uns beide nach ihm um. Er gehört in unsere Stufe und war derjenige, der Henry bei dem Beamer geholfen hat.
Der blonde, junge Kerl mit keckem Lächeln ergänzt: >An manchen Tagen haben zwei Stufen zusammen den Raum. Dann wird die eine Hälfte einfach abgeteilt. <
>Ich hätte nie geglaubt, dass ein von außen so heruntergekommenes Gebäude, von innen so groß sein könnte. < merke ich an und sehe mich genauso um, wie meine Leidensgenossin.
>Das ist schon cool, oder? Dein Name war Kimberly richtig? < will er wissen.
>Ja aber sag einfach nur Kim – das ist mir lieber. Und das hier ist Ruby. < ich nicke zu der kleinen, süßen, anderen Frau in diesem Raum.
>Freut mich, ich bin Jeremy und das ist mein vierter Tag heute. Du warst vorhin in Henrys Unterricht gut, dafür dass es dein erster Tag ist. < sagt er an mich gewandt.
>Danke.<
>Habt ihr eure Klamotten noch nicht bekommen? < stirnrunzelnd schaut er daraufhin an uns herunter.
>Noch nicht. Aber jetzt. < wirft eine Stimme vor uns ein. Lukaz kommt mit einer Kiste zu uns herübergelaufen. >Wird Zeit, dass ihr so ausseht wie wir. <
Daraufhin teilt er an Ruby und mich drei der beigen Cargohosen, fünf hellgraue enge Shirts und schwarze Stiefel aus. Es sind die Klamotten, die die anderen bereits seit heute Morgen tragen. Der Rest der Stufe-Eins-Schüler hat bereits sein Zeug und ich fühle mich, als würde ich jetzt erst richtig dazugehören. Wir ziehen uns eilig in der Damenumkleide um und ich staple meine gefalteten Freizeitklamotten auf der ersten Stufe der Metalltreppe, neben der Eingangstür. Ruby und Cruisi können ihre Sachen direkt in ihre Unterkunft bringen, die auf der gleichen Etage ist.

              Punkt viertel nach zwölf Uhr, stehe ich mit den anderen in einer Reihe. Lukaz beginnt mittendrin – wie auch schon die anderen beiden Ausbilder, aber bei diesem Fach glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, den Anfang verpasst zu haben. Er teilt mir einen Mann zu, der so wie Jeremy seit Montag dabei ist. Das heißt, er hat einen Vorsprung von drei Tagen. Eines muss ich dieser Schule wirklich lassen – bisher kam mir niemand blöd, weil ich die Neue bin oder weil ich so schlank bin im Gegensatz zu den anderen. Alle wirken total aufgeschlossen, was ich anhand der gestrigen düsteren Gestalten neben dem Alibigebäude nicht gedacht hätte. Selbst die Stufe-Drei-Schüler, die wir nach der Pause draußen getroffen haben, scheinen ziemlich cool zu sein.
Lukaz zeigt uns nach ein paar Erklärungen was wir machen müssen und kurz darauf sind wir auf uns gestellt.
Mein Partner stellt sich mir als Louis vor und zeigt mir ein paar Handfassungen, die mir noch absolut nicht geläufig sind. Und ab diesem Moment verstehe ich das System, des spontanen Einsteigens in die Stufen. Die anderen Schüler werden integriert und sollen die Neuen mitziehen. Ich habe das schon mal von Grundschulen gehört, wo man Erst- bis Drittklässler zusammenbringt. Das Prinzip ist hier das Gleiche und es scheint zu funktionieren. Ich dachte, wir würden blind mit unseren Fäusten aufeinander einschlagen aber im Gegenteil. Die eine Gruppe muss Schläge und Tritte mit den Unterarmen oder Handflächen abwehren, während die andere austeilt und die Technik übt.
