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Fingerabdrücke bleiben

von Lynnix
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Krimi / P16 / Gen
23.02.2018
25.11.2021
129
578.228
7
Alle Kapitel
102 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
 
 
23.02.2018 3.546
 
Hallo Ihr Lieben,

nach meiner ersten Story hat mich das Schreiben nicht mehr losgelassen und so hatte ich Lust es weiterzumachen. Seit langem schlich eine andere Idee in meinem Kopf herum, die zwar das gleiche Genre betrifft, aber diesmal eine komplett neue und frei erfundene Story ist. Sie ist mit vielen internationalen Charakteren bestückt, daher sollte sich keiner über Namen rund um den Globus wundern. Ich werde wie gewohnt immer freitags zu 17 Uhr hochzuladen und hoffe sehr, dass es Euch gefällt.
Ich lese jederzeit gern Euer Feedback. Und jetzt viel Spaß.

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-Fingerabdrücke bleiben-



Kapitel 01 - Lake superior

Der Superior Lake ist der wohl tückischste und gleichzeitig fantastischste See, den es in Nordamerika gibt. Ein See mag für manch einen ein kleines und ruhiges Gewässer sein, aber nicht dieser. Durch ihn verläuft eine Staatsgrenze und er ist am tiefsten Punkt mehr als 400 Meter tief. Es gibt ruhige Tage, an denen dort gefischt, Boot gefahren und getaucht wird. Wenn es zu einem Sturm kommt, sollte man sich allerdings schleunigst davonmachen und nicht zu nah an den Klippen stehen. Die Stromschnellen erreichen eine extreme Geschwindigkeit und können einen Menschen – wenn sie ihn erfassen, sehr schwer verletzen oder sogar töten.
Schon als kleines Mädchen lernte ich von meinem Vater diesen Lake zu schätzen und ebenso zu fürchten.
Ich lebe mit ihm, meinem kleinen neun Jahre alten Bruder Iye und meiner Mutter Huyana in Duluth, Minnesota direkt am besagten Lake Superior am oberen Ende der Klippen. Für die nächsten 1500 Meter leben wir hier ohne Nachbarn.
Die Ureinwohner Amerikas bewohnten das Gebiet um Duluth herum schon vor tausenden von Jahren. Die ursprünglichen Eingeborenen gehörten zu den Paläoindianern - auch wenn viele behaupten, dass es nur Legenden seien. Doch tief in ihren Herzen weiß es meine Familie besser. Alle unsere Vorfahren haben bereits seit Gedenken an diesem Ort gewohnt und bauten früher Wildreis an und verkauften ihre Töpferwaren. Bis vor einigen Jahrzehnten gab es außerdem Hügelgräber, die ebenso aus der Zeit der Woodland-Völker stammten und das konnte geschichtlich nachgewiesen werden.
Es ist toll zu wissen, wo die eigenen Wurzeln liegen. Ich liebe meine Heimat und meine Familie.
Obwohl wir nicht gerade im Geld schwimmen, haben wir uns darüber niemals beschwert – im Gegenteil. Das, was wir haben, kann Geld niemals aufwiegen.
Ich sehe es an meinen Kommilitonen und Freunden, die inzwischen seit vielen Jahren die Normalität einen sogenannten „Scheidungskindes“ erleben. Sie profitieren davon, dass ein Elternteil den anderen finanziell immer ausstechen will und das Kind deswegen mit tollen Geschenken überhäuft. Andererseits würden manche alles dafür tun, ihre Eltern wieder zusammen zu sehen. Eine intakte Familie zu haben, scheint für mich umso wertvoller zu sein, da ich das Gegenteil früher jeden Tag an der Highschool sah und heute noch an meinem College mitbekomme.
>Nayeli? < höre ich meine Mutter rufen.
>Ich bin in meinem Zimmer. <
Verzweifelt sitze ich im Schneidersitz am Boden vor dem Spiegelschrank und versuche mir meine Haare hochzustecken, doch sie sind so glatt und schwer, dass keine Frisur halten will. Seufzend lasse ich die Hände zu Boden fallen und betrachte mein Spiegelbild.
Ich wurde nie eitel oder oberflächlich erzogen, jedoch mag ich es mich anzuschauen.
