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Eine Laune der Natur

von Sithy
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Caesar Colonel McCullough
04.01.2018
05.01.2018
9
16.254
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04.01.2018 1.792
 
2.     Kapitel

Direktorin Hunter stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen in ihrem Arbeitszimmer und blickte durch das große Fenster hinaus auf den Vorplatz der Schule. Zu diesem Zeitpunkt waren nur wenige Schüler zu sehen, denn der Unterricht war für heute längst zu Ende. Nur diejenigen, die nachsitzen mussten, außerschulische Kurse belegten oder den Nachhilfeunterricht besuchten, trieben sich auf dem aufgerissenen Asphaltplatz vor dem Schulgebäude herum. Vereinzelt turnten Orang-Utans in den Bäumen, die den Hof säumten. Und dort drüben war Luca, ein bulliger Gorilla, groß für sein Alter, der seiner besten Freundin Nova die Schultasche nach Hause trug. Die eiserne Direktorin gestattete sich ein Lächeln. Wenn sie das friedliche Miteinander der Menschen- und Affenkinder so beobachtete, glaubte sie fest daran, dass der Friede zwischen ihren Spezies auch in der Zukunft halten würde.

Dann wiederum gab es die Störenfriede unter ihren Schülern.

„Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte, dass ich solches Verhalten an meiner Schule nicht dulde.“

Hunters Stimme war leise, aber schneidend wie eine Rasierklinge. Sie brauchte nicht lauter zu sprechen, denn keiner der drei Anwesenden wagte es, auch nur einen Piep von sich zu geben. Da war zum einen Hunters Sekretär McDowall, ein schmächtiger Mann in einem abgetragenen Anzug, der einen schweren Ordner wie einen Schild vor sich hielt. Zum anderen zwei ihrer Schüler, die Hunter in ihrem Büro schon so oft empfangen hatte, dass es ihr beinahe zur Gewohnheit geworden war.

„Ihr seid Opfer dieses Krieges, auch wenn ihr ihn selbst nicht mehr erlebt habt. Ihr versteht nichts von den Gräueln, die sich Affen und Menschen gegenseitig angetan haben. Ihr habt die Leichenberge und Massengräber Erschossener nicht gesehen. Ihr habt nicht erlebt, wie aus den idiotischsten Gründen ganze Familien ausgerottet wurden.“

Hunter wandte sich mit steinernem Gesicht zu Caesar und McCullough um. In ihren schwarzen Augen schlug der Zorn Funken.

„Aber ich war dabei! Ich und viele andere. Wir haben dafür gekämpft, dass unsere Spezies heute in Frieden miteinander leben können. Eure kleinkarierten Auseinandersetzungen haben hier keinen Platz, und ich werde dafür sorgen, dass ihr den harterkämpften Frieden an meiner Schule respektiert!“

Weder McCullough noch Caesar sagte ein Wort. Stur starrten sie vor sich auf den Boden. Der eine wie der andere sah ziemlich mitgenommen aus. Caesars Fell war stumpf und zerzaust. Immer wieder schniefte er und fuhr sich mit dem Finger an die Nase, weil ihm das geronnene Blut das Atmen erschwerte. McCulloughs linkes Auge hatte sich bereits verfärbt und würde bald in allen Regenbogenfarben schillern. So wie der ganze Rest seiner linken Gesichtshälfte. Er hielt sich auch ein wenig schief. Wahrscheinlich, weil ihm der Knöchel von seinem Sturz vom Baum weh tat.

Schuldgefühle suchte Hunter in ihren Augen vergeblich.

„Ich verstehe euch nicht. Eure Eltern sind in diesem Krieg umgekommen. Ausgerechnet ihr beide solltet begreifen, wie wichtig ein friedliches Miteinander ist.“

„Der Affe soll in seinen Wald verschwinden, wo er hingehört!“

„So war es und so wäre es geblieben, wenn ihr Menschen nicht immer nur an euch denken würdet!“

„RUHE!“

Die Direktorin seufzte. Die ewigen Auseinandersetzungen zwischen McCullough und Caesar ermüdeten sie. Es war schon immer so gewesen. Wann immer die beiden aufeinandertrafen, knallte es. Warum überhaupt Energie an etwas verschwenden, das ohnehin nie fruchten würde? Sie winkte McDowall heran, der den schweren Ordner vor sie auf den Tisch legte.

