Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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22.06.2018
3.236
Kapitel 18 – Nur ein Name
Angeln ist so ziemlich das Langweiligste, das ich jemals gemacht habe. Ich darf nicht laut reden und keine hektischen Bewegungen machen, weil es die Fische verscheuchen könnte. Ab und zu werfe ich Sam einen Seitenblick zu. Ich weiß gar nicht, ob er wirklich darauf achtet, was seine Angel tut. Er sitzt so wie ich auf dem kleinen Abschnitt eines Baumstammes und hat sein Kinn in die Handfläche gestemmt. Seinen Ellenbogen hat er auf dem Knie abgelegt und sein Gesicht sieht so aus, als würde sein Gehirn gerade eine Höchstleistung vollbringen müssen.
>Über was denkst du denn die ganze Zeit so viel nach? Reicht es nicht, dass ich schon ständig grüble? < frage ich leise.
>Ich habe mich gefragt wie schnell Dimitrij damit ist, die Meldung öffentlich zu machen. Er ist der beste auf seinem Gebiet und hat viele Kontakte, die wiederum auf ihrem Gebiet ziemlich gut sind. Einige sind ihm noch einen Gefallen schuldig und ich denke, den löst er gerade ein. <
>Was genau ist denn sein Gebiet? <
>Er ist eigentlich Phantomzeichner und redet mit den Opfern oder den Angehörigen, um ein Porträt des Täters anzufertigen. Aber er macht eigentlich noch weitaus mehr und will aktiver den Betroffenen helfen – was gar nicht mehr in seinem offiziellen Aufgabefeld ist. Sobald er mehr über die Tat herausfindet, wendet er sich vertraulich an die Leute, die alles weiterführen werden, was er heute angefangen hat. <
>Er wirkte so als hätte er genau gewusst, wer die Männer sind, die ich beschrieben habe … du übrigens auch. <
Daraufhin geht sein Kopf abrupt zu mir herum. Seine Augen schmälern sich etwas und seine Kiefermuskeln spannen sich an.
>Das musst du dir eingebildet haben. Die Täterprofile sind manchmal recht ähnlich und Dimitrij kennt sich eben gut in diesen Dingen aus – es kann trotzdem sein, dass er schon mal eine Akte von denen auf dem Tisch hatte. Mir ist jedenfalls niemand davon bekannt gewesen. Hast du eine Ahnung wie viele Menschen allein in Minnesota leben? <
>Wenn man nur die zählt, die illegale Dinge tun, dann ist die Zahl sicher geringer. < kontere ich und halte seinem Blick stand.
>Wenn ich genauer drüber nachdenke, dann bezweifle ich, dass die Kerle aus Minnesota waren. Wahrscheinlich sind sie nur dorthin beordert worden, weil ihr Boss es aufgetragen hat. Der macht sich sicher nicht selbst die Hände schmutzig. Wir sind an der Sache dran und ich verspreche es, dir zu helfen so gut ich kann aber versprich du mir im Gegenzug das zu tun, was man dir sagt. Keine Alleingänge, kein Gezicke, kein Besserwissen und kein „Aber“. <
Erst stutze ich darüber, aber ich weiß, dass ich im Grunde genommen gar keine andere Wahl habe. Ich muss Sam vertrauen und ausblenden, was mir meine Angst zuzuflüstern versucht, die seit dem Augenblick im Keller wieder präsenter ist. Mein Retter wirkt so, als wenn er sich mit diesen Dingen viel zu gut auskennt und ich bin das genaue Gegenteil.
>Na gut. Ich verspreche es dir, wenn du mich nicht mehr Pocahontas nennst. <
>Einverstanden. < lacht er auf und dieses Lachen ist echt. Es verschmälert seine Augen und bringt sein Grübchen zum Vorschein. Dieser Ausdruck steht ihm richtig gut und lässt ihn so zugänglich wirken. In meinem Gesicht ziehen sich meine Lippen zu einem leichten Grinsen und es tut so gut, es gegen all die Tränen zu ersetzen, die sich schon in meine Haut hineingebrannt haben.
Nach einigen stillen Minuten des Beobachtens der Wasseroberfläche, dreht Sam seinen Kopf zu mir und wendet mit leiser Stimme ein:
>Das war übrigens sehr mutig von dir in das Haus hineinzugehen, obwohl du wusstest, dass dort etwas passiert war – allerdings auch dumm. Trotzdem bewundere ich deine Entschlossenheit, wie du noch in das andere Zimmer klettern wolltest, trotz dem sie schon vor deiner Tür standen. <
>Ich wollte es wenigstes versuchen, ihn dort herauszuholen. <
>Wie alt war dein Bruder nochmal? <
>Neun… Iye war gerade mal neun. < hauche ich.
>Iye. Das ist auch indianisch, oder? Haben eure Namen eigentlich eine Bedeutung? < Dann lächle ich sanft und nicke. >Was bedeutet deiner? < will er wissen und wirkt zum ersten Mal so richtig an etwas interessiert.
>Ich liebe dich. <
Daraufhin macht Sam große Augen und schaut mich entsetzt an. Ich lache schallend los.
>Du wolltest die Bedeutung wissen, also schau jetzt nicht so schockiert. <
>Dein Name heißt so viel wie „ich liebe dich“? < fragt er erneut nach.
