Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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19.06.2020
4.208
Kapitel 40 - Gemischte Gefühle
Die vergangene halbe Stunde in der Mall kam mir vor, als wären nur einige Wimpernschläge vergangen. Starr vor Schock sehe ich zu meinen gefalteten Händen in meinem Schoß. Sie sind blutig und tun weh. Immerhin habe ich ziemlich oft auf Madjids Gesicht eingeschlagen – immer und immer wieder, bis ihm nicht nur seine Visage aufplatzte, sondern auch meine Fingerknöchel, die dem Druck nicht standhielten.
>Hier Süße, wisch dir das ab. < sagt Sophia sanft neben mir und hält mir eines dieser Babyfeuchttücher aus ihrer Tasche hin.
>Danke. < hauche ich und versuche mein Blut und das meines Angreifers von mir herunterzubekommen.
Louis fährt gerade erst von dem Parkplatz herunter und ich drehe mich noch einmal nach hinten um. Sam verschwindet in die andere Richtung und kommt sicher erst spät zurück.
Als meine Hände zum größten Teil sauber sind, lehne ich mich seufzend an die Lehne an und lasse meinen Kopf zur Seite sinken, um aus dem Fenster zu sehen.
>Um ehrlich zu sein, dachte ich, dass ich mich gut fühlen würde, wenn ich diesen Kerl endlich los bin. Aber ich bin einfach nur sauer. < erkläre ich niemand bestimmten.
>Sieh es mal so... < erwidert Max neutral. >Du hast mehr Rache bekommen, als du erwartet hast. Sam wollte diesen Kerl eigentlich gar nicht an dich herankommen lassen. Somit konntest du ihn immerhin windelweich prügeln, was du ganz offensichtlich auch getan hast. Sei froh, dass es so kam. Und jetzt hast du immerhin die Gewissheit, dass jeder von diesen Kerlen seine gerechte Strafe bekommen hat. Gerechter als jedes Gericht es geschafft hätte – wenn du mich fragst. <
Ich nicke vorsichtig. Es ist zwar richtig was Max sagte, aber dennoch machte mein Herz einen Freudensprung als ich diesen Kerl vor mir sah, da ich wusste, dass das meine einzige Chance war, um ihn höchstpersönlich loszuwerden.
Die Gelegenheit wurde mir leider genommen. Auf diesen Augenblick habe ich viele Monate gewartet und mir unfassbar oft aufgemalt, wie ich die Sache angehen würde.
Tja … so schnell kann es gehen. Die Blase macht „puff“ und alle Gedanken lösen sich in Luft auf.
Ich sehe aus dem Fenster und beobachte die hinunterfallenden Schneeflocken. Dieser Anblick hat etwas unfassbar Beruhigendes und es sorgt dafür, dass ich in meinen eigenen Gedanken versinke. Heute Morgen am Lake redete ich mir ein, dass vielleicht immer jemand eine schützende Hand über meinem Kopf hielt. War es bei meinem Aufeinandertreffen mit Madjid ebenfalls so? Auch wenn es ziemlich unrealistische Gedanken sind, kann so etwas einen Menschen davon abhalten, vollkommen wahnsinnig zu werden.
Als ich vor zwei Wochen von einem Cop entführt wurde und diesen Menschen umbrachte, kümmerten mich die Ereignisse im Nachhinein kaum und genauso ist es in dem jetzigen Moment. Ich müsste aufgewühlt, den Tränen nahe und vollkommen verängstigt sein. Aber das bin ich nicht.
Ich bin nur sauer auf meinen Freund. Das sind alle Emotionen, die ich im Augenblick habe. Es muss einfach einen Grund für alles geben. Sam tauchte genau dann auf, als ich kurz davor war, meinem Angreifer den letzten Atemzug zu nehmen. Eine Minute später hätte mir niemand mehr dazwischenfunken können.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, werden die Unterhaltungen der anderen im Wagen immer weniger. Im Hintergrund spielt nur etwas Musik. Ich habe in der vergangenen Nacht vor lauter Aufregung kaum ein Auge zu gemacht und nun, da mein Adrenalinpegel absinkt, werde ich unglaublich müde. Daher ist es kein Wunder, dass ich allmählich Schwierigkeiten bekomme, meine Augen noch offenzuhalten und schließlich irgendwann einschlafe.
Später im Parkhaus der Penthäuser
>Hey Süße, wach auf. Wir sind wieder da. < erklingt Sophias Stimme.
>Hä? < gebe ich verschlafen von mir.
>Komm schon. Du willst sicher duschen. An dir und den Klamotten klebt immer noch etwas Blut. <
Ich nicke nur, richte mich etwas vom Sitz auf und strecke meinen Rücken durch. Neben Louis´ Auto parkt auch der Mietwagen der Russen. Dort steigen Nazar, Jegor, Nikolaj, Nigel und Ivan aus.
Als ich die Autotür von Louis zuknalle, kommen die fünf Männer auch schon auf uns zugelaufen. Wie immer verberge ich mein Gesicht und ziehe mir die Kapuze bis über die Augen.
>Hat jemand eine Ahnung, wo die anderen eigentlich hinfahren? < fragt Ivan niemand bestimmten.
>Sam hat mir nichts verraten. < erwidere ich und gehe mit den anderen im Rücken zu dem Fahrstuhl.
>Ich kann einfach nicht fassen, dass das noch gut ausging. < gibt Nigel zu. >Wenn ich ehrlich bin, dann ging mir ganz schön die Muffe. <
>Meine Sorge war einfach nur, dass der Kerl wieder geht. < wende ich ein. Daraufhin feixt Louis und wirft ein:
>Und damit er keinen Zentimeter wegkonnte, jagst du ihm ein Messer in die Hand und pinnst ihn am Boden fest. <
>Das passierte im Eifer des Gefechts. <
So war es wirklich. Ich hatte nicht eine Sekunde lang vorgehabt, ihn mit dem Messer umzubringen, aber ich wollte ihm damit wehtun.
Der Fahrstuhl gibt seinen gewohnten Ton von sich und öffnet die Türen. Die Hunter, gehen schon zu ihrer Tür, aber Nikolaj hält mich an der Schulter fest. In einem gebrochenem Englisch fragt er:
>Kommst du klar, printsessa? <
>Da spasibo. (Ja danke.) <
Daraufhin nickt er und geht mit Nazar und Jegor ins eigene Penthouse. Die restlichen Russen sind mit Sam unterwegs. Wohin auch immer …
Ich bin erleichtert, als wir nach all den Fahrstunden wieder zurück sind. Auch wenn ich beinahe die gesamte Fahrzeit schlief, fühle ich mich immer noch, als hätte man mich durch den Fleischwolf gedreht. Während ich einfach nur das dringende Bedürfnis habe, Madjid von meinem Körper zu waschen, klagen die anderen über ziemlich großen Hunger. Immerhin sind wir seit ewigen Stunden unterwegs gewesen und inzwischen ist es fast 20 Uhr.
Ich hole mir meine privaten Sachen aus Rubys Zimmer, schließe mich dann im Badezimmer ein und stelle die Dusche bereits an, damit es gleich wärmer ist. Währenddessen stehe ich vor dem Spiegel und streife meine Klamotten ab. Als ich so nackt davorstehe, mustere ich mein Gesicht und beginne zu grinsen.
