Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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29.06.2018
5.814
Kapitel 19 - Veränderung
Ich befülle eilig die Spüle mit Wasser und lege den tiefgekühlten Fisch hinein, damit er schneller auftaut. Dann laufe ich zur Kellerluke und gehe Sam ein paar Schritte hinterher, ohne zu genau auf den Tisch dort unten zu achten.
>Wer kommt vorbei? Und was sollen „ein paar kleine Veränderungen“ denn bedeuten? < keuche ich schrill, da ich von seiner eigenartigen Erklärung zugegebenermaßen etwas beunruhigt bin.
>Es kommt eine sehr professionelle Bekannte her – eine von sehr wenigen Menschen, der ich einigermaßen vertraue. Sie wird dir mit deinen Haaren und solchen Dingen helfen. <
>Da ist mir nicht mehr zu helfen. < lache ich, da ich die ewigen Kämpfe vor dem Spiegel leid bin.
>Ihr fällt schon was ein. Aber wenn sie mit dir fertig ist, kannst du wieder auf die Straße gehen. Sie ist eine etwas andere Version einer Visagistin und zuständig für die Opfer in einem Zeugenschutzprogramm. Sie verändert die Personen optisch, damit sie unentdeckter bleiben. <
Phantomzeichner? Visagisten für den Zeugenschutz? Was kommt als Nächstes?
>Du Sam? <
>Hmm? < fragt er und stellt einen Eimer Wasser auf den blutverschmierten Tisch.
>Du hast gesagt, dass Dimitrij die Täter zeichnet und sich den ganzen Tag mit den Opfern befasst. Diese besagte Freundin von dir, ist auch in dieser Branche. Woher kennst du all diese Leute? <
>Falsche Frage. Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. < antwortet er knapp.
>Arg…Sam! Du machst mich wahnsinnig damit. Sag schon! <
>Man lernt sich eben kennen, wenn man auf ähnlichen Gebieten arbeitet. <
>Ähnliche Gebiete? Es schien so, als würden du und Dimitrij diese Machenschaften ziemlich genau kennen. <
>Manche kriminelle Banden und dessen häufige Vergehen sind eben bekannt aber das heißt nicht, dass man sie kennt. Und schon gar nicht heißt es, dass man sie immer zu fassen bekommt. <
>Aber wieso sollte einer von diesen Banden ausgerechnet auf meine arme Familie gekommen sein? Mein Dad war eigentlich ein Fischer, er hatte nichts mit solchen Leuten am Hut. Niemals. <
>Ich habe selbst noch keine genaue Information, also werde ich dir auch nichts verraten. <
>Aber du hast eine Vermutung. < mutmaße ich.
>Ja. < antwortet er knapp und klatscht den nassen Lappen auf den Tisch.
>Dann verrate es mir. <
>Nein.<
Jetzt sind wir aber wieder sehr gesprächig. Inzwischen weiß ich, dass es nichts bringt, Sam mit ewigen Fragen zu nerven. Ich gebe es auf, laufe wieder nach oben und fange an das Essen zu machen.
Während die Fische in ihrer Alufolie im Backofen vor sich hin garen, suche ich Sam nach seiner Kellerputzaktion im Haus. Er ist wie gestern Abend in seinem Wohnzimmer am Laptop und scheint mich erst gar nicht wahrzunehmen. Ich sehe seitlich auf den geöffneten Bildschirm, dort ist ein großes Profilbild von einem blonden Mann zu erkennen und rechts davon ein weißer Text auf schwarzem Hintergrund, der eben geschrieben wird – allerdings nicht von Sam. Ich frage mich was er da tut aber dann scheint er mich aus seinem Augenwinkel zu sehen und klappt schnell den Bildschirm herunter.
>Kann ich dir noch bei irgendetwas helfen? < frage ich und tue so, als wäre ich erst vor einer Sekunde hereingekommen.
>Nein, du scheinst hier eine ganze Menge getan zu haben, während ich weg war. Danke. <
Das ist das erste Mal, dass ich ein „Danke“ von ihm höre.
>Habe ich gern gemacht. < erwidere ich und gehe zurück in die Küche.
Sam meckert mir lediglich hinterher, dass ich mit meiner Stütze laufen soll.
Gelangweilt verweile ich auf dem Küchenstuhl und lese mir die Rückseiten der Bücher noch einmal durch, welche ich bekommen habe. Ich will noch nicht mit einem davon anfangen, wenn jeden Moment Sam's Freundin hier auftaucht. Das Wort „Freundin“ klingt irgendwie eigenartig im Zusammenhang mit ihm – also korrigiere ich gedanklich meine Bezeichnung auf „eine Bekannte.“
Eine Frau an seiner Seite würde wahrscheinlich wahnsinnig mit ihm werden. Vielleicht steht er auch überhaupt nicht auf Frauen, wie mir langsam in den Sinn kommt. So komisch wie er mir sagte, dass ich nichts für ihn wäre und auch sonst keinerlei Interesse zeigt, wirkt es langsam so. Na gut – soll mir recht sein und um ehrlich zu sein, bin ich irgendwie dankbar dafür.
Mein Blick geht zur Uhr und dann zum Backofen. Inzwischen müsste das Essen durch sein. Ich ziehe den Rost etwas vor und versuche die Folie mit meinen Fingerspitzen zu öffnen. Zuerst kommt mir eine heiße Dampfwolke entgegen und dann der leckere Geruch. Den Fisch musste ich halbieren, sonst hätte er in einem Stück nicht in den Ofen gepasst. Alle Beilagen habe ich zusammen in die Folie getan und sind dadurch butterweich geworden.
Ich lasse das Essen noch kurz im Ofen aber stelle die Temperatur bereits aus. Den Tisch decke ich schon ein – heute zur Abwechslung mal für drei. Was soll seine Freundin oder Bekannte eigentlich mit mir anstellen? Ich glaube wohl kaum, dass sie mich so sehr verändern kann, dass ich nicht mehr aussehe wie ich. Um ehrlich zu sein, finde ich diesen Gedanken auch arg beängstigend. Eigentlich will ich mich gar nicht verändern aber andererseits will ich nicht ewig irgendwo eingesperrt sein.
Wenn Sam nicht ebenfalls an so einem schönen und abgelegenen Ort leben würde, wie ich noch in der letzten Woche, dann würde ich das Sonnenlicht womöglich überhaupt nicht sehen. Es klopft an der Haustür und vor Schreck lasse ich die Gabeln klimpernd zu Boden fallen. Sam kommt einen kurzen Moment später um die Ecke und geht schnurstracks in Richtung der Tür, um sie zu öffnen.
>Hey … du. Oh …bin ich im falschen Haus? < höre ich eine weibliche Stimme.
>Nein, ich bin's wirklich. < feixt Sam. >Jetzt komm schon rein und staune drinnen weiter. <
Durch die Tür kommt eine blonde Frau mit vollen und gewellten Haaren, in einem schwarzen Mantel, mit nackten Beinen, Stöckelschuhen und einem großen Kosmetikkoffer. Da sie mir den Rücken zudreht, sehe ich nicht viel mehr von ihr. Sie schlingt die Arme um Sam und küsst ihn mehrmals überschwänglich und geräuschvoll auf die Wange.
>Jetzt hör schon auf damit. < meckert er amüsiert.
>Man, du siehst ja richtig verändert aus. Normalerweise ist sowas ja mein Job. Was ist denn da über dich gekommen, dir endlich mal diesen Wildwuchs abzurasieren? Ich versuche dich seit Ewigkeiten zu überreden. <
>Sie sagte, ich sehe aus wie vierzig. < lacht er und nickt zu mir rüber. Die Frau dreht sich verwundert zu mir und strahlt mich dann mit einem Lächeln und verdammt rot geschminkten Lippen an. Jetzt sehe ich erst, dass ihr Lippenstift überall an Sam's Wangen klebt.
>Hallo. Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Sophia. < stellt sie sich vor und reicht mir ihre hauchzarte Hand, mit den rot lackierten Nägeln.
>Hi, ich bin Nayeli. Freut mich auch. <
>Du hast ein interessantes Gesicht - sehr hübsch und markant. < sagt sie und beginnt damit, mich zu umkreisen wie ein Geier – irgendwie gefällt mir das nicht.
>Komm schon Sophia. < lacht Sam und nimmt ihr den Mantel ab. >Du hast nachher noch genug Zeit aber vielleicht essen wir erstmal. Mir hängt nämlich der Magen in den Kniekehlen. <
Sie murmelt nur ein „Hmm“, nimmt lächelnd eine Haarsträhne von mir zwischen ihre Fingerspitzen und lässt sie wieder los. Schließlich schiebt er sie an den Schultern vorwärts und drückt sie sanft auf einen Stuhl. Trotzdem wirft sie mir weiterhin interessierte Blicke zu, die ich irgendwie unangenehm finde. Sam hat ja ab und zu schon diesen bohrenden Blick aber ihrer ist noch intensiver.
Im Gegensatz zu ihm weiß sie allerdings wie man lächelt und ein freundliches Gesicht aufsetzt. Mein Retter in der Not – oder was auch immer er sein mag, vergisst das zu 90 % des Tages.
Ich will gerade das Essen auf die Teller verteilen, als Sam mir wieder alles aus den Händen nimmt und mich ebenfalls zum Stuhl scheucht.
Am Tisch erklärt Sam während des Essens wer ich bin und wie er mich gefunden hat. Zu meiner Verwunderung erklärt Sophia, dass sie von Dimitrij bereits zwei oder drei Informationen bekommen hatte. Sie wusste also, dass sie mich hier vorfinden würde.
