Arcadia Bay
von Caligula
Kurzbeschreibung
Max will nicht aufgeben, bis sie alles gerichtet hat. Aber ist eine solch perfekte Realität überhaupt möglich?
GeschichteMystery, Freundschaft / P16 / Gen
Chloe Price
Mark Jefferson
Maxine "Max" Caulfield
Nathan Prescott
Rachel Amber
12.08.2017
18.12.2020
22
63.991
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13.09.2019
3.182
Kapitel 13 – Where in the world is Rachel Amber?
Es war kein Zufall, wie Max nun wusste. Nathan hatte das Ende der Welt kommen sehen und mit einem Knall gehen wollen, weil er davon überzeugt gewesen war, dem Untergang nicht entgehen zu können. Doch die Umstände hatten sich geändert. Sie wussten jetzt, dass eine Flucht aus Arcadia Bay nicht unmöglich war. Rachel war sie gelungen. Aber wie sollten sie die Menschen zur Flucht bringen? Niemand sah die Katastrophe kommen. Ihre einzige Möglichkeit schien zu sein, den Sturm zu verhindern. Es musste eine Möglichkeit sein.
Stöhnend ließ Max den Kopf gegen die Rückenlehne ihres Sitzes sinken und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Nathan kurz zu ihr rüber sah, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte.
„Was ist mit dir?“, wollte er wissen.
„Kopfschmerzen“, murmelte Max mit geschlossenen Augen.
Er schnaubte. „Nach nur fünf Minuten mit diesem Punk kann man Kopfschmerzen kriegen.“
„Hey“, fuhr Max ihn müde an. „Das ist immer noch meine beste Freundin, von der du da redest.“
„Schätze, da gewöhne ich mich nicht mehr dran“, tat Nathan achselzuckend ab. „Als ich dich kennengelernt habe, war Victoria deine beste Freundin und die würde sich mit so etwas niemals abgeben.“
„Ich bin selbst noch ganz verwirrt...in einem anderen Leben hat Victoria mich mit dem Arsch nicht angesehen. Und du...hast Chloe erschossen.“ Ihr entging nicht, wie Nathans Körper sich anspannte und sich seine Hand ums Lenkrad verkrampfte.
„Ernsthaft? Ach, komm schon...“ Fast klang es, als würde er sich selbst verfluchen.
„Damals habe ich meine Kräfte zum ersten Mal eingesetzt...“, überlegte Max laut. „Aber wieso da? Wieso hat es dort begonnen?“
„Weil sie an dem Tag nicht sterben sollte?“, warf Nathan grimmig in den Raum.
„Aber warum ich? Und dann die Vision? Warum du, warum Rachel? Für all das muss es doch einen Grund geben.“ Diese Überlegungen und die ewigen Fragen waren frustrierend und Nathan schien es vorzuziehen, keine weiteren Vermutungen anzustellen, sondern zu schweigen und ehe Max irgendwelche Ideen kommen wollten, hatten sie die Blackwell auch schon erreicht.
Auf dem Parkplatz warteten Victoria und ihre Freundinnen bereits auf sie. Nervosität befiel Max, als sie aus dem Wagen stieg und sich an Nathans Seite dem Begrüßungskomitee stellte. Alle drei Mädchen machten einen skeptischen, prüfenden Eindruck.
„Ach, wo kommt ihr denn her?“, verlangte Courtney augenblicklich zu wissen, die Arme beleidigt vor der Brust verschränkt und die Brauen erwartungsvoll gehoben.
„Aus'm Diner?“, gab Nathan trotzig zurück. Max hielt sich geschlossen und wollte die Lage erst beobachten, währenddessen sie Victorias bohrendem Blick standhalten musste. Schwer zu sagen, welcher sie mehr unter Druck setzte - ihrer oder die wenig subtil eifersüchtigen Blicke, die Courtney immer wieder in ihre Richtung schoss.
„Hast du dann einen Moment? So eine Party organisiert sich schließlich nicht von selbst.“
Seufzend verdrehte Nathan die Augen und setzte sich in Bewegung; Courtney heftete sich ungefragt an seine Fersen. Max blieb wie angewurzelt stehen und wartete gespannt, was das Schicksal für sie bereithielt.
