Winter's Flame
von Sunny
Kurzbeschreibung
Einige Zeit nach dem großen Kampf gegen Hades beginnt ein jeder wieder seinen eigenen Weg zu gehen. Sonnenkönig Avad möchte die Völker in der chaotischen Nachkriegszeit zusammenbringen und macht sich gemeinsam mit Erend persönlich auf den gefährlichen und langen Weg nach Osten. Währenddessen reist Aloy nach dem mentalen Abschied von Elisabet Sobeck zurück in die Lande der Nora, um endlich ihren festen Platz bei den Stämmen zu finden, was ihr aber mehr als schwer fällt. Und obwohl beide aus vollkommen entgegengesetzten Welten stammen – ihr jeweiliges Vorhaben wird sie bald ein zweites Mal zusammenführen.
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / Gen
18.10.2017
03.05.2018
7
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16
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Dieses Kapitel
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27.11.2017
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Mutters Plan
Heiß und hoffnungsvoll trafen die lodernden Flammen des Lagerfeuers auf die kalte und erbarmungslose Luft des Waldes. Das Brennholz knackte und barst unter der alles verschlingenden Hitze. Kleine Funken tanzten schwingend durch die Lüfte nach oben, ehe sie erkalteten und in der Nacht verschwanden. Aloy sah ihnen gedankenverloren nach, das warme Licht des Feuers spiegelte sich in ihren Augen und kribbelte angenehm auf der dünnen Haut ihres Gesichts.
Das Geräuschspiel des Lagerfeuers war beinahe das einzige, was man aktuell im Wald hören konnte. Ringsumher war es so still. Beängstigend still möchte man meinen, aber der jungen Kriegerin gefiel diese Ruhe. Erschöpft von der Jagd schloss sie ihre Lider und genoss das Gefühl der Wärme auf ihren Wangen. In ihren Händen hielt sie fest umklammert einen Pfeil, den sie sorgsam für ihren Köcher anfertigte. Rainholz, geschliffene Metallspitzen, Wächterdraht, Lohen.
Der Himmel war dunkel und eiskalt, der Nordwind ließ jeden im Tal erschaudern. Der Winter stand kurz bevor, jagen für Tierfelle und Fleischvorräte hatte oberste Priorität um die Dörfer zu versorgen. Die Menschen hier waren das frostige Klima gewohnt, wie Aloy selbst eigentlich sonst auch. Aber der lange Abstecher in die südlichen, tropischen Lande der Carja hatte ihrem Körper gezeigt, wie wohltuend die Sommersonne sein konnte und wie schnell sich das Immunsystem an jenes Wetter gewöhnen konnte. Andersherum, zurück im Osten, war das leider nicht der Fall und ihre Nase lief und lief, wie niemals zuvor. So still, der Wald, alles.
Zumindest bis sich die Person neben ihr lautstark räusperte und hungrig nach dem fertig gegrillten Lachs am Stock über dem Feuer griff und die Ruhe durchbrach.
«Sieht gut aus, scheint durch zu sein», stellte Nil nüchtern fest, nachdem er das dampfende gute Stück sorgfältig inspiziert hatte. Der Banditenjäger war nicht wirklich, so hatte Aloy schnell festgestellt, ein Freund von Mitmenschen. Kein Freund von Mitleid, Freundschaft oder Fürsorge. Zumindest hatte er noch keine dieser Eigenschaften in den nunmehr knapp zwei Monaten seit dem Kampf in Meridian an den Tag gelegt. Aber das war schon in Ordnung. Er verstand sich besser in zweckmäßiger Partnerschaft, Abgeschiedenheit und emotionaler Distanz. Aloy fragte sich ab und zu trotzdem, ob Nil wirklich so distanziert war oder nur so tat, um Leute auf Abstand zu halten, um etwas zu verstecken. Wer konnte das schon sagen? Im Moment jedenfalls wunderte sie sich Tag für Tag, warum sich der junge Mann immer noch in der Nähe des Stammes herumtrieb. Die meisten Banditen waren vertrieben oder in Kämpfen getötet worden. Nil wirkte planlos. Das war eigentlich nicht seine Art. Andererseits war sie froh, hier draußen in der Heimat nicht allein zu sein.
Seit sie in die Lande der Nora zurückgekehrt waren, hatte sich für die junge Frau alles verändert. Die Menschen, die Maschinen, die Wildnis - alles war beim Alten. Und doch war alles anders. Der Rückblick in die Zeit, als sie noch die stammeslose Außenseiterin war, was noch gar nicht allzu lang zurücklag, kam ihr vertrauter vor als der Blick nach vorne - die Heldin aller Stämme zu sein.
