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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
1 Review
 
27.07.2018 3.756
 
Kapitel 23 – Maple Hill

Ich schnalle mich hektisch ab und greife an den Türhebel, aber Sam beugt sich zu mir rüber und zieht die Tür wieder zu.
>Hey lass mich raus! < protestiere ich.
>Nein, du hast mir versprochen zu tun was ich sage. Du gehst nicht einfach unbedacht los. <
>Das ist das erste Mal nach diesem Vorfall, dass ich unter andere Menschen komme, die nicht von dir angeheuert wurden. <
>Eben! Deswegen warten wir erstmal. <
>Wir warten schon die ganze Zeit. Wie lange willst du mich hier noch sitzen lassen? <
Ungeduldig hüpfe ich auf dem Sitz umher und kann nicht fassen, was dieses Theater schon wieder soll. Sam hat sogar den Wagen von innen verschlossen, dass ich nicht zu ihr kann. Ich muss dabei zusehen, wie Meg aus dem Auto steigt und planlos auf dem Parkplatz herumläuft. Sam reicht mir ein weiteres Prepaidhandy.
>Ruf sie an und sag ihr, sie soll zu uns in den Wagen steigen. Fass dich kurz, du weißt ja inzwischen, worauf du achten musst. <
Ohne zu murren gebe ich ihre Nummer ein und drücke auf den Hörer. Ich kann sie von hier aus dabei beobachten, wie sie ihr leuchtendes Handy zückt, dann kurz hin- und herschaut und dann abnimmt.
>Hallo? < spricht sie unsicher hinein.
>Meg. Dreh dich um! Ich bin in dem dunklen Pick-up. Komm her und steig ein! <
Ich lasse sie überhaupt nichts dazu sagen, sondern beende das Telefonat sofort. Sam nimmt es mir weg, stellt es aus und nimmt danach die SIM-Karte komplett auseinander.
Meine Freundin starrt zwar in unsere Richtung aber sie bewegt sich kurzzeitig keinen Meter.
>Gehört ihre Familie auch zu denen mit indianischen Wurzeln? < will Sam wissen. Immerhin sieht er nur eine schwarzhaarige Person unter einer schwach beleuchteten Laterne.
>Nein sie sind Inder. < murmle ich und beuge mich weiter vor, damit ich sie durch die Scheibe sehen kann. Sam öffnet die Zentralverriegelung und reicht mir ein Basecap das ich aufsetze.
>Mach ihr die Tür auf und rutsch zu mir ran. Wir bleiben erstmal hier drin, bis ihr eure Wiedersehensfreude durch habt. Es würde draußen zu viel Aufsehen erwecken. <
Ich stelle keine Fragen mehr, sondern tue es einfach. Die Tür schwingt auf und Meg läuft langsam und verunsichert auf den Wagen zu. Wenn ich sie wäre, dann würde ich es auch so vorsichtig angehen und nicht einfach wegen eines Anrufs losrennen. Besonders nach allem, was mir passiert ist, ist es klug nicht einfach unbedacht in einen fremden Wagen zu steigen. Ich setze das Basecap auf und rutsche auf den mittleren Sitz an Sam's Seite. Dieser legt noch einmal Hand an und greift meine langen Haare, um sie nach vorn über meine beiden Schultern zu legen.
>Meg, komm her! Ich warte hier drin. < rufe ich und dann werden ihre Schritte schneller. Sie kommt zur Tür, sieht mich im dunklen Schatten sitzen und atmet geräuschvoll aus. Meine beste Freundin beginnt zu schluchzen und hüpft schnell hinein, um mir in die Arme zu fallen.
>Oh Gott Yeli. Ich dachte bis zur letzten Sekunde, dass das hier ein schlechter Scherz ist. Jeder denkt, du wärst tot und jeden verdammten Tag habe ich alles nachgelesen und angesehen, was es über dich in den Medien gab. Ich bin fast wahnsinnig geworden. <
Ich spüre wie sie zittert, als sie sich von mir löst - denn erst jetzt bemerkt sie Sam und starrt ihn an. Ihre Hand geht an mein Handgelenk und übt einen schmerzhaften Zug an meiner rechten Schulter aus, als wenn sie mich jeden Moment hier herauszerren will.
