Winter's Flame
von Sunny
Kurzbeschreibung
Einige Zeit nach dem großen Kampf gegen Hades beginnt ein jeder wieder seinen eigenen Weg zu gehen. Sonnenkönig Avad möchte die Völker in der chaotischen Nachkriegszeit zusammenbringen und macht sich gemeinsam mit Erend persönlich auf den gefährlichen und langen Weg nach Osten. Währenddessen reist Aloy nach dem mentalen Abschied von Elisabet Sobeck zurück in die Lande der Nora, um endlich ihren festen Platz bei den Stämmen zu finden, was ihr aber mehr als schwer fällt. Und obwohl beide aus vollkommen entgegengesetzten Welten stammen – ihr jeweiliges Vorhaben wird sie bald ein zweites Mal zusammenführen.
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / Gen
18.10.2017
03.05.2018
7
14.872
16
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Dieses Kapitel
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18.01.2018
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Im Schneesturm
Teb kratzte sich überfordert an seinem glattrasierten Hinterkopf und beäugte skeptisch den Kopfschmuck, den er soeben mühevoll fertiggestellt hatte. Das gute Stück hatte ihn viele Stunden und Tage an Aufwand gekostet, die bunten Verzierungen aus Spulen, Knochen und Metallscherben thronten auf einem Gerüst aus den besten Stücken einer erlegten Graserbeute. Ohne Zweifel war niemand im Dorf so begabt in diesem Handwerk wie der junge Nora. Aber trotz der Arbeit und der Einzigartigkeit seines Werkes, war er damit nicht sonderlich zufrieden.
Denn der Kopfschmuck war für jemanden Besonderes bestimmt.
Und wenn Teb ihn ansah, dann sah er ihn nicht auf dem Haupt dieses besonderen Mädchens. Er wurde unsicher. Was, wenn sein Schmuck ihr nicht gefallen würde? Sie war mutig und verständnisvoll, und ihr wohnte eine unverwechselbare Anmut bei, die er bei niemand anderem jemals wahrgenommen hatte. Niemand hatte ihn jemals so beeindruckt – seit dem Tag ihrer ersten Begegnung vor etlichen Jahren.
Draußen vor seiner kleinen überdachten Werkstatt in Mutterherz tänzelten eisige Schneewirbel über den Boden und dicke schwere Flocken sanken vom grauen Himmel nieder und bedeckten alles mit einer dünnen weißen Decke. Im Dorf selbst gab es heute nicht viel Trubel, die meisten Familien saßen in ihren Hütten vor dem Feuer. Teb mochte solche Tage. Zwar rückte der Winter immer näher und die Mittagsstunden wurden trüb und kalt, aber es herrschte eine angenehme Ruhe. An diesen Tagen war er mit Abstand am produktivsten. Zumindest, bis er plötzlich stapfende und knautschende Schritte herannahen hörte und sich dem Geräusch zuwandte.
Verflixt!
Von einer Sekunde auf die andere beschleunigte sich sein Herzschlag um das zehnfache. Jedenfalls fühlte es sich so an. Und sein vergleichsweise blasses Gesicht brannte wie die lodernden Feuer am Eingangstor von Mutterherz. «Oh, hallo Aloy...» Der Nähkünstler versuchte so gelassen wie nur möglich zu klingen.
«Hallo. Was ist das?», fragte die soeben von der Jagt zurückgekehrte Nora und deutete dabei lächelnd auf den Kopfschmuck auf dem Tisch. Unterm Arm hielt sie mehrere Lohebehälter und einige Energiezellen und über der Schulter trug sie zwei erjagte Füchse. Ihr ganzer, in dicke Gewänder verpackter Körper war bedeckt von kristallinen Flocken, die sich vor allem auf der Kapuze und den Schultern ansammelten.
«D-Das? Ach nichts...», murmelte Teb schnell, «Ist ein Auftrag von einer Nachbarin.», fügte er noch hinzu, weil er selbst zugeben musste, dass sein vorheriges Gestammel nicht wirklich überzeugend wirkte. «Du siehst aus, als hättest du Erfolg gehabt.» Teb versuchte das Thema zu wechseln.
«Allerdings. Der Schneesturm ist gut, lenkt die Maschinen ein Stück weit ab und sie sehen mich nicht», erwiderte Aloy und bemerkte sofort, dass ihr Freund etwas vor ihr verheimlichte. Es zumindest versuchte. «Welche Nachbarin?»
Teb entwickelte mittlerweile Atemaussetzer und bekam nasse Hände. Diese verdammte Fragerei! «Nun ja…», grummelte er und die Namen aller Frauen in Mutterherz rasten durch seinen Kopf, «Kalla.» Warum er ausgerechnet bei ihr hängen blieb, wusste er auch nicht. Die hübsche Tochter des Waffenschmieds war von vielen Junggesellen hier begehrt und bestimmt eine Frau, der der Kopfschmuck hervorragend stehen würde.
«So? Habe ich etwas verpasst?», grinste Aloy wissend.
