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Copy Paste: Fenster der Vergangenen

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Romance / P18 / Het
Eustass Kid Monkey D. Ruffy OC (Own Character) Sakazuki / Akainu Trafalgar D. Water Law Vergo
03.01.2018
16.09.2018
59
180.953
38
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Dieses Kapitel
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05.01.2018 3.657
 
Sie warf die Zeitung in die nächstbeste Mülltonne, wissend, dass keine Veränderung folgen würde. Dazu waren die Mächte dort draußen noch immer zu stabil.

Dass Big Mom gefallen war, bedeutete lediglich einen freien Platz unter den Kaisern der Meere. Einige Piraten würden nun alles geben, um den Posten zu ergattern und zu den mächtigsten Herrschern auf den blauen Wellen der vermeintlichen Freiheit zu gehören. Lange würde es nicht dauern, bis sie jemanden fanden, der das zurückgelassene Loch stopfen würde.

Die meisten Menschen hatten als Alternative vermutlich Trafalgar Law im Hinterkopf; den einzigen Menschen, der so aussah, als würde er den Anforderungen gerecht werden. Allerdings machte er keine gute Figur in Spielen wie diesem. Es gab so viele Piraten, die sich besser eigneten; es musste nur einer von ihnen das Zepter in die Hand nehmen.

Als Whitebeard fiel, war es Blackbeard gewesen, der den Sprung aufs Podium gewagt hatte, und nahm man die Informationen ernst, die durch die bedrückenden Gassen mancher Inseln kursierten, dann gab es einen Kandidaten, den die meisten bereits in der Rolle Big Moms sahen.

Edward Weevil; Whitebeards Sohn, wie es hieß.

Wie viel Wahrheit in dem Gerücht steckte, war Naoe egal. Wer auch immer den Posten übernehmen würde, schlimmer als Blackbeard konnte es nicht werden. Dafür fehlte es den meisten Piraten an Skrupellosigkeit neben Mächten, die zuvor noch keiner gesehen hatte. Er allein war jemand, der das Gleichgewicht aus den Fugen riss.

Ein Problem, auf das sie alle eine Lösung finden mussten.

Das Seufzen auf den Lippen ließ sie den Kopf schütteln.

Was in der Zukunft lag, konnte noch von so vielen Leuten verändert werden, dass es sinnlos war, zu sinnieren. Viel wichtiger war die Gegenwart, die sich langsam, mit jeder Sekunde, in eine Vergangenheit verwandelte.

Sie ließ den Blick schweifen und versuchte zwischen all den Menschen, die sich dicht an dicht pressten, einen ruhigen Fleck ausfindig zu machen, an dem sie länger verweilen konnte. Pausen waren wichtig und gegessen hatte sie auch noch nichts. Das Einsetzen ihrer Teufelsfrucht verlangte große Mengen Konzentration und Energie. Ein kleiner Preis dafür, dass die Welt in ihren Händen lag – ungewollt und dennoch mehr Geschenk als Fluch.

Den Blick zu Boden gerichtet, quetschte Naoe sich durch zwei Menschen hindurch, deren heißen Körper sie für einen Moment einengten. Sie war zu klein, um beim Aufsehen etwas anderes als breite Rücken und sich ständig bewegende Gliedmaßen zu erkennen. Alles war nicht mehr als ein endloser Schwall von Gerüchen, Geräuschen und nahtlosen Übergängen zwischen weißen und grauen Kleiderstücken. Es zehrte an ihrer Geduld, bereitete Kopfschmerzen, und irgendwann entschied Naoe sich gegen das Essen. Stattdessen suchte sie erneut Zuflucht in einer der Gassen, in der sie sich an eine Wand lehnte und durchatmete. Es war, als würde man jemandem die Luft abschnüren und gleichzeitig nur die schlechte Luft hindurchlassen. Wie auch immer die Menschen ihren Alltag überstanden, für sie war es nichts weiter als der Horror einer engen Stadt.

Noch zweimal atmete sie durch, bevor sie sich von der Wand abstieß und sich in Bewegung setzte. Die Gasse zog langsam an ihr vorbei, ließ sie den Geräuschen im Hintergrund lauschen – Gespräche, die immer weiter in den Hintergrund rückten. Mit jedem Schritt kehrte sie zu sich selbst zurück, beruhigte sich innerlich. Nichts war entspannender, als ein ruhiger Moment im hektischen Treiben anderer.

Es begleitete sie ein Stück, ehe sie das eindringliche Geräusch ihrer Teleschnecke aufhorchen ließ. Angewidert holte sie das handliche Tierchen aus der Innentasche ihres Ponchos und nahm den Anruf entgegen.

„Was gibt es?“ Das Murren in ihrer Stimme reichte auf die andere Seite der Leitung, sodass sich ihr Gesprächspartner räusperte. Das Geraschel von Papier drang zu ihr durch, rückte das Chaos in den Vordergrund, das bei ihrer Gehilfin herrschen musste.

Erst, als alles an Ort und Stelle zu sein schien, richtete sich die fröhliche Stimme Koalas an sie. „Ich habe einen Auftrag für dich!“

„Das ging schnell …“

„Du klingst nicht sehr begeistert. Lief der erste Auftrag nicht gut?“

„Lief wunderbar.“ Sie konnte sich das Schnauben nicht verkneifen. Es war ein minimales Desaster gewesen. Nervig genug, um das Thema vom Tisch zu schieben. „Aber das ist bereits der zweite Auftrag heute. So etwas zehrt an mir, das weißt du, oder?“

„Tut es das? Sagtest du nicht mal, dass du ganze viermal am Tag in der Zeit zurück kannst?“

„Ich beschränke mich gerne auf zwei, um danach noch fliehen zu können.“

„Zwei, vier, da ist doch kein Unterschied. Du packst das schon!“ Als würde sie es besser wissen, umging Koala die Grenzen. So war es schon immer gewesen. Ohne diese Zuversicht, gab es keinen Weg sich zu steigern. Irgendwie brauchte es jemanden, der auf sie setzte, auch wenn es Hindernisse gab. Am Anfang hatte sie gerade ein einziges Mal in die Vergangenheit gekonnt und war danach völlig ausgelaugt gewesen. Mittlerweile reichte ihre Kraft für vier Versuche, auch wenn es sie auf den Grund der Bewegungslosigkeit zwang. Zweimal genügte, um das Maß zu füllen. Ein dritter Versuch galt als Notfall und ein weiterer als inniger Todeswunsch.

„Wie auch immer, befindet sich der Kunde auf dieser Insel?“

„Tut er!“ Passend zu Koalas freudiger Aussage, sah die Teleschnecke Naoe breit grinsend an. „Die Menschen auf Rapat scheinen wohl immer wieder einer Besserung willig.“

„So wie diese Insel aussieht, kann ich das verstehen. Was haben wir an Informationen?“

Wieder ertönte das Rascheln auf der anderen Seite, bevor ihre Gesprächspartnerin das Wort erfasste. „Nicht viel. Es ist ein Mann, Anfang zwanzig. Er will, dass es schnell geht. Der Auftrag ist bereits geprüft, also kann ich dir versichern, dass er ein guter Kerl ist. Zumindest dem Anschein nach. Er ist jung, so viel kann er noch gar nicht falsch gemacht haben.“

„Wenn er für die Konstruktion von Rapat verantwortlich ist, dann hat er alles falsch gemacht.“ Den Hauch von Hohn konnte Naoe nicht verkneifen. Die Insel war dazu viel zu beengend. Hinzukommend war die Aufforderung für schnelle Dienste nichts, dem sie mit Freude entgegenstand. Die Menschen neigten dazu, die Vergangenheit zu unterschätzen – sie hatten es alle einfach viel zu eilig. „Und wo muss ich hin?“

„Östlich zum Rande der Stadt, zum Hafen der Fischer.“

„Also von 'inmitten von allem' zu 'am Rande von Nichts'.“

„Naoe, jetzt hör auf zu nörgeln!“ Während die Teleschnecke sie mit einem tadelnden Blick strafte, unterstrich Koala das unangenehme Gefühl mit einer genervten Stimme. „Du musst die Insel nicht mögen, um deine Aufträge zu bearbeiten. Geh und mach dich nützlich!“

Obwohl Naoe noch nach Luft schnappte, um etwas zu antworten, ließ man sie allein zurück. Koala hatte keine Zeit dafür und vermutlich hatte Naoe sie ebenso wenig. Aber dem Unmut ein kleines bisschen Luft zu machen, war besser, als ihn zu schlucken. Dafür gab es bereits genug andere Probleme, die sie konsumierten.

Die Teleschnecke verstaute sie an ihrem üblichen Platz, bevor sie den Gassen weiter folgte. Hätte man nicht alle Stände und Geschäfte auf einen geraden Weg durch die Insel gesetzt, wären die Menschen besser verteilt gewesen. Gleichzeitig verstand sie nicht, warum niemand gingen. Es gab so viele Inseln in der neuen Welt, auf denen es so viel mehr Platz gab, als auf Rapat. Die meisten wären an einem solchen Ort glücklicher gewesen. Bestimmt.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung verdrängte sie den Gedanken. Ihr Interesse sollte keinen Dingen gelten, die nur von kurzer Dauer waren. An erster Stelle stand ihr Kunde, um den sie sich kümmern sollte. Der Hafen der Fischer war bereits in der Nähe, was auch bedeutete, dass sie die Flucht ergreifen konnte, sobald sie ihr Nötigstes getan hatte. Es gab andere Inseln, die ebenfalls nach ihren Diensten verlangten und im Augenblick wäre ihr jeder Ort lieber als Rapat.

Die Wände der Wohnhäuser gewannen mit der Zeit Abstand zueinander. Zu den Außenmauern hin, die die Stadt bildhaft einrahmten, schien man Platz gelassen zu haben, weil es von außerhalb einen hübscheren Eindruck machte. Befand man sich nicht gerade inmitten von drängenden Personen und verschwitzen Stoffen, machte der erste Blick etwas her. Ähnlich einer kleinen Festung, wenn man vom Meer aus auf die Insel sah. Im ersten Moment wollte man nicht daran denken, wie schnell man sich am kalten Grau der Bauten sattsehen konnte. Alles, was den ersten Eindruck einladend machte, entpuppte bei genauerem Hinsehen seine hässliche Seite.

Kopfschüttelnd visierte Naoe das äußere Gestein an, um sich über den Rand zu beugen und einen Blick nach unten zu werfen. Es waren vielleicht vier Meter, die sie vom sandigen Boden der Küste trennten. Vier Meter, die sie mit einem Sprung bewältigte.

Die bräunlichen Körner knirschten ungehalten unter den Sohlen ihrer dunkelblauen Stiefel, weshalb sie für wenige Sekunden in ihrer Position erstarrte. Obwohl es so viel leiser war, als das laute Durcheinander im Inneren der Stadt, bereitete ihr das reibende Geräusch sprunghafte Unruhe im Inneren. Ein wenig, als hätte man sie im Blick. Als könnte sie in diesen Sekunden nicht entkommen, weil sie nicht wusste, wo sich ihr Feind versteckte.

Ihre Augen streiften über die Weiten von Sand und Meer, bis ihre Aufmerksamkeit an einem kleinen Fischerboot hängenblieb, das nahe einem winzigen Haus angelegt hatte; vermutlich ein Lagerraum, in dem man die Ausbeute überprüfte und verstaute.