>Ja. Der Name war eigentlich eine Krankenhauspanne. Meine Mum erzählte mir mal, als sie mich nach der Geburt im Arm hatte, da sagte sie zu mir „Nayeli“ – also dass sie mich liebt. Die Hebamme stand neben ihr, um alles aufzuschreiben und wollte wissen wie das buchstabiert wird. Meine Mutter sah nur mich an und war in ihrer eigenen Welt. So bekam sie gar nicht mit, was die Frau da eigentlich eingetragen hat. Natürlich fiel es eine Stunde später auf und meine Eltern hätten es in der vorläufigen Geburtsurkunde noch ändern können. Aber eigentlich fanden sie es lustig und auch irgendwie passend. Deswegen blieb es so stehen und von da an war ich Nayeli. < Die Erinnerung an den Tag als sie mir das erzählt hat, sorgt unweigerlich dafür, dass ich mir ihr Gesicht vorstelle und nicht glauben kann, dass ich es niemals wiedersehen werde.
>Ich finde du hast einen sehr schönen Namen, obwohl er ziemlich kompliziert klingt, wenn man ihn das erste Mal hört. < sagt er, als er sich von diesem sichtlichen Schock wieder erholt hat.
>Danke. < antworte ich lächelnd, denn ich mag ihn ebenfalls.
An meiner Angel zuckt es plötzlich und dieses Ding, womit man die Angelleine zurückzieht, rotiert wie wild.
>Ahh… was soll ich tun? < kreische ich schrill und schnappe mir die gebogene Angel aus der Halterung.
>Schnapp dir den Griff von der Rolle und kurble. < ruft Sam und springt begeistert auf. Ich hänge kraftlos dort dran und versuche es ja aber dieser Fisch - oder eher dieses Seeungeheuer, ist echt stark und der Zug tut mir an der Schulter weh. Sam sieht wie ich mich abmühe und hilft mir schlussendlich ganz lässig.
Als ich schließlich sehe, was bei mir am Harken hängt, bin ich allerdings doch etwas enttäuscht. Denn so wie ich mich ins Zeug gelegt habe, dachte ich da hänge ein 20-Kilo-Fisch dran.
>Nicht schlecht, du hast einen Schwarzbarsch – der reicht heute Abend für uns beide. Kennst du ein gutes Rezept? < fragt Sam und hält den Fisch nach oben.
>Ich kenne nur gute Rezepte. <
>Na das ist doch mal was. <
Nachdem wir für heute versorgt sind, verstaut Sam all seine Sachen wieder und trägt den Fisch, während er darauf besteht, dass ich mit der Stütze zurücklaufe. Sie ist irgendwie hinderlich und sobald er nicht hinschaut, landet das doofe Ding wieder in der Ecke. Ich humple hinter ihm her aber bleibe kurz vor seiner Tür stehen, als ein paar Sonnenstrahlen soeben wieder durch die Bäume hindurch scheinen. Dieser Ort ist wie meine Heimat - so ruhig, so vertraut, so passend zu mir. Meine freie Hand streckt sich automatisch dem warmen Schein entgegen und ich schließe die Augen. Wenn sie geschlossen sind, dann rede ich mir immer noch ein, in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem ich nur aufwachen muss.
>Hey Sonnenanbeter. Wo bleibst du denn? < feixt Sam mit den Händen in den Hosentaschen und mustert mich, als er wieder zurückkehrt.
Ich ziehe mir die Mütze vom Kopf und mir fallen die langen Haare auf die Schultern.
Dass ich mich hier verstecke, mich verhüllen muss und im Moment keine Aussicht auf eine Änderung meiner Situation habe, macht mich vollkommen fertig.
>Ich vermisse sie so sehr. < hauche ich und beiße mir auf die Lippe. Sam's Lächeln schwindet und er setzt wieder diesen harten Blick auf. Er presst die Lippen aufeinander und nickt mir langsam zu, ehe er auf mich zukommt.
>Das weiß ich. < dann legt er seine Hände auf meine Schultern und sieht mich innig an. >Die Welt da draußen ist gnadenlos und unfair. Aber du selbst hast es in der Hand, ob du dich davon zerstören lässt oder nicht. Lass die Sekunden der Schwäche zu und dann zähl bis zehn, um danach wieder stark zu sein. Anders überlebst du das nicht. <
Was zur Hölle muss einem Menschen zugestoßen sein, damit er so redet? Da ich nicht weiß was ich antworten soll, nicke ich einfach, als er mich wieder loslässt.
Er geht schließlich in sein Haus und ich folge ihm ermattet, um auf direktem Weg zum Bad zu humpeln.
Bei all den Verletzungen erkenne ich mein eigenes Spiegelbild kaum wieder. Um das nicht sehen zu müssen, werfe ich mir das kalte Wasser ins Gesicht und lasse die kühlen Hände auf meinen geschlossenen Augenlidern. Die Wassertropfen laufen an meinen Unterarmen herunter und fallen zurück in das Keramikbecken. Schwer seufzend tue ich wirklich was Sam sagte und ich zähle bis zehn. Mit jeder weiteren Zahl wird meine Atmung ruhiger und das scheint tatsächlich zu funktionieren.
Meine Blase drückt schon die ganze Zeit seitdem Dimitrij da war und bevor ich zurück zu Sam laufe, gehe ich noch schnell für kleine Mädchen.
Vorhin dachte ich noch, dieser nervenaufreibende Tag mit Sam's Kellerbegegnung und dem erneuten Aufrollen dieser Mordnacht könnte nicht noch schlimmer werden – da hatte ich mich wohl getäuscht. Auf dem Klo stelle ich fest, dass mein Körper nämlich noch ganz andere Pläne mit mir hat.