>Das ist Sam. < erkläre ich ihr beruhigend, damit ihre Sorge um mich verfliegt. >Er hat mir das Leben gerettet und mich aus dem Lake geholt, als ich angeschossen war – er hilft mir. <
>Was? < haucht sie und starrt immer noch die dunkle Gestalt neben mir an.
>Hey Megan. < erwidert Sam lässig, als meine beste Freundin festgewachsen zu sein scheint.
>Hallo. < keucht sie steif. >Gut, dass Sie da waren. Danke für Ihre Hilfe aber ich nehme Nayeli jetzt mit zu mir. <
>Ich habe mir gedacht, dass du so etwas sagen würdest. Und Sam reicht, du musst mich nicht siezen. Nayeli wird vorerst nicht nach Duluth zurückkehren, es ist zu gefährlich. <
>Zu gefährlich? Ihre Familie wurde umgebracht. Sie muss zu mir nach Hause kommen und Polizeischutz bekommen. Dann ist sie sicher. <
>Hört auf über mich zu reden, als wäre ich nicht da. < platze ich dazwischen und greife über Megan hinweg, um die Tür zuzuziehen. >Sam hat recht. Inzwischen muss ich mir das leider auch eingestehen. Mein Tod wurde ein paar Tagen später von seinem Freund eingefädelt, damit nicht weiter nach mir gefahndet wird. Die Mörder versuchen offenbar mir ihre Tat anzuhängen. Sie haben scheinbar sogar die Beweise gefälscht. Und im Moment sieht es nicht gerade gut für mich aus. <
>Was? Aber weshalb sollten sie? < fragt meine Freundin perplex.
>Bevor wir weiterreden will ich, dass du dein Handy ausmachst. Wir sollten nichts riskieren. < wirft Sam meiner Freundin gegenüber ein.
>Na klar doch. Ich habe nichts Besseres vor, als in einen fremden Pick-up einzusteigen und mein Handy auszumachen, damit man mich nicht orten kann, wenn ich irgendwohin verschleppt werde. < sagt sie hysterisch.
>Niemand wird hier verschleppt. < seufzt Sam. >Es geht außerdem nicht ums Orten – da du den Akku drin lässt, kann man das sowieso machen. Ich will, dass uns niemand abhören kann. Das funktioniert bei Vertragstelefonen auch, wenn du nicht telefonierst. Wenn du deine Freundin also nicht direkt in die Hände von den Falschen spielen willst, dann mach es aus! < erklärt er versucht ruhig, obwohl ich weiß, dass sie ihn jetzt schon nervt. Es ist nur natürlich, dass sich Megan genauso verhält, wie ich zu Anfang.
Ich nehme ihr einfach ihr Handy aus der Hand und mache es selbst aus.
>Hey bist du verrückt? < keucht sie und greift mir ans Handgelenk, wodurch sie wieder einen Zug auf meine rechte Schulter ausübt. Ich versuche erneut ein schmerzhaftes Stöhnen zu unterdrücken. Ich weiß, dass sie Angst hat und alle Alarmglocken schrill in ihrem Kopf klingeln.