Die ersten paar Male denke ich, dass das Abwehren ganz okay ist … zumindest für die ersten zehn Minuten, denn danach ist es einfach nur noch schmerzhaft. Louis nimmt wieder sein Bein zum Tritt hoch und ich schlage wieder die Handfläche dagegen, um ihn so abzuwehren, wie Lukaz es uns gezeigt hat.
Die weiche Muskulatur sieht total rot aus und puckert. Keuchend stütze ich mich in einer kurzen Pause auf die Oberschenkel.
>Ist was anderes als Hausfrauentraining, oder? < sagt Lukaz hinter mir und grinst.
>Kann man wohl so sagen. < japse ich.
>Dann tauscht mal die Plätze! < ruft er mit den Handkanten an den Mund durch die Halle und geht wieder zu den Leuten weiter vorn.
>Was soll ich denn tun? < frage ich Louis. Getreten oder geschlagen habe ich noch nicht.
>Ich habe schon gesehen, dass dein rechtes Bein stärker ist, also stell dich aufs linke und zeige mit rechts erstmal was du kannst. <
>Wo soll ich hintreten? <
>Wohin du willst. Dein Gegner sagt es dir auch nicht vorher. <
So wie er gesagt hat, verlagere ich mein Gewicht auf mein linkes Bein und trete dann mit dem rechten auf Höhe seines Bauches. Die wenigen Tage, der er Vorsprung hat, merkt man sofort oder hatte er einfach schon ein paar Vorkenntnisse? Dann will er, dass ich nicht zutrete, sondern mal schlage. Er zeigt mir ein paar Dinge in Zeitlupe, ebenso wie Lukaz, der wieder zu uns kommt. Danach soll ich es selbst versuchen und er sieht uns beiden zu.
Ich nehme erst die Deckung ein, die mir gezeigt wurde und will mit rechts zuschlagen. Kurz darauf entscheide ich mich aber noch um und schlage dann mit dem linken Arm nach vorn. Ich verpasse Louis sofort einen Kinnhaken und er fällt nach hinten.
>Oh Mist. Tut mir leid. < keuche ich und reibe mir gleichzeitig meine schmerzende Hand. Das sieht in den Filmen immer so lässig aus.
Mein Partner hingegen setzt sich ein Stück auf und stemmt die Arme nach hinten auf den Boden. Mit großen Augen glotzt er mich belustigt an.
>Hast du das gesehen Lukaz? Sie täuscht sogar schon an. Ich dachte, sie schlägt mit rechts. <
>Was also zeigt, dass du unaufmerksam warst und deine Deckung Mist war. < kommentiert dieser belustigt.
Louis steht wieder auf. Ich wollte meinen rechten Arm nicht nehmen, weil ich Angst vor dem bevorstehenden Schmerz im angeschossenen Schulterblatt hatte, das war alles. Da war nichts mit antäuschen.
>Regel Nummer eins Kim. < feixt mein Partner. >Entschuldige dich nicht bei deinem Gegner. <
Ich schnaube belustigt durch die Nase und bin froh, dass er nicht beleidigt ist. Es geht eine ganze Weile weiter mit Tritten und mein rechtes Bein hat tatsächlich ganz gut Kraft. Es fehlt allerdings noch die Zielgenauigkeit und die Routine. Außerdem sieht es sicher auch etwas unbeholfen aus, was ich hier tue.
>Das war gar nicht mal schlecht. Jetzt nimm das andere Bein. < fordert Louis auf. Ich hingegen halte inne. Mein linkes Bein ist ein großes Problem. Wenn ich damit zutrete und er mir auf das Schienbein schlägt, liege ich sicherlich eine halbe Stunde jammernd am Boden und kann das Blut aufwischen.
>Ich … hatte da vor kurzem eine Verletzung. < murmle ich.
>Das ist keine Ausrede. Immerhin bist du fit genug, um hier zu sein. Also los tritt zu! <
Oh Mann, das könnte in mancherlei Hinsicht auch Sam sein. Das kann ja was werden. Mit halber Kraft strecke ich das linke Bein hoch und Louis patscht es locker mit einer Hand weg.