Als ich zurück in seine Küche humple, kann er mich bereits kommen hören und wirft mir einen kurzen Blick zu.
>Schreib mir mal auf, was du für dein Rezept brauchst. Ich gehe noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen, die ich vergessen habe. Brauchst du für dich noch irgendwas? < will Sam wissen und legt mir einen Zettel hin, sobald ich in der Nähe seines Tisches bin. Ich kaue nervös auf meiner Wangeninnenseite herum.
>Hallo? < fragt er erneut, als wäre ich begriffsstutzig.
>Ja irgendwie schon. Du hast hier nicht gerade einen Frauenhaushalt. < murmle ich und sehe zur Seite.
>Was eventuell daran liegen könnte, dass ich ein Kerl bin, der allein lebt. < antwortet er trocken. >Was brauchst du? <
>Ich bräuchte… ehm naja. Was ich ziemlich dringend gebrauchen könnte, wären …also… < druckse ich herum und knabbere wieder an meiner Wange herum.
>Sag schon! <
Genervt seufzt er und rollt mit den Augen. Schließlich piepse ich ganz leise:
>Tampons. <
Sam verzieht keine Miene, während ich knallrot anlaufe. Ich beginne schnell alles auf den Zettel zu schreiben, damit ich einfach einen Grund habe, ihn nicht ansehen zu müssen.
>Die sind links im oberen Badschrank. <
>Was? Wozu hast du sowas in deinem Bad? < frage ich bestürzt.
>Das sind Überbleibsel aus meiner Soldatenzeit. <
>Ich glaube, das musst du mir jetzt erklären. <
Verdutzt starre ich ihn an und verweile mit meiner schwebenden Hand über dem Zettel.
>Wenn man unter Beschuss ist und getroffen wurde, dann muss man irgendwie weitermachen und hat keine Zeit, sich ewig lange zu verarzten. Das heißt, wenn man sich eine Kugel einfängt, dann drückt man sich diese kleinen praktischen Dinger in die Schusswunden, um die Blutung zu stoppen – bis man imstande ist, sich irgendwo versorgen zu lassen. <
>Uff, das ist ja widerlich. <
>Und schmerzhaft. < vervollständigt Sam. >Ich bringe dir trotzdem Neue mit. So viele sind es nicht mehr und es sieht so aus, als wenn du noch eine Weile hier bleibst. <
>Es tut mir leid, dass ich so in dein Leben geplatzt bin. Ich will dir wirklich nicht zur Last fallen. < antworte ich ihm traurig.
>Tust du nicht. Ich bin froh, dass du hier bist. <
Ich starre ihn mit offenem Mund an. Mit dieser Antwort habe ich absolut nicht gerechnet und er ist so schnell mit dem Zettel und seinem Geld verschwunden, dass ich ihm daraufhin auch nichts mehr erwidern kann.
Kaum ist Sam weg, da hinke ich auch schon nach oben, wo offensichtlich sein Zimmer und sein Bad sind. Ich sehe am oberen Ende des Flures tatsächlich nur zwei Türen und tippe direkt richtig. Das obere Bad ist ein bisschen größer, als das was ich benutzen darf und hat eine Badewanne mit großem Fenster darüber. Ich krame eilig in dem Spiegelschrank herum, in dem er die Tampons hat und will schnell wieder nach unten laufen. Im Flur bleibe ich allerdings noch oben neben der Treppe stehen und sehe zu der anderen geschlossenen Tür.
In sein privates Schlafzimmer traue ich mich eigentlich nicht hinein aber irgendwie ist die Verlockung zu groß. Es interessiert mich wie es darin aussieht und ob ich etwas mehr über ihn erfahren kann - da er selbst nicht sehr gesprächig ist. Bisher habe ich nicht ein einziges Bild seiner Eltern oder von sonstigen Mitgliedern seiner Familie im Wohnzimmer entdeckt. Auch sonst strahlt dieses Haus bisher nichts Persönliches aus. Ob es in seinem Zimmer wohl anders ist? Meine Hand geht auf den Türknauf aber dort bleibt sie auch liegen.
Er hat mir mein Leben gerettet. Es ist nicht richtig herumzuschnüffeln und das, wo ich doch schon in seinem Keller einen Panikanfall bekommen habe – wer weiß was ich dort finde. Er versucht mir so gut es geht zu helfen, daher belasse ich es dabei und werde meine Nase nicht in seine Privatsphäre hineinstecken.
In seiner Abwesenheit will ich mich mal etwas nützlich machen. Dafür dass ein offensichtlicher Junggeselle hier völlig allein wohnt, ist es ziemlich sauber.
Trotzdem sauge ich die Böden und putze das untere Badezimmer.
Als ich damit fertig bin, gehe ich in sein Wohnzimmer und stelle den Fernseher für einen Moment ein. Beim schnellen Durchzappen mache ich Stopp bei den Nachrichten. Es geht um den Sieger beim Football, um unseren Präsidenten Trump, um weitere Gangs in Detroit – bei denen die Polizei nicht weiterkommt, um einen neuen Burger der angeblich die meisten Kalorien der gesamten USA haben soll und um … mich.
Es ist unglaublich aber seitdem Dimitrij gegangen ist, sind gerade mal ein paar Stunden vergangen. Eines muss ich ihm lassen, er ist wirklich schnell mit dem Einhalten seiner Versprechen. Laut Medien bin ich jetzt ganz offiziell tot.