Meine hohen Wangenknochen, die schmale lange Nase, die volle Ober,- und Unterlippe geben meinem Gesicht die markanten Züge eines Indianers. Der bronzene Hautton, die kastanienfarbenen Augen und die rabenschwarzen lange Haare geben das Sahnehäubchen.
>Ach hier bist du. < schnauft meine Mum, die die sechzehn Stufen mit ihrem schlimmen Bein nicht mehr so meistert wie früher. >Kannst du mir in der Küche helfen? Ich habe noch so viel zu tun. <
>Klar, ich bin gleich da. < nuschle ich und gebe es gänzlich mit meinen Haaren auf. Ich bürste sie durch und lasse sie einfach wie immer offen herunterhängen. Meine Mutter kommt mit ein paar zusammengelegten Sachen von mir herein. Die frisch gewaschene Wäsche legt sie ordentlich gefaltet auf meinem Bett ab und ist kurz darauf auch schon wieder verschwunden – polternd läuft sie wieder die Treppen hinab. Ich räume all meine Bücher auf dem Boden zusammen und lege sie gestapelt auf meinem Schreibtisch ab. Die frische Wäsche will ich noch schnell in meinen Schrank legen und schiebe die Tür seitlich auf.
Sofort fällt mir mein Basecap entgegen und ich fange es ungeschickt nach mehrmaligem hin- und herspielen mit einer Hand auf.
Es ist bereits sehr angegraut und der Stoff ist seitlich etwas ausgefranst aber davon abgesehen sind die gestickten Buchstaben „UMD“ noch deutlich zu erkennen.
Sie stehen für mein College an der University of Minnesota Duluth, an dem ich morgen meine Ergebnisse von meinen Prüfungen bekomme. Wenn alles gut geht und ich erfolgreich war, dann habe ich einen Abschluss in Geisteswissenschaften. Ich habe mich vor einiger Zeit auf viele verschiedene Stellen beworben und hatte Glück. Sollte ich all meine Prüfungen geschafft haben – wovon ich ehrlich gesagt ausgehe, dann kann ich zur Mitte des Monats bei einer PR-Agentur im Marketing anfangen zu arbeiten und verdiene endlich mein eigenes Geld. Dann kann ich meine Familie finanziell unterstützen.
Meine Schule ist bekannt für das Eishockeyteam die „Bulldogs“.
2011 gewann die Männermannschaft zum ersten Mal die US-Collegemeisterschaft gegen die University of Michigan. Leider war ich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Highschool und habe Eishockey bis dahin nicht so intensiv verfolgt wie jetzt. Aber inzwischen bin ich regelrecht vernarrt in diesen Sport und bei fast jedem Spiel unseres Teams dabei, sofern es in Duluth stattfindet.
Ich packe meine Klamotten und das Basecap zurück in den Schrank hinein und laufe die knarzende Treppe hinunter zu meiner Mutter. Ich sehe sie gerade nicht aber sie hat bereits das Gemüse gewaschen und zum Abtropfen auf die Arbeitsplatte gelegt.
Es ist Sonntag – eigentlich der Tag der Familie, aber mein Vater kommt diesmal erst in einer Stunde nach Hause, weil in dieser Woche so viel Arbeit anfiel.
Im Moment geht es meiner Familie finanziell ein bisschen besser als zuvor. Bis vor einem halben Jahr verdiente mein Vater sein Geld mit dem Fischen, aber die Nachfrage ist mehr als frustrierend, wenn man seinen Fisch in jedem Discounter für die Hälfte des Geldes bekommen kann. Den Leuten ist es inzwischen egal unter welchen Bedingungen die Tiere gefangen worden sind oder woher sie kommen, solange die Produkte billig sind. Mein Vater musste sich also etwas einfallen lassen. Was früher ein anerkannter Beruf war, ist heute als Ein-Mann-Betrieb nichts mehr wert. Nachdem er unsere gesamte Stadt nach einem Job durchkämmt hat, bekam er endlich eine Stelle in einem Lagerhaus. Er verdient dort besser und hat vor allem ein festes monatliches Einkommen. Da er vorher nur nach dem Gewicht des Fangs bezahlt wurde, fiel sein Gehalt immer sehr schwankend aus. Meine Mutter möchte auch gern wieder arbeiten gehen. Einige Zeit blieb sie wegen Iye zu Hause aber inzwischen ist er nicht mehr so klein, dass er Tag und Nacht von ihr behütet werden muss – auch wenn er es sehr genießt. Mit seinen neun Jahren kann er inzwischen allein nach Hause kommen, da seine Schule gleich in der Nähe ist.