>Gib es zu Sam. Das war purer Eigennutz. < schmatzt sie und zeigt mit der Gabel auf ihn. >Du hast sie gesehen und dachtest: „Endlich habe ich jemanden der anständig kochen kann, so muss ich keine Ravioli aus der Dose mehr essen.“ <
>Ganz genau. < antwortet er trocken und ich lache schallend darüber. Dass sie hier ist, macht den Abend irgendwie richtig angenehm und herzlich. Endlich kann ich mich mal normal mit jemandem unterhalten und ich mag diese Frau trotz ihrer aufmerksamen Musterung auf Anhieb, weil ich nicht das Gefühl habe, dass sie sich in irgendeiner Weise mir gegenüber verstellen würde und außerdem ist sie so … ich weiß auch nicht … einfach, mühelos und irgendwie warm.
Sie und Sam scheinen sich schon lange zu kennen, die beiden wirken wie alte Freunde und necken sich die ganze Zeit – wobei keiner der beiden zu kurz kommt. Dieses Verhalten ist es wohl, weshalb mir Sam plötzlich mit anderen Augen auffällt. Er wirkte bisher so kontrolliert und verschlossen, doch er scheint nicht immer so zu sein. Plötzlich lacht er und sieht fröhlich aus. Das ist etwas, das viel besser zu ihm passt wie ich finde. Die ganze Zeit muss ich aus dem Augenwinkel zu ihm herübersehen und kann kaum glauben, dass hier der gleiche Mann neben mir sitzt, wie der, der mich heute Morgen noch zu Boden gerissen hat, als ich vor ihm und all dem Blut davonlief.
>Nayeli, du musst mir unbedingt das Rezept geben. Ich bin eigentlich kein Fischfan aber ich glaube, das ändert sich gerade. < schwärmt Sophia und nimmt genussvoll die letzte Gabel in den Mund, bevor sie ihn sich mit der Servierte abtupft.
>Kein Problem. < grinse ich. Sam schaut zur Uhr, es ist bereits nach halb acht.
>Ihr zwei geht am besten in Nayelis Zimmer. Ich räume in der Zeit auf und dann muss ich auch bald los. < verkündet Sam.
Nayelis Zimmer? Jetzt besitze ich schon ein eigenes Zimmer?
>Jetzt schon? < frage ich verdutzt. >Gestern bist du doch erst irgendwann nach elf Uhr abends losgefahren. <
>Es ist eben jeden Tag anders. < erwidert er achselzuckend.
>Hast du auch mal sowas wie Frühdienst? <
Sowohl Sam als auch Sophia fangen an zu Schmunzeln.
>Nein, das ist eher nicht so meine Tageszeit zum Arbeiten. < Ich runzle die Stirn aber inzwischen weiß ich, dass Sam mir sowieso keine Antwort gibt. >Na los, geht schon. Wie ich dich kenne, sitzt du die halbe Nacht an deiner Perfektion. < sagt er an Sophia gerichtet.
>Weißt du, es soll ja Leute geben, die Perfektion schätzen. < antwortet sie, kneift in seine Wange und klatscht ihm dann leicht dagegen. Er steht mit verschränkten Armen an der Küchenzeile und schüttelt grinsend den Kopf.
>Na dann wollen wir mal sehen, was ich zaubern kann. < flötet sie gutgelaunt und stolziert mit ihrem Köfferchen und ihren Stöckelschuhen, bereits an mir vorbei in Richtung des Zimmers.
>Wann wirst du denn wieder hier sein? < will ich von Sam.
>Ich glaube, heute dauert es nicht lange. Aber ich will, dass du nachher abschließt, wenn Sophia gegangen ist. Lass den Schlüssel nicht im Schloss stecken, sonst komme ich nicht mehr rein. <
Ich stehe auf und gehe näher auf ihn zu.
>Wirst du mir jemals verraten, als was du arbeitest? Ist es denn so schlimm? <
>Einigen wir uns einfach darauf, dass du nie wieder danach fragst und ich es entscheide, wann oder ob ich es dir sage. <
Er hat mich nicht direkt abgewimmelt aber in seiner Tonlage ist etwas Endgültiges.
>Okay. < hauche ich und gehe noch einen Schritt näher auf ihn zu. Ich lege meine Arme um seine Taille und lege meinen Kopf seitlich an seine Schulter. Im ersten Moment scheint er etwas perplex zu sein, legt dann aber ebenfalls die Arme um meinen Körper.
>Danke für alles heute. < wispere ich.
>Nur heute? < fragt er feixend.
Ich löse mich von ihm und schüttele den Kopf.
>Nein, für alles was du bisher getan hast. Das werde ich dir wohl niemals vergessen können. < Ich gehe rückwärts ein paar Schritte weg und sehe ihn dabei leicht grinsen. >Lachen steht dir übrigens – solltest du öfter tun. < ergänze ich und drehe mich dann um, um zu Sophia zu gehen.
Sobald ich das Zimmer betrete, glaube ich in einem Haarstudio gelandet zu sein und das Gästezimmer wirkt endlich mal voll. Überall stehen irgendwelche Utensilien herum – verschieden gefärbte Probesträhnen, Scheren, Pinzetten und alles Mögliche.
>Was genau hast du denn mit mir vor? < will ich von Sophia wissen, als sie einen Stuhl in die Mitte stellt.
>Ziel meines Jobs ist es, die Personen die im Zeugenschutzprogramm sind, so zu verändern, dass sie unerkannt auf der Straße herumlaufen können. Genau das Gleiche muss ich bei dir auch tun. <
>Ich mag mich aber wie ich bin. < erwidere ich ängstlich und sehe unheilvoll zu all den Sachen herüber.
>Keine Angst. Manchmal sind gar nicht solche drastischen Veränderungen nötig aber bei dir bin ich mir noch etwas unsicher. Hier schau dir mal dein Fahndungsfoto an, was mir Dimitrij eben geschickt hat. Ich muss versuchen, dich so zu verändern, dass du nicht offensichtlich mit diesem Bild in Verbindung gebracht wirst. <
Sie hält mir ihr Blackberry hin. Ich kenne das Foto von mir schon, denn es wurde bereits in den Medien gezeigt.
>Willst du etwa meine Haut bleichen und meine Nase korrigieren? <
>Lass dich überraschen. < erwidert sie zuckersüß und kramt in diesem Koffer herum.
Seufzend lasse ich mich auf den Stuhl sinken und lasse es über mich ergehen. Denn offenbar ist dieser Schritt notwendig.
Sie beginnt damit, meine Augenbrauen in eine andere Form zu zupfen, um damit meine Gesichtszüge anders zu betonen. Das tut verflucht weh, denn vorher habe ich an diesen Haaren nie etwas machen müssen. Zum einen habe ich nur wenig Haare und zum anderen kam mir nie in den Sinn, meine Züge zu verändern. Es dauert gefühlte Stunden. Ich kann es nicht mal unterdrücken, dass meine Augen wie verrückt dabei tränen.
>Okay, bei deinen Haaren muss unbedingt eine andere Farbe drauf. Am liebsten würde ich dich blondieren aber das beißt sich sowas von mit deiner Hautfarbe, das geht nicht. Dadurch wirkst du eher auffällig als unauffällig. Was hältst du von so einem geilen dunklen Rot-Violett? <
Ich starre sie entgeistert an, als sie mir einen Farbring mit der Strähne zeigt. Das ist ja wohl nicht ihr Ernst!
>Na gut dann also eher nicht. < murmelt sie und schaut in ihrer Farbpalette nach.
Nach einigem Suchen erklärt sie mir, ich soll mich endlich mal entspannen und sie machen lassen. Ich finde es wirklich nicht toll, mich blind in ihre Hände zu begeben aber ich mache es einfach mit. Alles ist besser als nicht mehr auf die Straße gehen zu dürfen. Ich merke an meinem Kopf nur wie sie einzelne Strähnen herausnimmt, sie bestreicht und alles mit Folie zusammenpackt. Nachdem sie meine rechte Kopfseite fertig hat und sich mit der andren befasst, kommt Sam herein. Er ist wieder gänzlich in Schwarz gekleidet und trägt eine dieser Strickmützen.
>Es gibt gute Nachrichten. < sagt er an mich gewandt und winkt mit seinem Smartphone. >Ich habe herausgefunden, dass es in der Datenbank keinen Iris-Scan von dir gibt. <
>Keinen was? < frage ich verwirrt.
>Die Charaktereigenschaften deiner Iris sind in keinem Computer gespeichert. Im Gegensatz zu deinen Fingerabdrücken, die aufgrund deines korrekten Passes in der Datenbank gelandet sind. So konnten sie deine Abdrücke aus dem Haus auch zuordnen. <
>Und das ist etwas Gutes? <
>Ja klar. Oder willst du dein Leben lang Kontaktlinsen tragen? < fragt er als wäre ich bescheuert.
>Naja aber das löst das Problem mit meinen Fingerabdrücken doch nicht. Die scheinen mich nämlich irgendwie zu verfolgen. <
In diesem Augenblick sehen sich Sam und Sophia so merkwürdig an, dass mir unbehaglich wird.
>Oh oh. < ist alles, was ich dazu sagen kann.
>Man kann sich einer Transplantation der Papillarleisten unterziehen. Die werden von deinen Zehen auf die Fingerkuppen übertragen. Genauso wie jeder Fingerabdruck ist auch jeder Zehenabdruck einzigartig. < erklärt Sam als hätte er es auswendig gelernt.
>Muss es so radikal sein? Reicht es denn nicht, wenn ich mir ein paar Narben in den Fingerkuppen zufüge? < keuche ich.
>Nein, eine Narbe verhindert nicht die Auswertbarkeit von deinem Abdruck. Also bleibt entweder die Transplantation oder das Verätzen deiner Fingerkuppen und glaub mir, das zweite willst du wirklich nicht. <
>Das klingt widerlich. <
>Ist es auch, also überlege es dir gut. Sobald du deine neuen Fingerabdrücke hast, lassen wir ein Bild von dir machen und besorgen dir einen neuen Pass mit neuer Identität. <
>Du sprichst mir ein wenig zu lässig über mein Dilemma. < zische ich fassungslos.
