Copy Paste: Fenster der Vergangenen
von Ereschkidal
Kurzbeschreibung
[In Überarbeitung - Charakteroptik, Satzstruktur, Formatierung -18/59] >>Ich kann nur einmal an denselben Ort zurück. Es ist ähnlich einem temporären Speicherpunk/t, der eine Schlüsselszene wiedergibt. Auf Zeit. Fehler kosten mich ein Original.<< ---- Eine Reise in die Vergangenheit, um etwas für die Gegenwart zu verändern. Manchen Menschen erfüllt Naoe diesen Wunsch, andere gehen leer aus. Darunter auch Vergo, der seit seinem Versagen gegen Trafalgar Law auf eine konstante Veränderung aus ist. Wissend, dass sie gegen ihn nicht ankommen kann, beschließt sie sich dazu eine Allianz zu formen, ähnlich einem Pakt von Geben und Nehmen. Doch die Verbindung ist vage, getränkt von verschiedensten Gefühlen und die Hände, die nach ihr greifen, werden mehr - denn außer Vergo scheint auch die Marine einen Plan zu hegen. [Trafalgar Law x OC]
GeschichteDrama, Romance / P18 / Het
Eustass Kid
OC (Own Character)
Sakazuki / Akainu
Trafalgar D. Water Law
Vergo
03.01.2018
16.09.2018
59
179.878
38
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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08.01.2018
3.813
Der Preis für ihre Mitreise war angemessen. Das ausgewählte Schiff gehörte Händlern. Einem Haufen Männern, die friedlich über die Wellen segelten und versuchten, ihre Waren zu beschützen. Es waren Reisende, vor denen Naoe sich nicht in Acht nehmen musste.
Mit einem Seufzen lehnte Naoe sich an die Brüstung und ließ ihren Blick über das tiefe Blau des Meeres schweifen. Lichtstrahlen spiegelten sich, kreierten Muster, die von den leichten Wellen, die das Schiff teilte, zerbrochen wurden. Dinge entstanden, nur um niedergerissen zu werden – die See verdeutlichte es immer wieder. Was Menschen aufbauten, verschlang sie in einem Zug. Nicht allein; das tat sie niemals. Manchmal bekam sie Hilfe von Piraten, hin und wieder von der Marine, grundlegend aber von Menschen.
Naoe kannte die vernichtende Kraft ihrer Spezies. Wenn die Karten fielen, taten die falschen Leute alles, um Geheimnisse zu wahren, Geschehnisse zu vertuschen und Gefahren auszumerzen. Irgendwann blieb nichts mehr übrig außer Hass, der die weiße Gischt an Stränden eines Tages blutrot färben würde und vielleicht würde sie ihm dabei helfen. Wobei sie bereits zu müde dafür war. Von Beginn an hatte sie sich mit allem abgefunden, was das Leben ihr Geschenkt hatte.
Vor langer Zeit und vor wenigen Jahren.
Irgendwo hinter ihr knallte eine Tür zu, wurde wieder aufgetreten und entfesselte ein stimmliches Durcheinander. Diese Männer taten den lieben langen Tag nichts anderes, als sich zu streiten. Dem einen passte der festgelegte Verkaufspreis seiner Ware nicht, ein anderer war mit dem Ziel unzufrieden. Es gab immer wieder Zündstoff, der für Unruhe sorgte. Laut und herrisch stahl es ihr die Nächte, ließ sie schlaflos an die Zimmerdecke ihrer Kajüte starren und Thesen aufstellen, was die nächste große Aufgabe sein würde. Ein langweiliger Ablauf, der sie seit drei Tagen verfolgte.
Rapat lag in weiter Ferne und die nächste Insel bahnte sich langsam in ihr Sichtfeld.
„Hey!“ Kurzerhand unterbrach sie die Streithähne hinter sich.
Die Antwort war ein Murren, bevor man sich ihr widmete. „Was ist?“
„Diese Insel da, ich möchte dort abgesetzt werden.“ Mit dem Finger deutete sie auf einen noch recht kleinen Fleck mitten im Meer. Einer der Angesprochenen machte einige Schritte in ihre Richtung, um das Ziel zu begutachten, ehe er den Kopf schüttelte.
„Das ist Synochí, da gibt es nichts. Außerdem ist der Port zum Anlegen auf der anderen Seite, was bedeuten würde, dass wir sie einmal umrunden müssten.“
„Das ist nicht nötig, es reicht, wenn ihr nah genug heran segelt. Ihr müsst nicht einmal anlegen.“
Ihr Gesprächspartner zuckte lediglich mit den Schultern, bevor er einen Blick über die Schulter warf. Der Mann, mit dem er sich zuvor noch gestritten hatte, verzog die Lippen. Keiner von beiden störte sich an ihrer Bitte.
„Wenn du zurechtkommst.“ Ohne Weiteres winkte man ab, bevor man sie zurückließ.
Langsam richtete Naoe die Augen wieder in die Ferne, nahm das Rauschen des Wassers in sich auf und ließ die Gedanken noch ein wenig länger frei herumtanzen. Das Reisen war eine wundersame Sache, wenn man tagelang nur die Fische unter Wasser beobachtete und die Wolken schweigend verfolgte. Alles bestand aus einer besinnlichen Harmonie von Geräuschen, rechnete man die Laute ihrer Mitreisenden aus. Die See war einladend und es waren Momente wie diese, in denen Naoe verstand, wieso so viele Menschen Gefallen an dieser Naturgewalt fanden. Sie war sanft, gar harmlos, bis zu dem Moment, in dem sie ganze Inseln verschlang.
Synochí, ihr nächstes Ziel, rückte beständig näher, wuchs mit jeder Minute, in der sie Kurs hielten. Bis sie nahe genug dran waren.
Während die Händler noch immer querbeet über das Deck huschten und stritten, manifestierte Naoe einen ihrer Rahmen. Mit dem Wunsch an den Rand des mittlerweile sichtbaren Gehweges zu kommen, stieß sie das Fenster auf. Ein letzter Atemzug spendete ihr Kraft. Dann schritt sie auf die andere Seite.
Niemand bemerkte, wie sie verschwand; das Schiff zurückließ, als sei sie niemals dort gewesen.
Ein paar Meter voran führten sie zum Ausgang des Weges. Sie überbrückte ihn mit einem schmalen Lächeln und setzte Fuß auf das Gestein, das sie aus der Ferne gesehen hatte. Saubere, helle Arbeit. Kein einziger Riss zierte die Platten.
Kurz atmete Naoe durch und ließ den Blick schweifen. Zu ihrer Rechten erhob sich ein Gebäude, ähnlich einer Schule, gespickt mit tausenden Fenstern, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte und zu Boden fiel. Den Weg hinauf, vorbei an Bäumen und Straßenlampen, versteckte sich eine Kirche, hinter der die Stadt der Insel ihr Dasein fristete.
Es gab kein anderes Ziel. Ihr blieben nur die Menschenmassen in einem Ballungszentrum inmitten einer idyllischen Landschaft, die ihre Besucher vielleicht nur auf eine falsche Fährte führte. So wie Rapat es mit seinem beständigen Platzmangel getan hatte. Schlimmer als dort konnte es auf Synochí nicht werden.