>Komm schon, trau dich! < spricht er mir Mut zu. Na er hat gut reden – das wird gleich verflucht wehtun. Ich hole mehr Schwung, nehme das Bein hoch und wieder patscht er es weg.
>Nächstes Mal stärker und lass das Bein gerade. < triezt er mich weiter.
Innerlich seufze ich. Das kann nicht gerade gut für den Heilungsprozess sein. Ich beiße mir auf die Unterlippe und trete zu.
>Mehr! < spornt mich Louis an.
Wieder trete ich zu, aber ich bin viel zu gehemmt. Louis sieht leicht genervt aus und geht weg. Na das habe ich ja toll hinbekommen. Mein Übungspartner hat schon am ersten Tag die Schnauze voll von mir. Ich stütze die Hände in die Hüfte und sehe wehmütig zu den anderen, bei denen das viel besser aussieht. Vor allem bei Ruby. Junge, die macht ihren Partner aber ganz schön nass. Aber wer seit dem vierten Lebensjahr Karate macht, der kann wohl jeden umhauen – auch mit 1,55 Meter Körpergröße.
>Los mach weiter. < drängt jemand hinter mir. Da steht Louis schon wieder mit irgendwelchen schwarzen Dingern an seinen Händen. Die habe ich schon mal bei Rocky im Film gesehen.
>Sind das Dämpfer? <
>Ja Pratzen. Dann ist der Aufprall nicht so hart für dich. <
Ich grinse, weil ich das echt lieb von ihm finde. Eine Schonfrist für Neulinge gibt es hier nicht. Es geht sofort los ohne sanften Einstieg. Aber was habe ich erwartet? Innerhalb von 150 Stunden will man immerhin seine Lizenz haben, da muss man wohl schnell lernen. Also mache ich weiter und weiter und ignoriere den stechenden Schmerz. Ich habe ihn mir weitaus schlimmer vorgestellt und bin wirklich dankbar für diese Pratzen.
Der Block geht allerdings schneller um als ich dachte. Nach Luft ringend sitze ich am Boden und bin schon das erste Mal nassgeschwitzt.
Lukaz kommt zu mir rüber, neigt sich etwas zu mir runter und sagt:
>Das war schon ganz gut. Du musst aber routinierter werden und die Angst verdrängen. Strecke das Bein voll durch wenn du zutrittst, sonst verpasst du deinem Gegner höchstens einen Schubs. Wenn du absolut keine Kraft hast, dann machst du es ihm sogar leicht, sich dein Bein zu schnappen und dann steckst du in der Klemme. <
Ich nicke und fühle mich etwas dämlich dabei. Diese praktischen Dinge haben mich zwar am meisten interessiert, aber um ehrlich zu sein, habe ich davor am meisten Respekt. Lukaz reicht mir eine Flasche Wasser und verteilt sie auch an die anderen.
Die nächste Stunde haben wir ebenfalls hier drin Unterricht und das mit dieser Cataley. Na super.

            Nach der fünfzehnminütigen Pause, betritt sie bereits die große Halle. Die ganze Zeit denke ich: „Sieh bitte nicht zu mir! Sieh bitte nicht zu mir! Sieh bitte nicht zu mir!“
Mist! Sie sieht natürlich voll zu mir. Ihre Wimpern berühren fast ihre Augenbrauen, so sehr zieht sie diese nach unten. Aber offensichtlich guckt sie häufiger so missvergnügt, denn kurz darauf ignoriert sie mich und stellt sich vor unsere Gruppe. Da ihr Auftreten sofort für Ruhe gesorgt hat, verkündet sie mit einem kühlen Blick:
>Wenn ihr eure Lizenz habt, dann solltet ihr euch nicht darauf ausruhen. Macht weiterhin euer Training. Ihr könnt davon ausgehen, dass die üblen Typen da draußen wissen wie man mit Waffen umgeht. Egal ob militärischer Nahkampf, Kampfkunst, Fitness, Selbstverteidigung … es geht alles Hand in Hand. Gut in eurem Job seid ihr vielleicht erst in einem halben Jahr. Richtig gut seid ihr in zwei Jahren. Verdammt gut wart ihr, wenn ihr mit achtzig noch am Leben seid und euren Ruhestand genießt. <
>Na das ist ja aufbauend. < murmelt mir Ruby zu. Ich grinse nur und kann mein Lachen gerade noch zurückhalten. Diese Frau dort vorn, wird sonst wohl nicht gerade gut auf mich zu sprechen sein.