Daraufhin verkneift er sich ganz offensichtlich das Lachen. Dann sehe ich zu Sophia, die das gleiche Gesicht macht.
>Sam du verarschst mich doch! < brülle ich.
>Ja. < gibt er zu und lacht los. Es ist das erste Mal, dass er mich auf den Arm nimmt und sich schallend über meine Naivität auslässt.
Ich bin in einer wirklich beschissenen Lage, um es mal so auszudrücken und er macht sich über mich lustig. Aber irgendwie kann ich nicht anders und muss einfach mitlachen. Ich bin wirklich dankbar, dass ich ausgerechnet von ihm gefunden wurde.
>Arsch. < entfährt mir trocken und er grinst noch mehr.
>Also, ich muss dann los. Wir sehen uns morgen früh. < sagt er zu mir. Dann läuft er zu Sophia und lässt sich zum Abschied von ihr überschwänglich auf die Wange küssen. Es wirkt so als müsste er ihre Küsse erdulden, wie ein kleiner Junge zwischen sämtlichen Großmüttern. Mir wirft er ein aufmunterndes Nicken zu und verlässt dann das Zimmer. Kaum eine Minute später höre ich die Haustür knallen und den Pick-up anspringen.
>Kennt ihr zwei euch schon lange? < will ich wissen.
>Naja es geht. Etwa drei Jahre glaube ich. <
>Und woher kennt ihr euch? <
>Wir waren alle zusammen in so einer Schulung zum Thema Sicherheit, Zeugenschutz, Opferpsychologie und solche Dinge. Da war Dimitrij auch aber die zwei kannten sich schon vorher. Ich hatte ein paar Sachen nicht kapiert, weil ich halt mehr praktisch veranlagt bin, als dieses ganze blöde Theoriezeug zu lernen. Aber ich bin eben verpflichtet, wenigstens einmal im Jahr sowas zu machen, um meine Lizenz behalten zu können. Damit ich dieses Pflichtprogramm bestehen konnte, haben mir die zwei ein bisschen unter die Arme gegriffen. Außerdem sind wir ja weitestgehend so etwas wie Kollegen –wenn auch auf verschiedenen Gebieten. <
Hierbei wittere ich irgendwie meine Chance endlich das zu erfahren, was mich seit zwei Tagen so sehr interessiert. Aber dass ausgerechnet Sam eine Schulung hatte, wie man mit Opfern umgehen soll, bezweifle ich irgendwie. Wahrscheinlich hat er bei dieser Thematik geschlafen.
>Als was arbeitet Sam denn überhaupt? Ich bin noch gar nicht dazu gekommen ihn zu fragen. <
>Netter Versuch Süße. < lacht sie. >Wenn Sam es dir nicht gesagt hat, dann tu ich es auch nicht. <
>Aber wenn du mit ihm zusammenarbeitest, dann kann es nur bedeuten, dass es etwas Gutes ist. <
>Wie kommst du darauf? < fragt sie interessiert.
>Du sagtest, dass ihr euch von dieser Schulung kennt. Er hat dich und Dimitrij dort getroffen und ihr helfe beiden den Opfern. Also denke ich, dass Sam das auch tut. <
>Mit den Opfern hat er eigentlich so gut wie gar nichts zu tun aber ich gebe dir recht – er tut etwas für das Wohl von anderen Leuten und erhält dafür nicht mal ein „Danke“. <
>Weshalb nicht? <
>Die Leute wissen gar nicht, dass er da war und ihnen geholfen hat. Und jetzt lass uns das Thema wechseln, das würde ihm nicht gefallen. Er hasst es, wenn man über ihn redet. <
Ich lasse all ihre Worte auf mich wirken und es rattert in meinem Kopf. Wenn Sam kaum etwas mit den Opfern zu tun hat und sie gar nicht wissen, dass er da war, dann bedeutet das doch nur, dass er bereits da war, bevor etwas passieren konnte.
>Oh Gott na klar! < keuche ich auf, weil es mir endlich klar wird. >Er ist beim FBI oder vielleicht sogar bei der CIA. Schon klar, manche Abteilungen dürfen ja immer nicht verraten, was sie tun. <
Sophia feixt aber sagt nichts. Ich fühle mich plötzlich viel wohler. Das wird es sein, weshalb er so geheimnisvoll tut. Dazu habe ich mal ein paar Filme gesehen und es würde so viel erklären. Wenn er nebenbei Kurse an einer „speziellen Schule“ gibt, außerdem mit Phantomzeichnern und Visagisten zusammenarbeitet, die für den Zeugenschutz tätig sind, dann kann es nur das sein. Er kennt sich offenbar mit Abhördiensten, kriminellen Machenschaften und Waffen aus. Außerdem war er bereits vorher Soldat. Ich grinse und habe Sam die ganze Zeit falsch eingeschätzt.
Er hat zwar eine furchtbar schlechte Meinung von der Polizei und will immer noch nicht, dass ich mit ihnen rede, aber damit meint er vielleicht die Cops auf der Wache und nicht die, in den höheren Abteilungen.
>Jeder tut das, was er gut kann. Und jeder ist auf seinem Gebiet ein Profi. Du kannst dir gewiss sein, solange du bei Sam bist, kann dir nichts passieren. < versichert mir Sophia.
>Danke, dass du mir das gesagt hast. Er hat mir das ein oder andere Mal ziemliche Angst gemacht. Manchmal finde ich ihn so furchtbar ernst und er wirft mir des Öfteren so böse Blicke zu, dass ich mich kaum vom Fleck zu rühren traue. <
>Was meinst du für böse Blicke? < in ihrer Stimme schwingt Verwunderung mit und sie stoppt kurz mit den Handgriffen an meinem Kopf. So wie er vorhin mit ihr umgegangen ist, hat er das offenbar noch nie bei Sophia getan. >Ich finde, er ist für seine Verhältnisse sehr umgänglich mit dir. <
>Ja vorhin beim Essen vielleicht. Aber vorher musste ich Dimitrij alles erzählen, was passiert war – du hättest Sam's wütenden Blick sehen müssen, als ich weinte. Und sobald ich am Tag ein paar schwache Momente habe und ich vollkommen fertig an diese Nacht zurückdenke, dann …<
Dann schaut er mich an, als würde er mich dafür hassen.
>Oh. Ich weiß was du meinst. Tja weißt du, das ist die eine Seite an Sam, die anders damit umgeht. Bist du zerbrechlich, traurig, einsam oder verletzt, dann wird er wütend - nicht auf dich, sondern auf die, die dir das angetan haben. Ich schätze seine Fantasie geht dann mit ihm durch, wenn du anfängst zu weinen. Er stellt sich wahrscheinlich vor, wie du um dein Leben kämpfen musstest und dort herausgekommen bist. <
>Wieso sagt er es dann nicht einfach? Er redet in diesen Momenten immer so kritisch mit mir. <
>Sam spricht nun mal nicht viel. Er ist viel allein zu Haus und arbeitet auch allein. Dass er mit dir so abgehärtet umgeht, zeigt nur, dass er will, dass du stark bist. Verstehst du? <
Ich beiße mir auf die Lippe und merke, dass Sophia ihn offenbar viel besser versteht als ich.
>Warum ist er überhaupt so viel allein? <
>Wir haben genug über Sam geredet. Er würde es nicht wollen, dass wir so ein Gespräch führen und ich könnte ihn verstehen. Lern ihn selbst kennen, er braucht ein bisschen Zeit zum Warmwerden. <
Ich seufze, als ich schon wieder so ein verschlossenes Exemplar bei mir zu stehen habe. Das macht mich noch vollkommen wahnsinnig, wenn das so weitergeht.
Sophia und ich unterhalten uns danach lange über ihren Job. Ich finde es total spannend zu erfahren, wie man mit einer Friseur- und Kosmetikausbildung bei den Behörden landen kann und weshalb sie sich dazu entschlossen hat, die Salonarbeit an den Nagel zu hängen.
Eine ¾ Stunde später, spült sie mir die Haare aus und legt dann zu meiner Verwunderung eine zweite Schicht Farbe drüber.
>Du färbst noch mehr hinein? <
>Ja, deine Haare sind schwärzer als schwarz, ich musste sie erst vorblondieren, damit ich etwas anderes drauf tun kann. Was deine Farbe angeht, habe ich nicht so viele Möglichkeiten zur Veränderung, es sei denn ich rasiere sie dir völlig ab. < erklärt sie trocken.
>Oh Gott, bloß nicht. < keuche ich.
Diese Prozedur dauert wirklich ewig und so langsam werde ich total müde. Ich glaube, ich bin zwischenzeitlich sogar mehrmals eingenickt, bei all den angenehmen Berührungen an meinem Kopf.
Heilfroh bin ich, als Sophia mir irgendwann auch die zweite Farbe herunterspült und dann endlich damit beginnt, mit den Scheren herumzuwerfen. Ich kann dabei gar nicht hinsehen, als die langen Strähnen zu Boden fallen. Anfangs habe ich mich noch dagegen gewehrt aber Sophia gab mir zum wiederholten Male zu verstehen, dass ich nicht erkannt werden darf. Auf dem Fahndungsfoto habe ich sehr lange, glatte und rabenschwarze Haare.
Offenbar hat sie mich inzwischen in das Gegenteil verwandelt.
Sie holt einen Föhn hervor und bringt die Haare dann in Form, wobei ich mich frage wie viele davon überhaupt noch übrig sind. Zittrig wippe ich mit dem gesunden Bein auf und ab. Vielleicht sollte ich nachher gar nicht hinsehen und gleich ins Bett gehen, um mir den Schock wenigstens bis morgen zu ersparen. Durch die laute Geräuschkulisse bin ich allerdings wieder hellwach.
Erleichtert und erschöpft zugleich, atme ich auf, als sie den Föhn ausstellt und etwas in der Mähne herumfummelt.
>Schminkst du dich normalerweise? < will sie von mir wissen.
