Fingerabdrücke bleiben
von Lynnix
Kurzbeschreibung
Nayeli genießt ihre letzte Woche als Studentin und lebt mit ihrer indianisch stämmigen Familie in einem alten Haus neben den Klippen des Superior Lakes. Sie kann es kaum erwarten ihren künftigen Job anzutreten, mit dem ihr eine aussichtsreiche Zukunft bevorsteht. Trotz Strapazen empfindet sie ihr Leben als perfekt aber was sie bis zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß ist, dass ihr Vater eine große Last mit sich herumschleppt, dessen Folgen ihr den Boden unter den Füßen wegreißen werden. Die junge Frau lernt jemanden kennen, von dem sie noch nicht weiß, ob er Freund oder Feind ist. Plötzlich ist sie auf fremde Hilfe angewiesen, muss hinter Masken sehen, verstehen wie korrupt das Land ist, in dem sie lebt und auf schmerzhafte Weise Stück für Stück erfahren, wie tief ihr Vater in die Ereignisse verstrickt war. Sie muss Entscheidungen treffen, von denen sie glaubte, so etwas niemals tun zu müssen. Aber wie weit muss sie gehen um Schmerzen und Verlust zu überwinden?
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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24.04.2020
3.834
Kapitel 32 - Der erste Versuch
Am folgenden Morgen bin ich ziemlich nervös, denn heute gehen wir in die Offensive.
Keiner von uns kann sagen, ob das, was wir vorhaben, auf Anhieb klappt oder ob es überhaupt klappen wird. Aber etwas anderes fällt nun mal keinem von uns ein, um Madjid möglichst schnell aus seinem Versteck zu locken.
Ich frühstücke nicht einmal, so schlecht ist mir. Punkt 9:30 Uhr steht Aleksey vor Sam´s Haus. Immer wenn ich ihn sehe, bekomme ich eine Gänsehaut. Er ist so eine düster aussehende Gestalt mit bösem Blick, Glatze, Stiernacken, Tattoos soweit das Auge reicht und noch dazu der dunkelsten Stimmlage, die ich je gehört habe, dass man es kaum glauben kann, dass er so nett ist.
>Hast du alles? < fragt mich Sam. Daraufhin taste ich meine Hosentaschen nach den kleinen Dingen ab und gehe meine Liste im Kopf laut durch.
>Ehm … Handy, Geld, USB-Stick, Laptop, Ladekabel. Ich denke, ich habe alles. <
>Okay. Ich habe vor ein paar Tagen angefangen, ein paar falsche Hinweise von dir im Darkweb zu verteilen. Vielleicht ist er schon darauf gestoßen, dann wissen wir, dass er dich akribisch sucht. <
>Und was hast du verteilt? < will ich wissen, damit ich später besser darauf eingehen kann.
>Er weiß durch deine Verhaftung in Proctor von deinem Pseudonamen. Unter anderem kann er falsche Kreditkartenabrechnungen von Kimberly Grant finden, die ihm zeigen, dass du dich bereits einmal quer durch die Staaten gekämpft hast. Ich habe ein paar Verkehrs- und Ladenkameras gehackt und ein paar Archive abgeändert. Dort habe ich eine Frau mit schwarzen langen Haaren und Basecap eingefügt. Man erkennt kein Gesicht, aber wenn er die Auszüge deines falschen Kontos ansieht und zusätzlich eine Videoaufnahme, auf der “du“ von einer in der Abrechnung aufgeführten Tankstelle kommst, dann wird ihn das hoffentlich anspringen lassen. Bei zwei Bargeldautomaten auf deinem angeblichen Weg habe ich dasselbe gemacht. Dort sind ebenfalls Kameras drin, aber man sieht wieder kein direktes Gesicht. Ich habe nur dezente Indizien verteilt. <
>Hmm … du hast echt an alles gedacht. < sage ich anerkennend. Sam grinst und zieht mich an seinen Körper heran. Ich küsse ihn, ehe ich mich langsam wieder von ihm wegbewege.
>Wie lange soll ich es versuchen? < will ich wissen.
>Keine Ahnung. Wir machen es von der Situation abhängig. Wir bleiben die ganze Zeit in Kontakt. Sobald nur eine Kleinigkeit schiefgeht, dann brechen wir sofort ab. Louis und Ivan sind schon dort und Aleksey bleibt die ganze Zeit hinter dir. <
Ich nicke hektisch. Oh Mann, war das tatsächlich mein Plan, der meiner verrückten Fantasie entsprungen ist? Manchmal glaube ich selbst, dass ich sie nicht mehr alle habe.
>Na schön, Augen zu und durch. < antworte ich und mache einen langen Seufzer.
Sam grinst mich an und hält mir den Autoschlüssel hin, den ich vorsichtig ergreife.
>Ich liebe dich. < hauche ich.
>Ja ich weiß. <
Kopfschüttelnd drehe ich mich von ihm weg, aber er greift noch einmal nach meinem Arm und zieht mich mit meinem Rücken gegen seinen Brustkorb.
>Dich liebe ich mehr. < säuselt er in mein Ohr.
Auf dem Weg zum Auto sehe ich meinen Bodyguard mit heruntergelassener Scheibe hinter dem Lenkrad sitzen.
>Dobroye utro, Aleksey. (Guten Morgen, Aleksey). < sage ich, als ich an ihm vorbeilaufe.
>Privet Printsessa. (Hallo Prinzessin). < er grinst zwar, aber das lässt ihn auch nicht harmloser aussehen. Ich öffne die Garagentüren und den Wagen darin. In ihm sitzend, lasse ich den brutalen Motor des Mustangs ertönen und dieser treibt mir immer wieder einen Schauer durch den Körper. Ich sehe Sam grinsend in der offenen Tür stehen, der ganz sicher genauso nervös ist wie ich, aber er kann es besser verbergen.
Ich verlasse den Wald und hinter mir ist Aleksey in einem gemieteten Chevrolet, der mich keine Sekunde aus den Augen lassen wird. Das ist irgendwie beruhigend.
Sam hat sich nicht gleich den nächstbesten Ort ausgesucht, sondern wollte eine höhere Bevölkerungsdichte. Etwa eine halbe Stunde lang pesen wir über den Freeway und ab und zu muss ich mich daran erinnern, dass Aleksey ja auch noch hinter mir ist und ich wieder langsamer fahren muss, aber dieses Auto verleitet mich zum Schnellfahren. Allerdings will ich ungern von einem Cop angehalten werden, also halte ich mich lieber brav an das Tempolimit.
Schließlich kommen wir an der ausgewählten Adresse an und als ich auf den Parkplatz fahre, sehe ich bereits den Wagen von Louis. Ich parke nicht direkt neben ihm, sondern lasse Platz. Aleksey tut das gleiche und stellt sich etwas weiter von mir weg. Er steigt zuerst aus und läuft langsam in Richtung des Cafés – stets darauf bedacht, seine Umgebung im Blick zu haben. Er nickt mir kurz zu und geht weiter.
Ich steige nun ebenfalls aus und laufe mit einem gewissen Abstand hinter ihm her.