Naoe versuchte sich ein genaueres Bild von ihrem Ziel zu machen. Es war heruntergekommener als erwartet. Die weiße Fassade des Hauses war kaum noch zu erkennen. Dreck zierte die Holzlatten und Schimmel bildete sich am unteren Rand, von wo aus er langsam seinen Weg nach oben fand. Die Feuchtigkeit machte dem Unterschlupf zu schaffen. Dem Dach fehlten Platten, sodass das nackte Holz seine morsche Substanz kaum noch beisammen halten konnte. Irgendwann würde es einstürzen, angefangen mit dem Schiefer, der eigentlich den Innenraum vor Regen bewahren sollte.

Es war ein trauriger Anblick, der Naoe langsamer werden ließ. Schon viel zu oft hatte sie kleine Schuppen und Heimaten gesehen, die starben. Sie verkamen durch fehlende Mittel, die man für die Instandhaltung brauchte. Oftmals mangelte es einfach an Geld.

Eigentlich lag es immer am Geld.

Die letzten Meter brachte sie schleppend hinter sich. Erst dann umrundete sie die kleine Baute. Das schwere Gefühl in ihrem Herzen verging nicht für einen Moment. Zu wissen, dass es den Besitzern an einigem fehlen musste, wirkte wie eine ewig währende Seite, die sie nicht umblättern konnte. Vielleicht hatte man sie genau deswegen an diesen Ort bestellt. Es war nicht unwahrscheinlich, dass es irgendwo in der Vergangenheit einen Punkt gab, an dem es besser sein musste. Manchmal versteckten sich ungeahnte Chancen in den vergangenen Tagen, die man erst dann bemerkte, wenn es zu spät war.

Kurzerhand sammelte Naoe ihren Mut und atmete durch, ehe sie die Eingangstür öffnete. Augenblicklich schlug ihr modrig riechende Luft entgegen, die einen metallisch verdorbenen Geruch mit sich brachte. Ein Gestank, der sie davon abhielt, die Tür komplett zu öffnen. Alles in ihr bebte, zögerte, auch nur einen Schritt nach vorn zu machen. Doch der Auftrag wartete auf sie und sie durfte ihre Klienten nicht warten lassen. Folglich stieß sie die Absperrung mit einem Tritt auf, wobei sie gierig die Luft der Außenwelt einsog und anhielt, ehe sie eintrat.

Und stockte.

Ihre Aufmerksamkeit fiel ohne Umschweife auf den Körper zu ihren Füßen. Mit dem Gesicht zum Boden gewandt, badete er in seinem eigenen Blut – geronnen und dickflüssig, klebrig im Angesicht des Wetters. Braune Haare hatten sich verklebt, während sein Schädel nicht länger beisammen hielt. Rosa fleckige Knochen ragten empor; an einigen Stellen gesplittert. Graue Flecken zierten die einst rosige Masse darunter, die nun von Holzsplittern geziert wurde – und der einzig Verantwortliche dafür musste der Mann sein, der ihr gegenüber am Fenster stand. Zwar hatte er ihr den Rücken zugewandt, doch Naoe hätte ihn überall wiedererkannt.

Deine Anwesenheit überrascht mich. Du hast meinen Kunden getötet.“ Sie verweilte im Türrahmen und versuchte, trotz lockerer Pose, keine falsche Bewegung zu machen.

Selbst als er sich langsam zu ihr umdrehte, konnte sie sich nicht von der Stelle bewegen, klebte in diesem Rahmen wie eine furchtlose Kämpferin, die sie noch nie gewesen war. Das einzige, was sie wusste, war, dass er sie lebend brauchte. Solange er etwas von ihr wollte, würde er sie nicht töten.

„Er war mir im Weg. Ich habe keine Verwendung für Menschen, die nichts als Probleme darstellen. Ich war immerhin gütig genug, ihn schnell sterben zu lassen.“ Er hielt die Hände hinter dem Rücken gefaltet, während er einen Schritt auf sie zumachte. Seitdem man ihn aus der Marine verbannt hatte, wirkte sein Auftreten düster. Den weißen Mantel hatte er durch einen braunen eingetauscht, wobei er das übliche Karomuster beibehielt. Die schmale Sonnenbrille war noch immer dieselbe und verdeckte seine Augen zu Naoes Leidwesen. Wenn jemand so steife Gesichtszüge wie Vergo besaß, brauchte es einen Blick, den man deuten konnte. Etwas, das sie von ihm nicht bekommen konnte. Nicht zu wissen, was in dem Kopf dieses Mannes vor sich ging, war eine der gefährlichsten Sachen in einer Situation wie dieser.

„Verwechsel deine Güte nicht mit übermütigem Handeln. Du bist meinetwegen hier, das ist logisch. Was willst du von mir? Reicht es denn nicht, dass du wider Erwarten noch am Leben bist?“ Naoes Schultern bebten vor Anspannung.

„Dasselbe, wie auch zuvor schon. Deine Dienste.“

„Du willst dich also noch einmal mit Trafalgar Law anlegen und beinahe bei einer Explosion sterben? Dir ist bewusst, dass du keine Chance gegen ihn hast? Er war stärker, als dein Ich von diesen Tagen.“

„Deshalb nehme ich meinen eigenen Platz ein.“

Seine kalten und zugleich großkotzigen Worte entlockten Naoe ein liebloses Lachen. Vergos Arroganz kannte schon lange keine Grenzen mehr. Sie waren mit seinem Verstand auf Punk Hazard in die Luft gegangen.

„Abgelehnt. Ich finde es gut so, wie es ist. Man hat dich aus der Marine geworfen, weil du ein Verräter bist. Als Doflamingos Handlanger ist diese Strafe sogar noch zu milde. Ich hätte dich dafür aufgehangen. Besser wäre es gewesen, wenn du bei der Explosion in Stücke gerissen worden wärst. Es ist schon schändlich genug, dass jemand dumm genug war, dich zu retten. Davon mal abgesehen, warst du noch nie sonderlich gerecht. Die Marine war nichts für dich. Ich werde dich ganz bestimmt nicht zurücklassen, nur, damit du Law umbringen kannst. Was wäre denn dann das Resultat? Ein Größenwahnsinniger, der Impel Down entgeht und ein zwielichtiger Köter, der alles tut, was der Wahnsinn ihm befielt? Danke, nein. Du und Doflamingo könnt gerne da bleiben, wo ihr seid.“ In Abwehr hob Naoe die Hände und verdeutlichte, dass sie seiner Bitte nicht nachkommen würde. Es war bereits das dritte Mal diesem Monat, dass er ihre Dienste verlangte. Die Niederlage gegen Trafalgar, sowie der nahe Tod, hatten seinen Stolz angekratzt und allein um diese Kleinigkeit rückgängig zu machen, rannte er ihr hinterher wie ein ewiger Gefährte, den sie nicht abschütteln konnte. Das größte Problem war allerdings, dass er sie niemals gehen lassen wollte.

Langsam holte Vergo die Hände hinter dem Rücken hervor und legte den Kopf schief. Systematisch fiel ihr Blick auf einen Löffel, der an seiner Wange klebte und nun im staubigen Licht aufblitzte. Seine Mundwinkel wanderten sichtlich nach unten und zogen den seltsam geschnittenen Bart mit sich. Vermutlich knirschte er mit den Zähnen, denn seine Wangenmuskeln zuckten in unregelmäßigen Abständen auffallend zusammen. „Du kannst mir den Dienst nicht ewig verweigern. Du solltest dankbar sein, dass ich ein Nichts, wie du es bist, überhaupt um Hilfe bitte.“

„Oh ja, ich vergaß. Der große Vergo, der nun niemanden mehr hat, ist besser dran als ich.“ Seine provokante Art spornte sie an. Es war widerlich, anstrengend, nicht fair, wie er sich für etwas Besseres hielt. Immerzu sah er auf alles und jeden herab, der nicht offiziell über ihm stand oder Eindruck hinterlassen hatte. In seinen Augen war sie nur ein klägliches Licht der Revolutionsarmee.

„Dich nicht gehen zu lassen, ist in diesem Fall irrsinnig. Du bist zur Flucht bereit und niemand kann durch deine Fenster gehen, wenn du es nicht willst.“

„Zumindest diesen Teil hast du eingesehen. Ich mag zwar keine Kämpferin sein, aber das spielt auch keine Rolle, wenn man Meister der Flucht ist. Du brauchst meine Kraft, weil alles andere zu kompliziert ist. Würdest du mich töten, müsstest du meine Teufelsfrucht irgendwo auf diesem Planeten erneut ausfindig machen und wer weiß, wer sie als nächstes verspeist.“

„Vielleicht.“ Seine Antwort hatte keinen großen Sinn auf ihre Worte, doch sein Ziel hatte er erreicht. Sie war zu abgelenkt von seinem Verhalten, als dass sie sich hätte rechtzeitig wehren können.

Seine Geschwindigkeit war mit dem Auge nicht zu erfassen.

Noch bevor sie registrierte, was passierte, stand er vor ihr und holte aus. Sie kannte seinen ersten Zug nur zu gut. Er besaß ein Muster. Genau deshalb beugte sie sich zurück und entging nur um Haaresbreite seiner Faust, die er für einen Kinnhaken nach oben schwingen ließ.

Mit dem Wissen, dass eine Flucht auf diese Art unmöglich war, versuchte Naoe sich an Gegenwehr. Sie fing sich und setzte zu einem seitlichen Kick an, den Vergo ohne Mühe konterte. Der Widerstand zehrte an ihren Knochen. Seine Arme waren so hart, dass es sich nur um Rüstungshaki handeln konnte. Er machte sich einen Spaß aus ihrer Schwäche.

Bevor sie das Bein zurückziehen konnte, ergriff er sie am Knöchel und drückte ihre Knochen zusammen. Sie konnte das Pochen unter der Haut spüren, den Schmerz bis in die Oberschenkel wandern fühlen. Dahinter lauerte ein pochendes Herz, dessen Panik sich nicht eindämmen ließ.

Mit einem Ruck stahl Vergo ihr den Boden unter dem noch stehenden Fuß und schleuderte sie durch die Luft, um sie kurz darauf loszulassen, sodass sie mit dem Rücken voran gegen die Wand unter dem Fenster schlug.

Sie rang nach Luft, versuchte das Pochen in ihrem Rückgrat zu ignorieren, doch konnte nicht anders, als zu husten. Ihr Keuchen klang wie das einzige Geräusch in der Umgebung, sah sie von dem Rauschen in ihren Ohren ab.

„Du solltest mir deine Dienste anbieten.“ Vergo sah sie nicht an, stand ihr wie zu Anfang mit dem Rücken vor der Nase.

„Ich kann mir auch die Kugel geben.“ Hechelnd legte Naoe den Kopf in den Nacken. „Das ist weniger armselig, als dir die Vergangenheit zu ebnen.“

„Kinder wie du neigen dazu, früh zu sterben.“

„Wir sterben nicht früher, als die alten Knochen der Piraterie auch.“ Zum Schein behielt sie das schwere Atmen bei. Der Schmerz in ihrem Rücken entspannte sich in Etappen und Vergo wusste genauso gut wie sie, dass sie eigentlich nur noch aufgeben konnte. Es gab keinen Weg an ihm vorbei, zumindest, wenn man nicht mit nötiger Kraft ausgestattet war. Sie wollte ihm das Gefühl geben, dass sie noch schwächer war, als er angenommen hatte.

Dabei war sie stärkeren Schmerz gewohnt.

Das Bisschen, das sie von Vergo hatte einstecken müssen, war annehmbar, dachte sie an all die Schläge, die Koala ihr bereits verpasst hatte.

Eine Hand auf den Boden gepresst, manifestierte Naoe eines ihrer Fenster. Ein Schlichtes mit altem Holzrahmen, das sie an einen anderen Ort bringen würde. Diesmal gaben die Scharniere keinen Laut von sich; zu Entkommen wurde mit einem Mal ganz einfach.

Erst, als ihre Beine im Nichts verschwanden und sie dazu bereits war, sich abzustoßen, stellte sie ihre keuchende Atmung ein und widmete sich Vergo. „Vielleicht begreifst du irgendwann einmal, dass du nicht an der Spitze von allem stehst. Du bist vielleicht stärker als ich, aber ich bin zäher als du.“

„Die Naivität eines Kindes.“ Er drehte sich nur ein kleines Stück zu ihr um, sodass er über die Schulter sehen konnte. Nur deswegen rutschte Naoe voran und blieb knapp auf der Kante sitzen.

„Erwachsene sind auch naiv. Wir geben es nur ungern zu.“

„Deine Idiotie wird dich irgendwann noch umbringen, Naoe.“ Vergo richtete seinen Blick wieder nach vorn, als würde er sie für diesen Moment gänzlich aufgeben. Mit Sicherheit würde er sie noch öfter in die Finger bekommen, solange sie ihrem Job nachging. Abtauchen konnte sie nicht, dazu fehlte es an einem sinnvollen Grund. Nur, weil sie jemanden nicht loswurde, konnte sie nicht einfach verschwinden. Es würde dem Ruf der Revolutionäre zu sehr schaden.

„Wird sie das? Wird sie mir ein Fenster zu den Toten öffnen und meine Seele verschlingen?“

„Nein, sie wird deine Seele zerreißen.“ Es klang schon fast wie Mitleid, was er von sich gab. „Eines Tages wird deine Seele um Gnade bitten und du wirst keine haben.“

„Genauso wenig, wie du sie jemals hattest.“ Ohne Weiteres stieß Naoe sich von der Kante ab und ließ sich durch das Fenster fallen. Es war ein kurzer Sturz durch das Nichts. Frei von allem rutschte sie durch die zweite Öffnung auf der anderen Seite, die sie ihrem Wunsch nach so weit wie möglich von Vergo wegbrachte. Ungeschickt endete ihr Fall auf einem Dach, recht mittig der Stadt.

Mit den Füßen voran, stolperte Naoe nach vorn, ehe sie sich der Länge nach auf die Nase legte. Das Pochen jagte durch ihren gesamten Schädel, bevor sie mit einem Murren den Kopf hob und ihre Umgebung musterte. Das Gerede der Menschen drang erneut an ihre Ohren.

Sie war entkommen.

Also drehte sie sich auf den Rücken, um tief ein- und auszuatmen. Ihre Seele würde eines Tages um Gnade flehen und sie hätte keine übrig; eine Vorhersagung, die einen bitteren Nachgeschmack auf ihrer Zunge hinterließ. Vergo wusste, wie er die Menschen in seiner Umgebung in den Wahnsinn treiben konnte.

Langsam raffte Naoe sich wieder auf und klopfte die Kleidung ab – hauptsächlich den Poncho, der ihre altrosa Bluse und die schwarze Hose gut verdeckte.

Sie musste von dieser Insel verschwinden. Vergo war ihr zu dicht auf den Fersen und würde sie bleiben, hätte sie ihn bald wieder vor sich. Um wegzukommen brauchte es allerdings ein Schiff und da sie selbst keines besaß, blieb ihr nur der Hafen im Westen, an dem alles anlegte, was größer war als ein Fischerboot.

Vom Dach aus konnte man das neu gesetzte Ziel gut sehen. Nicht viele Schiffe hatten den Anker gelegt, aber eines von ihnen würde ihr zur Flucht verhelfen.

Wenigstens bis zur nächsten Insel musste sie kommen, um Freiraum zu erlangen.

Somit setzte sie einen Fuß voran, eines der Schiffe genau anvisiert. Sie würde entkommen.

Und sie würde Vergo loswerden.
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