Jeder in den Landen kannte ihren Namen, ihr Gesicht, ihre heldenhaften und selbstlosen Taten. Dabei war das nie was sie gewollt hatte. Es war immer nur eine Familie gewesen. Dieser Traum war weiter weggerückt als jemals zuvor. Das Gewicht ihrer Triumphe wog schwerer, als sie es sich jemals vorgestellt hatte, schwerer als es jemals jemand verstehen konnte. Was nützte nun endlich die Anerkennung des Stammes, wenn es niemanden in ihrem Leben gab, dem sie alle ihre Gedanken und Geschichten erzählen konnte. Rost war immer ein exzellenter Zuhörer gewesen, wie ein Vater. Früher. Heute konnte er nichts weiter tun als zuhören. Keine Ratschläge und Lektionen mehr erteilen. Nie wieder.
«Aloy?», durchbrach es forsch erneut die Gedanken der jungen Nora und ließ sie zusammenzucken. Tonlos musterte sie Nil, der ihr ihren Stocklachs vor die Nase hielt. Er hatte anscheinend schon mehrere Male versucht sie anzusprechen, aber gedankenversunken hatte sie ihn erst gehört, als er mit dem Essen vor ihrem Gesicht rumwedeln und halblaut brüllen musste. Der einsame Wolf hatte größten Respekt vor der Norakriegerin - selten in seinem Leben, eigentlich noch nie, hatte ihn etwas so beeindruckt wie Aloys Zielstrebigkeit und ihre Kampffertigkeiten. Vielleicht war er deswegen noch hier. Aber nun hieß es, sich in den Alltag einzufügen. Nickend legte Aloy den fertigen und einsatzbereiten Feuerpfeil zu den anderen und nahm dankbar den Lachs entgegen, «Du hast mir noch gar nicht erzählt, was du in letzter Zeit getrieben hast. Ich habe dich schon eine Weile nicht mehr gesehen», fragte sie und pustete ihr wohlriechendes Mahl.
«Da gibt es ehrlich gesagt nichts Großartiges zu berichten. Ich jage den elenden Plünderern und Dieben hinterher, die die Dörfer und Wanderer überfallen. Ein endloser Kreislauf», murrte Nil gleichgültig. Die Nora-Städte, die nicht so glimpflich aus dem Kampf gegen die Todbringer davon gekommen waren und erhebliche Schäden und Verluste zu beklagen hatten, waren genug mit dem Wiederaufbau und dem Begräbnis der Toten beschäftigt gewesen. Da traf es sich gut, dass ein verlässlicher und höchst effizienter Banditenjäger in den Wäldern dafür sorgte, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen wurden, die dieses Chaos ausnutzten um zu stehlen. Aber inzwischen hatte sich die Lage beruhigt, die Hütten waren fast alle wiederaufgebaut und die Plündereien waren stark zurückgegangen.
«Das glaube ich dir. Der Winter wird hart», säuselte Aloy und schaute in die zuckenden Flammen vor ihr, «Ich werde jetzt langsam nach Mutterherz zurückreiten», beschloss die Kriegerin murmelnd, als sie fertig gegessen hatte, «Es war nett, dich mal wieder zu sehen.» Der Nachthimmel stand inzwischen in voller Pracht und unten am Berghang flimmerten die blauen Scheinwerfer einiger Läufer und Wächter. «Ebenso», erwiderte der Einzelgänger zustimmend, «Wie sehen uns bestimmt bald wieder, pass auf dich auf.»
Aloy lächelte, fischte ihren Bogen und den Köcher vom grasigen Boden und kehrte zurück zu ihrem gezähmten Läufer, der noch immer hundert Meter neben dem Lagerfeuer stand, genauso wie sie ihn zurückgelassen hatte. Sie sicherte noch einmal die heute erbeuteten Felle und das Wildschweinfleisch, zurrte alles fest an die Reitmaschine, bevor sie sich auf den Weg zurück machte. Nach Hause. In ihre Heimat. Wenn diese sich nur zweifelsohne so anfühlen würde.
In Mutterherz brannten die großen Feuer der Wachposten an allen Enden des Dorfes. Die Nachtwache hatte sich längst bereit gemacht für ihre Schicht, während der Nordwind sämtliche Nasen und Ohren zur Taubheit brachte. Einige glänzende Carja-Rüstungen gepaart mit wärmenden Nora-Gewändern kamen Aloy auf dem Weg durch die Hauptstraße entgegen, nachdem sie den Läufer vor den Toren zurückgelassen hatte.
Die letzten Carja hier im Dorf waren momentan völlig überfordert mit den hiesigen Temperaturen, der kommende Winter machte das noch deutlicher. Und so kam es, dass einige Dorfbewohner den Südlingen Kleidung abgaben, damit jene nicht vollends erfroren. Es war ein amüsantes Bild, diese Kombination aus Kleidung. Eindrucksvoll einzigartig. Die Menschen in Meridian konnten sich nur vereinzelt vorstellen, was ein Winter hierzulande bedeutete. Ihre sonnengeküsste Haut kannte kaum bis gar keinen Frost. Aber ihre Soldaten, die Avad nach dem Kampf zur Unterstützung und zur Knüpfung friedlicher Bande zu den Nora entsandt hatte, hielten tapfer stand. Auch wenn ihre Gesichter und fluchenden «Verdammt, ist das kalt!» anderes verrieten.
Zusätzlich mussten sie auch heute noch mit anhören, wie sich einzelne Nora im Dorf immer noch missgünstig über ihre Anwesenheit äußerten. Das musste man den Carja-Soldaten lassen - sie waren sehr professionell. Jedes Wort ihres Königs war ein unbezweifelbarer Befehl, ein ungeschriebenes Gesetz, egal was die eigene Meinung oder die Frostbeulen einem selbst einredeten.
Aloy gab die Felle und das Fleisch an die Verteilstelle im Dorf, die jegliche gesammelten Nahrungs- und Versorgungsmittel an alle anderen ausgab, bevor sie sich auf den Weg zu ihrer eigenen Hütte machte. Jene lag relativ am Ende des Ortes, neben einigen anderen Wohnhütten. Die junge Frau lebte erst seit wenigen Wochen hier unten im Tal in ihrem eigenen Zuhause. Bis dahin hatte sie oben in der Hütte von Rost und ihr geschlafen, einsam gelegen in den schneebedeckten Bergen und Gipfeln. Diese Einsamkeit aber hatte sie Nacht für Nacht in schlimmen Träumen heimgesucht, das Donnern der Kanonen und der Explosionen.
Das Blut, dass den Menschen aus den Ohren rann und die schreienden Kinder, die ihre leblosen Mütter und Väter aus den Trümmern zerrten. Rost, der vor ihren Augen in Feuer und Asche aufging. Sie hatte es nicht mehr aushalten können. Diese tote Unschuld in ihren Gedanken. Hier unten im Dorf sorgte die Anwesenheit anderer Menschen etwas für Ablenkung. Für das vollkommene Verschwinden der Träume reichte es jedoch nicht gänzlich.
In ihrem neuen Zuhause angekommen, entzündete Aloy den offenen Kamin neu, der in dieser Jahreszeit ununterbrochen brennen musste, damit man nicht fror. Fröstelnd entledigte sie sich ihrer pragmatischen bunten Jägerrobe und der braunen Lederunterkleidung und hänge beides zum Trocknen über die Holzständer rechts neben dem Feuer. Die wärmenden Flammen tauchten den Raum in goldenes Rot. Links im Haus stand ein großes Holzbett bedeckt mit Fellen und handgefertigten Decken und daneben eine aufwendig verzierte Truhe mit Kleidung.
Die Jägerin nahm sich daraus neue Unterkleider und begab sich zitternd in die weichen Hüllen ihres Bettes, welche im ersten Moment des Hineinlegens unfassbar kalt waren, sodass sie scharf Luft zwischen ihren Zähnen einsog. Es würde viele Minuten, wenn nicht sogar einige Stunden dauern, bis ihre Körperwärme die Laken angenehm aufgewärmt haben würde. Aber das Kaminfeuer würde schließlich auch seinen Teil dazu beitragen.
Bibbernd zog Aloy ihre Knie nah an ihren Brustkorb, so nah, dass es zog und schmerzte. Ihre Füße spürte sie schon seit einiger Zeit nicht mehr. Ihre Gedanken schweiften ab. Weit weg von Mutterherz, zurück in der warmen Sonne, an einen Ort, an dem man nicht ständig seinen eigenen Atem vor sich kondensieren sah. Ja, das tat gut, lenkte ab von der berstenden Kälte. Auf die Balkone von Meridian mit der unvergleichlichen Aussicht. Eine Aussicht, die man nicht begreifen konnte, als würde man träumen.
Der kalte Osten war ihr Zuhause. Schon immer und noch ewig. Aber hier und da waren Erinnerungen an ihre Reisen das, was sie gerne Revue passieren ließ, war ihre Adern erwärmte. Die Menschen brauchten sie hier. Teb, die Stammesmütter, Sona. Sie alle waren auf der Seite der jungen Frau, viele von ihnen waren zu ihren Vertrauten geworden.
Aber Erend, Marad, Itamen, Avad. Wie mag es ihnen in der Zwischenzeit ergangen sein? Alle schwer beschäftigt, selbstverständlich. Aber dachten besagte Freunde vielleicht auch zwischendurch mal an sie, so wie sie selbst zurückdachte?
An die unbeschwerten Momente.
Die vertrauten Gesichter.
Die zwei braunen Augen.
Das warme Lächeln.
Warm.
Warm und königlich.
Schlussendlich müde und erschöpft, aber mit einem kleinen unbewussten Lächeln, sank sie in ihren gewohnt unruhigen Schlaf.