Victoria flüsterte Taylor irgendetwas zu und Letztere folgte den Freunden zum Schulgebäude. Max blieb mit Victoria allein zurück. Sie ging an Max vorbei, welche sich neugierig umdrehte um zu sehen, wie Victoria sich mit vor dem Körper verschränkten Armen an das Heck von Nathans Wagen lehnte und sie streng ansah. „Max, was hab ich dir gesagt? Bezüglich Nathan?“
„So ist das nicht“, wehrte Max schnell ab. „Zwischen mir und Nathan läuft nichts und das kannst du Courtney gerne auch sagen. Wir sind nur Freunde und es ist wohl nicht verwerflich, wenn wir mal was essen gehen.“
Victoria stieß genervt den Atem aus. „Sei nicht so naiv, Max. Er geht doch nicht mit dir essen, weil ihr Freunde seid. Er will was von dir.“
„Nein.“ Diese Unterstellung klang schrecklich absurd, wenn sie an all seine Beschimpfungen und Drohungen aus vergangenen Leben dachte. Und selbst nach einem besseren Start, den sie in dieser Zeitlinie wohl gehabt hatten, dürfte er anderes im Kopf haben, als sich ein Mädchen klarzumachen. Dann wiederum hatte er ihr bereits gestanden, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte. „Na, und selbst wenn. Ich nicht von ihm.“ Wie könnte sie, nach allem was sie gesehen und gehört hatte. War es das gewesen, wovor Victoria sie hatte warnen wollen? „Es ist alles cool zwischen uns, ehrlich“, legte sie mit einem besänftigenden Lächeln nach.
„Ich hoffe ernsthaft, dass du mich nicht anlügst, Max“, gab sich Victoria seufzend geschlagen. „Also gut, ich habe keine Lust zu streiten. Nur noch ein paar Stunden, bis zur Party und ich hab mich immer noch nicht entschieden, was ich anziehen will! Ich brauche deinen seelischen Beistand.“
Max widerstand dem Drang ungläubig den Kopf zu schütteln. Klamotten waren nun wirklich das Letzte, um das sie sich Sorgen machen mussten. „Ich denke, Taylor ist dir da eine größere Hilfe“, versuchte sie sich rauszuwinden.
„Nichts da! Ich brauche dein geschultes Auge“, erwiderte Victoria mit einem Grinsen und bedeutungsvoll wackelnden Augenbrauen. Max konnte nur ratlos die Stirn runzeln. „Na, wo Mr Jefferson doch in den höchsten Tönen von dir und deinen Augen schwärmt, ist es doch nur logisch die zu nutzen, um den lieben Mr Jefferson um den Finger zu wickeln.“
„Was?!“ Max konnte keinen Hehl aus ihrem Entsetzen machen. „Du erzählst mir was davon, dass ich vorsichtig sein soll und dann schmeisst du dich ausgerechnet an Mr Jefferson ran?!“
„Was heißt denn hier bitte ausgerechnet?“ Victoria hatte missmutig das Gesicht verzogen. „Was soll denn schon passieren? Er ist Lehrer, das ist nur für ihn gefährlich.“
„Wieso machst du so einen Scheiß, Victoria?“
„Sei nicht blöd, Max. Mr Jefferson ist zwar Lehrer, aber er ist immer noch eine namhafte Größe im Geschäft. Es ist clever sich gut mit ihm zu stellen. Außerdem stehe ich ohnehin eher auf gestandene Männer“, fügte sie noch schulterzuckend hinzu. „Und heute Abend bei der Party ist die perfekte Gelegenheit etwas auf Tuchfühlung zu gehen. Du weißt doch, dass er da sein wird, um den Gewinner des Everyday Heroes Wettbewerbs bekannt zu geben. Du erinnerst dich?“ Sie musterte Max prüfend, den Kopf leicht schief gelegt. „Was ist in letzter Zeit bloß mit dir los, Max? Du bist irgendwie...seltsam.“
Max schluckte. „Ja, seltsam...“ Dieses Leben war seltsam und es wollte Max einfach nicht gelingen allen vermischten Erwartungen gerecht zu werden. Aber das war jetzt auch absolut nebensächlich. „Ich fühl mich auch nicht so gut, ehrlich gesagt. Ich hab Kopfschmerzen. Vielleicht leg ich mich noch was hin und schwänze den Unterricht, damit ich heute Abend fit bin.“
Victoria betrachtete sie einen Moment eingehend. „Ja, vielleicht solltest du das“, stimmte sie schließlich misstrauisch zu. Sie ahnte, dass etwas nicht stimmte und sie war neugierig oder fürsorglich genug, um Max noch ausgiebig auf den Zahn zu fühlen. Doch da sie wohl bis zur Party damit warten würde, würde ihr diese Gelegenheit verwehrt bleiben, denn wenngleich Max noch nicht wusste, was zu tun war, so gedachte sie ganz bestimmt nicht Arcadia Bays letzte Minuten auf einer beschissenen Vortexclub-Party zu verschwenden.