«Nein nein», Teb schüttelte hektisch die Hände vor seiner Brust, «Sie bat mich nur, ihr einen neuen Kopfschmuck zu basteln, mehr nicht.» Das fehlte noch, dass Gerüchte im Dorf herum kursierten. Schlimmer noch, wenn Kalla selbst davon hören würde. Er könnte ihr nie mehr ins Gesicht schauen. Darüber hinaus war das nur ein Vorwand gewesen. Die ursprüngliche Inspiration seiner Arbeit stand vor ihm und schmunzelte ihn kopfschüttelnd an.
«Ich werde ihr nichts sagen, versprochen», zwinkerte die junge Frau ihrem Freund zu, «Es sei denn, sie fragt nach. Dann werde ich nichts leugnen.» Teb starrte sie entsetzt an und Aloy begann zu lachen. Was sollte er nur tun? Würde sie jemals mehr in ihm sehen als einen guten Freund? Er hatte ihr zur Erprobung eine nagelneue und aufwendige Robe in mühevoller Kleinarbeit genäht. Er war immer nett zu ihr gewesen, hatte sie vom ersten Tag an respektiert. Und er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht den Mumm besaß, ihr die Wahrheit zu sagen. Andererseits, was konnte er ihr bieten? Ein Leben als brave Frau eines Nähers? Das passte nicht zu ihr.
Aloy hingegen war mit ihren Gedanken schnell woanders, als sie sich von Teb verabschiedet hatte und den Weg zum Schmied fortsetzte, um die erbeuteten Lohen und Energiezellen bei ihm abzuliefern. Es war, als wüssten alle Menschen hier, was ihre jeweiligen Aufgaben waren. Was sie wie zu tun hatten. Teb, der Gewänder für den Winter fertigte. Der Schmied, der alle Krieger mit Waffen für die Jagt versorgte. Die Krieger, die Nahrung beschafften und den Stamm gegen Feinde verteidigten. Sie alle fragten nicht nach, sondern taten, was sie am besten konnten, denn sonst würde nichts funktionieren. Tag ein, Tag aus. Ihr Leben lang. Aber all das fühlte sich für Aloy nicht richtig an. Für sie selbst nicht richtig. Der Gedanke an diese Eintönigkeit. Wäre sie in diesem Umfeld aufgewachsen, dann wäre vermutlich alles anders.
Aber Rost‘s Lehren, ihre zielstrebige Jugend, ihre Reise nach Meridian, der Kampf gegen Hades und das Erkunden dieser Welt machten ihr ein Niederlassen an nur einem Ort unmöglich. Die junge Frau hatte Menschen getroffen und Freunde gefunden, die ihr Leben verändert hatten.
Obwohl der Tag langsam zu Ende ging, schwang sich die Nora noch einmal auf ihren Läufer und ritt raus aus Mutterherz, die Pfade entlang Richtung Mutterberg. Der Schneesturm wurde heftiger mit jeder Minute und bald konnte man kaum etwas erkennen außer das, was direkt vor einem lag. Aloy wies ihr Reittier an, langsamer zu galoppieren. Der Frost knabberte unablässig an ihrem Gesicht und fühlte sich an wie heiße Nadeln. Gerade wollte sie vom Weg ab in den windgeschützten Wald reiten, als sie mehrere Meilen entfernt ein Feuer erkannte.
Menschen… so weit draußen und das bei der Witterung?
Ungläubig bremste sie den Läufer ab und spähte mit zusammengekniffenen Augen erneut in die Richtung. Die Masse und Geschwindigkeit der Schneeflocken verminderten die Sicht um ein vielfaches, und Aloy beobachtete den winzigen leuchtenden Punkt viele Sekunden lang, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht geirrt hatte. Aber er war da.
Aufmerksam wendete sie die Maschine und diese stapfte langsam zuerst, aber dann immer zügiger Richtung Licht. Die junge Jägerin wusste nicht, ob es sich um Freunde oder Feinde handeln sollte, geschweige denn um eine flammende Maschine. Im schlimmsten Falle konnte es eine Gruppe Banditen sein, die Aloy entdeckte, bevor sie es tat. Aber der beißende Sturm gab ihr Deckung und Mut. Obgleich es mehr die Neugier war, die in ihr aufkam, die sie antrieb. Hier draußen war alles weiß und grau. Die matten Stämme und Kronen der Nadelbäume waren das einzige, das der Landschaft Struktur gab. Himmel und Erde verschmolzen in einer nicht vorhandenen Grenze, es gab keinen Horizont. Das kleine warme Licht wirkte eine ungeheure Anziehungskraft aus. Alles, was ihrem Alltag Abwechslung gab, war aufs Herzlichste willkommen.
