Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
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Dieses Kapitel
1 Review
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09.11.2018
3.538
Hallo meine Lieben,
ich danke Euch für die vielen Zugriffe.
Nachdem es letzte Woche so viele Seiten gegeben hat, ist das heutige Kapitel etwas kürzer aber ich finde, mehr verträgt man heute auch nicht. Ich werde bei den zukünftigen Kapiteln immer wieder mal zwischendrin Links mit Songs einfügen, die zur Szene passen.
Lasst den Song einfach in einer Endlosschleife nebenher laufen, denn ich finde dadurch bekommt das Kapitel ein ganz besonderes Feeling. Jedenfalls geht es mir immer so.
Viel Spaß und liebste Grüße
Lynn
---------------------------------------------------------
Kapitel 38 - Nähe
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend wirken.
Bei dem Tempo, das Sam fährt, dürfte ein Blitzerfoto seine geringste Sorge sein. Ich hoffe die ganze Zeit, dass die Highway-Cops nicht irgendwo auf der Lauer liegen und uns anhalten. Bisher kamen wir in den letzten dreiundfünfzig Minuten allerdings gut durch. Weshalb ich das auf die Minute genau weiß? Weil ich andauernd auf diese verdammte Uhr im Armaturenbrett gesehen habe und dachte, sie wäre kaputt, so langsam schritt sie voran. Inzwischen habe ich mir meine Nagelhaut blutig gebissen und trotzdem mache ich immer noch weiter damit.
Das Viertel, in das wir fahren, scheint den Betuchteren zu gehören. Die Häuser, die hier stehen, sind halbe Villen und die Pools sind schon eher Schwimmbecken. Ich erkenne von meinem Sitz aus den Audi Q7 von Dimitrij. Sam lässt erneut sein Handy über die Freisprechanlage klingeln, allerdings nur einmal und dann legt er schon auf. Kurz darauf öffnet sich das Tor von Dimitrijs Zaun und Sam kann direkt reinfahren, um den Wagen eilig abzustellen.
>Komm schon. < drängt Sam und steigt bereits aus.
Hastig folge ich ihm zur Tür, an der wir bereits erwartet werden. Allerdings steht da nicht Dimitrij, sondern eine Frau mit kräftiger Statur.
>Guten Tag, Mister Lebedew wartet bereits in seinem Büro. Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen? < fragt sie höflich.
>Nein danke. < erwidert Sam, greift meinen Arm und zerrt mich an der Frau vorbei, der ich nicht mal „Hallo“ sagen kann.
>War das seine Frau? < frage ich flüsternd.
>Nein, seine Haushälterin. < würgt er schnell ab und läuft mit mir eine Treppe nach oben. Gleich beim zweiten Zimmer reißt er die Tür auf und Dimitrij schüttet sich vor Schreck den Inhalt einer Tasse in den Schoß.
>Ahh … Scheiße das ist heiß! < brüllt er und springt von seinem Stuhl auf. Irgendetwas flucht er daraufhin auf Russisch.
>Izvinite. < erwidert Sam offensichtlich ebenfalls auf Russisch und ich habe keine Ahnung, was das heißt. >Ich will nicht noch mehr Zeit verschwenden. <
Der Russe greift nach ein paar Zupftüchern und wischt damit seine Hose trocken.
>Was ist denn los? < knurrt er säuerlich.
Sam sagt erst nichts, sondern lässt mich los und schließt wütend die Tür mit seinem Fuß.
>Was los ist? Ihre Eltern und ihr Bruder wurden eingeäschert und gestern beerdigt. Wieso weiß ich nichts davon? < brüllt er Dimitrij schließlich an.
>Was? < keucht sein Freund ebenso verwundert. Er lässt sofort die Zupftücher zu Boden fallen und setzt sich eilig an seinen Laptop. Plötzlich wirkt er genauso aufgescheucht wie Sam. Verunsichert sehe ich zwischen beiden hin und her.
>Kann mir mal jemand sagen was hier los ist? Sie sind beerdigt worden, ja und? Ihr könnt mir glauben, dass das ziemlich beschissen für mich ist aber weshalb macht ihr deswegen so ein Theater? < frage ich bereits weinend. Inzwischen kann ich es nicht mehr unterdrücken, denn die Nervosität, die in der Luft ist, überträgt sich völlig auf mich. Sam kommt zu mir gelaufen und sieht mich eindringlich an.
>Ich habe vor einer Woche einen weiteren Pathologiebericht angefordert, weil der Vorhandene völliger Schwachsinn ist. Das ist demnach überhaupt nicht passiert, denn sonst wäre deine Familie immer noch auf Eis gelegt. <
>Ich verstehe immer noch nicht was du mir sagen willst. < hauche ich. Dimitrij dreht den Laptop um, damit Sam auf den Bildschirm sehen kann.
>Gestern stand davon noch nichts in der Akte. < verteidigt er sich und lässt Sam die Möglichkeit selbst zu lesen. >Sie haben sich Zeit gelassen mit dem Bericht. Er ist erst vor vier Stunden in der Fallakte gelandet. <
Mein Lebensretter presst seine Handballen gegen die Stirn und flucht sämtlich Schimpfwörter auf Russisch herunter – zumindest glaube ich das. Ich stehe dumm wie ein Schaf mitten im Raum und weiß nicht was das Problem ist. Ich weiß nur, dass es ein ziemlich großes sein muss, wenn Sam so reagiert und Dimitrij ebenso ratlos aussieht.
>Sagt mir endlich was los ist! < keife ich, weil es mir jetzt endgültig reicht.
Sam sieht mich an als wäre ihm gerade eingefallen, dass ich noch hinter ihm stehe. Er kommt wieder zu mir und packt mich energisch an beiden Armen.
>Verstehst du denn nicht? Ohne Leichen, gibt es drei wichtige Beweise weniger. <
Mir stockt der Atem. Logisch – keine Leichen, keine Einstichstellen, keine DNA.