Sich den Kopf haltend, der wirklich schmerzte, entschuldigte sie sich und machte sich auf den Weg ins Schulgebäude. Sie wusste nicht was zu tun war, sie hatten keinen Plan und die Zeit, die gegen sie arbeitete, schürte Panik in Max. Ihre einzige Hoffnung war, Rachel zu finden. Und ihre einzige Hoffnung darauf, war anscheinend Mr Jefferson.
Max wollte aufs Ganze gehen. Ihn konfrontieren und noch einmal von ihren Kräften Gebrauch machen, um etwaige Fehlentscheidungen zu korrigieren und diese zur Erreichung ihres Ziels zu nutzen. Sie tippte gerade ins Handy, um Chloe, die alle Orte in Arcadia Bay abklapperte, an denen Rachel sich vielleicht doch aufhalten könnte, über ihren Plan zu informieren, als sie mit jemandem zusammenstieß.
„Max!“, erklang Kates erschrockene Stimme. „Ist alles in Ordnung? Du wirkst angespannt.“
„Ja, ich...hab nur Kopfschmerzen.“
„Schon wieder? Ist das chronisch bei dir?“ Was bei jedem anderen spöttisch geklungen hätte, klang bei Kate lediglich ehrlich besorgt.
„Nein, ich bin nur gestresst“, winkte sie müde lächelnd ab. „Sag mal, hast du Mr Jefferson gesehen?“
„Ja, er verbringt die Pause in seinem Klassenzimmer. Vielleicht fällt er gerade sein Urteil bezüglich des Wettbewerbs.“ Was hatten denn jetzt bloß alle mit diesem verfluchten Wettbewerb? Hatte Max überhaupt daran teilgenommen? Soweit sie in dieser Zeitlinie zurückdenken konnte, hatte sie kein Foto abgegeben. Gleichzeitig hatte Mr Jefferson sie nicht darauf angesprochen, obwohl er, Victoria zu Folge, doch große Stücke auf Max und ihr Talent zu halten schien. „Okay, danke, ich muss jetzt los“, verabschiedete sie sich hastig.
„Max, ist wirklich alles okay?“ Wenn Victoria Chase sie schon durchschaute, sollte es sie wohl nicht verwundern, dass sie der einfühlsamen Kate nichts vormachen konnte. „Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten?“
Max zwang sich zum zuversichtlichsten Lächeln, das ihr gelingen wollte. „Nicht doch, es ist alles Ordnung. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, Kate.“ Außer darüber, dass ich versage und du den morgigen Tag nicht mehr erlebst. „Sehen wir uns nachher auf der Party?“
Endlich schien sie Kate beschwichtigt zu haben. „Ja, klar.“
Diesmal gelang ihr die Verabschiedung und Max strebte das Fotolabor an. Von Chloe kamen nur Fehlanzeigen und von Nathan hörte sie gar nichts mehr. Vertiefte er sich allen Ernstes in die Planung dieser bescheuerten Party oder verfolgte er selbst irgendwelche Pläne? Vielleicht wurde er Courtney auch einfach nicht mehr los.
Doch er war sie losgeworden, wie Max feststellte, als sie die angelehnte Tür zum Fotolabor öffnete und Nathan auf der anderen Seite an der Türklinke hing. Er betrachtete Max verdutzt und verwehrte ihr einen Moment den Blick auf Mr Jefferson, der an seinem Pult stand, tatsächlich über eine Auswahl von Fotos gebeugt, bei denen es sich sicherlich um die Wettbewerbsbeiträge handelte.
„Hallo, Max“, grüßte der Lehrer sie ganz ungezwungen, ganz in seiner Rolle, und als hätte er bis vor wenigen Sekunden kein zwielichtiges Gespräch mit Nathan geführt. „Kann ich etwas für dich tun?“
Nathan versperrte ihr immer noch den Weg und betrachtete sie verständnislos. „Was tust du?!“, zischte er so leise, dass Mr Jefferson sie nicht hörte.