>Das war nicht schlecht. < sage ich mir selbst. Es tat gut als ich die Oberhand über Madjid hatte, auch wenn ich mich im Nachhinein trotzdem nicht besser fühle.
Da das Wasser nun warm genug sein müsste, steige ich in die Dusche hinein und halte meine Hände unter den Strahl. Ich habe zwar das meiste Blut von Madjid abgewischt, aber dennoch begann mein Eigenes immer wieder aus meinen Fingerknöcheln zu sickern. Mein Blick richtet sich zu dem Abfluss und ich sehe dabei zu, wie sich mein Blut mit dem Wasser vermischt. In einem Strudel wird es wie ein Sinnbild meiner Empfindungen einfach weggespült. Egal was ich tue, egal wen ich umbringe und egal wie sehr ich mich selbst für all das Vergangene bestrafe, es wird mir meine Familie niemals zurückbringen. Hat Sam etwa genau das in der Mall gemeint, als er mich von Madjid herunterzog und sagte, „es ist besser so“ wenn ich ihn nicht umbringen würde?
Auch wenn ich diesen Taliban umgebracht hätte, es hätte nichts an meinem Verlust geändert. Außer, dass ich inzwischen zwei Menschen das Leben genommen hätte. Ist es deswegen besser so? Sam ist es über die Jahre egal geworden, wie viele er tötete und noch töten wird. Will er mich vor der steigenden Anzahl bewahren?
Wutentbrannt schlage ich einfach mit der Faust gegen die Fliese und japse auf. Na toll, nun blutet meine Hand schon wieder, aber zum Glück ist die Fliese ganz geblieben.
>Hach Scheiße. < fluche ich und halte meine Hand erneut unter das fließende Wasser. Ich muss nun endlich mit dieser Sache abschließen. Madjid ist weg – genauso wie all die anderen, die auch nur im Entferntesten damit zu tun hatten.
Genau jetzt ist der Zeitpunkt, an dem ich endlich aufatmen sollte, endlich wieder Hoffnung schöpfen muss und endlich wieder klare Gedanken fassen sollte.
Nach der Dusche ziehe ich wieder die legeren Sachen an, mit denen ich heute Morgen herfuhr und trete aus dem Bad heraus. Was auch immer in der Küche gekocht wurde, es riecht fantastisch.
Ich laufe ums Eck und sehe die beiden Mädels zusammen mit Ivan, wie sie über den Töpfen hängen.
>Kann ich euch helfen? < frage ich.
>Ja du kannst die Marinade für das Hähnchen machen. < erwidert Ruby und stellt mir bereits das Öl und die Gewürze vor die Nase. Über die Ablenkung bin ich ziemlich froh, denn sie hilft, dass ich nicht wieder ins Grübeln verfalle. Wir machen mehr als genug Essen und Max macht sich sogar noch daran, auf die Schnelle einen Nachtisch zuzubereiten. Gegen 21:15 Uhr klopft es an der Tür. Es ist das vereinbarte Klopfzeichen und meine Augen wandern sofort rüber zu den Männern. Nigel fängt meinen Blick auf und läuft zur Tür. Sobald sie geöffnet ist, sehe ich Sam und Lukaz. Mein Blick geht jedoch schnell von ihm weg und ich greife zu den Tellern.
Ich bin mir unsicher wie ich meinem Freund jetzt in die Augen sehen soll. Hinter mir höre ich die kurze Begrüßung und dann auch schon die Schritte hinter mir, die näherkommen.
>Hey Kleines. < sagt Sam und obwohl ich ihn nicht ansehe, beginne ich bei diesem gewohnten Kosenamen leicht zu grinsen. Hier an diesem Ort ist ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um über das Geschehene zu reden und außerdem bin ich froh, dass er unverletzt wieder hier ist. Also drehe ich mich zu ihm um.
>Hey. Wir haben gerade gekocht. Willst du auch etwas, bevor wir fahren? <
>Verdammt gern. <
>Du kannst auch die anderen dazu holen. < ruft Sophia von weiter hinten. >Wir haben mehr als genug gemacht. Das reicht für eine ganze Armee. <
>Ich mache das schon. < erwidert Lukaz und verschwindet durch die Tür.
>Wo ist eigentlich Dimitrij? < will ich wissen.
>Er ist einen anderen Weg zurückgefahren. Er hat noch zu tun. < erklärt Sam.
Nur wenige Momente später kommen die anderen Männer von nebenan dazu. Der Esstisch ist groß genug für uns alle und irgendwie finde ich die Geste schön, mit ihnen allen den Abend ausklingen zu lassen. Immerhin haben sie mir bei etwas wirklich Wichtigem geholfen und sie haben eine Menge riskiert.
Die Männer helfen uns beim Eindecken und holen ein paar Getränke, während Nigel schon dabei ist, alles auf die Teller zu häufen. Immer wieder grinse ich zu ihm herüber. Er hat sich neben Sophia gesetzt und unterhält sich mit verzücktem Gesichtsausdruck mit ihr.
Als wir alle etwas zu Essen auf dem Teller haben und vor jedem ein Glas steht, will ich endlich reinhauen, aber Sam steht mit seinem Getränk auf, worauf alle irritiert zu ihm sehen.
>Ich bin in diesen Dingen wirklich nicht gerade gut. < sagt er. >Aber ihr alle verdient meinen Dank. Zeitweise dachte ich, dass heute alles einbrechen wird und wir die Sache abblasen müssen, weil es Dinge gab, die wir nicht planen konnten. Letzten Endes lief doch noch alles gut und ich danke euch für euren Einsatz. Fox, Asmari und Khalet wurden von euch ziemlich schnell entdeckt und ihr habt sie so schnell es ging professionell ausgeschaltet. Ihr seid wirklich gute Hunter. < daraufhin wendet er sich auf Russisch zu den anderen Männern und wiederholt wahrscheinlich das Ganze.
>Ach, das haben wir gern gemacht. < winkt Nigel lässig ab. >Aber du hast einen wirklich guten Hunter nicht erwähnt. Ohne sie wären wir sicher nie an Madjid gekommen. <
Nigel hebt sein Glas und sieht zu mir.
>Was? Nein, ich …< beginne ich.
>Auf Nayeli. < ruft Ruby los und startet damit eine ganze Reihe an Rufen meines Namens, in die alle einstimmen. Lachend lasse ich mein Gesicht in die Hände fallen und genieße das Ganze für einen kleinen Moment. Als ich wieder hochschaue und für einen Augenblick zu Sam blicke, gehe ich davon aus, dass er so erbost schauen wird wie heute Nachmittag – als ich Madjid umbringen wollte, aber stattdessen nickt er zu mir und grinst ebenfalls.
>Ja da hat er recht. Du hast wahnsinnig gut gehandelt. < gibt Sam zu.
Ein leises „Danke“ ist alles, was ich sagen kann. Danach können wir endlich essen und das ist das Beste des ganzen Tages.
Sam berichtet den anderen, dass er bereits geklärt hat, dass ab morgen die Schlüssel für die beiden Penthäuser unten im Loungebereich abgegeben werden müssen. Für jeden an diesem Tisch bedeutet das nun zwangsläufig die Abreise. Ruby scheint darüber am traurigsten zu sein, denn sie liebt dieses Luxusapartment.
