Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Winter's Flame

von Sunny
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / Gen
18.10.2017
03.05.2018
7
14.872
16
Alle Kapitel
31 Reviews
Dieses Kapitel
4 Reviews
 
05.02.2018 1.869
 
Ankunft



Nachdem Nil die zwei mit einem verhaltenen Nicken abklärend begrüßt hatte, war das Erste, was Aloy anschließend spürte, die harten unnachgiebigen Schultern, die sich fest gegen ihren Oberkörper drückten und den kalten Schneegriesel an ihrer Wange, der auf Erends Rüstung an den Schulterblättern klebte. Er presste seinen rechten Oberarm auf ihren Rücken und lehnte beinahe gleichzeitig seinen Krähenschnabel an den nächstgelegenen Nadelbaumstamm. Das tiefe ehrliche Lachen aus seiner Kehle an ihrem Ohr machte ihr mehr und mehr klar, dass das hier wirklich passierte. Nil schien es ja auch zu sehen, und die Chancen standen immerhin schlecht bis ganz schlecht, dass sie beide zeitgleich irgendwelche Wahnvorstellungen entwickelten.

Aloy reagierte zumindest so klar, dass sie ihren Freund ebenfalls umarmte und sich selbst lächeln hörte, «Was…?»

«Es ist so schön, dich zu sehen!», wurde sie sogleich von dem gestandenen Oseram unterbrochen, der die Umarmung beendete und ihre Schultern mit beiden Händen fixierte, um ihren Anblick zu mustern. Seine Miene war immernoch genauso, wie die Nora sie in Erinnerung behalten hatte - unerschütterlich optimistisch und gnadenlos erfreut, «Tut uns sehr leid, wir hätten euch beinahe niedergestreckt.»

Aloy begegnete ihm nur mit einem vielsagenden Blick, als wäre dieser Satz ein Scherz seinerseits gewesen. Aber dieser Scherz wäre wohl eher auf seine Kosten gegangen. Wenn es um Pfeil und Bogen ging, und darum Gegner über Distanz auszuschalten, konnte der jungen Frau niemand etwas vormachen. Aber im faustbasierten Nahkampf hätte sie gegen den Hauptmann wohl kaum Erfolg erzielen können. Die Situation war riskant gewesen, und hätte sie nicht so viel Glück gehabt, ihren alten Freunden über den Weg zu laufen, sondern Banditen, wäre die Sache ganz anders ausgegangen. Aloy tadelte sich innerlich selbst, so neugierig und unvorsichtig gewesen zu sein. Sie hätte eigentlich schlauer sein müssen.

Avad bemerkte ihren in sich gekehrten Blick und schob sich an seinem Freund vorbei, um sie ebenfalls mit einer Umarmung zu begrüßen, die nicht ganz so breitschultrig und stramm war wie die von Erend, und die Nora erwidert mit einem nicht minderen Lächeln, beendete sofort ihr nachdenkliches Abschweifen. Himmel, was war sie froh, die beiden zu sehen. Hier am unwirklichen Ende der Welt, im Schnee und Eis. Das brachte sie auf diese eine Frage zurück: «E-Es ist wirklich toll euch zu sehen, aber… was macht ihr denn hier?»

Erends Blick glitt prompt in die Richtung des jungen Königs, denn diese Nachfrage schien zweifellos an ihn gerichtet zu sein. «Das kann ich euch gerne erzählen. Ihr kommt aus Mutterherz oder? Lasst uns alle erstmal aus dem Sturm raus, bevor’s dunkel wird.»

Aloy und Nil beschlossen zustimmend, den Weg gemeinsam zum Stamm zurückzulegen. Das Schneechaos lichtete sich bereits und die Meilen zurück zum Dorf dürften keine große Hürde mehr darstellen. Dennoch sollte man die Wildnis hier draußen zu keiner Zeit unterschätzen, und sie mussten weiterhin achtsam vorgehen.

Zu Fuß und mit einigem geschulterten Gepäck brachen die Vier Richtung Mutterherz auf, und Erend sowie Avad waren überaus erleichtert, dass sie damit bald endlich ihr ursprünglich angepeiltes Reiseziel erreichen würden. Die vielen Tage der Entbehrlichkeit und der Anstrengungen hatten an ihren körperlichen und psychischen Reserven gezehrt, hatten Mut erfordert und nur wenig gegeben. Wenig, aber keinesfalls nichts. Und nun schien sich alles umso mehr auszuzahlen, als sie das Gesicht ihrer guten Freundin mitten im Schneesturm gefunden hatten.

«Nun sag schon», versuchte Aloy erneut eine Antwort zu erhalten, während sie sich mit erhellter Miene neben Avad gesellte, um neben ihm weiter zu stapfen.