>Beruhige dich. Sam versucht wirklich mir zu helfen. Er hat offensichtlich seine Erfahrungen mit diesen ganzen Dingen. <
>Na du hast ja Nerven. Und was sollte überhaupt die Verkündung von deinem Tod? Das hatte zur Folge, dass niemand mehr nach dir gesucht hat. Weder ich, noch meine Eltern oder deine anderen Freunde. <
>Das war letzten Endes Sinn der Sache. < murmle ich traurig. >Sam wollte nicht riskieren, dass mir die Täter auf den Fersen sind. <
>Wieso sollten sie denn? Die wollten euch doch sicher nur beklauen und deine Eltern waren im Weg, oder? <
>Nein Meg. So einfach ist die Sache nicht. Ich bin den drei Tätern begegnet und sie waren da, um uns umzubringen. < sage ich zittrig. >Sie wollten nichts von uns stehlen, weil es nichts zum Stehlen gab. Als ich geflohen bin, haben sie auf mich geschossen. Sie wollten nicht, dass ich entkomme. <
>Oh mein Gott. < haucht sie und zieht mich wieder in ihre Arme. >Das … tut mir so leid. Warum ihr? Weshalb wollten sie denn, dass ihr sterbt? <
>Ich habe am Tag unserer Prüfungsergebnisse erfahren, dass sich mein Vater Geld geliehen hat, weil wir nichts mehr hatten. Er konnte es offensichtlich nicht mehr rechtzeitig zurückzahlen. <
Sie fängt an zu weinen und ich bin auf eigenartige Weise gefestigter, als ich es mir jemals zugetraut hätte. Sam verfällt ins Schweigen und sieht nach vorn über sein Lenkrad. Bei dem geringen Lichteinfall kann ich allerdings deutlich sehen, wie sich seine Gesichtsmuskeln anspannen. Meg wischt sich ihre Tränen und erklärt schniefend:
>Ich habe dich auf der Party überall gesucht. Du warst plötzlich weg und niemand wusste, wo du warst. <
>Oh Mann, ich hatte Paul doch extra gesagt, dass ich nach Hause wollte und er dir Bescheid sagen soll. <
Megan murmelt daraufhin wütend so etwas wie „So ein Vollidiot“ und greift sich sofort wieder meine Hand.
>Jedenfalls bin ich sofort zum Telefon gerannt, als sich die Nachricht in Duluth verbreitet hat, noch bevor es überhaupt in den Medien war. Ich konnte es einfach nicht glauben und fluchte allen entgegen, sie sollen so einen Mist nicht weitergeben. Allerdings wurde ich panisch, als kein Freizeichen bei euch durch die Leitung kam, also bin ich zu euch gefahren. < schluchzt sie und wischt sich ihre Tränen weg. >Da war überall die Polizei. Die kamen und machten eine Spurensicherung und sowas. Die ganze Zeit haben sie versucht, mich von dort wegzubekommen aber ich musste einfach wissen, ob du auch dort liegst. Sie hatten mir damit gedroht, mich gewaltsam von dort fortzuschleppen aber das war mir egal. Sie wollten mir ewig nichts verraten, deswegen habe ich so lange gewartet, bis sie drei Personen herausgebracht haben. Das Ganze war noch schlimmer, weil sie alle in schwarzen Säcken waren und ich nicht wusste, ob du da drin bist. Als ich vollkommen hysterisch zusammenbrach, war die Polizei dann aber doch ziemlich interessiert an mir und wollte wissen, wer dort normalerweise lebt. Als ich dich beschrieben habe, sagte mir einer, dass du fehlen würdest. Ich sah die aufgebrochene Tür bei euch, dein offenes Fenster und die gebrochenen Weinranken darunter, als wenn du von dort heruntergefallen wärst. Die Behörden hatten ziemlich damit zu kämpfen, draußen noch Spuren zu finden, weil es so stark geregnet hatte, aber sie konnten tatsächlich Patronenhülsen finden und sogar eine kaum noch wahrnehmbare Blutspur, in Richtung des Lakes. Es wurde auch an den Weinranken gefunden und sie sagten, dass es wohl von dir stammen würde. Irgendwann tauchten aber immer mehr Schaulustige auf, die ich zusammengefaltet habe. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als dort mit ihren Handys zu stehen. Bis auf mich wurden sie von der Polizei vertrieben, weil mir noch Fragen zum Vorabend gestellt wurden. Vor Ort hörte ich noch, wie die Behörden Mutmaßungen anschnitten. Sie gingen davon aus, dass du in der Nacht vor dem Täter fliehen konntest. Ich habe so sehr gebetet, dass sie dich lebend finden würden. Kaum vierundzwanzig Stunden später hieß es plötzlich, du seist die Mörderin. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, denn es war alles so logisch als ich dort war. Selbst die Polizisten sagten doch, dass du ganz offensichtlich verfolgt wurdest. <
Meine Augen haben sich an das wenige Licht gewöhnt und mein Blick geht zu Sam. Er schaut so, als würde ihn das überhaupt nicht wundern.
