Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
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Dieses Kapitel
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14.09.2018
5.966
Kapitel 30 – Sam´s Geständnis
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend wirken.
Als ich Sam am nächsten Tag unten in der Küche begegne, sieht er so aus wie gestern Abend. Zwar ziemlich müde und verschlafen, aber zumindest unfallfrei.
>Hallo Kimberly. Hast du in meinem Bett gut geschlafen? < grinst er und sitzt am Küchentisch mit dem Pass in der Hand.
>Oh Gott, das tut mir wirklich leid. Das war nicht geplant. < murmle ich und gähne. >Wie spät ist es denn? <
>Es ist fast Zwölf Uhr mittags. Ich bin auch erst vor einer halben Stunde aufgestanden, nachdem ich keine Chance mehr gehabt habe, an meine eigene Decke zu kommen. Wenn wir zwei uns weiterhin so die Nächte um die Ohren schlagen, dann ist das Frühstück vollkommen unnötig. <
Oh Gott ist das peinlich. Ich bin ernsthaft in seinem Bett eingeschlafen. Da oben habe ich absolut nichts verloren. Sicher denkt er, ich habe dort herumgeschnüffelt. Er hätte jedes recht gehabt, mich einfach nach unten zu verbannen.
>Du musst immer nachts arbeiten. Für mich war das nur mal eine Ausnahme, da sollte ich nicht herumjammern. < versuche ich von der eigentlichen Thematik abzulenken und bemühe mich, nicht einen knallroten Kopf zu bekommen. Sam gießt mir – ohne dass ich ihn darum bitten muss, frischen Kaffee in die Tasse ein und stellt mir die Milch dazu hin.
>Ich schätze mal, dass man dir bei dieser PR-Agentur geregelte Arbeitszeiten angeboten hat. Am Wochenende frei, bezahlter Urlaub und das volle Programm. <
>So ähnlich. Das ist wohl das, was die meisten wollen. < erwidere ich und wecke meine Lebensgeister, indem ich einen großen Schluck Kaffee nehme. Ich weiß gar nicht wie es Leute geben kann, die ohne Koffein munter werden können. Dann setze ich mich träge an seinen Tisch, umklammere meine Tasse und kaue an meinem Fingernagel herum. Ich habe ziemlich viel verrücktes Zeug in der Nacht geträumt und es noch sehr lebhaft in Erinnerung.
>Ich habe gerade noch eine Weile im Bett gelegen und nachgedacht und … ich würde dich gern etwas fragen. Darf ich? < taste ich mich vorsichtig heran.
>Du meinst wohl eher, du hast noch so lange in meinem Bett gelegen und dich nicht herunter getraut. Und sag mal, gehört das Sweatshirt nicht mir? <
Mir steigt die Hitze im Körper auf. War ja klar, dass er darauf herumreiten muss.
>Das tut mir wirklich leid. Sophia sagte, ich soll etwas Dunkles und Langes anziehen aber ich hatte gerade nichts Sauberes. Und als ich zurück war, wollte ich eigentlich nur dieses Bild auf deinem Schreibtisch anschauen, mehr nicht. Dann bin ich aber so müde gewesen. Oh Gott, das ist peinlich und sowas von blöd. < fluche ich vor mich hin.
>Über dich kann man sich herrlich amüsieren und dich so schnell aus der Fassung bringen. Ich habe eine Nacht bei dir unten verbracht und du eine bei mir oben – wir sind quitt. Also was wolltest du fragen? Selbst wenn ich „nein“ sage, wirst du es sowieso tun. Also frag. <
Perplex starre ich ihn an. Hat er sich schon wieder über mich lustig gemacht? So ein Arsch. Selbst jetzt grinst er noch so und ich sitze womöglich immer noch mit hochrotem Kopf vor ihm. Sobald ich meine Fassung wiedererlangt habe, gieße ich mir noch etwas mehr Milch in den Kaffee ein und überlege, wie ich es am besten anstelle.
>Ich wollte ein paar Dinge wissen. Gestern, da hat Sophia gesagt, ich könnte viel bewirken, wenn ich auch in dieser Branche arbeiten würde wie ihr und dass es wichtig sei Leute zu haben, die verstehen was es heißt alles verloren zu haben. Was genau gäbe es da für Möglichkeiten zu arbeiten? <
>Was genau heißt in der „Branche wie wir“? <
>Naja …< druckse ich herum. >Ich weiß gar nicht so recht als was ich das bezeichnen soll. In dieser Opferschutz-Sache. <
Sam's Augen weiten sich für einen kurzen Augenblick interessiert und sein amüsiertes Grinsen, wird zu einem begeisterten Lächeln.
>Prinzipiell ist es breit gefächert. Du siehst ja was Sophia und Dimitrij tun. Es gibt natürlich die Cops, das FBI oder die CIA - falls man lieber eine Auslandstätigkeit machen will, aber zu denen kennst du ja meine Meinung. Außerdem sind die Backgroundchecks sehr intensiv und sie nehmen nur die, die eine weiße Weste haben. Es gibt natürlich noch die Soldaten bei der Army oder reine Trainingszentren, die beispielsweise Kopfgeldjäger ausbilden. < bei meinem schockierten Blick ergänzt Sam: >Das ist hier ein anerkannter Beruf - ein gut bezahlter im Übrigen. Man nennt sie auch Bounty Hunter aber sie sind nicht ganz unabhängig. Sie bekommen einen Auftrag, suchen die kriminelle Person und schnappen sie um sie der Polizei auszuliefern. Ich finde es ist ein sehr ehrenvoller Job – es ist nur sehr ärgerlich, wenn du monatelang gesucht und gesucht hast, den Mistkerl endlich erwischst und die Polizei ihn doch wieder gehen lässt, da plötzlich ganz kuriose Beweise aufgetaucht sind oder eine Stange Geld zur Freilassung gezahlt wurde. Das wäre nichts für mich. <
>Und was gibt es sonst noch? < will ich wissen.
>Psychologen und sowas, die mit den Opfern ewig lange Gespräche führen. Aber weshalb interessiert dich das eigentlich? <
Er nimmt sich meine linke Hand, was mich verwundert. Dann kratzt er mit dem Fingernagel etwas an meiner Haut herum, wo ein abblätterndes falsches Stück Haut hängt. Er löst es sanft und zieht es über die komplette Handfläche weg. Meine falschen Fingerabdrücke lösen sich wie eine Schlangenhaut von mir.
>Nur so. Ich wollte es gern wissen. <
>Ich könnte dir zeigen, wie es geht. < nuschelt er eher zu sich selbst und macht das Gleiche mit meiner anderen Hand.
>Wie was geht? <
Er richtet sich auf, kneift die Augen zusammen als müsse er überlegen und seufzt.
>Ach schon gut. Vergiss es. War nur so ein Gedanke. <
>Nein sag es mir. <
Er zerknüllt die beiden „Handschuhe“ in seiner Faust und scheint zu überlegen, ob er wirklich mit der Sprache herausrücken soll. Irgendwas beschäftigt ihn – das sehe ich ihm an.
>Jetzt sag schon! < dränge ich erneut.
>Du hast gezeigt, dass du ganz passabel schießen kannst. Und ich denke immer noch, wenn du ausgebildet werden würdest und lernst dich zu verteidigen, dann könntest du …<
>Oh nein, lass mal gut sein. < unterbreche ich ihn lachend und winke ab. >Ich glaube, das ist nichts für mich. Es hat mich einfach nur interessiert, weil ich mich heute Morgen mit Sophia unterhalten habe. <
Sam sieht jetzt irgendwie verstimmt aus und einen Moment frage ich mich, ob ich irgendetwas angestellt habe. Wortlos aber mit angespannter Stirn wirft er meine Schlangenhaut in den Mülleimer und bleibt an der Küchenzeile gelehnt stehen.
>Habe ich was Falsches gesagt? < frage ich vorsichtig. Mist, ich hätte das nicht so ins Lächerliche ziehen sollen – ich Idiotin weiß doch wie er ist.
>Nein hast du nicht. Ich weiß nicht, warum ich das plötzlich denke und ich hätte es vorher nicht mal für möglich gehalten, aber ich sehe dich in so einem Job. Kein Akten abheften, Kundentelefonate führen und solchen Mist, sondern dort draußen die Typen jagen, die es verdienen. Du gehörst zu den Leuten, denen etwas Schreckliches passiert ist und in denen etwas brodelt, das herauswill. Du weißt es nur selbst noch nicht. <
>Sam, es tut mir wirklich leid dir diese Illusion nehmen zu müssen. Ich mache mir in die Hose, sobald ich alleine im Dunkeln bin und sobald hier irgendwelche Geräusche im Haus sind. Deswegen war ich in deinem Zimmer, weil ich mich irgendwie sicherer fühlte und nicht nur wegen des Fotos. <
>Hat dir das schon vorher Angst gemacht? < will er wissen.
>Nein, kein bisschen. Früher bin ich durch den gesamten Wald gelaufen, egal zu welcher Uhrzeit oder Helligkeit. Da fand ich die Geräusche um mich herum, eher beruhigend. <
Daraufhin mustert er mich durch zusammengekniffenen Augen, wippt mit seiner Fußspitze auf und ab und verschränkt die Arme vor der Brust.
>Das ist normal und es wird wieder vergehen, sobald du weißt, dass diese Kerle dir nichts mehr anhaben können. < er räuspert sich und lässt seine Arme bereits wieder fallen. Ungeduldig sieht er auf seine Hände und mir wird klar, dass irgendetwas gerade komisch ist. Wieso verhält er sich so zurückhaltend und wirkt so nervös? Offenbar weiß er überhaupt nicht wohin mit seinen Händen. Normalerweise würde er jetzt sagen, dass ich eine Nervensäge bin und er keine Fragen mehr beantwortet, aber er druckst herum und sieht aufgeregt aus.
>Irgendetwas beschäftigt dich doch. < mutmaße ich, worauf er mir einen Blick zuwirft, der mir das Blut gefrieren lässt.