>Ich nehme in Zukunft die bestbezahlten Aufträge an, nur um mir diese Wohnung mal leisten zu können. < ächzt sie theatralisch. >Diese verdammte 1-Zimmer-Wohnung in der ich wohne, kann ich nicht mehr sehen. <
>Ist deine Dusche über dem Klo? < frage ich neckisch.
>Nein, wie kommst du denn darauf? <
Ich lache los und erkläre ihr, was ich damals für eine Bruchbude in Angora behauste und dass das einzige Lebewesen, das sich außer mir dort herein traute, ein Kater namens Garfield war. Schnell weiß Ruby ihre kleine Wohnung besser zu schätzen, aber dennoch muss ich ihr zustimmen, dass dieses Penthouse ein absoluter Hingucker ist.
>Hey Ruby, wenn die Aufträge bei dir nicht so gut laufen, weshalb tun wir uns nicht einfach zusammen? < fragt Ivan sie direkt. >Ich mache das mit Nigel gemeinsam, aber ich hätte nichts gegen eine Frau im Team. Eigentlich fand ich unsere Zusammenarbeit heute ziemlich cool. <
>Echt? Das würdet ihr wollen? < quietscht sie. Nigel sieht zu seinem Bruder und zuckt grinsend mit den Schultern.
>Ich finde Hunter-Teams auch klasse. < wendet Lukaz ein. >Wir haben euch ja damals schon gesagt, dass ihr an der Schule Menschen kennenlernen werdet, mit denen ihr euch vielleicht später einmal zusammentut. Und ich persönlich bin ein Fan davon, wenn man Frauen in der Gruppe hat. Vieles ist leichter, wenn sie den Lockvogel spielen. Ihr habt es ja heute gesehen. <
Während sich die anderen über die Vorteile von Teams unterhalten, lehne ich mich etwas zu Sam rüber und flüstere:
>Ich schätze mal, dass du froh bist, wenn du das nie wieder machen musst. <
>Allerdings. Jedenfalls nicht in einer so großen Stückzahl. < schmunzelt er. Mir ist klar, dass er heute das Gefühl gehabt haben muss, gänzlich die Kontrolle über die Situation verloren zu haben. Das ist für jemanden der immer die Sicht über alles haben will das wohl schrecklichste Szenario.
Nikolaj ist an seinem Laptop und bucht bereits die Rückflüge für sich und die anderen aus Russland. Ihr Job ist erledigt und ich kann gar nicht glauben, dass ich sie alle erst vor zwei Wochen kennengelernt habe und sie mir bei dieser Sache halfen. Ich weiß, dass sie das nicht uneigennützig nur aus reiner Herzensgüte taten, sondern dass horrende Summen an Geld dafür flossen und dass sie außerdem in Sam´s Schuld standen. Er tat damals etwas für sie in Russland und sie taten etwas für ihn in Amerika. So laufen eben Geschäfte. Dennoch bin ich froh darüber, sie kennengelernt zu haben.
Sophia telefoniert währenddessen mit ihrer Nanny und erkundigt sich, ob Nora inzwischen schläft und ob alles in Ordnung war. Ich fühle mich schuldig, weil sie ihre Tochter nicht selbst ins Bett bringen konnte und das meinetwegen. Hoffentlich hat sie bald die ersehnte Zeit mit ihr, auch wenn das bedeutet, dass sie ihr Leben anders strukturieren muss.
Nach dem Essen ist es allmählich Zeit nach Grand Portage zurückzukehren. Der Tag war lang und ich fühle mich noch genauso ausgelaugt wie zu dem Zeitpunkt, als ich im Apartment ankam. Als Ruby draußen auf der Dachterrasse steht und eine Zigarette raucht, gehe ich zu ihr, weil ich einen Moment mit ihr allein sein will.
>Danke, dass du das für mich getan hast. Es hätte ziemlich gefährlich werden können, sich als mich auszugeben. Ich hoffe wirklich, dass wir uns wiedersehen und ich verspreche dir, dass ich dir auch zur Seite stehe, wenn du mal in der Klemme steckst. < versichere ich.
>Das habe ich gern gemacht … wir alle haben das. Mag sein, dass wir in der Schule viel über üble Machenschaften gelernt haben, aber erst jetzt bekommen wir Hunter wirklich mit, wie ungerecht und abscheulich es zugeht. Ich bin froh, dass du jetzt wieder ruhig schlafen kannst und ich drücke dir all meine Daumen für deinen bevorstehenden Prozess. <
>Danke, den Gedanken daran habe ich schon wieder weit weggeschoben. <
>Du packst das schon. Und falls mal etwas sein sollte haben wir ja jetzt unsere Handynummern getauscht. <
Liebend gern möchte ich den Kontakt zu den Huntern beibehalten, auch wenn ich nicht vorhabe, sie noch einmal in meine Angelegenheiten mit hineinzuziehen.
Grinsend nicke ich und umarme Ruby. In diesem Moment kommt Sam zu uns raus und als er uns so Arm in Arm sieht, fragt er:
>Können wir los, Kleines? <
Ich lasse Ruby frei und schüttele dann meinen Kopf in seine Richtung.
>Nein, es sei denn wir nehmen diesen Kaffeevollautomaten aus der Küche mit. < beklage ich theatralisch.
>Du stehst nur auf den Automaten? < johlt Ruby. >Ich will hingegen aus dieser Bude nie wieder ausziehen. <
Sam lacht und erklärt ihr trocken:
>Für knapp 500.000 Dollar kannst du sie kaufen. <
Ruby und ich reißen erschrocken die Augen auf.
>Ist doch ein Schnäppchen. < hüstelt Sophia sarkastisch, die nun ebenfalls ihren Kopf zur Terrassentür herausstreckt. Mein Freund hingegen zieht nur verschmitzt einen Mundwinkel hoch und wendet sich dann wieder an mich.
>Ich finde es ja schön, dass du ganz offensichtlich wieder du selbst bist, aber muss ich jetzt darauf warten, dass du dir eines Tages die gemahlenen Kaffeebohnen direkt durch die Nase ziehst? <
>Keine Sorge, ich hätte den Anstand und würde es nicht vor dir machen. <
Schmunzelnd gehen wir alle zurück ins Wohnzimmer. Dort sind noch die anderen Hunter und auch die fünf Männer, die von Sam engagiert wurden. Vermutlich sehe ich sie nie wieder.
>Spasibo za vashu pomoshch´. (Danke für eure Hilfe.) < sage ich an die Russen gerichtet. Nikolaj kommt freundlich lächelnd näher, um dann einen ziemlich langen Text auf Russisch zu sagen und ich versuche mich wirklich auf deren Inhalt zu konzentrieren.
>Hast du ihn verstanden? < will Lukaz wissen, der hinter mir steht.
>Ehm … nur Unsinn. Das gebe ich lieber nicht wider. <
Sam und Lukaz lachen, aber netterweise übersetzt es mir mein alter Trainer.
