Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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26.10.2018
3.534
Kapitel 36 - Selbstverteidigung
>Kimberly. < murmle ich. Noch vor kurzem dachte ich mal, dass ich dafür beten werde, wieder ein normales Leben führen zu können – wenn es sein muss auch unter einem anderen Namen. Und da ist er nun, dieser Name. Ich frage mich wie lange er mich verfolgen wird und ob ich ihn für den Rest meines Lebens tragen werde.
>Sag mal heißt du eigentlich wirklich Sam? < kommt mir plötzlich in den Sinn. Er feixt und nickt.
>Ich bin in keinem Zeugenschutzprogramm und muss nichts ändern. <
>Hmm. Wer weiß das schon bei dir? < brabble ich verwaschen damit er es nicht unbedingt hört und hüpfe aus dem Wagen heraus. Erst dann sehen mich die Leute, die zum Rauchen an der Seite stehen und rücken weiter von uns ab. Sam wirft ihnen einen bösen Blick zu und läuft dann vor in das kleine Gebäude, das auch eine Turnhalle sein könnte.
Sobald ich den Eingang betrete, wird mir klar, dass es auch nichts anderes als das ist. Es sitzen bereits eine handvoll Frauen auf einer langen Bank und schwatzen aufgeregt miteinander. Verdutzt sehe ich zu ihnen rüber. Bisher hat Sam recht behalten – offensichtlich bin ich die Jüngste. Ich folge ihm durch den Raum und bemerke erst einen Moment später, wen er ansteuert. Ein Mann so groß wie er, mit ähnlich trainiertem Körperbau, dreht uns den Rücken zu und befindet sich auf einem Podest, wo er irgendwelche Utensilien sortiert. Sind wir hier wirklich richtig?
>Jetzt tu nicht so als würdest du arbeiten. < ruft Sam ihm zu. Daraufhin dreht sich der Kerl zu uns um und grinst breit. Mir hingegen wirft er nur einen kurzen Blick zu.
>Mit irgendetwas muss man doch sein Geld verdienen. < erwidert er in einem russischen Akzent wie Dimitrij und beide schlagen sich auf die Schultern, während einer kurzen Umarmung. Sam hat also doch Freunde, obwohl er es immer abstreitet.
>Ich habe dir jemanden mitgebracht. Das ist Kimberly und sie hat ein paar Stunden nötig. Du weißt genau, wer sie ist. < betont er so eigenartig leise und sein Freund wirkt erstaunter. Erst dachte er wohl, dass wir beide gar nicht zusammengehören, aber nun klärt sich sein Blick auf. Dann wendet sich Sam mir zu.
>Kim, das ist Lukaz. Er leitet den Kurs und ist dein Trainer. <
>Hi. < stammle ich nur und versuche mich an einem Grinsen. Dieser Lukaz reicht mir die Hand und ich ergreife sie.
>Freut mich sehr dich endlich zu treffen, Kim Grant. <
Ich verstehe zwar was er sagt, aber bei ihm muss ich mich mehr darauf konzentrieren, als bei Dimitrij. Sein Akzent ist noch sehr überlegen. Wann hat Sam den Leuten in seinem Umfeld eigentlich von mir erzählt? Meistens scheinen die Personen immer zu wissen, wer ich bin aber ich weiß nie wer mir gegenübersteht. Woher kennt er den falschen Nachnamen?
Ich sehe mich weiter um, da alle paar Minuten vereinzelte Grüppchen oder Personen zu zweit reinkommen. Ganz offensichtlich schließt man sich bei solchen Kursen mit einer Freundin zusammen.
Sam und Lukaz haben sich inzwischen etwas Abseits verzogen und unterhalten sich leise. Dieser Trainer hat ein relativ breites Gesicht mit breiter Nase, helle Augen und ganz leicht abstehende Ohren. Er lässt sich einen kurzen Bart stehen, hat dafür aber etwas längere Haare, die er sich seitlich gelt. Dimitrijs Kopfform und Gesichtszüge sind die gleichen und so langsam finde ich es irgendwie faszinierend, wie jede Nationalität ein typisches Aussehen hat und es nicht nur Klischees sind. Um hier nicht so allein und dumm herumzustehen, setze ich mich auf eine der Bänke und beobachte meine Mitmenschen.
Allmählich frage ich mich aber ernsthaft, ob ich hier falsch eingeteilt bin. Es kommen fast nur Frauen rein – allerdings deutlich älter als ich. Die nächste Teilnehmerin ist eine Dunkelhäutige und kommt durch ihr Übergewicht hineingewuchtet. Sie trägt eine tief sitzende Bauchtasche, die durch ihren Bauch halb verdeckt ist und hat eine dieser offenen Schirmmützen auf dem Kopf. Zwei andere Frauen, die ich so alt schätze wie meine Mutter, kommen in Caprihosen, Gucci-Sonnenbrillen und mit Föhnwelle hinein. Das kann doch nicht sein Ernst sein. In dem Moment als ich sehe, dass Sam wieder auf mich zuläuft, stehe ich auf und laufe ihm entgegen.
>Du Sam, ich glaube, ich bin hier in einem falschen Kurs gelandet. < flüstere ich.
>Nein es gibt nur diesen. Deine Mitleidensgenossen sehen doch ganz nett aus. < scherzt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
>Ganz nett? < quietsche ich und bemühe mich wieder leiser zu reden. >Hast du dich mal umgesehen? Die da hinten in der Ecke sieht so aus, als bräuchte sie jetzt schon ein Sauerstoffzelt. < Ich deute auf die Gute mit dem Schirmmützchen, die sich schnaufend Luft zu fächert.
>Ich habe dir doch gesagt, dass diese Kurse für die zivile Bevölkerung sind. Da sind nun mal auch die guten Hausfrauen dabei oder die, die bei Kentucky an der Kasse arbeiten. < nuschelt er und neigt sich leicht zu mir rüber. >Um ehrlich zu sein, sollten diese Kurse anfangs nur ein Fake sein. Niemand dachte, dass sich letzten Endes so viele anmelden würden. Allerdings hat der Schulleiter es dabei belassen, weil der Kurs ein gutes Alibi ist und das Geld, was er hiermit einnimmt, wird für die Schule auf der anderen Seite benutzt. <
>Was für Geld? < frage ich in einem besorgten Unterton.