Es wird für meine Mutter allerdings nicht leicht werden eine Stelle zu finden, da sie keine Ausbildung hat. Ich habe am Schulcomputer recherchiert und versucht, etwas für sie zu finden. Eine Art Umschulung damit sie in ein Programm hineinkommt, einen Computerkurs oder irgendetwas womit sie bessere Chancen hat. Allerdings sind die Aussichten eher schlecht. Hinzu kommt, dass sie vor ein paar Jahren einen schlimmen Autounfall hatte, der ihr Knie demoliert hat. Somit kann sie einen Job vergessen, bei dem sie den ganzen Tag stehen muss. Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf und ich auch nicht.
Mein großes Glück war, dass ich für mein College ein Stipendium bekommen habe, weil ich zuvor einen sehr guten Notendurchschnitt hatte. Das monatliche Schulgeld ist enorm und hätte ich diese Unterstützung nicht bekommen, dann weiß ich nicht was ich sonst gemacht hätte. Studieren hätte ich jedenfalls vergessen können.

           Ich greife mir die Zwiebeln von der Arbeitsplatte und schäle sie. Das war noch der leichte Teil, denn als ich versuche sie zu schneiden, verzweifle ich an unseren Messern. Wir brauchen dringend neue oder müssen sie wenigstens mal schleifen lassen, aber mit dem derzeitigen Schärfegrad kann man nicht mal eine Weintraube zerschneiden. Meine Mutter kommt gerade aus unserer Vorratskammer und hat die Arme mit Mais bepackt.
>Die Hälfte musste ich wegwerfen. < nörgelt sie frustriert. >Der Mais fing schon an einigen Stellen an zu schimmeln. Das ist so schade ums Geld. <
>Vielleicht kann ich etwas davon wegschneiden. < wende ich ein und sehe in Richtung der Kammer.
>Nein, schon gut meine Kleine. Ich will nicht, dass noch jemand krank wird. Das hätte uns gerade noch gefehlt. <
Hilfesuchend grinst sie mich an und wendet sich dann dem Mais zu, um die Blätter zu entfernen. Ich höre die kindliche Stimme meines Bruders aus der oberen Etage, während er spielt.
>Bist du schon aufgeregt wegen morgen? < will meine Mutter wissen.
>Oh ja. Ganz schrecklich um genau zu sein. <
>Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, du hast alles bestanden. <
>Deswegen mache ich mir keine Gedanken. Ich weiß, dass ich bestanden habe – die Frage ist nur wie gut oder schlecht. <
>Kommt es denn darauf an? < fragt sie sichtlich verblüfft.
>Für den Anfang schon. Irgendwann wird es aber sicher niemanden mehr interessieren, wenn in meinem Lebenslauf steht, wo ich schon gearbeitet habe. Vielleicht behält mich die Agentur ja sogar länger als nur das eine befristete Jahr. < wende ich optimistisch ein.
Plötzlich dreht sich ein Schlüssel im Schloss um und ich schaue verblüfft zur Uhr. Es ist gerade mal kurz vor achtzehn Uhr.
>Dad? < rufe ich über meine Schulter. Ich höre ihn leise seufzen und er wirft seine Schlüssel vorsichtig in die Schale hinein. Er braucht ewig um seine Jacke aufzuhängen bis er hereinkommt. Er strahlt regelrecht als er in die Küche kommt. Aber dieses angeknipste Lächeln passt gar nicht zum Rest, den er eben noch leise von sich gab.
>Hey, du bist ja schon hier?!< antwortet meine Mutter verwundert und gibt ihm einen Kuss.
>Wir haben unser Soll für diese Woche endlich geschafft und deswegen konnten wir nach Hause gehen. Manchmal gibt es auch Tage, an denen uns die Arbeit nicht komplett überrollt. <
>Na das ist ja auch mal schön. < grinst sie. Ihr scheint absolut nichts komisch an seinem Verhalten vorzukommen. Mein Dad kommt zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
>Na bereit für den großen Tag morgen? < fragt er mich erwartungsvoll.