>Nikolaj sagte, dass die Männer und er seit vielen Jahren ähnliche Dinge wie heute erledigen und sie kaum noch von etwas erschüttert oder beeindruckt werden. Aber du hast ihnen sehr imponiert und sie werden dich nicht vergessen. Und sie wünschen dir viel Erfolg, bei dem was dir noch bevorsteht. <
Ich grinse und fühle mich geschmeichelt. Das Problem ist, dass ich nicht annähernd das auf Russisch sagen kann, das ich gern würde.
Drum bedanke ich mich in meiner Sprache und lasse Lukaz für mich ein paar Zeilen übersetzen.
Nachdem ich mich von jedem verabschiedet habe, ziehe ich mir meine Jacke an und werfe noch einen freundlichen Blick zu den Russen. Ich drehe mich zur Tür und gehe mit Sophia, Sam und Lukaz in den Flur. Ein letztes Mal betrete ich diesen Fahrstuhl, der uns gleich in das Parkhaus befördert.
Dort blicke ich zu meinem alten Trainer, der mit verschränkten Armen am Spiegel lehnt und mich breit grinsend anschaut. Ehe ich etwas zu ihm sagen kann, schwatzt er lässig:
>Spar dir das lange verabschieden. Wir sehen uns eh am Montag. <
>Montag? Wieso, was ist da? < frage ich verwirrt. Er antworte nicht sofort, sondern schaut kurz zu Sam – was meinen Blick ebenfalls zu ihm lenkt. Mein Freund nickt schmunzelnd und erst dann wendet sich Lukaz wieder an mich.
>Deine Schule geht wieder los. Punkt 8 Uhr im ersten Obergeschoss. Du kennst dich sicher noch aus. <
Ich hole tief Luft, aber es kommt kein Ton von mir heraus. Es war allen klar, dass ich meine Ausbildung gern wieder aufnehmen wollte und dass es irgendwann dazu kommen würde. Dass es allerdings schon in zwei Tagen sein würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich grinse ihn blöde an und beiße auf meine Lippe.
>Cool. < bekomme ich schließlich herausgequietscht.
Es macht „ping“ und die Fahrstuhltüren gehen auf.
>Dann bis Montag. < johlt Lukaz lässig und läuft zu seinem Wagen.
Das ist wirklich toll, dass ich die Möglichkeit habe, diesen Schritt zu beenden. Sam öffnet seinen Wagen per Zentralverriegelung und wir steigen mit Sophia ein.
Dreißig Minuten später verabschieden wir uns von der Stylistin meines Vertrauens, die von Sam noch nach Hause gefahren wurde. Ich bin froh, dass sie heute dabei war, auch wenn einige Dinge mächtig schiefgingen. Auch ihr war es wichtig diese Sache abzuschließen, da sie von Beginn an bei meinem Fall dabei war. Sobald sie den Wagen verlassen hat und die Tür zuwirft, kann ich mich wieder etwas breiter machen und einige Zentimeter von Sam wegrutschen. Er scheint diese bedeutungslose Geste jedoch persönlich zu nehmen.
>Du bist immer noch sauer auf mich. < das war keine Frage von ihm, sondern er sagte es gerade heraus, als wäre es selbstverständlich.
>Nicht direkt. Ehrlich gesagt ist mir immer noch nicht begreiflich, wieso dir das so wichtig war, dass ich Madjid nichts tue. <
>Die Sache ist ziemlich simpel erklärt. Stell dir den geliebtesten Menschen vor, der für dich jemals gelebt hat- Jemanden, der dir alles bedeutet. Und dann stell dir vor, dass du weißt, dass dieser Jemand gerade jetzt gejagt wird und du nicht weißt, wo diese Person steckt. Du kannst alles mithören was passiert, aber du bist nicht in der Lage einzuschreiten. Hast du eine Ahnung, was da in mir vorging? Dieser Kerl und die anderen haben dich zerstört – physisch und psychisch. Glaubst du wirklich ich lasse es zu, dass sie weiterhin deine Gedanken beherrschen? Du hast mit so vielen Dingen noch nicht abgeschlossen. Der Mord von diesem Kerl hilft dir jetzt nicht weiter. < Sein Ton ist dabei eine Mischung aus Besorgnis und Tadel. Ich lasse seine Worte stattdessen auf mich wirken und weiß einfach nicht, was ich darauf sagen soll. Zum Glück redet er einfach weiter. >Aber weißt du, wenn dieses ganze Chaos heute etwas Gutes hatte, dann war es die Erkenntnis, dass ich mir deinetwegen kaum Sorgen machen muss. Nikolaj hatte recht, es ist beeindruckend zu sehen, was in dir steckt. Du hast Madjid zweimal entwaffnet und ihn ziemlich fertig gemacht. <
Ich seufze und grinse leicht.
Im kurzen Schein der immer wieder aufflackernden Laternen sehe ich ihn ebenfalls grienen und lasse mich dann etwas gemütlicher in den Sitz fallen. Nur wenige Minuten vergehen, in denen wir nichts mehr gesagt haben und mein Freund fährt bereits auf den Waldweg, als ich leise etwas einwerfe.
>Angenommen ich würde dich fragen, was du mit ihnen gemacht hast …<
>Dann würde ich dir sagen, verschwende keinen Gedanken mehr an die Sache und genieße deine Freiheit. Vergiss ihn einfach. <
Ich nicke nur, denn diese Antwort habe ich erwartet. Aber kann man jemanden wie Mischa, Phillipe, Raphael und Madjid einfach vergessen?
Schließlich parkt Sam den Pick-up vor der Tür seines Hauses und ich steige aus. Wir beeilen uns, um schnell aus der bibbernden Kälte zum Eingang zu kommen. Die Müdigkeit und die Erschöpfung sorgen dafür, dass wir nicht mehr länger als nötig auf den Beinen sein wollen. Im Haus angekommen, streife ich Schuhe und Jacke von mir und gehe in das Gästezimmer. Seit heute Morgen habe ich permanent Menschen um mich gehabt und kaum einen Augenblick zum Durchatmen nur für mich gehabt.
Daher werfe ich mich für einen Moment auf das Bett und starre zur Decke.
Das, was ich jetzt tun sollte, ist mein Leben tatsächlich zu genießen. Es ist keiner dieser Männer mehr hinter mir her und auch wenn Sam mir meine Rache genommen hat, sollte ich diesen Groll hinunterschlucken, meinen Kopf erheben und meinen weiteren Weg beschreiten.
Für heute beschreite ich allerdings nichts mehr. Nach einigen ruhigen Atemzügen stehe ich wieder auf, ziehe mich aus und hole mir etwas zum Schlafen aus dem Schrank. So angezogen verlasse ich das Zimmer und gehe die Stufen nach oben. Sam steht in seinem Raum und als ich eintrete, hört er schlagartig auf, auf seinem Handy herumzutippen. Er sagt nichts zu mir, sondern er sieht mich an und zieht vorsichtig einen Mundwinkel hoch. Vielleicht ist er sich noch unsicher, ob ich ihm am liebsten an die Gurgel springen will, aber diesen Gefühlen habe ich bereits Luft gemacht, als ich wie eine Furie auf die Fliesen in der Dusche des Penthauses schlug. Erschöpft gehe ich auf ihn zu und warte darauf, dass er mich einfach nur in seine Arme schließt und ich mein Gesicht an seinem Oberkörper vergraben kann. Was ich jetzt brauche, ist Harmonie und kein Streit.