Das Café ist relativ gut besucht zu dieser Zeit und hier scheinen viele zu frühstücken.
Nur wenige Tische sind frei und ich gehe direkt zu einer der Kellnerinnen.
>Hi, ich hatte reserviert auf „Westwood“. < teile ich ihr knapp mit. Sie deutet freundlich auf einen Platz, ganz hinten in einer ruhigen Ecke. Dort wo eine Steckdose und freies WLAN sind – so wie ich es wollte. Die Namen Misra und Grant halte ich vorerst hinter den Berg.
Ich gehe zu dem Zweiertisch und mache es mir bequem. Von hier aus habe ich den gesamten Laden im Blick und mache sofort Aleksey ausfindig, sowie Louis und Ivan, die nur wenige Tische weiter sitzen und sich unauffällig unterhalten.
Seufzend streife ich meine Jacke ab und zücke das Handy aus einer der Taschen. Ich tippe Sam eilig eine Kurznachricht mit „Bin da“.
>Okay … jetzt oder nie. < murmle ich, packe den Laptop auf den Tisch, verkable ihn, setze den Akku ein und klappe ihn auf, um mich einzuloggen. Eine Kellnerin kommt und fragt mich was ich möchte. Das kann lange dauern, wenn wir das hier richtig aufziehen wollen, also bestelle ich einen Kaffee und etwas zu essen, damit ich überhaupt produktiv sein kann. Als sie mit meinem Bestellwunsch verschwindet, stelle ich sämtliche Sicherheitssysteme auf null und baue eine Hintertür in meinen Laptop ein, der ihn bewusst angreifbar macht.
Dann betrete ich einen Chat im Internet statt im Darknet und warte.
In Grand Portage
(geänderte Erzählweise)
Sam´s Mobiltelefon gibt einen kurzen Ton von sich und empfängt von seinem Zweihandy die Nachricht: „Bin da“.
Sehr gut, bisher sind sie zeitlich vollkommen im Rahmen. Er klappt sein MacBook auf und macht sich gleich an die Arbeit. Sein Laptop ist verschlüsselt und die IP-Adresse nicht zurückverfolgbar. Gänzlich anders als das, was Nayeli gerade tut, denn sie ist jetzt angreifbar – das, was sie will. In diesem Moment wird sie absichtlich einen Fehler in ihr Sicherheitssystem programmieren und dabei bewusst Tags im Internet benutzen, damit sie über die Suchfunktionen recht leicht gefunden werden kann, wenn man nur gezielt danach sucht. Seine Kleine hat sich ein Onlineprofil erstellt und ein paar brisante Details mit ihrem falschen Namen „Kimberly Grant“ verwendet, um auf sich aufmerksam zu machen.
Auch wenn er jetzt seine volle Konzentration hierfür braucht, kann er trotzdem nicht damit aufhören an sie zu denken. Immer wenn das passiert, dann muss er unwillkürlich grinsen.
Kurz bevor er nach Russland flog, dachte er anfangs, es wäre lediglich eine kleine Schwärmerei für Nayeli. Denn wenn er einmal ehrlich zu sich selbst ist, dann hatte er in den vergangenen drei Jahren nicht gerade viel Kontakt zu Frauen und er dachte, dass es den meisten Typen bei einer jungen und hübschen Erscheinung wie Nayeli so gehen würde wie ihm.
Aber er wusste schnell, dass sie nicht nur einfach eine Schwärmerei war und genau das bereitete ihm Sorgen. Er liebt jeden Charakterzug an ihr, jede beiläufige Geste und selbst ihren Gang – der mittlerweile unglaublich elegant ist und nicht mehr von einem leichten Hinken begleitet wird.
Die fünf Männer aus Russland hätten ihm für seine dortige Arbeit beinahe jeden Gefallen als Gegenleistung getan und dennoch wollte Sam nur eines. Er wollte von ihnen die Hilfe bekommen, Nayelis Mörder und deren Anhänger bis auf den letzten Mann aus dem Verkehr zu ziehen.
In all den vergangenen Jahren hatte ihm nichts mehr etwas bedeutet, bis sie plötzlich auftauchte. Nayeli ist vielleicht nicht Sam´s erste Liebe, aber sie ist anders als alle die er hatte.
Und sollte das nicht funktionieren, dann weiß er, dass er nicht noch einmal eine Frau in sein Leben lassen wird. Daher kann er voller Entschlossenheit sagen: Sie ist und bleibt seine letzte Liebe.
Zwei Stunden vergehen und es passiert einfach nichts. Sam hat regelmäßigen Kontakt zu all den anwesenden Personen, die in dem Café zu Nayelis Schutz da sind. Nichts deutet darauf hin, dass jemand sie sucht – weder in der virtuellen Welt, noch in der Realen.
Das ist leider sein Berufsalltag. Es kann frustrierend sein, wenn sich ein Plan hinzieht. Es gibt hundert Dinge, die dagegen sprechen, dass Madjid überhaupt auf diese Taktik anspringt und dennoch müssen sie es versuchen. Dieser „Taliban“ wie Nayeli ihn nennt, hat sich ebenso verkrochen wie der Pathologe, der den falschen Bericht verfasst hat. Wahrscheinlich hat er seinen Namen geändert und sich irgendwo mit seinem dreckig verdienten Geld abgesetzt.
Ungeduldig tippt er mit zwei Fingern auf seiner Tischplatte herum und überlegt, welche Fährten er noch legen könnte, ohne dass es schon wieder zu auffällig wird. Madjid soll denken, nur er allein wäre durch seine gute Recherche auf sein Opfer gestoßen.
Sam macht eine kurze Pause und läuft in die Küche, um sich noch einen Kaffee in die Tasse zu gießen. Sein Handy klingelt plötzlich und er greift zu seiner Hosentasche. Das, was er in der Hand hält, ertönt allerdings nicht, also nimmt er eines aus der anderen Tasche. Das ist es wiederum auch nicht und allmählich wird Sam wahnsinnig bei all den Telefonen, die er besitzt.
Als er endlich das Richtige hat, erkennt er die Telefonnummer sofort.
>Veronica. < meldet er sich freundlich.