Wenn man bedenkt wie viele Menschen jährlich vermisst und tatsächlich in diesem 82 km2 großen Lake gefunden werden, finde ich es erstaunlich, dass meine Leiche angeblich bis nach Rossport getrieben worden sein soll und der Fall für die Leute dort draußen damit erledigt ist. Sam's Freund oder Kollege oder was auch immer er ist, hat unfassbar schnell gehandelt und innerhalb eines Wimpernschlags mein gesamtes Leben ausgelöscht, um mich vor einer Verfolgung zu schützen.
Ich stelle den Fernseher wieder aus und bleibe noch einen kurzen Augenblick auf dem Sofa sitzen. Seufzend mache ich mich dann aber doch an die Arbeit und bereite den Fisch schon mal so weit vor wie ich kann. Nachdem ich ihn ausgenommen und die Schuppen beseitigt habe, höre ich wie Sam zur Tür reinkommt.
>Hey Kleines, hast du es schon gehört? < fragt er als er mit Tüten beladen ist. Es standen nur ein paar Sachen auf der Liste – was hat er denn alles eingekauft?
Ich nehme ihm eine Tüte mit meinem gesunden Arm ab und stutze über seinen neusten Kosenamen für mich. Mit dem kann ich allerdings eher leben, als mit Pocahontas. Mir fällt auf, dass er jetzt irgendwie anders zu mir ist, seitdem er vorhin erfahren hat, was wirklich mit mir passiert ist.
>Was? Dass man mich tot gefunden hat? < frage ich.
>Ja, lief eben im Radio. <
>Und was mache ich jetzt, da ich tot bin? Soll das bedeuten, dass ich nie wieder das Haus verlassen kann? Es sei denn ich lasse ein paar Schönheits-OPs machen? <
>Ich bewundere deinen Enthusiasmus aber ich glaube so weit müssen wir nicht gehen. Allerdings ein paar Äußerlichkeiten sollten wir tatsächlich ändern. Was hältst du grundsätzlich von Piercings? < fragt er ernst.
>Nicht sehr viel. < murmle ich vorsichtig, da er seine Hand so eigenartig lange in der Papiertüte lässt. Ich ahne schon etwas Schreckliches und laufe ein Stück rückwärts.
Er nimmt seine Hand raus und wirft mir feixend die Schachtel Tampons zu. Ich werde knallrot und bringe sie schnell ins untere Badezimmer, ehe ich ihm weiter beim Auspacken helfe.
Er hat ziemlich viele Dinge mitgebracht, die gar nicht auf dem Zettel standen aber er ist eben vorausschauend. Sam packt soeben die letzten Dinge aus und sagt:
>Hier, die sind für dich. Ich weiß es ist nicht allzu spannend bei mir und sicherlich fehlt dir etwas geistige Aktivität bei dem, was du sonst machst. Außerdem dachte ich, dass du vielleicht etwas Ablenkung vertragen könntest. <
Plötzlich hält er mir zwei Bücher vor die Nase. Das eine davon ist das, welches ich bei BARNES & NOBLE gefunden habe. Zögernd nehme ich sie ihm ab und sehe dann zu ihm hoch. Mein entgeisterter Blick scheint ihn hingegen zu verunsichern.
>Ich wusste nicht ob …<
>Danke Sam. Ich liebe Bücher. < unterbreche ich schnell und lächle. >Das hier wollte ich unbedingt haben. <
>Echt? Das steht auf Platz 1 der Bestsellerliste, nur deswegen habe ich es gegriffen. Dann habe ich ja alles richtig gemacht. Ich dachte schon, dass alle nur noch digital lesen aber der Buchladen war zu meinem Erstaunen gefüllt. <
>Bei einigen trifft das sicherlich zu aber ich liebe diesen Geruch von Büchern viel zu sehr, als sie zu ersetzen. Hier probier’s. < Ich halte ihm das geöffnete Buch unter die Nase und er grinst nur.
>Verstehe. Also ich rieche ja lieber das unverarbeitete Holz im Wald oder Beef Jerky, aber jedem das Seine. < gluckst er.
>Vielen, vielen Dank. < wiederhole ich noch einmal.
>Kein Ding, Kleines. <
Sam lässt ein paar Sachen in der zweiten Tüte und bringt sie dann nach unten in den Keller.
Als ich ihn unten herumpoltern höre, lese ich mir die Rückseiten der Bücher durch. Die würden Meg sicherlich auch gefallen. Der Gedanke an sie versetzt mir einen Stich. Ich würde alles dafür geben, nochmal ihre Stimme zu hören oder sie nur für einen Moment sehen zu können. Stattdessen höre ich Sam's Stimme, die allerdings nicht mir gelten kann. Er erzählt ziemlich viel und ist ein bisschen leiser, als eine normale Zimmerlautstärke ist. Gerade als ich ein paar Schritte auf seine Kellerluke zulaufe, um ihn besser verstehen zu können, kommt er wieder hoch und hält in der linken Hand etwas Eingefrorenes fest. Als ich ihm einen irritierten Blick zuwerfe, hält er es hoch und ich sehe so einen Schwarzbarsch wie ich ihn vorhin gefangen habe.
