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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
24.08.2018 3.350
 
Kapitel 27 - Vorstellungskraft

Mit den Füßen bleibe ich immer noch im Lake stehen und laufe ein paar Schritte rückwärts in die sanfte Strömung hinein. Dann trete ich mit einer schnellen Bewegung durch das Wasser, genau in Sam's Richtung.
>Hey. < protestiert er, als ich ihn nassgespritzt habe.
>Willst du nicht auch mal reinkommen? Du hast den ganzen Tag diesen Ausblick vor der Nase und gehst nie schwimmen. <
>Danke Kleines aber ich war schon duschen. <
>Du bist viel zu praktisch denkend. Schon mal was von Spaß gehört? <
>Nein, was ist das denn? < fragt er sarkastisch und grinst.
Daraufhin spritze ich ihn erneut nass und laufe etwas tiefer hinein.
Schmunzelnd wischt er sich das Wasser aus dem Gesicht und schüttelt mit dem Kopf.
>Unerzogenes Gör! Mach das noch einmal und ich … <
Ich lache und halte dann beide Hände ins Wasser, um sie abwechselnd in seine Richtung zu werfen.
Er wirft das Messer und das Holzstück auf den Boden, sowie sein Handy aus der Hosentasche und rennt los. Genauso wie ich, die lachend vor ihm fliehen will. Das Wasser bremst mich allerdings ziemlich beim Rennen ab, während Sam bereits hinter mir hinterhergeschossen kommt, mich mit einer Hand am Bauch umfasst und nach hinten zieht.
>Wie alt bist du noch mal? < fragt er grinsend und zieht mit der anderen Hand mein Gesicht zu seinem.
>Jünger als du alter Mann. Du musst dringend mal etwas anderes tun als jagen, joggen, Holz hacken, arbeiten und die Welt verfluchen. <
>Und was sollte das sein? Mit kleinen Mädchen im See herumplanschen? <
>Nein, dich von kleinen Mädchen niederstrecken lassen. <
Ich greife mit beiden Armen um seinen Hals und versuche ihn kopfüber ins Wasser zu ziehen. Es ist mehr ein Dranhängen und Abmühen meinerseits als das, was ich eigentlich tun wollte.
Verdammt! Er steht amüsiert wie ein Fels in der Brandung da, während ich keuchend an ihm herumziehe.
>Meinst du vielleicht eher das? < ruckartig gehen seine Arme unter meine Beine und meinen Oberkörper und halten mich nur wenige Zentimeter über dem Wasser.
>Ah nein Sam. Hör auf! < Er lacht schallend als ich mich noch mehr an seinen Nacken klammere. >Wehe du wirfst mich ins Wasser! <
>Und wenn doch? Das wolltest du doch auch gerade mit mir tun. < feixt er und hält mich noch ein Stück tiefer, bis meine Haare schon zur Hälfte im Wasser sind.
>Sam nein! < kreische ich schrill. >Das war doch nur ein Spaß. <
Dann zieht er mich wieder höher bis mein Gesicht näher an seinem ist. Plötzlich ist sein Lächeln verschwunden und er sagt ernster:
>Du musst kräftiger für solche Späße werden und klüger. Fordere erst dann jemanden heraus, wenn du weißt, dass du ihm auch gewachsen bist. <
Ich seufze und senke wieder meinen Blick.
>Weshalb bist du nur so? < murmle ich.
>Was meinst du? <
>Du bist immer so ernst. <
>Das Leben ist eben ernst. <
>Nein. Das muss es nicht sein. Ich meine, im Moment würde es mir nicht schaden mal nicht so sein zu müssen und ein bisschen Ablenkung zu bekommen. Denn wenn ich ehrlich bin, finde ich im Augenblick alles zum Kotzen. Aber meine Mum hat mal gesagt, dass wir es selbst in der Hand haben, ob wir glücklich mit unserem Leben sein wollen oder nicht. Und offenbar hast du dich dafür entschieden, alles und jeden zu hassen. Jetzt lass mich endlich runter! < meckere ich zappelnd. Aber Sam sieht mich stillschweigend, mit einem direkten Blick an. Sein Mund öffnet sich als wollte er etwas sagen aber immer noch schaut er auf mich herab, ohne überhaupt mal zu blinzeln.
>Saaahaaam! Jetzt lass mich runter! <
Er zuckt mit den Achseln und wirft mich kurzerhand ins tiefere Wasser. Keuchend komme ich wieder hoch an die Luft und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Als ich gerade wieder etwas sehen kann, springt Sam in einem Köpper vor und taucht unter. Verblüfft sehe ich ihm hinterher als er auftaucht, mir einen draufgängerischen Blick zuwirft und dann weiter in den Lake hineinschwimmt.