>Pims´ Verschwinden hat sie eventuell hellhörig werden lassen. Gut möglich, dass sie nun Vorkehrungen getroffen haben, um sich herauszuwinden. < wendet Dimitrij ein. Sam lässt mich los und presst die Lippen aufeinander.
Das ist alles ein ganz, ganz übler Alptraum.
>Das ist unmöglich, weil sie sich in Sicherheit wiegen. Für sie ist Nayeli tot im Wasser gefunden worden. Niemand hat sie bisher gesehen. Du kannst mir glauben, ich war mehr als gründlich was das angeht. <
>Weshalb sind sie dann eingeäschert worden? < flucht Dimitrij und wirkt nun genauso gereizt.
>Megan sagte, dass sich mein Onkel darum gekümmert hätte und er wollte es so. < mische ich mich schluchzend in ihren Streit ein.
>Das ist völlig egal, was er wollte. < zischt Sam. >Normalerweise hätte man deine Familie noch nicht rausrücken dürfen. Bei Mordfällen ist das immer eine Sonderregelung und es dauert eigentlich ewig. Jemand wollte so schnell wie möglich, dass sie verschwinden. <
Er wendet sich wieder an seinen Freund und keift genauso umher wie ich zuvor. Ich höre gar nicht mehr zu und lasse sie diskutieren. Langsam laufe ich rückwärts von ihnen weg, schließe hinter mir die Tür und laufe die Stufen nach unten. Mein Blick verschleiert sich, als ich Sam verzweifelt brüllen höre:
>Wie zur Hölle soll ich sie jetzt noch da rausholen? <
Es endet also bevor es angefangen hat. Schon lustig, ich habe wirklich gedacht, Sam könnte mir dazu verhelfen, wieder mein normales Leben führen zu können. Offenbar habe ich mich geirrt. Ich schluchze los und setze mich auf eine der mittleren Treppenstufen.
Diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist zu viel für eine Person.
>Och Liebes. < wendet Dimitrijs Haushälterin besorgt ein und kommt ein paar Stufen zu mir hoch gelaufen. Die habe ich schon wieder total vergessen. Sofort wische ich meine Tränen weg und stehe auf.
>Tut mir leid, ich sollte hier eigentlich gar nicht sein. <
>Ach Unsinn. Kommen Sie, ich gebe Ihnen erstmal etwas zu trinken. < erwidert sie und nimmt mich bei der Hand. Sie führt mich in eine große, saubere Küche und schiebt einen Stuhl zur Seite, damit ich mich setzen kann.
Dann läuft sie um den Tisch herum und kramt ein Glas aus dem Schrank. Überstürzt gießt sie Wasser hinein und stellt es mir vor die Nase.
Zittrig nehme ich es entgegen. Zum Glück hat sie es nicht bis obenhin gefüllt, sonst würde mir die Hälfte herausschwappen. Ich schniefe und hickse. Diese Frau, die ich nicht mal kenne, streicht mir beruhigend über den Rücken und ist unglaublich warmherzig.
>Alles wird wieder gut, Sie werden schon sehen. <
>Nichts wird wieder gut. Ich bin am Arsch. <
>Mister Lebedew ist gut in seinem Job. Deswegen sind Sie doch sicher hier. <
Ich lache hysterisch auf und nehme wieder zittrig einen großen Schluck von dem Wasser. Wenn nicht mal Sam weiß, wie er mir noch helfen soll, dann weiß es niemand.
>Haben Sie vielleicht etwas anderes im Haus? < frage ich sie und nicke zu dem Glas.
Erst schaut sie mich so an, als wenn sie das nicht gutheißt, aber dann steht sie schließlich auf und verschwindet für einen Moment. Ich wische mir wieder über die Augen und sehe, dass mir der Mascara am Handrücken klebt. Wahrscheinlich habe ich ihn jetzt im ganzen Gesicht verteilt.
Sie kommt zurück mit einem Cognacglas und stellt es mir hin. Ich nehme einen großen Schluck und treibe ihn vollständig in meinen Körper. Kurz darauf reicht sie mir auch ein Taschentuch. Schniefend greife ich danach und wische mir die verschmierte Schminke weg.
>Danke. < japse ich. >Wie heißen Sie überhaupt? <
>Nennen Sie mich Miranda. <
>Könnten Sie mir das noch mal vollmachen Miranda? <
Das Glas stelle ich ihr vor die Nase und sie macht große Augen, weil es bereits leer ist. Trotzdem dackelt sie davon und kommt meiner Bitte nach.
Sam und Dimitrij kommen eine gefühlte Ewigkeit nicht nach unten und brüllen sich offensichtlich immer noch an. Dafür leistet mir die Haushälterin Gesellschaft. Sie fragt nicht nach meinem Namen und nicht nach meiner Geschichte. Es ist gut möglich, dass öfter solche Leute wie ich vor Dimitrijs Tür stehen und sie solche Wracks gewohnt ist.
Inzwischen ist meine Hand nicht mehr ganz so zittrig aber dafür brennen meine Augen unangenehm, weil ich immer noch heule. Da hilft auch das vierte Glas Cognac nicht.
Endlich höre ich die erlösenden Schritte und leises Gemurmel im Treppenhaus. Miranda verzieht sich daraufhin in ein Nebenzimmer. Kurz danach sehe ich Sam in der Tür stehen. Er schaut mich genauso an, wie am ersten Tag – mit diesen kalten, bohrenden Augen.
Er kommt allerdings ruhiger zu mir gelaufen, als ich es anhand seines Blickes angenommen hätte. Seufzend setzt er sich neben mich und sagt beruhigend:
>Sich so zu betäuben hilft nicht Kleines. Ich finde einen anderen Weg. <
Er nimmt das Glas aus meiner Hand und kippt sich den Rest selbst in den Rachen. Dann wischt er mit beiden Daumen meine Tränen weg. Sein Blickkontakt hält so lange an, dass es mir wieder unangenehm wird. Aber mein Kopf fühlt sich so unsagbar schwer an, dass ich ihn nicht wegdrehen kann.