Die vergangene halbe Stunde in der Mall kam mir vor, als wären nur einige Wimpernschläge vergangen. Starr vor Schock sehe ich zu meinen gefalteten Händen in meinem Schoß. Sie sind blutig und tun weh. Immerhin habe ich ziemlich oft auf Madjids Gesicht eingeschlagen – immer und immer wieder, bis ihm nicht nur seine Visage aufplatzte, sondern auch meine Fingerknöchel, die dem Druck nicht standhielten.
>Hier Süße, wisch dir das ab. < sagt Sophia sanft neben mir und hält mir eines dieser Babyfeuchttücher aus ihrer Tasche hin.
>Danke. < hauche ich und versuche mein Blut und das meines Angreifers von mir herunterzubekommen.
Louis fährt gerade erst von dem Parkplatz herunter und ich drehe mich noch einmal nach hinten um. Sam verschwindet in die andere Richtung und kommt sicher erst spät zurück.
Als meine Hände zum größten Teil sauber sind, lehne ich mich seufzend an die Lehne an und lasse meinen Kopf zur Seite sinken, um aus dem Fenster zu sehen.
>Um ehrlich zu sein, dachte ich, dass ich mich gut fühlen würde, wenn ich diesen Kerl endlich los bin. Aber ich bin einfach nur sauer. < erkläre ich niemand bestimmten.
>Sieh es mal so... < erwidert Max neutral. >Du hast mehr Rache bekommen, als du erwartet hast. Sam wollte diesen Kerl eigentlich gar nicht an dich herankommen lassen. Somit konntest du ihn immerhin windelweich prügeln, was du ganz offensichtlich auch getan hast. Sei froh, dass es so kam. Und jetzt hast du immerhin die Gewissheit, dass jeder von diesen Kerlen seine gerechte Strafe bekommen hat. Gerechter als jedes Gericht es geschafft hätte – wenn du mich fragst. <
Ich nicke vorsichtig. Es ist zwar richtig was Max sagte, aber dennoch machte mein Herz einen Freudensprung als ich diesen Kerl vor mir sah, da ich wusste, dass das meine einzige Chance war, um ihn höchstpersönlich loszuwerden.
Die Gelegenheit wurde mir leider genommen. Auf diesen Augenblick habe ich viele Monate gewartet und mir unfassbar oft aufgemalt, wie ich die Sache angehen würde.
Tja … so schnell kann es gehen. Die Blase macht „puff“ und alle Gedanken lösen sich in Luft auf.
Ich sehe aus dem Fenster und beobachte die hinunterfallenden Schneeflocken. Dieser Anblick hat etwas unfassbar Beruhigendes und es sorgt dafür, dass ich in meinen eigenen Gedanken versinke. Heute Morgen am Lake redete ich mir ein, dass vielleicht immer jemand eine schützende Hand über meinem Kopf hielt. War es bei meinem Aufeinandertreffen mit Madjid ebenfalls so? Auch wenn es ziemlich unrealistische Gedanken sind, kann so etwas einen Menschen davon abhalten, vollkommen wahnsinnig zu werden.
Als ich vor zwei Wochen von einem Cop entführt wurde und diesen Menschen umbrachte, kümmerten mich die Ereignisse im Nachhinein kaum und genauso ist es in dem jetzigen Moment. Ich müsste aufgewühlt, den Tränen nahe und vollkommen verängstigt sein. Aber das bin ich nicht.
Ich bin nur sauer auf meinen Freund. Das sind alle Emotionen, die ich im Augenblick habe. Es muss einfach einen Grund für alles geben. Sam tauchte genau dann auf, als ich kurz davor war, meinem Angreifer den letzten Atemzug zu nehmen. Eine Minute später hätte mir niemand mehr dazwischenfunken können.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, werden die Unterhaltungen der anderen im Wagen immer weniger. Im Hintergrund spielt nur etwas Musik. Ich habe in der vergangenen Nacht vor lauter Aufregung kaum ein Auge zu gemacht und nun, da mein Adrenalinpegel absinkt, werde ich unglaublich müde. Daher ist es kein Wunder, dass ich allmählich Schwierigkeiten bekomme, meine Augen noch offenzuhalten und schließlich irgendwann einschlafe.
Später im Parkhaus der Penthäuser
>Hey Süße, wach auf. Wir sind wieder da. < erklingt Sophias Stimme.
>Hä? < gebe ich verschlafen von mir.
>Komm schon. Du willst sicher duschen. An dir und den Klamotten klebt immer noch etwas Blut. <
Ich nicke nur, richte mich etwas vom Sitz auf und strecke meinen Rücken durch. Neben Louis´ Auto parkt auch der Mietwagen der Russen. Dort steigen Nazar, Jegor, Nikolaj, Nigel und Ivan aus.
Als ich die Autotür von Louis zuknalle, kommen die fünf Männer auch schon auf uns zugelaufen. Wie immer verberge ich mein Gesicht und ziehe mir die Kapuze bis über die Augen.
>Hat jemand eine Ahnung, wo die anderen eigentlich hinfahren? < fragt Ivan niemand bestimmten.
>Sam hat mir nichts verraten. < erwidere ich und gehe mit den anderen im Rücken zu dem Fahrstuhl.
>Ich kann einfach nicht fassen, dass das noch gut ausging. < gibt Nigel zu. >Wenn ich ehrlich bin, dann ging mir ganz schön die Muffe. <
>Meine Sorge war einfach nur, dass der Kerl wieder geht. < wende ich ein. Daraufhin feixt Louis und wirft ein:
>Und damit er keinen Zentimeter wegkonnte, jagst du ihm ein Messer in die Hand und pinnst ihn am Boden fest. <
>Das passierte im Eifer des Gefechts. <
So war es wirklich. Ich hatte nicht eine Sekunde lang vorgehabt, ihn mit dem Messer umzubringen, aber ich wollte ihm damit wehtun.
Der Fahrstuhl gibt seinen gewohnten Ton von sich und öffnet die Türen. Die Hunter, gehen schon zu ihrer Tür, aber Nikolaj hält mich an der Schulter fest. In einem gebrochenem Englisch fragt er:
>Kommst du klar, printsessa? <
>Da spasibo. (Ja danke.) <
Daraufhin nickt er und geht mit Nazar und Jegor ins eigene Penthouse. Die restlichen Russen sind mit Sam unterwegs. Wohin auch immer …
Ich bin erleichtert, als wir nach all den Fahrstunden wieder zurück sind. Auch wenn ich beinahe die gesamte Fahrzeit schlief, fühle ich mich immer noch, als hätte man mich durch den Fleischwolf gedreht. Während ich einfach nur das dringende Bedürfnis habe, Madjid von meinem Körper zu waschen, klagen die anderen über ziemlich großen Hunger. Immerhin sind wir seit ewigen Stunden unterwegs gewesen und inzwischen ist es fast 20 Uhr.
Ich hole mir meine privaten Sachen aus Rubys Zimmer, schließe mich dann im Badezimmer ein und stelle die Dusche bereits an, damit es gleich wärmer ist. Währenddessen stehe ich vor dem Spiegel und streife meine Klamotten ab. Als ich so nackt davorstehe, mustere ich mein Gesicht und beginne zu grinsen.