>Ja schon, aber ich habe nicht so viel Make-up besessen. Ich habe mir nur die Augen etwas mit Kajal oder Mascara geschminkt. <
>Okay, dann mach das auf jeden Fall demnächst etwas anders als sonst. Wenn du für gewöhnlich eher dezent herumläufst, dann werde mutiger mit den Farben. Wer eher auffällig herumläuft, sollte im Zeugenschutz schlichter sein. Du verstehst schon. Du musst das genaue Gegenteil von dem sein, was du sonst bist. < Ich nicke und verstehe worauf sie hinaus will. >Na schön, ich denke, das Grundgerüst steht. Ich bringe dir demnächst mal ein paar Sachen zum Ausprobieren vorbei, die zu deinem Hautton passen. Wenn die Kratzer in deinem Gesicht verschwunden sind, dann zeige ich dir bei Gelegenheit ein paar Kniffe. Aber so sieht es doch schon mal ziemlich gut aus. < wendet sie anerkennend ein. >Dann kommt jetzt der letzte Schliff. <
Sie holt etwas aus ihrer Tasche, was für mich ganz eindeutig nach einer Tätowiermaschine aussieht.
>Oh nein, vergiss es. < japse ich erschrocken und springe auf.
>Komm schon, ich weiß was ich tue. Setz dich wieder hin. <
>Was hast du denn vor? Muss das sein? <
>Ich mache dir nur einen Punkt und verpasse dir Eyeliner mit Permanent Make-up. <
Ich verstehe nicht wie ein Punkt mich verändern soll aber skeptisch setze ich mich wieder, als Sophia die Farbe herausholt. Sie desinfiziert eine Stelle seitlich unter meinem linken Auge und als ich das Summen des kleinen Apparates höre, wird mir augenblicklich schlecht. Bei meiner ersten Tätowierung war ich ja immerhin angetrunken und habe das gar nicht so sehr mitbekommen.
>Entspann dich und lass dein Gesicht locker. <
>Ich versuche es. < sage ich zähneknirschend. Im Gesicht ist das wirklich nicht schön.
Es ist ein scharfer, immer wiederkehrender Stich und es fühlt sich an, als würde sie in einem Kreis über meine Haut hin und her kratzen. Sie nimmt noch ein zweites Mal die Farbe und setzt noch Mal an derselben Stelle an, ehe sie weiter zu meinem oberen Augenlid geht. Das finde ich sogar noch unangenehmer.
>Locker lassen. < meckert sie noch einmal und ich brumme sie nur verärgert an. Nach etwa einer halben Stunde verebbt dieses Summen endlich. Sie geht mit einem Tuch über die Stellen drüber und beruhigt damit die gerötete Haut.
>Eine Sache habe ich noch. < jubelt sie und greift in ihre Tasche hinein. Ich ahne schon schreckliches und dann sehe ich auch noch, wie sie etwas Kleines und Funkelndes herausholt.
>Nein, vergiss es. Mit diesen Piercings kam mir Sam heute schon. <
>Keine Panik, das ist nicht echt. < erwidert sie leichthin und macht sich sofort an meiner Nase zu schaffen, ohne dass ich überhaupt reagieren konnte. >Okay, das war's schon. Willst du dich sehen? < fragt sie begeistert.
>Da bin ich mir noch nicht so sicher. <
Sophia lacht.
>Immer wieder das gleich mit euch. <
Sie kramt in ihrer Tasche herum und reicht mir einen Spiegel. Auch wenn ich weiß, dass es unwahrscheinlich ist, hoffe ich inständig, mein Gesicht noch wiederzuerkennen.
Ich nehme ihren Spiegel vor mich und schaffe es erst nach einigen Sekunden der Überwindung, die Augen zu öffnen.
Ich kann es kaum glauben, wer mich dort anschaut. Es ist unglaublich was ein neuer Haarschnitt, ein paar Augenbrauenhärchen weniger samt anderer Augenbrauenform, ein falscher Schönheitsfleck, ein falsches Piercing und ein paar gefärbte Strähnen mit einem Menschen anstellen können. Auch der tätowierte Eyeliner lässt mich jetzt noch etwas älter wirken. Sie hat ihn nach außen ein wenig breiter werden lassen und die Linie geht geschwungen nach oben.
Sie hat mir einen Nasenring im linken Nasenloch verpasst und ihn so gebogen, dass er von alleine am Nasenflügel hält.
Jetzt habe ich sehr stufig geschnittene Haare, wo die längsten Strähnen gerade so bis zum oberen Rand meiner Schulterblätter gehen und die kürzesten bis zum Kinn. Ich hätte das schon viel früher machen sollen, denn durch den Schnitt wirken sie nicht mehr so platt wie sonst. Außerdem hat mir Sophia sehr aufwändige Strähnen verpasst. Ich weiß, dass sie mich am liebsten komplett blondiert hätte und die Strähnen schon eine Herausforderung waren, aber trotzdem sehe ich völlig anders aus. Zwischen den schwarzen Haaren habe ich nun viele brauen Strähnen. Es ist vielleicht keine totale Typveränderung, aber wer mich nicht kennt, würde mich nicht erkennen. Ich selbst erkenne mich ja nicht mal sofort und das finde ich besser als erwartet.
>Wow, das ist unglaublich. <
>Auch das sagt ihr immer wieder. < schmunzelt Sophia und blickt selbstzufrieden.
>Ich kann dir nicht mal Geld für deine Arbeit geben. <
>Ach Schätzchen. < erwidert sie mitfühlend. >Die Leute, die ich verändere, sind alle in einer ähnlichen Situation wie du. Außerdem werde ich von der Regierung bezahlt, du musst dir also keine Gedanken über meine Finanzen machen. Versprich mir nur, gut auf dich aufzupassen. <
Ich nicke und lächle.
>Du arbeitest im Auftrag der Regierung? Aber genau die sucht mich doch. Soll das heißen, sie wissen bereits, dass ich hier bei Sam bin? <
>Nein, dass ich hier bin und dir helfe, hat Sam auf eigene Faust entschieden, weil er sonst kaum jemandem traut. Dass er dich fand, hat er nur Dimitrij und mir anvertraut soweit ich weiß. < erklärt sie und zwinkert mir zu.
Aber das ergibt doch alles gar keinen Sinn. Ich dachte, dass Sam mir helfen und meine Unschuld beweisen will. Wie will er das anstellen, wenn er mich hier versteckt hält? Mit welchen Leuten habe ich es hier eigentlich zu tun? Und damit meine ich beide Seiten.
>Aber du und Dimitrij arbeiten doch gegen euren Boss, indem ihr mir eure Unterstützung gebt, oder? <
>Logo aber heißt du immer alles gut, was dein Boss tut? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. < erwidert sie lässig und packt gähnend all ihre Sachen ein.
Sam's Freunde kennen mich überhaupt nicht und trotzdem helfen sie mir, obwohl es sie doch eigentlich Kopf und Kragen kosten könnte. Ich bin völlig fassungslos, was sie für einen Niemand wie mich, aufs Spiel setzen. >Also dann. < gähnt sie erneut und streckt sich in alle Richtungen. >Ich bin erledigt und fahre jetzt nach Hause. Mein Bett ruft schon ganz laut nach mir. <
Ich schaue auf ihre funkelnde Armbanduhr. Es ist weit nach null Uhr und Sophia steht hier immer noch. Sie tut mir echt leid.
>Sorry, ich wollte nicht, dass ich dir deinen Feierabend so versaue. <
>Ach was. < sagt sie und tut es mit einer Handbewegung ab. >Ich arbeite so lange, wie es eben dauert. Aber ich muss zugeben, heute habe ich gern so lange gearbeitet. Du bist wirklich ein Glückspilz, dass du noch lebst und ich weiß, dass Sam alles tun wird, um diese Kerle zu erwischen, die dir das angetan haben. <
>Die Vorstellung, dass Sam sie hinter Gittern bringt, wäre zumindest zu einem Bruchteil Gerechtigkeit. < hauche ich. Sophia lächelt leicht – so als wenn sie ihre Meinung lieber für sich behalten möchte.
Sie packt noch ihre Dutzend Bürsten ein, während ich den Pinsel mit der Farbschale im Bad ausspüle und danach die abgeschnittenen Haare auffege.
Nach wenigen Minuten ist sie bereits in ihren dünnen Mantel gehüllt, schnappt sich ihren großen Kosmetikkoffer und drückt mich kurz an sich.
>Mach es gut Nayeli und pass gut auf dich auf. <
>Ich versuche es. <
>Zur Not wird es Sam tun. < grinst sie. >Also dann schlaf gut. <
>Gute Nacht. Und danke nochmal für alles. <
Zum Abschied küsst sie mich auf die Wange und zieht dann die Tür hinter sich zu.
Wie Sam gesagt hat, nehme ich den Schlüssel vom Schrank neben dem Eingang und schließe ab. Einen kurzen Moment überlege ich ein Buch anzufangen, aber um ehrlich zu sein, bin ich hundemüde und froh, wenn ich endlich im Bett liege. Da ich hier nicht wirklich viel Beschäftigung habe, werde ich spätestens morgen Nachmittag dazu kommen.
Ich gehe noch mal ins Bad und putze mir die Zähne. Die Stellen die Sophia mit der Tätowiernadel malträtiert hat, sehen gerötet und leicht geschwollen aus aber das wird sicherlich morgen weg sein. Trotzdem bin ich mehr als fasziniert, was sie mit mir gemacht hat.
Müde stampfe ich – mal wieder ohne Stütze, in das Bett und lasse mich hineinfallen.
Ich lasse diesen Tag Revue passieren und plötzlich fällt mir etwas Entsetzliches ein. Heute wurde in den Medien offiziell mein Tod verkündet. Ich bin mir sicher, dass Megan und ihre Familie davon erfahren haben. Für sie muss eine Welt untergegangen sein.