>Bei Lukaz geht es ums Abwehren und Verteidigen. Bei mir ist der Kindergarten vorbei. Hier habt ihr ein knallhartes Einsatztraining und lernt zu schießen. <

              Wenn ich dachte, dass der Unterricht bei Lukaz schon anstrengend war, dann habe ich mich geschnitten. Sie scheucht uns erstmal quer durch die ganze Halle. Ich dachte wir wären alle schon genug warm, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Danach quält sie uns mit irgendwelchen Übungen, die für meine Schulter echt hart sind. Ich versuche mir dennoch nichts davon anmerken zu lassen. Schließlich will ich nicht die Letzte sein. Was uns Lukaz an Selbstverteidigung zeigt, zeigt uns Cataley an offensiven Angriffen, falls unser Täter flieht. Der Sportraum ist inzwischen aufgebaut wie ein Parcours und sie jagt uns herum. Meine Ausdauer ist recht schlecht. Kein Wunder, denn bis aufs Schwimmen und Sam's Übungen habe ich in letzter Zeit nicht gerade viel getan. Ich bin eigentlich ein wirklich guter Läufer, aber fast vier Tage mit vollständiger Bettruhe sind eben kontraproduktiv. Das ist schrecklich, wie schnell der Körper abbaut und jetzt verstehe ich, weshalb sich die Sportler immer beschweren, wenn sie aus Krankheitsgründen mal aussetzen müssen. Ich keuche aber starte immer wieder neu. Mein Herz springt mir bald aus der Brust heraus aber ich will auf keinen Fall als Einzige aufgeben. Die meisten Schüler haben definitiv einen guten Trainingszustand als solide Basis. Cruisi allerdings nicht, wie mir auffällt. Der bekommt in seinem Büro wohl auch nicht gerade viel Bewegung. Ich muss mich trotzdem total quälen und beiße die ganze Zeit die Zähne zusammen. Danach gehen wir eine ganze Weile lang Taktiken im praktischen Sinne durch und bekommen die ernsthaften Techniken beigebracht. Hier ist nichts mehr mit lockerem Abwehren, in dem man ein Bein wegpatscht. Hier ziehen wir die Oberkörper der Zielperson vor und schlagen mit den Ellenbogen auf den Rücken oder nehmen das Knie hoch um es in den Bauch zu rammen. Wirklich übel ist, wenn das Knie auf das Steißbein trifft oder man generell auf Knie, Genitalien, Kehlkopf oder Brustbeinmitte zielt. Hier ist wirklich alles erlaubt und wir lernen einen Kampf zu gewinnen. Cataley bringt uns ziemlich schnell weg von diesen gängigen, langen und ausholenden Faustschlägen, die gern überall im Fernsehen gezeigt werden. Stattdessen machen wir unter anderem einen Hammerschlag – wo wir den gesamten Unterarm mit geballter Faust einsetzen. Außerdem zeigt sie uns den Faustschlag in einem kurzen Weg, der effektiver ist, weil wir schnell wieder in die Deckung können. Wir bekommen beigebracht, wie wir unsere Vitalpunkte selbst schützen, damit wir nicht am Boden enden.