„Vertrau mir“, erwiderte sie flüsternd und schob sich dann, seinen Protest ignorierend, an ihm vorbei. Mr Jefferson lächelte, als sie auf ihn zutrat. Ein Lächeln, das vor wenigen Tagen noch ihre Knie hätte weich werden lassen. Nun bekam sie kalte Füße, als er Nathan unmissverständlich bat, sie alleine zu lassen.
„Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte Max kleinlaut mit Blick auf die auf dem Pult ausgebreiteten Fotografien.
„Überhaupt nicht.“ Er folgte ihrem Blick und breitete in einer einladenden Geste einen Arm über die gesammelten Werke aus. „Ich gehe noch einmal eure Wettbewerbsbeiträge durch. Ich habe zwar meine Favoriten, aber ich dachte mir, ein paar letzte Überlegungen können nicht schaden.“
Max' Augen huschten schnell über die Bilder und ebenso schnell fand sie, wonach sie Ausschau gehalten hatte. Ihr Bild. Anscheinend hatte sie abgegeben. Und allem Anschein nach war sie sich nicht zu schade gewesen, sich selbst als Alltagshelden abzulichten. Beschämt starrte sie auf ihr Foto, das ihren Hinterkopf vor ihrer Fotowand in ihrem Zimmer zeigte und versuchte verzweifelt sich ins Gedächtnis zu rufen, von wann die Aufnahme stammte. War sie nicht älter als ihr letzter Zeitsprung?
„Ein interessanter Beitrag“, kommentierte Mr Jefferson, dem ihr Fokus wohl nicht entgangen war. „Und ich würde gerne die Idee dahinter hören.“
Max schluckte und zwang sich wieder aufzusehen. „Ich bin nicht hier, um über mich zu reden...“, begann sie zögerlich und der Lehrer betrachtete sie mit erwartungsvoll gehobener Braue. „Ich wollte...kann ich Sie fragen...was Sie über Rachel Amber wissen?“ Möglicherweise war es nur Einbildung, doch Max hatte das Gefühl, dass die Raumtemperatur abrupt sank. Doch Mr Jeffersons Miene verriet nichts.
„Rachel Amber?“, wiederholte er verdutzt. Beinahe hätte sie ihm seine Unschuld abkaufen können. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
Sie könnte versuchen, sich vorsichtig vorzutasten; sie könnte ihm ihr Wissen schonungslos vor den Latz knallen, doch die vielversprechendste Vorgehensweise schien ihr ein Mittelweg zu sein. „Ich habe von Nathan gehört, er hätte sie gesehen.“
Erschöpft schloss Mr Jefferson die Augen und nahm kurz die Brille ab, um sich die die Nasenwurzel zu reiben. „Hör zu, Max, ich weiß, du bist mit Nathan befreundet, aber du solltest nicht alles glauben, was er sagt. Nathan ist einer unserer verhaltensauffälligsten Schüler und gewisse Substanzen, die hier nicht gestattet sind, spielen da sicherlich auch eine Rolle.“ Er verriet sich allein dadurch, dass er den Prescotts nicht in den Arsch kroch, sondern noch ganz schamlos ihren Sohn diffamierte, doch dessen schien er sich überhaupt nicht bewusst zu sein. „Niemand hat Rachel mehr gesehen, seit Monaten und...offen gestanden, fürchte ich, dass wir jedwede Hoffnungen langsam aber sicher begraben müssen.“
„Ich hätte es ja auch nicht geglaubt“, plapperte Max mutig weiter. „...wenn Sie kurz darauf nicht zugegeben hätten, dass Sie lebt.“
„Wie bitte?“
Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe Ihr Gespräch mit Nathan gestern in seinem Zimmer mitangehört.“
„Du hast was?“
„Auch ich habe Rachel gesehen, ganz leibhaftig. Und schnell kamen wir zu dem Schluss, dass Sie irgendetwas damit zu tun haben müssen.“
Ihr Herz pochte fast schmerzhaft gegen ihren Brustkorb vor Aufregung, denn sie konnte absolut nicht einschätzen, wie Mr Jefferson reagieren würde. Sie kannte ihn als sanften, geduldigen Mann, doch wusste gleichzeitig um seine perverse Kaltblütigkeit. Er war es gewohnt, Mädchen wehzutun. Und Max war augenscheinlich ein leicht zu überwältigender Gegner. Nur mühsam widerstand sie dem Drang zur Tür zu sehen und damit Schwäche zu zeigen.