Ich befülle eilig die Spüle mit Wasser und lege den tiefgekühlten Fisch hinein, damit er schneller auftaut. Dann laufe ich zur Kellerluke und gehe Sam ein paar Schritte hinterher, ohne zu genau auf den Tisch dort unten zu achten.
>Wer kommt vorbei? Und was sollen „ein paar kleine Veränderungen“ denn bedeuten? < keuche ich schrill, da ich von seiner eigenartigen Erklärung zugegebenermaßen etwas beunruhigt bin.
>Es kommt eine sehr professionelle Bekannte her – eine von sehr wenigen Menschen, der ich einigermaßen vertraue. Sie wird dir mit deinen Haaren und solchen Dingen helfen. <
>Da ist mir nicht mehr zu helfen. < lache ich, da ich die ewigen Kämpfe vor dem Spiegel leid bin.
>Ihr fällt schon was ein. Aber wenn sie mit dir fertig ist, kannst du wieder auf die Straße gehen. Sie ist eine etwas andere Version einer Visagistin und zuständig für die Opfer in einem Zeugenschutzprogramm. Sie verändert die Personen optisch, damit sie unentdeckter bleiben. <
Phantomzeichner? Visagisten für den Zeugenschutz? Was kommt als Nächstes?
>Du Sam? <
>Hmm? < fragt er und stellt einen Eimer Wasser auf den blutverschmierten Tisch.
>Du hast gesagt, dass Dimitrij die Täter zeichnet und sich den ganzen Tag mit den Opfern befasst. Diese besagte Freundin von dir, ist auch in dieser Branche. Woher kennst du all diese Leute? <
>Falsche Frage. Das nimmt zu viel Zeit in Anspruch. < antwortet er knapp.
>Arg…Sam! Du machst mich wahnsinnig damit. Sag schon! <
>Man lernt sich eben kennen, wenn man auf ähnlichen Gebieten arbeitet. <
>Ähnliche Gebiete? Es schien so, als würden du und Dimitrij diese Machenschaften ziemlich genau kennen. <
>Manche kriminelle Banden und dessen häufige Vergehen sind eben bekannt aber das heißt nicht, dass man sie kennt. Und schon gar nicht heißt es, dass man sie immer zu fassen bekommt. <
>Aber wieso sollte einer von diesen Banden ausgerechnet auf meine arme Familie gekommen sein? Mein Dad war eigentlich ein Fischer, er hatte nichts mit solchen Leuten am Hut. Niemals. <
>Ich habe selbst noch keine genaue Information, also werde ich dir auch nichts verraten. <
>Aber du hast eine Vermutung. < mutmaße ich.
>Ja. < antwortet er knapp und klatscht den nassen Lappen auf den Tisch.
>Dann verrate es mir. <
>Nein.<
Jetzt sind wir aber wieder sehr gesprächig. Inzwischen weiß ich, dass es nichts bringt, Sam mit ewigen Fragen zu nerven. Ich gebe es auf, laufe wieder nach oben und fange an das Essen zu machen.
Während die Fische in ihrer Alufolie im Backofen vor sich hin garen, suche ich Sam nach seiner Kellerputzaktion im Haus. Er ist wie gestern Abend in seinem Wohnzimmer am Laptop und scheint mich erst gar nicht wahrzunehmen. Ich sehe seitlich auf den geöffneten Bildschirm, dort ist ein großes Profilbild von einem blonden Mann zu erkennen und rechts davon ein weißer Text auf schwarzem Hintergrund, der eben geschrieben wird – allerdings nicht von Sam. Ich frage mich was er da tut aber dann scheint er mich aus seinem Augenwinkel zu sehen und klappt schnell den Bildschirm herunter.
>Kann ich dir noch bei irgendetwas helfen? < frage ich und tue so, als wäre ich erst vor einer Sekunde hereingekommen.
>Nein, du scheinst hier eine ganze Menge getan zu haben, während ich weg war. Danke. <
Das ist das erste Mal, dass ich ein „Danke“ von ihm höre.
>Habe ich gern gemacht. < erwidere ich und gehe zurück in die Küche.
Sam meckert mir lediglich hinterher, dass ich mit meiner Stütze laufen soll.
Gelangweilt verweile ich auf dem Küchenstuhl und lese mir die Rückseiten der Bücher noch einmal durch, welche ich bekommen habe. Ich will noch nicht mit einem davon anfangen, wenn jeden Moment Sam's Freundin hier auftaucht. Das Wort „Freundin“ klingt irgendwie eigenartig im Zusammenhang mit ihm – also korrigiere ich gedanklich meine Bezeichnung auf „eine Bekannte.“
Eine Frau an seiner Seite würde wahrscheinlich wahnsinnig mit ihm werden. Vielleicht steht er auch überhaupt nicht auf Frauen, wie mir langsam in den Sinn kommt. So komisch wie er mir sagte, dass ich nichts für ihn wäre und auch sonst keinerlei Interesse zeigt, wirkt es langsam so. Na gut – soll mir recht sein und um ehrlich zu sein, bin ich irgendwie dankbar dafür.
Mein Blick geht zur Uhr und dann zum Backofen. Inzwischen müsste das Essen durch sein. Ich ziehe den Rost etwas vor und versuche die Folie mit meinen Fingerspitzen zu öffnen. Zuerst kommt mir eine heiße Dampfwolke entgegen und dann der leckere Geruch. Den Fisch musste ich halbieren, sonst hätte er in einem Stück nicht in den Ofen gepasst. Alle Beilagen habe ich zusammen in die Folie getan und sind dadurch butterweich geworden.
Ich lasse das Essen noch kurz im Ofen aber stelle die Temperatur bereits aus. Den Tisch decke ich schon ein – heute zur Abwechslung mal für drei. Was soll seine Freundin oder Bekannte eigentlich mit mir anstellen? Ich glaube wohl kaum, dass sie mich so sehr verändern kann, dass ich nicht mehr aussehe wie ich. Um ehrlich zu sein, finde ich diesen Gedanken auch arg beängstigend. Eigentlich will ich mich gar nicht verändern aber andererseits will ich nicht ewig irgendwo eingesperrt sein.
Wenn Sam nicht ebenfalls an so einem schönen und abgelegenen Ort leben würde, wie ich noch in der letzten Woche, dann würde ich das Sonnenlicht womöglich überhaupt nicht sehen. Es klopft an der Haustür und vor Schreck lasse ich die Gabeln klimpernd zu Boden fallen. Sam kommt einen kurzen Moment später um die Ecke und geht schnurstracks in Richtung der Tür, um sie zu öffnen.
>Hey … du. Oh …bin ich im falschen Haus? < höre ich eine weibliche Stimme.
>Nein, ich bin's wirklich. < feixt Sam. >Jetzt komm schon rein und staune drinnen weiter. <
Durch die Tür kommt eine blonde Frau mit vollen und gewellten Haaren, in einem schwarzen Mantel, mit nackten Beinen, Stöckelschuhen und einem großen Kosmetikkoffer. Da sie mir den Rücken zudreht, sehe ich nicht viel mehr von ihr. Sie schlingt die Arme um Sam und küsst ihn mehrmals überschwänglich und geräuschvoll auf die Wange.
>Jetzt hör schon auf damit. < meckert er amüsiert.
>Man, du siehst ja richtig verändert aus. Normalerweise ist sowas ja mein Job. Was ist denn da über dich gekommen, dir endlich mal diesen Wildwuchs abzurasieren? Ich versuche dich seit Ewigkeiten zu überreden. <
>Sie sagte, ich sehe aus wie vierzig. < lacht er und nickt zu mir rüber. Die Frau dreht sich verwundert zu mir und strahlt mich dann mit einem Lächeln und verdammt rot geschminkten Lippen an. Jetzt sehe ich erst, dass ihr Lippenstift überall an Sam's Wangen klebt.
>Hallo. Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Sophia. < stellt sie sich vor und reicht mir ihre hauchzarte Hand, mit den rot lackierten Nägeln.
>Hi, ich bin Nayeli. Freut mich auch. <
>Du hast ein interessantes Gesicht - sehr hübsch und markant. < sagt sie und beginnt damit, mich zu umkreisen wie ein Geier – irgendwie gefällt mir das nicht.
>Komm schon Sophia. < lacht Sam und nimmt ihr den Mantel ab. >Du hast nachher noch genug Zeit aber vielleicht essen wir erstmal. Mir hängt nämlich der Magen in den Kniekehlen. <
Sie murmelt nur ein „Hmm“, nimmt lächelnd eine Haarsträhne von mir zwischen ihre Fingerspitzen und lässt sie wieder los. Schließlich schiebt er sie an den Schultern vorwärts und drückt sie sanft auf einen Stuhl. Trotzdem wirft sie mir weiterhin interessierte Blicke zu, die ich irgendwie unangenehm finde. Sam hat ja ab und zu schon diesen bohrenden Blick aber ihrer ist noch intensiver.
Im Gegensatz zu ihm weiß sie allerdings wie man lächelt und ein freundliches Gesicht aufsetzt. Mein Retter in der Not – oder was auch immer er sein mag, vergisst das zu 90 % des Tages.
Ich will gerade das Essen auf die Teller verteilen, als Sam mir wieder alles aus den Händen nimmt und mich ebenfalls zum Stuhl scheucht.
Am Tisch erklärt Sam während des Essens wer ich bin und wie er mich gefunden hat. Zu meiner Verwunderung erklärt Sophia, dass sie von Dimitrij bereits zwei oder drei Informationen bekommen hatte. Sie wusste also, dass sie mich hier vorfinden würde.