>Ja, da hast du recht. Ich muss dir was sagen - es gibt nämlich Neuigkeiten. Wenn ich wüsste, dass es dir besser täte, wenn ich es dir später zeige, dann würde ich es tun. Aber ich weiß, dass es nicht so ist, also muss ich es dir erklären. Es wird Zeit, dass du erfährst, was ich herausbekommen habe. Warte hier! <
Er wirkt von jetzt auf gleich total stimmungsgeladen, als er die Küche verlässt und ich verstehe das gar nicht, da wir doch noch vor wenigen Augenblicken relativ locker darüber geredet haben. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich sowas doofes gefragt habe. Inzwischen weiß ich doch, wie er tickt. Aber diese Neuigkeiten interessieren mich brennend. Dann kommt er kurz darauf zurück und hält einen flachen Ordner in der Hand.
>Sam ich weiß, dass ich dich mit diesen Themen in Ruhe lassen soll. Es tut mir leid, ich wollte nur …<
>Nein schon gut. Darum geht es nicht. <
Sein Tonfall irritiert mich. Ich rühre mich nicht vom Fleck, als er sich wieder zu mir setzt. Den Ordner legt er auf den Küchentisch und schaut unheilvoll zu mir.
>Was ist denn los? < frage ich vorsichtig, denn ich weiß, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Er klappt den Ordner auf und dreht ihn zu mir herum, damit ich hineinsehen kann. Als Erstes sehe ich Fotos. Fotos von mir!
>Was ist das? < hauche ich.
>Ich habe herausgefunden, dass sich dein Vater eine erhebliche Summe Geld geliehen hat. Und das von jemandem, von dem er es lieber nicht angenommen hätte – eine Bank hätte ihm nichts gegeben, da die Kreditlast ohnehin schon ausgereizt war. Er konnte der Privatperson immer nur teilweise oder manchmal auch gar nichts zurückzahlen. Als es immer schlimmer mit den Anhäufungen und den Zahlungsverzögerungen wurde, bekam dein Vater Drohungen. Ein Mann namens Pims wurde auf dich und deinen Bruder angesetzt. Er machte Bilder von euch und ließ sie deinem Vater auf der Arbeit aushändigen. <
Ich sehe ein Bild wo ich gerade über den Campus laufe, ein weiteres wo ich mitten im Unterricht sitze und an einem Stift herumkaue und ein anderes, wo ich mitten im Hockeystadion Jordan und den Jungs zusehe, während ich zeichne.
>Ich wusste, ich hatte mir das nicht eingebildet. < wispere ich. Als ich das nächste Foto sehe, wird mir schlecht. Es ist ganz eindeutig dunkler draußen und wurde aus einem Auto heraus, in unsere Küche hinein fotografiert. Ich erkenne sogar noch einen Teil des Lenkrads und meinen fragenden Gesichtsausdruck auf dem Bild.
>Diese Situation erwähnte ich als Dimitrij hier war. Erst dachte ich, dass es mein Dad im Wagen war aber der Fahrer stand nur die ganze Zeit so herum. Ich bin an dem Abend rausgerannt, um diesen Autofahrer anzugehen. Er fuhr sofort weg und im selben Moment kam mein Dad um die Ecke. Als er bei mir war, gab er mir eine Ohrfeige, damit ich den Mund hielt. <
Sams Augen werden groß dabei. Ich schüttele nur den Kopf und versuche diesen Ausrutscher zu vergessen. Ich sehe weiter durch den Ordner. Dann kommen die Bilder von Iye. Es schnürt mir die Kehle zu, als ich ihn auf dem Schulhof beim Fußballspielen betrachte. Ich muss mir die Hand vor den Mund halten, um nicht loszuschluchzen.
>Jedenfalls war all das, was du gerade ansiehst, nur reine Panikmache. Dein Vater bekam die Bilder fast täglich in der Woche, in der der Mord passierte. <
>Deswegen seine komische Reaktion. Er wollte erst überhaupt nicht, dass ich ins Einkaufszentrum gehe und er hatte zuvor niemals eines seiner Kinder geschlagen. Ich war in dem Moment so hysterisch und er wollte nicht, dass Iye oder meine Mutter mich hörten. < hauche ich und eine Träne tropft auf das Bild meines Bruders.
>Das ergibt Sinn. Jedenfalls erklärt es, weshalb er vorher nichts weiter unternommen hat. Ihm wurde damit gedroht, dass er und seine Familie umgebracht werden würden, wenn er nicht bald zahlt. Und Pims schrieb auch als Warnung, wenn dein Vater die Polizei einschaltet, dann wäre seine Tochter die Erste die stirbt. Dieser Kerl war allerdings nur eine Art Bote. Die wirklichen Drei die das getan haben, bekamen nur den Auftrag von ihrem Boss, alle zu töten, die in diesem Haus leben. Ihnen wurde keine Personenzahl oder die Information übergeben, dass dort auch eine Tochter lebt. Deswegen waren sie so überrascht, als du aufgetaucht bist und sie wussten, sie müssen dich schnell aus dem Weg räumen. Das ist meistens so bei kleinen Handlangern, die die Drecksarbeit machen sollen. Jeder hat einen bestimmten Bereich, in dem er arbeitet und tut nur das, was ihm aufgetragen wird, ohne Fragen zu stellen. Der eine hat also keine Ahnung, was der andere zuvor tat. Für solche Bosse ist es immer am besten, die Untergebenen nie zu viel wissen zu lassen, damit sie nicht alles ausplaudern können, falls sie mal geschnappt werden. Pims wusste glücklicherweise nichts von dem Datum deines Abschlusses, sonst hätten sie den Tag X verschoben und du wärst ebenfalls tot. An dieser Stelle solltest du froh sein, dass er etwas schlampig bei seiner Recherche war. <
Ich schlucke und plötzlich löst sich ein entsetzliches Schluchzen aus meiner Kehle. Die brennenden Tränen wische ich mir weg und schniefe.
>Woher weißt du das? < will ich wissen und meine Stimme zittert.
>Ich habe mich eben ein wenig umgehört. <
>Sam! Hör auf mit diesen kryptischen Erklärungen. < keife ich, weil ich das im Moment absolut nicht gebrauchen kann.
>Okay, okay. Ich will nur nicht, dass du ausflippst. < er schluckt und fährt sich mit der Hand über den Kopf. >Ich habe Pims ausfindig gemacht, da von den anderen dreien derzeit jede Spur fehlt. Ich habe sie vorgestern verloren aber ich werde sie wiederfinden – da bin ich sicher. Jedenfalls waren seine Informationen besser als gar keine. <
>Was? < keuche ich und lasse das Bild von Iye aus meinen Händen fallen. >Du allein? Hast du eine Ahnung wie gefährlich diese Leute sind? Sam, ich wusste ja, dass du das vorhattest, sie zu finden aber das ist Wahnsinn, allein so jemandem hinterherzufahren. Ich dachte, du suchst nur nach Beweisen und triffst sie nicht persönlich. <
>Deine Sorge um mich in allen Ehren Kleines, aber ich kann gut auf mich selbst aufpassen. <
Ich sage nichts, sondern muss das erst sacken lassen. Meine Hände verblenden mir die Sicht auf ihn, weil ich mein Gesicht darin versunken halte. Dass Sam den Kerl gefunden hat, der Iye und mich ausspionierte, ist plötzlich zu nah und zu real für meinen Geschmack.
>Wie bist du bis hierhin gekommen? < frage ich und deute auf den Ordner mit den Fotos.
>Ich habe nachgesehen, wo dein Vater zuletzt gearbeitet hat. Dann war ich unter falschem Namen und unter falschem Vorwand dort. Ich habe mit einem alten Kollegen von ihm gesprochen. Er glaubt im Übrigen nicht, dass du es warst, aufgrund dessen, weil exakt er es war, der von Pims andauernd einen Briefumschlag erhielt. Dieser machte dem Kollegen zuvor begreiflich, dass er deinen Vater auf der Arbeit nicht finden könne und es sehr wichtig sein, dass er diese Dokumente bekommt. Dort waren auch die Fotos und der Drohbrief drin. Dein Vater hat das alles auf Arbeit in seinem Spind versteckt und dort habe ich das Zeug herausgeholt. Hätte sein Kollege vorher gewusst, was dort vor sich ging, dann hätte er die Polizei gerufen. Aber ich denke die hätte sowieso nichts getan, weil ja bis dato noch nichts passiert war – es wäre nur noch gefährlicher für euch geworden. Ich habe den Kollegen deines Vaters gefragt, ob er mir diesen dubiosen Mann beschreiben könne. Das Gespräch habe ich heimlich aufgenommen und es an Dimitrij geschickt, der die Person zeichnete. Dann war ich erneut bei diesem Kollegen. Bis auf ein paar Änderungen an dem Entwurf, konnte er den Mann bestätigen. Wir schickten die Zeichnung durch den Gesichtsscan und hatten ihn. <
>Und wo ist dieser Pims jetzt? < schniefe ich und wische mir erneut die Tränen der Verzweiflung weg. Was ist, wenn er mich findet?
>Das muss dich nicht mehr beschäftigen. Er hat mir alles gesagt, was er wusste und seine Leute verraten, wie es jeder immer wieder tut. Jetzt kann er dir nie wieder zu nahe kommen. <
Plötzlich werde ich hellhörig.
>Du hast ihn? Er ist im Gefängnis? < ich höre mich eindeutig erleichtert an. Immerhin ist er einer der Männer, der für meine Tragödie verantwortlich ist.
>Nein, er ist nicht im Gefängnis. < erwidert Sam rau und knurrt beinahe.
>Aber was ist dann mit ihm? <
Er sagt nichts, sondern sieht mich an. Seine Kiefermuskeln spannen sich an und auch an seinen verschränkten Händen treten, deutlich die Muskeln und Sehnen hervor.