>Ich denke schon. <
>Großartig. Kann ich euch zwei helfen? < will er wissen und klatscht voller Tatendrang in die Hände.
>Nein, nein Unsinn. Nayeli hilft mir doch schon. < wendet meine Mutter ein und schiebt ihn bereits aus der Küche heraus.
>Na gut dann geh ich erstmal Duschen. <
Mein Blick folgt ihm noch ein Stück, als er um die Ecke verschwindet und schließlich kann ich nur noch hören, wie er die Treppe nach oben läuft.
Meine Mutter summt leise vor sich hin und schält den Mais weiter, während Iye unseren Dad jubelnd begrüßt und sich freut, weil er bereits zu Hause ist.

              Eine gute halbe Stunde später sitzen wir zusammen am Tisch mit Mums berühmten Maiseintopf und Navajoindianer-Brot. Es sind zwei typisch indianische Gerichte. Meine Mutter kocht zwar auch alle möglichen anderen Gerichte aber manchmal mag sie alte Tradition. Heute scheint wieder einer dieser speziellen Tage zu sein.
Außer unseren markanten Gesichtern und unseren Namen ist allerdings nicht mehr allzu viel Indianer in uns. Ich habe normale Freunde, ich trage normale Klamotten, ich sehe den Superbowl mit Dad an und wir tun all jenes Zeug, was uns völlig normal macht.
Draußen hat es gerade wieder zu stürmen begonnen - was hier nicht unüblich ist. Das Licht flackert über unseren Köpfen und auch das ist hier nichts Neues. Das Unwetter verursacht oft einen Stromausfall, da wir nicht gerade die beste Lage für ein Haus haben. Selbst unser Sendemast 200 Meter weiter, hat schon bessere Tage gesehen und droht bald umzustürzen.
Deswegen haben wir vermutlich auch keine Nachbarn. Keiner ist so verrückt hier zu bauen, aber ich mag es irgendwie. Unser Haus ist mehr als 120 Jahre alt - was diesen nostalgischen Charme ausmacht, aber langsam wird es Zeit, dass unser Dach mal wieder gemacht wird. Jedes Mal, wenn ein neuer Sturm über unsere Köpfe fegt, dann denke ich, es wird jeden Augenblick abgerissen.
Dad erzählt am Tisch von seiner Arbeit aber ich höre gar nicht richtig zu. Ich beobachte schmunzelnd meinen kleinen Bruder, wie er seinen alten und abgeranzten Dinosaurier etwas von dem Maiseintopf abgeben will und flüsternd mit ihm redet. Er hat etwas längere Haare als die Jungs in seiner Klasse und ein zierliches Gesicht, ebenfalls dunkelbraune Augen wie ich und die markanten Wangenknochen.

              Nach dem Essen helfe ich meiner Mutter beim Abwasch, während mein Vater zusammen mit Iye Hausaufgaben macht, die mein kleiner Bruder mal wieder ewig aufgeschoben hat. Ich war bis vor kurzem immer schon am Freitag mit allem fertig, sodass ich das ganze Wochenende mit meinen Freunden weggehen konnte, sofern es meine Finanzen zuließen. Aus Rücksicht zu mir, haben wir häufig Dinge tun müssen, die nichts kosteten. So etwas wie ein Kino- oder Discobesuch musste ich mir eine Weile lang zusammensparen aber dafür genossen wir es umso mehr, wenn wir es nutzen konnten.
Ich trockne gerade den letzten Teller ab und sehe zur Uhr. Morgen kann ich etwas länger schlafen, da wir erst zur zweiten Stunde in der Uni sein müssen. Ich beschließe trotzdem schon ins Bett zu gehen und noch solange zu lesen, bis ich irgendwann dabei einschlafe.
Im Wohnzimmer liegt Iye ausgebreitet auf dem Teppich und um ihn herum liegen all seine Hefte. Ich beuge mich zu ihm herunter und weiß nicht, ob er einfach nur k.o. von seinen Hausaufgaben ist, bereits schläft oder nur so tut als würde er schlafen.