>Glaubst du das Ganze hier ist kostenlos? <
>Sam, bitte sag mir nicht, dass du hier Unmengen für mich bezahlst. Das ist doch verrückt. <
>Noch bezahle ich gar nichts. Du sollst heute erstmal nur hineinschnuppern. Aber du weißt wie sehr es mich beruhigen würde, wenn du das hier machen würdest. <
Ich sehe mich erneut um. Kann ich hier denn wirklich etwas lernen?
Skeptisch beäuge ich wieder diesen Lukaz. Der sieht ja hingegen so aus, als könnte er mir tatsächlich etwas beibringen.
>Gib dem Ganzen einfach eine Chance, okay? < flüstert er und ich nicke wehmütig. Lukaz klatscht ein paar Mal in die Hände und ruft uns alle zu sich. >Na dann bis später Kleines. Ich bin nebenan und habe noch was zu erledigen. Ich hole dich nachher ab. <
>Okay. < murmle ich und gehe zu den anderen.
>Keine Sorge, das schaffst du mit links. < spricht er mir Mut zu und verschwindet durch die Tür. Na der hat gut reden. Sobald ich mich neben den quatschenden Frauen eingereiht habe, pfeift unser Trainer über Daumen und Zeigefinger und sorgt damit für Ruhe.
>So Ladies. < beginnt er und umgeht damit schon mal den einzigen Mann in der Runde. >Ich bin Lukaz. Dieser Kurs ist in drei Abschnitte unterteilt und findet einmal die Woche hier statt. Heute ist nur die Einführung und deswegen will ich, dass ihr das nächste Mal alle ein paar Sportklamotten mitbringt, damit ihr euch bewegen könnt. Lasst eure schicken Brillen und Uhren zu Hause – die braucht ihr hier nicht. <
Bei dem Wort „Sport“ rümpft die übergewichtige Lady bereits die Nase. Was hat sie denn gedacht, was wir hier tun?
>Natürlich zeige ich euch keine Dinge, die den Angreifer in eine lebensbedrohliche Situation bringen. Ich zeige euch die, die euch dabei helfen genug Zeit zu schinden, um Hilfe zu holen. Ihr verteidigt euch, sorgt im besten Falle für ein k.o. und holt die Polizei oder eine andere Person. <
Das klingt aber sehr unamerikanisch. Ich dachte, man zeigt uns den Mister-Spock-Todesgriff und am besten noch die Methoden, wie wir die Leiche am geschicktesten verscharren. Oh, da ist er ja plötzlich wieder, mein Sarkasmus. Ich hatte ihn in den letzten drei Wochen schon vermisst.
Weitere zehn Minuten stehen wir einfach nur da und hören uns an, was uns unser Trainer zu sagen hat. Zwar hört es sich spannend an aber ich glaube immer noch, dass ich die falsche Zielgruppe bin. Mit Abstand bin ich hier die Jüngste. Allerdings lernen viele junge Mädchen bereits von ihren Vätern wie sie sich zu verteidigen haben. Es gibt rosafarbene aber tödlich echte Pistolen, die eine 6-Jährige bedienen kann. Ich fand diesen Sport – besonders bei kleinen Kindern, immer krank aber welcome to america. So leben wir. Es gab Mitschülerinnen, die nicht nur ihren Abschluss an der Highschool bekamen, sondern auch noch gleichzeitig einen Pokal beim Sportschießen oder vom Jagdverein.
Mein Vater zeigte es mir zwar auch aber er brachte mir trotzdem den Respekt vor Waffen bei. Niemand von uns beiden hätte geglaubt, dass ich es mal brauchen könnte.
Ich schaue aus den Fenstern, wo ich nur Bäume sehe. Irgendwo dahinter ist diese andere Schule. Die Schule, die aus einer ganz gewöhnlichen und kaputten Frau wie mir, eine Kopfgeldjägerin machen könnte und in der es wahrscheinlich anders zur Sache geht als hier drin. Klingt das in meinem Kopf realistisch? Ich weiß nicht aber der Reiz – eine von ihnen zu sein, ist irgendwie vorhanden. Die Schüler, die dort neben dem Eingang standen, wirkten so stahlhart, so entschlossen und so taff. Ich wäre auch gern so.
Lukaz unterbricht meine Gedanken als er erneut in seine Hände klatscht und uns anweist, uns einen Partner zu suchen. Na ganz toll …
Ich stehe am weitesten von allen weg und ehe ich in der Mitte bin, haben sich schon die meisten gefunden. Suchend blicke ich umher, als sich Lukaz vor mich stellt.
>Die da hinten hat noch keinen Partner. Susan heißt sie glaube ich. <
Er zeigt auf die übergewichtige Frau mit dem benötigten Sauerstoffzelt. Ich starre ihn schockiert an. Darauf zuckt er entschuldigend mit den Achseln und geht zurück zur Mitte des Raumes. Ich laufe stattdessen ermattet zu ihr rüber, die grinsend keinen Meter auf mich zugelaufen kommt.
>Hi. < versuche ich möglichst freundlich von mir zu geben.
>Ja hiii, ich bin Susan. < kichert sie und hält mir ihre dicken Stummelfinger hin, damit ich ihre Hand schütteln kann.
>Kim. < gebe ich knapp zurück.
Lukaz erklärt uns die drei Abschnitte, in die der Kurs unterteilt ist. Wir beginnen nächste Woche damit Handgriffe abzuwehren. Danach geht es weiter mit der eigentlichen Verteidigung, falls es wirklich mal zu einer gefährlichen Situation kommt. Allerdings scheint es hier mehr um Deeskalation zu gehen. Prinzipiell finde ich das gut aber ausgerechnet hier habe ich etwas ganz anderes erwartet. Die Frauen hören ihm offenbar gar nicht richtig zu und kichern und tratschen umher. Mich würde das wahnsinnig an seiner Stelle machen.