>Was willst du tun? Wenn es keine Beweise gibt, dann kann mich niemand auf der Welt entlasten. Ich könnte die teuersten Anwälte in den gesamten Staaten anheuern und sie könnten mir nicht helfen. <
>Anwälte haben nicht die Möglichkeiten, die ich habe. <
>Die drei Kerle hätten mich lieber auch umbringen sollen. < hauche ich und sehe zum Boden.
>Sag das nie wieder! < keucht er wütend. >Dass du noch lebst, hast du deinem Durchhaltevermögen zu verdanken. Das ist das Einzige, was dich über Wasser hält. Verliere das jetzt nicht. <
>Dass ich noch lebe, habe ich dir zu verdanken und nichts anderem. < rede ich nasal und wische mir die nächsten Tränen weg. Mein Kopf sinkt immer mehr in seine Hände hinein.
>Einen kleinen Verdienst hast du daran auch. < grinst er matt. >Lass uns nach Hause fahren, wir sind hier fertig. <
>Ich fürchte, wenn du mich jetzt loslässt, dann falle ich nach vorn. Das waren vier Gläser. < nuschle ich.
Daraufhin steht er auf und nimmt mich vom Stuhl hoch.
Miranda fasst sich bei meinem Anblick erschrocken an die Brust.
>Schon gut. Es ist nicht Ihre Schuld. < wendet Sam sofort ein. Auch Dimitrij nehme ich jetzt wahr aber meine Augen schließen sich, wodurch gleich wieder eine Träne hervorquillt.
>Es tut mir unsagbar leid, dass uns das entgangen ist. < erklärt er mir, als Sam kurz vor ihm stehengeblieben ist. >Ich weiß noch nicht wie, aber wir schaffen das schon. <
Ich nicke bloß und lasse mich schließlich von Sam nach draußen tragen. Behutsam setzt er mich ins Auto und fährt nach einem kurzen Gespräch mit seinem Freund, endlich wieder los. Länger hätte ich es hier auch nicht mehr ausgehalten.
--> Farewell Life von Nights Amore - https://www.youtube.com/watch?v=eD0XEH3qVCk
Später in Grand Portage
Die ganze Rückfahrt war für mich eigenartig – genauso wie der restliche Abend. Ich bin zwar geistig anwesend aber irgendwie auch wieder nicht, spüre Sam immer wieder um mich aber fühle mich wiederum auch irgendwie allein. Mein Glück hat mich inzwischen vollständig verlassen und das wird mir von Stunde zu Stunde mehr klar. Wenn es wirklich einen Gott gibt, wo ist er dann? Warum hat er das zugelassen? Weshalb tut er mir das weiterhin an? Keiner kann mir eine Antwort darauf geben.
Ich liege im dunklen Zimmer in meinem Bett auf der Seite und starre zur Tür, durch die ein heller Strahl des Flurlichtes scheint. Die ganze Zeit über habe ich mich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Bis auf das ich atme und existiere, tue ich inzwischen absolut gar nichts mehr – nicht einmal nachdenken, nicht fühlen, nicht reden, nicht lachen, einfach gar nichts.
Der Lichtstrahl wird breiter und Sam öffnet langsam die Tür, um zu sehen, ob ich immer noch wachliege. Wortlos lehnt er sich mit den Händen in den Hosentaschen am Türrahmen an und schaut zu mir.
>Du schläfst ja immer noch nicht. <
>Ich kann einfach nicht. < flüstere ich und meine Stimmbänder fühlen sich so an, als hätte ich sie lange nicht benutzt.
>Hmm …< summt er und klingt dabei ziemlich verständnisvoll. Dann stößt er sich von der Tür ab und kommt ein paar Schritte auf mich zu. >Soll ich dich ausziehen? < fragt er, weil ich immer noch so leblos in meinen Klamotten daliege.
>Komme mir nicht mit dieser blöden Männerweisheit. Ich glaube, das mit dem Orgasmus funktioniert jetzt nicht. < erwidere ich sarkastisch. Er hingegen fängt an zu lachen und setzt sich dann zu mir aufs Bett.
>Das habe ich ganz sicher nicht gemeint. Ich finde nur, du solltest jetzt wirklich schlafen. Morgen hast du deinen ersten Tag. <
>Ach ja … da war ja was. < daran habe ich überhaupt keinen Gedanken mehr verschwendet. >Wie komme ich da überhaupt hin? <
>Ich fahre dich natürlich. <
>Wenn du von deinen Aufträgen kommst, bist du hundemüde. Wie willst du das mit deinem Job unter einen Hut bekommen? < will ich wissen und hebe meinen Kopf ein Stück an, um ihn besser sehen zu können.
>Heute werde ich dich auf keinen Fall alleinlassen und in der nächsten Zeit verbinde ich das Ganze gleich mit ein paar anderen Dingen. <
>Du willst mich ernsthaft jeden Tag fahren? < frage ich entgeistert. Die Strecke heute fand ich wirklich lang und wir haben mehr Zeit im Auto verbracht, als in der Schule.
>Klar oder willst du etwa dort bleiben? Es gibt dort natürlich auch Zimmer aber ich bin definitiv gegen eine neue Umgebung für dich, wenn es dir so geht wie jetzt. <
>Aber du verfährst so viel Sprit und Kilometer und …<
>Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. < wehrt er eilig ab. >Ich bin sozusagen mein eigener Chef. Ich kann meine Aufträge so legen, dass ich in der Zeit in der Nähe von dir etwas arbeiten kann. <
>Sam du arbeitest nachts. < stelle ich infrage.
>Was das Ausführen meiner Arbeit angeht ja, aber manchmal muss ich ein bisschen mehr nach Hinweisen graben. Das ist mal eine willkommene Abwechslung und ich arbeite zur selben Zeit in der Nähe, wo du dich aufhältst. Dort kläre ich dann ähnliche Dinge wie bei dem Kollegen deines Vaters – das kann man ruhig am Tag machen und bringt mich trotzdem mit den laufenden Aufträgen weiter. < ich nicke nur und fühle mich erschöpft, aber immer noch keineswegs in der Lage zu schlafen – dafür war es zu aufwühlend. >Auch wenn es für mich ungewohnt ist, zu so einer normalen Zeit schlafen zu gehen, sollte ich mich aufs Ohr hauen. <
>Wenigstens einer von uns beiden sollte das tun. < murmle ich.