>Hallo Sam. Es freut mich, dass ich Sie gleich am Hörer habe. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass das Eröffnungsplädoyer von mir steht. Die vollständigen Beweismittel werden zur Prüfung vorgelegt und mit der Liste abgestimmt. Sagen Sie Doktor Parker bitte Bescheid, dass er die Kiste herausgibt. Ich sorge dann dafür, dass alles sicher in der Asservatenkammer landet. <
>Danke, das hört sich gut an – ich telefoniere gleich mit ihm. <
>Sehr schön. Allerdings gibt es da auch noch etwas anderes. Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie die Bodycam nicht einreichen wollen? Sie wäre vielleicht ausschlaggebend und es kann sein, dass sie nicht mehr als Beweismittel in Betracht gezogen wird, wenn der Prozess mitten im Gange ist. Das wäre mehr als schade. <
Sam seufzt. Er weiß, dass sie recht hat, denn dort ist ein wasserdichtes Geständnis aufgezeichnet. Als er die Aufnahme selbst zum ersten Mal sah, war er vollkommen begeistert, da er diesen Mitschnitt als seinen Joker ansah. Allerdings will er ihn genau als solches behalten – als sein Ass im Ärmel und als letzten Ausweg. Seine innere Stimme sagte in den letzten Tagen immer wieder, dass er das verdammte Ding einfach freigeben soll, aber er kann es nicht. Reicht er die Bodycam ein, bedeutet das gleichzeitig, dass er Nayelis Tarnung auffliegen lassen muss und das geht aktuell noch nicht. Diese Gerichtsverhandlung muss so lange wie möglich sauber ablaufen. Er hat einfach schon zu viele Dinge erlebt und zu oft von Verhandlungen gehört, die trotz ausschlaggebender Beweise das reinste Massaker waren. Nein, er kann es nicht riskieren, dass sie seine Kleine wegen eines Formfehlers hinter Gittern bringen.
>Das Risiko müssen wir eben eingehen. Wir reichen die Aufnahme nach, falls nötig. <
>Sie kann im Nachhinein abgelehnt werden. < wiederholt sie, um Sam den Ernst der Lage begreiflich zu machen, doch er versteht sehr gut. Dennoch muss man manchmal den Weg des geringeren Übels einschlagen.
>Das sagten Sie bereits. <
Dieses Mal ist es Veronica, die seufzt. Dieser Fall ist jetzt schon nervenaufreibend für die Anwältin und sie hat keinen Zweifel daran, dass es noch schlimmer wird.
>Na schön, ich habe Sie gewarnt. Was ich Ihnen jedenfalls auch noch mitteilen wollte, war, dass ich die überarbeitete Zeugenliste herausgeschickt habe. Das Gericht wird die Zeugen bald möglich anschreiben und ihnen einen Termin mitteilen, sobald es einen gibt. Die Sache ist nur die ... < setzt sie vorsichtig an. >Die Täter, die wir gern anprangern möchten, sind ein anderes Kaliber, als meine sonstigen Gegner. Wir beide wissen wie es in dieser Mafiawelt zugeht und oft sind wirklich aussagekräftige Zeugen plötzlich vor der Hauptverhandlung “verschwunden“. Daher mache ich mir etwas Sorgen, falls der Prozessbeginn zu lange dauert. <
Es stimmt. Potenzielle Zeugen wurden schon oft umgelegt, ganz besonders dann, wenn es um Kartellbosse geht. Manchmal packen sogar Kartellinsider aus, aber sie haben keine lange Lebenserwartung, sobald sie geredet haben. Zivilisten sind daher ein noch leichteres Ziel und das kann Sam nicht riskieren. Mischa de Angelis und Archer haben bewiesen wie leicht es ist, das Ruder herumzureißen. Dennoch hat der Profikiller genug Leute, die nun für ihn arbeiten. Bounty Hunter jagen nicht nur Flüchtige, sondern sie werden auch engagiert, um Zeugen bis zur Gerichtsverhandlung zu schützen und er wird Nayelis Hunter wohl länger behalten, als er dachte.
>In Ordnung. Sobald wir den Termin haben und wissen, wer bereit ist auszusagen, kümmere ich mich darum, dass die Zeugen sich gefahrlos bewegen können. < sichert er der Anwältin zu.
>Gut, das wollte ich hören. < atmet sie erleichtert auf. >Im Übrigen wäre es nicht schlecht, wenn ich mich mit einem anderen Kollegen beratschlagen könnte. Vor Gericht stehen Miss Misra bis zu drei Anwälte zu. Ich wüste jemanden, der mich in diesem Fall unterstützen könnte und …<
>Nein. < unterbricht Sam. >Keine weiteren Anwälte. Ich traue Ihnen das zu und sonst keinem anderen. <
Er hört sie im Hintergrund vor sich hin grummeln und so etwas wie „war ja klar“ nörgeln. Mit diesem Mandanten hat Veronica Ambers eindeutig eine harte Nuss zu knacken, aber das war ihr bereits bewusst, als sie die dicke Akte auf ihrem Schreibtisch zu liegen hatte. Nachdem das Wichtige geklärt ist, verabschieden sich die beiden und Sam legt auf, um mit seinem Kaffee zurück zu seinem Laptop zu gehen.
Er schaut nach, ob seine Insider eventuell etwas über Madjid gefunden haben und macht weiter mit dem Vorsatz, sich nicht deprimieren zu lassen, falls sie heute nicht weiterkommen.
Jedoch schaut er immer und immer wieder auf sein Handy, für den Fall das Nayeli ihm schreibt. Er hat den Ton auf der höchsten Stufe der Lautstärke, dass es ihm unmöglich entgehen könnte, wenn etwas eingeht. Während er auf irgendein Zeichen wartet, wählt er die Nummer des Pathologen Doktor Lennart Parker und setzt ihn darüber in Kenntnis, dass die Kiste mit den Beweismitteln bis zu ihrem nächsten Aufeinandertreffen vollständig sein muss – dieses Mal mit zwei wichtigen Belegen mehr. Zum Ersten Nayelis jüngster Blutprobe – die Sam vor knapp zwei Wochen abgab, als seine Kleine wieder hier einzog. Und zum Zweiten, einen ärztlichen Bericht darüber, dass diese Probe identisch mit dem Blut ist, das auf der bleiernen Munition gefunden wurde, die in ihrem Schulterblatt feststeckte.
Stunden später
Sam tippt eine kurze Nachricht an sein anderes Handy, das mittlerweile Nayeli hat.
„Komm nach Hause. Schluss für heute.“
Genervt lässt er sein Mobiltelefon in seine Hosentasche zurückgleiten. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, dann hat er nicht erwartet, dass es beim ersten Mal klappt. Dennoch hat er den enttäuschten Gesichtsausdruck von seiner Kleinen vor dem inneren Auge. Andererseits kann er somit den schweren Stein in seinem Magen noch eine Weile ignorieren. Keine Spur von Madjid zu haben, bedeutet genaugenommen auch Sicherheit für Nayeli. Noch mehr Sicherheit gäbe es natürlich, wenn sie ihn fassen würden, aber der Weg dorthin wird nicht leicht. Sam will nicht, dass sie sich in Gefahr bringt, aber was erwartet er eigentlich? Immerhin wird sie nach einem kleinen Umweg letztendlich doch noch ein Bounty Hunter und andauernd in Gefahr sein. Dennoch ist ihm Madjid ein Dorn im Auge.
Sein Handy ertönt und er zieht es wieder aus seiner Tasche heraus. Nayeli hat ihm geantwortet.
„Mein System hat vor zwei Minuten Alarm geschlagen. Wir warten noch einen Moment bis ich weiß, wer es ist.“
Das bringt Sam in Alarmbereitschaft. Er kann in diesen Kurznachrichten nicht ins Detail gehen. Anrufen kann er sie auch nicht, denn sie sitzt in einem öffentlichen Café. Das muss er jetzt aussitzen.