Da er sich allerdings sein Grinsen verkneifen muss und sein eines Auge ganz leicht öffnet, ist es definitiv die dritte Vermutung.
>Oh nein. Iye ist ja schon eingeschlafen. Ich fürchte wir müssen ihn jetzt bis morgen früh hier unten liegenlassen. < sage ich gespielt.
>Tatsächlich? < stimmt meine Mum mit ein und kniet sich mühevoll zu ihm herunter.
Mein Bruder kichert los als ich ihn abkitzele und danach auch noch unsere Mutter mit der Gemeinheit weitermacht. Von beiden Seiten wird der kleine Knirps nun attackiert und windet sich lachend vor uns auf dem Boden.
Meine Mutter hievt sich mit ihrem schlimmen Knie wieder hoch aufs Sofa, während ich mir Iye kopfüber unter den Arm klemme.
>Na los kleiner Indianer. Sag gute Nacht! < fordere ich ihn auf und halte ihn weiterhin in dieser Position zu meinen Eltern hin. Beide geben ihm einen Kuss und meine Mutter beginnt dann damit, seine Hefte zusammenzupacken. Ich finde, dass er das auch eigentlich selbst tun könnte, aber er ist eben ihr Nesthäkchen und womöglich hat sie das bei mir auch getan.
Unser Altersunterschied ist ziemlich groß, dass manch einer schon dachte, er wäre mein Kind. Zugegeben… Iye sieht deutlich jünger aus als neun, weil er so zierlich ist und ich sehe etwas älter aus, als ich eigentlich bin.
             Damit der Kleine wieder sein Blut in die andere Körperhälfte bekommt, drehe ich ihn auf dem Weg nach oben wieder richtig herum.
Es gibt einen ziemlichen Blitz mit darauffolgendem Donner, als wir nach oben gehen und Iye zuckt daraufhin kurz zusammen.
>Du hast doch nicht etwa Angst vor Gewitter, oder? < stichle ich.
>Nein. < sagt er viel zu schnell als das es stimmen könnte. >Duuu? Nayeli? <
>Hmm? <
>Wieso gibt es eigentlich kein Popcorn, wenn ein Blitz im Maisfeld einschlägt? <
>Öhm… das ist eine sehr gute Frage. < lache ich.
>Das wäre doch voll cool. <
>Popcorn hängt aber immer in den Zähnen fest. Und deshalb tun wir jetzt was? <
>Zähneputzen. < antwortet er mir grummelnd.
Ich setze ihn im Bad auf den Klodeckel und mache seine Zahnbürste nass, um sie dann mit seiner widerlich süßen Kinderzahnpaste zu beschmieren. Mir ist aufgefallen, dass er sich die Zähne deutlich besser putzt, wenn ich gleich mitmache und da ich nach dem Lesen immer gleich einschlafen will, setze ich mich ihm gegenüber auf den Wannenrand und putze auch.
>Ihch hak dihch lip. < nuschelt er mit seiner Zahnbürste im Mund.
>Ihch hak dihch auhch lip. < brabble ich zurück und er gackert los. Das geht noch weitere fünf Minuten so hin und her, in denen wir irgendwelche Sätze so reden. Ich bin 21 Jahre alt aber in den Momenten, wenn ich mit meinem Bruder spiele, könnte man denken, ich sei genauso alt wie er.
Nach dem abendlichen Hygieneprogramm gehen wir in sein Kinderzimmer und ich werfe meinem Bruder seine Nachtwäsche zu. Unbeholfen hüpft er dort hinein und fällt fast zur Seite um, als er mit dem Fuß hängenbleibt. Dann springt er mit Anlauf in sein Bett hinein und fällt fast wieder zur anderen Seite runter. Ich kann dabei gar nicht hinsehen, aber er hat so viel Spaß dabei, dass ich mitlachen muss.
>Los komm schnell unter deine Bettdecke. < sage ich und halte sie ihm hoch, damit er darunter krabbelt.
>Wo ist mein Dinosaurier? < fragt er und sieht sich in seinem Zimmer um.