Langsam verzog sich sein Mund zu einem Lächeln und er legte die Hände auf der Tischplatte, auf den Bildern, ab. „Sieh an...“, sagte er ruhig; eine Ruhe die die Anspannung in Max nur noch steigerte. „Ich wusste, dass du neugierig bist, Max. Aber dass du deine Nase ausgerechnet in diese Angelegenheit steckst, habe ich nicht kommen sehen. Woher kennst du Rachel? Sie verschwand von der Bildfläche, noch bevor du deine Schullaufbahn an der Blackwell Academy begonnen hast.“
Er zeigte sich kooperativer als Max sich erhofft hatte, daher ließ sie sich auf die Unterhaltung ein. „Ich kenne Menschen, denen Rachel viel bedeutet.“
Mr Jefferson schnaubte abfällig. „Nathan? Dein feiner Freund kann Lust von Liebe nicht unterscheiden. Es ist nicht seine Schuld. Aber er macht sich was vor und es wird höchste Zeit, dass er das einsieht.“
„Rachels Eltern“, hielt Max stur dagegen.
Aus irgendwelchen Gründen zierte ein selbstgefälliges Grinsen sein Gesicht. „Max...du mischst dich in Dinge ein, die dich überhaupt nichts angehen. Aber fein - ja, möglicherweise weiß ich etwas über den Verbleib von Rachel Amber. Und wenn es dich so brennend interessiert, erzähle ich dir alles, was du wissen willst. Aber nicht hier, nicht jetzt.“ Sie schluckte, denn sie ahnte worauf das hinauslaufen würde. Und sie wusste, dass der kritische Moment, das Gespräch abzubrechen, rapide näherrückte. „Was denn? Auf einmal so schüchtern? Hast du Angst vor mir?“ Das hätte ihm bestimmt gut gefallen. „Ich bin nicht derjenige, vor dem du Angst haben musst, Max. Es ist dein Freund Nathan. Aber auch darüber erzähle ich dir gerne mehr.“
„Wird Rachel dort sein? Dort, wo Sie mit mir sprechen wollen?“
„Vielleicht.“
Sie tat als würde sie ernsthaft über sein Angebot nachdenken, während sie gedankenverloren die Fotos auf dem Pult hin und her schob. Ihre Hand gefährlich nahe an seinen Händen. Dann griff sie sich ganz unvermittelt ihr eigenes Bild.
„Einverstanden“, willigte sie schließlich ein.
„Ich bin froh, dass wir wie Erwachsene darüber reden können.“
„Wo und wann treffen wir uns?“
„Sicherlich kommst du zur Party heute Abend. Schließlich richtet dein kleiner Club sie aus. Ich werde dort den Gewinner des Wettbewerbs verkünden und danach...nehme ich mir gerne noch einen Moment für dich.“ Bei dem Versprechen wurde Max übel. Sie wusste genau, welches Schicksal ihr blühte. Und kurz spielte sie mit dem Gedanken zurück zu springen, seine widerliche Drohung rückgängig zu machen und ihm jedweden Verdacht wieder auszutreiben. Doch er war möglicherweise der einzige Mensch auf der Welt, der ihr sagen konnte, wo Rachel Amber sich aufhielt. Noch brauchte sie ihn. Und er hatte ihr einen Fluchtweg ermöglicht.
„Dann sehen wir uns auf der Party“, besiegelte sie die Verabredung und wandte sich mit einem schüchternen Lächeln zum Gehen um.
„He“, hielt er sie noch auf. „Das Bild...“
„Das bekommen Sie heute Abend wieder“, versprach sie und war schneller an der Tür, als der Lehrer protestieren konnte.
Eilig verschwand sie auf den Gang und stieß fast mit Nathan zusammen, der wohl vor dem Klassenzimmer herumgelungert hatte. Am Ärmel zog sie ihn mit sich mit, zielstrebig raus aus dem Radius von Mark Jefferson, und noch während er ungeduldig wissen wollte, was in dem Klassenzimmer vorgefallen war, klingelte ihr Handy. Es war Chloe.