>Oh nein. Du genauso – diese Schule wird dich geistig und körperlich fordern. Du musst für morgen fit sein, egal was heute passiert ist. Steh immer wieder auf und mach weiter. Dieser Rückschlag bedeutet nicht, dass alles vorbei ist. <
Da ist er ja wieder, der erbarmungslose Sam der sehen will, wie weit er mich treiben kann.
>Meine Familie wurde beerdigt und ich war nicht da. Dieser Rückschlag fühlt sich an, als hätte man mir ein glühendes Eisen komplett durch den Körper gerammt. <
Meine Stimme klingt so monoton, so weit weg und überhaupt nicht nach mir.
Sam legt eine Hand auf meinen Kopf und streicht mein Haar nach hinten.
>Ich weiß wie du dich fühlst und es tut mir schrecklich leid. <
Im Moment nicke ich lieber nur und gebe einen stockenden tiefen Seufzer von mir.
>Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann. < flüstere ich kaum hörbar.
>Das glaube ich ebenso wenig und genau deswegen solltest du dir helfen lassen. <
Er öffnet seine Hand und durch den hellen Schein des Flurlichtes sehe ich, dass er mir eine Spritze und ein verpacktes Antiseptikumtuch hinhält.
>Du willst mich gefügig machen? < frage ich schockiert.
>Nein ich will, dass du einen traumlosen Schlaf hast. Ich werde dich nicht zwingen aber du solltest sie dir geben lassen. <
>Na gut. < lenke ich einfach ein und strecke meinen Arm aus.
>Na gut? So einfach? < fragt er erstaunt. Ich zucke mit den Achseln. Diskussionen sind das Letzte, was ich jetzt will und keine Träume zu haben, klingt wie Musik in meinen Ohren. Daraufhin greift er meinen Arm und dreht ihn, damit er sich meine Vene vornehmen kann. Das kühle Gefühl des Desinfektionstuchs und des darauffolgenden Stichs spüre ich kaum.
Ich merke recht schnell, dass mich dieses Mittel erlahmen lässt, mehr als ich mich ohnehin schon fühle. Sam steht auf und setzt eine Plastikkappe auf die spitze Nadel.
>Bleibst du bei mir? Bitte …< hauche ich und muss mir Mühe geben meine Augen offenzulassen.
>Wenn es dir hilft, mache ich das. Ich komme gleich. <
Er verlässt das Zimmer und scheint im Badezimmer zu verschwinden. Solange er nicht bei mir ist, will ich unbedingt noch wach bleiben und ich muss immer wieder meine Augen weit aufreißen, damit sie mir nicht zufallen. Da es mir immer schwerer fällt, versuche ich meine Fingerspitzen zu berühren, doch selbst das bereitet mir Probleme.
Schließlich kommt Sam in das Zimmer zurück. Er trägt nur Unterwäsche und der Anblick lässt mich schon fast wieder wach werden. Das kleine Licht neben dem Bett schaltet er an und das im Flur aus. Dann kommt er zu mir und mustert mich einen kurzen Moment, ehe er sich dann zögernd auf das Bett setzt.
Selbst meine Sprache macht sich nicht mehr bemerkbar, denn ich will ihn fragen was er vorhat. Seine Hände gehen an den unteren Saum meines Oberteils und ziehen es nach oben. Behutsam greift er zu meinem Kopf und hebt ihn sanft an. Die Berührung seiner Hand auf meinem Körper bereitet mir eine Gänsehaut. Dann greift er zum Knopf an meiner Hose und öffnet ihn, um mich weiter auszuziehen.
Ich bemerke wie sein Blick eine Sekunde zu lange auf meinem Körper verweilt.
Jetzt bin ich definitiv wach aber das schlimmste ist, dass ich so entkräftet bin.
Sam sieht mich vor sich in BH und Slip liegen und ich kann mich kein Stück bewegen. Bei jedem anderen Mann würde mich jetzt Panik überkommen aber nicht bei ihm. Er legt meine Hose und das Oberteil über einen Stuhl und kommt dann zu mir. Eilig deckt er mich zu, schlüpft selbst unter die Decke und macht dann das Licht neben dem Bett aus. Seine Hand geht über meinen Bauch zu meiner Taille und er dreht mich mit dem Gesicht zu sich, wodurch mein Kopf auf seiner Brust liegt. Sein Herzschlag ist so beruhigend und dann fährt er mir auch noch mit einer Hand durch die langen Haare.
Er spielt mit der anderen Hand an seinem Handy herum und stellt einen Wecker, ehe es schließlich komplett dunkel im Zimmer wird. Ich höre in die Stille hinein, starre mit offenen Augen in die Finsternis. Noch immer fährt er durch meine Haare und neigt seinen Kopf zu mir.
>Es tut mir leid, dass ich Megan nicht wie versprochen angerufen habe. Ich hätte auf dich hören sollen. < flüstert er in mein Ohr. Ich glaube nicht, dass es die Sache besser gemacht hätte, also kann ich ihm auch keinen Vorwurf machen. Leider kann ich es ihm nicht sagen, da mein gesamter Körper keinen Befehl mehr von mir entgegennimmt.
Mein Gehirn funktioniert allerdings noch und ich werde das Gefühl nicht los, als hätte heute irgendetwas geendet. Ob es nun der letzte Draht zu meiner Familie war, das letzte bisschen Hoffnung auf meinen Freispruch oder das Beenden meines alten Lebens, weil ab morgen diese andere Identität ein Hauptbestandteil von mir sein wird.
Egal was es auch sein mag. Irgendwie ist alles, was zuvor passierte ein Abschnitt, der mich in hundert Teile spaltete und irgendwann einen anderen Menschen aus mir machen wird, als ich jetzt bin. Ob ich diesen Bruch nun will oder nicht …
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ich danke Euch für die vielen Zugriffe.