>Mach gleich etwas mehr zu essen. In einer Stunde kommt noch jemand vorbei. Es ist Zeit das wir ein paar kleine Veränderungen vornehmen. <
>Veränderungen? Von was denn? <
>Nicht von was, sondern von wem. < erwidert er lässig und wirft mir den Fisch in die Spüle. >Ich mache dort unten mal etwas sauber. Schließlich will ich nicht, dass du morgen den nächsten Schrecken bekommst. <
Angeln ist so ziemlich das Langweiligste, das ich jemals gemacht habe. Ich darf nicht laut reden und keine hektischen Bewegungen machen, weil es die Fische verscheuchen könnte. Ab und zu werfe ich Sam einen Seitenblick zu. Ich weiß gar nicht, ob er wirklich darauf achtet, was seine Angel tut. Er sitzt so wie ich auf dem kleinen Abschnitt eines Baumstammes und hat sein Kinn in die Handfläche gestemmt. Seinen Ellenbogen hat er auf dem Knie abgelegt und sein Gesicht sieht so aus, als würde sein Gehirn gerade eine Höchstleistung vollbringen müssen.
>Über was denkst du denn die ganze Zeit so viel nach? Reicht es nicht, dass ich schon ständig grüble? < frage ich leise.
>Ich habe mich gefragt wie schnell Dimitrij damit ist, die Meldung öffentlich zu machen. Er ist der beste auf seinem Gebiet und hat viele Kontakte, die wiederum auf ihrem Gebiet ziemlich gut sind. Einige sind ihm noch einen Gefallen schuldig und ich denke, den löst er gerade ein. <
>Was genau ist denn sein Gebiet? <
>Er ist eigentlich Phantomzeichner und redet mit den Opfern oder den Angehörigen, um ein Porträt des Täters anzufertigen. Aber er macht eigentlich noch weitaus mehr und will aktiver den Betroffenen helfen – was gar nicht mehr in seinem offiziellen Aufgabefeld ist. Sobald er mehr über die Tat herausfindet, wendet er sich vertraulich an die Leute, die alles weiterführen werden, was er heute angefangen hat. <
>Er wirkte so als hätte er genau gewusst, wer die Männer sind, die ich beschrieben habe … du übrigens auch. <
Daraufhin geht sein Kopf abrupt zu mir herum. Seine Augen schmälern sich etwas und seine Kiefermuskeln spannen sich an.
>Das musst du dir eingebildet haben. Die Täterprofile sind manchmal recht ähnlich und Dimitrij kennt sich eben gut in diesen Dingen aus – es kann trotzdem sein, dass er schon mal eine Akte von denen auf dem Tisch hatte. Mir ist jedenfalls niemand davon bekannt gewesen. Hast du eine Ahnung wie viele Menschen allein in Minnesota leben? <
>Wenn man nur die zählt, die illegale Dinge tun, dann ist die Zahl sicher geringer. < kontere ich und halte seinem Blick stand.
>Wenn ich genauer drüber nachdenke, dann bezweifle ich, dass die Kerle aus Minnesota waren. Wahrscheinlich sind sie nur dorthin beordert worden, weil ihr Boss es aufgetragen hat. Der macht sich sicher nicht selbst die Hände schmutzig. Wir sind an der Sache dran und ich verspreche es, dir zu helfen so gut ich kann aber versprich du mir im Gegenzug das zu tun, was man dir sagt. Keine Alleingänge, kein Gezicke, kein Besserwissen und kein „Aber“. <
Erst stutze ich darüber, aber ich weiß, dass ich im Grunde genommen gar keine andere Wahl habe. Ich muss Sam vertrauen und ausblenden, was mir meine Angst zuzuflüstern versucht, die seit dem Augenblick im Keller wieder präsenter ist. Mein Retter wirkt so, als wenn er sich mit diesen Dingen viel zu gut auskennt und ich bin das genaue Gegenteil.
>Na gut. Ich verspreche es dir, wenn du mich nicht mehr Pocahontas nennst. <
>Einverstanden. < lacht er auf und dieses Lachen ist echt. Es verschmälert seine Augen und bringt sein Grübchen zum Vorschein. Dieser Ausdruck steht ihm richtig gut und lässt ihn so zugänglich wirken. In meinem Gesicht ziehen sich meine Lippen zu einem leichten Grinsen und es tut so gut, es gegen all die Tränen zu ersetzen, die sich schon in meine Haut hineingebrannt haben.
Nach einigen stillen Minuten des Beobachtens der Wasseroberfläche, dreht Sam seinen Kopf zu mir und wendet mit leiser Stimme ein:
>Das war übrigens sehr mutig von dir in das Haus hineinzugehen, obwohl du wusstest, dass dort etwas passiert war – allerdings auch dumm. Trotzdem bewundere ich deine Entschlossenheit, wie du noch in das andere Zimmer klettern wolltest, trotz dem sie schon vor deiner Tür standen. <
>Ich wollte es wenigstes versuchen, ihn dort herauszuholen. <
>Wie alt war dein Bruder nochmal? <
>Neun… Iye war gerade mal neun. < hauche ich.
>Iye. Das ist auch indianisch, oder? Haben eure Namen eigentlich eine Bedeutung? < Dann lächle ich sanft und nicke. >Was bedeutet deiner? < will er wissen und wirkt zum ersten Mal so richtig an etwas interessiert.
>Ich liebe dich. <
Daraufhin macht Sam große Augen und schaut mich entsetzt an. Ich lache schallend los.
>Du wolltest die Bedeutung wissen, also schau jetzt nicht so schockiert. <
>Dein Name heißt so viel wie „ich liebe dich“? < fragt er erneut nach.