Der mittlerweile fast kniehohe Pulverschnee machte jenes besonders herausfordernd und das Tempo war dementsprechend mäßig. Vor den beiden versuchten sich Erend und Nil an dem weißen Niederschlag und sie bewältigten ihn etwas besser als die Nora, deren Beine merklich kürzer waren, aber fragte sie sich dennoch, wie die beiden das Wetter ärmellos ertrugen, als wollten sie eine üble Krankheit gar provozieren. Vermutlich war ihre Haut dick und an die Umstände gewöhnt. Männer eben.

Der junge König grinste in sich hinein, «Ungeduldig, hm?» Er musterte sie ein wenig unauffällig – die erwartungsgeladenen Irden, das stellenweise geflochtene, dicke rote Haar, ihre feinen Sommersprossen. Genauso hatte er sie in Erinnerung behalten, und doch war irgendetwas anders als sonst.

«Naja, kommt nicht oft vor, dass du hier rumstrauchst», lächelte Aloy süffisant, und versuchte damit ihre soeben ertappte Neugierde rechtzufertigen. Er hatte bereits, als sie vorhin ihre Sachen am Lagerfeuer zusammengepackt hatten, erzählt, dass sein Ziel Mutterherz und deren Erzmütter war, und er dann alles erklären würde. Verständlicherweise wollte er alles nicht zweimal sagen. Aber Aloy ihrerseits konnte noch immer nicht so recht begreifen, dass er zweifellos höchstpersönlich durch den tiefen Ostschnee marschierte, und wollte einen Grund. Unbedingt. Schlimme Gründe schienen es nicht zu sein, sonst wären er und Erend angespannter und hätten augenblicklich mit der Sprache rausgerückt.

Und so akzeptierte die Nora schlussendlich Avads verhaltenes Grinsen und beließ es dabei. Wenn er unbedingt auf geheimnisvoll tun wollte, dann bitteschön, aber Aloy gestand sich ein, dass das unsagbar gut funktionierte. Die junge Frau erkannte sich dabei zeitweise selbst nicht; warum ihr Wissendurst plötzlich wieder so stark brodelte, wie in keinem anderen Moment der letzten Monate. Auf dem Weg erzählten er und Erend von ihren Erlebnissen: den besuchten Dörfern, der Begegnung mit dem Donnerkiefer, den Menschen und ihren Reaktionen, und – für einen kurzen Moment – schien es so, als habe sich seit dem Kampf gegen Hades zwischen ihnen nichts geändert.

Die Sonne war bereits hinterm Horizont verschwunden und nur noch schwaches, graugrelles Restlicht zog durch die einsamen, totenstillen Wälder. Der Sturm war fast gänzlich verstummt und lediglich einige vereinzelte Nachzügler rieselten langsam zu Boden. In nicht ganz einer Stunde würde es nur noch das Licht des abnehmenden Mondes sein, welches sich an der Schneedecke brechen und reflektieren würde, was die Welt etwas erhellte. Zusätzlich natürlich zu den lodernden Signalfeuern am südlichen Tor von Mutterherz, die sich vor den Reisenden auftaten und ihnen den Weg wiesen. Was die Vier zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnten – sie wurden auf ihrem Weg beobachtet.




Sobald der Eingang passiert wurde, kamen mehrere Kinder aufgeregt angerannt, welche Aloy von weitem erkannt hatten und sich wie beinahe jedes Mal, wenn sie von draußen zurück ins Dorf kehrte, vergewissern wollten, was sie diesmal erbeutet hatte. Für sie war die Nora eine Heldin und ein Vorbild, welches immer gute Geschichten und Kampftipps parat hatte, wann immer man es auch fragte. Aloy nahm es gelassen, auch wenn sie sich jedes Mal, wenn sie dabei von Teersa beobachtet wurde, anhören durfte, warum sie selbst denn noch keine Kinder in Aussicht hätte. Die Alte meinte es gut, aber ihre Versuche, Aloy das Leben durch familiäre Zukunftsvorschläge zu erleichtern, endeten immer mit Ideen für einen möglichen Partner.

Vom mittelalten Weber bis zum gestandenen Stammeskrieger – alles war bisher dabei gewesen. Zugegeben, die Auswahl an interessanten Junggesellen hielt sich hier rund um Mutterherz gekonnt in Grenzen, was man auch schnell an den aufmerksamen Blicken der Frauen und Mädchen erkannte, die sich fasziniert und neugierig zu den Neuankömmlingen umdrehten. Alles Neue war willkommen, das galt anscheinend nicht nur für Aloy.

Die Menschen lugten aus den Fenstern und kamen aus ihren Häusern hervor, beendeten für einen Moment ihre Schmiedearbeiten oder ihre Marktverkäufe und widmeten sich vollends ihrer beliebten Sucherin und deren Begleitern. Wobei sie bei dem Anblick von Nil weniger ins leise Tuscheln gerieten, als es bei den anderen beiden Männern der Fall war, immerhin war der auf seine Art wohlbekannt. An Erend schienen sich einige von ihnen noch zu erinnern, immerhin hatte der vor nicht allzu langer Zeit auf dem Marktplatz für den Sonnenkönig gesprochen.