Er tippt bereits an seinem Laptop herum, um in ein Portal zu gelangen. Sekunden vergehen, in denen die Seite geladen wird. Nach erfolgreichem Einloggen sucht er sich Nayeli heraus und klickt auf den Namen „Kimberlit“ – das war Nigels Idee. Ein knallharter, schwarzer Stein, in denen sich die natürlichen Diamanten bilden. Und Nayeli ist knallhart.
Ein Chatfenster öffnet sich, aber er wartet noch einen Augenblick. Vielleicht ist es nichts. Nur weil das Hackersystem Alarm schlägt, muss es noch lange nicht das sein, was sie sich erhoffen.
Er klickt auf ihr Profil, auf dem es nur eine kurze Beschreibung von ihr gibt. Kimberly Grant, 22 Jahre alt aus Duluth Minnesota, Abschluss an der UMD 2018 und sämtliche Hashtags, die Madjid exakt zu dieser Seite führen könnten und zu diesem Profil.
Das Bild, das sie online gestellt hat, sagt praktisch nichts aus und dennoch – falls man nach ihr sucht, so viel. Sie sitzt an einem leeren Tresen auf einem Barhocker und hat die Beine übereinandergeschlagen, die sie auf dem Bild seitlich gedreht hat. Ihre Haare sind offen und sie hält den Rücken zur Kamera gerichtet.
Sam gefällt dieses Bild wahnsinnig gut und wenn er nicht wüsste, wem dieses Gesicht dazu gehört, würde er sich im realen Leben wohl wirklich fragen, wer diese geheimnisvolle Fremde ist. Ihre langen Haare fallen verführerisch über ihren Rücken und diese Aufnahme, die in dem Penthouse entstanden ist, wirkt irgendwie sinnlich.
Sam steigt die Galle auf, wenn er bedenkt, dass Madjid sie so sehen könnte. Immerhin wollte er sie mit sich nehmen, wäre Nayeli ihm nicht entkommen.
Vielleicht hätte er sie ein einziges Mal vergewaltigt und sie dann umgebracht oder womöglich hätte er sie immer wieder vergewaltigt und sie behalten, wie ein Schoßhündchen. Er knurrt bei diesem Gedanken und schüttelt den Kopf, als könnte er damit diese verdammten Dinge vertreiben.
Plötzlich steht ein Text in dem geöffneten Chatfenster mit der Information, dass der User Kimberlit den Chat verlassen hat. Sam seufzt und schürzt die Lippen. Nur Sekunden später klingelt sein Handy. Es ist Nayeli, die ihm sagt, dass es falscher Alarm war und sie in 30 Minuten wieder bei ihm ist.
Genervt wirft er sein Telefon auf den Tisch, loggt sich aus und überlegt, ob es noch zu früh ist um zu trinken, beschließt dann allerdings, sich ein Bier zu öffnen und auf seine Kleine zu warten.
Als ihm seine Geräte signalisieren, dass jemand im Umkreis seines Hauses ist, steht Sam vom Sofa auf. Auf dem Weg zur Tür checkt er, was die Kameras eingefangen haben und stellt den Alarm aus, als Nayeli dicht gefolgt von Aleksey das Auto abstellt. Sam lehnt an der offenen Tür und sieht ihren missmutigen Blick als sie aussteigt.
>Das war nichts. Ein 13-Jähriger wollte Gangster spielen und versuchte in mein System zu kommen, aber ich glaube, ich habe ihm Angst eingejagt als ich den Spieß umdrehte. < berichtet sie ihm, als sie näherkommt. Ihr Freund hingegen schürzt die Lippen und zuckt mit den Achseln.
>Manchmal läuft nicht alles nach Plan. <
Er schließt sie in seine Arme und küsst ihre Stirn. Auch Aleksey steigt aus und redet auf Russisch mit Sam. Nayeli geht bereits ins Haus hinein, da es ihr hier draußen eindeutig zu kalt ist. Sie streift sich ihre Schuhe ab, hängt die Jacke und den Schal auf und geht auf direktem Weg ins Gästezimmer. Da sie hier drin ohnehin nicht schläft, legt sie den Laptop und separat den Akku auf das Bett.
>Verdammte Scheiße. < motzt sie leise und lässt sich auf die Matratze fallen. Den halben Tag hat sie nun in diesem Café gesessen und fünf Kaffee getrunken. Wahrscheinlich kann sie deswegen die kommende Nacht kein Auge zu kriegen.
Sie hört Sam und Aleksey miteinander reden. Entweder sie besprechen wie es nun weitergeht oder ihr Freund will lediglich einen Lagebericht von seinem Mittelsmann bekommen. Die anderen seiner Männer, sowie die restlichen Hunter waren heute nicht untätig. Sie suchten ebenfalls nach Madjid, aber niemand hat sich bei Sam oder ihr gemeldet. Also ist auch dort Flaute.
Wo steckt dieser Mistkerl nur?
Nayeli hört wie die Tür zu geht und dann die näherkommenden Schritte in Richtung des Gästezimmers. Sie starrt die Decke an, aber spürt Sam´s Anwesenheit. Er schiebt den Laptop etwas zur Seite und legt sich dann bäuchlings neben sie. Mit aufgestützten Unterarmen sieht er zu seiner Kleinen und streicht ihr eine Haarsträhne beiseite.
>Habe ich vielleicht etwas falsch gemacht? < fragt sie niedergeschlagen.
>Das bezweifle ich. Diese Frustration wird dein Berufsalltag werden. Du kannst nicht sofort denjenigen erwischen, den du suchst. Wir versuchen es morgen wieder. Und darauf wieder. Morgen begleiten dich Nikolaj, Ruby und Nigel. Die anderen meiner Männer werden die Nacht das Darknet durchforsten. <
>Okay Boss. < säuselt sie grinsend und richtet ihren Blick nicht mehr zur Zimmerdecke, sondern auf Sam.
>Boss. < wiederholt er lachend. >Das gefällt mir. <
>Sam Wilson, der Killer mit Angestellten. <
Grinsend kommt er ihrem Gesicht näher.
>Nur vorübergehend. Nach diesem Auftrag bin ich mit den Russen quitt. <
>Schade eigentlich. < erwidert Nayeli. >Aleksey macht mir zwar etwas Angst und wenn er grinst, dann sieht es irgendwie so aus, als würde mich ein Hai anlächeln, aber im Grunde mag ich sie alle. <
Daraufhin lacht Sam erneut, denn damit hat sie nicht ganz Unrecht. Er hat allerdings niemanden in diesem Team, um einen optischen Gruppendurchschnitt anzuheben, sondern weil sie alle eiskalt sind, so wie er selbst.
>Und ich mag deine kleine Mischung aus Huntern. < gibt er zu.
>Wahrscheinlich hast du sie vorher alle gründlich durchleuchtet. <
>Nein. In der Hinsicht habe ich mich auf Lukaz verlassen. Er kannte die Akten von ihnen und hat über viele Wochen hinweg gesehen wie sie ticken. Noch mehr habe ich allerdings dir vertraut. Du hast eine gute Menschenkenntnis. <
Nayeli grinst vorsichtig.