Zum Ende dieser Einheit zählt sie weitere Schlagtechniken auf. Erst führt sie diese in der Luft aus und dann an einem Sandsack, der von einem Metallgitter über unseren Köpfen hängt und sogar noch am lebenden Objekt – zum Glück nicht an mir.
>Diese Techniken will ich zu morgen von euch aufgezählt haben. Danach geht es ans Training. < verkündet sie. Aber wir haben doch noch eine weitere dreiviertel Stunde dachte ich. Ich bin ohnehin verwirrt von dem Inhalt der Stunde, denn ich war mir sicher, auf dem Stundenplan „Schießen“ gelesen zu haben.
Dann geht sie zu einer Wand und stellt etwas an einem Regler herum. Sofort höre ich ein Geräusch, als wenn etwas eingesaugt wird.
>Was ist das? < frage ich Jeremy neben mir.
>Die Lüftungsanlage. Das stinkt sonst wie Sau hier drin, wenn wir schießen. < flüstert er. Die meisten aus der ersten Stufe gehen bereits zu Cataley rüber und wir Übrigen folgen ihnen.
Dann Schießen wir jetzt also wirklich?
Und keine fünf Minuten später gibt unsere Trainerin die andere Hälfte des Raumes frei, indem sie einen großen Netzvorhang zur Seite schiebt.
Weit vorn stehen Ziele aufgereiht, die im Hintergrund eine Sperrholzplatte oder Styropor als Schutz haben. Es sind genug Scheiben für jeden von uns. Wir bekommen einen Gehörschutz, eine Brille und tatsächlich eine Waffe ausgeteilt. Ich umgreife zittrig ein Gewehr, das anders als bei Sam echt ist. Die Munition ist echt, der Knall ist echt, der Schwefelgeruch ist echt. Oh Mann, nicht in Panik verfallen.
>Zwei aus den Knien und drei aus dem Stand. < ruft Cataley und stellt sich hinter uns. Ist das ihr Ernst? Mehr will sie dazu nicht sagen? Immerhin sind hier drei neue Schüler in dieser Stufe. Zum Glück kenne ich mich halbwegs mit dem Entsichern und Schießen aus. Ganz im Gegensatz zu Julien, der sich erst von einem anderen zeigen lassen muss, wie es geht. Ich mache alle bekannten Handgriffe und warte.
„Keine Panik“, flüstere ich mir selbst zu. Es ist nur eine Waffe und hier drin sind ausnahmslos Leute, die mir nichts tun werden. Sie wollen lediglich das Gleiche wie ich – so gut wie möglich ausgebildet werden.
An meine Seite kommt wieder Louis. Offenbar hat er sich zu meinem persönlichen Helfer ernannt und will mir wieder von Nutzen sein aber da sieht er schon, dass mein Gewehr bereit ist.
>Schon Vorkenntnisse? < fragt er.
>Ein bisschen. < grinse ich unsicher und gebe mir die größte Mühe, nicht zu laut oder hektisch zu atmen.
Wir sollen warten, bis alle ihre Waffe eingestellt und im Griff haben, erst dann können wir unsere Munition verschießen.
Cataley gibt ihr Zeichen und schon legen mehr als die Hälfte sofort los. Trotz der Ohrenschützen ist das Knallen, welches von allen Seiten kommt, ziemlich laut und ich zucke zusammen. Ich lege das Gewehr an und habe eine viel zu unruhige Hand. Tief einatmen und wieder ausatmen. Mir kann hier drin nichts passieren, das weiß ich. Aber dieses Knallen und dieser Geruch sind zu dominant. Ohne etwas zu tun, halte ich das Gewehr an meine Schulter gedrückt. Es ist etwas schwer aber das kenne ich schon. Schließlich habe ich schon mit Dad und Sam geschossen.
Cataley läuft herum und korrigiert hier und da ein paar der Anderen auf ziemlich unsanfte Weise. Wenn ich mich weiter so aufführe, dann werfen sie mich schneller wieder raus, als ich mich angemeldet habe.