Aloy fielen sofort dementsprechende Blicke von einigen älteren Nora auf, die missmutig die Köpfe zusammensteckten und ihn argwöhnisch beäugten. Ganz zu schweigen von Avad, der noch immer seine Kapuze trug, auf der sich mittlerweile ein stolzer kleiner Schneeberg angesammelt hatte. Fremde waren in diesen Tagen wirklich keine angenehme Überraschung wie es schien, immerhin waren die Wiederaufbauarbeiten noch nicht ganz abgeschlossen, da kamen königliche Boten gerade so recht wie ein Sternsinger im Hochsommer. Dessen gegenüber standen die unentwegt interessierten Blicke der anderen, die dem neuen Sonnenkönig den Krieg verziehen haben und aufgeschlossener an dessen Beziehungen herangingen. Die einzelnen Carjakrieger, die seit dem Kampf in Mutterherz stationiert waren um zu helfen, beobachteten alles aufmerksam, immerhin hatte Erend nichts davon erzählt, dass er herkommen würde oder gar aus welchem Grund.

Das Dorf war gespalten, einzelne geringschätzende Ausrufe wie ‘Wir brauchen hier nicht noch mehr von euch!’ bis hin zu ‘Was will der Carja-Hauptmann hier?!’ vermischten sich mit neugierigem Gemurmel derer, welche dieses Gerede schier überhörten. Aloy und Erend sahen beinahe gleichzeitig rüber zu Avad in ihrer Mitte, der all diese feindseligen Worte ungeschönt zu hören bekam, aber keine Miene verzog, nicht einmal zuckte. Sein Blick richtete sich unentwegt geradeaus auf sein Ziel, zu den Erzmüttern, die sich mittlerweile auch auf dem Platz versammelt hatten. Erend grinste – er wusste wieder, was diesen Mann zu seinem König machte.

«Ich sehe, unsere Sucherin bringt Fremde mit zu uns», schnaubte Lansra skeptisch, als die Vier in der Mitte des Platzes Halt machten. Die komplett ergraute Erzmutter musterte Aloy tadelnd, als hätte jene einen Verrat begangen. «Der Winter hier hat nichts übrig für noch mehr Carjafremde, die Nahrung ist knapp. Also, was wollt-»

«Nun reicht es aber, Lansra!» Aufgebracht trat Teersa neben sie, begleitet von Jezza, der dritten Stammesmutter im Dorf. «Was für eine Schande diese Leute auf so eine unhöfliche Art zu begrüßen. Sieh sie dir an, sie haben augenscheinlich einen langen Weg hinter sich. Und über unsere Differenzen sollten wir doch längst hinweg sein, meinst du nicht?»

Lansra verdrehte ermahnt die Augen und warf ihrer Schwester einen vielsagenden Blick zu, bevor sie unterlegen das imaginäre Podest räumte. Gegen Teersa und Jezza zusammen hatte sie keine Chance, das hatte sie schon früh erkannt. Ihre Stütze waren die Zweifler unter den Bürgern, genau wie es ihrer Meinung nach sein sollte. Diese Frevler würden schon noch sehen, was sie davon hätten.

Teersa schob sich nun weiter nach vorne und sah sich die Neuankömmlinge genauer an. Sie beäugte erst Aloy mit einem ehrlichen Lächeln, dann Nil mit einem weniger erfreuten Gesicht. Dieser schaute betreten zur Seite, denn er mied im Normalfall das Dorfleben, und umgekehrt.

«Ah, Erend, wenn ich mich recht erinnere. Was führt Euch her?», galt ihre Aufmerksamkeit nun voll und ganz dem stark gewachsenen Oseram.

«Nun ja…»

Bevor der mit jedweden Erklärungen richtig beginnen konnte, trat Avad nun einen Schritt nach vorne. Er wollte nicht durch seinen Hauptmann angekündigt oder erklärt werden, immerhin stand er persönlich daneben. Der junge Mann schlug seine großzügige Kapuze nach hinten, um den beiden Erzmüttern und allen anderen sein ganzes Gesicht zu zeigen, und damit eine vertrauensvollere Atmosphäre zu schaffen, und für einen Moment war alles skeptische und zweifelhafte Gemurmel der Menschen urplötzlich verschwunden und wich blankem Erstaunen.

Nun sah Aloy ihn auch zum ersten Mal komplett, und ohne jedweden Kopfschmuck und mit kurzen verstrubbelten Haaren, erinnerten lediglich die feinen bunten Hennazeichnungen unter seinen Augen, die in ihrer Form nur dem Sonnenkönig vorbehalten waren, an seine Position. Ansonsten hätte er ein gewöhnlicher junger Carja sein können, der sich in das Noradorf verirrt hatte. Die gewaltigen offenen Feuer rund um die Dorfmitte tauchten seine Miene in flüssig warmes Gold und spiegelten sich flackernd in seinen ernsten Augen, welche auf die Alten gerichtet waren.


«Ich möchte mit Euch reden, bitte.»
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast