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Winter's Flame

von Sunny
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / Gen
18.10.2017
03.05.2018
7
14.872
16
Alle Kapitel
31 Reviews
Dieses Kapitel
4 Reviews
 
04.12.2017 1.946
 
Reisende



Bei Sonnenaufgang zogen milchige Nebelschwaden durch die Gras- und Berglandschaften in der Nähe rund um das ehemalige Banditenlager Zweizahn. Die relativ laue Luft vom Boden traf gegen die kalten Schwaden aus dem angrenzenden Gebirge und tauchte alles in undurchschaubares Weiß. Der feuchte Dunst und der eisige Permafrostboden bewiesen, dass die Morgen im Osten nichts für schwache Gemüter waren. Erend stand auf einem Aussichtspunkt des befreiten Lagers und blickte hinüber ins Tal, hinweg über alle Mischwälder und Hügel. Der Oseram schliff mit einem Wetzstein die Klinge seines Krähenschnabels scharf und dachte nebenbei über die nächste Route nach.

Sie waren darauf angewiesen, vor jedem Einbruch der Nacht eine andere Siedlung erreicht zu haben, ansonsten zwangen einen die Schutzlosigkeit und die Temperaturen in die Knie. Selbst wenn er selbst keine großen Probleme mit der Witterung hatte, musste er stets an seine Begleiter denken. Eine Nacht am Lagerfeuer in der Wildnis war zwar durchaus machbar, aber die Sicherheit, die ihnen ein Dorf vor wilden Maschinen und Banditen bot, war da draußen auf sich gestellt undenkbar. Nach dem Passieren des Torpostens Tagturm am gestrigen Tage hatten sie die Wüste gegen Frost eingetauscht, und es würde alsbald kein Zurück mehr geben.

Avad wusste im ersten Moment gar nicht, wer oder wo er eigentlich war, als er versuchte seine Lider zu öffnen. Er fühlte sich klamm und so müde, als hätte er die ganze Nacht, mit viel Spaß, in einer Schenke verbracht. Sein unterer Rücken pochte schmerzhaft, beinahe als hätte ihn jemand verprügelt, aber die alleinige Schuld daran trug der harte Untergrund, auf welchem er genächtigt hatte. Benommen richtete sich der junge König auf und sah um sich herum, presste den Handballen gegen seine Stirn. Wahrlich, die Menschen hier, die Zweizahn allmählich wieder besiedelten, waren zäh. Noch waren es nicht viele, gerade einmal zwei Hand voll, aber sie taten alles daran, diesen Ort für sich zu erschließen. Sie hatten bereits kleine Hütten gebaut und die spitzen Holzpfähle teilweise durch massive und gerade geschlagene Kiefernstämme ersetzt. Alles in allem erinnerte kaum noch etwas an die vorherigen Besetzer.

Es war gestern schon seit einer Stunde dunkel gewesen, als die drei Reisenden diesen Ort erreicht hatten. So sehr die Stämme der Nora, und vor allem der Oseram, immer über den Carja-König schimpften, wenn er nicht da war, so gegenteilig war die Reaktion, wenn er plötzlich leibhaftig vor ihnen stand. Die Leute hier wollten zuerst nicht glauben, dass eben dieser junge Mann kein Herumtreiber, sondern der viel kommentierte König sein sollte.

Und wenn Avad ehrlich war, dann hätte er sich im ersten Moment auch kein Wort geglaubt. Aber Erend hatte ein unfassbares Talent, die Menschen auf seine Seite zu ziehen, und so wurden sie begrüßt und bekamen einen Platz zum Schlafen. Auch wenn sie meist von ihren Betten in Meridian träumten, war die Reise bis jetzt sehr gut verlaufen. Doch nun stand vor allem Avad vor einem großen Problem: der Kälte. Sein Körper war den kompletten Gegensatz gewohnt und wollte sich partout nichts anderes einreden lassen.

Und so lief die Nase, kratzte der Hals und fühlten sich die Gliedmaßen an wie aus Eis. Aber nein, er würde nicht aufgeben, er hatte genau das hier gewollt und gewusst, was auf ihn zukommen würde.

Ohne Krone oder sonstiger Annehmlichkeiten, aber mit einer doppelten Lage seiner unauffälligen Gewänder, suchte der König den Weg nach draußen. Die flammend roten Strahlen der erwachenden Sonne, die durch die Gipfel schien, breiteten sich in ganz Zweizahn aus und durchstachen sogar den hartnäckigen Nebel. Die ganze Siedlung leuchtete nebelweiß und feuerrot zugleich. Alle begannen gerade ihren frühen Tag. Der Morgentau hing in den Nadelspitzen der Bäume und in den Gesichtern der Menschen. Avad sah sich in der Siedlung um, von der Tür der Hütte hatte er eine gute Aussicht, und erkannte Erend und Damin am Torposten, wie sie sich mit Turuk, dem Vorsteher des ehemaligen Banditenlagers, unterhielten.

“Einen fabelhaften Morgen wünsche ich”, begrüßte Erend den jungen Mann mit einem leicht ironischen Unterton, als dieser sich der Dreiergruppe näherte, bedacht auf Avads Augenringe nach der unbequemen Nacht.

“Er ist in der Tat fabelhaft, hast du nicht die Sonne gesehen?”, erwiderte Avad bewusst zum Himmel blickend und schüttelte sich innerlich, “Seid gegrüßt Turuk, danke, dass wir gestern hierbleiben durften.”

“Nein, es war uns eine Freude. Seit gestern gibt es hier bei uns nur ein Gesprächsthema, und das seid Ihr. Schön, dass sich wenigstens einmal nicht alles um den heranziehenden Winter dreht”, brummte der Vorsteher tief in seinen Bart, “Alle wollen Euch kennen lernen.” Und in der Tat, auf Schritt und Tritt verfolgten den König neugierige aber schüchterne Blicke der Einheimischen, die sich bis vor kurzem kein Gesicht zu seinem Namen hatten vorstellen können. Aber genau das war es, was Avad mit seiner Reise bewirken wollte. Sie sollten sein Gesicht sehen und wieder Vertrauen zu den Carja finden.

“Ich habe mich umgehört”, sagte Damin, “Reisende haben die Nachricht unserer Anwesenheit bereits bis nach Mutterberg weitergetragen. Auf dem Rest des Weges sollten wir vorsichtig sein, diese Neuigkeit könnten nicht nur Freunde von uns mitbekommen haben.” Der grauhaarige Carja-Wachmann hatte schon viel Erfahrung damit, lange Reisen zu planen und erfolgreich zu unternehmen, ebenso wie Erend. Seine Kenntnisse über Banditen hatten ihnen auf ihrem Weg zwar den ein oder anderen Umweg durch Unterholz beschert, aber dafür auch das Aus dem Weg gehen mit unliebsamen Wegpassanten und Maschinen. Ein Kampf wäre ein fatales Risiko.

“Damin hat Recht”, entgegnete Erend, “Wir werden vorsichtiger sein müssen. Morgen früh beim ersten Sonnenstrahl brechen wir auf nach Mutterkrone. Es wird ein langer Tag, aber wir sollten vor Einbruch der Nacht eintreffen.” Alle Anwesenden nickten zustimmend.

“Lasst euch so viel Zeit wie nötig”, sagte Turuk und wandte sich danach wieder an den König selbst, “Wenn Ihr erlaubt, dann werde ich für heute Abend ein bescheidenes Festmahl veranstalten. Alle hier wollen euch treffen und mehr über das Sonnenreich und den Krieg erfahren. Ich ebenso.”

“Gerne, deswegen sind wie hier. Sagt mir…”, Avad räusperte sich, “Ich würde mir gerne das Gesicht waschen. Habt Ihr…”

“Natürlich”, Turuk verstand sofort und lachte, “Etwa eine halbe Meile von hier ist ein klarer Bergsee, so rein wie Diamanten aber auch so kalt wie frischer Schnee. Wir sind leider noch mit dem Bau des Brunnens beschäftigt und bekommen nur so unser Wasser. Aber ich kann Leute losschicken, die etwas Wasser vom See besorgen.”

“Nicht nötig”, meinte Avad schnell, denn er sah, wie Erend bereits zum Reden ansetzte, “Ich mache mich selbst auf den Weg.” Er wollte nicht, dass Sachen für ihn erledigt wurden. Nicht hier draußen, wo die Menschen selbst genug zu tun hatten.

“Unsere Beobachter haben keine Maschinen oder Menschen in der Nähe am Weg gesichtet seit heute Nacht. Es ist also sicher, soweit ich beurteilen kann”, erklärte Turuk.

Ich komme mit!”, äußerten sich Damin und Erend beinahe gleichzeitig in einer Mischung aus Protest und Überraschung.

“Nein, das ist nicht notwendig”, widersprach der junge König, “Ich würde gerne ein Stück allein gehen und außerdem habt ihr es gehört. Es ist sicher und nicht weit weg.”

Erend wollte wieder protestieren, aber er sah den Blick in den Augen seines Königs. Diesen Blick, den er in den Jahren in dessen Dienst nur zu gut kannte. Mit diesem Blick hatte er den Krieg beendet und eine der schwersten Entscheidungen seines Lebens getroffen - der Herrschaft seines Vaters ein Ende zu setzen. Mit diesem Blick war er losgezogen gen Osten, ohne über sein eigenes Wohl nachzudenken, die Augen klar auf sein Ziel des Friedens gerichtet. Und so nickte der Oseram nur besorgt.