>Ehe die Pressemitteilungen herausgegeben werden, liegt erstmal alles bei der Polizei. < erklärt er. >Wenn die Schuldigen einen Komplizen unter den Cops haben, dann haben die Täter von der Auswertung der Spurensicherung gehört, noch bevor es öffentlich gemacht werden konnte. Ehe es zu ihrem Nachteil ausgelegt wurde, drehten sie den Spieß einfach um und machten Nayeli zum Buhmann, indem sie Beweise fälschen ließen. Das ist keine Seltenheit. <
Meg starrt ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
>Und du bist Ermittler oder was? < will Meg etwas bissig wissen.
>Er weiß was er tut. < beschwichtige ich sie und lasse die ganze Zeit ihre Hand nicht los. >Was ist dann passiert? <
>Im Grunde nichts mehr. Niemand wollte mir glauben als ich auf der Wache stand und sagte, dass du sowas nicht tun könntest. Ich erklärte ihnen, dass du deinen Bruder und deine Eltern über alles liebst und niemals jemanden umbringen würdest. So ein dicker Kerl am Empfang sagte nur, dass das immer alle über ihre Freunde und Angehörigen sagen würde. Ich habe mir eingeredet, dass du noch lebst und wollte Flugblätter drucken. Jordan und die Jungs wollten mir helfen aber dann kam die Meldung, dass …< sie schluckt und schnieft. Schließlich wird ihre Stimme immer höher und verzerrter. >Dann hörten wir, dass sie dich tot gefunden hätten. Wir waren alle am Boden zerstört und konnten es einfach nicht glauben. <
Bei ihren Worten greife ich mir an die Brust und versuche nicht daran zu denken, wie sie sich dabei gefühlt haben muss.
>Ich lebe noch dank Sam. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich wirklich tot. <
Mein Blick geht zu ihm rüber und er lächelt matt im dürftigen Schein.
>Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe. < murmelt Meg und sieht an mir vorbei, zu ihm rüber. >Das ist alles so verrückt. <
>Ich weiß, ist schon gut. Wisst ihr was? Ich denke, wir können es riskieren dort mal reinzugehen. < sagt er und nickt zu dem Diner rüber. >Da sind kaum Menschen drin und inzwischen habt ihr euch genug in den Armen gelegen. Es sieht nicht mehr so verdächtig aus, als hättet ihr zwei euch auf schreckliche Weise trennen müssen. <
>Bist du sicher? < will ich wissen und bin froh, endlich sein Auto verlassen zu können.
>Ja. Setzt euch zwei weit in die Ecke und redet leise miteinander. Ich lasse euch allein und bleibe weiter hinter euch. Aber lass das Basecap auf! <

            Dass Sam das alles mitmacht, muss ich ihm wirklich zugutehalten. Mir ist klar, dass ihm die lange Fahrt und dieser ganze Aufwand, den er betreibt, ziemlich an die Nieren gehen muss und trotzdem tut er es. Wir laufen langsam und ohne abgehetzt zu wirken hinein. Sam's Blick geht sofort unauffällig durch den Laden und er murmelt:
>Wie ich es mir dachte. Hier sind keine Kameras. <
Langsam laufen Meg und ich wie versprochen ganz nach hinten.
Im gesamten Diner gibt es die gleichen Tische, mit den beiden länglichen rot gepolsterten Sitzbänken. Überall sind Vierertische und wir zwei setzen uns gegenüber voneinander. Sam setzt sich etwas weiter weg an die Bar – wahrscheinlich weil er so einen besseren Überblick hat, wie ich ihn inzwischen kenne. Erst jetzt sieht mich Meg wirklich im Licht.
>Wie siehst du überhaupt aus? < flüstert sie und beäugt mich kritisch mit dem Nasenring, den geänderten Haaren und dem Basecap. Immerhin verdeckt es noch das meiste von meiner zerkratzten Schläfe.