>Ja. Der Name war eigentlich eine Krankenhauspanne. Meine Mum erzählte mir mal, als sie mich nach der Geburt im Arm hatte, da sagte sie zu mir „Nayeli“ – also dass sie mich liebt. Die Hebamme stand neben ihr, um alles aufzuschreiben und wollte wissen wie das buchstabiert wird. Meine Mutter sah nur mich an und war in ihrer eigenen Welt. So bekam sie gar nicht mit, was die Frau da eigentlich eingetragen hat. Natürlich fiel es eine Stunde später auf und meine Eltern hätten es in der vorläufigen Geburtsurkunde noch ändern können. Aber eigentlich fanden sie es lustig und auch irgendwie passend. Deswegen blieb es so stehen und von da an war ich Nayeli. < Die Erinnerung an den Tag als sie mir das erzählt hat, sorgt unweigerlich dafür, dass ich mir ihr Gesicht vorstelle und nicht glauben kann, dass ich es niemals wiedersehen werde.
>Ich finde du hast einen sehr schönen Namen, obwohl er ziemlich kompliziert klingt, wenn man ihn das erste Mal hört. < sagt er, als er sich von diesem sichtlichen Schock wieder erholt hat.
>Danke. < antworte ich lächelnd, denn ich mag ihn ebenfalls.
An meiner Angel zuckt es plötzlich und dieses Ding, womit man die Angelleine zurückzieht, rotiert wie wild.
>Ahh… was soll ich tun? < kreische ich schrill und schnappe mir die gebogene Angel aus der Halterung.
>Schnapp dir den Griff von der Rolle und kurble. < ruft Sam und springt begeistert auf. Ich hänge kraftlos dort dran und versuche es ja aber dieser Fisch - oder eher dieses Seeungeheuer, ist echt stark und der Zug tut mir an der Schulter weh. Sam sieht wie ich mich abmühe und hilft mir schlussendlich ganz lässig.
Als ich schließlich sehe, was bei mir am Harken hängt, bin ich allerdings doch etwas enttäuscht. Denn so wie ich mich ins Zeug gelegt habe, dachte ich da hänge ein 20-Kilo-Fisch dran.
>Nicht schlecht, du hast einen Schwarzbarsch – der reicht heute Abend für uns beide. Kennst du ein gutes Rezept? < fragt Sam und hält den Fisch nach oben.
>Ich kenne nur gute Rezepte. <
>Na das ist doch mal was. <
Nachdem wir für heute versorgt sind, verstaut Sam all seine Sachen wieder und trägt den Fisch, während er darauf besteht, dass ich mit der Stütze zurücklaufe. Sie ist irgendwie hinderlich und sobald er nicht hinschaut, landet das doofe Ding wieder in der Ecke. Ich humple hinter ihm her aber bleibe kurz vor seiner Tür stehen, als ein paar Sonnenstrahlen soeben wieder durch die Bäume hindurch scheinen. Dieser Ort ist wie meine Heimat - so ruhig, so vertraut, so passend zu mir. Meine freie Hand streckt sich automatisch dem warmen Schein entgegen und ich schließe die Augen. Wenn sie geschlossen sind, dann rede ich mir immer noch ein, in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem ich nur aufwachen muss.
>Hey Sonnenanbeter. Wo bleibst du denn? < feixt Sam mit den Händen in den Hosentaschen und mustert mich, als er wieder zurückkehrt.
Ich ziehe mir die Mütze vom Kopf und mir fallen die langen Haare auf die Schultern.
Dass ich mich hier verstecke, mich verhüllen muss und im Moment keine Aussicht auf eine Änderung meiner Situation habe, macht mich vollkommen fertig.
>Ich vermisse sie so sehr. < hauche ich und beiße mir auf die Lippe. Sam's Lächeln schwindet und er setzt wieder diesen harten Blick auf. Er presst die Lippen aufeinander und nickt mir langsam zu, ehe er auf mich zukommt.
>Das weiß ich. < dann legt er seine Hände auf meine Schultern und sieht mich innig an. >Die Welt da draußen ist gnadenlos und unfair. Aber du selbst hast es in der Hand, ob du dich davon zerstören lässt oder nicht. Lass die Sekunden der Schwäche zu und dann zähl bis zehn, um danach wieder stark zu sein. Anders überlebst du das nicht. <
Was zur Hölle muss einem Menschen zugestoßen sein, damit er so redet? Da ich nicht weiß was ich antworten soll, nicke ich einfach, als er mich wieder loslässt.
Er geht schließlich in sein Haus und ich folge ihm ermattet, um auf direktem Weg zum Bad zu humpeln.
Bei all den Verletzungen erkenne ich mein eigenes Spiegelbild kaum wieder. Um das nicht sehen zu müssen, werfe ich mir das kalte Wasser ins Gesicht und lasse die kühlen Hände auf meinen geschlossenen Augenlidern. Die Wassertropfen laufen an meinen Unterarmen herunter und fallen zurück in das Keramikbecken. Schwer seufzend tue ich wirklich was Sam sagte und ich zähle bis zehn. Mit jeder weiteren Zahl wird meine Atmung ruhiger und das scheint tatsächlich zu funktionieren.
Meine Blase drückt schon die ganze Zeit seitdem Dimitrij da war und bevor ich zurück zu Sam laufe, gehe ich noch schnell für kleine Mädchen.
Vorhin dachte ich noch, dieser nervenaufreibende Tag mit Sam's Kellerbegegnung und dem erneuten Aufrollen dieser Mordnacht könnte nicht noch schlimmer werden – da hatte ich mich wohl getäuscht. Auf dem Klo stelle ich fest, dass mein Körper nämlich noch ganz andere Pläne mit mir hat.