Als es ihm schließlich zu bunt wird, pfeift er erneut und die Frauen stellen sich stocksteif hin, grinsen sich aber an, sobald er ihnen den Rücken zudreht. Vielleicht sollten sie lieber wieder auf ihren Golfplatz zurückkehren.
Als ich glaube, dass es heute tatsächlich nur ein paar Erklärungen und Theorie gibt, ändert unser Kursleiter doch noch seine Richtung und will eine kleine Demonstration zeigen.
Darauf bin ich jetzt wirklich gespannt und will das unbedingt sehen.
>Kimberly, komm her. Ich will es an dir zeigen. < wirft er zu meiner Überraschung ein. Verdutzt lasse ich meine verschränkten Arme am Körper herabfallen und sehe umher. Kurzzeitig hoffe ich, dass er eine andere Kimberly meint aber er sieht mich an.
>Was soll ich tun? <
>Stell dich an die Wand <
Na gut wie er will. Wahrscheinlich muss ich das hinterher mit Susan machen und tue was er sagt. Lukaz nimmt sich meine Arme, ohne mir vorher eine Anweisung zu geben und überkreuzt sie vor der Brust. Ich muss kurz den Atem anhalten, um nicht wegen der schmerzenden Haltung aufzuquietschen. Lukaz reagiert sofort darauf, flüstert ein leises „entschuldige“ zu mir und gibt weniger Druck auf meinen Arm. Wie viel weiß er über mich? Dann drückt er mich in dieser Haltung gegen die Wand und fixiert mich, sodass ich Beklemmungen bekomme.
>Ich will euch zeigen, dass ihr keine Leistungssportler sein müsst, um euch aus so einer Position zu befreien. Mit dem richtigen Hebel schafft ihr es. < Dann wendet er sich mir zu. >Versuch mal mich wegzuschieben. <
Keuchend drücke ich einfach nur gegen ihn und versuche meine Arme herauszuziehen aber er steht da wie ein Fels in der Brandung. Da habe ich doch null Chance. Er lässt mich ungefähr eine Minute allein herumprobieren, in denen ich versuche, ihn von mir zu schieben. Mir fehlt es einfach an Kraft.
>Wie ihr seht würde es Kim nicht schaffen, mich wegzuschieben. Ich wiege locker 40 Kilo mehr als sie. < Eben! Mit Drücken und Schieben komme ich hier wahrscheinlich nicht weiter, außer dass ich mich selbst fertigmache. >Überlege was du tun könntest. < sagt er nur an mich gewandt.
>Ich will dir ja wirklich nicht wehtun Lukaz aber ich würde dir unter anderen Umständen einfach zwischen die Beine treten. < gebe ich von mir und die Frauen um mich herum beginnen herzhaft zu lachen. Sind die doof? Haben die überhaupt schon mal in so einer Situation festgesteckt? Dieser Reflex hat mir in dieser mörderischen Nacht womöglich mein Leben gerettet.
>Psst. < zischt er in die Menge und wartet bis es wieder ruhiger ist. Der ganze Kurs ist eher wie ein Hühnerstall. >Kim hat recht, das ist bei einem Mann sehr effektiv. Funktioniert im Übrigen auch bei Frauen, wenn ihr den Schambeinknochen gut trefft. Aber nehmen wir mal an, ihr könnt das mit dem Tritt nicht machen – aus welchen Gründen auch immer. Wenn euch so etwas passiert wie das, dann bringt es nichts sich selbst auszupowern, indem ihr versucht, den Angreifer wegzuschieben. Benutzt nicht die Muskelkraft, sondern die Hebelwirkung. <
Er schaut kurz in der Menge umher und zeigt mir dann zweimal die Bewegung, die ich machen soll. Ich finde es erstaunlich, dass ich dabei meine Schultern so locker lassen soll, um nur den Oberkörper zu bewegen. Aber es funktioniert. In einem bestimmten Winkel drehe ich mich aus seinen Armen heraus und könnte ihm mit meiner freien Hand jetzt eine verpassen. Er will, dass wir die Position tauschen und ich ihn festhalte. Er dreht sich so schnell heraus, dass ich es kaum sehe, obwohl ich direkt davorstehe. Und genau das fasziniert mich so sehr.
Danach sind die anderen an der Reihe und ich muss mich tatsächlich mit Susan herumplagen. Sie scheint ja nett zu sein aber sie fragt bereits nach einem einzigen Griff, wie das nochmal war.
Offensichtlich war es für heute nur diese eine Technik, um zu demonstrieren, was wir demnächst machen werden. Wir üben nur etwa zehn Minuten und die kurze praktische Vorführung endet hier schon. Danach redet unser Kursleiter wieder mehr darüber, gewisse Techniken anzuwenden. Eines fällt mir jedoch auf – er spricht die ganze Zeit davon, dass wir uns verteidigen müssen, wenn wir bedrängt oder angegriffen werden – und das mit dem eigenen Körper, nicht mit einer Waffe. Lernen wir das etwa überhaupt nicht? Inzwischen bin ich regelrecht angefixt. Die Frauen um mich herum gehen mir immer mehr und mehr auf den Wecker. Susan will mir andauernd irgendwelchen Kram über sich erzählen während Lukaz redet, aber ich mache gelegentlich „Hmm“ oder „Aha“ und hoffe, dass sie mir keine Frage stellt.
Die Erklärungen von unserem Kursleiter habe ich regelrecht aufgesaugt aber leider ist diese Einführungsstunde bereits durch. Die Schar an Frauen im mittleren Alter ist schneller wieder weg als sie gekommen ist. Sam ist allerdings noch nicht da, also laufe ich rüber zu Lukaz, der ein paar seiner Sachen zusammenpackt.
>Wir lernen hier nur das Abwehren, wenn wir Opfer von Handgreiflichkeiten werden, oder? < frage ich nach.
>Ja. Etwas anderes ist in diesen Kursen nicht vorgesehen. <
>Wenn jemand eine Pistole auf mich richtet, dann habe ich keine Chance. < wende ich ein.