Die Nora bahnte sich einen Weg durch den Schnee, der inzwischen bis zum Schienbein reichte, fast wie in den Landen der Banuk weiter im Norden. Die dort herrschende Kälte der Winter war noch einmal ein ganz anderes Lied. Die Kälte dort drang in jeden Knochen, bis ganz tief in die Adern und gefror dort jegliches Empfinden. Die Kälte hier unten hingegen befiel die Gefühle, machte müde und trüb. Zumindest fühlte sich Aloy seit ihrer Rückkehr aus dem Südwesten so. Vielleicht lag es auch nicht am Wetter. Vielleicht lag es an etwas anderem.
Der Läufer hatte seine Schwierigkeiten sein Tempo zu halten und musste zwischendurch immer wieder runter bremsen. Einige hundert Meter vor dem Ziel stieg Aloy mit einem Schwung von der Maschine ab und ging zu Fuß weiter. Die blauen Scheinwerfer ihres Begleiters hätten ihre Position zu leicht verraten können. Mittlerweile erkannte sie Gestalten, die am Feuer saßen, wie viele es sein würden war ihr aber noch unklar. Beobachtend hockte sie sich auf einen Felsen neben ein paar Kiefern. Zwischen dem Wind und dem Spähen hatte sie die Schritte im Schnee hinter sich gar nicht bemerkt.
«Packend, nicht wahr?»
Einem Infarkt gleich stolperte Aloys Herz und machte einen satten Sprung, bevor sie herumwirbelte und mit heißem Nacken Nil anstarrte, der sich klammheimlich angeschlichen hatte.
«Großer Gott! Musst du dich so anpirschen?!»
Nil grinste und schaute wieder in Richtung des Lagerfeuers, «Ich hab‘s oben vom Berg aus gesehen. Sie sind zu zweit.»
«Banditen?», fragte Aloy, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte.
«Nein, ich denke nicht. Die haben andere Kleidung.» Fremde also. Nil musste zugeben, dass Banditen ihm mehr Freude bereitet hätten. Das Leben ohne Jagt auf Grenzgänger war ihm fade geworden. Dennoch wollte er kein falsches Vertrauen an den Tag legen und ging lieber auf Nummer sicher. Als er Aloy auf dem Hügel erblickt hatte, die scheinbar das Gleiche dachte, wusste er, dass Misstrauen angebracht war. «Ich habe von Weitem keine Waffen gesehen, aber man weiß nie.»
«Los komm, wir schauen uns das mal an», beschloss die Nora, sprang vom Felsen hinunter und stapfte gen Feuer. Sie vertraute auf die Vermutungen des Banditenjägers. Nil rollte mit den Augen und folgte ihr stumm. Es waren keine Banditen, also was sollte er da bitte? Aber einfach gleichgültig weiterziehen und Aloy damit allein lassen wollte er auch nicht.
Sie schlugen sich durch das Geäst im Rücken der Unbekannten. Zwei Männer. So viel konnte die junge Frau jetzt erkennen. Für Frauen waren sie eindeutig zu breitschultrig. Der Schneefall ließ etwas nach, zum Nachteil der beiden Schleicher, denn die Sicht wurde wieder klarer und somit ging ein Großteil der Deckung dahin. Etwa zehn Meter hinter den Männern kamen sie im Gebüsch zum Stehen und Aloy versuchte ihre Gesichter zu erkennen, was aber aufgrund von Kapuzen nicht sonderlich von Erfolg gekrönt war. Die Felskante und die Kiefern darauf schützten vor dem Sturm. Aloy versuchte in der Hocke noch ein paar Schritte zur Seite zu schreiten, um mehr zu sehen, aber…
Knackss--
Ein morscher dünner Ast unter ihrem Fuß vernichtete abrupt alle Deckung.
Die beiden Fremden reagierten sofort und drehten sich alarmiert zur Geräuschquelle um, einer von ihnen zog sogleich einen schweren Hammer hervor, den sie zuvor gar nicht gesehen hatten, und der andere zog einen Bogen. Nil und Aloy agierten ebenfalls, wodurch der Banditenjäger und die Nora gleichzeitig ihren Bogen mit Pfeil im Anschlag auf die Männer richteten. Das Adrenalin schoss durch alle Adern und Venen, bis in jeden Zentimeter des Körpers. Bereit zu töten. Zu überleben.
Der warnende und kampfbereite Ausdruck in Aloys Augen verschwand innerhalb von nicht einmal einer Sekunde – und verwandelte sich in einen ungläubigen Schockzustand, als sie ihre Gegenüber an ihrem Bogen vorbei erkannte. Alle vier ließen langsam die Waffen sinken, als sie begriffen, auf wen sie jeweils gestoßen waren. Hier draußen. Im Niemandsland. Träumte sie? Hatte sie zu wenig geschlafen? Wahnvorstellungen?
Der Mann, der sie genauso anstarrte, wie sie ihn. Die Kapuze halb über der Stirn, kleine Eiskristalle an den Brauen und am Kinn. Der kondensierende Atem vor dem Mund.
Die braunen Augen.
Und als Nil als erster von allen die aufgeladene Stille durchbrach, wusste Aloy, dass sie nicht halluzinierte:
«Was macht denn bitte der Sonnenkönig hier draußen?»