„Chloe, irgendetwas Neues?“
„Absolut gar nichts“, stöhnte die Freundin frustriert am anderen Ende der Leitung. „Rachel ist nirgendwo aufzufinden, offensichtlich hat sie die Stadt wirklich verlassen. Und von einer Unwetterwarnung hört man auch nichts. Wie lief es mit diesem Jeffershit?“
„Er will mit mir über Rachel reden. Ich hoffe, von ihm zu erfahren, wo wir sie finden können.“
„Wie?! Was hast du getan?“, wurde sie von Nathan angeblafft.
„Ich hab ihm gesagt, dass ich Rachel gesehen und euer Gespräch mit seinem Geständnis belauscht habe“, gab sie ein wenig zerknirscht zu. Es war offensichtlich, dass Nathan überhaupt nichts von diesem Plan hielt.
Chloe hingegen klang beeindruckt. „Alter, Max...ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“
„Das ist gefährlich! Mark ist gefährlich!“ Nathan sie aufgebracht an. Inzwischen hatten sie das Schulgebäude verlassen und steuerten wieder den Parkplatz an. „Von wegen, er will mit dir reden! Er will genau das von dir, was er von allen anderen Mädchen wollte!“
„Und was ist mit dir? Hat er noch einmal mit dir geredet?“
„Er sagte, wir treffen uns später an unserem Ort, um zu reden.“
„Ich würde fast sagen, die Chancen stehen höher, dass er dir etwas antun wird.“
„Wo ist dieser Ort, Prescott?“, mischte Chloe sich wieder ein.
„Nicht allzu weit weg“, gab Nathan vage zurück.
„Könnte ich mich dort verstecken, bis der Psycho kommt?“
„Das ist eine gute Idee“, befand Max, drehte sich zu Nathan um und hielt ihn an den Armen, weil er über die Idee nur ungläubig den Atem ausstoßen konnte. „Wir nageln Jefferson in diesem Versteck fest. Du bringst Chloe dorthin und schreibst Jefferson, dass du auf ihn wartest. Ich komme mit ihm nach. Und dann wird er uns Rede und Antwort stehen. Wir sind zu dritt und haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Und meine Kräfte. Uns kann nichts passieren. Aber wir müssen unbedingt Rachel finden. Das ist unsere einzige Chance.“ Flehend sah sie zu ihm hoch und während der Nathan einer anderen Zeitlinie sie von sich geschubst und erklärt hätte, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hatte, kämpfte dieser hier einen inneren Kampf mit sich selbst und es fiel ihm sichtlich schwer, seine Entscheidung zu treffen. Er schien sich wirklich Sorgen um Max zu machen.
„Na, meinetwegen. Aber was dann? Selbst wenn Rachel sich im Bunker verstecken sollte, bliebe uns wirklich genug Zeit, die Katastrophe zu verhindern?“
„Wie gesagt, wir haben meine Kräfte. Aber wir brauchen jede Information, über Rachel, die wir kriegen können.“
Er seufzte. „Also schön, was haben wir schon zu verlieren, was?“
„Warte auf dem Parkplatz auf mich, Prescott“, orderte Chloe. „Ich bin gleich da. Und ich fahre.“
Nathan verdrehte ergeben die Augen.
Es war kein Zufall, wie Max nun wusste. Nathan hatte das Ende der Welt kommen sehen und mit einem Knall gehen wollen, weil er davon überzeugt gewesen war, dem Untergang nicht entgehen zu können. Doch die Umstände hatten sich geändert. Sie wussten jetzt, dass eine Flucht aus Arcadia Bay nicht unmöglich war. Rachel war sie gelungen. Aber wie sollten sie die Menschen zur Flucht bringen? Niemand sah die Katastrophe kommen. Ihre einzige Möglichkeit schien zu sein, den Sturm zu verhindern. Es musste eine Möglichkeit sein.
Stöhnend ließ Max den Kopf gegen die Rückenlehne ihres Sitzes sinken und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Nathan kurz zu ihr rüber sah, ehe er sich wieder auf die Straße konzentrierte.
„Was ist mit dir?“, wollte er wissen.
„Kopfschmerzen“, murmelte Max mit geschlossenen Augen.
Er schnaubte. „Nach nur fünf Minuten mit diesem Punk kann man Kopfschmerzen kriegen.“
„Hey“, fuhr Max ihn müde an. „Das ist immer noch meine beste Freundin, von der du da redest.“
„Schätze, da gewöhne ich mich nicht mehr dran“, tat Nathan achselzuckend ab. „Als ich dich kennengelernt habe, war Victoria deine beste Freundin und die würde sich mit so etwas niemals abgeben.“
„Ich bin selbst noch ganz verwirrt...in einem anderen Leben hat Victoria mich mit dem Arsch nicht angesehen. Und du...hast Chloe erschossen.“ Ihr entging nicht, wie Nathans Körper sich anspannte und sich seine Hand ums Lenkrad verkrampfte.
„Ernsthaft? Ach, komm schon...“ Fast klang es, als würde er sich selbst verfluchen.
„Damals habe ich meine Kräfte zum ersten Mal eingesetzt...“, überlegte Max laut. „Aber wieso da? Wieso hat es dort begonnen?“
„Weil sie an dem Tag nicht sterben sollte?“, warf Nathan grimmig in den Raum.
„Aber warum ich? Und dann die Vision? Warum du, warum Rachel? Für all das muss es doch einen Grund geben.“ Diese Überlegungen und die ewigen Fragen waren frustrierend und Nathan schien es vorzuziehen, keine weiteren Vermutungen anzustellen, sondern zu schweigen und ehe Max irgendwelche Ideen kommen wollten, hatten sie die Blackwell auch schon erreicht.
Auf dem Parkplatz warteten Victoria und ihre Freundinnen bereits auf sie. Nervosität befiel Max, als sie aus dem Wagen stieg und sich an Nathans Seite dem Begrüßungskomitee stellte. Alle drei Mädchen machten einen skeptischen, prüfenden Eindruck.
„Ach, wo kommt ihr denn her?“, verlangte Courtney augenblicklich zu wissen, die Arme beleidigt vor der Brust verschränkt und die Brauen erwartungsvoll gehoben.
„Aus'm Diner?“, gab Nathan trotzig zurück. Max hielt sich geschlossen und wollte die Lage erst beobachten, währenddessen sie Victorias bohrendem Blick standhalten musste. Schwer zu sagen, welcher sie mehr unter Druck setzte - ihrer oder die wenig subtil eifersüchtigen Blicke, die Courtney immer wieder in ihre Richtung schoss.
„Hast du dann einen Moment? So eine Party organisiert sich schließlich nicht von selbst.“
Seufzend verdrehte Nathan die Augen und setzte sich in Bewegung; Courtney heftete sich ungefragt an seine Fersen. Max blieb wie angewurzelt stehen und wartete gespannt, was das Schicksal für sie bereithielt.
Victoria flüsterte Taylor irgendetwas zu und Letztere folgte den Freunden zum Schulgebäude. Max blieb mit Victoria allein zurück. Sie ging an Max vorbei, welche sich neugierig umdrehte um zu sehen, wie Victoria sich mit vor dem Körper verschränkten Armen an das Heck von Nathans Wagen lehnte und sie streng ansah. „Max, was hab ich dir gesagt? Bezüglich Nathan?“
„So ist das nicht“, wehrte Max schnell ab. „Zwischen mir und Nathan läuft nichts und das kannst du Courtney gerne auch sagen. Wir sind nur Freunde und es ist wohl nicht verwerflich, wenn wir mal was essen gehen.“
Victoria stieß genervt den Atem aus. „Sei nicht so naiv, Max. Er geht doch nicht mit dir essen, weil ihr Freunde seid. Er will was von dir.“
„Nein.“ Diese Unterstellung klang schrecklich absurd, wenn sie an all seine Beschimpfungen und Drohungen aus vergangenen Leben dachte. Und selbst nach einem besseren Start, den sie in dieser Zeitlinie wohl gehabt hatten, dürfte er anderes im Kopf haben, als sich ein Mädchen klarzumachen. Dann wiederum hatte er ihr bereits gestanden, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte. „Na, und selbst wenn. Ich nicht von ihm.“ Wie könnte sie, nach allem was sie gesehen und gehört hatte. War es das gewesen, wovor Victoria sie hatte warnen wollen? „Es ist alles cool zwischen uns, ehrlich“, legte sie mit einem besänftigenden Lächeln nach.