Als ich zurück in seine Küche humple, kann er mich bereits kommen hören und wirft mir einen kurzen Blick zu.
>Schreib mir mal auf, was du für dein Rezept brauchst. Ich gehe noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen, die ich vergessen habe. Brauchst du für dich noch irgendwas? < will Sam wissen und legt mir einen Zettel hin, sobald ich in der Nähe seines Tisches bin. Ich kaue nervös auf meiner Wangeninnenseite herum.
>Hallo? < fragt er erneut, als wäre ich begriffsstutzig.
>Ja irgendwie schon. Du hast hier nicht gerade einen Frauenhaushalt. < murmle ich und sehe zur Seite.
>Was eventuell daran liegen könnte, dass ich ein Kerl bin, der allein lebt. < antwortet er trocken. >Was brauchst du? <
>Ich bräuchte… ehm naja. Was ich ziemlich dringend gebrauchen könnte, wären …also… < druckse ich herum und knabbere wieder an meiner Wange herum.
>Sag schon! <
Genervt seufzt er und rollt mit den Augen. Schließlich piepse ich ganz leise:
>Tampons. <
Sam verzieht keine Miene, während ich knallrot anlaufe. Ich beginne schnell alles auf den Zettel zu schreiben, damit ich einfach einen Grund habe, ihn nicht ansehen zu müssen.
>Die sind links im oberen Badschrank. <
>Was? Wozu hast du sowas in deinem Bad? < frage ich bestürzt.
>Das sind Überbleibsel aus meiner Soldatenzeit. <
>Ich glaube, das musst du mir jetzt erklären. <
Verdutzt starre ich ihn an und verweile mit meiner schwebenden Hand über dem Zettel.
>Wenn man unter Beschuss ist und getroffen wurde, dann muss man irgendwie weitermachen und hat keine Zeit, sich ewig lange zu verarzten. Das heißt, wenn man sich eine Kugel einfängt, dann drückt man sich diese kleinen praktischen Dinger in die Schusswunden, um die Blutung zu stoppen – bis man imstande ist, sich irgendwo versorgen zu lassen. <
>Uff, das ist ja widerlich. <
>Und schmerzhaft. < vervollständigt Sam. >Ich bringe dir trotzdem Neue mit. So viele sind es nicht mehr und es sieht so aus, als wenn du noch eine Weile hier bleibst. <
>Es tut mir leid, dass ich so in dein Leben geplatzt bin. Ich will dir wirklich nicht zur Last fallen. < antworte ich ihm traurig.
>Tust du nicht. Ich bin froh, dass du hier bist. <
Ich starre ihn mit offenem Mund an. Mit dieser Antwort habe ich absolut nicht gerechnet und er ist so schnell mit dem Zettel und seinem Geld verschwunden, dass ich ihm daraufhin auch nichts mehr erwidern kann.
Kaum ist Sam weg, da hinke ich auch schon nach oben, wo offensichtlich sein Zimmer und sein Bad sind. Ich sehe am oberen Ende des Flures tatsächlich nur zwei Türen und tippe direkt richtig. Das obere Bad ist ein bisschen größer, als das was ich benutzen darf und hat eine Badewanne mit großem Fenster darüber. Ich krame eilig in dem Spiegelschrank herum, in dem er die Tampons hat und will schnell wieder nach unten laufen. Im Flur bleibe ich allerdings noch oben neben der Treppe stehen und sehe zu der anderen geschlossenen Tür.
In sein privates Schlafzimmer traue ich mich eigentlich nicht hinein aber irgendwie ist die Verlockung zu groß. Es interessiert mich wie es darin aussieht und ob ich etwas mehr über ihn erfahren kann - da er selbst nicht sehr gesprächig ist. Bisher habe ich nicht ein einziges Bild seiner Eltern oder von sonstigen Mitgliedern seiner Familie im Wohnzimmer entdeckt. Auch sonst strahlt dieses Haus bisher nichts Persönliches aus. Ob es in seinem Zimmer wohl anders ist? Meine Hand geht auf den Türknauf aber dort bleibt sie auch liegen.
Er hat mir mein Leben gerettet. Es ist nicht richtig herumzuschnüffeln und das, wo ich doch schon in seinem Keller einen Panikanfall bekommen habe – wer weiß was ich dort finde. Er versucht mir so gut es geht zu helfen, daher belasse ich es dabei und werde meine Nase nicht in seine Privatsphäre hineinstecken.
In seiner Abwesenheit will ich mich mal etwas nützlich machen. Dafür dass ein offensichtlicher Junggeselle hier völlig allein wohnt, ist es ziemlich sauber.
Trotzdem sauge ich die Böden und putze das untere Badezimmer.
Als ich damit fertig bin, gehe ich in sein Wohnzimmer und stelle den Fernseher für einen Moment ein. Beim schnellen Durchzappen mache ich Stopp bei den Nachrichten. Es geht um den Sieger beim Football, um unseren Präsidenten Trump, um weitere Gangs in Detroit – bei denen die Polizei nicht weiterkommt, um einen neuen Burger der angeblich die meisten Kalorien der gesamten USA haben soll und um … mich.
Es ist unglaublich aber seitdem Dimitrij gegangen ist, sind gerade mal ein paar Stunden vergangen. Eines muss ich ihm lassen, er ist wirklich schnell mit dem Einhalten seiner Versprechen. Laut Medien bin ich jetzt ganz offiziell tot.