Nachdem es letzte Woche so viele Seiten gegeben hat, ist das heutige Kapitel etwas kürzer aber ich finde, mehr verträgt man heute auch nicht. Ich werde bei den zukünftigen Kapiteln immer wieder mal zwischendrin Links mit Songs einfügen, die zur Szene passen.
Lasst den Song einfach in einer Endlosschleife nebenher laufen, denn ich finde dadurch bekommt das Kapitel ein ganz besonderes Feeling. Jedenfalls geht es mir immer so.
Viel Spaß und liebste Grüße
Lynn
---------------------------------------------------------
Kapitel 38 - Nähe
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend wirken.
Bei dem Tempo, das Sam fährt, dürfte ein Blitzerfoto seine geringste Sorge sein. Ich hoffe die ganze Zeit, dass die Highway-Cops nicht irgendwo auf der Lauer liegen und uns anhalten. Bisher kamen wir in den letzten dreiundfünfzig Minuten allerdings gut durch. Weshalb ich das auf die Minute genau weiß? Weil ich andauernd auf diese verdammte Uhr im Armaturenbrett gesehen habe und dachte, sie wäre kaputt, so langsam schritt sie voran. Inzwischen habe ich mir meine Nagelhaut blutig gebissen und trotzdem mache ich immer noch weiter damit.
Das Viertel, in das wir fahren, scheint den Betuchteren zu gehören. Die Häuser, die hier stehen, sind halbe Villen und die Pools sind schon eher Schwimmbecken. Ich erkenne von meinem Sitz aus den Audi Q7 von Dimitrij. Sam lässt erneut sein Handy über die Freisprechanlage klingeln, allerdings nur einmal und dann legt er schon auf. Kurz darauf öffnet sich das Tor von Dimitrijs Zaun und Sam kann direkt reinfahren, um den Wagen eilig abzustellen.
>Komm schon. < drängt Sam und steigt bereits aus.
Hastig folge ich ihm zur Tür, an der wir bereits erwartet werden. Allerdings steht da nicht Dimitrij, sondern eine Frau mit kräftiger Statur.
>Guten Tag, Mister Lebedew wartet bereits in seinem Büro. Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen? < fragt sie höflich.
>Nein danke. < erwidert Sam, greift meinen Arm und zerrt mich an der Frau vorbei, der ich nicht mal „Hallo“ sagen kann.
>War das seine Frau? < frage ich flüsternd.
>Nein, seine Haushälterin. < würgt er schnell ab und läuft mit mir eine Treppe nach oben. Gleich beim zweiten Zimmer reißt er die Tür auf und Dimitrij schüttet sich vor Schreck den Inhalt einer Tasse in den Schoß.
>Ahh … Scheiße das ist heiß! < brüllt er und springt von seinem Stuhl auf. Irgendetwas flucht er daraufhin auf Russisch.
>Izvinite. < erwidert Sam offensichtlich ebenfalls auf Russisch und ich habe keine Ahnung, was das heißt. >Ich will nicht noch mehr Zeit verschwenden. <
Der Russe greift nach ein paar Zupftüchern und wischt damit seine Hose trocken.
>Was ist denn los? < knurrt er säuerlich.
Sam sagt erst nichts, sondern lässt mich los und schließt wütend die Tür mit seinem Fuß.
>Was los ist? Ihre Eltern und ihr Bruder wurden eingeäschert und gestern beerdigt. Wieso weiß ich nichts davon? < brüllt er Dimitrij schließlich an.
>Was? < keucht sein Freund ebenso verwundert. Er lässt sofort die Zupftücher zu Boden fallen und setzt sich eilig an seinen Laptop. Plötzlich wirkt er genauso aufgescheucht wie Sam. Verunsichert sehe ich zwischen beiden hin und her.
>Kann mir mal jemand sagen was hier los ist? Sie sind beerdigt worden, ja und? Ihr könnt mir glauben, dass das ziemlich beschissen für mich ist aber weshalb macht ihr deswegen so ein Theater? < frage ich bereits weinend. Inzwischen kann ich es nicht mehr unterdrücken, denn die Nervosität, die in der Luft ist, überträgt sich völlig auf mich. Sam kommt zu mir gelaufen und sieht mich eindringlich an.
>Ich habe vor einer Woche einen weiteren Pathologiebericht angefordert, weil der Vorhandene völliger Schwachsinn ist. Das ist demnach überhaupt nicht passiert, denn sonst wäre deine Familie immer noch auf Eis gelegt. <
>Ich verstehe immer noch nicht was du mir sagen willst. < hauche ich. Dimitrij dreht den Laptop um, damit Sam auf den Bildschirm sehen kann.
>Gestern stand davon noch nichts in der Akte. < verteidigt er sich und lässt Sam die Möglichkeit selbst zu lesen. >Sie haben sich Zeit gelassen mit dem Bericht. Er ist erst vor vier Stunden in der Fallakte gelandet. <
Mein Lebensretter presst seine Handballen gegen die Stirn und flucht sämtlich Schimpfwörter auf Russisch herunter – zumindest glaube ich das. Ich stehe dumm wie ein Schaf mitten im Raum und weiß nicht was das Problem ist. Ich weiß nur, dass es ein ziemlich großes sein muss, wenn Sam so reagiert und Dimitrij ebenso ratlos aussieht.
>Sagt mir endlich was los ist! < keife ich, weil es mir jetzt endgültig reicht.
Sam sieht mich an als wäre ihm gerade eingefallen, dass ich noch hinter ihm stehe. Er kommt wieder zu mir und packt mich energisch an beiden Armen.
>Verstehst du denn nicht? Ohne Leichen, gibt es drei wichtige Beweise weniger. <
Mir stockt der Atem. Logisch – keine Leichen, keine Einstichstellen, keine DNA.
>Pims´ Verschwinden hat sie eventuell hellhörig werden lassen. Gut möglich, dass sie nun Vorkehrungen getroffen haben, um sich herauszuwinden. < wendet Dimitrij ein. Sam lässt mich los und presst die Lippen aufeinander.