>Gib es zu Sam. Das war purer Eigennutz. < schmatzt sie und zeigt mit der Gabel auf ihn. >Du hast sie gesehen und dachtest: „Endlich habe ich jemanden der anständig kochen kann, so muss ich keine Ravioli aus der Dose mehr essen.“ <
>Ganz genau. < antwortet er trocken und ich lache schallend darüber. Dass sie hier ist, macht den Abend irgendwie richtig angenehm und herzlich. Endlich kann ich mich mal normal mit jemandem unterhalten und ich mag diese Frau trotz ihrer aufmerksamen Musterung auf Anhieb, weil ich nicht das Gefühl habe, dass sie sich in irgendeiner Weise mir gegenüber verstellen würde und außerdem ist sie so … ich weiß auch nicht … einfach, mühelos und irgendwie warm.
Sie und Sam scheinen sich schon lange zu kennen, die beiden wirken wie alte Freunde und necken sich die ganze Zeit – wobei keiner der beiden zu kurz kommt. Dieses Verhalten ist es wohl, weshalb mir Sam plötzlich mit anderen Augen auffällt. Er wirkte bisher so kontrolliert und verschlossen, doch er scheint nicht immer so zu sein. Plötzlich lacht er und sieht fröhlich aus. Das ist etwas, das viel besser zu ihm passt wie ich finde. Die ganze Zeit muss ich aus dem Augenwinkel zu ihm herübersehen und kann kaum glauben, dass hier der gleiche Mann neben mir sitzt, wie der, der mich heute Morgen noch zu Boden gerissen hat, als ich vor ihm und all dem Blut davonlief.
>Nayeli, du musst mir unbedingt das Rezept geben. Ich bin eigentlich kein Fischfan aber ich glaube, das ändert sich gerade. < schwärmt Sophia und nimmt genussvoll die letzte Gabel in den Mund, bevor sie ihn sich mit der Servierte abtupft.
>Kein Problem. < grinse ich. Sam schaut zur Uhr, es ist bereits nach halb acht.
>Ihr zwei geht am besten in Nayelis Zimmer. Ich räume in der Zeit auf und dann muss ich auch bald los. < verkündet Sam.
Nayelis Zimmer? Jetzt besitze ich schon ein eigenes Zimmer?
>Jetzt schon? < frage ich verdutzt. >Gestern bist du doch erst irgendwann nach elf Uhr abends losgefahren. <
>Es ist eben jeden Tag anders. < erwidert er achselzuckend.
>Hast du auch mal sowas wie Frühdienst? <
Sowohl Sam als auch Sophia fangen an zu Schmunzeln.
>Nein, das ist eher nicht so meine Tageszeit zum Arbeiten. < Ich runzle die Stirn aber inzwischen weiß ich, dass Sam mir sowieso keine Antwort gibt. >Na los, geht schon. Wie ich dich kenne, sitzt du die halbe Nacht an deiner Perfektion. < sagt er an Sophia gerichtet.
>Weißt du, es soll ja Leute geben, die Perfektion schätzen. < antwortet sie, kneift in seine Wange und klatscht ihm dann leicht dagegen. Er steht mit verschränkten Armen an der Küchenzeile und schüttelt grinsend den Kopf.
>Na dann wollen wir mal sehen, was ich zaubern kann. < flötet sie gutgelaunt und stolziert mit ihrem Köfferchen und ihren Stöckelschuhen, bereits an mir vorbei in Richtung des Zimmers.
>Wann wirst du denn wieder hier sein? < will ich von Sam.
>Ich glaube, heute dauert es nicht lange. Aber ich will, dass du nachher abschließt, wenn Sophia gegangen ist. Lass den Schlüssel nicht im Schloss stecken, sonst komme ich nicht mehr rein. <
Ich stehe auf und gehe näher auf ihn zu.
>Wirst du mir jemals verraten, als was du arbeitest? Ist es denn so schlimm? <
>Einigen wir uns einfach darauf, dass du nie wieder danach fragst und ich es entscheide, wann oder ob ich es dir sage. <
Er hat mich nicht direkt abgewimmelt aber in seiner Tonlage ist etwas Endgültiges.
>Okay. < hauche ich und gehe noch einen Schritt näher auf ihn zu. Ich lege meine Arme um seine Taille und lege meinen Kopf seitlich an seine Schulter. Im ersten Moment scheint er etwas perplex zu sein, legt dann aber ebenfalls die Arme um meinen Körper.
>Danke für alles heute. < wispere ich.
>Nur heute? < fragt er feixend.
Ich löse mich von ihm und schüttele den Kopf.
>Nein, für alles was du bisher getan hast. Das werde ich dir wohl niemals vergessen können. < Ich gehe rückwärts ein paar Schritte weg und sehe ihn dabei leicht grinsen. >Lachen steht dir übrigens – solltest du öfter tun. < ergänze ich und drehe mich dann um, um zu Sophia zu gehen.
Sobald ich das Zimmer betrete, glaube ich in einem Haarstudio gelandet zu sein und das Gästezimmer wirkt endlich mal voll. Überall stehen irgendwelche Utensilien herum – verschieden gefärbte Probesträhnen, Scheren, Pinzetten und alles Mögliche.
>Was genau hast du denn mit mir vor? < will ich von Sophia wissen, als sie einen Stuhl in die Mitte stellt.
>Ziel meines Jobs ist es, die Personen die im Zeugenschutzprogramm sind, so zu verändern, dass sie unerkannt auf der Straße herumlaufen können. Genau das Gleiche muss ich bei dir auch tun. <
>Ich mag mich aber wie ich bin. < erwidere ich ängstlich und sehe unheilvoll zu all den Sachen herüber.
>Keine Angst. Manchmal sind gar nicht solche drastischen Veränderungen nötig aber bei dir bin ich mir noch etwas unsicher. Hier schau dir mal dein Fahndungsfoto an, was mir Dimitrij eben geschickt hat. Ich muss versuchen, dich so zu verändern, dass du nicht offensichtlich mit diesem Bild in Verbindung gebracht wirst. <
Sie hält mir ihr Blackberry hin. Ich kenne das Foto von mir schon, denn es wurde bereits in den Medien gezeigt.
>Willst du etwa meine Haut bleichen und meine Nase korrigieren? <
>Lass dich überraschen. < erwidert sie zuckersüß und kramt in diesem Koffer herum.
Seufzend lasse ich mich auf den Stuhl sinken und lasse es über mich ergehen. Denn offenbar ist dieser Schritt notwendig.
Sie beginnt damit, meine Augenbrauen in eine andere Form zu zupfen, um damit meine Gesichtszüge anders zu betonen. Das tut verflucht weh, denn vorher habe ich an diesen Haaren nie etwas machen müssen. Zum einen habe ich nur wenig Haare und zum anderen kam mir nie in den Sinn, meine Züge zu verändern. Es dauert gefühlte Stunden. Ich kann es nicht mal unterdrücken, dass meine Augen wie verrückt dabei tränen.
>Okay, bei deinen Haaren muss unbedingt eine andere Farbe drauf. Am liebsten würde ich dich blondieren aber das beißt sich sowas von mit deiner Hautfarbe, das geht nicht. Dadurch wirkst du eher auffällig als unauffällig. Was hältst du von so einem geilen dunklen Rot-Violett? <
Ich starre sie entgeistert an, als sie mir einen Farbring mit der Strähne zeigt. Das ist ja wohl nicht ihr Ernst!
>Na gut dann also eher nicht. < murmelt sie und schaut in ihrer Farbpalette nach.
Nach einigem Suchen erklärt sie mir, ich soll mich endlich mal entspannen und sie machen lassen. Ich finde es wirklich nicht toll, mich blind in ihre Hände zu begeben aber ich mache es einfach mit. Alles ist besser als nicht mehr auf die Straße gehen zu dürfen. Ich merke an meinem Kopf nur wie sie einzelne Strähnen herausnimmt, sie bestreicht und alles mit Folie zusammenpackt. Nachdem sie meine rechte Kopfseite fertig hat und sich mit der andren befasst, kommt Sam herein. Er ist wieder gänzlich in Schwarz gekleidet und trägt eine dieser Strickmützen.
>Es gibt gute Nachrichten. < sagt er an mich gewandt und winkt mit seinem Smartphone. >Ich habe herausgefunden, dass es in der Datenbank keinen Iris-Scan von dir gibt. <
>Keinen was? < frage ich verwirrt.
>Die Charaktereigenschaften deiner Iris sind in keinem Computer gespeichert. Im Gegensatz zu deinen Fingerabdrücken, die aufgrund deines korrekten Passes in der Datenbank gelandet sind. So konnten sie deine Abdrücke aus dem Haus auch zuordnen. <
>Und das ist etwas Gutes? <
>Ja klar. Oder willst du dein Leben lang Kontaktlinsen tragen? < fragt er als wäre ich bescheuert.
>Naja aber das löst das Problem mit meinen Fingerabdrücken doch nicht. Die scheinen mich nämlich irgendwie zu verfolgen. <
In diesem Augenblick sehen sich Sam und Sophia so merkwürdig an, dass mir unbehaglich wird.
>Oh oh. < ist alles, was ich dazu sagen kann.
>Man kann sich einer Transplantation der Papillarleisten unterziehen. Die werden von deinen Zehen auf die Fingerkuppen übertragen. Genauso wie jeder Fingerabdruck ist auch jeder Zehenabdruck einzigartig. < erklärt Sam als hätte er es auswendig gelernt.
>Muss es so radikal sein? Reicht es denn nicht, wenn ich mir ein paar Narben in den Fingerkuppen zufüge? < keuche ich.
>Nein, eine Narbe verhindert nicht die Auswertbarkeit von deinem Abdruck. Also bleibt entweder die Transplantation oder das Verätzen deiner Fingerkuppen und glaub mir, das zweite willst du wirklich nicht. <
>Das klingt widerlich. <
>Ist es auch, also überlege es dir gut. Sobald du deine neuen Fingerabdrücke hast, lassen wir ein Bild von dir machen und besorgen dir einen neuen Pass mit neuer Identität. <
>Du sprichst mir ein wenig zu lässig über mein Dilemma. < zische ich fassungslos.