Müde setzte sich die Revolutionärin sich in Bewegung, folgte dem Weg hinauf und musterte unablässig ihre Umgebung. Dunkelrote Ahornbäume brachten Farbe in ein beständiges Grün von Büschen und Eichen. Ein Anblick, der ihre Schritte leichter werden ließ. Es war wie ein sanfter, freundlicher Hauch, der zur Ruhe einlud. Die Natur war etwas Wundervolles. Es brauchte nur ein einziges Blatt, um ihr die Freiheit näher zu bringen.
Wenn man zwischen grauen Bauten und lauten Stimmen keinen Ausweg fand, dann waren es diese kaum merklichen Kleinigkeiten, die bewiesen, dass es noch andere Orte gab. Winzige Plätze, die man nur finden konnte, wenn man genauer hinsah. Der Ruhepol eines jeden und zugleich ein bisschen magisch im Angesicht all dessen, was den Menschen entging.
Augenblicklich hielt Naoe an und festigte den Blick auf die kurzgeschnittene Wiese außerhalb des Gehweges, sah zu den roten Blättern auf, die sich hin und wieder lösten, um dem Wind einem Tanz gleich zu folgen. Das Gefühl etwas verloren zu haben, wiegte sie in den Armen dieses Bildes. Dabei hatte sie alles, was sie jemals verloren hatte, provisorisch wieder zusammengetragen. Es brauchte nur einen Moment und alles war wieder genau dort, wo es hingewhörte. Gemischt mit anderen Gefühlen, die sie rätseln ließen.
Unsicherheit, entstanden aus einer unvollständigen Lüge.
Mit einem Schnauben senkte sie den Kopf.
Es war unmöglich alles zusammenzutragen, was verloren gegangen war. Sie wusste es und gab sich dennoch manchmal den Hirngespinsten hin, damit der Mut nicht zerbrach; damit sie nicht vergaß, was sie tun konnte.
Der Gedanke fraß an ihr, ließ Naoe die vagen Erinnerungen in den Hintergrund schieben und den bitteren Geschmack auf der Zunge herunterschlucken. Sich an etwas zu entsinnen, das einem nicht gehörte, war unangebracht. Ändern konnte sie ohnehin nichts. Die Chancen waren aufgebraucht.
Sie ließ die Bilder der Landschaft hinter sich, ging an der Kirche vorbei, deren Spitze viel zu weit in den Himmel empor ragte. Stand man genau vor dem Eingang, so konnte man das Ende dort oben kaum erkennen. Es hinterließ einen Laut des Erstaunens in Naoes Lungen, bevor sie sich abwandte und der Stadt widmete, die tatsächlich ihren Anfang seitlich der Kirche fand.
Sie würde etwas essen gehen, sich ein Zimmer nehmen und ausschlafen. All die unruhigen Nächte waren nicht unbemerkt an ihr vorbeigegangen. Ihr Körper war träge und ihre Augenlider hielten sich nur schwerlich oben.
Gerade als sie erneut losgehen wollte, um ihren Wünschen nachzukommen, rief man nach ihr. Eine alte Frau stolperte aus der Kirche. Bewaffnet mit einem Krückstock, eilte sie den Weg zu Naoe. Ihr gekrümmter Rücken und die dünnen Arme machten sie zerbrechlich. So sehr, dass Naoe sich wünschte, sie würde langsamer laufen.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Angespannt kam die Revolutionärin der Dame einige Schritte entgegen.
„Mein Kind, könntest du mir sagen, ob du meinen Bruder gesehen hast?“ Vor ihr kam die Fremde zum Stehen. Sie atmete schwer, erschöpft von der Suche, der sie bereits seit ein paar Stunden zu folgen schien.
„Ihren Bruder? Tut mir leid, ich habe bis jetzt noch niemanden hier angetroffen. Sie sind die erste Person, die mir über den Weg läuft. Wie sieht er denn aus?“ Vorsichtig beugte Naoe sich etwas herunter. Obwohl sie selbst klein war, schien die Alte noch sehr viel winziger zu sein.
Ihr Gegenüber atmete tief durch, ehe sie antwortete: „Er ist etwa so groß.“ Mit einer Hand zeigte sie Naoe die Größe des Vermissten, der ihr wohl nur bis zur Hüfte reichen sollte. „Außerdem hat er braune Haare“, fuhr sie fort, „und er trägt eine große Brille, hinter der seine Augen wie kleine Punkte aussehen.“
Jeder Satz, den die Frau sprach, wühlte sie auf. Ihre Stimmte wich einem weinerlichen Ton, der schon lange nach Hilfe suchte. Die müden Augen, umzingelt von Falten und Altersflecken, glänzten noch immer hoffnungsvoll. Vermutlich war ihr Bruder vor ein paar Tagen verschwunden und seitdem hatte sie ihn unermüdlich gesucht.
Unweigerlich wandte Naoe den Blick ab und zog die Brauen zusammen. Menschen, die sich so sehr für etwas einsetzten – sie lösten etwas in ihr aus, das sie nicht definieren konnte. Es machte die Brust eng und jeden Atemzug ein wenig schwerfälliger.
„Hören Sie, ich bin nicht gut darin jemanden zu finden. Aber ich kann Ihnen auf eine andere Art helfen. Wir reisen an den Tag zurück, an dem Ihr Bruder verschwunden ist und wir halten ihn einfach davon ab, zu verschwinden. Wie wäre es damit?“ Sie zwang ihre Augen wieder auf ihren Gegenüber, bevor sie den Kopf schief legte.
„Das geht?“ Hoffnungsvoll, ähnlich einem kleinen Mädchen, schien die bereits weiche Fassade der Unbekannten zu bröckeln. Tränen sammelten sich, ließen ihre Augen schimmern. Nur mühsam konnte sie ihr Schluchzen zurückhalten. „Ich bitte dich, mein Kind. Ich muss ihn nach Hause bringen.“
„Würden Sie mir denn Ihren Namen nennen?“
„Isobell. Mein Name ist Isobell, mein Kind.“ Die Angesprochene fasste ihre zitternde Stimme beisammen, als sei sie bereit alles zu tun. Sie musste ihren Bruder lieben und es machte die Entscheidung zu helfen, um ein vielfaches einfacher. Jemandem in Not zu helfen und ein ehrlich gemeintes „Dankeschön“ zu erhalten war an manchen Tagen besser, als eine lieblose Bezahlung. Es war eine Geste, die in dieser Welt viel zu selten genutzt wurde. Alles war irgendwann selbstverständlich geworden.
„Ich bin Naoe. Um meine Kraft zu benutzen, bräuchte ich einen Tropfen Blut von Ihnen.“
„Verstehe.“ Mühsam griff Isobell in die Tasche ihrer blauen, ein wenig zu weiten Jacke. Hervor holte sie eine Stecknadel.
Vorsichtig stach sie sich in eine Fingerkuppe, auf der sich die rote Flüssigkeit langsam zu einer Kuppel sammelte. Naoe strich mit ihrem Zeigefinger über das Gut, verrieb es zwischen ihm und dem Daumen. Kurz darauf zeichnete sie das Fenster, das die Vergangenheit verändern würde. Der Rahmen festigte sich im Nichts. Naoe zögerte nicht, die Fensterflügel zu öffnen und sich zurück zu ihrer Kundin zu drehen, die das Geschehen geistesabwesend verfolgte.