>Sam fand, dass es notwendig war. Jetzt da mich niemand auf der Straße sehen sollte, darf ich nicht mehr aussehen wie ich früher war. <
>Weißt du eigentlich wie sich das alles für mich anhört? Als wäre die Mafia hinter dir her. <
>Ich habe keine Ahnung wer hinter mir her war. Er versucht noch herauszubekommen, wer hinter all dem steckt. <
>Und wie kommst du darauf, dass er das schafft? Sagte er nicht, wenn die Typen jemanden bei der Polizei kennen, dann sei sowieso alles an Beweisen und Meldungen falsch? <
>Ja … ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Aber was er sagt, klingt logisch. Du und ich wurden heute Morgen für einen kurzen Augenblick abgehört, als wir miteinander gesprochen haben. Deswegen musste ich so schnell auflegen. <
>Süße, ich verstehe dich. Mir ist klar, dass du Angst hast und dich allein fühlst. Aber glaubst du nicht, dass du diesem Sam etwas zu viel vertraust? So bist du doch eigentlich gar nicht und du kennst ihn nicht. Ich fand ihn im Auto schon unheimlich und jetzt wo ich ihn auch noch so sehe, da muss ich gestehen, dass ich mir nicht so sicher bin, was er von dir will. Er wirkt mir irgendwie etwas zu gelassen und abgebrüht, als es für die Situation angemessen wäre. Und er will dich nicht mit mir gehen lassen. <
>Ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst. Aber Sam ist okay, wirklich. Ich glaube …< ich drehe mich kurz zu ihm um, beuge mich dann weiter zu Meg vor und flüstere noch leiser. >Ich glaube er weiß deswegen so viel über diese Machenschaften, weil er beim FBI arbeitet. Er redet nicht viel darüber aber er hat einen Phantomzeichner zu mir geschickt, der die Täter aufgenommen hat und er kennt Leute, die im Zeugenschutz arbeiten. Ich glaube, Sam ist das Beste, was mir in dieser Situation passieren konnte. <
Meine Freundin verschränkt die Arme und seufzt. Mir ist klar, dass es auch für sie nicht einfach ist. Ich habe sie einfach hierher beordert, wo sie doch gerade erst erfahren hat, dass ich noch lebe. Sie hat ebenso eine ziemliche Strecke auf sich genommen und erfährt von mir all das Grauen, das mir zugestoßen ist. Wäre ich an ihrer Stelle, dann wäre ich genauso fertig und würde sie am liebsten auf der Stelle mitnehmen. Jeden anderen Fremden in ihrer Nähe würde ich ebenso als Gefahr ansehen.
Die Kellnerin kommt zu uns gelaufen – die unfassbar stark nach kaltem Zigarettenqualm stinkt, obwohl sie nervtötender Weise mit offenem Mund auf einem Kaugummi herumkaut.
>Was kann ich euch zwei Süßen bringen? < fragt sie und zückt ihren Block und einen Bleistift.
>Kaffee. < antworten meine Freundin und wie aus einem Mund. Damit verschwindet sie auch schon schleunigst wieder aus unserem Sichtfeld.
>Und wie soll es jetzt weitergehen? < will sie wissen.
>Ich werde warten bis ich mich wieder richtig bewegen kann. Sam will Beweise finden und die Männer hinter Gittern bringen. Ich habe keine Ahnung wie lange das dauert und ob er es überhaupt schafft. Aber daran halte ich gerade fest. Der momentane Stand ist der, dass ich vorerst einen anderen Pass bekommen soll. Es sei denn, ich will für unbestimmte Zeit in seinem Haus eingesperrt bleiben. <
>Das ist illegal! < flüstert Meg, da von weitem die Kellnerin mit unseren Heißgetränken angeschlendert kommt. Sie stellt uns noch Zucker, Milch und zwei folierte Speisekarten auf den Platz und geht dann wieder an ihre Bar. Im Großen und Ganzen ist es hier drin sehr leer. Ab und zu kommt mal ein Trucker für einen Stopp rein, aber mehr als eine Handvoll Personen können es nicht sein, die irgendwo in meinem Rücken sitzen.
>Eine unschuldige Familie umzubringen ist auch illegal. < wiederhole ich Sam's Aussage von neulich.
Meg kneift die Augen zusammen und presst die Lippen aufeinander, als müsse sie sich das Weinen verkneifen. Dann greift sie zum wiederholten Male meine Hand, die auf dem Tisch liegt.
>Hast du eine Ahnung wie schlimm das ist, zu hören, dass der besten Freundin so etwas angetan wurde? <
>Wahrscheinlich ein kleines bisschen weniger schlimm, als das am eigenen Leib erfahren zu müssen. < schniefe ich und schüttele den Kopf.