>Sam was hast du getan? < frage ich nervöser. Auch jetzt sagt er immer noch nichts aber wendet den Blick nicht von mir. >Sam! <
>Er ist tot. Einer weniger aus diesem Clan. <
>Das ist …, ich meine ... < ich stammle unzusammenhängende weitere Wörter aneinander, doch ich habe ein ganz eigenartiges Gefühl, das ich kaum aussprechen kann. >Sam, hast du das getan? <
>Ja. <
Ich japse nach Luft und presse mich weiter in meinen Stuhl hinein.
>Nein, das glaube ich nicht. Du willst mir sagen du hast ihn …<
>Es ist mein Job das zu tun. < gesteht er mir leise.
>Was? A… aber du hast doch zu mir gesagt, du würdest keine Menschen umbringen. <
>Erstens sagte ich, dass ich keine unschuldigen Menschen umbringen würde. Zweitens: Würdest du diese Kerle als „Menschen“ bezeichnen, die dir das angetan haben? Ich bringe diejenigen um, die es verdienen und damit kann ich nachts gut schlafen. <
>Das ist es also, was du Nacht für Nacht tust? Du gehst da raus und holst dir die Leben von Menschen? < quietsche ich mit jedem Wort schriller und schriller.
>Das verstehst du nicht. < sagt er forsch. Ich beginne zu zittern und heftig zu atmen. Meine erste Intuition war also doch richtig. Er ist nicht so unschuldig, wie er mir glauben machen wollte. Er ist ein Monstrum.
Sam steht auf, während ich mich vor Angst in den Stuhl hineinpresse und kommt er um den Tisch herumgelaufen – näher und näher zu mir. Ich kneife unweigerlich die Augen zusammen, als er mein Gesicht in die Hände nimmt.
>Hör zu Kleines. Ich habe es dir einmal gesagt und ich sage es dir nochmal. Ich tue dir nichts an, niemals. Was ich mache, ist „aufräumen“. Ich knöpfe mir Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Mafiabosse und alle vor, die andere zum Vergnügen quälen. Sie alle stehen auf meiner Liste. Jetzt ist es sowieso egal, also kann ich es dir auch gleich erzählen. Ich bekomme unzählige Aufträge mit den Hinweisen auf die Personen, die plötzlich „verschwinden“ sollen – was sie getan haben, wie die Beweislage dazu aussieht, eventuell richterlich Urteile und sogar ihre Kreditkartenabrechnungen. Einfach alles. Ich allein entscheide, wen ich annehme. Wenn ich meine Auswahl getroffen habe, dann bekomme ich die Hinweise zugeschickt, wo sich die Person aufhält. Sobald sie für mich in greifbarer Nähe sind, mache ich mich auf den Weg. Früher war mir nur wichtig, dass die andere Seite dafür gut zahlte, aber inzwischen suche ich mir aus, wen ich kaltmache. Mich interessieren nicht die kleinen organisierten Banden – ich will an die großen Fische ran. An solche Menschen, die dir das angetan und dir fast dein Leben genommen haben. <
>Aber Sam, das macht dich doch ebenfalls zum Mörder. Um diese Menschen zu bestrafen, gibt es doch schließlich Gefängnisse und in manchen Teilen des Landes sogar die Todesstrafe. Ich dachte früher einmal, dazu gibt es doch die Polizei. <
>Du glaubst immer noch, es gibt nur zwei Arten von Menschen. Die Guten, die Gutes tun und die Bösen, die Böses tun. Aber was ist, wenn man manchmal Böses tun muss, damit es ein gutes Ende nimmt? Ich bin nicht einfach nur ein potenzieller Mörder. Ich erledige die Art Mensch, die normale Menschen wie dich zu Opfern machen und damit verhindere ich, dass es zu viele weitere wie dich gibt. Meine Zielgruppe beschränkt sich nur auf diese Leute. Das ist auch im Interesse der Staatsmacht, solche Meuten loszuwerden. Ich bin der Typ, der Leute im Auftrag der Regierung für Geld erschießt. <
>Das ist doch verrückt, wieso sollten die Behörden mit Leuten wie dir Geschäfte machen? < frage ich und presse mich keuchend immer mehr in den Stuhl hinein, um Abstand zu ihm zu bekommen.
>Hast du gewusst dass die Navy im 2. Weltkrieg einen Deal mit der Mafia gemacht hat, um die Schiffe an der Küste zu schützen? <
>Nein. <
>Es ist heute noch genauso wie damals. Es ergibt einfach Sinn sich zusammenzutun, weil beide Seiten davon profitieren. Irgendein Auftragskiller macht sich die Hände schmutzig und niemand muss etwas davon erfahren. <
Ich keuche und winde mich aus Sams Griff. Zu meiner Erleichterung lässt er mich los. Im Moment kann ich ihn nicht mal ansehen. Langsam rücke ich mit dem Stuhl vom Tisch weg und sehe zu Boden.
>Du hast gestern gesagt, du schießt nur, um damit zu jagen. < stottere ich fassungslos.
>Ich jage ja auch – seit Jahren jage ich sie alle da draußen, die Dreck am Stecken haben. Und Pims war der Erste aus den Reihen der Verantwortlichen, die zum Mord deiner Familie beigetragen haben. <
>Nein, das geht einfach nicht … du kannst nicht …<
>Das mit diesem Pims habe ich für dich getan! < brüllt er und schlägt mit der Faust auf den Tisch. >Wieso reagierst du so? <
Ich kneife vor Schreck die Augen zusammen, zittere am ganzen Körper und wimmere, bin unfähig mich zu rühren und vollkommen gelähmt. Sam hat mir gerade erklärt, dass er ein Auftragskiller ist. Mir wird schlecht und ich habe das Gefühl, als wenn sich mir jeden Moment der Magen umdreht.
>Ich habe dich für einen ganz anderen Menschen gehalten. Ich muss hier raus! < keuche ich und springe vom Suhl auf. Augenblicklich laufe ich aus der Küche heraus, direkt in seinen Flur. Sam ruft mir nur einmal hinterher aber er folgt mir nicht. Ich stoße seine Eingangstür auf und laufe schnurstracks in den Wald hinein. Mit jedem Schritt der mich von seinem Haus entfernt, fühle ich mich etwas wohler. Ich schlinge die Arme um meinen Körper, da der Wind etwas kühl ist aber ich laufe weiter. An einem größeren Baum halte ich an und ziehe mich daran hoch. Es tut ziemlich weh, wenn ich meine Muskeln so beanspruchen muss, aber lange nicht so sehr, wie die Enttäuschung über Sam. Stück für Stück hangle ich mich weiter nach oben und bleibe schließlich auf der Hälfte des Baumes auf einem dicken Ast sitzen. Ich strecke die Beine aus und lehne mich an den Stamm an. Von hier aus kann ich Sam's Haus sehen aber ich drehe meinen Kopf sofort davon weg. Ich kann es einfach nicht fassen. Mit allem möglichen habe ich gerechnet, aber dass ich ausgerechnet dem nächsten Mörder in die Arme laufe, macht mich vollkommen fertig. Ich schniefe ein paar Mal aber aus irgendeinem Grund kann ich gerade gar nicht mehr weinen – jedenfalls nicht für ihn. Vielleicht bin ich schon zu ausgetrocknet oder vielleicht ist es, weil Sam keine Bedeutung für mich hat. Aber als ich genauer drüber nachdenke, ist das eigentlich nicht wahr. Sam war für mich jemand, der mich auf eine eigenartige Weise aufgefangen hat. Meine verrücktesten Fantasien könnten sich nicht zusammenreimen, was ich ohne ihn getan hätte – sollte ich überhaupt überlebt haben.
Ein lautes Knallen der Tür lässt mich den Kopf anheben. Durch die Blätter hindurch kann ich ihn sehen, wie er langsam aus dem Haus herauskommt. Mit den Händen in den Hosentaschen läuft er runter zum Lake und sieht sich um. Ich sehe von hier aus nur, wie er den Kopf schüttelt und einen Stein wegtritt.
Dann lässt er sich müde wirkend auf den Baumstamm fallen und schnappt sich einen anderen Stein, den er über das Wasser hüpfen lässt. Ich wende meinen Blick von ihm ab.
Diese Fotos die von Iye und mir gemacht wurden, finde ich derart angsteinflößend, dass mir ganz anders wird. Manchmal hat man so ein eigenartiges Gefühl, wenn man beobachtet wird. Dieses Gefühl hatte ich mehrere Male und ich hätte besser darauf hören sollen. Aber was hätte mir das gebracht? Wahrscheinlich hätten sie uns dann tatsächlich noch schneller aus dem Weg räumen wollen. Mein Vater hat Bescheid gewusst, noch ehe ich es wusste. Ich kann nicht anders und denke wie feige er war. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich sowas von ihm denken könnte, aber in dem Fall muss ich Sam recht geben. In dieser Situation war mein Dad ein Feigling. Er hätte seine Familie einfach nachts von dort wegbringen müssen, solange es noch ging. Stattdessen hat er uns im Dunkeln gelassen und uns denen zum Fraß vorgeworfen. Er wollte mich arbeiten schicken, um somit die Schulden abzuzahlen, was auch hätte funktionieren können, wenn er nicht zu lange gewartet hätte. Und meine Mutter? Wie viel wusste sie wirklich davon? Ich nehme an, dass er sie auch angelogen hat, denn eine Mutter ist viel zu sorgenvoll und würde nicht zulassen, dass ihre Kinder bedroht werden. Eigentlich sollte auch kein Vater so etwas jemals zulassen. Ich will nicht, dass Sam diese Männer findet, denn ich würde sie lieber selbst finden und sie fragen, wie sie einen kleinen unschuldigen Jungen und dessen Eltern töten konnten. Wut steigt in mir auf, die so sehr gegen meinen Vater geht, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Auf was hat er gewartet? Dachte er diese Drohungen wären nur ein Bluff, um ihm Angst zu machen? Ich verstehe die Welt einfach nicht mehr. Das Bild, das ich jahrelang von meinem Vater hatte, ist plötzlich wie weggewischt. Ich war diejenige, die sich diesen Pims vorknöpfen wollte, als er uns vor dem Küchenfenster beschattete und mein Dad? Er tat gar nichts, außer mir dafür eine zu knallen, damit ich leise war.