„Nun, ich muss Sie vorher darum bitten, sich nicht selbst über den Weg zu laufen. Sobald Ihr vergangenes Ich Sie erkennt, sterben Sie.“ Es war am einfachsten, direkt zu sein.
„Das ist kein Problem.“ Isobells Blick lag fest auf dem Fenster. „Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht erkennen werde. Ich kann es dir versprechen, mein Kind. Das werde ich nicht schaffen.“
Die Brauen gehoben, nahm Naoe die Worte ihres Gegenübers zur Kenntnis. „Nun, davon abgesehen möchte ich Sie bitten, sich auszuruhen. Ich werde mich um die Veränderung kümmern. Konzentrieren Sie sich nun bitte auf den Tag, an dem Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen haben. Das wird unser Start sein.“
Sie reichte Isobell die Hand, sodass sie beruhigt die Augen schließen konnte. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, als wäre die Qual endlich vorüber und Naoe konnte nicht anders, als sachte die Mundwinkel zu heben. Sie führte ihre Begleitung durch das Fenster, ließ sich innerlich spalten – in derselben, endlosen Manier wie es immer geschah – und erreichte die andere Seite. Einen Ort, erfüllt von Blumen und Teichen.
Nahegelegen fand sich eine Sitzbank, umgeben von rankenden Rosen, die sich ihren Weg über einen angebrachten Bogen bahnten. Wege aus hellem Stein führten durch die Beete verschiedenster Pflanzen hindurch, während man weiter hinten eine kleine Brücke angebracht hatte, die edel über einen Teich voller Seerosen reichte.
„Ein Park?“ Die Szenerie war eindeutig und dennoch musste Naoe nachfragen, während sie Isobell zur Bank führte und absetzte.
„Ja, hier haben wir uns aus den Augen verloren. Dort drüben, da, das sind wir. Oh, wie ich diese Zeit vermisse.“ Mit dem Finger deutete Isobell auf zwei Kinder, die hitzig diskutierten. Sie waren jung, nicht älter als zehn.
Ungläubig blickte Naoe zurück zu ihrer Begleitung, die selig lächelte. Es war eindeutig ihre Erinnerung. Ihre Aussage musste stimmen. Und doch war es schwer zu glauben, dass sie all die Jahre über gesucht hatte. Ein ganzes Leben lang, in der Hoffnung, jemanden nach Hause zu bringen.
„Wirst du dafür sorgen, dass er zurückkommt, mein Kind? Darf ich aufhören zu suchen? Ich bin müde… Achtzig Jahre lang habe ich gesucht. Ich bin so müde, mein Kind.“
„Ich werde mich darum kümmern, versprochen… Ruhen Sie sich einfach aus.“
Schwer schluckend wandte sich Naoe ab und widmete sich den Kindern. Ihre Regungen blieben unsicher, als sie auf die beiden Kinder zusteuerte, die sich langsam zu einigen schienen. Isobells kleines Ich drehte sich von ihrem Bruder weg und verdeckte die Augen. Ihr Bruder setzte zum Weglaufen an.
Dazwischenzugehen fühlte sich nicht richtig an. Diese Kinder wollten Spaß haben, ihren Tag genießen, und nicht auf den verdrehten Rat einer Unbekannten hören. Also wartete Naoe ab, blieb in greifbarer Nähe und beobachtete das Spiel.
Sie spielten Verstecken, ohne zu wissen, dass einer von ihnen verloren gehen würde. Vermutlich hatte sich der Junge, der jünger zu sein schien als seine Schwester, verlaufen und war irgendjemandem in die Hände geraten, der ihn verkauft hatte. Solche Dinge passierten nicht selten. In einer Welt voller Piraten, die nicht alle einfach nur nach Freiheit strebten, war schon lange nichts mehr unmöglich.
Isobell begann langsam zu zählen, was ihr Bruder nutze, um davonzulaufen. Er musste sich verstecken und wie es schien, steuerte er ein paar der äußeren Gebüsche an. Naoe folgte ihm ungesehen im Trab und versuchte genug Abstand zu halten, um nicht aufzufallen.
Seine kurzen Beinchen trugen ihn so schnell sie konnten über die Wiese hinweg, rüber zu einigen Sträuchern, durch die er sich hindurch zwang. Naoe konnte hingegen über das Gestrüpp hinwegsehen, sodass sie den Gehweg erkannte, der an einer niedrigen Mauer entlangführte. Man hatte sich für ein flaches Hindernis entschieden, um in regelmäßigen Abständen Säulen anzubringen, die sich krumm über das Gestein wölbten, um zu einem Torbogen zu verschmelzen. Ein wundervoller Ort, geeignet für liebende Pärchen, die den nahen Abgrund und die geringe Sicherheit vermutlich als Adrenalinstoß der Zuneigung benutzten. Momente, in denen es um Vertrauen ging. Sekunden, in denen sich Frauen gespielt ängstlich an die Brust eines Mannes klammerten.
Der Kleine preschte den bodennahen Hang herunter, auf den Gehweg, wobei er kurz zurück sah. Sein schelmischer Blick traf Naoes Sorgen, wobei er nicht nach vorn sah. Die Ablenkung ließ ihn stolpern. Sein kleiner Körper stieß mit einer jungen Frau zusammen, deren Getränk sich im selben Atemzug über ihr helles Sommerkleid ergoss. Ihr spitzer Aufschrei riss selbst ihren Partner aus seiner gedankenverlorenen Starre.
Es waren Sekunden, in denen sich die Welt zu verdrehen schien.
Der Mann fuhr den Jungen an, der sich hastig entschuldigte. Mutig streckte er die Brust heraus, verbeugte sich und bat um Verzeihung. Kein Gezappel. Keine Nervosität. Lediglich ein Junge, der verstanden hatte, in welcher Position er stand.
Die Frau nahm es mit einem sanften Lachen wahr. Ihre Vergebung kam schnell, der Schreck war verflogen, doch ihr Begleiter verstand weder die Umstände, noch das herzhafte Gemüt seiner Partnerin. Das Schimpfen auf seinen Lippen war herrisch, ließ sich nicht einmal durch die tadelnden Hände seiner Freundin beruhigen.
Dann holte er aus.
Augenblicklich rannte Naoe los – den Hang herunter zum Pärchen.
Aber sie kam zu spät, um den Schlag abzuhalten, der den Kleinen von den Sohlen fegte. Der Abstand zwischen Gehweg und Mauer war zu gering. Sie konnte noch hören, wie er keuchend mit der Hüfte gegen die Kante des Steins stieß und gleich darauf rücklings über das Gemäuer purzelte – bereit in die ewigen Arme des Abgrundes zu fallen.
Naoe hetzte an dem Paar vorbei, das vor Schock lediglich zusah, wie sich ein Leben dem Ende neigte. Mit einem Sprung stand sie auf der Mauer, wissend, dass sie die Hand des Jungen nicht mehr erreichen würde. Ihre Konzentration mischte sich mit Panik, die unerbittlich an ihr zehrte. Das Wimmern auf ihren Lippen bebte bis in ihre Schultern, als sie ein Fenster manifestierte, was mit einem Mal schrecklich lange dauerte. Jede Sekunde fühlte sich wie eine endlos währende Minute an.