>Komm mir mit nach Hause. Wenn dieser Sam dir einen anderen Pass besorgt und nach Beweisen sucht, dann kannst du auch genauso gut bei mir bleiben. Du weißt, meine Eltern würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dir zu helfen. Sie lieben dich wie ihre zweite Tochter. Aber mal ganz davon abgesehen … wer weiß was Sam dafür will, dass er dich bei sich lässt. <
>Es ist nicht so wie du denkst und er ist nicht an mir interessiert. < beteure ich und würde in diesem Moment nichts auf der Welt, auf Sam kommen lassen. >Er ist lieber für sich allein und will mir nur wieder auf die Beine helfen. Mir ist klar, dass ich das womöglich nie mehr gut machen kann, was er für mich getan hat. <
>Das hoffe ich für dich, dass er sich nicht für dich interessiert. Aber ich glaube es nicht, denn er schaut andauernd beiläufig zu dir. <
>Nur weil er sehr vorsichtig ist. Womöglich hat er den ganzen Laden im Blick. <
>Erinnerst du dich noch an diesen Unterricht, in dem wir mal das Stockholm-Syndrom angeschnitten haben? < fragt sie sehr vorsichtig und bedacht.
>Jetzt hör aber auf! < flüstere ich verärgert. >Er ist nicht mein Entführer, sondern mein Retter. Und ich bin nicht … ich meine … wir sind nicht. Hach Meg, versteh mich doch! Ja, er ist ein komischer und verschlossener Kerl aber er tut alles, was er kann und er fasst mich nicht an. Ich habe sogar ein eigenes Zimmer. <
Dass wir letzte Nacht enger nebeneinander lagen verkneife ich mir in diesem Moment lieber.
>Ist ja gut. < erwidert sie beschwichtigend. >Ich wollte dich nicht verärgern, nur dass du alle Facetten betrachtest. Du bist clever und ich hoffe du weißt was du tust. <

            Meg und ich sitzen noch eine ganze Weile so zusammen und unterhalten uns. Inzwischen haben wir schon den zweiten Kaffee und zumindest auch einen Teller Pancakes bestellt, den wir uns teilen. Eigentlich ist uns beiden bei diesem Gesprächsthema eher flau im Magen, aber wir sollten trotzdem etwas essen.
Sam hat sich in der Zwischenzeit ein mächtiges Omelett machen lassen und vertilgt es in Rekordzeit.
Danach kommt er zu unserem Tisch gelaufen und setzt sich neben mich.
>Ich habe mal nachgefragt. Nebenan ist ein kleines Hostel und ich finde, wir sollten um diese Zeit nicht so eine Strecke zurückfahren. Besonders nicht deine Freundin, nachdem sie alles gehört hat. < sagt er an mich gewandt. >Ich schlage vor, ihr zwei schlaft in einem Zimmer und ich bin nebenan. Morgen früh fahren wir zurück. <
Ich nicke aber Meg protestiert:
>Was? Nein ich fahre doch morgen nicht einfach zurück nach Duluth und tue so, als hätte ich das heute nicht gehört. Das geht nicht. Wie kann ich euch erreichen und wo wohnst du im Moment? <
Ich schaue zu Sam, der meinen Blick erwidert aber nichts antwortet. Trotzdem verstehe ich, was er mir stumm sagen will, deswegen erkläre ich es meiner Freundin so bedächtig wie ich kann.
>Ich fürchte du musst warten, bis ich mich bei dir melde. Und ich denke es ist auch für deine Sicherheit besser, wenn du nicht allzu viele Informationen über mich bekommst und nicht weißt, wo ich im Moment zu finden bin. <
>Glaubst du etwa ich würde dich verraten? < fragt sie betroffen.
>Nein, das tue ich nicht. Aber wer hinter mir her ist, könnte schnell hinter dir her sein. Das ist das Letzte, was ich will. Stell dir vor, sie würden das auch mit deiner Familie machen. <
Plötzlich wird Meg mit aufgerissenen Augen ganz ruhig und scheint endlich zu verstehen, wie groß diese Sache inzwischen geworden ist. Und nicht nur sie. Bei meinen Worten erschrecke ich mich selbst und verstehe endlich, wie tief ich inzwischen in dieser Sache drinstecke. Und ich frage mich insgeheim, ob ich jemals wieder hier rauskomme.
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