Hat Sam ihr schon jemals gesagt, dass er ihr vertraut? Sie kennt nur den Sam von damals, der sich nur auf sich selbst verließ.
Sie dreht sich auf die Seite, legt ihren Arm um ihn und muss keinerlei Kraft ausüben, denn er kommt bereits von allein zu ihr und küsst sie.
In diesen Momenten vergisst Nayeli, dass ein blutrünstiges Clanmitglied hinter ihr her ist und genießt es, dass sie dieser Nähe ausgehändigt ist. Wie lange dieses kleine Glück auch immer anhalten mag.
Am folgenden Morgen bin ich ziemlich nervös, denn heute gehen wir in die Offensive.
Keiner von uns kann sagen, ob das, was wir vorhaben, auf Anhieb klappt oder ob es überhaupt klappen wird. Aber etwas anderes fällt nun mal keinem von uns ein, um Madjid möglichst schnell aus seinem Versteck zu locken.
Ich frühstücke nicht einmal, so schlecht ist mir. Punkt 9:30 Uhr steht Aleksey vor Sam´s Haus. Immer wenn ich ihn sehe, bekomme ich eine Gänsehaut. Er ist so eine düster aussehende Gestalt mit bösem Blick, Glatze, Stiernacken, Tattoos soweit das Auge reicht und noch dazu der dunkelsten Stimmlage, die ich je gehört habe, dass man es kaum glauben kann, dass er so nett ist.
>Hast du alles? < fragt mich Sam. Daraufhin taste ich meine Hosentaschen nach den kleinen Dingen ab und gehe meine Liste im Kopf laut durch.
>Ehm … Handy, Geld, USB-Stick, Laptop, Ladekabel. Ich denke, ich habe alles. <
>Okay. Ich habe vor ein paar Tagen angefangen, ein paar falsche Hinweise von dir im Darkweb zu verteilen. Vielleicht ist er schon darauf gestoßen, dann wissen wir, dass er dich akribisch sucht. <
>Und was hast du verteilt? < will ich wissen, damit ich später besser darauf eingehen kann.
>Er weiß durch deine Verhaftung in Proctor von deinem Pseudonamen. Unter anderem kann er falsche Kreditkartenabrechnungen von Kimberly Grant finden, die ihm zeigen, dass du dich bereits einmal quer durch die Staaten gekämpft hast. Ich habe ein paar Verkehrs- und Ladenkameras gehackt und ein paar Archive abgeändert. Dort habe ich eine Frau mit schwarzen langen Haaren und Basecap eingefügt. Man erkennt kein Gesicht, aber wenn er die Auszüge deines falschen Kontos ansieht und zusätzlich eine Videoaufnahme, auf der “du“ von einer in der Abrechnung aufgeführten Tankstelle kommst, dann wird ihn das hoffentlich anspringen lassen. Bei zwei Bargeldautomaten auf deinem angeblichen Weg habe ich dasselbe gemacht. Dort sind ebenfalls Kameras drin, aber man sieht wieder kein direktes Gesicht. Ich habe nur dezente Indizien verteilt. <
>Hmm … du hast echt an alles gedacht. < sage ich anerkennend. Sam grinst und zieht mich an seinen Körper heran. Ich küsse ihn, ehe ich mich langsam wieder von ihm wegbewege.
>Wie lange soll ich es versuchen? < will ich wissen.
>Keine Ahnung. Wir machen es von der Situation abhängig. Wir bleiben die ganze Zeit in Kontakt. Sobald nur eine Kleinigkeit schiefgeht, dann brechen wir sofort ab. Louis und Ivan sind schon dort und Aleksey bleibt die ganze Zeit hinter dir. <
Ich nicke hektisch. Oh Mann, war das tatsächlich mein Plan, der meiner verrückten Fantasie entsprungen ist? Manchmal glaube ich selbst, dass ich sie nicht mehr alle habe.
>Na schön, Augen zu und durch. < antworte ich und mache einen langen Seufzer.
Sam grinst mich an und hält mir den Autoschlüssel hin, den ich vorsichtig ergreife.
>Ich liebe dich. < hauche ich.
>Ja ich weiß. <
Kopfschüttelnd drehe ich mich von ihm weg, aber er greift noch einmal nach meinem Arm und zieht mich mit meinem Rücken gegen seinen Brustkorb.
>Dich liebe ich mehr. < säuselt er in mein Ohr.
Auf dem Weg zum Auto sehe ich meinen Bodyguard mit heruntergelassener Scheibe hinter dem Lenkrad sitzen.
>Dobroye utro, Aleksey. (Guten Morgen, Aleksey). < sage ich, als ich an ihm vorbeilaufe.
>Privet Printsessa. (Hallo Prinzessin). < er grinst zwar, aber das lässt ihn auch nicht harmloser aussehen. Ich öffne die Garagentüren und den Wagen darin. In ihm sitzend, lasse ich den brutalen Motor des Mustangs ertönen und dieser treibt mir immer wieder einen Schauer durch den Körper. Ich sehe Sam grinsend in der offenen Tür stehen, der ganz sicher genauso nervös ist wie ich, aber er kann es besser verbergen.
Ich verlasse den Wald und hinter mir ist Aleksey in einem gemieteten Chevrolet, der mich keine Sekunde aus den Augen lassen wird. Das ist irgendwie beruhigend.
Sam hat sich nicht gleich den nächstbesten Ort ausgesucht, sondern wollte eine höhere Bevölkerungsdichte. Etwa eine halbe Stunde lang pesen wir über den Freeway und ab und zu muss ich mich daran erinnern, dass Aleksey ja auch noch hinter mir ist und ich wieder langsamer fahren muss, aber dieses Auto verleitet mich zum Schnellfahren. Allerdings will ich ungern von einem Cop angehalten werden, also halte ich mich lieber brav an das Tempolimit.
Schließlich kommen wir an der ausgewählten Adresse an und als ich auf den Parkplatz fahre, sehe ich bereits den Wagen von Louis. Ich parke nicht direkt neben ihm, sondern lasse Platz. Aleksey tut das gleiche und stellt sich etwas weiter von mir weg. Er steigt zuerst aus und läuft langsam in Richtung des Cafés – stets darauf bedacht, seine Umgebung im Blick zu haben. Er nickt mir kurz zu und geht weiter.
Ich steige nun ebenfalls aus und laufe mit einem gewissen Abstand hinter ihm her.
Das Café ist relativ gut besucht zu dieser Zeit und hier scheinen viele zu frühstücken.
Nur wenige Tische sind frei und ich gehe direkt zu einer der Kellnerinnen.
>Hi, ich hatte reserviert auf „Westwood“. < teile ich ihr knapp mit. Sie deutet freundlich auf einen Platz, ganz hinten in einer ruhigen Ecke. Dort wo eine Steckdose und freies WLAN sind – so wie ich es wollte. Die Namen Misra und Grant halte ich vorerst hinter den Berg.