Wenn man bedenkt wie viele Menschen jährlich vermisst und tatsächlich in diesem 82 km2 großen Lake gefunden werden, finde ich es erstaunlich, dass meine Leiche angeblich bis nach Rossport getrieben worden sein soll und der Fall für die Leute dort draußen damit erledigt ist. Sam's Freund oder Kollege oder was auch immer er ist, hat unfassbar schnell gehandelt und innerhalb eines Wimpernschlags mein gesamtes Leben ausgelöscht, um mich vor einer Verfolgung zu schützen.
Ich stelle den Fernseher wieder aus und bleibe noch einen kurzen Augenblick auf dem Sofa sitzen. Seufzend mache ich mich dann aber doch an die Arbeit und bereite den Fisch schon mal so weit vor wie ich kann. Nachdem ich ihn ausgenommen und die Schuppen beseitigt habe, höre ich wie Sam zur Tür reinkommt.
>Hey Kleines, hast du es schon gehört? < fragt er als er mit Tüten beladen ist. Es standen nur ein paar Sachen auf der Liste – was hat er denn alles eingekauft?
Ich nehme ihm eine Tüte mit meinem gesunden Arm ab und stutze über seinen neusten Kosenamen für mich. Mit dem kann ich allerdings eher leben, als mit Pocahontas. Mir fällt auf, dass er jetzt irgendwie anders zu mir ist, seitdem er vorhin erfahren hat, was wirklich mit mir passiert ist.
>Was? Dass man mich tot gefunden hat? < frage ich.
>Ja, lief eben im Radio. <
>Und was mache ich jetzt, da ich tot bin? Soll das bedeuten, dass ich nie wieder das Haus verlassen kann? Es sei denn ich lasse ein paar Schönheits-OPs machen? <
>Ich bewundere deinen Enthusiasmus aber ich glaube so weit müssen wir nicht gehen. Allerdings ein paar Äußerlichkeiten sollten wir tatsächlich ändern. Was hältst du grundsätzlich von Piercings? < fragt er ernst.
>Nicht sehr viel. < murmle ich vorsichtig, da er seine Hand so eigenartig lange in der Papiertüte lässt. Ich ahne schon etwas Schreckliches und laufe ein Stück rückwärts.
Er nimmt seine Hand raus und wirft mir feixend die Schachtel Tampons zu. Ich werde knallrot und bringe sie schnell ins untere Badezimmer, ehe ich ihm weiter beim Auspacken helfe.
Er hat ziemlich viele Dinge mitgebracht, die gar nicht auf dem Zettel standen aber er ist eben vorausschauend. Sam packt soeben die letzten Dinge aus und sagt:
>Hier, die sind für dich. Ich weiß es ist nicht allzu spannend bei mir und sicherlich fehlt dir etwas geistige Aktivität bei dem, was du sonst machst. Außerdem dachte ich, dass du vielleicht etwas Ablenkung vertragen könntest. <
Plötzlich hält er mir zwei Bücher vor die Nase. Das eine davon ist das, welches ich bei BARNES & NOBLE gefunden habe. Zögernd nehme ich sie ihm ab und sehe dann zu ihm hoch. Mein entgeisterter Blick scheint ihn hingegen zu verunsichern.
>Ich wusste nicht ob …<
>Danke Sam. Ich liebe Bücher. < unterbreche ich schnell und lächle. >Das hier wollte ich unbedingt haben. <
>Echt? Das steht auf Platz 1 der Bestsellerliste, nur deswegen habe ich es gegriffen. Dann habe ich ja alles richtig gemacht. Ich dachte schon, dass alle nur noch digital lesen aber der Buchladen war zu meinem Erstaunen gefüllt. <
>Bei einigen trifft das sicherlich zu aber ich liebe diesen Geruch von Büchern viel zu sehr, als sie zu ersetzen. Hier probier’s. < Ich halte ihm das geöffnete Buch unter die Nase und er grinst nur.
>Verstehe. Also ich rieche ja lieber das unverarbeitete Holz im Wald oder Beef Jerky, aber jedem das Seine. < gluckst er.
>Vielen, vielen Dank. < wiederhole ich noch einmal.
>Kein Ding, Kleines. <
Sam lässt ein paar Sachen in der zweiten Tüte und bringt sie dann nach unten in den Keller.
Als ich ihn unten herumpoltern höre, lese ich mir die Rückseiten der Bücher durch. Die würden Meg sicherlich auch gefallen. Der Gedanke an sie versetzt mir einen Stich. Ich würde alles dafür geben, nochmal ihre Stimme zu hören oder sie nur für einen Moment sehen zu können. Stattdessen höre ich Sam's Stimme, die allerdings nicht mir gelten kann. Er erzählt ziemlich viel und ist ein bisschen leiser, als eine normale Zimmerlautstärke ist. Gerade als ich ein paar Schritte auf seine Kellerluke zulaufe, um ihn besser verstehen zu können, kommt er wieder hoch und hält in der linken Hand etwas Eingefrorenes fest. Als ich ihm einen irritierten Blick zuwerfe, hält er es hoch und ich sehe so einen Schwarzbarsch wie ich ihn vorhin gefangen habe.
>Mach gleich etwas mehr zu essen. In einer Stunde kommt noch jemand vorbei. Es ist Zeit das wir ein paar kleine Veränderungen vornehmen. <
>Veränderungen? Von was denn? <
>Nicht von was, sondern von wem. < erwidert er lässig und wirft mir den Fisch in die Spüle. >Ich mache dort unten mal etwas sauber. Schließlich will ich nicht, dass du morgen den nächsten Schrecken bekommst. <