>Das stimmt nur bedingt. Ist der Angreifer in deiner Nähe – und damit meine ich in deiner unmittelbaren Nähe, gibt es auch dazu Techniken ihm die Waffe zu entreißen. <
>Und die lerne ich hier? <
>Nein. Das ist ein reiner Abwehrkurs, der dir helfen kann, wenn die Deeskalation nicht funktioniert. <
Ich stutze. Was soll mir das dann bringen? Sam will, dass ich sicherer bin. Aber jetzt mal ehrlich … fast jeder dritte Amerikaner besitzt eine Waffe. Ich bin wohl kaum sicherer ohne ihn, nur weil ich jetzt weiß, wie ich mich in einem günstigen Winkel wegdrehen muss.
Ich gehe weg und setze mich auf eine Stufe des Podestes bis Sam hier ist. Das ist doch bescheuert. Aber wenn mich nun mal etwas auszeichnet, dann ist es, dass ich meine Versprechen halte. Ich habe ihm gesagt ich würde dem hier eine Chance geben, also kann ich mich in der nächsten Woche nach Herzenslust mit Susan abmühen. Lukaz läuft mit gepackten Sachen kurz an mir vorbei, stellt dann aber die Sachen neben mir ab, um sich neben mich zu setzen. Verdutzt schaue ich zu meiner Linken.
>Weißt du wer ich bin, Nayeli? < fragt er mich. Meine Augen werden riesig als er meinen Namen ausspricht. Ich bin schon fast geneigt, panisch um mich herumzuschauen. >Ich bin jemand, der von Sam angeheuert wurde, um die Männer zu finden, die dir das angetan haben. < statt ihm eine klug wirkende Antwort zu geben, stammle ich nur unzusammenhängende Wörter aneinander. Ich hatte schließlich keine große Ahnung wer er ist. Lukaz feixt. >Und nun frage ich mich, was du hier tust? Sam hat dich nicht vorher angekündigt. <
>Wie ist das denn gemeint? <
>Was hast du in meinem Kurs zu suchen? Das ist ein Alibikurs, um den einzigen direkten Eingang zur Schule abzuschotten. Niemand der hier herkommt, weiß was wir hier eigentlich machen. Aber du schon. <
>Sam wollte, dass ich hier mitmache. Er dachte, ich könnte ein bisschen was lernen. <
>Willst du denn etwas lernen? < fragt er mich eindringlich.
>Naja … zu Anfang nicht direkt. < gebe ich ehrlich zu. >Ich wollte hiervon nicht sonderlich viel hören aber es fasziniert mich. Die Vorstellung nicht mehr hilflos sein zu müssen, finde ich großartig und irgendwie würde ich schon gern mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich will keine Albträume mehr haben und auch nicht in ständiger Angst leben, dass sie mich finden könnten. Ich würde sie wirklich gern loswerden aber ich glaube nicht, dass ich das schaffe, indem ich deeskaliere, wenn sie wieder vor mir stehen. <
Lukaz grinst und nickt.
>Die Frage ist, wie weit würdest du gehen, um das zu haben, was du willst? <
Das ist eine gute Frage. Wie weit kann man denn gehen? Würde ich es wirklich gern selbst tun und sie aus dem Weg räumen? Ja, ganz klar – ich würde es.
>Wenn es sein muss, bis an mein Limit. < flüstere ich leise. Ich dachte in letzter Zeit immer wieder, ich wäre dort bereits gewesen aber ich ging immer weiter und weiter darüber hinaus.
>Dann ist nicht diese stinkende Halle mit diesen nervigen Weibern dein Weg, sondern es ist der da. < erwidert er und nickt zum Fenster, raus zu den Bäumen. Dorthin, wo die Schule ist, die Bounty Hunter nach der dritten Stufe auf die Menschheit loslässt.
>Das sagte Sam auch schon. <
>Tja weißt du was? Der sture Klugscheißer hat leider immer recht und das kotzt mich meistens an. Zum Glück ist er hässlich wie die Nacht – so ist es gerecht verteilt auf der Welt. < betont er laut lachend und schielt nach vorn zum Eingang. Ich blicke auf und da steht Sam grinsend im Türrahmen. Lukaz springt von dem Podest und setzt sich in Bewegung.
>Wie lange stehst du da schon? < rufe ich Sam zu. Statt von ihm eine Antwort zu bekommen, sagt Lukaz im Vorbeigehen:
>Seit gut zwei Minuten. <
Ich stehe ebenfalls auf und folge ihm.
>Und? < fragt mein Retter erwartungsvoll, als ich bei ihm bin. >Das hier war nichts für dich, oder? <
Ich schiele kurz zu Lukaz rüber, immerhin will ich ihn ja nicht kränken, denn er scheint mit dem richtigen Publikum ein sehr guter Lehrer zu sein.
>Naja … es wäre möglich, dass ich nicht so ganz hier reinpasse. < erkläre ich vorsichtig.
>Stimmt. < erwidern beide Männer gleichzeitig und grinsen sich so komisch an.
>Wie ist dein Plan Kleines? < will Sam wissen.
>Ich habe keinen Plan - nur so eine verrückte Idee. Hältst du es für möglich, dass ich einen Einblick in diese Schule dort drüben bekomme? <
>Und ob. Hautnah. < daraufhin hält er mir meinen Pass hin und einen Durchschlag von einem DIN A4 Formular.
>Was ist das? < frage ich verwirrt und drehe den grünen Zettel um.
>Deine Anmeldung. Du wirst eine Kopfgeldjägerin. <
>Was? Aber ich habe mich doch gerade erst dazu entschlossen, mir das mal anzusehen. Was hättest du gemacht, wenn ich hier schreiend herausgerannt wäre? <
>Wärst du nicht. Mir war klar, dass du dich heute umentscheiden würdest, wenn ich dich in diesen Kurs stecke. Du bist nämlich eine zu-viel-Frau. Du willst es ganz oder gar nicht und machst keine halben Sachen. <
Ich schnaube belustigt auf. Lukaz kennt diesen Insider von uns beiden zwar nicht aber dennoch nickt er und geht nach draußen.