>Was ist los? < ruft Louis über den Lärm hinweg als er sieht, dass ich nichts tue.
>Schon gut. Ich komme klar. < dabei schüttele ich hektisch meinen Kopf und setze wieder zittrig an. Mein hilfsbereiter Nachbar legt eine Hand oben auf den Lauf des Gewehres und bewegt es Richtung Boden, worauf ich ihn fragend ansehe.
>Merk dir eines: Sobald du einen Schuss nur hörst, ist er nicht für dich bestimmt. Die meisten Leute hier haben irgendeine Vorgeschichte, weshalb sie hier sind aber die musst du ablegen, jeden Tag funktionieren und dein Bestes geben. Also atme tief durch, leg an und schieß! < erklärt er sachlich. Er hat den gleichen kühlen Blick wie Sam dabei.
Ich nicke, schlucke schwer und schieße einfach so wie die anderen drauflos.
Nach dem ersten Schuss hole ich die Munition heraus, lade neu und schieße nochmal aus den Knien heraus. Ich hole wieder die Patronenhülse raus, lade neu und schieße im Stand. So geht es weiter. Zwei Schüsse aus den Knien, drei im Stehen. Ich versuche völlig meinen Kopf auszuschalten und die Geräusche neben mir auszublenden, was verdammt schwer ist, trotz der Ohrenschützer.
Beim nächsten Mal nachladen sehe ich zur Seite. Louis mustert meine Handgriffe, denn ruhig bin ich immer noch nicht aber ich bin stolz, dass ich es zumindest geschafft habe, das Gewehr abzufeuern.
>Dafür, dass du so zittrig bist, zielst du relativ gut. <
Ich lege eine kurze Pause ein und sehe nach vorn zu meinem Ziel. Jedes Mal habe ich zumindest ins Innere des großen Kreises getroffen und nicht die Spanplatte oder das Styropor dahinter. Es ist nicht perfekt aber ein Anfang. Allerdings stehen wir auch nicht gerade weit weg. Mit einem Gewehr zielt man auf hunderte von Metern entfernt. Hier drin könnten es geschätzte 70 bis 80 Meter sein.
>Wieso schießen wir eigentlich nicht draußen? < will ich von Louis wissen.
>Das ist zu viel Schlepperei und Aufwand. Außerdem könnte es zu viel Aufsehen erwecken. Es kommt aber auch schon mal vor, dass man dafür in den Wald geht. Allerdings eher bei den Zweit- und Drittstufigen. <
Die kleine Schachtel vor mir ist noch nicht leer und der Unterricht läuft immer noch, also versuche ich endlich meine Furcht in den Griff zu bekommen und mache weiter.
Cataley läuft nun auch zu uns. Ein Glück, dass sie mir so lange fern blieb, bis ich mich halbwegs eingekriegt habe.
>Hmm. < knurrt sie hinter mir – zumindest glaube ich das. Denn als ich mich umsehe, hat sie ihre Arme verschränkt und guckt teils überrascht, und teils angesäuert.
Ich sehe sie fragend an aber sie geht kommentarlos weiter. Noch unsicherer kann man einen wohl kaum stehenlassen. Aber da sie mich nicht korrigiert hat, nehme ich an, dass es nichts zu korrigieren gab.

              Irgendwann ist die kleine Schachtel mit Munition vor meinen Füßen leer. Die anderen sind auch fast durch. Es sind nur noch Julien und ein anderer, den ich noch nicht kenne dabei. Als auch die beiden endlich durch sind, motzt unsere Trainerin:
>Also das, was ich gesehen habe, zeigt mir, dass ihr alle in Stufe eins gehört. Vor allem die Neuen unter euch. Ihr bleibt vorerst hier drin. <
Sehr erbauend ist sie ja nicht gerade. Wenn ich einer der anderen wäre, der schon ein paar Tage hier ist, würde ich mich ziemlich blöd fühlen. Ich schaue zu den Zielscheiben und verstehe gar nicht was sie hat. Für mich sieht das nicht schlecht aus – okay Julien ausgenommen, der echt oft danebenlag.