Ich gehe zu dem Zweiertisch und mache es mir bequem. Von hier aus habe ich den gesamten Laden im Blick und mache sofort Aleksey ausfindig, sowie Louis und Ivan, die nur wenige Tische weiter sitzen und sich unauffällig unterhalten.
Seufzend streife ich meine Jacke ab und zücke das Handy aus einer der Taschen. Ich tippe Sam eilig eine Kurznachricht mit „Bin da“.
>Okay … jetzt oder nie. < murmle ich, packe den Laptop auf den Tisch, verkable ihn, setze den Akku ein und klappe ihn auf, um mich einzuloggen. Eine Kellnerin kommt und fragt mich was ich möchte. Das kann lange dauern, wenn wir das hier richtig aufziehen wollen, also bestelle ich einen Kaffee und etwas zu essen, damit ich überhaupt produktiv sein kann. Als sie mit meinem Bestellwunsch verschwindet, stelle ich sämtliche Sicherheitssysteme auf null und baue eine Hintertür in meinen Laptop ein, der ihn bewusst angreifbar macht.
Dann betrete ich einen Chat im Internet statt im Darknet und warte.
In Grand Portage
(geänderte Erzählweise)
Sam´s Mobiltelefon gibt einen kurzen Ton von sich und empfängt von seinem Zweihandy die Nachricht: „Bin da“.
Sehr gut, bisher sind sie zeitlich vollkommen im Rahmen. Er klappt sein MacBook auf und macht sich gleich an die Arbeit. Sein Laptop ist verschlüsselt und die IP-Adresse nicht zurückverfolgbar. Gänzlich anders als das, was Nayeli gerade tut, denn sie ist jetzt angreifbar – das, was sie will. In diesem Moment wird sie absichtlich einen Fehler in ihr Sicherheitssystem programmieren und dabei bewusst Tags im Internet benutzen, damit sie über die Suchfunktionen recht leicht gefunden werden kann, wenn man nur gezielt danach sucht. Seine Kleine hat sich ein Onlineprofil erstellt und ein paar brisante Details mit ihrem falschen Namen „Kimberly Grant“ verwendet, um auf sich aufmerksam zu machen.
Auch wenn er jetzt seine volle Konzentration hierfür braucht, kann er trotzdem nicht damit aufhören an sie zu denken. Immer wenn das passiert, dann muss er unwillkürlich grinsen.
Kurz bevor er nach Russland flog, dachte er anfangs, es wäre lediglich eine kleine Schwärmerei für Nayeli. Denn wenn er einmal ehrlich zu sich selbst ist, dann hatte er in den vergangenen drei Jahren nicht gerade viel Kontakt zu Frauen und er dachte, dass es den meisten Typen bei einer jungen und hübschen Erscheinung wie Nayeli so gehen würde wie ihm.
Aber er wusste schnell, dass sie nicht nur einfach eine Schwärmerei war und genau das bereitete ihm Sorgen. Er liebt jeden Charakterzug an ihr, jede beiläufige Geste und selbst ihren Gang – der mittlerweile unglaublich elegant ist und nicht mehr von einem leichten Hinken begleitet wird.
Die fünf Männer aus Russland hätten ihm für seine dortige Arbeit beinahe jeden Gefallen als Gegenleistung getan und dennoch wollte Sam nur eines. Er wollte von ihnen die Hilfe bekommen, Nayelis Mörder und deren Anhänger bis auf den letzten Mann aus dem Verkehr zu ziehen.
In all den vergangenen Jahren hatte ihm nichts mehr etwas bedeutet, bis sie plötzlich auftauchte. Nayeli ist vielleicht nicht Sam´s erste Liebe, aber sie ist anders als alle die er hatte.
Und sollte das nicht funktionieren, dann weiß er, dass er nicht noch einmal eine Frau in sein Leben lassen wird. Daher kann er voller Entschlossenheit sagen: Sie ist und bleibt seine letzte Liebe.
Zwei Stunden vergehen und es passiert einfach nichts. Sam hat regelmäßigen Kontakt zu all den anwesenden Personen, die in dem Café zu Nayelis Schutz da sind. Nichts deutet darauf hin, dass jemand sie sucht – weder in der virtuellen Welt, noch in der Realen.
Das ist leider sein Berufsalltag. Es kann frustrierend sein, wenn sich ein Plan hinzieht. Es gibt hundert Dinge, die dagegen sprechen, dass Madjid überhaupt auf diese Taktik anspringt und dennoch müssen sie es versuchen. Dieser „Taliban“ wie Nayeli ihn nennt, hat sich ebenso verkrochen wie der Pathologe, der den falschen Bericht verfasst hat. Wahrscheinlich hat er seinen Namen geändert und sich irgendwo mit seinem dreckig verdienten Geld abgesetzt.
Ungeduldig tippt er mit zwei Fingern auf seiner Tischplatte herum und überlegt, welche Fährten er noch legen könnte, ohne dass es schon wieder zu auffällig wird. Madjid soll denken, nur er allein wäre durch seine gute Recherche auf sein Opfer gestoßen.
Sam macht eine kurze Pause und läuft in die Küche, um sich noch einen Kaffee in die Tasse zu gießen. Sein Handy klingelt plötzlich und er greift zu seiner Hosentasche. Das, was er in der Hand hält, ertönt allerdings nicht, also nimmt er eines aus der anderen Tasche. Das ist es wiederum auch nicht und allmählich wird Sam wahnsinnig bei all den Telefonen, die er besitzt.
Als er endlich das Richtige hat, erkennt er die Telefonnummer sofort.
>Veronica. < meldet er sich freundlich.
>Hallo Sam. Es freut mich, dass ich Sie gleich am Hörer habe. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass das Eröffnungsplädoyer von mir steht. Die vollständigen Beweismittel werden zur Prüfung vorgelegt und mit der Liste abgestimmt. Sagen Sie Doktor Parker bitte Bescheid, dass er die Kiste herausgibt. Ich sorge dann dafür, dass alles sicher in der Asservatenkammer landet. <
>Danke, das hört sich gut an – ich telefoniere gleich mit ihm. <
>Sehr schön. Allerdings gibt es da auch noch etwas anderes. Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie die Bodycam nicht einreichen wollen? Sie wäre vielleicht ausschlaggebend und es kann sein, dass sie nicht mehr als Beweismittel in Betracht gezogen wird, wenn der Prozess mitten im Gange ist. Das wäre mehr als schade. <
Sam seufzt. Er weiß, dass sie recht hat, denn dort ist ein wasserdichtes Geständnis aufgezeichnet. Als er die Aufnahme selbst zum ersten Mal sah, war er vollkommen begeistert, da er diesen Mitschnitt als seinen Joker ansah. Allerdings will er ihn genau als solches behalten – als sein Ass im Ärmel und als letzten Ausweg. Seine innere Stimme sagte in den letzten Tagen immer wieder, dass er das verdammte Ding einfach freigeben soll, aber er kann es nicht. Reicht er die Bodycam ein, bedeutet das gleichzeitig, dass er Nayelis Tarnung auffliegen lassen muss und das geht aktuell noch nicht. Diese Gerichtsverhandlung muss so lange wie möglich sauber ablaufen. Er hat einfach schon zu viele Dinge erlebt und zu oft von Verhandlungen gehört, die trotz ausschlaggebender Beweise das reinste Massaker waren. Nein, er kann es nicht riskieren, dass sie seine Kleine wegen eines Formfehlers hinter Gittern bringen.