Daraufhin verkneift er sich ganz offensichtlich das Lachen. Dann sehe ich zu Sophia, die das gleiche Gesicht macht.
>Sam du verarschst mich doch! < brülle ich.
>Ja. < gibt er zu und lacht los. Es ist das erste Mal, dass er mich auf den Arm nimmt und sich schallend über meine Naivität auslässt.
Ich bin in einer wirklich beschissenen Lage, um es mal so auszudrücken und er macht sich über mich lustig. Aber irgendwie kann ich nicht anders und muss einfach mitlachen. Ich bin wirklich dankbar, dass ich ausgerechnet von ihm gefunden wurde.
>Arsch. < entfährt mir trocken und er grinst noch mehr.
>Also, ich muss dann los. Wir sehen uns morgen früh. < sagt er zu mir. Dann läuft er zu Sophia und lässt sich zum Abschied von ihr überschwänglich auf die Wange küssen. Es wirkt so als müsste er ihre Küsse erdulden, wie ein kleiner Junge zwischen sämtlichen Großmüttern. Mir wirft er ein aufmunterndes Nicken zu und verlässt dann das Zimmer. Kaum eine Minute später höre ich die Haustür knallen und den Pick-up anspringen.
>Kennt ihr zwei euch schon lange? < will ich wissen.
>Naja es geht. Etwa drei Jahre glaube ich. <
>Und woher kennt ihr euch? <
>Wir waren alle zusammen in so einer Schulung zum Thema Sicherheit, Zeugenschutz, Opferpsychologie und solche Dinge. Da war Dimitrij auch aber die zwei kannten sich schon vorher. Ich hatte ein paar Sachen nicht kapiert, weil ich halt mehr praktisch veranlagt bin, als dieses ganze blöde Theoriezeug zu lernen. Aber ich bin eben verpflichtet, wenigstens einmal im Jahr sowas zu machen, um meine Lizenz behalten zu können. Damit ich dieses Pflichtprogramm bestehen konnte, haben mir die zwei ein bisschen unter die Arme gegriffen. Außerdem sind wir ja weitestgehend so etwas wie Kollegen –wenn auch auf verschiedenen Gebieten. <
Hierbei wittere ich irgendwie meine Chance endlich das zu erfahren, was mich seit zwei Tagen so sehr interessiert. Aber dass ausgerechnet Sam eine Schulung hatte, wie man mit Opfern umgehen soll, bezweifle ich irgendwie. Wahrscheinlich hat er bei dieser Thematik geschlafen.
>Als was arbeitet Sam denn überhaupt? Ich bin noch gar nicht dazu gekommen ihn zu fragen. <
>Netter Versuch Süße. < lacht sie. >Wenn Sam es dir nicht gesagt hat, dann tu ich es auch nicht. <
>Aber wenn du mit ihm zusammenarbeitest, dann kann es nur bedeuten, dass es etwas Gutes ist. <
>Wie kommst du darauf? < fragt sie interessiert.
>Du sagtest, dass ihr euch von dieser Schulung kennt. Er hat dich und Dimitrij dort getroffen und ihr helfe beiden den Opfern. Also denke ich, dass Sam das auch tut. <
>Mit den Opfern hat er eigentlich so gut wie gar nichts zu tun aber ich gebe dir recht – er tut etwas für das Wohl von anderen Leuten und erhält dafür nicht mal ein „Danke“. <
>Weshalb nicht? <
>Die Leute wissen gar nicht, dass er da war und ihnen geholfen hat. Und jetzt lass uns das Thema wechseln, das würde ihm nicht gefallen. Er hasst es, wenn man über ihn redet. <
Ich lasse all ihre Worte auf mich wirken und es rattert in meinem Kopf. Wenn Sam kaum etwas mit den Opfern zu tun hat und sie gar nicht wissen, dass er da war, dann bedeutet das doch nur, dass er bereits da war, bevor etwas passieren konnte.
>Oh Gott na klar! < keuche ich auf, weil es mir endlich klar wird. >Er ist beim FBI oder vielleicht sogar bei der CIA. Schon klar, manche Abteilungen dürfen ja immer nicht verraten, was sie tun. <
Sophia feixt aber sagt nichts. Ich fühle mich plötzlich viel wohler. Das wird es sein, weshalb er so geheimnisvoll tut. Dazu habe ich mal ein paar Filme gesehen und es würde so viel erklären. Wenn er nebenbei Kurse an einer „speziellen Schule“ gibt, außerdem mit Phantomzeichnern und Visagisten zusammenarbeitet, die für den Zeugenschutz tätig sind, dann kann es nur das sein. Er kennt sich offenbar mit Abhördiensten, kriminellen Machenschaften und Waffen aus. Außerdem war er bereits vorher Soldat. Ich grinse und habe Sam die ganze Zeit falsch eingeschätzt.
Er hat zwar eine furchtbar schlechte Meinung von der Polizei und will immer noch nicht, dass ich mit ihnen rede, aber damit meint er vielleicht die Cops auf der Wache und nicht die, in den höheren Abteilungen.
>Jeder tut das, was er gut kann. Und jeder ist auf seinem Gebiet ein Profi. Du kannst dir gewiss sein, solange du bei Sam bist, kann dir nichts passieren. < versichert mir Sophia.
>Danke, dass du mir das gesagt hast. Er hat mir das ein oder andere Mal ziemliche Angst gemacht. Manchmal finde ich ihn so furchtbar ernst und er wirft mir des Öfteren so böse Blicke zu, dass ich mich kaum vom Fleck zu rühren traue. <
>Was meinst du für böse Blicke? < in ihrer Stimme schwingt Verwunderung mit und sie stoppt kurz mit den Handgriffen an meinem Kopf. So wie er vorhin mit ihr umgegangen ist, hat er das offenbar noch nie bei Sophia getan. >Ich finde, er ist für seine Verhältnisse sehr umgänglich mit dir. <
>Ja vorhin beim Essen vielleicht. Aber vorher musste ich Dimitrij alles erzählen, was passiert war – du hättest Sam's wütenden Blick sehen müssen, als ich weinte. Und sobald ich am Tag ein paar schwache Momente habe und ich vollkommen fertig an diese Nacht zurückdenke, dann …<
Dann schaut er mich an, als würde er mich dafür hassen.
>Oh. Ich weiß was du meinst. Tja weißt du, das ist die eine Seite an Sam, die anders damit umgeht. Bist du zerbrechlich, traurig, einsam oder verletzt, dann wird er wütend - nicht auf dich, sondern auf die, die dir das angetan haben. Ich schätze seine Fantasie geht dann mit ihm durch, wenn du anfängst zu weinen. Er stellt sich wahrscheinlich vor, wie du um dein Leben kämpfen musstest und dort herausgekommen bist. <
>Wieso sagt er es dann nicht einfach? Er redet in diesen Momenten immer so kritisch mit mir. <
>Sam spricht nun mal nicht viel. Er ist viel allein zu Haus und arbeitet auch allein. Dass er mit dir so abgehärtet umgeht, zeigt nur, dass er will, dass du stark bist. Verstehst du? <
Ich beiße mir auf die Lippe und merke, dass Sophia ihn offenbar viel besser versteht als ich.
>Warum ist er überhaupt so viel allein? <
>Wir haben genug über Sam geredet. Er würde es nicht wollen, dass wir so ein Gespräch führen und ich könnte ihn verstehen. Lern ihn selbst kennen, er braucht ein bisschen Zeit zum Warmwerden. <
Ich seufze, als ich schon wieder so ein verschlossenes Exemplar bei mir zu stehen habe. Das macht mich noch vollkommen wahnsinnig, wenn das so weitergeht.
Sophia und ich unterhalten uns danach lange über ihren Job. Ich finde es total spannend zu erfahren, wie man mit einer Friseur- und Kosmetikausbildung bei den Behörden landen kann und weshalb sie sich dazu entschlossen hat, die Salonarbeit an den Nagel zu hängen.
Eine ¾ Stunde später, spült sie mir die Haare aus und legt dann zu meiner Verwunderung eine zweite Schicht Farbe drüber.
>Du färbst noch mehr hinein? <
>Ja, deine Haare sind schwärzer als schwarz, ich musste sie erst vorblondieren, damit ich etwas anderes drauf tun kann. Was deine Farbe angeht, habe ich nicht so viele Möglichkeiten zur Veränderung, es sei denn ich rasiere sie dir völlig ab. < erklärt sie trocken.
>Oh Gott, bloß nicht. < keuche ich.
Diese Prozedur dauert wirklich ewig und so langsam werde ich total müde. Ich glaube, ich bin zwischenzeitlich sogar mehrmals eingenickt, bei all den angenehmen Berührungen an meinem Kopf.
Heilfroh bin ich, als Sophia mir irgendwann auch die zweite Farbe herunterspült und dann endlich damit beginnt, mit den Scheren herumzuwerfen. Ich kann dabei gar nicht hinsehen, als die langen Strähnen zu Boden fallen. Anfangs habe ich mich noch dagegen gewehrt aber Sophia gab mir zum wiederholten Male zu verstehen, dass ich nicht erkannt werden darf. Auf dem Fahndungsfoto habe ich sehr lange, glatte und rabenschwarze Haare.
Offenbar hat sie mich inzwischen in das Gegenteil verwandelt.
Sie holt einen Föhn hervor und bringt die Haare dann in Form, wobei ich mich frage wie viele davon überhaupt noch übrig sind. Zittrig wippe ich mit dem gesunden Bein auf und ab. Vielleicht sollte ich nachher gar nicht hinsehen und gleich ins Bett gehen, um mir den Schock wenigstens bis morgen zu ersparen. Durch die laute Geräuschkulisse bin ich allerdings wieder hellwach.
Erleichtert und erschöpft zugleich, atme ich auf, als sie den Föhn ausstellt und etwas in der Mähne herumfummelt.
>Schminkst du dich normalerweise? < will sie von mir wissen.