>Keine Ahnung. Er ist sicher noch unten – ich hole ihn. <
Die obersten Treppenstufen sind noch die leisen, daher höre ich wie sich meine Eltern unterhalten. Meine Mutter will ganz offensichtlich von meinem Vater wissen, was auf der Arbeit los war. Scheinbar kam es ihr doch etwas komisch vor, dass mein Vater bei so viel angefallener Arbeit nun doch früher zu Hause war - obwohl sie es vorhin gut versteckt hat. Die nächste Stufe knarrt allerdings laut als ich mein Gewicht verlagere und sie verstummen beide schlagartig. Das kommt mir sehr eigenartig vor, daher laufe ich nur sehr langsam zu meinen Eltern. Bis ich unten bin, reden sie allerdings kein Wort mehr miteinander. Die beiden Türen am Anfang und am Ende der Treppe stehen eigentlich immer offen, weshalb ich die beiden perfekt hören könnte, wenn diese verräterischen Stufen nicht wären.
Sobald ich unten im Dielenbereich bin, geht ein Durchgang hinten rum zu unserer Küche und vorn herum zu unserem Wohnzimmer, obwohl die Räume offen ineinander übergehen – ein typisch amerikanischer Baustil eben.
Kaum stehe ich im Wohnzimmer, sehe ich die Figur des Tyrannosaurus Rex schon auf einem Stuhl in unserer offenen Küche sitzen.
>Mum? Dad? Ist alles in Ordnung? <
>Natürlich Schatz. Ich dachte, du wolltest Iye ins Bett bringen. < lenkt mein Vater schnell ab. Ich spüre, dass irgendetwas los ist, denn er hat diese Sorgenfalten auf der Stirn während er mich anlächelt. Einen Moment lang bin ich in Versuchung weiter nachzuhaken, aber lasse es dann doch lieber bleiben.
>Ja habe ich auch aber der Knirps hat sein Spielzeug hier liegengelassen… ich gehe dann auch gleich ins Bett. <
>Na dann schlaf gut mein Schatz. < sagt meine Mutter während mir mein Vater zulächelt.
>Ihr auch. <
Ich weiß nicht, ob es einen Grund gibt, weshalb ich mir Sorgen machen sollte aber Situationen wie eben sind mir recht neu. Ich komme mir so vor, als wenn sie mich ganz schnell loswerden wollen, daher laufe ich zum Esstisch und greife mir das Spielzeug meines Bruders.
Sobald ich wieder oben angekommen bin, bleibe ich noch einen Moment an der Treppe stehen und lausche. Nur leider sagen meine Eltern kein Wort mehr.
           Im Zimmer meines Bruders halte ich sein Spielzeug durch die Tür, um damit zu winken.
>Schau mal hier ist er. Er hat noch am Tisch gesessen und sich einen Nachschlag geholt. < feixe ich zu Iye.
Er lacht und streckt die Arme nach ihm aus.
>Also dann. Schlaf gut. < ich küsse ihn auf seine Stirn und will grade gehen.
>Singst du das Lied des Tsoai-Talee? <
>Oh je, ob ich das noch kann? < necke ich ihn.
>Ja, bestimmt. Na los. < ruft er und hüpft mit seinem Po auf der Matratze herum.
Ich mache es mir etwas gemütlicher bei ihm und lehne mich mit dem Rücken gegen seine Zimmerwand. Es ist ein uraltes indianisches Lied, das mir meine Mutter schon vorgesungen hat.
Bereits während der ersten Strophe gehe ich mit meinen Fingern durch seine längeren, dunklen Haare. Von Liedzeile zu Liedzeile werden seine Augen immer schwerer und jeden Moment scheint er einzuschlafen. Ich finde es toll, dass er noch so liebebedürftig ist. Andere in seinem Alter sind dabei, diese Eigenschaft bereits zu verlieren und entwickeln ihren eigenen Kopf.
>Schlaf gut, kleiner Indianer. < flüstere ich zum Ende und küsse ihn nochmal auf die Stirn. Er legt seinen zierlichen Arm schnell um meinen Nacken.
>Du gehst niemals weg, oder? <
>Nein, niemals. < antworte ich ihm jedes Mal aufs Neue.
>Indianerehrenwort? < fragt er und hält seinen kleinen Finger hoch.
>Indianerehrenwort! <
Mein kleiner Finger hakt sich in seinen ein.
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