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Hinter der Front

von RamonaXX
Kurzbeschreibung
GedichtDrama, Angst / P16 / Gen
19.11.2017
19.11.2017
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Vorbemerkung:
Wer Kriegsgedichte von mir kennt, weiß um die Tatsache, dass diese sehr intensiv sind. Auch hier habe ich mich bewusst auf eine tiefe, emotionale Ebene eingelassen. Wer dieses Gedicht liest, tue dies bitte mit offenen Augen und einem weiten Herzen. Danke.


Hinter der Front

Familie und Freunde sagten mir ich sollte nicht gehen.
Sollte lieber in der Komfortzone auf der Veranda eines Einfamilienhauses stehen.
Der Krieg wäre kein Ort für eine gebildete, kultivierte Frau.
Das Klima dort drüben wäre frauenfeindlich, lebensbedrohlich und rau.

Die mahnenden Worte, ich hab’ sie alle ignoriert.
Hab mich voll und ganz auf mein Ziel fokussiert.
Hab mein Herz immer für so stark wie das eines Löwen gehalten.
Hätte niemals geglaubt, der Krieg könnte meine Seele spalten.

Ich war stolz darauf unter jenen zu sein, die sich freiwillig melden.
Hab mich der Illusion hingegeben, so werd’ auch ich zu einem Helden.
Als Krankenschwester wollte ich helfen und diesen Krieg verstehen.
Als Mensch bin hingegangen, ihn mit meinen eigenen Augen zu sehen.


Hinter der Front, wo das Leid erst beginnt,
mir stündlich eine Träne über die Wange rinnt.


Das Lazarett ist ein Dorf aus Zelten, gebaut zwischen Schlamm und Pfützen.
In der Ferne hört man stets das bösartige Grollen von feindlichen Geschützen.
Es ist ein Klang, an dem man sich irgendwann nicht mehr stört.
Der sich mit viel Fantasie wie ein entferntes Sommergewitter anhört.

Ein unglücklicher Geruch nach Schweiß und Schießpulver verklebt die Luft.
Vermischt sich am Boden mit Tod und Blut und dessen charakteristischem Duft.
Und senkt sich die Nacht über das Lazarett, kommt die unheilvolle Front wieder in Sicht.
Explodierende Geschosse und Mündungsblitze vereinen sich dann zu einem surrealen Licht.

Manchmal stehe ich in meiner kurzen Pause hier draußen vor dem Zelt,
und seh’ mit aufgerissenen Augen, wie die Welt vor mir auseinanderfällt.
Ich seh’ die Horizonte in alle Himmelsrichtungen lichterloh brennen,
spüre einen Teil von mir innerlich und vollkommen panisch davonrennen.


Hinter der Front, wo die Verwundeten schreien,
fang’ ich in unbeobachteten Momenten an zu weinen.


Schlaf finde ich erst, wenn die Erschöpfung mich überrennt.
Hab schon dutzende Male zwischen den Verwundeten gepennt.
Das Blut der Toten klebt an meinen wunden Händen.
Hände, die Leben retten wollten und Hoffnung schenken.

Es gibt diese schrecklichen Momente, da erscheint alles aussichtslos.
Die angestaute Wut im eigenen Körper wird dann unkontrollierbar groß.
Ich fühle Hass und Frust sich mischen, muss ich raus, muss wütend sein,
muss einen Teile dieser übermenschlichen Ungerechtigkeit aus mir hinausschreien.

Aggressiv schlag’ ich irgendetwas kurz und klein,
oder trete sinnlos auf einen beliebigen Gegenstand ein,
nur um wieder zu Bewusstsein zu kommen,
der Krieg hat mir mein Leben noch nicht genommen.

Manchmal bin ich erstaunt, was ein Mensch alles zu ertragen vermag.
Ist es doch keine Stunde her, dass wieder ein Toter in meinen Armen lag.
An diesem furchtbaren Ort herrscht so viel Leid, so viel Kummer, so viel Schmerz.
Hatte ich vielleicht doch nicht recht mit meinem Löwenherz?

Ich bin verzweifelt und fahre mir verwirrt durchs Haar.
Bin unfähig zu begreifen, das alles hier ist wahr.
Fremdes Blut klebt in meinem Gesicht.
Die Zeit es abzuwischen, bleibt nicht.