Der Fall zog sich vor ihren Augen wie Kaugummi. Das hektische Pochen in ihrer Brust wirkte bedrohlich und alles in ihr wollte handeln. Sie hatte ein Versprechen gegeben. Ein einfaches Versprechen, das sie einhalten wollte.
Ein Fenster zu manifestieren war keine große Sache. Dennoch zerriss es sie innerlich. Einem Kind dabei zuzusehen, wie es in seinen sicheren Tod fiel, hatte eine ganz eigene Unart an sich, die Albträume weckte. Es war grausam zu wissen, dass es bereits einmal passiert war.
Die Arme von sich gestreckt, hielt Naoe die Luft an und wartete darauf, dass das Fenster sich über ihr als nächstes auftat. Sie sah noch, wie er hinter dem unteren Rahmen verschwand und sie bemerkte auch, wie die Scheiben über ihr zur Seite sprangen. Kurz darauf fiel er von oben herab und landete in ihren Armen. Sie fing ihn, drückte ihn fest an sich und sprang von der Mauer. Das Paar stand noch immer an Ort und Stelle und rührte sich keinen Zentimeter, bis Naoe ihnen einen starren Blick zuwarf. Die Frau verstand sofort. Ihr zögerliches Nicken war schüchtern, als sie ihren Geliebten am Ärmel erwischte und ihn hinter sich her zog – weit weg von diesem Chaos.
Naoe ließ sich hingegen auf die Knie fallen und setzte Isobells Bruder auf dem Boden ab. Seine Beine hielten ihn wackelig aufrecht. Sein Atem stolperte über die Lippen, kam einer Hetzjagd gleich, vor der er nicht hatte fliehen können. Dann legte er eine Hand auf die Brust und richtete die verschobene Brille auf seiner Nase.
„Warum hast du mich gerettet?“
„Weil ich es versprochen habe.“ Erleichtert seufzte Naoe auf. Isobells Bruder ging es gut, was auch bedeutete, dass es ein bisschen Trauer weniger gab.
Ihre Beine zitterten, verweigerten ihr das Aufstehen. Es war nicht der Fakt, dass sie etwas Gutes getan hatte, viel mehr traf sie die Erinnerung, das Wissen, was wirklich passiert war. Was zuvor wie ein einfaches Verschwinden gewirkt hatte, war letztlich der Tod gewesen. Ein Ende, das einem Kind die Zukunft geraubt hatte. Dabei hatten sie nur Verstecken gespielt. Sie hatten nur Spaß haben wollen. Und trotzdem hatte das Schicksal die Entscheidung getroffen, jedem eine eigene Hölle zukommen zu lassen.
Jahrzehnte lang hatte Isobell ihn gesucht, nicht darüber im Klaren, dass er tot war. Ihr ganzes Leben hatte sie dieser Suche gewidmet. Zugleich war es nun eine Erfahrung, eine Verbesserung, die all das in den Schatten stellen würde. Isobell würde sich in der Gegenwart an zwei Handlungen erinnern können; so lange, bis eine von beiden verblasste.
Die ewige Suche nach ihrem Bruder.
Und das Leben mit ihm zusammen.
Eine vollkommen andere Geschichte.
„Da bist du!“ Isobells jüngere Version lugte zwischen den Büschen hervor und setzte ein breites Grinsen auf, als sie ihren Bruder entdeckte. Dieser winkte ihr kurz zu, drehte sich dann aber noch einmal zu Naoe um.
„Danke, dass du … dass Sie mir das Leben gerettet haben, Lady.“
Naoe nickte lediglich und sah ihm dabei zu, wie er zu seiner Schwester zurückrannte. Leise seufzend sammelte sie sich, raffte sich dann auf und folgte den beiden in gemächlichen Schritten. Über das Gestrüpp hinweg, die Wiese entlang, zurück zur Bank, auf der Isobell saß und die Wolken am Himmel fixierte.
„Ich bin fertig. Gehen wir zurück.“ Naoe hielt ihr die Hand hin und schenkte Isobell ein wissendes Lächeln. Halb in Gedanken ergriff sie das Angebot.
Zusammen steuerten sie das Fenster an, fanden hindurch und Naoe erlangte etwas Maßgebliches zurück. Was man ihr beim Eintreten genommen hatte, gab man ihr bei der Rückkehr zurück.
Sie fanden hinaus in die Gegenwart der Insel, auf der alles seinen Anfang gefunden hatte. Das Fenster zerfiel hinter ihnen, verschwand im Nichts und ließ Naoe aufstöhnen. Die Müdigkeit gewann allmählich die Überhand.
„Das war alles … Ich hoffe, ich konnte helfen.“ Den Blick zu ihrer Begleitung gerichtet, ließ Naoe die Hand der alten Dame los. Diese schlurfte langsam voran, bevor sie sich umdrehte. Die Hoffnung in ihren Augen war verschwunden und dafür einem seligen Schimmer gewichen.
„Vielen Dank, mein Kind. Ich danke dir von ganzem Herzen.“
„Es gibt keinen Grund zu danken. Letztlich wissen wir beide, wie die Wahrheit aussieht. Sie konnten die Erinnerungen, die nun neu in Ihrem Kopf entstanden sind, niemals wirklich erleben.“
„Das ist nicht wahr.“ Kurzerhand schloss Isobell die Augen und wandte sich ab. „Diese Erinnerungen sind in meinem Kopf. Sie sind wundervoll und lassen das einst Geschehene in die Vergessenheit rücken. Ich bin zu alt, um mich an die hässlichen Seiten des Lebens zu erinnern, mein Kind. Viel zu alt. Dank dir konnte ich mein Leben leben. Ich habe so lange gesucht, viel zu lange. Nun hat sich meine Realität verändert. Meine Gegenwart. Sie ist nicht mehr traurig und erfüllt von endlos langen Tagen, an denen ich gesucht habe.“
Einen Moment lang ließ Isobell die Zeit an sich vorüberziehen. Sie schloss sie Augen. Atmete durch. Ihre Gedanken lösten sich erst dann wieder von ihrer Zunge, als sie Minuten verstrichen waren.
„Ich war mir immer sicher, ich würde meinen Bruder finden. Dabei wusste ich, dass er tot ist. Sie haben seine Leiche am unteren Ufer geborgen, wo ihn einer der spitzen Steine festhielt. Ich wollte es nicht wahrhaben, deshalb habe ich gesucht.“ Sie legte den Kopf in den Nacken. „Mein Kind, ich wollte ihn nicht gehen lassen. Doch ich bereue meine Suche nicht. Wenn ich jetzt nach Hause gehe, dann wartet dort ein Mann auf mich. Ich habe geheiratet, anstatt zu suchen. Meine Kinder und Enkelkinder, sie wohnen am Hafen, weil sie existieren. Mein Bruder wohnt direkt gegenüber in dem kleinen Haus mit den süßen Blumenverzierungen an der Tür, weil er am Leben ist. Er hat geheiratet und ein glückliches Leben geführt, da er dank dir eine Zukunft hatte. Ich bereue nichts, mein Kind. Ich bin dir dankbar. Das bin ich. Und nun möchte ich nicht mehr müde von der Suche sein. Meine Familie wartet auf mich.“
Wortlos sah Naoe zu, wie sich ihre Wege trennten. Isobell ging. Sie ließ all das einfach hinter sich und folgte dem Pfad zu einer Abzweigung, die sie außer Sicht schob. Naoe blieb zurück. Gefangen in dieser Gegenwart, die sie nicht nach Hause gehen ließ.
Frische Luft scheuchte die aufkommenden Gedanken davon. Sie hatte etwas Gutes getan und ihre Kundin war glücklich. Es war erfüllend, viel ausfüllender als die meisten Jobs, die sie sich antat. An Tagen wie diesen war sie dankbar dafür, dass man sie mit dieser Teufelsfrucht beschenkt hatte. Machte sie einen guten Nutzen aus ihrer Kraft, konnte sie etwas mehr Glück auf der Welt sehen.
Vielleicht nicht mehr ihr eigenes, aber es gab genug andere, die es brauchten.
Mit einem Seufzen lehnte Naoe sich an die Brüstung und ließ ihren Blick über das tiefe Blau des Meeres schweifen. Lichtstrahlen spiegelten sich, kreierten Muster, die von den leichten Wellen, die das Schiff teilte, zerbrochen wurden. Dinge entstanden, nur um niedergerissen zu werden – die See verdeutlichte es immer wieder. Was Menschen aufbauten, verschlang sie in einem Zug. Nicht allein; das tat sie niemals. Manchmal bekam sie Hilfe von Piraten, hin und wieder von der Marine, grundlegend aber von Menschen.
Naoe kannte die vernichtende Kraft ihrer Spezies. Wenn die Karten fielen, taten die falschen Leute alles, um Geheimnisse zu wahren, Geschehnisse zu vertuschen und Gefahren auszumerzen. Irgendwann blieb nichts mehr übrig außer Hass, der die weiße Gischt an Stränden eines Tages blutrot färben würde und vielleicht würde sie ihm dabei helfen. Wobei sie bereits zu müde dafür war. Von Beginn an hatte sie sich mit allem abgefunden, was das Leben ihr Geschenkt hatte.
Vor langer Zeit und vor wenigen Jahren.
Irgendwo hinter ihr knallte eine Tür zu, wurde wieder aufgetreten und entfesselte ein stimmliches Durcheinander. Diese Männer taten den lieben langen Tag nichts anderes, als sich zu streiten. Dem einen passte der festgelegte Verkaufspreis seiner Ware nicht, ein anderer war mit dem Ziel unzufrieden. Es gab immer wieder Zündstoff, der für Unruhe sorgte. Laut und herrisch stahl es ihr die Nächte, ließ sie schlaflos an die Zimmerdecke ihrer Kajüte starren und Thesen aufstellen, was die nächste große Aufgabe sein würde. Ein langweiliger Ablauf, der sie seit drei Tagen verfolgte.
Rapat lag in weiter Ferne und die nächste Insel bahnte sich langsam in ihr Sichtfeld.
„Hey!“ Kurzerhand unterbrach sie die Streithähne hinter sich.
Die Antwort war ein Murren, bevor man sich ihr widmete. „Was ist?“
„Diese Insel da, ich möchte dort abgesetzt werden.“ Mit dem Finger deutete sie auf einen noch recht kleinen Fleck mitten im Meer. Einer der Angesprochenen machte einige Schritte in ihre Richtung, um das Ziel zu begutachten, ehe er den Kopf schüttelte.
„Das ist Synochí, da gibt es nichts. Außerdem ist der Port zum Anlegen auf der anderen Seite, was bedeuten würde, dass wir sie einmal umrunden müssten.“
„Das ist nicht nötig, es reicht, wenn ihr nah genug heran segelt. Ihr müsst nicht einmal anlegen.“
Ihr Gesprächspartner zuckte lediglich mit den Schultern, bevor er einen Blick über die Schulter warf. Der Mann, mit dem er sich zuvor noch gestritten hatte, verzog die Lippen. Keiner von beiden störte sich an ihrer Bitte.
„Wenn du zurechtkommst.“ Ohne Weiteres winkte man ab, bevor man sie zurückließ.
Langsam richtete Naoe die Augen wieder in die Ferne, nahm das Rauschen des Wassers in sich auf und ließ die Gedanken noch ein wenig länger frei herumtanzen. Das Reisen war eine wundersame Sache, wenn man tagelang nur die Fische unter Wasser beobachtete und die Wolken schweigend verfolgte. Alles bestand aus einer besinnlichen Harmonie von Geräuschen, rechnete man die Laute ihrer Mitreisenden aus. Die See war einladend und es waren Momente wie diese, in denen Naoe verstand, wieso so viele Menschen Gefallen an dieser Naturgewalt fanden. Sie war sanft, gar harmlos, bis zu dem Moment, in dem sie ganze Inseln verschlang.
Synochí, ihr nächstes Ziel, rückte beständig näher, wuchs mit jeder Minute, in der sie Kurs hielten. Bis sie nahe genug dran waren.
Während die Händler noch immer querbeet über das Deck huschten und stritten, manifestierte Naoe einen ihrer Rahmen. Mit dem Wunsch an den Rand des mittlerweile sichtbaren Gehweges zu kommen, stieß sie das Fenster auf. Ein letzter Atemzug spendete ihr Kraft. Dann schritt sie auf die andere Seite.
Niemand bemerkte, wie sie verschwand; das Schiff zurückließ, als sei sie niemals dort gewesen.
Ein paar Meter voran führten sie zum Ausgang des Weges. Sie überbrückte ihn mit einem schmalen Lächeln und setzte Fuß auf das Gestein, das sie aus der Ferne gesehen hatte. Saubere, helle Arbeit. Kein einziger Riss zierte die Platten.
Kurz atmete Naoe durch und ließ den Blick schweifen. Zu ihrer Rechten erhob sich ein Gebäude, ähnlich einer Schule, gespickt mit tausenden Fenstern, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte und zu Boden fiel. Den Weg hinauf, vorbei an Bäumen und Straßenlampen, versteckte sich eine Kirche, hinter der die Stadt der Insel ihr Dasein fristete.
Es gab kein anderes Ziel. Ihr blieben nur die Menschenmassen in einem Ballungszentrum inmitten einer idyllischen Landschaft, die ihre Besucher vielleicht nur auf eine falsche Fährte führte. So wie Rapat es mit seinem beständigen Platzmangel getan hatte. Schlimmer als dort konnte es auf Synochí nicht werden.
Müde setzte sich die Revolutionärin sich in Bewegung, folgte dem Weg hinauf und musterte unablässig ihre Umgebung. Dunkelrote Ahornbäume brachten Farbe in ein beständiges Grün von Büschen und Eichen. Ein Anblick, der ihre Schritte leichter werden ließ. Es war wie ein sanfter, freundlicher Hauch, der zur Ruhe einlud. Die Natur war etwas Wundervolles. Es brauchte nur ein einziges Blatt, um ihr die Freiheit näher zu bringen.
Wenn man zwischen grauen Bauten und lauten Stimmen keinen Ausweg fand, dann waren es diese kaum merklichen Kleinigkeiten, die bewiesen, dass es noch andere Orte gab. Winzige Plätze, die man nur finden konnte, wenn man genauer hinsah. Der Ruhepol eines jeden und zugleich ein bisschen magisch im Angesicht all dessen, was den Menschen entging.
Augenblicklich hielt Naoe an und festigte den Blick auf die kurzgeschnittene Wiese außerhalb des Gehweges, sah zu den roten Blättern auf, die sich hin und wieder lösten, um dem Wind einem Tanz gleich zu folgen. Das Gefühl etwas verloren zu haben, wiegte sie in den Armen dieses Bildes. Dabei hatte sie alles, was sie jemals verloren hatte, provisorisch wieder zusammengetragen. Es brauchte nur einen Moment und alles war wieder genau dort, wo es hingewhörte. Gemischt mit anderen Gefühlen, die sie rätseln ließen.
Unsicherheit, entstanden aus einer unvollständigen Lüge.
Mit einem Schnauben senkte sie den Kopf.
Es war unmöglich alles zusammenzutragen, was verloren gegangen war. Sie wusste es und gab sich dennoch manchmal den Hirngespinsten hin, damit der Mut nicht zerbrach; damit sie nicht vergaß, was sie tun konnte.
Der Gedanke fraß an ihr, ließ Naoe die vagen Erinnerungen in den Hintergrund schieben und den bitteren Geschmack auf der Zunge herunterschlucken. Sich an etwas zu entsinnen, das einem nicht gehörte, war unangebracht. Ändern konnte sie ohnehin nichts. Die Chancen waren aufgebraucht.
Sie ließ die Bilder der Landschaft hinter sich, ging an der Kirche vorbei, deren Spitze viel zu weit in den Himmel empor ragte. Stand man genau vor dem Eingang, so konnte man das Ende dort oben kaum erkennen. Es hinterließ einen Laut des Erstaunens in Naoes Lungen, bevor sie sich abwandte und der Stadt widmete, die tatsächlich ihren Anfang seitlich der Kirche fand.
Sie würde etwas essen gehen, sich ein Zimmer nehmen und ausschlafen. All die unruhigen Nächte waren nicht unbemerkt an ihr vorbeigegangen. Ihr Körper war träge und ihre Augenlider hielten sich nur schwerlich oben.
Gerade als sie erneut losgehen wollte, um ihren Wünschen nachzukommen, rief man nach ihr. Eine alte Frau stolperte aus der Kirche. Bewaffnet mit einem Krückstock, eilte sie den Weg zu Naoe. Ihr gekrümmter Rücken und die dünnen Arme machten sie zerbrechlich. So sehr, dass Naoe sich wünschte, sie würde langsamer laufen.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Angespannt kam die Revolutionärin der Dame einige Schritte entgegen.
„Mein Kind, könntest du mir sagen, ob du meinen Bruder gesehen hast?“ Vor ihr kam die Fremde zum Stehen. Sie atmete schwer, erschöpft von der Suche, der sie bereits seit ein paar Stunden zu folgen schien.
„Ihren Bruder? Tut mir leid, ich habe bis jetzt noch niemanden hier angetroffen. Sie sind die erste Person, die mir über den Weg läuft. Wie sieht er denn aus?“ Vorsichtig beugte Naoe sich etwas herunter. Obwohl sie selbst klein war, schien die Alte noch sehr viel winziger zu sein.
Ihr Gegenüber atmete tief durch, ehe sie antwortete: „Er ist etwa so groß.“ Mit einer Hand zeigte sie Naoe die Größe des Vermissten, der ihr wohl nur bis zur Hüfte reichen sollte. „Außerdem hat er braune Haare“, fuhr sie fort, „und er trägt eine große Brille, hinter der seine Augen wie kleine Punkte aussehen.“
Jeder Satz, den die Frau sprach, wühlte sie auf. Ihre Stimmte wich einem weinerlichen Ton, der schon lange nach Hilfe suchte. Die müden Augen, umzingelt von Falten und Altersflecken, glänzten noch immer hoffnungsvoll. Vermutlich war ihr Bruder vor ein paar Tagen verschwunden und seitdem hatte sie ihn unermüdlich gesucht.
Unweigerlich wandte Naoe den Blick ab und zog die Brauen zusammen. Menschen, die sich so sehr für etwas einsetzten – sie lösten etwas in ihr aus, das sie nicht definieren konnte. Es machte die Brust eng und jeden Atemzug ein wenig schwerfälliger.
„Hören Sie, ich bin nicht gut darin jemanden zu finden. Aber ich kann Ihnen auf eine andere Art helfen. Wir reisen an den Tag zurück, an dem Ihr Bruder verschwunden ist und wir halten ihn einfach davon ab, zu verschwinden. Wie wäre es damit?“ Sie zwang ihre Augen wieder auf ihren Gegenüber, bevor sie den Kopf schief legte.
„Das geht?“ Hoffnungsvoll, ähnlich einem kleinen Mädchen, schien die bereits weiche Fassade der Unbekannten zu bröckeln. Tränen sammelten sich, ließen ihre Augen schimmern. Nur mühsam konnte sie ihr Schluchzen zurückhalten. „Ich bitte dich, mein Kind. Ich muss ihn nach Hause bringen.“
„Würden Sie mir denn Ihren Namen nennen?“
„Isobell. Mein Name ist Isobell, mein Kind.“ Die Angesprochene fasste ihre zitternde Stimme beisammen, als sei sie bereit alles zu tun. Sie musste ihren Bruder lieben und es machte die Entscheidung zu helfen, um ein vielfaches einfacher. Jemandem in Not zu helfen und ein ehrlich gemeintes „Dankeschön“ zu erhalten war an manchen Tagen besser, als eine lieblose Bezahlung. Es war eine Geste, die in dieser Welt viel zu selten genutzt wurde. Alles war irgendwann selbstverständlich geworden.
„Ich bin Naoe. Um meine Kraft zu benutzen, bräuchte ich einen Tropfen Blut von Ihnen.“
„Verstehe.“ Mühsam griff Isobell in die Tasche ihrer blauen, ein wenig zu weiten Jacke. Hervor holte sie eine Stecknadel.
Vorsichtig stach sie sich in eine Fingerkuppe, auf der sich die rote Flüssigkeit langsam zu einer Kuppel sammelte. Naoe strich mit ihrem Zeigefinger über das Gut, verrieb es zwischen ihm und dem Daumen. Kurz darauf zeichnete sie das Fenster, das die Vergangenheit verändern würde. Der Rahmen festigte sich im Nichts. Naoe zögerte nicht, die Fensterflügel zu öffnen und sich zurück zu ihrer Kundin zu drehen, die das Geschehen geistesabwesend verfolgte.
„Nun, ich muss Sie vorher darum bitten, sich nicht selbst über den Weg zu laufen. Sobald Ihr vergangenes Ich Sie erkennt, sterben Sie.“ Es war am einfachsten, direkt zu sein.
„Das ist kein Problem.“ Isobells Blick lag fest auf dem Fenster. „Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht erkennen werde. Ich kann es dir versprechen, mein Kind. Das werde ich nicht schaffen.“
Die Brauen gehoben, nahm Naoe die Worte ihres Gegenübers zur Kenntnis. „Nun, davon abgesehen möchte ich Sie bitten, sich auszuruhen. Ich werde mich um die Veränderung kümmern. Konzentrieren Sie sich nun bitte auf den Tag, an dem Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen haben. Das wird unser Start sein.“
Sie reichte Isobell die Hand, sodass sie beruhigt die Augen schließen konnte. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, als wäre die Qual endlich vorüber und Naoe konnte nicht anders, als sachte die Mundwinkel zu heben. Sie führte ihre Begleitung durch das Fenster, ließ sich innerlich spalten – in derselben, endlosen Manier wie es immer geschah – und erreichte die andere Seite. Einen Ort, erfüllt von Blumen und Teichen.