>Wir sind fertig für heute. Die Waffen kommen alle wieder in die Kiste und einer fegt die Patronenhülsen zusammen. Zur Information an die Neuen: Ihr könnt euch eure Handys und Tablets wieder bei Henry abholen und dort landen sie auch morgen vor der ersten Stunde wieder oder ihr lasst das Zeug gleich im Zimmer. Nach 22 Uhr wird das Gebäude hier nicht mehr verlassen. < murrt sie und schaut zu Julien und Ruby, da sie im Gegensatz zu mir hierbleiben. Das dürfte Julien wohl freuen, dass er sein Zeug wiederhaben kann.
Gott sei Dank ist dieser Block endlich vorbei. Mir tut jeder Knochen im Körper weh. Auf einer Matte werfe ich mich auf den Rücken und will nur noch duschen und schlafen. Das wird zum nächsten Tag sicherlich einen üblen Muskelschmerz geben. Meinen Kopf werfe ich schließlich zur Seite und sehe Sam grinsend im Eingang stehen. Ungeschickt rapple ich mich auf und laufe zu ihm. Im Gehen verabschiede ich mich von den anderen Schülern. Sobald ich näher komme, mustert er mich in meinen neuen Trainingsklamotten und nickt anerkennend. Allerdings läuft auch Cataley einige Meter von mir entfernt auf ihn zu und drängt sich schließlich bei ihm angekommen an mir vorbei.
>Hey Sam ich habe mir da etwas Schönes für uns überlegt. Wenn du jeden Tag hier bist, dann könnten wir ja morgen was essen gehen. Wir haben uns schon so lange nicht mehr unterhalten und der Italiener im Vorort hat einen tollen Mittagstisch. < gurrt sie und kommt Sam noch einen Schritt näher.
>Ich glaube nicht, dass ich dazu in nächster Zeit die Möglichkeit haben werde. Während Kim in den Wochen ausgebildet wird, habe ich derweil ein paar andere observierende Dinge zu klären. <
>Nach dem Training geht natürlich auch. Dann hätten wir den Abend für uns. < grinst sie.
Oh mein Gott. Irgendwie schäme ich mich gerade fremd, einfach nur, weil ich zwischen ihnen stehe. Meine Wangen glühen und ich bewege mich ein Stück von ihnen weg, um ihnen etwas Privatsphäre zu geben, aber Sam greift an Cataley vorbei und schnappt sich meinen Oberarm, um mich am Verschwinden zu hindern.
>Eher nicht Cataley aber ich bin sicher, dass dir einer der anderen Trainer gern Gesellschaft leistet. Wir werden dann mal. Immerhin fahren wir noch eine Weile. <
Ich greife mir eilig die gestellten Klamotten von der Metallstufe inklusive meiner Mitschriften und lasse mich dann von ihm mitziehen.
Er lässt diese bildhübsche Frau einfach stehen und ihr Gesichtsausdruck ist alles andere als zufrieden.
>Das war total unhöflich. < flüstere ich empört, als er mich vorwärts schiebt.
>Nein das war direkt und so gibt es keine Unklarheiten. Das ist ein Unterschied. <
>Na ein Glück, dass dir Sophia „Flirten für DUMMIES“ geschenkt hat. Vielleicht sollte das deine Lektüre für den Abend werden. <
Sam schmunzelt darüber und sieht mich von der Seite an, als er mit mir zum gläsernen Fahrstuhl läuft.
>Ich brauche kein Buch. Glaub mir, wenn ich mit einer Frau flirten will, dann tue ich es auch. <
>Und bekommt sie das auch mit, wenn du das tust? < frage ich belustigt.
>Werd´ nicht frech. < sagt er feixend und greift mir in den Nacken, weshalb ich kichernd die Schultern hochziehe.
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