>Das Risiko müssen wir eben eingehen. Wir reichen die Aufnahme nach, falls nötig. <
>Sie kann im Nachhinein abgelehnt werden. < wiederholt sie, um Sam den Ernst der Lage begreiflich zu machen, doch er versteht sehr gut. Dennoch muss man manchmal den Weg des geringeren Übels einschlagen.
>Das sagten Sie bereits. <
Dieses Mal ist es Veronica, die seufzt. Dieser Fall ist jetzt schon nervenaufreibend für die Anwältin und sie hat keinen Zweifel daran, dass es noch schlimmer wird.
>Na schön, ich habe Sie gewarnt. Was ich Ihnen jedenfalls auch noch mitteilen wollte, war, dass ich die überarbeitete Zeugenliste herausgeschickt habe. Das Gericht wird die Zeugen bald möglich anschreiben und ihnen einen Termin mitteilen, sobald es einen gibt. Die Sache ist nur die ... < setzt sie vorsichtig an. >Die Täter, die wir gern anprangern möchten, sind ein anderes Kaliber, als meine sonstigen Gegner. Wir beide wissen wie es in dieser Mafiawelt zugeht und oft sind wirklich aussagekräftige Zeugen plötzlich vor der Hauptverhandlung “verschwunden“. Daher mache ich mir etwas Sorgen, falls der Prozessbeginn zu lange dauert. <
Es stimmt. Potenzielle Zeugen wurden schon oft umgelegt, ganz besonders dann, wenn es um Kartellbosse geht. Manchmal packen sogar Kartellinsider aus, aber sie haben keine lange Lebenserwartung, sobald sie geredet haben. Zivilisten sind daher ein noch leichteres Ziel und das kann Sam nicht riskieren. Mischa de Angelis und Archer haben bewiesen wie leicht es ist, das Ruder herumzureißen. Dennoch hat der Profikiller genug Leute, die nun für ihn arbeiten. Bounty Hunter jagen nicht nur Flüchtige, sondern sie werden auch engagiert, um Zeugen bis zur Gerichtsverhandlung zu schützen und er wird Nayelis Hunter wohl länger behalten, als er dachte.
>In Ordnung. Sobald wir den Termin haben und wissen, wer bereit ist auszusagen, kümmere ich mich darum, dass die Zeugen sich gefahrlos bewegen können. < sichert er der Anwältin zu.
>Gut, das wollte ich hören. < atmet sie erleichtert auf. >Im Übrigen wäre es nicht schlecht, wenn ich mich mit einem anderen Kollegen beratschlagen könnte. Vor Gericht stehen Miss Misra bis zu drei Anwälte zu. Ich wüste jemanden, der mich in diesem Fall unterstützen könnte und …<
>Nein. < unterbricht Sam. >Keine weiteren Anwälte. Ich traue Ihnen das zu und sonst keinem anderen. <
Er hört sie im Hintergrund vor sich hin grummeln und so etwas wie „war ja klar“ nörgeln. Mit diesem Mandanten hat Veronica Ambers eindeutig eine harte Nuss zu knacken, aber das war ihr bereits bewusst, als sie die dicke Akte auf ihrem Schreibtisch zu liegen hatte. Nachdem das Wichtige geklärt ist, verabschieden sich die beiden und Sam legt auf, um mit seinem Kaffee zurück zu seinem Laptop zu gehen.
Er schaut nach, ob seine Insider eventuell etwas über Madjid gefunden haben und macht weiter mit dem Vorsatz, sich nicht deprimieren zu lassen, falls sie heute nicht weiterkommen.
Jedoch schaut er immer und immer wieder auf sein Handy, für den Fall das Nayeli ihm schreibt. Er hat den Ton auf der höchsten Stufe der Lautstärke, dass es ihm unmöglich entgehen könnte, wenn etwas eingeht. Während er auf irgendein Zeichen wartet, wählt er die Nummer des Pathologen Doktor Lennart Parker und setzt ihn darüber in Kenntnis, dass die Kiste mit den Beweismitteln bis zu ihrem nächsten Aufeinandertreffen vollständig sein muss – dieses Mal mit zwei wichtigen Belegen mehr. Zum Ersten Nayelis jüngster Blutprobe – die Sam vor knapp zwei Wochen abgab, als seine Kleine wieder hier einzog. Und zum Zweiten, einen ärztlichen Bericht darüber, dass diese Probe identisch mit dem Blut ist, das auf der bleiernen Munition gefunden wurde, die in ihrem Schulterblatt feststeckte.
Stunden später
Sam tippt eine kurze Nachricht an sein anderes Handy, das mittlerweile Nayeli hat.
„Komm nach Hause. Schluss für heute.“
Genervt lässt er sein Mobiltelefon in seine Hosentasche zurückgleiten. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, dann hat er nicht erwartet, dass es beim ersten Mal klappt. Dennoch hat er den enttäuschten Gesichtsausdruck von seiner Kleinen vor dem inneren Auge. Andererseits kann er somit den schweren Stein in seinem Magen noch eine Weile ignorieren. Keine Spur von Madjid zu haben, bedeutet genaugenommen auch Sicherheit für Nayeli. Noch mehr Sicherheit gäbe es natürlich, wenn sie ihn fassen würden, aber der Weg dorthin wird nicht leicht. Sam will nicht, dass sie sich in Gefahr bringt, aber was erwartet er eigentlich? Immerhin wird sie nach einem kleinen Umweg letztendlich doch noch ein Bounty Hunter und andauernd in Gefahr sein. Dennoch ist ihm Madjid ein Dorn im Auge.
Sein Handy ertönt und er zieht es wieder aus seiner Tasche heraus. Nayeli hat ihm geantwortet.
„Mein System hat vor zwei Minuten Alarm geschlagen. Wir warten noch einen Moment bis ich weiß, wer es ist.“
Das bringt Sam in Alarmbereitschaft. Er kann in diesen Kurznachrichten nicht ins Detail gehen. Anrufen kann er sie auch nicht, denn sie sitzt in einem öffentlichen Café. Das muss er jetzt aussitzen.
Er tippt bereits an seinem Laptop herum, um in ein Portal zu gelangen. Sekunden vergehen, in denen die Seite geladen wird. Nach erfolgreichem Einloggen sucht er sich Nayeli heraus und klickt auf den Namen „Kimberlit“ – das war Nigels Idee. Ein knallharter, schwarzer Stein, in denen sich die natürlichen Diamanten bilden. Und Nayeli ist knallhart.
Ein Chatfenster öffnet sich, aber er wartet noch einen Augenblick. Vielleicht ist es nichts. Nur weil das Hackersystem Alarm schlägt, muss es noch lange nicht das sein, was sie sich erhoffen.