Unter mir raschelt es und ich werfe automatisch einen Blick nach unten. Ich seufze auf, als ich sehe, dass Sam zu mir hochklettert. Ich war zwar nur gute zwanzig Meter von seinem Haus entfernt aber ich dachte, die Baumkrone würde mich gut verstecken. Er klettert offensichtlich nicht ganz so oft wie ich auf Bäume und braucht etwas länger, aber schließlich lässt er sich seufzend auf einen Ast etwas weiter neben mir nieder und lässt die Beine links und rechts davon baumeln.
Ich starre ihn wortlos an und er blickt ausdruckslos zu mir rüber. Wieso kann er mich jetzt nicht einfach in Ruhe lassen, damit ich weiterhin einen Groll gegen meinen Vater hegen kann?
Ich presse die Zähne aufeinander und wende meinen Blick von ihm ab, geradeaus Richtung Sonne, die irgendwo hinter den dicken Wolken versteckt sein muss.
Meine Hände werden irgendwie schwitzig bei seiner Anwesenheit. Beiläufig wische ich sie an der Hose ab und verschränke sie dann ineinander.
>Ich muss mich bald wieder an den Computer setzen. Darum finde ich, du solltest jetzt mit mir reden, wenn du das Bedürfnis hast. Es totzuschweigen bringt nichts. <
>Wer ist denn dieses Mal dran? < frage ich beiläufig, dabei läuft es mir eiskalt den Rücken runter.
>Ich schätze Daniel Looper. Seit Tagen bekomme ich bruchstückhaft Informationen von ihm. Er hält sich derzeit irgendwo in Minnesota auf. Ich denke, dass ich heute endlich den Rest geschickt bekomme und eingreifen kann. Die restlichen Infos der Personen, die ich im Vorlauf habe, sind noch nicht detailliert genug für mich. <
>Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, dass du mir eine Antwort gibst. < erwidere ich überrascht.
>Tja ich schätze, es ist nicht gerade clever, es dir zu verheimlichen. Ich wusste, dass du das Ganze bei deiner Vorgeschichte nicht gut aufnehmen würdest. Aber ich dachte, dass du es verstehen würdest, wenn ich es dir erkläre. <
>Wenn du es mir erklärst? Was gibt es da zu erklären? Du tust etwas Furchtbares und bist kein bisschen besser, als deine nächsten Opfer. < flüstere ich wütend.
Daraufhin zieht er eine Augenbraue hoch.
>Das denkst du also von mir? < er beißt sich auf die Lippe, räuspert sich kurz und steht dann vom Ast auf. Ich denke, dass er gehen wird, aber dann schwingt er sich zu mir rüber und kommt auf meinen Ast, der ziemlich herumwackelt. Verängstigt presse ich von hinten meine Arme am Stamm zusammen und meinen Rücken dagegen, weil ich denke, dass es jeden Moment unter mir knackt und wir beide uns den Hals brechen werden. Sam scheint deswegen keinerlei Bedenken zu haben, kniet mit einem Bein auf dem Ast und hält sich mit beiden Händen daran fest, während ich mich weiter mit dem Rücken gegen den Baum presse.
>Bist du wahnsinnig? < keuche ich. Er rutscht noch ein Stück näher zu mir heran, dass mir sein Gesicht bedrohlich nahe kommt.
>Das hast du nicht ernst gemeint, oder? Du denkst, ich bin nicht besser als diese Kerle, die dir das angetan haben? <
>Ich dachte du wärst jemand, der auf meiner Seite ist. Hunderte von Malen habe ich mir das Hirn zermartert, was du denn wohl beruflich machen könntest. Dass du ein, von der Regierung angestellter Auftragskiller bist, war eher weniger in meinem Kopf. <
>Hast du mir vorhin überhaupt zugehört? Ich bin auf deiner Seite. Tut mir leid, dass ich dein Bild von mir zerstören musste, aber ich frage mich ohnehin die ganze Zeit schon, wie du mich für jemanden halten konntest, der zu den braven Bürgern gehört. Die meisten sehen mich an und ihnen ist klar, dass man mich in Ruhe lassen sollte. Ausgerechnet du denkst, ich wäre ein Sanitäter oder ein Hinterwäldler, der keiner Fliege etwas tut. < lacht er verächtlich.
>Was ich denke, wechselt beinahe täglich. Ich weiß einfach nicht für wen ich dich halten soll. Und falls du es vergessen hast, ich hatte Angst vor dir. Nachdem ich gesehen habe was du im Keller gemacht hast, bin ich vor dir fortgelaufen. <
>Und jetzt läufst du wieder vor mir fort. <
>Das tue ich nicht. Ich wollte nur einfach nicht mehr dort drin sitzen und mir anhören, wie du es dir schönredest, dass du Menschen umbringst. <
>Schönreden? < schnaubt er bösartig. >Daniel Looper ist ein Mann, der auf Anfrage Minderjährige entführen lässt, sie unter Drogen setzt und sie an reiche Leute weiterverkauft. Den Rest kannst du dir wahrscheinlich denken. Eigentlich ist die DEA erstmals auf ihn gestoßen, weil er wegen illegalem Drogenmissbrauch im Visier war. Sie konnten ihn nicht dingfest machen und ihm nichts beweisen, also mussten sie ihn laufen lassen. Es kamen allerdings immer mehr gehäufte Vermisstenanzeigen rein, sobald er in der Nähe war. Ein Ermittler hat ihn verdeckt gesucht und im Darknet gefunden, wo er die Minderjährigen auf einer Seite aufreiht, wie Trophäen. Und somit ist er in mein Visier geraten. Jetzt verrate mir eines meine Kleine: Findest du, das ist ein Schönreden meines Berufes? <
Mit offenem Mund starre ich ihn an und kann nicht fassen, dass es solche Internetseiten geben soll, geschweige denn einen „Markt“ dafür. Wenn das wahr ist, was Sam sagt, wie viele sind bisher auf so einem schrecklichen Weg verschwunden?
>Wo sind diese Kinder oder Teenager dann, wenn sie …< ich will es kaum aussprechen > …gekauft werden? <
>Keine Ahnung. Sie sehen höchstwahrscheinlich nie mehr Tageslicht. Andere erleben vielleicht nicht mal den nächsten Morgen. <
Das Ganze klingt für mich so furchtbar grausam und so, als hätte dieser Looper es verdient, auseinandergenommen zu werden. Wenn ich mir vorstelle, was die drei Männer mit mir gemacht hätten, wenn ich ihnen nicht entwischt wäre, dann kann ich noch froh sein, dass sie mir “nur“ mein Leben zerstört haben. Immerhin wollte mich der eine am liebsten mitnehmen. Wenn es solche Seiten im Darknet gibt, was gibt es dann noch alles? Ich schüttele mich bei dem Gedanken.
>Das hätten diese Kerle auch mit mir machen können. < flüstere ich und umarme mich selbst bei dem Gedanken.
>Keine Ahnung was sie getan oder wie lange sie dich am Leben gelassen hätten. Der menschlichen Perversion sind so ziemlich keine Grenzen gesetzt. Selbst heute kommt es noch vor, dass ich von Dingen erfahre, wo ich dachte, es gäbe keine Steigerung mehr. <
„Du bist auch eine recht hübsche Anzahlung. Ich glaube, dich nehme ich mit.“
Die tiefe, dunkle Stimme dieses Kerls verfolgt mich immer noch, auch wenn ich nicht mehr jede Nacht schreiend davon aufwache. Sam sieht meine Reaktion und streicht dann mit einem Finger über meinen Oberarm.
>Die blauen Flecken sind inzwischen weg aber du wirst immer wissen, dass sie da waren. Egal wie kurz dieser Moment war, in dem er dich in seinen Fingern hatte, er haftet immer noch an dir und brannte sich ein. Und egal wie stark du eines Tages vielleicht sein wirst, du kannst es niemals vergessen aber du darfst dich davon nicht zerstören lassen. < erklärt er sanft. Meine Mundwinkel verziehen sich nach unten. Natürlich hat er recht. Ich träume andauernd von ihnen und werde sie im Moment nicht los. Ich dachte das sei normal, weil es noch viel zu frisch ist, aber die Vorstellung, dass es niemals weggehen wird, macht mir Angst.
>Ich habe ihm so fest ich konnte, zwischen die Beine getreten, damit er mich loslässt. <
>Gut so, aber bitte tu mir den Gefallen und mache das niemals bei mir, wenn ich dich anfasse. < Ich lache kurz auf und sehe ihn ebenfalls leicht grinsen. >Nayeli, du musst mir vertrauen. Das, was ich tue, ist das Richtige. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Ich bin kein Mörder in diesem Sinne – ich bin da um Schlimmeres zu vermeiden. Und hätte ich vorher einen Anhaltspunkt gehabt was bei euch vorging, dann hätte ich den Mord an deiner Familie verhindert. Stell dir vor es wäre mir gelungen, dann würdest du anders über mich denken, richtig? <
Zögerlich und mit krampfenden Gesichtsmuskeln nicke ich. Wenn Sam dagewesen wäre um diese Männer vorher aus dem Weg zu räumen, hätte ich ihm das niemals vergessen. Ich lasse meine Beine – so wie er, links und rechts am Ast herabsinken und lasse mich nach vorn gegen seine Brust fallen. Er schließt mich wortlos in seine Arme und ich atme heftig. Mit aller Kraft versuche ich mich gegen das erneute Weinen zu wehren, das sich kaum aufhalten lässt.
>Du darfst daran nicht zugrunde gehen. Versprich es mir. < flüstert er in mein Ohr.
Ich presse meine Augen zu und nicke heftig. >Sag es! < fordert er noch einmal ausdrücklich.
>Ich darf … daran nicht zugrunde gehen. < hauche ich.
>So, dass ich es dir glaube! <
Meine Arme lösen sich von ihm und ich richte meinen Oberkörper auf, um ihn ansehen zu können.
>Ich werde daran nicht zugrunde gehen. < verspreche ich ihm mit mehr Kraft, in meiner trotzdem zittrigen Stimme.