„Danke.“ Sie schlug ihn auf und blätterte zu einer bestimmten Stelle. Das Kinn auf die ineinander verschlungenen Hände gestützt, las sie für ein paar Sekunden. Als sie mit Sprechen fortfuhr, sträubten sich McCullough und Caesar die Nackenhaare: „Da ihr ganz offensichtlich nicht daran denkt, euch anzupassen, und bisher alle Strafen zu nichts geführt haben, werde ich andere Saiten aufziehen. Ihr dürft eure überschüssige Energie in die Felder außerhalb Mill Valleys stecken. Die Arbeit ist hart und nicht ungefährlich, aber ihr beide seid alt genug, um richtig mit anpacken zu können. Zumindest an den Wochenenden. Während der Woche will ich euch weiterhin in der Schule und auf den Obstplantagen sehen! Der Winter kommt noch früh genug, und wir können auf zwei so kräftige Beispiele der Spezies Mensch und Schimpanse unmöglich verzichten. Wenn euch nach einer solchen Woche noch immer der Sinn nach einer Rauferei ist, bitteschön.“

Hunter blickte auf.

„Das ist alles. Ihr könnt gehen.“

Die beiden starrten die Direktorin an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen.

„Das ist alles deine Schuld, du blöder Affe!“, zischte der Colonel. Caesar fletschte die Zähne. Ihm sträubte sich das Fell.

„Meine? Ich habe mich nur gegen dich und deine Vollidiotentruppe verteidigt!“

„Das ist unsere Stadt! Geh du zurück in den Wald, wo du hingehörst! Niemand will dich Missgeburt hier haben. Dich nicht und auch nicht deinen Freak von einem Vater, der eine Äffin gefi-…“

Mit einem Satz war Caesar an McCullough dran und riss ihn mit sich zu Boden.

„RAUS!“, donnerte Direktorin Hunter.

***

William Rodman kam an diesem Abend spät nach Hause, was für ihn tatsächlich die Regel und nicht die Ausnahme war. Als Gründungsmitglied des Kontrollgremiums zur Verbesserung der artübergreifenden Kommunikation (KoVAK) war er eine wichtige Persönlichkeit und ständig unterwegs, um das Miteinander zwischen Affen und Menschen zu verbessern. Es war eine harte und ermüdende Arbeit, tagtäglich die Vorurteile zu bekämpfen, mit der sich Menschen und Affen begegneten. Nicht überall funktionierte die Zusammenarbeit so gut wie hier in Mill Valley. Pulsierende Riesenstädte wie San Francisco gab es nicht mehr. Statt dessen war das Leben geprägt von weit verstreuten Siedlungen, die sich meist selbst versorgten. Die Affengrippe hatte nicht nur menschliches Leben zerstört, sondern auch deren globale Kommunikation und den Handel. Es würde noch Jahrzehnte dauern, bis der überregionale Handel wieder richtig in Schwung kam und von einem weltweiten Handel und seinen Vorteilen konnten die Überlebenden nur mehr träumen.

Die Türe fiel hinter Will ins Schloss. Er drehte den Schlüssel zweimal herum. Achtlos ließ er seine Tasche von der Schulter auf den Boden gleiten und knipste das Licht an, während er sich gleichzeitig die Schuhe von den Füßen streifte. Die Zweizimmerwohnung mit eigenem Bad und einer Kochnische war purer Luxus. Will war nicht immer glücklich darüber, dass er vom KoVAK so bevorzugt behandelt wurde, wenn sich seine Nachbarn allzu oft mit feuchten Baracken zufriedengeben mussten. Dann wiederum wollte er seinem Adoptivsohn ein so angenehmes Leben wie möglich bieten.

Als Will das kleinere der beiden Zimmer, das Schlafzimmer, betrat, war er überrascht, Caesar noch wach vorzufinden. Der Schimpanse saß im Bett, eingewickelt in seine Decke, und blickte mürrisch und müde vor sich hin.

„Du bist noch wach?“

Will knipste das Licht an, was seinen Adoptivsohn blinzeln ließ. Dessen Gesicht sah noch immer reichlich ramponiert aus. Beunruhigt trat Will an ihn heran und fuhr ihm liebevoll über den Kopf und durch das zerzauste Fell.

„Was ist passiert?“

„Nichts“, grollte Caesar.

„Komm, das sieht mir nicht nach nichts aus.“

Caesar war beileibe nicht das erste Mal in eine Prügelei verwickelt gewesen. Sein Ziehsohn ließ sich nichts gefallen und war sich seiner körperlichen Überlegenheit durchaus bewusst. Meistens beschränkte er sich jedoch darauf, sich zu verteidigen und suchte den Streit nicht von sich aus.