Das ist alles ein ganz, ganz übler Alptraum.
>Das ist unmöglich, weil sie sich in Sicherheit wiegen. Für sie ist Nayeli tot im Wasser gefunden worden. Niemand hat sie bisher gesehen. Du kannst mir glauben, ich war mehr als gründlich was das angeht. <
>Weshalb sind sie dann eingeäschert worden? < flucht Dimitrij und wirkt nun genauso gereizt.
>Megan sagte, dass sich mein Onkel darum gekümmert hätte und er wollte es so. < mische ich mich schluchzend in ihren Streit ein.
>Das ist völlig egal, was er wollte. < zischt Sam. >Normalerweise hätte man deine Familie noch nicht rausrücken dürfen. Bei Mordfällen ist das immer eine Sonderregelung und es dauert eigentlich ewig. Jemand wollte so schnell wie möglich, dass sie verschwinden. <
Er wendet sich wieder an seinen Freund und keift genauso umher wie ich zuvor. Ich höre gar nicht mehr zu und lasse sie diskutieren. Langsam laufe ich rückwärts von ihnen weg, schließe hinter mir die Tür und laufe die Stufen nach unten. Mein Blick verschleiert sich, als ich Sam verzweifelt brüllen höre:
>Wie zur Hölle soll ich sie jetzt noch da rausholen? <
Es endet also bevor es angefangen hat. Schon lustig, ich habe wirklich gedacht, Sam könnte mir dazu verhelfen, wieder mein normales Leben führen zu können. Offenbar habe ich mich geirrt. Ich schluchze los und setze mich auf eine der mittleren Treppenstufen.
Diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist zu viel für eine Person.
>Och Liebes. < wendet Dimitrijs Haushälterin besorgt ein und kommt ein paar Stufen zu mir hoch gelaufen. Die habe ich schon wieder total vergessen. Sofort wische ich meine Tränen weg und stehe auf.
>Tut mir leid, ich sollte hier eigentlich gar nicht sein. <
>Ach Unsinn. Kommen Sie, ich gebe Ihnen erstmal etwas zu trinken. < erwidert sie und nimmt mich bei der Hand. Sie führt mich in eine große, saubere Küche und schiebt einen Stuhl zur Seite, damit ich mich setzen kann.
Dann läuft sie um den Tisch herum und kramt ein Glas aus dem Schrank. Überstürzt gießt sie Wasser hinein und stellt es mir vor die Nase.
Zittrig nehme ich es entgegen. Zum Glück hat sie es nicht bis obenhin gefüllt, sonst würde mir die Hälfte herausschwappen. Ich schniefe und hickse. Diese Frau, die ich nicht mal kenne, streicht mir beruhigend über den Rücken und ist unglaublich warmherzig.
>Alles wird wieder gut, Sie werden schon sehen. <
>Nichts wird wieder gut. Ich bin am Arsch. <
>Mister Lebedew ist gut in seinem Job. Deswegen sind Sie doch sicher hier. <
Ich lache hysterisch auf und nehme wieder zittrig einen großen Schluck von dem Wasser. Wenn nicht mal Sam weiß, wie er mir noch helfen soll, dann weiß es niemand.
>Haben Sie vielleicht etwas anderes im Haus? < frage ich sie und nicke zu dem Glas.
Erst schaut sie mich so an, als wenn sie das nicht gutheißt, aber dann steht sie schließlich auf und verschwindet für einen Moment. Ich wische mir wieder über die Augen und sehe, dass mir der Mascara am Handrücken klebt. Wahrscheinlich habe ich ihn jetzt im ganzen Gesicht verteilt.
Sie kommt zurück mit einem Cognacglas und stellt es mir hin. Ich nehme einen großen Schluck und treibe ihn vollständig in meinen Körper. Kurz darauf reicht sie mir auch ein Taschentuch. Schniefend greife ich danach und wische mir die verschmierte Schminke weg.
>Danke. < japse ich. >Wie heißen Sie überhaupt? <
>Nennen Sie mich Miranda. <
>Könnten Sie mir das noch mal vollmachen Miranda? <
Das Glas stelle ich ihr vor die Nase und sie macht große Augen, weil es bereits leer ist. Trotzdem dackelt sie davon und kommt meiner Bitte nach.
Sam und Dimitrij kommen eine gefühlte Ewigkeit nicht nach unten und brüllen sich offensichtlich immer noch an. Dafür leistet mir die Haushälterin Gesellschaft. Sie fragt nicht nach meinem Namen und nicht nach meiner Geschichte. Es ist gut möglich, dass öfter solche Leute wie ich vor Dimitrijs Tür stehen und sie solche Wracks gewohnt ist.
Inzwischen ist meine Hand nicht mehr ganz so zittrig aber dafür brennen meine Augen unangenehm, weil ich immer noch heule. Da hilft auch das vierte Glas Cognac nicht.
Endlich höre ich die erlösenden Schritte und leises Gemurmel im Treppenhaus. Miranda verzieht sich daraufhin in ein Nebenzimmer. Kurz danach sehe ich Sam in der Tür stehen. Er schaut mich genauso an, wie am ersten Tag – mit diesen kalten, bohrenden Augen.
Er kommt allerdings ruhiger zu mir gelaufen, als ich es anhand seines Blickes angenommen hätte. Seufzend setzt er sich neben mich und sagt beruhigend:
>Sich so zu betäuben hilft nicht Kleines. Ich finde einen anderen Weg. <
Er nimmt das Glas aus meiner Hand und kippt sich den Rest selbst in den Rachen. Dann wischt er mit beiden Daumen meine Tränen weg. Sein Blickkontakt hält so lange an, dass es mir wieder unangenehm wird. Aber mein Kopf fühlt sich so unsagbar schwer an, dass ich ihn nicht wegdrehen kann.