*TRIGGERWARNUNG!*
Der Inhalt des folgenden Kapitels kann bei vereinzelten Personen eventuell emotional aufwühlend wirken.
Als ich Sam am nächsten Tag unten in der Küche begegne, sieht er so aus wie gestern Abend. Zwar ziemlich müde und verschlafen, aber zumindest unfallfrei.
>Hallo Kimberly. Hast du in meinem Bett gut geschlafen? < grinst er und sitzt am Küchentisch mit dem Pass in der Hand.
>Oh Gott, das tut mir wirklich leid. Das war nicht geplant. < murmle ich und gähne. >Wie spät ist es denn? <
>Es ist fast Zwölf Uhr mittags. Ich bin auch erst vor einer halben Stunde aufgestanden, nachdem ich keine Chance mehr gehabt habe, an meine eigene Decke zu kommen. Wenn wir zwei uns weiterhin so die Nächte um die Ohren schlagen, dann ist das Frühstück vollkommen unnötig. <
Oh Gott ist das peinlich. Ich bin ernsthaft in seinem Bett eingeschlafen. Da oben habe ich absolut nichts verloren. Sicher denkt er, ich habe dort herumgeschnüffelt. Er hätte jedes recht gehabt, mich einfach nach unten zu verbannen.
>Du musst immer nachts arbeiten. Für mich war das nur mal eine Ausnahme, da sollte ich nicht herumjammern. < versuche ich von der eigentlichen Thematik abzulenken und bemühe mich, nicht einen knallroten Kopf zu bekommen. Sam gießt mir – ohne dass ich ihn darum bitten muss, frischen Kaffee in die Tasse ein und stellt mir die Milch dazu hin.
>Ich schätze mal, dass man dir bei dieser PR-Agentur geregelte Arbeitszeiten angeboten hat. Am Wochenende frei, bezahlter Urlaub und das volle Programm. <
>So ähnlich. Das ist wohl das, was die meisten wollen. < erwidere ich und wecke meine Lebensgeister, indem ich einen großen Schluck Kaffee nehme. Ich weiß gar nicht wie es Leute geben kann, die ohne Koffein munter werden können. Dann setze ich mich träge an seinen Tisch, umklammere meine Tasse und kaue an meinem Fingernagel herum. Ich habe ziemlich viel verrücktes Zeug in der Nacht geträumt und es noch sehr lebhaft in Erinnerung.
>Ich habe gerade noch eine Weile im Bett gelegen und nachgedacht und … ich würde dich gern etwas fragen. Darf ich? < taste ich mich vorsichtig heran.
>Du meinst wohl eher, du hast noch so lange in meinem Bett gelegen und dich nicht herunter getraut. Und sag mal, gehört das Sweatshirt nicht mir? <
Mir steigt die Hitze im Körper auf. War ja klar, dass er darauf herumreiten muss.
>Das tut mir wirklich leid. Sophia sagte, ich soll etwas Dunkles und Langes anziehen aber ich hatte gerade nichts Sauberes. Und als ich zurück war, wollte ich eigentlich nur dieses Bild auf deinem Schreibtisch anschauen, mehr nicht. Dann bin ich aber so müde gewesen. Oh Gott, das ist peinlich und sowas von blöd. < fluche ich vor mich hin.
>Über dich kann man sich herrlich amüsieren und dich so schnell aus der Fassung bringen. Ich habe eine Nacht bei dir unten verbracht und du eine bei mir oben – wir sind quitt. Also was wolltest du fragen? Selbst wenn ich „nein“ sage, wirst du es sowieso tun. Also frag. <
Perplex starre ich ihn an. Hat er sich schon wieder über mich lustig gemacht? So ein Arsch. Selbst jetzt grinst er noch so und ich sitze womöglich immer noch mit hochrotem Kopf vor ihm. Sobald ich meine Fassung wiedererlangt habe, gieße ich mir noch etwas mehr Milch in den Kaffee ein und überlege, wie ich es am besten anstelle.
>Ich wollte ein paar Dinge wissen. Gestern, da hat Sophia gesagt, ich könnte viel bewirken, wenn ich auch in dieser Branche arbeiten würde wie ihr und dass es wichtig sei Leute zu haben, die verstehen was es heißt alles verloren zu haben. Was genau gäbe es da für Möglichkeiten zu arbeiten? <
>Was genau heißt in der „Branche wie wir“? <
>Naja …< druckse ich herum. >Ich weiß gar nicht so recht als was ich das bezeichnen soll. In dieser Opferschutz-Sache. <
Sam's Augen weiten sich für einen kurzen Augenblick interessiert und sein amüsiertes Grinsen, wird zu einem begeisterten Lächeln.
>Prinzipiell ist es breit gefächert. Du siehst ja was Sophia und Dimitrij tun. Es gibt natürlich die Cops, das FBI oder die CIA - falls man lieber eine Auslandstätigkeit machen will, aber zu denen kennst du ja meine Meinung. Außerdem sind die Backgroundchecks sehr intensiv und sie nehmen nur die, die eine weiße Weste haben. Es gibt natürlich noch die Soldaten bei der Army oder reine Trainingszentren, die beispielsweise Kopfgeldjäger ausbilden. < bei meinem schockierten Blick ergänzt Sam: >Das ist hier ein anerkannter Beruf - ein gut bezahlter im Übrigen. Man nennt sie auch Bounty Hunter aber sie sind nicht ganz unabhängig. Sie bekommen einen Auftrag, suchen die kriminelle Person und schnappen sie um sie der Polizei auszuliefern. Ich finde es ist ein sehr ehrenvoller Job – es ist nur sehr ärgerlich, wenn du monatelang gesucht und gesucht hast, den Mistkerl endlich erwischst und die Polizei ihn doch wieder gehen lässt, da plötzlich ganz kuriose Beweise aufgetaucht sind oder eine Stange Geld zur Freilassung gezahlt wurde. Das wäre nichts für mich. <
>Und was gibt es sonst noch? < will ich wissen.
>Psychologen und sowas, die mit den Opfern ewig lange Gespräche führen. Aber weshalb interessiert dich das eigentlich? <
Er nimmt sich meine linke Hand, was mich verwundert. Dann kratzt er mit dem Fingernagel etwas an meiner Haut herum, wo ein abblätterndes falsches Stück Haut hängt. Er löst es sanft und zieht es über die komplette Handfläche weg. Meine falschen Fingerabdrücke lösen sich wie eine Schlangenhaut von mir.
>Nur so. Ich wollte es gern wissen. <
>Ich könnte dir zeigen, wie es geht. < nuschelt er eher zu sich selbst und macht das Gleiche mit meiner anderen Hand.
>Wie was geht? <
Er richtet sich auf, kneift die Augen zusammen als müsse er überlegen und seufzt.
>Ach schon gut. Vergiss es. War nur so ein Gedanke. <
>Nein sag es mir. <
Er zerknüllt die beiden „Handschuhe“ in seiner Faust und scheint zu überlegen, ob er wirklich mit der Sprache herausrücken soll. Irgendwas beschäftigt ihn – das sehe ich ihm an.
>Jetzt sag schon! < dränge ich erneut.
>Du hast gezeigt, dass du ganz passabel schießen kannst. Und ich denke immer noch, wenn du ausgebildet werden würdest und lernst dich zu verteidigen, dann könntest du …<
>Oh nein, lass mal gut sein. < unterbreche ich ihn lachend und winke ab. >Ich glaube, das ist nichts für mich. Es hat mich einfach nur interessiert, weil ich mich heute Morgen mit Sophia unterhalten habe. <
Sam sieht jetzt irgendwie verstimmt aus und einen Moment frage ich mich, ob ich irgendetwas angestellt habe. Wortlos aber mit angespannter Stirn wirft er meine Schlangenhaut in den Mülleimer und bleibt an der Küchenzeile gelehnt stehen.
>Habe ich was Falsches gesagt? < frage ich vorsichtig. Mist, ich hätte das nicht so ins Lächerliche ziehen sollen – ich Idiotin weiß doch wie er ist.
>Nein hast du nicht. Ich weiß nicht, warum ich das plötzlich denke und ich hätte es vorher nicht mal für möglich gehalten, aber ich sehe dich in so einem Job. Kein Akten abheften, Kundentelefonate führen und solchen Mist, sondern dort draußen die Typen jagen, die es verdienen. Du gehörst zu den Leuten, denen etwas Schreckliches passiert ist und in denen etwas brodelt, das herauswill. Du weißt es nur selbst noch nicht. <
>Sam, es tut mir wirklich leid dir diese Illusion nehmen zu müssen. Ich mache mir in die Hose, sobald ich alleine im Dunkeln bin und sobald hier irgendwelche Geräusche im Haus sind. Deswegen war ich in deinem Zimmer, weil ich mich irgendwie sicherer fühlte und nicht nur wegen des Fotos. <
>Hat dir das schon vorher Angst gemacht? < will er wissen.
>Nein, kein bisschen. Früher bin ich durch den gesamten Wald gelaufen, egal zu welcher Uhrzeit oder Helligkeit. Da fand ich die Geräusche um mich herum, eher beruhigend. <
Daraufhin mustert er mich durch zusammengekniffenen Augen, wippt mit seiner Fußspitze auf und ab und verschränkt die Arme vor der Brust.
>Das ist normal und es wird wieder vergehen, sobald du weißt, dass diese Kerle dir nichts mehr anhaben können. < er räuspert sich und lässt seine Arme bereits wieder fallen. Ungeduldig sieht er auf seine Hände und mir wird klar, dass irgendetwas gerade komisch ist. Wieso verhält er sich so zurückhaltend und wirkt so nervös? Offenbar weiß er überhaupt nicht wohin mit seinen Händen. Normalerweise würde er jetzt sagen, dass ich eine Nervensäge bin und er keine Fragen mehr beantwortet, aber er druckst herum und sieht aufgeregt aus.
>Irgendetwas beschäftigt dich doch. < mutmaße ich, worauf er mir einen Blick zuwirft, der mir das Blut gefrieren lässt.