>Das war nicht schlecht. < sage ich mir selbst. Es tat gut als ich die Oberhand über Madjid hatte, auch wenn ich mich im Nachhinein trotzdem nicht besser fühle.
Da das Wasser nun warm genug sein müsste, steige ich in die Dusche hinein und halte meine Hände unter den Strahl. Ich habe zwar das meiste Blut von Madjid abgewischt, aber dennoch begann mein Eigenes immer wieder aus meinen Fingerknöcheln zu sickern. Mein Blick richtet sich zu dem Abfluss und ich sehe dabei zu, wie sich mein Blut mit dem Wasser vermischt. In einem Strudel wird es wie ein Sinnbild meiner Empfindungen einfach weggespült. Egal was ich tue, egal wen ich umbringe und egal wie sehr ich mich selbst für all das Vergangene bestrafe, es wird mir meine Familie niemals zurückbringen. Hat Sam etwa genau das in der Mall gemeint, als er mich von Madjid herunterzog und sagte, „es ist besser so“ wenn ich ihn nicht umbringen würde?
Auch wenn ich diesen Taliban umgebracht hätte, es hätte nichts an meinem Verlust geändert. Außer, dass ich inzwischen zwei Menschen das Leben genommen hätte. Ist es deswegen besser so? Sam ist es über die Jahre egal geworden, wie viele er tötete und noch töten wird. Will er mich vor der steigenden Anzahl bewahren?
Wutentbrannt schlage ich einfach mit der Faust gegen die Fliese und japse auf. Na toll, nun blutet meine Hand schon wieder, aber zum Glück ist die Fliese ganz geblieben.
>Hach Scheiße. < fluche ich und halte meine Hand erneut unter das fließende Wasser. Ich muss nun endlich mit dieser Sache abschließen. Madjid ist weg – genauso wie all die anderen, die auch nur im Entferntesten damit zu tun hatten.
Genau jetzt ist der Zeitpunkt, an dem ich endlich aufatmen sollte, endlich wieder Hoffnung schöpfen muss und endlich wieder klare Gedanken fassen sollte.
Nach der Dusche ziehe ich wieder die legeren Sachen an, mit denen ich heute Morgen herfuhr und trete aus dem Bad heraus. Was auch immer in der Küche gekocht wurde, es riecht fantastisch.
Ich laufe ums Eck und sehe die beiden Mädels zusammen mit Ivan, wie sie über den Töpfen hängen.
>Kann ich euch helfen? < frage ich.
>Ja du kannst die Marinade für das Hähnchen machen. < erwidert Ruby und stellt mir bereits das Öl und die Gewürze vor die Nase. Über die Ablenkung bin ich ziemlich froh, denn sie hilft, dass ich nicht wieder ins Grübeln verfalle. Wir machen mehr als genug Essen und Max macht sich sogar noch daran, auf die Schnelle einen Nachtisch zuzubereiten. Gegen 21:15 Uhr klopft es an der Tür. Es ist das vereinbarte Klopfzeichen und meine Augen wandern sofort rüber zu den Männern. Nigel fängt meinen Blick auf und läuft zur Tür. Sobald sie geöffnet ist, sehe ich Sam und Lukaz. Mein Blick geht jedoch schnell von ihm weg und ich greife zu den Tellern.
Ich bin mir unsicher wie ich meinem Freund jetzt in die Augen sehen soll. Hinter mir höre ich die kurze Begrüßung und dann auch schon die Schritte hinter mir, die näherkommen.
>Hey Kleines. < sagt Sam und obwohl ich ihn nicht ansehe, beginne ich bei diesem gewohnten Kosenamen leicht zu grinsen. Hier an diesem Ort ist ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um über das Geschehene zu reden und außerdem bin ich froh, dass er unverletzt wieder hier ist. Also drehe ich mich zu ihm um.
>Hey. Wir haben gerade gekocht. Willst du auch etwas, bevor wir fahren? <
>Verdammt gern. <
>Du kannst auch die anderen dazu holen. < ruft Sophia von weiter hinten. >Wir haben mehr als genug gemacht. Das reicht für eine ganze Armee. <
>Ich mache das schon. < erwidert Lukaz und verschwindet durch die Tür.
>Wo ist eigentlich Dimitrij? < will ich wissen.
>Er ist einen anderen Weg zurückgefahren. Er hat noch zu tun. < erklärt Sam.
Nur wenige Momente später kommen die anderen Männer von nebenan dazu. Der Esstisch ist groß genug für uns alle und irgendwie finde ich die Geste schön, mit ihnen allen den Abend ausklingen zu lassen. Immerhin haben sie mir bei etwas wirklich Wichtigem geholfen und sie haben eine Menge riskiert.
Die Männer helfen uns beim Eindecken und holen ein paar Getränke, während Nigel schon dabei ist, alles auf die Teller zu häufen. Immer wieder grinse ich zu ihm herüber. Er hat sich neben Sophia gesetzt und unterhält sich mit verzücktem Gesichtsausdruck mit ihr.
Als wir alle etwas zu Essen auf dem Teller haben und vor jedem ein Glas steht, will ich endlich reinhauen, aber Sam steht mit seinem Getränk auf, worauf alle irritiert zu ihm sehen.
>Ich bin in diesen Dingen wirklich nicht gerade gut. < sagt er. >Aber ihr alle verdient meinen Dank. Zeitweise dachte ich, dass heute alles einbrechen wird und wir die Sache abblasen müssen, weil es Dinge gab, die wir nicht planen konnten. Letzten Endes lief doch noch alles gut und ich danke euch für euren Einsatz. Fox, Asmari und Khalet wurden von euch ziemlich schnell entdeckt und ihr habt sie so schnell es ging professionell ausgeschaltet. Ihr seid wirklich gute Hunter. < daraufhin wendet er sich auf Russisch zu den anderen Männern und wiederholt wahrscheinlich das Ganze.
>Ach, das haben wir gern gemacht. < winkt Nigel lässig ab. >Aber du hast einen wirklich guten Hunter nicht erwähnt. Ohne sie wären wir sicher nie an Madjid gekommen. <
Nigel hebt sein Glas und sieht zu mir.
>Was? Nein, ich …< beginne ich.
>Auf Nayeli. < ruft Ruby los und startet damit eine ganze Reihe an Rufen meines Namens, in die alle einstimmen. Lachend lasse ich mein Gesicht in die Hände fallen und genieße das Ganze für einen kleinen Moment. Als ich wieder hochschaue und für einen Augenblick zu Sam blicke, gehe ich davon aus, dass er so erbost schauen wird wie heute Nachmittag – als ich Madjid umbringen wollte, aber stattdessen nickt er zu mir und grinst ebenfalls.
>Ja da hat er recht. Du hast wahnsinnig gut gehandelt. < gibt Sam zu.
Ein leises „Danke“ ist alles, was ich sagen kann. Danach können wir endlich essen und das ist das Beste des ganzen Tages.
Sam berichtet den anderen, dass er bereits geklärt hat, dass ab morgen die Schlüssel für die beiden Penthäuser unten im Loungebereich abgegeben werden müssen. Für jeden an diesem Tisch bedeutet das nun zwangsläufig die Abreise. Ruby scheint darüber am traurigsten zu sein, denn sie liebt dieses Luxusapartment.