>Was willst du tun? Wenn es keine Beweise gibt, dann kann mich niemand auf der Welt entlasten. Ich könnte die teuersten Anwälte in den gesamten Staaten anheuern und sie könnten mir nicht helfen. <
>Anwälte haben nicht die Möglichkeiten, die ich habe. <
>Die drei Kerle hätten mich lieber auch umbringen sollen. < hauche ich und sehe zum Boden.
>Sag das nie wieder! < keucht er wütend. >Dass du noch lebst, hast du deinem Durchhaltevermögen zu verdanken. Das ist das Einzige, was dich über Wasser hält. Verliere das jetzt nicht. <
>Dass ich noch lebe, habe ich dir zu verdanken und nichts anderem. < rede ich nasal und wische mir die nächsten Tränen weg. Mein Kopf sinkt immer mehr in seine Hände hinein.
>Einen kleinen Verdienst hast du daran auch. < grinst er matt. >Lass uns nach Hause fahren, wir sind hier fertig. <
>Ich fürchte, wenn du mich jetzt loslässt, dann falle ich nach vorn. Das waren vier Gläser. < nuschle ich.
Daraufhin steht er auf und nimmt mich vom Stuhl hoch.
Miranda fasst sich bei meinem Anblick erschrocken an die Brust.
>Schon gut. Es ist nicht Ihre Schuld. < wendet Sam sofort ein. Auch Dimitrij nehme ich jetzt wahr aber meine Augen schließen sich, wodurch gleich wieder eine Träne hervorquillt.
>Es tut mir unsagbar leid, dass uns das entgangen ist. < erklärt er mir, als Sam kurz vor ihm stehengeblieben ist. >Ich weiß noch nicht wie, aber wir schaffen das schon. <
Ich nicke bloß und lasse mich schließlich von Sam nach draußen tragen. Behutsam setzt er mich ins Auto und fährt nach einem kurzen Gespräch mit seinem Freund, endlich wieder los. Länger hätte ich es hier auch nicht mehr ausgehalten.
--> Farewell Life von Nights Amore - https://www.youtube.com/watch?v=eD0XEH3qVCk
Später in Grand Portage
Die ganze Rückfahrt war für mich eigenartig – genauso wie der restliche Abend. Ich bin zwar geistig anwesend aber irgendwie auch wieder nicht, spüre Sam immer wieder um mich aber fühle mich wiederum auch irgendwie allein. Mein Glück hat mich inzwischen vollständig verlassen und das wird mir von Stunde zu Stunde mehr klar. Wenn es wirklich einen Gott gibt, wo ist er dann? Warum hat er das zugelassen? Weshalb tut er mir das weiterhin an? Keiner kann mir eine Antwort darauf geben.
Ich liege im dunklen Zimmer in meinem Bett auf der Seite und starre zur Tür, durch die ein heller Strahl des Flurlichtes scheint. Die ganze Zeit über habe ich mich keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Bis auf das ich atme und existiere, tue ich inzwischen absolut gar nichts mehr – nicht einmal nachdenken, nicht fühlen, nicht reden, nicht lachen, einfach gar nichts.
Der Lichtstrahl wird breiter und Sam öffnet langsam die Tür, um zu sehen, ob ich immer noch wachliege. Wortlos lehnt er sich mit den Händen in den Hosentaschen am Türrahmen an und schaut zu mir.
>Du schläfst ja immer noch nicht. <
>Ich kann einfach nicht. < flüstere ich und meine Stimmbänder fühlen sich so an, als hätte ich sie lange nicht benutzt.
>Hmm …< summt er und klingt dabei ziemlich verständnisvoll. Dann stößt er sich von der Tür ab und kommt ein paar Schritte auf mich zu. >Soll ich dich ausziehen? < fragt er, weil ich immer noch so leblos in meinen Klamotten daliege.
>Komme mir nicht mit dieser blöden Männerweisheit. Ich glaube, das mit dem Orgasmus funktioniert jetzt nicht. < erwidere ich sarkastisch. Er hingegen fängt an zu lachen und setzt sich dann zu mir aufs Bett.
>Das habe ich ganz sicher nicht gemeint. Ich finde nur, du solltest jetzt wirklich schlafen. Morgen hast du deinen ersten Tag. <
>Ach ja … da war ja was. < daran habe ich überhaupt keinen Gedanken mehr verschwendet. >Wie komme ich da überhaupt hin? <
>Ich fahre dich natürlich. <
>Wenn du von deinen Aufträgen kommst, bist du hundemüde. Wie willst du das mit deinem Job unter einen Hut bekommen? < will ich wissen und hebe meinen Kopf ein Stück an, um ihn besser sehen zu können.
>Heute werde ich dich auf keinen Fall alleinlassen und in der nächsten Zeit verbinde ich das Ganze gleich mit ein paar anderen Dingen. <
>Du willst mich ernsthaft jeden Tag fahren? < frage ich entgeistert. Die Strecke heute fand ich wirklich lang und wir haben mehr Zeit im Auto verbracht, als in der Schule.
>Klar oder willst du etwa dort bleiben? Es gibt dort natürlich auch Zimmer aber ich bin definitiv gegen eine neue Umgebung für dich, wenn es dir so geht wie jetzt. <
>Aber du verfährst so viel Sprit und Kilometer und …<
>Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. < wehrt er eilig ab. >Ich bin sozusagen mein eigener Chef. Ich kann meine Aufträge so legen, dass ich in der Zeit in der Nähe von dir etwas arbeiten kann. <
>Sam du arbeitest nachts. < stelle ich infrage.
>Was das Ausführen meiner Arbeit angeht ja, aber manchmal muss ich ein bisschen mehr nach Hinweisen graben. Das ist mal eine willkommene Abwechslung und ich arbeite zur selben Zeit in der Nähe, wo du dich aufhältst. Dort kläre ich dann ähnliche Dinge wie bei dem Kollegen deines Vaters – das kann man ruhig am Tag machen und bringt mich trotzdem mit den laufenden Aufträgen weiter. < ich nicke nur und fühle mich erschöpft, aber immer noch keineswegs in der Lage zu schlafen – dafür war es zu aufwühlend. >Auch wenn es für mich ungewohnt ist, zu so einer normalen Zeit schlafen zu gehen, sollte ich mich aufs Ohr hauen. <
>Wenigstens einer von uns beiden sollte das tun. < murmle ich.