>Ja, da hast du recht. Ich muss dir was sagen - es gibt nämlich Neuigkeiten. Wenn ich wüsste, dass es dir besser täte, wenn ich es dir später zeige, dann würde ich es tun. Aber ich weiß, dass es nicht so ist, also muss ich es dir erklären. Es wird Zeit, dass du erfährst, was ich herausbekommen habe. Warte hier! <
Er wirkt von jetzt auf gleich total stimmungsgeladen, als er die Küche verlässt und ich verstehe das gar nicht, da wir doch noch vor wenigen Augenblicken relativ locker darüber geredet haben. Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich sowas doofes gefragt habe. Inzwischen weiß ich doch, wie er tickt. Aber diese Neuigkeiten interessieren mich brennend. Dann kommt er kurz darauf zurück und hält einen flachen Ordner in der Hand.
>Sam ich weiß, dass ich dich mit diesen Themen in Ruhe lassen soll. Es tut mir leid, ich wollte nur …<
>Nein schon gut. Darum geht es nicht. <
Sein Tonfall irritiert mich. Ich rühre mich nicht vom Fleck, als er sich wieder zu mir setzt. Den Ordner legt er auf den Küchentisch und schaut unheilvoll zu mir.
>Was ist denn los? < frage ich vorsichtig, denn ich weiß, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Er klappt den Ordner auf und dreht ihn zu mir herum, damit ich hineinsehen kann. Als Erstes sehe ich Fotos. Fotos von mir!
>Was ist das? < hauche ich.
>Ich habe herausgefunden, dass sich dein Vater eine erhebliche Summe Geld geliehen hat. Und das von jemandem, von dem er es lieber nicht angenommen hätte – eine Bank hätte ihm nichts gegeben, da die Kreditlast ohnehin schon ausgereizt war. Er konnte der Privatperson immer nur teilweise oder manchmal auch gar nichts zurückzahlen. Als es immer schlimmer mit den Anhäufungen und den Zahlungsverzögerungen wurde, bekam dein Vater Drohungen. Ein Mann namens Pims wurde auf dich und deinen Bruder angesetzt. Er machte Bilder von euch und ließ sie deinem Vater auf der Arbeit aushändigen. <
Ich sehe ein Bild wo ich gerade über den Campus laufe, ein weiteres wo ich mitten im Unterricht sitze und an einem Stift herumkaue und ein anderes, wo ich mitten im Hockeystadion Jordan und den Jungs zusehe, während ich zeichne.
>Ich wusste, ich hatte mir das nicht eingebildet. < wispere ich. Als ich das nächste Foto sehe, wird mir schlecht. Es ist ganz eindeutig dunkler draußen und wurde aus einem Auto heraus, in unsere Küche hinein fotografiert. Ich erkenne sogar noch einen Teil des Lenkrads und meinen fragenden Gesichtsausdruck auf dem Bild.
>Diese Situation erwähnte ich als Dimitrij hier war. Erst dachte ich, dass es mein Dad im Wagen war aber der Fahrer stand nur die ganze Zeit so herum. Ich bin an dem Abend rausgerannt, um diesen Autofahrer anzugehen. Er fuhr sofort weg und im selben Moment kam mein Dad um die Ecke. Als er bei mir war, gab er mir eine Ohrfeige, damit ich den Mund hielt. <
Sams Augen werden groß dabei. Ich schüttele nur den Kopf und versuche diesen Ausrutscher zu vergessen. Ich sehe weiter durch den Ordner. Dann kommen die Bilder von Iye. Es schnürt mir die Kehle zu, als ich ihn auf dem Schulhof beim Fußballspielen betrachte. Ich muss mir die Hand vor den Mund halten, um nicht loszuschluchzen.
>Jedenfalls war all das, was du gerade ansiehst, nur reine Panikmache. Dein Vater bekam die Bilder fast täglich in der Woche, in der der Mord passierte. <
>Deswegen seine komische Reaktion. Er wollte erst überhaupt nicht, dass ich ins Einkaufszentrum gehe und er hatte zuvor niemals eines seiner Kinder geschlagen. Ich war in dem Moment so hysterisch und er wollte nicht, dass Iye oder meine Mutter mich hörten. < hauche ich und eine Träne tropft auf das Bild meines Bruders.
>Das ergibt Sinn. Jedenfalls erklärt es, weshalb er vorher nichts weiter unternommen hat. Ihm wurde damit gedroht, dass er und seine Familie umgebracht werden würden, wenn er nicht bald zahlt. Und Pims schrieb auch als Warnung, wenn dein Vater die Polizei einschaltet, dann wäre seine Tochter die Erste die stirbt. Dieser Kerl war allerdings nur eine Art Bote. Die wirklichen Drei die das getan haben, bekamen nur den Auftrag von ihrem Boss, alle zu töten, die in diesem Haus leben. Ihnen wurde keine Personenzahl oder die Information übergeben, dass dort auch eine Tochter lebt. Deswegen waren sie so überrascht, als du aufgetaucht bist und sie wussten, sie müssen dich schnell aus dem Weg räumen. Das ist meistens so bei kleinen Handlangern, die die Drecksarbeit machen sollen. Jeder hat einen bestimmten Bereich, in dem er arbeitet und tut nur das, was ihm aufgetragen wird, ohne Fragen zu stellen. Der eine hat also keine Ahnung, was der andere zuvor tat. Für solche Bosse ist es immer am besten, die Untergebenen nie zu viel wissen zu lassen, damit sie nicht alles ausplaudern können, falls sie mal geschnappt werden. Pims wusste glücklicherweise nichts von dem Datum deines Abschlusses, sonst hätten sie den Tag X verschoben und du wärst ebenfalls tot. An dieser Stelle solltest du froh sein, dass er etwas schlampig bei seiner Recherche war. <
Ich schlucke und plötzlich löst sich ein entsetzliches Schluchzen aus meiner Kehle. Die brennenden Tränen wische ich mir weg und schniefe.
>Woher weißt du das? < will ich wissen und meine Stimme zittert.
>Ich habe mich eben ein wenig umgehört. <
>Sam! Hör auf mit diesen kryptischen Erklärungen. < keife ich, weil ich das im Moment absolut nicht gebrauchen kann.
>Okay, okay. Ich will nur nicht, dass du ausflippst. < er schluckt und fährt sich mit der Hand über den Kopf. >Ich habe Pims ausfindig gemacht, da von den anderen dreien derzeit jede Spur fehlt. Ich habe sie vorgestern verloren aber ich werde sie wiederfinden – da bin ich sicher. Jedenfalls waren seine Informationen besser als gar keine. <
>Was? < keuche ich und lasse das Bild von Iye aus meinen Händen fallen. >Du allein? Hast du eine Ahnung wie gefährlich diese Leute sind? Sam, ich wusste ja, dass du das vorhattest, sie zu finden aber das ist Wahnsinn, allein so jemandem hinterherzufahren. Ich dachte, du suchst nur nach Beweisen und triffst sie nicht persönlich. <
>Deine Sorge um mich in allen Ehren Kleines, aber ich kann gut auf mich selbst aufpassen. <
Ich sage nichts, sondern muss das erst sacken lassen. Meine Hände verblenden mir die Sicht auf ihn, weil ich mein Gesicht darin versunken halte. Dass Sam den Kerl gefunden hat, der Iye und mich ausspionierte, ist plötzlich zu nah und zu real für meinen Geschmack.
>Wie bist du bis hierhin gekommen? < frage ich und deute auf den Ordner mit den Fotos.
>Ich habe nachgesehen, wo dein Vater zuletzt gearbeitet hat. Dann war ich unter falschem Namen und unter falschem Vorwand dort. Ich habe mit einem alten Kollegen von ihm gesprochen. Er glaubt im Übrigen nicht, dass du es warst, aufgrund dessen, weil exakt er es war, der von Pims andauernd einen Briefumschlag erhielt. Dieser machte dem Kollegen zuvor begreiflich, dass er deinen Vater auf der Arbeit nicht finden könne und es sehr wichtig sein, dass er diese Dokumente bekommt. Dort waren auch die Fotos und der Drohbrief drin. Dein Vater hat das alles auf Arbeit in seinem Spind versteckt und dort habe ich das Zeug herausgeholt. Hätte sein Kollege vorher gewusst, was dort vor sich ging, dann hätte er die Polizei gerufen. Aber ich denke die hätte sowieso nichts getan, weil ja bis dato noch nichts passiert war – es wäre nur noch gefährlicher für euch geworden. Ich habe den Kollegen deines Vaters gefragt, ob er mir diesen dubiosen Mann beschreiben könne. Das Gespräch habe ich heimlich aufgenommen und es an Dimitrij geschickt, der die Person zeichnete. Dann war ich erneut bei diesem Kollegen. Bis auf ein paar Änderungen an dem Entwurf, konnte er den Mann bestätigen. Wir schickten die Zeichnung durch den Gesichtsscan und hatten ihn. <
>Und wo ist dieser Pims jetzt? < schniefe ich und wische mir erneut die Tränen der Verzweiflung weg. Was ist, wenn er mich findet?
>Das muss dich nicht mehr beschäftigen. Er hat mir alles gesagt, was er wusste und seine Leute verraten, wie es jeder immer wieder tut. Jetzt kann er dir nie wieder zu nahe kommen. <
Plötzlich werde ich hellhörig.
>Du hast ihn? Er ist im Gefängnis? < ich höre mich eindeutig erleichtert an. Immerhin ist er einer der Männer, der für meine Tragödie verantwortlich ist.
>Nein, er ist nicht im Gefängnis. < erwidert Sam rau und knurrt beinahe.
>Aber was ist dann mit ihm? <
Er sagt nichts, sondern sieht mich an. Seine Kiefermuskeln spannen sich an und auch an seinen verschränkten Händen treten, deutlich die Muskeln und Sehnen hervor.