>Ich nehme in Zukunft die bestbezahlten Aufträge an, nur um mir diese Wohnung mal leisten zu können. < ächzt sie theatralisch. >Diese verdammte 1-Zimmer-Wohnung in der ich wohne, kann ich nicht mehr sehen. <
>Ist deine Dusche über dem Klo? < frage ich neckisch.
>Nein, wie kommst du denn darauf? <
Ich lache los und erkläre ihr, was ich damals für eine Bruchbude in Angora behauste und dass das einzige Lebewesen, das sich außer mir dort herein traute, ein Kater namens Garfield war. Schnell weiß Ruby ihre kleine Wohnung besser zu schätzen, aber dennoch muss ich ihr zustimmen, dass dieses Penthouse ein absoluter Hingucker ist.
>Hey Ruby, wenn die Aufträge bei dir nicht so gut laufen, weshalb tun wir uns nicht einfach zusammen? < fragt Ivan sie direkt. >Ich mache das mit Nigel gemeinsam, aber ich hätte nichts gegen eine Frau im Team. Eigentlich fand ich unsere Zusammenarbeit heute ziemlich cool. <
>Echt? Das würdet ihr wollen? < quietscht sie. Nigel sieht zu seinem Bruder und zuckt grinsend mit den Schultern.
>Ich finde Hunter-Teams auch klasse. < wendet Lukaz ein. >Wir haben euch ja damals schon gesagt, dass ihr an der Schule Menschen kennenlernen werdet, mit denen ihr euch vielleicht später einmal zusammentut. Und ich persönlich bin ein Fan davon, wenn man Frauen in der Gruppe hat. Vieles ist leichter, wenn sie den Lockvogel spielen. Ihr habt es ja heute gesehen. <
Während sich die anderen über die Vorteile von Teams unterhalten, lehne ich mich etwas zu Sam rüber und flüstere:
>Ich schätze mal, dass du froh bist, wenn du das nie wieder machen musst. <
>Allerdings. Jedenfalls nicht in einer so großen Stückzahl. < schmunzelt er. Mir ist klar, dass er heute das Gefühl gehabt haben muss, gänzlich die Kontrolle über die Situation verloren zu haben. Das ist für jemanden der immer die Sicht über alles haben will das wohl schrecklichste Szenario.
Nikolaj ist an seinem Laptop und bucht bereits die Rückflüge für sich und die anderen aus Russland. Ihr Job ist erledigt und ich kann gar nicht glauben, dass ich sie alle erst vor zwei Wochen kennengelernt habe und sie mir bei dieser Sache halfen. Ich weiß, dass sie das nicht uneigennützig nur aus reiner Herzensgüte taten, sondern dass horrende Summen an Geld dafür flossen und dass sie außerdem in Sam´s Schuld standen. Er tat damals etwas für sie in Russland und sie taten etwas für ihn in Amerika. So laufen eben Geschäfte. Dennoch bin ich froh darüber, sie kennengelernt zu haben.
Sophia telefoniert währenddessen mit ihrer Nanny und erkundigt sich, ob Nora inzwischen schläft und ob alles in Ordnung war. Ich fühle mich schuldig, weil sie ihre Tochter nicht selbst ins Bett bringen konnte und das meinetwegen. Hoffentlich hat sie bald die ersehnte Zeit mit ihr, auch wenn das bedeutet, dass sie ihr Leben anders strukturieren muss.
Nach dem Essen ist es allmählich Zeit nach Grand Portage zurückzukehren. Der Tag war lang und ich fühle mich noch genauso ausgelaugt wie zu dem Zeitpunkt, als ich im Apartment ankam. Als Ruby draußen auf der Dachterrasse steht und eine Zigarette raucht, gehe ich zu ihr, weil ich einen Moment mit ihr allein sein will.
>Danke, dass du das für mich getan hast. Es hätte ziemlich gefährlich werden können, sich als mich auszugeben. Ich hoffe wirklich, dass wir uns wiedersehen und ich verspreche dir, dass ich dir auch zur Seite stehe, wenn du mal in der Klemme steckst. < versichere ich.
>Das habe ich gern gemacht … wir alle haben das. Mag sein, dass wir in der Schule viel über üble Machenschaften gelernt haben, aber erst jetzt bekommen wir Hunter wirklich mit, wie ungerecht und abscheulich es zugeht. Ich bin froh, dass du jetzt wieder ruhig schlafen kannst und ich drücke dir all meine Daumen für deinen bevorstehenden Prozess. <
>Danke, den Gedanken daran habe ich schon wieder weit weggeschoben. <
>Du packst das schon. Und falls mal etwas sein sollte haben wir ja jetzt unsere Handynummern getauscht. <
Liebend gern möchte ich den Kontakt zu den Huntern beibehalten, auch wenn ich nicht vorhabe, sie noch einmal in meine Angelegenheiten mit hineinzuziehen.
Grinsend nicke ich und umarme Ruby. In diesem Moment kommt Sam zu uns raus und als er uns so Arm in Arm sieht, fragt er:
>Können wir los, Kleines? <
Ich lasse Ruby frei und schüttele dann meinen Kopf in seine Richtung.
>Nein, es sei denn wir nehmen diesen Kaffeevollautomaten aus der Küche mit. < beklage ich theatralisch.
>Du stehst nur auf den Automaten? < johlt Ruby. >Ich will hingegen aus dieser Bude nie wieder ausziehen. <
Sam lacht und erklärt ihr trocken:
>Für knapp 500.000 Dollar kannst du sie kaufen. <
Ruby und ich reißen erschrocken die Augen auf.
>Ist doch ein Schnäppchen. < hüstelt Sophia sarkastisch, die nun ebenfalls ihren Kopf zur Terrassentür herausstreckt. Mein Freund hingegen zieht nur verschmitzt einen Mundwinkel hoch und wendet sich dann wieder an mich.
>Ich finde es ja schön, dass du ganz offensichtlich wieder du selbst bist, aber muss ich jetzt darauf warten, dass du dir eines Tages die gemahlenen Kaffeebohnen direkt durch die Nase ziehst? <
>Keine Sorge, ich hätte den Anstand und würde es nicht vor dir machen. <
Schmunzelnd gehen wir alle zurück ins Wohnzimmer. Dort sind noch die anderen Hunter und auch die fünf Männer, die von Sam engagiert wurden. Vermutlich sehe ich sie nie wieder.
>Spasibo za vashu pomoshch´. (Danke für eure Hilfe.) < sage ich an die Russen gerichtet. Nikolaj kommt freundlich lächelnd näher, um dann einen ziemlich langen Text auf Russisch zu sagen und ich versuche mich wirklich auf deren Inhalt zu konzentrieren.
>Hast du ihn verstanden? < will Lukaz wissen, der hinter mir steht.
>Ehm … nur Unsinn. Das gebe ich lieber nicht wider. <
Sam und Lukaz lachen, aber netterweise übersetzt es mir mein alter Trainer.