Er klickt auf ihr Profil, auf dem es nur eine kurze Beschreibung von ihr gibt. Kimberly Grant, 22 Jahre alt aus Duluth Minnesota, Abschluss an der UMD 2018 und sämtliche Hashtags, die Madjid exakt zu dieser Seite führen könnten und zu diesem Profil.
Das Bild, das sie online gestellt hat, sagt praktisch nichts aus und dennoch – falls man nach ihr sucht, so viel. Sie sitzt an einem leeren Tresen auf einem Barhocker und hat die Beine übereinandergeschlagen, die sie auf dem Bild seitlich gedreht hat. Ihre Haare sind offen und sie hält den Rücken zur Kamera gerichtet.
Sam gefällt dieses Bild wahnsinnig gut und wenn er nicht wüsste, wem dieses Gesicht dazu gehört, würde er sich im realen Leben wohl wirklich fragen, wer diese geheimnisvolle Fremde ist. Ihre langen Haare fallen verführerisch über ihren Rücken und diese Aufnahme, die in dem Penthouse entstanden ist, wirkt irgendwie sinnlich.
Sam steigt die Galle auf, wenn er bedenkt, dass Madjid sie so sehen könnte. Immerhin wollte er sie mit sich nehmen, wäre Nayeli ihm nicht entkommen.
Vielleicht hätte er sie ein einziges Mal vergewaltigt und sie dann umgebracht oder womöglich hätte er sie immer wieder vergewaltigt und sie behalten, wie ein Schoßhündchen. Er knurrt bei diesem Gedanken und schüttelt den Kopf, als könnte er damit diese verdammten Dinge vertreiben.
Plötzlich steht ein Text in dem geöffneten Chatfenster mit der Information, dass der User Kimberlit den Chat verlassen hat. Sam seufzt und schürzt die Lippen. Nur Sekunden später klingelt sein Handy. Es ist Nayeli, die ihm sagt, dass es falscher Alarm war und sie in 30 Minuten wieder bei ihm ist.
Genervt wirft er sein Telefon auf den Tisch, loggt sich aus und überlegt, ob es noch zu früh ist um zu trinken, beschließt dann allerdings, sich ein Bier zu öffnen und auf seine Kleine zu warten.
Als ihm seine Geräte signalisieren, dass jemand im Umkreis seines Hauses ist, steht Sam vom Sofa auf. Auf dem Weg zur Tür checkt er, was die Kameras eingefangen haben und stellt den Alarm aus, als Nayeli dicht gefolgt von Aleksey das Auto abstellt. Sam lehnt an der offenen Tür und sieht ihren missmutigen Blick als sie aussteigt.
>Das war nichts. Ein 13-Jähriger wollte Gangster spielen und versuchte in mein System zu kommen, aber ich glaube, ich habe ihm Angst eingejagt als ich den Spieß umdrehte. < berichtet sie ihm, als sie näherkommt. Ihr Freund hingegen schürzt die Lippen und zuckt mit den Achseln.
>Manchmal läuft nicht alles nach Plan. <
Er schließt sie in seine Arme und küsst ihre Stirn. Auch Aleksey steigt aus und redet auf Russisch mit Sam. Nayeli geht bereits ins Haus hinein, da es ihr hier draußen eindeutig zu kalt ist. Sie streift sich ihre Schuhe ab, hängt die Jacke und den Schal auf und geht auf direktem Weg ins Gästezimmer. Da sie hier drin ohnehin nicht schläft, legt sie den Laptop und separat den Akku auf das Bett.
>Verdammte Scheiße. < motzt sie leise und lässt sich auf die Matratze fallen. Den halben Tag hat sie nun in diesem Café gesessen und fünf Kaffee getrunken. Wahrscheinlich kann sie deswegen die kommende Nacht kein Auge zu kriegen.
Sie hört Sam und Aleksey miteinander reden. Entweder sie besprechen wie es nun weitergeht oder ihr Freund will lediglich einen Lagebericht von seinem Mittelsmann bekommen. Die anderen seiner Männer, sowie die restlichen Hunter waren heute nicht untätig. Sie suchten ebenfalls nach Madjid, aber niemand hat sich bei Sam oder ihr gemeldet. Also ist auch dort Flaute.
Wo steckt dieser Mistkerl nur?
Nayeli hört wie die Tür zu geht und dann die näherkommenden Schritte in Richtung des Gästezimmers. Sie starrt die Decke an, aber spürt Sam´s Anwesenheit. Er schiebt den Laptop etwas zur Seite und legt sich dann bäuchlings neben sie. Mit aufgestützten Unterarmen sieht er zu seiner Kleinen und streicht ihr eine Haarsträhne beiseite.
>Habe ich vielleicht etwas falsch gemacht? < fragt sie niedergeschlagen.
>Das bezweifle ich. Diese Frustration wird dein Berufsalltag werden. Du kannst nicht sofort denjenigen erwischen, den du suchst. Wir versuchen es morgen wieder. Und darauf wieder. Morgen begleiten dich Nikolaj, Ruby und Nigel. Die anderen meiner Männer werden die Nacht das Darknet durchforsten. <
>Okay Boss. < säuselt sie grinsend und richtet ihren Blick nicht mehr zur Zimmerdecke, sondern auf Sam.
>Boss. < wiederholt er lachend. >Das gefällt mir. <
>Sam Wilson, der Killer mit Angestellten. <
Grinsend kommt er ihrem Gesicht näher.
>Nur vorübergehend. Nach diesem Auftrag bin ich mit den Russen quitt. <
>Schade eigentlich. < erwidert Nayeli. >Aleksey macht mir zwar etwas Angst und wenn er grinst, dann sieht es irgendwie so aus, als würde mich ein Hai anlächeln, aber im Grunde mag ich sie alle. <
Daraufhin lacht Sam erneut, denn damit hat sie nicht ganz Unrecht. Er hat allerdings niemanden in diesem Team, um einen optischen Gruppendurchschnitt anzuheben, sondern weil sie alle eiskalt sind, so wie er selbst.
>Und ich mag deine kleine Mischung aus Huntern. < gibt er zu.
>Wahrscheinlich hast du sie vorher alle gründlich durchleuchtet. <
>Nein. In der Hinsicht habe ich mich auf Lukaz verlassen. Er kannte die Akten von ihnen und hat über viele Wochen hinweg gesehen wie sie ticken. Noch mehr habe ich allerdings dir vertraut. Du hast eine gute Menschenkenntnis. <
Nayeli grinst vorsichtig.
Hat Sam ihr schon jemals gesagt, dass er ihr vertraut? Sie kennt nur den Sam von damals, der sich nur auf sich selbst verließ.
Sie dreht sich auf die Seite, legt ihren Arm um ihn und muss keinerlei Kraft ausüben, denn er kommt bereits von allein zu ihr und küsst sie.
In diesen Momenten vergisst Nayeli, dass ein blutrünstiges Clanmitglied hinter ihr her ist und genießt es, dass sie dieser Nähe ausgehändigt ist. Wie lange dieses kleine Glück auch immer anhalten mag.