>Sam was hast du getan? < frage ich nervöser. Auch jetzt sagt er immer noch nichts aber wendet den Blick nicht von mir. >Sam! <
>Er ist tot. Einer weniger aus diesem Clan. <
>Das ist …, ich meine ... < ich stammle unzusammenhängende weitere Wörter aneinander, doch ich habe ein ganz eigenartiges Gefühl, das ich kaum aussprechen kann. >Sam, hast du das getan? <
>Ja. <
Ich japse nach Luft und presse mich weiter in meinen Stuhl hinein.
>Nein, das glaube ich nicht. Du willst mir sagen du hast ihn …<
>Es ist mein Job das zu tun. < gesteht er mir leise.
>Was? A… aber du hast doch zu mir gesagt, du würdest keine Menschen umbringen. <
>Erstens sagte ich, dass ich keine unschuldigen Menschen umbringen würde. Zweitens: Würdest du diese Kerle als „Menschen“ bezeichnen, die dir das angetan haben? Ich bringe diejenigen um, die es verdienen und damit kann ich nachts gut schlafen. <
>Das ist es also, was du Nacht für Nacht tust? Du gehst da raus und holst dir die Leben von Menschen? < quietsche ich mit jedem Wort schriller und schriller.
>Das verstehst du nicht. < sagt er forsch. Ich beginne zu zittern und heftig zu atmen. Meine erste Intuition war also doch richtig. Er ist nicht so unschuldig, wie er mir glauben machen wollte. Er ist ein Monstrum.
Sam steht auf, während ich mich vor Angst in den Stuhl hineinpresse und kommt er um den Tisch herumgelaufen – näher und näher zu mir. Ich kneife unweigerlich die Augen zusammen, als er mein Gesicht in die Hände nimmt.
>Hör zu Kleines. Ich habe es dir einmal gesagt und ich sage es dir nochmal. Ich tue dir nichts an, niemals. Was ich mache, ist „aufräumen“. Ich knöpfe mir Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Mafiabosse und alle vor, die andere zum Vergnügen quälen. Sie alle stehen auf meiner Liste. Jetzt ist es sowieso egal, also kann ich es dir auch gleich erzählen. Ich bekomme unzählige Aufträge mit den Hinweisen auf die Personen, die plötzlich „verschwinden“ sollen – was sie getan haben, wie die Beweislage dazu aussieht, eventuell richterlich Urteile und sogar ihre Kreditkartenabrechnungen. Einfach alles. Ich allein entscheide, wen ich annehme. Wenn ich meine Auswahl getroffen habe, dann bekomme ich die Hinweise zugeschickt, wo sich die Person aufhält. Sobald sie für mich in greifbarer Nähe sind, mache ich mich auf den Weg. Früher war mir nur wichtig, dass die andere Seite dafür gut zahlte, aber inzwischen suche ich mir aus, wen ich kaltmache. Mich interessieren nicht die kleinen organisierten Banden – ich will an die großen Fische ran. An solche Menschen, die dir das angetan und dir fast dein Leben genommen haben. <
>Aber Sam, das macht dich doch ebenfalls zum Mörder. Um diese Menschen zu bestrafen, gibt es doch schließlich Gefängnisse und in manchen Teilen des Landes sogar die Todesstrafe. Ich dachte früher einmal, dazu gibt es doch die Polizei. <
>Du glaubst immer noch, es gibt nur zwei Arten von Menschen. Die Guten, die Gutes tun und die Bösen, die Böses tun. Aber was ist, wenn man manchmal Böses tun muss, damit es ein gutes Ende nimmt? Ich bin nicht einfach nur ein potenzieller Mörder. Ich erledige die Art Mensch, die normale Menschen wie dich zu Opfern machen und damit verhindere ich, dass es zu viele weitere wie dich gibt. Meine Zielgruppe beschränkt sich nur auf diese Leute. Das ist auch im Interesse der Staatsmacht, solche Meuten loszuwerden. Ich bin der Typ, der Leute im Auftrag der Regierung für Geld erschießt. <
>Das ist doch verrückt, wieso sollten die Behörden mit Leuten wie dir Geschäfte machen? < frage ich und presse mich keuchend immer mehr in den Stuhl hinein, um Abstand zu ihm zu bekommen.
>Hast du gewusst dass die Navy im 2. Weltkrieg einen Deal mit der Mafia gemacht hat, um die Schiffe an der Küste zu schützen? <
>Nein. <
>Es ist heute noch genauso wie damals. Es ergibt einfach Sinn sich zusammenzutun, weil beide Seiten davon profitieren. Irgendein Auftragskiller macht sich die Hände schmutzig und niemand muss etwas davon erfahren. <
Ich keuche und winde mich aus Sams Griff. Zu meiner Erleichterung lässt er mich los. Im Moment kann ich ihn nicht mal ansehen. Langsam rücke ich mit dem Stuhl vom Tisch weg und sehe zu Boden.
>Du hast gestern gesagt, du schießt nur, um damit zu jagen. < stottere ich fassungslos.
>Ich jage ja auch – seit Jahren jage ich sie alle da draußen, die Dreck am Stecken haben. Und Pims war der Erste aus den Reihen der Verantwortlichen, die zum Mord deiner Familie beigetragen haben. <
>Nein, das geht einfach nicht … du kannst nicht …<
>Das mit diesem Pims habe ich für dich getan! < brüllt er und schlägt mit der Faust auf den Tisch. >Wieso reagierst du so? <
Ich kneife vor Schreck die Augen zusammen, zittere am ganzen Körper und wimmere, bin unfähig mich zu rühren und vollkommen gelähmt. Sam hat mir gerade erklärt, dass er ein Auftragskiller ist. Mir wird schlecht und ich habe das Gefühl, als wenn sich mir jeden Moment der Magen umdreht.
>Ich habe dich für einen ganz anderen Menschen gehalten. Ich muss hier raus! < keuche ich und springe vom Suhl auf. Augenblicklich laufe ich aus der Küche heraus, direkt in seinen Flur. Sam ruft mir nur einmal hinterher aber er folgt mir nicht. Ich stoße seine Eingangstür auf und laufe schnurstracks in den Wald hinein. Mit jedem Schritt der mich von seinem Haus entfernt, fühle ich mich etwas wohler. Ich schlinge die Arme um meinen Körper, da der Wind etwas kühl ist aber ich laufe weiter. An einem größeren Baum halte ich an und ziehe mich daran hoch. Es tut ziemlich weh, wenn ich meine Muskeln so beanspruchen muss, aber lange nicht so sehr, wie die Enttäuschung über Sam. Stück für Stück hangle ich mich weiter nach oben und bleibe schließlich auf der Hälfte des Baumes auf einem dicken Ast sitzen. Ich strecke die Beine aus und lehne mich an den Stamm an. Von hier aus kann ich Sam's Haus sehen aber ich drehe meinen Kopf sofort davon weg. Ich kann es einfach nicht fassen. Mit allem möglichen habe ich gerechnet, aber dass ich ausgerechnet dem nächsten Mörder in die Arme laufe, macht mich vollkommen fertig. Ich schniefe ein paar Mal aber aus irgendeinem Grund kann ich gerade gar nicht mehr weinen – jedenfalls nicht für ihn. Vielleicht bin ich schon zu ausgetrocknet oder vielleicht ist es, weil Sam keine Bedeutung für mich hat. Aber als ich genauer drüber nachdenke, ist das eigentlich nicht wahr. Sam war für mich jemand, der mich auf eine eigenartige Weise aufgefangen hat. Meine verrücktesten Fantasien könnten sich nicht zusammenreimen, was ich ohne ihn getan hätte – sollte ich überhaupt überlebt haben.
Ein lautes Knallen der Tür lässt mich den Kopf anheben. Durch die Blätter hindurch kann ich ihn sehen, wie er langsam aus dem Haus herauskommt. Mit den Händen in den Hosentaschen läuft er runter zum Lake und sieht sich um. Ich sehe von hier aus nur, wie er den Kopf schüttelt und einen Stein wegtritt.
Dann lässt er sich müde wirkend auf den Baumstamm fallen und schnappt sich einen anderen Stein, den er über das Wasser hüpfen lässt. Ich wende meinen Blick von ihm ab.
Diese Fotos die von Iye und mir gemacht wurden, finde ich derart angsteinflößend, dass mir ganz anders wird. Manchmal hat man so ein eigenartiges Gefühl, wenn man beobachtet wird. Dieses Gefühl hatte ich mehrere Male und ich hätte besser darauf hören sollen. Aber was hätte mir das gebracht? Wahrscheinlich hätten sie uns dann tatsächlich noch schneller aus dem Weg räumen wollen. Mein Vater hat Bescheid gewusst, noch ehe ich es wusste. Ich kann nicht anders und denke wie feige er war. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich sowas von ihm denken könnte, aber in dem Fall muss ich Sam recht geben. In dieser Situation war mein Dad ein Feigling. Er hätte seine Familie einfach nachts von dort wegbringen müssen, solange es noch ging. Stattdessen hat er uns im Dunkeln gelassen und uns denen zum Fraß vorgeworfen. Er wollte mich arbeiten schicken, um somit die Schulden abzuzahlen, was auch hätte funktionieren können, wenn er nicht zu lange gewartet hätte. Und meine Mutter? Wie viel wusste sie wirklich davon? Ich nehme an, dass er sie auch angelogen hat, denn eine Mutter ist viel zu sorgenvoll und würde nicht zulassen, dass ihre Kinder bedroht werden. Eigentlich sollte auch kein Vater so etwas jemals zulassen. Ich will nicht, dass Sam diese Männer findet, denn ich würde sie lieber selbst finden und sie fragen, wie sie einen kleinen unschuldigen Jungen und dessen Eltern töten konnten. Wut steigt in mir auf, die so sehr gegen meinen Vater geht, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Auf was hat er gewartet? Dachte er diese Drohungen wären nur ein Bluff, um ihm Angst zu machen? Ich verstehe die Welt einfach nicht mehr. Das Bild, das ich jahrelang von meinem Vater hatte, ist plötzlich wie weggewischt. Ich war diejenige, die sich diesen Pims vorknöpfen wollte, als er uns vor dem Küchenfenster beschattete und mein Dad? Er tat gar nichts, außer mir dafür eine zu knallen, damit ich leise war.