>Ja schon, aber ich habe nicht so viel Make-up besessen. Ich habe mir nur die Augen etwas mit Kajal oder Mascara geschminkt. <
>Okay, dann mach das auf jeden Fall demnächst etwas anders als sonst. Wenn du für gewöhnlich eher dezent herumläufst, dann werde mutiger mit den Farben. Wer eher auffällig herumläuft, sollte im Zeugenschutz schlichter sein. Du verstehst schon. Du musst das genaue Gegenteil von dem sein, was du sonst bist. < Ich nicke und verstehe worauf sie hinaus will. >Na schön, ich denke, das Grundgerüst steht. Ich bringe dir demnächst mal ein paar Sachen zum Ausprobieren vorbei, die zu deinem Hautton passen. Wenn die Kratzer in deinem Gesicht verschwunden sind, dann zeige ich dir bei Gelegenheit ein paar Kniffe. Aber so sieht es doch schon mal ziemlich gut aus. < wendet sie anerkennend ein. >Dann kommt jetzt der letzte Schliff. <
Sie holt etwas aus ihrer Tasche, was für mich ganz eindeutig nach einer Tätowiermaschine aussieht.
>Oh nein, vergiss es. < japse ich erschrocken und springe auf.
>Komm schon, ich weiß was ich tue. Setz dich wieder hin. <
>Was hast du denn vor? Muss das sein? <
>Ich mache dir nur einen Punkt und verpasse dir Eyeliner mit Permanent Make-up. <
Ich verstehe nicht wie ein Punkt mich verändern soll aber skeptisch setze ich mich wieder, als Sophia die Farbe herausholt. Sie desinfiziert eine Stelle seitlich unter meinem linken Auge und als ich das Summen des kleinen Apparates höre, wird mir augenblicklich schlecht. Bei meiner ersten Tätowierung war ich ja immerhin angetrunken und habe das gar nicht so sehr mitbekommen.
>Entspann dich und lass dein Gesicht locker. <
>Ich versuche es. < sage ich zähneknirschend. Im Gesicht ist das wirklich nicht schön.
Es ist ein scharfer, immer wiederkehrender Stich und es fühlt sich an, als würde sie in einem Kreis über meine Haut hin und her kratzen. Sie nimmt noch ein zweites Mal die Farbe und setzt noch Mal an derselben Stelle an, ehe sie weiter zu meinem oberen Augenlid geht. Das finde ich sogar noch unangenehmer.
>Locker lassen. < meckert sie noch einmal und ich brumme sie nur verärgert an. Nach etwa einer halben Stunde verebbt dieses Summen endlich. Sie geht mit einem Tuch über die Stellen drüber und beruhigt damit die gerötete Haut.
>Eine Sache habe ich noch. < jubelt sie und greift in ihre Tasche hinein. Ich ahne schon schreckliches und dann sehe ich auch noch, wie sie etwas Kleines und Funkelndes herausholt.
>Nein, vergiss es. Mit diesen Piercings kam mir Sam heute schon. <
>Keine Panik, das ist nicht echt. < erwidert sie leichthin und macht sich sofort an meiner Nase zu schaffen, ohne dass ich überhaupt reagieren konnte. >Okay, das war's schon. Willst du dich sehen? < fragt sie begeistert.
>Da bin ich mir noch nicht so sicher. <
Sophia lacht.
>Immer wieder das gleich mit euch. <
Sie kramt in ihrer Tasche herum und reicht mir einen Spiegel. Auch wenn ich weiß, dass es unwahrscheinlich ist, hoffe ich inständig, mein Gesicht noch wiederzuerkennen.
Ich nehme ihren Spiegel vor mich und schaffe es erst nach einigen Sekunden der Überwindung, die Augen zu öffnen.
Ich kann es kaum glauben, wer mich dort anschaut. Es ist unglaublich was ein neuer Haarschnitt, ein paar Augenbrauenhärchen weniger samt anderer Augenbrauenform, ein falscher Schönheitsfleck, ein falsches Piercing und ein paar gefärbte Strähnen mit einem Menschen anstellen können. Auch der tätowierte Eyeliner lässt mich jetzt noch etwas älter wirken. Sie hat ihn nach außen ein wenig breiter werden lassen und die Linie geht geschwungen nach oben.
Sie hat mir einen Nasenring im linken Nasenloch verpasst und ihn so gebogen, dass er von alleine am Nasenflügel hält.
Jetzt habe ich sehr stufig geschnittene Haare, wo die längsten Strähnen gerade so bis zum oberen Rand meiner Schulterblätter gehen und die kürzesten bis zum Kinn. Ich hätte das schon viel früher machen sollen, denn durch den Schnitt wirken sie nicht mehr so platt wie sonst. Außerdem hat mir Sophia sehr aufwändige Strähnen verpasst. Ich weiß, dass sie mich am liebsten komplett blondiert hätte und die Strähnen schon eine Herausforderung waren, aber trotzdem sehe ich völlig anders aus. Zwischen den schwarzen Haaren habe ich nun viele brauen Strähnen. Es ist vielleicht keine totale Typveränderung, aber wer mich nicht kennt, würde mich nicht erkennen. Ich selbst erkenne mich ja nicht mal sofort und das finde ich besser als erwartet.
>Wow, das ist unglaublich. <
>Auch das sagt ihr immer wieder. < schmunzelt Sophia und blickt selbstzufrieden.
>Ich kann dir nicht mal Geld für deine Arbeit geben. <
>Ach Schätzchen. < erwidert sie mitfühlend. >Die Leute, die ich verändere, sind alle in einer ähnlichen Situation wie du. Außerdem werde ich von der Regierung bezahlt, du musst dir also keine Gedanken über meine Finanzen machen. Versprich mir nur, gut auf dich aufzupassen. <
Ich nicke und lächle.
>Du arbeitest im Auftrag der Regierung? Aber genau die sucht mich doch. Soll das heißen, sie wissen bereits, dass ich hier bei Sam bin? <
>Nein, dass ich hier bin und dir helfe, hat Sam auf eigene Faust entschieden, weil er sonst kaum jemandem traut. Dass er dich fand, hat er nur Dimitrij und mir anvertraut soweit ich weiß. < erklärt sie und zwinkert mir zu.
Aber das ergibt doch alles gar keinen Sinn. Ich dachte, dass Sam mir helfen und meine Unschuld beweisen will. Wie will er das anstellen, wenn er mich hier versteckt hält? Mit welchen Leuten habe ich es hier eigentlich zu tun? Und damit meine ich beide Seiten.
>Aber du und Dimitrij arbeiten doch gegen euren Boss, indem ihr mir eure Unterstützung gebt, oder? <
>Logo aber heißt du immer alles gut, was dein Boss tut? Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. < erwidert sie lässig und packt gähnend all ihre Sachen ein.
Sam's Freunde kennen mich überhaupt nicht und trotzdem helfen sie mir, obwohl es sie doch eigentlich Kopf und Kragen kosten könnte. Ich bin völlig fassungslos, was sie für einen Niemand wie mich, aufs Spiel setzen. >Also dann. < gähnt sie erneut und streckt sich in alle Richtungen. >Ich bin erledigt und fahre jetzt nach Hause. Mein Bett ruft schon ganz laut nach mir. <
Ich schaue auf ihre funkelnde Armbanduhr. Es ist weit nach null Uhr und Sophia steht hier immer noch. Sie tut mir echt leid.
>Sorry, ich wollte nicht, dass ich dir deinen Feierabend so versaue. <
>Ach was. < sagt sie und tut es mit einer Handbewegung ab. >Ich arbeite so lange, wie es eben dauert. Aber ich muss zugeben, heute habe ich gern so lange gearbeitet. Du bist wirklich ein Glückspilz, dass du noch lebst und ich weiß, dass Sam alles tun wird, um diese Kerle zu erwischen, die dir das angetan haben. <
>Die Vorstellung, dass Sam sie hinter Gittern bringt, wäre zumindest zu einem Bruchteil Gerechtigkeit. < hauche ich. Sophia lächelt leicht – so als wenn sie ihre Meinung lieber für sich behalten möchte.
Sie packt noch ihre Dutzend Bürsten ein, während ich den Pinsel mit der Farbschale im Bad ausspüle und danach die abgeschnittenen Haare auffege.
Nach wenigen Minuten ist sie bereits in ihren dünnen Mantel gehüllt, schnappt sich ihren großen Kosmetikkoffer und drückt mich kurz an sich.
>Mach es gut Nayeli und pass gut auf dich auf. <
>Ich versuche es. <
>Zur Not wird es Sam tun. < grinst sie. >Also dann schlaf gut. <
>Gute Nacht. Und danke nochmal für alles. <
Zum Abschied küsst sie mich auf die Wange und zieht dann die Tür hinter sich zu.
Wie Sam gesagt hat, nehme ich den Schlüssel vom Schrank neben dem Eingang und schließe ab. Einen kurzen Moment überlege ich ein Buch anzufangen, aber um ehrlich zu sein, bin ich hundemüde und froh, wenn ich endlich im Bett liege. Da ich hier nicht wirklich viel Beschäftigung habe, werde ich spätestens morgen Nachmittag dazu kommen.
Ich gehe noch mal ins Bad und putze mir die Zähne. Die Stellen die Sophia mit der Tätowiernadel malträtiert hat, sehen gerötet und leicht geschwollen aus aber das wird sicherlich morgen weg sein. Trotzdem bin ich mehr als fasziniert, was sie mit mir gemacht hat.
Müde stampfe ich – mal wieder ohne Stütze, in das Bett und lasse mich hineinfallen.
Ich lasse diesen Tag Revue passieren und plötzlich fällt mir etwas Entsetzliches ein. Heute wurde in den Medien offiziell mein Tod verkündet. Ich bin mir sicher, dass Megan und ihre Familie davon erfahren haben. Für sie muss eine Welt untergegangen sein.