Ohne ein weitere Wort kam Caesars Hand unter der Decke hervor und hielt Will etwas hin, das dieser erst auf den zweiten Blick als Brief erkannte. Er setzte sich zu Caesar auf das Bett und begann zu lesen. Als er fertig war, ließ er den Brief sinken.

„Ich verstehe, wenn du dich verteidigst, aber einen Streit vom Zaun brechen?“

„Ich habe nicht angefangen!“, begehrte Caesar auf.

„Du hast McCullough einen Apfel an den Kopf geworfen! Er hätte sich bei dem Sturz das Genick brechen können.“

„Besser wär’s gewesen“, murmelte Caesar und fühlte sich sofort grob an der Schulter gepackt. In Wills Augen loderte ein zorniges Feuer, das Caesar erschreckte. Er wich dem Blick aus.

„Sag so etwas nie wieder! Das ist genau die Einstellung, die uns in den Krieg geführt und deine Eltern umgebracht hat! Jedes Leben ist verdammt noch mal etwas wert, auch das McCulloughs. Ich weiß, ihr vertragt euch nicht, aber versuche seine Sichtweise zu verstehen. Er hat es nicht leicht.“

Die Worte entfachten heißen Zorn in Caesar. Er fauchte aufgebracht.

„Warum?! Warum muss ich immer klein beigeben? Er und seine idiotischen Schläger machen allen das Leben schwer, aber anstatt ihm ein paar aufs Maul zu geben, soll ich einfach wegschauen?“

„Nein, natürlich nicht.“

Will fuhr sich mit einer müden Geste über das Gesicht. Manchmal hatte er das Gefühl, sich immer weiter von seinem Ziehsohn zu entfernen. Hatte er ihn in der letzten Zeit zu oft alleine gelassen? War ihm das große Ganze wichtiger gewesen, als sein eigener Sohn? Oder war Caesars Verhalten der Pubertät geschuldet, die er gerade durchmachte und die auch seinen menschlichen Kameraden das Leben schwer machte? Selbst nach seinen jahrelangen Kontakten mit Menschen und Affen war Will überrascht darüber, wie ähnlich sich die beiden Spezies im Grunde waren.

„Ich versuche dir verständlich zu machen, dass das Leben nicht schwarz und weiß ist, und dass, auch wenn du gerne einfach dreinschlagen möchtest, es manchmal klüger ist, nicht mit Gewalt zu reagieren. Gewalt erzeugt …“

„Gegengewalt, ja ich weiß!“ Caesar rollte genervt mit den Augen. „Wie oft willst du mir das noch sagen? Ich bin nicht blöd!“

„Wir alle müssen unseren Teil für eine bessere Zukunft beitragen, auch wenn es schwer ist und es einem manchmal das Gefühl gibt, nichts würde sich ändern“, fuhr Will leise fort und verstrubbelte Caesars Fell. „Ganz besonders du, denn du bist mein Sohn und du wirst meine Aufgabe fortsetzen, wenn ich nicht mehr da bin.“

Caesar schnaubte.

„Vielleicht will ich das aber nicht! Die Menschen können mir gestohlen bleiben. Ich würde viel lieber draußen bei den Abtrünnigen leben. Das sind noch richtige Affen!“

Kaum waren ihm die Worte entschlüpft, wurde Caesar ihre Bedeutung bewusste und auch, wem er sie entgegengeschleudert hatte. Will war ihm so vertraut und lieb, dass er manchmal vergaß, dass auch sein Ziehvater ein Mensch war. Caesars Fell sträubte sich vor Schuld.

„Es tut mir leid. Das wollte ich nicht.“

Will seufzte nur und zog seinen Sohn in die Arme.

„Ich weiß. Und ich weiß, dass es nicht leicht ist. Aber versuche zu verstehen, wie viel auf dem Spiel steht. Du und McCullough seid die nächste Generation. Es liegt in euren Händen, dass wir nicht zurück in den Wahnsinn eines neuerlichen Krieges stürzen. Wir alle haben in dieser Zeit viel verloren. Ich will nicht, dass es dir auch so ergeht.“ Für einen Moment klang Wills Stimme seltsam belegt. Doch dann breitete sich ein liebevolles Lächeln auf seinem Gesicht aus, als er seinen Adoptivsohn anblickte: „Manche von uns hatten Glück und haben durch diese verrückte Zeit auch viel gewonnen.“

Ein warmes Gefühl der Freude stieg in Caesar auf. Plötzlich sah die Welt nicht mehr ganz so düster aus, und auch die bevorstehende Strafarbeit auf den Feldern verlor manches von ihrem Schrecken.
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