Unter mir raschelt es und ich werfe automatisch einen Blick nach unten. Ich seufze auf, als ich sehe, dass Sam zu mir hochklettert. Ich war zwar nur gute zwanzig Meter von seinem Haus entfernt aber ich dachte, die Baumkrone würde mich gut verstecken. Er klettert offensichtlich nicht ganz so oft wie ich auf Bäume und braucht etwas länger, aber schließlich lässt er sich seufzend auf einen Ast etwas weiter neben mir nieder und lässt die Beine links und rechts davon baumeln.
Ich starre ihn wortlos an und er blickt ausdruckslos zu mir rüber. Wieso kann er mich jetzt nicht einfach in Ruhe lassen, damit ich weiterhin einen Groll gegen meinen Vater hegen kann?
Ich presse die Zähne aufeinander und wende meinen Blick von ihm ab, geradeaus Richtung Sonne, die irgendwo hinter den dicken Wolken versteckt sein muss.
Meine Hände werden irgendwie schwitzig bei seiner Anwesenheit. Beiläufig wische ich sie an der Hose ab und verschränke sie dann ineinander.
>Ich muss mich bald wieder an den Computer setzen. Darum finde ich, du solltest jetzt mit mir reden, wenn du das Bedürfnis hast. Es totzuschweigen bringt nichts. <
>Wer ist denn dieses Mal dran? < frage ich beiläufig, dabei läuft es mir eiskalt den Rücken runter.
>Ich schätze Daniel Looper. Seit Tagen bekomme ich bruchstückhaft Informationen von ihm. Er hält sich derzeit irgendwo in Minnesota auf. Ich denke, dass ich heute endlich den Rest geschickt bekomme und eingreifen kann. Die restlichen Infos der Personen, die ich im Vorlauf habe, sind noch nicht detailliert genug für mich. <
>Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, dass du mir eine Antwort gibst. < erwidere ich überrascht.
>Tja ich schätze, es ist nicht gerade clever, es dir zu verheimlichen. Ich wusste, dass du das Ganze bei deiner Vorgeschichte nicht gut aufnehmen würdest. Aber ich dachte, dass du es verstehen würdest, wenn ich es dir erkläre. <
>Wenn du es mir erklärst? Was gibt es da zu erklären? Du tust etwas Furchtbares und bist kein bisschen besser, als deine nächsten Opfer. < flüstere ich wütend.
Daraufhin zieht er eine Augenbraue hoch.
>Das denkst du also von mir? < er beißt sich auf die Lippe, räuspert sich kurz und steht dann vom Ast auf. Ich denke, dass er gehen wird, aber dann schwingt er sich zu mir rüber und kommt auf meinen Ast, der ziemlich herumwackelt. Verängstigt presse ich von hinten meine Arme am Stamm zusammen und meinen Rücken dagegen, weil ich denke, dass es jeden Moment unter mir knackt und wir beide uns den Hals brechen werden. Sam scheint deswegen keinerlei Bedenken zu haben, kniet mit einem Bein auf dem Ast und hält sich mit beiden Händen daran fest, während ich mich weiter mit dem Rücken gegen den Baum presse.
>Bist du wahnsinnig? < keuche ich. Er rutscht noch ein Stück näher zu mir heran, dass mir sein Gesicht bedrohlich nahe kommt.
>Das hast du nicht ernst gemeint, oder? Du denkst, ich bin nicht besser als diese Kerle, die dir das angetan haben? <
>Ich dachte du wärst jemand, der auf meiner Seite ist. Hunderte von Malen habe ich mir das Hirn zermartert, was du denn wohl beruflich machen könntest. Dass du ein, von der Regierung angestellter Auftragskiller bist, war eher weniger in meinem Kopf. <
>Hast du mir vorhin überhaupt zugehört? Ich bin auf deiner Seite. Tut mir leid, dass ich dein Bild von mir zerstören musste, aber ich frage mich ohnehin die ganze Zeit schon, wie du mich für jemanden halten konntest, der zu den braven Bürgern gehört. Die meisten sehen mich an und ihnen ist klar, dass man mich in Ruhe lassen sollte. Ausgerechnet du denkst, ich wäre ein Sanitäter oder ein Hinterwäldler, der keiner Fliege etwas tut. < lacht er verächtlich.
>Was ich denke, wechselt beinahe täglich. Ich weiß einfach nicht für wen ich dich halten soll. Und falls du es vergessen hast, ich hatte Angst vor dir. Nachdem ich gesehen habe was du im Keller gemacht hast, bin ich vor dir fortgelaufen. <
>Und jetzt läufst du wieder vor mir fort. <
>Das tue ich nicht. Ich wollte nur einfach nicht mehr dort drin sitzen und mir anhören, wie du es dir schönredest, dass du Menschen umbringst. <
>Schönreden? < schnaubt er bösartig. >Daniel Looper ist ein Mann, der auf Anfrage Minderjährige entführen lässt, sie unter Drogen setzt und sie an reiche Leute weiterverkauft. Den Rest kannst du dir wahrscheinlich denken. Eigentlich ist die DEA erstmals auf ihn gestoßen, weil er wegen illegalem Drogenmissbrauch im Visier war. Sie konnten ihn nicht dingfest machen und ihm nichts beweisen, also mussten sie ihn laufen lassen. Es kamen allerdings immer mehr gehäufte Vermisstenanzeigen rein, sobald er in der Nähe war. Ein Ermittler hat ihn verdeckt gesucht und im Darknet gefunden, wo er die Minderjährigen auf einer Seite aufreiht, wie Trophäen. Und somit ist er in mein Visier geraten. Jetzt verrate mir eines meine Kleine: Findest du, das ist ein Schönreden meines Berufes? <
Mit offenem Mund starre ich ihn an und kann nicht fassen, dass es solche Internetseiten geben soll, geschweige denn einen „Markt“ dafür. Wenn das wahr ist, was Sam sagt, wie viele sind bisher auf so einem schrecklichen Weg verschwunden?
>Wo sind diese Kinder oder Teenager dann, wenn sie …< ich will es kaum aussprechen > …gekauft werden? <
>Keine Ahnung. Sie sehen höchstwahrscheinlich nie mehr Tageslicht. Andere erleben vielleicht nicht mal den nächsten Morgen. <
Das Ganze klingt für mich so furchtbar grausam und so, als hätte dieser Looper es verdient, auseinandergenommen zu werden. Wenn ich mir vorstelle, was die drei Männer mit mir gemacht hätten, wenn ich ihnen nicht entwischt wäre, dann kann ich noch froh sein, dass sie mir “nur“ mein Leben zerstört haben. Immerhin wollte mich der eine am liebsten mitnehmen. Wenn es solche Seiten im Darknet gibt, was gibt es dann noch alles? Ich schüttele mich bei dem Gedanken.
>Das hätten diese Kerle auch mit mir machen können. < flüstere ich und umarme mich selbst bei dem Gedanken.
>Keine Ahnung was sie getan oder wie lange sie dich am Leben gelassen hätten. Der menschlichen Perversion sind so ziemlich keine Grenzen gesetzt. Selbst heute kommt es noch vor, dass ich von Dingen erfahre, wo ich dachte, es gäbe keine Steigerung mehr. <
„Du bist auch eine recht hübsche Anzahlung. Ich glaube, dich nehme ich mit.“
Die tiefe, dunkle Stimme dieses Kerls verfolgt mich immer noch, auch wenn ich nicht mehr jede Nacht schreiend davon aufwache. Sam sieht meine Reaktion und streicht dann mit einem Finger über meinen Oberarm.
>Die blauen Flecken sind inzwischen weg aber du wirst immer wissen, dass sie da waren. Egal wie kurz dieser Moment war, in dem er dich in seinen Fingern hatte, er haftet immer noch an dir und brannte sich ein. Und egal wie stark du eines Tages vielleicht sein wirst, du kannst es niemals vergessen aber du darfst dich davon nicht zerstören lassen. < erklärt er sanft. Meine Mundwinkel verziehen sich nach unten. Natürlich hat er recht. Ich träume andauernd von ihnen und werde sie im Moment nicht los. Ich dachte das sei normal, weil es noch viel zu frisch ist, aber die Vorstellung, dass es niemals weggehen wird, macht mir Angst.
>Ich habe ihm so fest ich konnte, zwischen die Beine getreten, damit er mich loslässt. <
>Gut so, aber bitte tu mir den Gefallen und mache das niemals bei mir, wenn ich dich anfasse. < Ich lache kurz auf und sehe ihn ebenfalls leicht grinsen. >Nayeli, du musst mir vertrauen. Das, was ich tue, ist das Richtige. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Ich bin kein Mörder in diesem Sinne – ich bin da um Schlimmeres zu vermeiden. Und hätte ich vorher einen Anhaltspunkt gehabt was bei euch vorging, dann hätte ich den Mord an deiner Familie verhindert. Stell dir vor es wäre mir gelungen, dann würdest du anders über mich denken, richtig? <
Zögerlich und mit krampfenden Gesichtsmuskeln nicke ich. Wenn Sam dagewesen wäre um diese Männer vorher aus dem Weg zu räumen, hätte ich ihm das niemals vergessen. Ich lasse meine Beine – so wie er, links und rechts am Ast herabsinken und lasse mich nach vorn gegen seine Brust fallen. Er schließt mich wortlos in seine Arme und ich atme heftig. Mit aller Kraft versuche ich mich gegen das erneute Weinen zu wehren, das sich kaum aufhalten lässt.
>Du darfst daran nicht zugrunde gehen. Versprich es mir. < flüstert er in mein Ohr.
Ich presse meine Augen zu und nicke heftig. >Sag es! < fordert er noch einmal ausdrücklich.
>Ich darf … daran nicht zugrunde gehen. < hauche ich.
>So, dass ich es dir glaube! <
Meine Arme lösen sich von ihm und ich richte meinen Oberkörper auf, um ihn ansehen zu können.
>Ich werde daran nicht zugrunde gehen. < verspreche ich ihm mit mehr Kraft, in meiner trotzdem zittrigen Stimme.