Hinter der Front, wo ich versuche standhaft zu bleiben,
das Wimmern und die Schmerzensschreie meine Kräfte aufreiben.


Voller Zuversicht bin ich hier hergekommen, zu helfen und Trost zu spenden.
Nun muss ich schmerzlich erkennen, ich kann nicht Mal das Leid beenden.
Tapfere Soldaten verlieren hier unter unvorstellbaren Qualen ihr Leben.
War ich wirklich so naiv, zu glauben ich könnte ihnen Hoffnung geben?

Das Lazarett wird zu einem Zufluchtsort mit unsicheren Mauern.
Und ich frage mich, wie lange wird dieser Krieg noch andauern?
Dass hier ist nicht, wie die Erde, die Welt, das Leben sein sollte.
Dass hier ist das, was ich aufhalten, was ich verhindern wollte.

So vieles von dem was ich hier täglich tu’, scheint vergebens zu sein.
Wie gerne wäre ich jetzt wieder bei Familie und Freunden daheim.
Ich weiß, dass ich den Kampf gegen mein Heimweh nicht gewinnen kann.
Umso erstaunlicher, das Gefühl spornt mich zum Weitermachen an.

Mir bleibt keine Zeit an einem Sterbebett länger stehen zu bleiben.
Ein Jammer zieht mich weiter, ich muss zum nächsten Bett eilen.
Es gibt noch Dutzende schwer Verwundete zu versorgen.
Durch meine Hände gleiten die Toten von morgen.

Was uns zum Versorgen zu Verfügung steht, ist mangelhaft.
Und dieser Mangel fällt eindeutig den Verwundeten zur Last.
Ein toter Körper nach dem anderen wird hinausgetragen.
Niemand fragt danach, wer sie waren oder woher sie kamen.


Hinter der Front, wo das laute Klagen und Flehen kein Ende nimmt,
man glaubt, dass das Gleichgewicht der Erde niemals wieder stimmt.


Ich werde nie vergessen, wie das erste Mal ein Leben durch meine Finger glitt.
Der erste Mensch, der in meinem Arm starb, es war ein tiefer, tiefer Einschnitt.
Auch heute halt’ ich wieder tapfer die Hand eines Fremden und seh’ in seine Augen.
Was mir entgegenblickt ist schwer zu beschreiben und ich kann es selbst kaum glauben.

Im Augenblick des Todes eine schwache, hilflose Hand zu halten,
bedeutet tausendmal mehr als einen Nachlass zu verwalten.
Ich weiß, dass er meine warme, schützende Hand noch spürt,
der trostsuchende Blick in seinen Augen mich zutiefst berührt.

Der Moment, in dem sich die Seele vom Körper trennt,
ist jener, der sich am tiefsten ins Bewusstsein einbrennt.
Nun kann ich nichts mehr tun, außer seine Hand auf seiner Brust ablegen,
und nach dem Feldprediger rufen, für einen letzten, friedlichen Segen.


Hinter der Front, wo der scharfe Geruch nach verbranntem Fleisch in der Nase beißt,
mir das Schicksal der leidenden Soldaten jeden Tag aufs Neue das Herz zerreißt.


Ich glaube aus vollem Herzen daran wieder nach Hause zu kommen.
Dennoch hat der Krieg mir etwas von meiner Seele genommen.
Zurück bleibt eine Lücke, ein undeutlicher Schatten, ein dunkler Fleck.
Das ist etwas, ein Abdruck auf meiner Seele, der geht nie wieder weg.

Das Heilen dieser tiefen Wunden wird den Rest meines Lebens dauern.
Die Narben werden immer sichtbar sein, bis zum letzten Tag überdauern.
Und doch, hat meine Zeit im Lazarett mich eines ganz besonders gelehrt,
der dankbare Blick in den Augen eines Sterbenden ist die Sache wert.

Ich werde sie nie vergessen:
Die Hände, die ich hielt.
Die Gebete, die ich sprach.
Die Tränen, die ich weinte.
Und die Männer, die ich sterben sah.

Hinter der Front.
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