Sobald ich wieder meine Fassung habe, grinse ich und begebe mich ebenfalls ins tiefe Wasser. Jetzt bin ich sowieso klitschnass, also schwimme ich ihm nach.
Er dreht sich auf den Rücken und treibt eine Weile auf dem Fleck bis ich mit einiger Verzögerung in seine Nähe komme.
>Wieso schaust du so gequält? Du hast schließlich hiermit angefangen. < ruft er.
>Schon gut. < antworte ich kopfschüttelnd.
>Tut dir deine Schulter weh? <
>Nein, mein Bein hat genug für heute. Aber es ist okay. <
Ich will die Zähne zusammenbeißen, weil ich nicht will, dass er mich immer für ein Weichei hält.
>Lass uns zurückschwimmen. Dann kannst du deine Mittel nehmen. <
>Ich brauche nur eine Pause. Diese Tabletten will ich außerdem nicht mehr nehmen. Und da ich jetzt sowieso aussehe wie ein begossener Pudel, kann ich das Bein genauso gut hier drin im Wasser kühlen als im Zimmer. <
>Selbst als begossener Pudel bist du immer noch schöner, als manch andere. <
Verdutzt schaue ich zu ihm hoch und murmle ein verwundertes:
>Danke … Moment mal hast du mir gerade ernsthaft zum zweiten Mal ein Kompliment gemacht? Wer bist du und wo ist Sam? <
>Wieso so erstaunt? < schmunzelt er. >Ich bin eben direkt. Und ich glaube, das war sogar schon häufiger der Fall. <
>Direkt schon aber meistens nicht gerade ehrlich zu mir. <
>Ich bin sehr oft ehrlich zu dir, nur sage ich dir nicht alles. Das ist ein Unterschied. <
>Ausweichen ist auch eine Form von lügen. Du traust mir nicht, oder? <
Er überlegt kurz und zieht dann belustigt einen Mundwinkel hoch.
>Doch Kleines, das tue ich. Aber du musst noch viel lernen und nicht alles würde dir guttun, wenn du es erfährst. <
>Wieso lässt du mich das nicht selbst entscheiden? <
>Weil ich finde, dass du bereits die hässliche Seite der Welt gesehen hast. Ich bin der Meinung, dass das reicht und man sollte dich vor dem Rest schützen. <
>Du hast mich genug beschützt Sam. <
Amüsiert schaut er mich von der Seite her an und zieht mich zögernd in seine Arme.
>Da draußen gibt es noch genug vor dem du nicht sicher bist. Es ist noch nicht vorbei. Und aus diesem Grund würde ich es nun mal begrüßen, wenn du noch etwas wartest, bevor du übereilte Entscheidungen triffst und dich dazu entschließt zu gehen. <
Meine Hände liegen auf seiner Brust und ich starre ihm in die grauen Augen. Ich genieße es sogar auf eine verquere Weise. Mein Blick wandert zu seinen Lippen, was in mir ein eigenartiges Gefühl auslöst. Er streicht mir über die Wange und zwingt mich ihm wieder in die Augen zu sehen.
>Du willst, dass ich dir deine Fragen beantworte und dein größtes Problem mit mir ist, dass ich häufig ausweiche, richtig? < Ich nicke vorsichtig bei seiner Frage. Was kommt denn jetzt? >Dann stell mir für heute zwei Fragen, die dir unter den Nägeln brennen. Wenn ich eine davon nicht beantworten kann, dann such dir eine neue aus und wir vertagen die andere, bis ich es dir sagen kann. <
>Wer war das auf dem Foto in deinem Zimmer? < kommt wie aus der Pistole geschossen.
Sam öffnet den Mund und ist offenbar verblüfft, weil ich ausgerechnet das wissen will. Einen Augenblick später sagt er:
>Mein Bruder. Und jetzt frag mich nichts zu ihm, sonst hast du für heute nichts mehr. <
Ist das wieder eine Taktik von ihm, um davon abzulenken nachzubohren? Ich überlege kurz und habe eigentlich hunderte von Fragen. Die meisten würden im Moment aber wieder zum Streit führen und ich muss abwägen was im Moment das geringere Übel ist. Bei den anderen die ich im Kopf habe, würde es sicherlich darauf hinauslaufen, dass er sie „vertagt“.