>Kimberly. < murmle ich. Noch vor kurzem dachte ich mal, dass ich dafür beten werde, wieder ein normales Leben führen zu können – wenn es sein muss auch unter einem anderen Namen. Und da ist er nun, dieser Name. Ich frage mich wie lange er mich verfolgen wird und ob ich ihn für den Rest meines Lebens tragen werde.
>Sag mal heißt du eigentlich wirklich Sam? < kommt mir plötzlich in den Sinn. Er feixt und nickt.
>Ich bin in keinem Zeugenschutzprogramm und muss nichts ändern. <
>Hmm. Wer weiß das schon bei dir? < brabble ich verwaschen damit er es nicht unbedingt hört und hüpfe aus dem Wagen heraus. Erst dann sehen mich die Leute, die zum Rauchen an der Seite stehen und rücken weiter von uns ab. Sam wirft ihnen einen bösen Blick zu und läuft dann vor in das kleine Gebäude, das auch eine Turnhalle sein könnte.
Sobald ich den Eingang betrete, wird mir klar, dass es auch nichts anderes als das ist. Es sitzen bereits eine handvoll Frauen auf einer langen Bank und schwatzen aufgeregt miteinander. Verdutzt sehe ich zu ihnen rüber. Bisher hat Sam recht behalten – offensichtlich bin ich die Jüngste. Ich folge ihm durch den Raum und bemerke erst einen Moment später, wen er ansteuert. Ein Mann so groß wie er, mit ähnlich trainiertem Körperbau, dreht uns den Rücken zu und befindet sich auf einem Podest, wo er irgendwelche Utensilien sortiert. Sind wir hier wirklich richtig?
>Jetzt tu nicht so als würdest du arbeiten. < ruft Sam ihm zu. Daraufhin dreht sich der Kerl zu uns um und grinst breit. Mir hingegen wirft er nur einen kurzen Blick zu.
>Mit irgendetwas muss man doch sein Geld verdienen. < erwidert er in einem russischen Akzent wie Dimitrij und beide schlagen sich auf die Schultern, während einer kurzen Umarmung. Sam hat also doch Freunde, obwohl er es immer abstreitet.
>Ich habe dir jemanden mitgebracht. Das ist Kimberly und sie hat ein paar Stunden nötig. Du weißt genau, wer sie ist. < betont er so eigenartig leise und sein Freund wirkt erstaunter. Erst dachte er wohl, dass wir beide gar nicht zusammengehören, aber nun klärt sich sein Blick auf. Dann wendet sich Sam mir zu.
>Kim, das ist Lukaz. Er leitet den Kurs und ist dein Trainer. <
>Hi. < stammle ich nur und versuche mich an einem Grinsen. Dieser Lukaz reicht mir die Hand und ich ergreife sie.
>Freut mich sehr dich endlich zu treffen, Kim Grant. <
Ich verstehe zwar was er sagt, aber bei ihm muss ich mich mehr darauf konzentrieren, als bei Dimitrij. Sein Akzent ist noch sehr überlegen. Wann hat Sam den Leuten in seinem Umfeld eigentlich von mir erzählt? Meistens scheinen die Personen immer zu wissen, wer ich bin aber ich weiß nie wer mir gegenübersteht. Woher kennt er den falschen Nachnamen?
Ich sehe mich weiter um, da alle paar Minuten vereinzelte Grüppchen oder Personen zu zweit reinkommen. Ganz offensichtlich schließt man sich bei solchen Kursen mit einer Freundin zusammen.
Sam und Lukaz haben sich inzwischen etwas Abseits verzogen und unterhalten sich leise. Dieser Trainer hat ein relativ breites Gesicht mit breiter Nase, helle Augen und ganz leicht abstehende Ohren. Er lässt sich einen kurzen Bart stehen, hat dafür aber etwas längere Haare, die er sich seitlich gelt. Dimitrijs Kopfform und Gesichtszüge sind die gleichen und so langsam finde ich es irgendwie faszinierend, wie jede Nationalität ein typisches Aussehen hat und es nicht nur Klischees sind. Um hier nicht so allein und dumm herumzustehen, setze ich mich auf eine der Bänke und beobachte meine Mitmenschen.
Allmählich frage ich mich aber ernsthaft, ob ich hier falsch eingeteilt bin. Es kommen fast nur Frauen rein – allerdings deutlich älter als ich. Die nächste Teilnehmerin ist eine Dunkelhäutige und kommt durch ihr Übergewicht hineingewuchtet. Sie trägt eine tief sitzende Bauchtasche, die durch ihren Bauch halb verdeckt ist und hat eine dieser offenen Schirmmützen auf dem Kopf. Zwei andere Frauen, die ich so alt schätze wie meine Mutter, kommen in Caprihosen, Gucci-Sonnenbrillen und mit Föhnwelle hinein. Das kann doch nicht sein Ernst sein. In dem Moment als ich sehe, dass Sam wieder auf mich zuläuft, stehe ich auf und laufe ihm entgegen.
>Du Sam, ich glaube, ich bin hier in einem falschen Kurs gelandet. < flüstere ich.
>Nein es gibt nur diesen. Deine Mitleidensgenossen sehen doch ganz nett aus. < scherzt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
>Ganz nett? < quietsche ich und bemühe mich wieder leiser zu reden. >Hast du dich mal umgesehen? Die da hinten in der Ecke sieht so aus, als bräuchte sie jetzt schon ein Sauerstoffzelt. < Ich deute auf die Gute mit dem Schirmmützchen, die sich schnaufend Luft zu fächert.
>Ich habe dir doch gesagt, dass diese Kurse für die zivile Bevölkerung sind. Da sind nun mal auch die guten Hausfrauen dabei oder die, die bei Kentucky an der Kasse arbeiten. < nuschelt er und neigt sich leicht zu mir rüber. >Um ehrlich zu sein, sollten diese Kurse anfangs nur ein Fake sein. Niemand dachte, dass sich letzten Endes so viele anmelden würden. Allerdings hat der Schulleiter es dabei belassen, weil der Kurs ein gutes Alibi ist und das Geld, was er hiermit einnimmt, wird für die Schule auf der anderen Seite benutzt. <
>Was für Geld? < frage ich in einem besorgten Unterton.