Nahegelegen fand sich eine Sitzbank, umgeben von rankenden Rosen, die sich ihren Weg über einen angebrachten Bogen bahnten. Wege aus hellem Stein führten durch die Beete verschiedenster Pflanzen hindurch, während man weiter hinten eine kleine Brücke angebracht hatte, die edel über einen Teich voller Seerosen reichte.
„Ein Park?“ Die Szenerie war eindeutig und dennoch musste Naoe nachfragen, während sie Isobell zur Bank führte und absetzte.
„Ja, hier haben wir uns aus den Augen verloren. Dort drüben, da, das sind wir. Oh, wie ich diese Zeit vermisse.“ Mit dem Finger deutete Isobell auf zwei Kinder, die hitzig diskutierten. Sie waren jung, nicht älter als zehn.
Ungläubig blickte Naoe zurück zu ihrer Begleitung, die selig lächelte. Es war eindeutig ihre Erinnerung. Ihre Aussage musste stimmen. Und doch war es schwer zu glauben, dass sie all die Jahre über gesucht hatte. Ein ganzes Leben lang, in der Hoffnung, jemanden nach Hause zu bringen.
„Wirst du dafür sorgen, dass er zurückkommt, mein Kind? Darf ich aufhören zu suchen? Ich bin müde… Achtzig Jahre lang habe ich gesucht. Ich bin so müde, mein Kind.“
„Ich werde mich darum kümmern, versprochen… Ruhen Sie sich einfach aus.“
Schwer schluckend wandte sich Naoe ab und widmete sich den Kindern. Ihre Regungen blieben unsicher, als sie auf die beiden Kinder zusteuerte, die sich langsam zu einigen schienen. Isobells kleines Ich drehte sich von ihrem Bruder weg und verdeckte die Augen. Ihr Bruder setzte zum Weglaufen an.
Dazwischenzugehen fühlte sich nicht richtig an. Diese Kinder wollten Spaß haben, ihren Tag genießen, und nicht auf den verdrehten Rat einer Unbekannten hören. Also wartete Naoe ab, blieb in greifbarer Nähe und beobachtete das Spiel.
Sie spielten Verstecken, ohne zu wissen, dass einer von ihnen verloren gehen würde. Vermutlich hatte sich der Junge, der jünger zu sein schien als seine Schwester, verlaufen und war irgendjemandem in die Hände geraten, der ihn verkauft hatte. Solche Dinge passierten nicht selten. In einer Welt voller Piraten, die nicht alle einfach nur nach Freiheit strebten, war schon lange nichts mehr unmöglich.
Isobell begann langsam zu zählen, was ihr Bruder nutze, um davonzulaufen. Er musste sich verstecken und wie es schien, steuerte er ein paar der äußeren Gebüsche an. Naoe folgte ihm ungesehen im Trab und versuchte genug Abstand zu halten, um nicht aufzufallen.
Seine kurzen Beinchen trugen ihn so schnell sie konnten über die Wiese hinweg, rüber zu einigen Sträuchern, durch die er sich hindurch zwang. Naoe konnte hingegen über das Gestrüpp hinwegsehen, sodass sie den Gehweg erkannte, der an einer niedrigen Mauer entlangführte. Man hatte sich für ein flaches Hindernis entschieden, um in regelmäßigen Abständen Säulen anzubringen, die sich krumm über das Gestein wölbten, um zu einem Torbogen zu verschmelzen. Ein wundervoller Ort, geeignet für liebende Pärchen, die den nahen Abgrund und die geringe Sicherheit vermutlich als Adrenalinstoß der Zuneigung benutzten. Momente, in denen es um Vertrauen ging. Sekunden, in denen sich Frauen gespielt ängstlich an die Brust eines Mannes klammerten.
Der Kleine preschte den bodennahen Hang herunter, auf den Gehweg, wobei er kurz zurück sah. Sein schelmischer Blick traf Naoes Sorgen, wobei er nicht nach vorn sah. Die Ablenkung ließ ihn stolpern. Sein kleiner Körper stieß mit einer jungen Frau zusammen, deren Getränk sich im selben Atemzug über ihr helles Sommerkleid ergoss. Ihr spitzer Aufschrei riss selbst ihren Partner aus seiner gedankenverlorenen Starre.
Es waren Sekunden, in denen sich die Welt zu verdrehen schien.
Der Mann fuhr den Jungen an, der sich hastig entschuldigte. Mutig streckte er die Brust heraus, verbeugte sich und bat um Verzeihung. Kein Gezappel. Keine Nervosität. Lediglich ein Junge, der verstanden hatte, in welcher Position er stand.
Die Frau nahm es mit einem sanften Lachen wahr. Ihre Vergebung kam schnell, der Schreck war verflogen, doch ihr Begleiter verstand weder die Umstände, noch das herzhafte Gemüt seiner Partnerin. Das Schimpfen auf seinen Lippen war herrisch, ließ sich nicht einmal durch die tadelnden Hände seiner Freundin beruhigen.
Dann holte er aus.
Augenblicklich rannte Naoe los – den Hang herunter zum Pärchen.
Aber sie kam zu spät, um den Schlag abzuhalten, der den Kleinen von den Sohlen fegte. Der Abstand zwischen Gehweg und Mauer war zu gering. Sie konnte noch hören, wie er keuchend mit der Hüfte gegen die Kante des Steins stieß und gleich darauf rücklings über das Gemäuer purzelte – bereit in die ewigen Arme des Abgrundes zu fallen.
Naoe hetzte an dem Paar vorbei, das vor Schock lediglich zusah, wie sich ein Leben dem Ende neigte. Mit einem Sprung stand sie auf der Mauer, wissend, dass sie die Hand des Jungen nicht mehr erreichen würde. Ihre Konzentration mischte sich mit Panik, die unerbittlich an ihr zehrte. Das Wimmern auf ihren Lippen bebte bis in ihre Schultern, als sie ein Fenster manifestierte, was mit einem Mal schrecklich lange dauerte. Jede Sekunde fühlte sich wie eine endlos währende Minute an.
Der Fall zog sich vor ihren Augen wie Kaugummi. Das hektische Pochen in ihrer Brust wirkte bedrohlich und alles in ihr wollte handeln. Sie hatte ein Versprechen gegeben. Ein einfaches Versprechen, das sie einhalten wollte.
Ein Fenster zu manifestieren war keine große Sache. Dennoch zerriss es sie innerlich. Einem Kind dabei zuzusehen, wie es in seinen sicheren Tod fiel, hatte eine ganz eigene Unart an sich, die Albträume weckte. Es war grausam zu wissen, dass es bereits einmal passiert war.