Dann fällt mir etwas anderes von heute Morgen ein.
>Als ich vorhin draußen war, habe ich dein Grundstück umrundet. Was versteckst du in dem riesigen Nebengelass? <
>„Verstecken“ klingt so geheimnisvoll – ich bewahre nur auf. Vielleicht ist es besser, wenn ich es dir zeige, anstatt es dir zu sagen. <
>Schlimmer als dein Keller kann es doch nicht werden, oder? <
>Nein. < lacht er auf und lässt mich los, damit er mir vorausschwimmen kann. Für ein paar Sekunden bleibe ich noch wie angewurzelt im Wasser stehen und kann überhaupt nicht begreifen, wie intensiv diese kurzen Minuten mit ihm waren, als er mich in seinem Arm hatte. Es ist nicht das erste Mal aber es ist jedes Mal anders.
Schließlich schwimme ich ihm hinterher und wringe an Land meine Haare und teilweise meine Sachen aus. Wir ziehen beide die nassen Spuren hinter uns her und laufen hinter sein Haus.
Leider merke ich, wie ich wieder mehr und mehr zu humpeln beginne, als ich hinter Sam hinterhertrotte. Ich versuche das irgendwie zu kaschieren.
Er bleibt vor dem Nebengelass stehen und stellt an dem Schloss den richtigen Zahlencode ein, den ich von hier aus nicht erkennen kann.
Er zieht es raus und öffnet die Tür nur einen winzigen Spalt. Dann dreht er sich langsam zu mir um.
>Ich will, dass du keine Angst bekommst. Wie du weißt, war ich mal ein Soldat. <
erklärt er eindringlich. Im Moment verstehe ich absolut gar nichts bis er die Tür weit öffnet und ich hineinsehen kann. Das Erste, das ich mich frage, ist, weshalb dort drin überall feiner Sand auf dem Boden ist. Ich gehe langsam weiter hinein und sehe mich genauer um. Hier sind zwei Fenster pro Seite, die auf der Höhe anfangen, wo meine Körpergröße aufhört. An den grauen Betonwänden sehe ich aufgemalte Markierungen, die eine Entfernung in Metern zur vorderen Wand anzeigen. Über meinem Kopf an der Decke sind mehrere Stahlseile mit einer Winde und am Ende davon mehrere große Papierblätter, die aussehen, wie Ziele. In meiner unmittelbaren Nähe stehen ein einfacher Holztisch und an der Seite Metallspinde.
>Du übst hier zu schießen, oder? < frage ich gar nicht mal so überrascht.
>Ja. Hier drin allerdings meistens mit Soft Air Pistolen. Ich zeige es dir. <
Sam drängt sich an mir vorbei und läuft zu einem der Spinde, wo mehrere Metallregale übereinander sind. Von dort bringt er ein paar Sachen zu mir rüber. Er reicht mir eine kleine Schachtel und ich öffne sie. In meine Hand streue ich viele kleine Kugeln, die etwas größer sind als Stecknadelköpfe.
>Ist das sowas wie deine Munition? < will ich wissen.
>Ja, das ist aber nur Kunststoff. Wenn du so willst, ist es ein Spielzeug aber dadurch verballert man nicht unnötig Munition und schont die richtigen Pistolen. <
>Die richtigen sind doch in deinem Keller, oder? <
>Ja, wieso fragst du? <
>Du gehst damit … nur jagen, richtig? < frage ich unsicher und sehe zu ihm. Er erwidert meinen direkten Blick und wiederholt monoton:
>Exakt! Ich gehe damit jagen. <
>Und diesen Raum hast du hier, damit du nicht einrostest? < feixe ich.
>Es ist manchmal eine willkommene Abwechslung und es entspannt einfach nur mit Plastikkugeln auf ein Ziel zu schießen. <
>Also mich entspannt das lesen. <
Er grinst und nimmt mir ein paar der gelben Kugeln aus der Hand. Aus dem Regal holt er plötzlich eine Pistole, vor der ich automatisch zurückweiche.
>Keine Angst. Sie ist nicht echt und tut dir nichts. < erklärt er schnell bei meinem panischen Blick. Also für mich sieht sie ziemlich echt aus. Er lädt sie und greift zu meiner zittrigen Hand. >Es ist gut möglich, dass du so die Angst verlierst, wenn du weißt, wie es ist, so etwas in der Hand zu halten. <
>Ich weiß, wie es ist. < sage ich mit beschleunigter Atmung.