>Glaubst du das Ganze hier ist kostenlos? <
>Sam, bitte sag mir nicht, dass du hier Unmengen für mich bezahlst. Das ist doch verrückt. <
>Noch bezahle ich gar nichts. Du sollst heute erstmal nur hineinschnuppern. Aber du weißt wie sehr es mich beruhigen würde, wenn du das hier machen würdest. <
Ich sehe mich erneut um. Kann ich hier denn wirklich etwas lernen?
Skeptisch beäuge ich wieder diesen Lukaz. Der sieht ja hingegen so aus, als könnte er mir tatsächlich etwas beibringen.
>Gib dem Ganzen einfach eine Chance, okay? < flüstert er und ich nicke wehmütig. Lukaz klatscht ein paar Mal in die Hände und ruft uns alle zu sich. >Na dann bis später Kleines. Ich bin nebenan und habe noch was zu erledigen. Ich hole dich nachher ab. <
>Okay. < murmle ich und gehe zu den anderen.
>Keine Sorge, das schaffst du mit links. < spricht er mir Mut zu und verschwindet durch die Tür. Na der hat gut reden. Sobald ich mich neben den quatschenden Frauen eingereiht habe, pfeift unser Trainer über Daumen und Zeigefinger und sorgt damit für Ruhe.
>So Ladies. < beginnt er und umgeht damit schon mal den einzigen Mann in der Runde. >Ich bin Lukaz. Dieser Kurs ist in drei Abschnitte unterteilt und findet einmal die Woche hier statt. Heute ist nur die Einführung und deswegen will ich, dass ihr das nächste Mal alle ein paar Sportklamotten mitbringt, damit ihr euch bewegen könnt. Lasst eure schicken Brillen und Uhren zu Hause – die braucht ihr hier nicht. <
Bei dem Wort „Sport“ rümpft die übergewichtige Lady bereits die Nase. Was hat sie denn gedacht, was wir hier tun?
>Natürlich zeige ich euch keine Dinge, die den Angreifer in eine lebensbedrohliche Situation bringen. Ich zeige euch die, die euch dabei helfen genug Zeit zu schinden, um Hilfe zu holen. Ihr verteidigt euch, sorgt im besten Falle für ein k.o. und holt die Polizei oder eine andere Person. <
Das klingt aber sehr unamerikanisch. Ich dachte, man zeigt uns den Mister-Spock-Todesgriff und am besten noch die Methoden, wie wir die Leiche am geschicktesten verscharren. Oh, da ist er ja plötzlich wieder, mein Sarkasmus. Ich hatte ihn in den letzten drei Wochen schon vermisst.
Weitere zehn Minuten stehen wir einfach nur da und hören uns an, was uns unser Trainer zu sagen hat. Zwar hört es sich spannend an aber ich glaube immer noch, dass ich die falsche Zielgruppe bin. Mit Abstand bin ich hier die Jüngste. Allerdings lernen viele junge Mädchen bereits von ihren Vätern wie sie sich zu verteidigen haben. Es gibt rosafarbene aber tödlich echte Pistolen, die eine 6-Jährige bedienen kann. Ich fand diesen Sport – besonders bei kleinen Kindern, immer krank aber welcome to america. So leben wir. Es gab Mitschülerinnen, die nicht nur ihren Abschluss an der Highschool bekamen, sondern auch noch gleichzeitig einen Pokal beim Sportschießen oder vom Jagdverein.
Mein Vater zeigte es mir zwar auch aber er brachte mir trotzdem den Respekt vor Waffen bei. Niemand von uns beiden hätte geglaubt, dass ich es mal brauchen könnte.
Ich schaue aus den Fenstern, wo ich nur Bäume sehe. Irgendwo dahinter ist diese andere Schule. Die Schule, die aus einer ganz gewöhnlichen und kaputten Frau wie mir, eine Kopfgeldjägerin machen könnte und in der es wahrscheinlich anders zur Sache geht als hier drin. Klingt das in meinem Kopf realistisch? Ich weiß nicht aber der Reiz – eine von ihnen zu sein, ist irgendwie vorhanden. Die Schüler, die dort neben dem Eingang standen, wirkten so stahlhart, so entschlossen und so taff. Ich wäre auch gern so.
Lukaz unterbricht meine Gedanken als er erneut in seine Hände klatscht und uns anweist, uns einen Partner zu suchen. Na ganz toll …
Ich stehe am weitesten von allen weg und ehe ich in der Mitte bin, haben sich schon die meisten gefunden. Suchend blicke ich umher, als sich Lukaz vor mich stellt.
>Die da hinten hat noch keinen Partner. Susan heißt sie glaube ich. <
Er zeigt auf die übergewichtige Frau mit dem benötigten Sauerstoffzelt. Ich starre ihn schockiert an. Darauf zuckt er entschuldigend mit den Achseln und geht zurück zur Mitte des Raumes. Ich laufe stattdessen ermattet zu ihr rüber, die grinsend keinen Meter auf mich zugelaufen kommt.
>Hi. < versuche ich möglichst freundlich von mir zu geben.
>Ja hiii, ich bin Susan. < kichert sie und hält mir ihre dicken Stummelfinger hin, damit ich ihre Hand schütteln kann.
>Kim. < gebe ich knapp zurück.
Lukaz erklärt uns die drei Abschnitte, in die der Kurs unterteilt ist. Wir beginnen nächste Woche damit Handgriffe abzuwehren. Danach geht es weiter mit der eigentlichen Verteidigung, falls es wirklich mal zu einer gefährlichen Situation kommt. Allerdings scheint es hier mehr um Deeskalation zu gehen. Prinzipiell finde ich das gut aber ausgerechnet hier habe ich etwas ganz anderes erwartet. Die Frauen hören ihm offenbar gar nicht richtig zu und kichern und tratschen umher. Mich würde das wahnsinnig an seiner Stelle machen.