Die Arme von sich gestreckt, hielt Naoe die Luft an und wartete darauf, dass das Fenster sich über ihr als nächstes auftat. Sie sah noch, wie er hinter dem unteren Rahmen verschwand und sie bemerkte auch, wie die Scheiben über ihr zur Seite sprangen. Kurz darauf fiel er von oben herab und landete in ihren Armen. Sie fing ihn, drückte ihn fest an sich und sprang von der Mauer. Das Paar stand noch immer an Ort und Stelle und rührte sich keinen Zentimeter, bis Naoe ihnen einen starren Blick zuwarf. Die Frau verstand sofort. Ihr zögerliches Nicken war schüchtern, als sie ihren Geliebten am Ärmel erwischte und ihn hinter sich her zog – weit weg von diesem Chaos.
Naoe ließ sich hingegen auf die Knie fallen und setzte Isobells Bruder auf dem Boden ab. Seine Beine hielten ihn wackelig aufrecht. Sein Atem stolperte über die Lippen, kam einer Hetzjagd gleich, vor der er nicht hatte fliehen können. Dann legte er eine Hand auf die Brust und richtete die verschobene Brille auf seiner Nase.
„Warum hast du mich gerettet?“
„Weil ich es versprochen habe.“ Erleichtert seufzte Naoe auf. Isobells Bruder ging es gut, was auch bedeutete, dass es ein bisschen Trauer weniger gab.
Ihre Beine zitterten, verweigerten ihr das Aufstehen. Es war nicht der Fakt, dass sie etwas Gutes getan hatte, viel mehr traf sie die Erinnerung, das Wissen, was wirklich passiert war. Was zuvor wie ein einfaches Verschwinden gewirkt hatte, war letztlich der Tod gewesen. Ein Ende, das einem Kind die Zukunft geraubt hatte. Dabei hatten sie nur Verstecken gespielt. Sie hatten nur Spaß haben wollen. Und trotzdem hatte das Schicksal die Entscheidung getroffen, jedem eine eigene Hölle zukommen zu lassen.
Jahrzehnte lang hatte Isobell ihn gesucht, nicht darüber im Klaren, dass er tot war. Ihr ganzes Leben hatte sie dieser Suche gewidmet. Zugleich war es nun eine Erfahrung, eine Verbesserung, die all das in den Schatten stellen würde. Isobell würde sich in der Gegenwart an zwei Handlungen erinnern können; so lange, bis eine von beiden verblasste.
Die ewige Suche nach ihrem Bruder.
Und das Leben mit ihm zusammen.
Eine vollkommen andere Geschichte.
„Da bist du!“ Isobells jüngere Version lugte zwischen den Büschen hervor und setzte ein breites Grinsen auf, als sie ihren Bruder entdeckte. Dieser winkte ihr kurz zu, drehte sich dann aber noch einmal zu Naoe um.
„Danke, dass du … dass Sie mir das Leben gerettet haben, Lady.“
Naoe nickte lediglich und sah ihm dabei zu, wie er zu seiner Schwester zurückrannte. Leise seufzend sammelte sie sich, raffte sich dann auf und folgte den beiden in gemächlichen Schritten. Über das Gestrüpp hinweg, die Wiese entlang, zurück zur Bank, auf der Isobell saß und die Wolken am Himmel fixierte.
„Ich bin fertig. Gehen wir zurück.“ Naoe hielt ihr die Hand hin und schenkte Isobell ein wissendes Lächeln. Halb in Gedanken ergriff sie das Angebot.
Zusammen steuerten sie das Fenster an, fanden hindurch und Naoe erlangte etwas Maßgebliches zurück. Was man ihr beim Eintreten genommen hatte, gab man ihr bei der Rückkehr zurück.
Sie fanden hinaus in die Gegenwart der Insel, auf der alles seinen Anfang gefunden hatte. Das Fenster zerfiel hinter ihnen, verschwand im Nichts und ließ Naoe aufstöhnen. Die Müdigkeit gewann allmählich die Überhand.
„Das war alles … Ich hoffe, ich konnte helfen.“ Den Blick zu ihrer Begleitung gerichtet, ließ Naoe die Hand der alten Dame los. Diese schlurfte langsam voran, bevor sie sich umdrehte. Die Hoffnung in ihren Augen war verschwunden und dafür einem seligen Schimmer gewichen.
„Vielen Dank, mein Kind. Ich danke dir von ganzem Herzen.“
„Es gibt keinen Grund zu danken. Letztlich wissen wir beide, wie die Wahrheit aussieht. Sie konnten die Erinnerungen, die nun neu in Ihrem Kopf entstanden sind, niemals wirklich erleben.“
„Das ist nicht wahr.“ Kurzerhand schloss Isobell die Augen und wandte sich ab. „Diese Erinnerungen sind in meinem Kopf. Sie sind wundervoll und lassen das einst Geschehene in die Vergessenheit rücken. Ich bin zu alt, um mich an die hässlichen Seiten des Lebens zu erinnern, mein Kind. Viel zu alt. Dank dir konnte ich mein Leben leben. Ich habe so lange gesucht, viel zu lange. Nun hat sich meine Realität verändert. Meine Gegenwart. Sie ist nicht mehr traurig und erfüllt von endlos langen Tagen, an denen ich gesucht habe.“
Einen Moment lang ließ Isobell die Zeit an sich vorüberziehen. Sie schloss sie Augen. Atmete durch. Ihre Gedanken lösten sich erst dann wieder von ihrer Zunge, als sie Minuten verstrichen waren.
„Ich war mir immer sicher, ich würde meinen Bruder finden. Dabei wusste ich, dass er tot ist. Sie haben seine Leiche am unteren Ufer geborgen, wo ihn einer der spitzen Steine festhielt. Ich wollte es nicht wahrhaben, deshalb habe ich gesucht.“ Sie legte den Kopf in den Nacken. „Mein Kind, ich wollte ihn nicht gehen lassen. Doch ich bereue meine Suche nicht. Wenn ich jetzt nach Hause gehe, dann wartet dort ein Mann auf mich. Ich habe geheiratet, anstatt zu suchen. Meine Kinder und Enkelkinder, sie wohnen am Hafen, weil sie existieren. Mein Bruder wohnt direkt gegenüber in dem kleinen Haus mit den süßen Blumenverzierungen an der Tür, weil er am Leben ist. Er hat geheiratet und ein glückliches Leben geführt, da er dank dir eine Zukunft hatte. Ich bereue nichts, mein Kind. Ich bin dir dankbar. Das bin ich. Und nun möchte ich nicht mehr müde von der Suche sein. Meine Familie wartet auf mich.“
Wortlos sah Naoe zu, wie sich ihre Wege trennten. Isobell ging. Sie ließ all das einfach hinter sich und folgte dem Pfad zu einer Abzweigung, die sie außer Sicht schob. Naoe blieb zurück. Gefangen in dieser Gegenwart, die sie nicht nach Hause gehen ließ.
Frische Luft scheuchte die aufkommenden Gedanken davon. Sie hatte etwas Gutes getan und ihre Kundin war glücklich. Es war erfüllend, viel ausfüllender als die meisten Jobs, die sie sich antat. An Tagen wie diesen war sie dankbar dafür, dass man sie mit dieser Teufelsfrucht beschenkt hatte. Machte sie einen guten Nutzen aus ihrer Kraft, konnte sie etwas mehr Glück auf der Welt sehen.
Vielleicht nicht mehr ihr eigenes, aber es gab genug andere, die es brauchten.