>Ach ja? <
>Mein Dad hat eine Schrotflinte besessen. Er hat mir gezeigt wie es geht. <
>Weißt du wo er die versteckt gehalten hat? < Ich nicke aber bin irritiert von seiner Frage. >Wärst du dort an dem Tag herangekommen, als deine Familie umgebracht wurde? <
Ich nicke wieder und verstehe sofort, worauf er hinaus will.
>Das hätte ich niemals tun können Sam. Selbst das Messer konnte ich nicht einmal gegen sie verwenden. <
>Wieso nicht? < will er wissen.
>Weil es Menschen sind. Abgesehen davon dachte ich nur daran, um mein Leben zu rennen. <
>Angenommen es würden alle drei Männer jetzt vor dir stehen, was würdest du in diesem Moment tun? <
>Was ist das denn für eine Frage? Ich würde wieder um mein Leben rennen. <
>Ach ja? Würdest du das? Du bist diejenige, die hinausläuft, wenn ihr Haus von einem Fremden überwacht wird und diejenige, die in das Haus hineinläuft von dem sie weiß, dass dort jemand fremdes drin ist. < ich verstehe nicht, worauf er hinaus will. Das tat ich, um meine Familie zu schützen. In dem wiederholten Fall wäre es mein eigenes Leben, das ich schützen müsste. >Stell dir vor, man könnte sie zusammen an einen Ort pferchen, an dem sie dir nichts tun können, sondern an dem du ihnen etwas antun könntest. Was würdest du machen? <
>Sie ins Gefängnis stecken, für das was sie getan haben. <
Sam presst Augen und Lippen zusammen und sieht genervt aus.
>Nein das glaube ich dir nicht. Manchmal frage ich mich, weshalb du überhaupt noch an unser Rechtssystem glaubst! Ich verstehe ja, dass du deine Hoffnung in die Gesetze legen willst, aber du allein musst deine Gesetze machen. Schalte deinen Kopf mal für eine Minute aus und frage dich nicht was richtig oder falsch wäre. Denke nur einen Moment lang an das erste, das dir einfällt. Würdest du wirklich wollen, dass sie in ein Gefängnis kommen, wo sie Kost und Logis auf Kosten unseres Staates bekommen? Vielleicht würden sie dort sogar ein paar Monate später die Giftspritze bekommen aber vielleicht würde auch jemand eine Kaution für sie zahlen, damit sie rauskommen. Und plötzlich wären sie wieder da und könnten weitermachen wie bisher. Würdest du sie nicht lieber ausquetschen wollen, wer noch in diese Machenschaften verstrickt war? Würdest du nicht wollen, dass andere von diesen Dingen verschont bleiben, die dir passiert sind? <
Bei jedem Satz sagt er es lauter und direkter.
Ich atme heftiger und versuche meine Tränen wegzublinzeln.
Er keucht kurzatmig auf, weil er sich so in Rage geredet hat und streicht mir dann wieder sanftmütiger und liebevoller über meine Wange. >Also Kleine? Sie haben deine Eltern und einen 9-Jährigen auf dem Gewissen, der noch nicht mal richtig gelebt hat. Sie haben sie einfach umgebracht. Was würdest du mit ihnen tun wollen, wenn sie jetzt vor dir stehen könnten? <
>Das gleiche was sie mit meiner Familie gemacht haben. < flüstere ich und kneife meine Augen zusammen. Als Nachsatz ergänze ich: >Nur schlimmer. <
Eine Träne läuft meine Wange runter, als all das wieder hochkommt.
Als ich die Augen wieder aufmache, steht Sam immer noch vor mir, presst die Lippen zusammen und nickt. Er reicht mir die Waffe, die verblüffend echt aussieht und nickt zu den Zielscheiben aus Papier.
>Na dann mal los. Stell dir vor, da vorn stehen sie. <
Dann geht er einen Schritt von mir weg. Mit verschleiertem Blick sehe ich auf meine bewaffnete Hand. Was mache ich hier eigentlich?
>Ich glaube, ich bin ein bisschen überfordert. < sage ich schrill. Dass dieses Ding nicht echt ist weiß ich, aber warum habe ich so panische Angst?
Sam kommt wieder näher und greift sich kommentarlos meine linke Hand, um sie an mein rechtes Handgelenk zu legen. Mein rechter Arm wird etwa 90° vor meinem Körper hochgezogen, was schon sehr grenzwertig ist und in der Muskulatur zieht. Er positioniert beide Daumen von mir nebeneinander und legt meinen Zeigefinger auf den Abzug.