>Nikolaj sagte, dass die Männer und er seit vielen Jahren ähnliche Dinge wie heute erledigen und sie kaum noch von etwas erschüttert oder beeindruckt werden. Aber du hast ihnen sehr imponiert und sie werden dich nicht vergessen. Und sie wünschen dir viel Erfolg, bei dem was dir noch bevorsteht. <
Ich grinse und fühle mich geschmeichelt. Das Problem ist, dass ich nicht annähernd das auf Russisch sagen kann, das ich gern würde.
Drum bedanke ich mich in meiner Sprache und lasse Lukaz für mich ein paar Zeilen übersetzen.
Nachdem ich mich von jedem verabschiedet habe, ziehe ich mir meine Jacke an und werfe noch einen freundlichen Blick zu den Russen. Ich drehe mich zur Tür und gehe mit Sophia, Sam und Lukaz in den Flur. Ein letztes Mal betrete ich diesen Fahrstuhl, der uns gleich in das Parkhaus befördert.
Dort blicke ich zu meinem alten Trainer, der mit verschränkten Armen am Spiegel lehnt und mich breit grinsend anschaut. Ehe ich etwas zu ihm sagen kann, schwatzt er lässig:
>Spar dir das lange verabschieden. Wir sehen uns eh am Montag. <
>Montag? Wieso, was ist da? < frage ich verwirrt. Er antworte nicht sofort, sondern schaut kurz zu Sam – was meinen Blick ebenfalls zu ihm lenkt. Mein Freund nickt schmunzelnd und erst dann wendet sich Lukaz wieder an mich.
>Deine Schule geht wieder los. Punkt 8 Uhr im ersten Obergeschoss. Du kennst dich sicher noch aus. <
Ich hole tief Luft, aber es kommt kein Ton von mir heraus. Es war allen klar, dass ich meine Ausbildung gern wieder aufnehmen wollte und dass es irgendwann dazu kommen würde. Dass es allerdings schon in zwei Tagen sein würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Ich grinse ihn blöde an und beiße auf meine Lippe.
>Cool. < bekomme ich schließlich herausgequietscht.
Es macht „ping“ und die Fahrstuhltüren gehen auf.
>Dann bis Montag. < johlt Lukaz lässig und läuft zu seinem Wagen.
Das ist wirklich toll, dass ich die Möglichkeit habe, diesen Schritt zu beenden. Sam öffnet seinen Wagen per Zentralverriegelung und wir steigen mit Sophia ein.
Dreißig Minuten später verabschieden wir uns von der Stylistin meines Vertrauens, die von Sam noch nach Hause gefahren wurde. Ich bin froh, dass sie heute dabei war, auch wenn einige Dinge mächtig schiefgingen. Auch ihr war es wichtig diese Sache abzuschließen, da sie von Beginn an bei meinem Fall dabei war. Sobald sie den Wagen verlassen hat und die Tür zuwirft, kann ich mich wieder etwas breiter machen und einige Zentimeter von Sam wegrutschen. Er scheint diese bedeutungslose Geste jedoch persönlich zu nehmen.
>Du bist immer noch sauer auf mich. < das war keine Frage von ihm, sondern er sagte es gerade heraus, als wäre es selbstverständlich.
>Nicht direkt. Ehrlich gesagt ist mir immer noch nicht begreiflich, wieso dir das so wichtig war, dass ich Madjid nichts tue. <
>Die Sache ist ziemlich simpel erklärt. Stell dir den geliebtesten Menschen vor, der für dich jemals gelebt hat- Jemanden, der dir alles bedeutet. Und dann stell dir vor, dass du weißt, dass dieser Jemand gerade jetzt gejagt wird und du nicht weißt, wo diese Person steckt. Du kannst alles mithören was passiert, aber du bist nicht in der Lage einzuschreiten. Hast du eine Ahnung, was da in mir vorging? Dieser Kerl und die anderen haben dich zerstört – physisch und psychisch. Glaubst du wirklich ich lasse es zu, dass sie weiterhin deine Gedanken beherrschen? Du hast mit so vielen Dingen noch nicht abgeschlossen. Der Mord von diesem Kerl hilft dir jetzt nicht weiter. < Sein Ton ist dabei eine Mischung aus Besorgnis und Tadel. Ich lasse seine Worte stattdessen auf mich wirken und weiß einfach nicht, was ich darauf sagen soll. Zum Glück redet er einfach weiter. >Aber weißt du, wenn dieses ganze Chaos heute etwas Gutes hatte, dann war es die Erkenntnis, dass ich mir deinetwegen kaum Sorgen machen muss. Nikolaj hatte recht, es ist beeindruckend zu sehen, was in dir steckt. Du hast Madjid zweimal entwaffnet und ihn ziemlich fertig gemacht. <
Ich seufze und grinse leicht.
Im kurzen Schein der immer wieder aufflackernden Laternen sehe ich ihn ebenfalls grienen und lasse mich dann etwas gemütlicher in den Sitz fallen. Nur wenige Minuten vergehen, in denen wir nichts mehr gesagt haben und mein Freund fährt bereits auf den Waldweg, als ich leise etwas einwerfe.
>Angenommen ich würde dich fragen, was du mit ihnen gemacht hast …<
>Dann würde ich dir sagen, verschwende keinen Gedanken mehr an die Sache und genieße deine Freiheit. Vergiss ihn einfach. <
Ich nicke nur, denn diese Antwort habe ich erwartet. Aber kann man jemanden wie Mischa, Phillipe, Raphael und Madjid einfach vergessen?
Schließlich parkt Sam den Pick-up vor der Tür seines Hauses und ich steige aus. Wir beeilen uns, um schnell aus der bibbernden Kälte zum Eingang zu kommen. Die Müdigkeit und die Erschöpfung sorgen dafür, dass wir nicht mehr länger als nötig auf den Beinen sein wollen. Im Haus angekommen, streife ich Schuhe und Jacke von mir und gehe in das Gästezimmer. Seit heute Morgen habe ich permanent Menschen um mich gehabt und kaum einen Augenblick zum Durchatmen nur für mich gehabt.
Daher werfe ich mich für einen Moment auf das Bett und starre zur Decke.
Das, was ich jetzt tun sollte, ist mein Leben tatsächlich zu genießen. Es ist keiner dieser Männer mehr hinter mir her und auch wenn Sam mir meine Rache genommen hat, sollte ich diesen Groll hinunterschlucken, meinen Kopf erheben und meinen weiteren Weg beschreiten.
Für heute beschreite ich allerdings nichts mehr. Nach einigen ruhigen Atemzügen stehe ich wieder auf, ziehe mich aus und hole mir etwas zum Schlafen aus dem Schrank. So angezogen verlasse ich das Zimmer und gehe die Stufen nach oben. Sam steht in seinem Raum und als ich eintrete, hört er schlagartig auf, auf seinem Handy herumzutippen. Er sagt nichts zu mir, sondern er sieht mich an und zieht vorsichtig einen Mundwinkel hoch. Vielleicht ist er sich noch unsicher, ob ich ihm am liebsten an die Gurgel springen will, aber diesen Gefühlen habe ich bereits Luft gemacht, als ich wie eine Furie auf die Fliesen in der Dusche des Penthauses schlug. Erschöpft gehe ich auf ihn zu und warte darauf, dass er mich einfach nur in seine Arme schließt und ich mein Gesicht an seinem Oberkörper vergraben kann. Was ich jetzt brauche, ist Harmonie und kein Streit.