Als es ihm schließlich zu bunt wird, pfeift er erneut und die Frauen stellen sich stocksteif hin, grinsen sich aber an, sobald er ihnen den Rücken zudreht. Vielleicht sollten sie lieber wieder auf ihren Golfplatz zurückkehren.
Als ich glaube, dass es heute tatsächlich nur ein paar Erklärungen und Theorie gibt, ändert unser Kursleiter doch noch seine Richtung und will eine kleine Demonstration zeigen.
Darauf bin ich jetzt wirklich gespannt und will das unbedingt sehen.
>Kimberly, komm her. Ich will es an dir zeigen. < wirft er zu meiner Überraschung ein. Verdutzt lasse ich meine verschränkten Arme am Körper herabfallen und sehe umher. Kurzzeitig hoffe ich, dass er eine andere Kimberly meint aber er sieht mich an.
>Was soll ich tun? <
>Stell dich an die Wand <
Na gut wie er will. Wahrscheinlich muss ich das hinterher mit Susan machen und tue was er sagt. Lukaz nimmt sich meine Arme, ohne mir vorher eine Anweisung zu geben und überkreuzt sie vor der Brust. Ich muss kurz den Atem anhalten, um nicht wegen der schmerzenden Haltung aufzuquietschen. Lukaz reagiert sofort darauf, flüstert ein leises „entschuldige“ zu mir und gibt weniger Druck auf meinen Arm. Wie viel weiß er über mich? Dann drückt er mich in dieser Haltung gegen die Wand und fixiert mich, sodass ich Beklemmungen bekomme.
>Ich will euch zeigen, dass ihr keine Leistungssportler sein müsst, um euch aus so einer Position zu befreien. Mit dem richtigen Hebel schafft ihr es. < Dann wendet er sich mir zu. >Versuch mal mich wegzuschieben. <
Keuchend drücke ich einfach nur gegen ihn und versuche meine Arme herauszuziehen aber er steht da wie ein Fels in der Brandung. Da habe ich doch null Chance. Er lässt mich ungefähr eine Minute allein herumprobieren, in denen ich versuche, ihn von mir zu schieben. Mir fehlt es einfach an Kraft.
>Wie ihr seht würde es Kim nicht schaffen, mich wegzuschieben. Ich wiege locker 40 Kilo mehr als sie. < Eben! Mit Drücken und Schieben komme ich hier wahrscheinlich nicht weiter, außer dass ich mich selbst fertigmache. >Überlege was du tun könntest. < sagt er nur an mich gewandt.
>Ich will dir ja wirklich nicht wehtun Lukaz aber ich würde dir unter anderen Umständen einfach zwischen die Beine treten. < gebe ich von mir und die Frauen um mich herum beginnen herzhaft zu lachen. Sind die doof? Haben die überhaupt schon mal in so einer Situation festgesteckt? Dieser Reflex hat mir in dieser mörderischen Nacht womöglich mein Leben gerettet.
>Psst. < zischt er in die Menge und wartet bis es wieder ruhiger ist. Der ganze Kurs ist eher wie ein Hühnerstall. >Kim hat recht, das ist bei einem Mann sehr effektiv. Funktioniert im Übrigen auch bei Frauen, wenn ihr den Schambeinknochen gut trefft. Aber nehmen wir mal an, ihr könnt das mit dem Tritt nicht machen – aus welchen Gründen auch immer. Wenn euch so etwas passiert wie das, dann bringt es nichts sich selbst auszupowern, indem ihr versucht, den Angreifer wegzuschieben. Benutzt nicht die Muskelkraft, sondern die Hebelwirkung. <
Er schaut kurz in der Menge umher und zeigt mir dann zweimal die Bewegung, die ich machen soll. Ich finde es erstaunlich, dass ich dabei meine Schultern so locker lassen soll, um nur den Oberkörper zu bewegen. Aber es funktioniert. In einem bestimmten Winkel drehe ich mich aus seinen Armen heraus und könnte ihm mit meiner freien Hand jetzt eine verpassen. Er will, dass wir die Position tauschen und ich ihn festhalte. Er dreht sich so schnell heraus, dass ich es kaum sehe, obwohl ich direkt davorstehe. Und genau das fasziniert mich so sehr.
Danach sind die anderen an der Reihe und ich muss mich tatsächlich mit Susan herumplagen. Sie scheint ja nett zu sein aber sie fragt bereits nach einem einzigen Griff, wie das nochmal war.
Offensichtlich war es für heute nur diese eine Technik, um zu demonstrieren, was wir demnächst machen werden. Wir üben nur etwa zehn Minuten und die kurze praktische Vorführung endet hier schon. Danach redet unser Kursleiter wieder mehr darüber, gewisse Techniken anzuwenden. Eines fällt mir jedoch auf – er spricht die ganze Zeit davon, dass wir uns verteidigen müssen, wenn wir bedrängt oder angegriffen werden – und das mit dem eigenen Körper, nicht mit einer Waffe. Lernen wir das etwa überhaupt nicht? Inzwischen bin ich regelrecht angefixt. Die Frauen um mich herum gehen mir immer mehr und mehr auf den Wecker. Susan will mir andauernd irgendwelchen Kram über sich erzählen während Lukaz redet, aber ich mache gelegentlich „Hmm“ oder „Aha“ und hoffe, dass sie mir keine Frage stellt.
Die Erklärungen von unserem Kursleiter habe ich regelrecht aufgesaugt aber leider ist diese Einführungsstunde bereits durch. Die Schar an Frauen im mittleren Alter ist schneller wieder weg als sie gekommen ist. Sam ist allerdings noch nicht da, also laufe ich rüber zu Lukaz, der ein paar seiner Sachen zusammenpackt.
>Wir lernen hier nur das Abwehren, wenn wir Opfer von Handgreiflichkeiten werden, oder? < frage ich nach.
>Ja. Etwas anderes ist in diesen Kursen nicht vorgesehen. <
>Wenn jemand eine Pistole auf mich richtet, dann habe ich keine Chance. < wende ich ein.