>Zieh ihn nur vorsichtig an und lass dich von dem Schuss „überraschen“. < mit großen Augen lasse ich die Waffe ein Stück sinken und starre ihn an. >Was ist los? <
>Nichts. < flüstere ich, aber fange an zu lächeln. >Mein Dad hat nur mal genau das gleiche gesagt. <
>Dann war er ein guter Lehrer. Zeig mal was du kannst! <
Mit plötzlich ruhigerem Herzschlag nehme ich wieder die Position ein und stelle automatisch meine Beine so wie ich es gelernt habe. Ich atme ein, atme aus und schieße in der kleinen Pause, die danach folgt.
>Nicht schlecht. < sagt Sam anerkennend.
>Mit dem Gewehr hätte ich besser getroffen. <
>Kurzwaffen sind nicht zu vergleichen. Probiere es einfach weiter und bekomme ein Gefühl dafür. <
Sam lässt mich ein paar Mal schießen und fängt dann an, kleine Veränderungen an meiner Haltung einzunehmen. Es macht mir irgendwann sogar Spaß, was ich selbst überhaupt nicht verstehen kann. Die Markierung, die er an den Wänden hat, gibt an, wie viele Meter man vom Ziel entfernt ist und ich rücke immer weiter nach hinten, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.

            Nach gefühlten fünfzehn Minuten muss ich meine Schulter allerdings runternehmen, weil die Schmerzen immer heftiger werden. So lange kann ich das Ganze noch nicht halten.
>Ich muss zugeben, dass ich dir so einiges nicht zugetraut habe. Du bist mutiger und härter im Nehmen als man denkt, du kannst ganz passabel schießen und du kennst dich auch noch mit Eishockey und Football aus. Das kleine, unscheinbare Mädchen von nebenan bist du jedenfalls nicht. <
>Ich bin hart im Nehmen? < frage ich schrill und überlege, ob er mich gerade schon wieder auf den Arm nimmt.
>Absolut. Ich habe gestandene Männer gesehen, die sich bei solchen Schusswunden wie deinen, anders verhalten haben. <
>Dafür sagst du mir aber auch ständig, dass ich keine starken Nerven habe. <
>Das stimmt. Aber daran kann man arbeiten. Du bist vorher in einer heilen Welt gewesen und bist aus deiner Komfortzone herausgerissen worden. Wahrscheinlich weißt du gar nicht was in dir steckt, weil du es nie zeigen musstest. <
Daraufhin fällt mir die Shoppingtour mit Megan ein, die ich einen Tag nach der Zeugnisausgabe machte.
>Wie stark du tatsächlich bist, erfährst du erst, wenn stark sein die einzige Option ist, die du hast. < zitiere ich die Worte auf der Postkarte, die ich noch vor kurzem gekauft habe. Ich fand den Spruch recht ansprechend aber jetzt könnte er passender nicht sein. Ich runzle die Stirn, weil ich jetzt erst verstehe, wie viel Wahrheit darin steckt.
Sam stutzt einen Moment aber nickt dann.
>Ganz genau Kleines. Du zeigst mir Potenzial, das mehr und mehr zum Vorschein kommt und das ich vorher nicht für möglich gehalten habe. Aber das versteckst du, indem du in einem muffigen Büro sitzen willst. <
>Das ist eben das, was ich kann. <
>Ich glaube, du kannst viel mehr als das und solltest über einen Branchenwechsel nachdenken. Wenn du lernen würdest wie du dich selbst verteidigst, dann könnte dir niemand mehr etwas. Du würdest lernen was es heißt, über den eigenen Schatten zu springen und deine Grenzen zu übersteigen, Tag für Tag mehr. Es gibt spezielle Schulen für sowas. < erklärt er mir plötzlich mit einer unbekannten Begeisterung in seiner Stimme. Seine Pupillen weiten sich bei seiner Erklärung und er lächelt leicht.
>Für sowas habe ich wohl eine zu befleckte Akte. < sage ich lässig. Nicht, dass ich so einen Werdegang jemals anstreben würde. Was auch immer Sam für Potenzial in mir sehen will, ich finde, ich gehöre immer noch in ein Büro mit Zahlen, Daten und Fakten.
>Deine Akte ist manipuliert und nicht befleckt. <
>Und wenn schon. < erwidere ich matt und reiche ihm die Pistole zurück. >Trotzdem wurde mir etwas Falsches angehangen und ich kann es immer noch nicht verstehen, wie ich da reingeraten konnte. <
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