>Oh nein. Du genauso – diese Schule wird dich geistig und körperlich fordern. Du musst für morgen fit sein, egal was heute passiert ist. Steh immer wieder auf und mach weiter. Dieser Rückschlag bedeutet nicht, dass alles vorbei ist. <
Da ist er ja wieder, der erbarmungslose Sam der sehen will, wie weit er mich treiben kann.
>Meine Familie wurde beerdigt und ich war nicht da. Dieser Rückschlag fühlt sich an, als hätte man mir ein glühendes Eisen komplett durch den Körper gerammt. <
Meine Stimme klingt so monoton, so weit weg und überhaupt nicht nach mir.
Sam legt eine Hand auf meinen Kopf und streicht mein Haar nach hinten.
>Ich weiß wie du dich fühlst und es tut mir schrecklich leid. <
Im Moment nicke ich lieber nur und gebe einen stockenden tiefen Seufzer von mir.
>Ich glaube nicht, dass ich schlafen kann. < flüstere ich kaum hörbar.
>Das glaube ich ebenso wenig und genau deswegen solltest du dir helfen lassen. <
Er öffnet seine Hand und durch den hellen Schein des Flurlichtes sehe ich, dass er mir eine Spritze und ein verpacktes Antiseptikumtuch hinhält.
>Du willst mich gefügig machen? < frage ich schockiert.
>Nein ich will, dass du einen traumlosen Schlaf hast. Ich werde dich nicht zwingen aber du solltest sie dir geben lassen. <
>Na gut. < lenke ich einfach ein und strecke meinen Arm aus.
>Na gut? So einfach? < fragt er erstaunt. Ich zucke mit den Achseln. Diskussionen sind das Letzte, was ich jetzt will und keine Träume zu haben, klingt wie Musik in meinen Ohren. Daraufhin greift er meinen Arm und dreht ihn, damit er sich meine Vene vornehmen kann. Das kühle Gefühl des Desinfektionstuchs und des darauffolgenden Stichs spüre ich kaum.
Ich merke recht schnell, dass mich dieses Mittel erlahmen lässt, mehr als ich mich ohnehin schon fühle. Sam steht auf und setzt eine Plastikkappe auf die spitze Nadel.
>Bleibst du bei mir? Bitte …< hauche ich und muss mir Mühe geben meine Augen offenzulassen.
>Wenn es dir hilft, mache ich das. Ich komme gleich. <
Er verlässt das Zimmer und scheint im Badezimmer zu verschwinden. Solange er nicht bei mir ist, will ich unbedingt noch wach bleiben und ich muss immer wieder meine Augen weit aufreißen, damit sie mir nicht zufallen. Da es mir immer schwerer fällt, versuche ich meine Fingerspitzen zu berühren, doch selbst das bereitet mir Probleme.
Schließlich kommt Sam in das Zimmer zurück. Er trägt nur Unterwäsche und der Anblick lässt mich schon fast wieder wach werden. Das kleine Licht neben dem Bett schaltet er an und das im Flur aus. Dann kommt er zu mir und mustert mich einen kurzen Moment, ehe er sich dann zögernd auf das Bett setzt.
Selbst meine Sprache macht sich nicht mehr bemerkbar, denn ich will ihn fragen was er vorhat. Seine Hände gehen an den unteren Saum meines Oberteils und ziehen es nach oben. Behutsam greift er zu meinem Kopf und hebt ihn sanft an. Die Berührung seiner Hand auf meinem Körper bereitet mir eine Gänsehaut. Dann greift er zum Knopf an meiner Hose und öffnet ihn, um mich weiter auszuziehen.
Ich bemerke wie sein Blick eine Sekunde zu lange auf meinem Körper verweilt.
Jetzt bin ich definitiv wach aber das schlimmste ist, dass ich so entkräftet bin.
Sam sieht mich vor sich in BH und Slip liegen und ich kann mich kein Stück bewegen. Bei jedem anderen Mann würde mich jetzt Panik überkommen aber nicht bei ihm. Er legt meine Hose und das Oberteil über einen Stuhl und kommt dann zu mir. Eilig deckt er mich zu, schlüpft selbst unter die Decke und macht dann das Licht neben dem Bett aus. Seine Hand geht über meinen Bauch zu meiner Taille und er dreht mich mit dem Gesicht zu sich, wodurch mein Kopf auf seiner Brust liegt. Sein Herzschlag ist so beruhigend und dann fährt er mir auch noch mit einer Hand durch die langen Haare.
Er spielt mit der anderen Hand an seinem Handy herum und stellt einen Wecker, ehe es schließlich komplett dunkel im Zimmer wird. Ich höre in die Stille hinein, starre mit offenen Augen in die Finsternis. Noch immer fährt er durch meine Haare und neigt seinen Kopf zu mir.
>Es tut mir leid, dass ich Megan nicht wie versprochen angerufen habe. Ich hätte auf dich hören sollen. < flüstert er in mein Ohr. Ich glaube nicht, dass es die Sache besser gemacht hätte, also kann ich ihm auch keinen Vorwurf machen. Leider kann ich es ihm nicht sagen, da mein gesamter Körper keinen Befehl mehr von mir entgegennimmt.
Mein Gehirn funktioniert allerdings noch und ich werde das Gefühl nicht los, als hätte heute irgendetwas geendet. Ob es nun der letzte Draht zu meiner Familie war, das letzte bisschen Hoffnung auf meinen Freispruch oder das Beenden meines alten Lebens, weil ab morgen diese andere Identität ein Hauptbestandteil von mir sein wird.
Egal was es auch sein mag. Irgendwie ist alles, was zuvor passierte ein Abschnitt, der mich in hundert Teile spaltete und irgendwann einen anderen Menschen aus mir machen wird, als ich jetzt bin. Ob ich diesen Bruch nun will oder nicht …
Ende von Teil 1
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