>Das stimmt nur bedingt. Ist der Angreifer in deiner Nähe – und damit meine ich in deiner unmittelbaren Nähe, gibt es auch dazu Techniken ihm die Waffe zu entreißen. <
>Und die lerne ich hier? <
>Nein. Das ist ein reiner Abwehrkurs, der dir helfen kann, wenn die Deeskalation nicht funktioniert. <
Ich stutze. Was soll mir das dann bringen? Sam will, dass ich sicherer bin. Aber jetzt mal ehrlich … fast jeder dritte Amerikaner besitzt eine Waffe. Ich bin wohl kaum sicherer ohne ihn, nur weil ich jetzt weiß, wie ich mich in einem günstigen Winkel wegdrehen muss.
Ich gehe weg und setze mich auf eine Stufe des Podestes bis Sam hier ist. Das ist doch bescheuert. Aber wenn mich nun mal etwas auszeichnet, dann ist es, dass ich meine Versprechen halte. Ich habe ihm gesagt ich würde dem hier eine Chance geben, also kann ich mich in der nächsten Woche nach Herzenslust mit Susan abmühen. Lukaz läuft mit gepackten Sachen kurz an mir vorbei, stellt dann aber die Sachen neben mir ab, um sich neben mich zu setzen. Verdutzt schaue ich zu meiner Linken.
>Weißt du wer ich bin, Nayeli? < fragt er mich. Meine Augen werden riesig als er meinen Namen ausspricht. Ich bin schon fast geneigt, panisch um mich herumzuschauen. >Ich bin jemand, der von Sam angeheuert wurde, um die Männer zu finden, die dir das angetan haben. < statt ihm eine klug wirkende Antwort zu geben, stammle ich nur unzusammenhängende Wörter aneinander. Ich hatte schließlich keine große Ahnung wer er ist. Lukaz feixt. >Und nun frage ich mich, was du hier tust? Sam hat dich nicht vorher angekündigt. <
>Wie ist das denn gemeint? <
>Was hast du in meinem Kurs zu suchen? Das ist ein Alibikurs, um den einzigen direkten Eingang zur Schule abzuschotten. Niemand der hier herkommt, weiß was wir hier eigentlich machen. Aber du schon. <
>Sam wollte, dass ich hier mitmache. Er dachte, ich könnte ein bisschen was lernen. <
>Willst du denn etwas lernen? < fragt er mich eindringlich.
>Naja … zu Anfang nicht direkt. < gebe ich ehrlich zu. >Ich wollte hiervon nicht sonderlich viel hören aber es fasziniert mich. Die Vorstellung nicht mehr hilflos sein zu müssen, finde ich großartig und irgendwie würde ich schon gern mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich will keine Albträume mehr haben und auch nicht in ständiger Angst leben, dass sie mich finden könnten. Ich würde sie wirklich gern loswerden aber ich glaube nicht, dass ich das schaffe, indem ich deeskaliere, wenn sie wieder vor mir stehen. <
Lukaz grinst und nickt.
>Die Frage ist, wie weit würdest du gehen, um das zu haben, was du willst? <
Das ist eine gute Frage. Wie weit kann man denn gehen? Würde ich es wirklich gern selbst tun und sie aus dem Weg räumen? Ja, ganz klar – ich würde es.
>Wenn es sein muss, bis an mein Limit. < flüstere ich leise. Ich dachte in letzter Zeit immer wieder, ich wäre dort bereits gewesen aber ich ging immer weiter und weiter darüber hinaus.
>Dann ist nicht diese stinkende Halle mit diesen nervigen Weibern dein Weg, sondern es ist der da. < erwidert er und nickt zum Fenster, raus zu den Bäumen. Dorthin, wo die Schule ist, die Bounty Hunter nach der dritten Stufe auf die Menschheit loslässt.
>Das sagte Sam auch schon. <
>Tja weißt du was? Der sture Klugscheißer hat leider immer recht und das kotzt mich meistens an. Zum Glück ist er hässlich wie die Nacht – so ist es gerecht verteilt auf der Welt. < betont er laut lachend und schielt nach vorn zum Eingang. Ich blicke auf und da steht Sam grinsend im Türrahmen. Lukaz springt von dem Podest und setzt sich in Bewegung.
>Wie lange stehst du da schon? < rufe ich Sam zu. Statt von ihm eine Antwort zu bekommen, sagt Lukaz im Vorbeigehen:
>Seit gut zwei Minuten. <
Ich stehe ebenfalls auf und folge ihm.
>Und? < fragt mein Retter erwartungsvoll, als ich bei ihm bin. >Das hier war nichts für dich, oder? <
Ich schiele kurz zu Lukaz rüber, immerhin will ich ihn ja nicht kränken, denn er scheint mit dem richtigen Publikum ein sehr guter Lehrer zu sein.
>Naja … es wäre möglich, dass ich nicht so ganz hier reinpasse. < erkläre ich vorsichtig.
>Stimmt. < erwidern beide Männer gleichzeitig und grinsen sich so komisch an.
>Wie ist dein Plan Kleines? < will Sam wissen.
>Ich habe keinen Plan - nur so eine verrückte Idee. Hältst du es für möglich, dass ich einen Einblick in diese Schule dort drüben bekomme? <
>Und ob. Hautnah. < daraufhin hält er mir meinen Pass hin und einen Durchschlag von einem DIN A4 Formular.
>Was ist das? < frage ich verwirrt und drehe den grünen Zettel um.
>Deine Anmeldung. Du wirst eine Kopfgeldjägerin. <
>Was? Aber ich habe mich doch gerade erst dazu entschlossen, mir das mal anzusehen. Was hättest du gemacht, wenn ich hier schreiend herausgerannt wäre? <
>Wärst du nicht. Mir war klar, dass du dich heute umentscheiden würdest, wenn ich dich in diesen Kurs stecke. Du bist nämlich eine zu-viel-Frau. Du willst es ganz oder gar nicht und machst keine halben Sachen. <
Ich schnaube belustigt auf. Lukaz kennt diesen Insider von uns beiden zwar nicht aber dennoch nickt er und geht nach draußen.