Noch immer nicht ganz wach bahnte sich Avad den Weg durch das taufrische Gras hinunter zum nahegelegenen kleinen See. Anders als in Meridian wurde das Trinkwasser hier nicht durch ein Aquädukt gespeist, sondern durch gute alte Muskelkraft und Eimer. Zumindest bis der Brunnen fertig sein würde. Im Wald links und rechts neben dem schmalen Schleichpfad knackten die Äste unter dem steifen Wind und ringsumher sprangen einige Hasen aufgeschreckt aus ihren Verstecken. Einen tiefen Atemzug nach dem anderen. Lungen voll mit sauberer, eiskalter Luft. Lungen in Eis.

Wenige Minuten später erstreckte sich der gut dreißig Meter lange und breite See vor seinen Augen. Das Wasser war kristallblau und glitzerte unter den Sonnenstrahlen. Der Wind blies durch das angrenzende Schilff und einzelne kleine Blätter tänzelten über das azurfarbene Firmament, welches sich optisch kaum von der Farbe des Wassers unterschied. Selten hatte Avad einen so ruhigen Ort gesehen. So ruhig, dass man meinen konnte, kein Mensch hätte ihn jemals betreten.

Bloß nicht drüber nachdenken, zwang er sich noch, bevor er zwei Hände voll mit eiskaltem klaren Wasser in sein Gesicht schlug. Eine Sekunde später glaubte er, niemals wacher gewesen zu sein und tausend Nadeln durchstachen sein Gesicht, als er erschrocken und belebt mit einem tonlosen Atemzug Luft aus seinen Lungen stieß. Nass und betäubend. Das war genau das Richtige, das was er gebraucht hatte.

Im nächsten Moment war alles, was er spürte, ein dumpfes Donnergrollen in seinem Brustkorb. Leise und kaum hörbar zuerst, doch langsam aber sicher immer deutlicher. Die Erde vibrierte in einem klaren und gleichmäßigen Takt, als würde der Sonnengott persönlich auf die Erde schreiten. Auf der weiten Lichtung gegenüber hinter dem See schossen plötzlich ein Dutzend Vögel aus dem hohen Gras und suchten flatternd das Weite. Avads Puls stieg rasant in die Höhe und er hörte deutlich sein Herz in seinen Ohren pumpen. Das Grollen und Beben wurde lauter. Was immer es war, es kam näher.

Was war hier bitte los?!

Instinktiv duckte sich der junge Mann runter und sah sich zu allen Seiten um, aber Bäume und Sträucher versperrten seine Sicht. Als er gerade tief ausatmen wollte um sich selbst zu beruhigen, brach ein riesiges Geschöpf aus dem Dickicht hinter dem See. Avad konnte nicht atmen, nicht denken, alles war er sah stahl jegliche Hirnaktivität und Logik.

Die gewaltige, zehn Meter große Kreatur schritt auf die Lichtung, dass die Erde nur so bebte, und verharrte auf einmal, schaute in Richtung Himmel und Horizont. Eine solche Maschine hatte der junge König noch nie gesehen, alles was er in diesem Moment konnte, war das Wesen starr mit offenem Mund zu beobachten. Ins hohe Gras gekniet. Kein Mucks jetzt, kein einziger Laut. Instinkt vor Nachdenken. Es gab nur diese Maschine und ihn selbst. Keine Zeit existierte und auch keine Wirklichkeit. Noch nie zuvor hatte er sich so hilflos überfordert und gleichzeitig so lebendig gefühlt.

Die Maschine schritt ruhig Richtung See und senkte ihren stählernen Kopf gen Wasseroberfläche, als würde sie versuchen zu trinken. Die blauen Scheinwerfer leuchteten Avad kurzzeitig direkt ins Gesicht, aber er blieb unentdeckt. Sekunden später war es vorbei. Das Metallwesen drehte sich um, und verschwand wieder im Wald. Erend kam von hinten herbeigeeilt und packte ihn geschockt an der Schulter, doch jener spürte den Griff gar nicht. Er schaute dem Geschöpf noch immer hinterher, obwohl es längst verschwunden war, und realisierte erst nach und nach, was Erend versuchte ihm zu sagen. Das Blut schoss zurück in seinen Kopf, raus aus seinem wie wild pumpenden Herzen.

“Ich habe ihn eben von Zweizahn aus durch den Wald stapfen sehen und bin so schnell gerannt, w-wie ich konnte. Keine Ahnung, wo der so plötzlich herkam. G-Gott sei Dank, ist nichts Schlimmes passiert…”, prustete der Oseram erleichtert und abgehetzt.

“Wo kam wer her?”, fragte Avad halblaut und abwesend und blickte seinen Hauptmann nun schließlich an.

“Wer schon? Der Donnerkiefer.”

Nun fiel ihm der Name der Maschine wieder ein, die er bisher nur aus Büchern kannte. Und es würde noch viele Stunden dauern, bis er das Gesicht dieses Wesens nur halbwegs aus seinen Gedanken bekommen würde. Es war tödlich und lebensgefährlich gewesen, aber ebenso faszinierend und einprägsam. Ihm wurde mehr und mehr bewusst, dass diese Reise mehr war, als er einst gedacht hatte.
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