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Nie wieder 14f13 [Kalender 2018]

von RamonaXX
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Gen
01.01.2018
31.12.2018
15
51.875
13
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Dieses Kapitel
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01.01.2018 976
 
Prolog

Ein elfjähriger Junge sitzt in einem düsteren und verrauchten Pub. Kerzen stehen auf den Holztischen und im Kamin brennt ein Feuer. Sein schwarzer, fransiger Pony fällt ihm knapp über die grünen Augen und eine unschuldsrunde Brille sitzt auf seiner Nase. Von seinen Haaren halb verdeckt läuft eine gezackte Narbe über seine Stirn.

Dem Jungen gegenüber sitzt ein behaarter, riesenhafter Mann, der in einen abgewetzten, braunen Ledermantel gekleidet ist, welcher auch gut als Pferdedecke hätte dienen können. Seine langen strohigen Haare bilden einen nahtlosen Übergang mit seinem dunklen Bart.

Der Junge will wissen woher die Narbe an seinem Kopf stammt.

Der Riese will antworten, den neugierigen Jungen aufklären. Doch nichts scheint ihm schwerer zu fallen als den Namen des Peinigers auszusprechen, der vor zehn Jahren die Eltern des Jungen getötet hat.

Schließlich überwindet sich der Riese und flüstert den Namen; leise und mit eingezogenem Kopf.

Naiv und unbefangen wiederholt der Junge den Namen.

Er wird ausgebremst und aufgefordert seine Stimme zu senken. Doch er versteht nicht warum.

Dann erzählt der Riese die Geschichte, die hinter der Narbe des Jungen und dem Tod seiner Eltern steckt.

Der Junge ist schockiert. Andererseits aber auch still fasziniert. Nichts brennt ihm mehr unter den Nägel als zu erfahren was aus seinem Peiniger wurde. Er will den Riese danach fragen und ist gerade im Begriff den Namen ein weiteres Mal auszusprechen, als er sich besinnt und beginnt von „Du-weißt-schon-wem“ zu sprechen...


Wir alle kennen die Szene mit Hagrid und Harry, in der der Wildhüter den jungen Zauberer über seine Vergangenheit aufklärt. Die Sage von Harry Potter ist meiner Generation so vertraut wie PCs, Handys oder das Internet. Es sind Dinge, mit denen wir aufgewachsen sind, die wir begreifen und verstehen, im selben Maße wie wir sie als selbstverständlich und als Teil unseres Alltags erachten.

Was wir – ich bin übrigens 1991 geboren – nicht verstehen und begreifen sind die Dinge, die in der Vergangenheit liegen. Dinge, die wichtig sind, über die aber kaum noch jemand spricht, die totgeschwiegen werden und so in Vergessenheit geraten. Dinge, wie die Zeit von 1933 bis 1945 – die Zeit des Nationalsozialismus.

Der Grund warum wir nichts darüber wissen, liegt auf der Hand. Wir sind zu jung! Wir waren nicht dabei, haben nicht erlebt und gesehen, was unsere Großeltern und Urgroßeltern erlebt und gesehen haben. Und doch wirft diese Zeit einen langen Schatten, der noch heute zu spüren ist.

Zu meiner Realschulzeit waren das Deutsche Reich und die Zeit des Nationalsozialismus ein regulärer Teil des Geschichtsunterrichtes, genauso wie Steinzeit, altes Ägypten oder die Römer. Aber dieses eine Thema – und in meiner Erinnerung ist es wirklich nur dieses eine – wurde so ganz anders unterrichtet als zum Beispiel die Französische Revolution.

Der Nationalsozialismus wurde mir als etwas Böses und Dunkles verkauft. Etwas worüber man nicht spricht, etwas für das man sich noch heute als Deutscher schämen muss.

Ich soll mich schämen? Wofür? Für etwas, was die Generationen vor mir „verbockt“ haben? Für etwas, über das mich niemand ernsthaft aufzuklären bereit ist? In schweigsamer Demut soll ich meinen Kopf senken und Anteil nehmen an dem Schicksal von Menschen, deren Leidensweg mir unverständlich bleibt? Wieso?

Meine Schulzeit liegt jetzt schon eine Weile zurück und geblieben ist in Bezug auf den Nationalsozialismus nur ein großes Unverständnis. Dass Menschen in der Lage sind schlimme Dinge zu tun, wusste ich auch schon vorher. Auch die Erzählungen über Krieg, Tod und Verfolgung waren mir nicht neu. Was ich hingegen nicht einordnen konnte, war die aufgezwungene Art wie ich darüber fühlen soll. Wieso gibt es da dieses aufgedrückte Schuldgefühl, das offensichtlich von einer Generation in die nächste getragen wird?

Was bei Harry Potter Teil einer Fantasy-Romanreihe ist, hat für mich auffallend viele Parallelen mit der Realität. Das Aussprechen bestimmter Begriffe und Namen wird noch heute vermieden. Ich kann jedes Mal das stumme Zucken spüren, das durch den Raum geht wenn jemand Hitler sagt. Fällt der Begriff Mein Führer wird meist noch spöttisch gelächelt, aber bei Adolf Hitler friert alles für den Bruchteil einer Sekunde ein. Warum ist das so? Was hält uns davon ab, das sprichwörtliche „Kind“ beim Namen zu nennen?

Durch mein allgemeines Interesse für Soldaten, Krieg und Militär bin ich vor einigen Monaten wieder mit dem Thema in Berührung gekommen. Es hat mich nicht loslassen wollen, also habe ich mich entschlossen Aufklärung zu suchen und meine Grenzen dabei selbst zu stecken. Keine Schulbücher oder Lehrpläne sollen meinen Weg begrenzen, sondern nur was ich selbst mit meinem Verstand zu (er)tragen vermag.

Was mich dabei antreibt, ist der Wunsch nach Antworten. Ich will verstehen und begreifen. Ich will mit meinen eigenen Augen jene Orte sehen, an denen sich besagte Dinge zugetragen haben, will sehen, was nach rund 75 Jahren vom Holocaust noch übrig ist. Ich will ehrliche Aufklärung – kein aufoktroyiertes Schuldbewusstsein.

Und deshalb gibt es diesen Kalender mit seinen 12 Kapitel und den 12 Gedenkstätten, die ich besucht habe. Es geht darum, was ich an diesen Orten vorgefunden habe und darum, wie ich die Umgebung und die Stimmung dort wahrgenommen habe. Was ich gesehen, erlebt und gefühlt habe, möchte ich gerne anderen mit meinen Worten zeigen. Denn von einer Sache bin ich felsenfest überzeugt – wahre Anteilnahme erfordert nicht, dass man den Kopf senkt und stillschweigend auf die zwei Punkte vor seinen Füßen starrt. Mit einem mutigen Löwenherz und erhobenem Haupt auf das zu blicken, was passiert ist – das ist es, was wir tun sollten!

Und was ich getan habe.


A.N.
Dieser Prolog wurde nicht mit der Absicht geschrieben die Romanfigur „Lord Voldemort“ mit der Persönlichkeit von Adolf Hitler zu vergleichen! Eine solche Darstellung empfände ich als überaus anmaßend. Es ging mir weder um eine Beleidigung der Arbeit von Joanne K. Rowling, noch um die Verharmlosung der deutschen Geschichte.

Hinweis: Für einen Kalender etwas unüblich, werden die Kapitel immer zum 15. des laufenden Monats aktualisiert. Ich bitte also um etwas Geduld.
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