„Ich hoffe ernsthaft, dass du mich nicht anlügst, Max“, gab sich Victoria seufzend geschlagen. „Also gut, ich habe keine Lust zu streiten. Nur noch ein paar Stunden, bis zur Party und ich hab mich immer noch nicht entschieden, was ich anziehen will! Ich brauche deinen seelischen Beistand.“
Max widerstand dem Drang ungläubig den Kopf zu schütteln. Klamotten waren nun wirklich das Letzte, um das sie sich Sorgen machen mussten. „Ich denke, Taylor ist dir da eine größere Hilfe“, versuchte sie sich rauszuwinden.
„Nichts da! Ich brauche dein geschultes Auge“, erwiderte Victoria mit einem Grinsen und bedeutungsvoll wackelnden Augenbrauen. Max konnte nur ratlos die Stirn runzeln. „Na, wo Mr Jefferson doch in den höchsten Tönen von dir und deinen Augen schwärmt, ist es doch nur logisch die zu nutzen, um den lieben Mr Jefferson um den Finger zu wickeln.“
„Was?!“ Max konnte keinen Hehl aus ihrem Entsetzen machen. „Du erzählst mir was davon, dass ich vorsichtig sein soll und dann schmeisst du dich ausgerechnet an Mr Jefferson ran?!“
„Was heißt denn hier bitte ausgerechnet?“ Victoria hatte missmutig das Gesicht verzogen. „Was soll denn schon passieren? Er ist Lehrer, das ist nur für ihn gefährlich.“
„Wieso machst du so einen Scheiß, Victoria?“
„Sei nicht blöd, Max. Mr Jefferson ist zwar Lehrer, aber er ist immer noch eine namhafte Größe im Geschäft. Es ist clever sich gut mit ihm zu stellen. Außerdem stehe ich ohnehin eher auf gestandene Männer“, fügte sie noch schulterzuckend hinzu. „Und heute Abend bei der Party ist die perfekte Gelegenheit etwas auf Tuchfühlung zu gehen. Du weißt doch, dass er da sein wird, um den Gewinner des Everyday Heroes Wettbewerbs bekannt zu geben. Du erinnerst dich?“ Sie musterte Max prüfend, den Kopf leicht schief gelegt. „Was ist in letzter Zeit bloß mit dir los, Max? Du bist irgendwie...seltsam.“
Max schluckte. „Ja, seltsam...“ Dieses Leben war seltsam und es wollte Max einfach nicht gelingen allen vermischten Erwartungen gerecht zu werden. Aber das war jetzt auch absolut nebensächlich. „Ich fühl mich auch nicht so gut, ehrlich gesagt. Ich hab Kopfschmerzen. Vielleicht leg ich mich noch was hin und schwänze den Unterricht, damit ich heute Abend fit bin.“
Victoria betrachtete sie einen Moment eingehend. „Ja, vielleicht solltest du das“, stimmte sie schließlich misstrauisch zu. Sie ahnte, dass etwas nicht stimmte und sie war neugierig oder fürsorglich genug, um Max noch ausgiebig auf den Zahn zu fühlen. Doch da sie wohl bis zur Party damit warten würde, würde ihr diese Gelegenheit verwehrt bleiben, denn wenngleich Max noch nicht wusste, was zu tun war, so gedachte sie ganz bestimmt nicht Arcadia Bays letzte Minuten auf einer beschissenen Vortexclub-Party zu verschwenden.
Sich den Kopf haltend, der wirklich schmerzte, entschuldigte sie sich und machte sich auf den Weg ins Schulgebäude. Sie wusste nicht was zu tun war, sie hatten keinen Plan und die Zeit, die gegen sie arbeitete, schürte Panik in Max. Ihre einzige Hoffnung war, Rachel zu finden. Und ihre einzige Hoffnung darauf, war anscheinend Mr Jefferson.
Max wollte aufs Ganze gehen. Ihn konfrontieren und noch einmal von ihren Kräften Gebrauch machen, um etwaige Fehlentscheidungen zu korrigieren und diese zur Erreichung ihres Ziels zu nutzen. Sie tippte gerade ins Handy, um Chloe, die alle Orte in Arcadia Bay abklapperte, an denen Rachel sich vielleicht doch aufhalten könnte, über ihren Plan zu informieren, als sie mit jemandem zusammenstieß.
„Max!“, erklang Kates erschrockene Stimme. „Ist alles in Ordnung? Du wirkst angespannt.“
„Ja, ich...hab nur Kopfschmerzen.“
„Schon wieder? Ist das chronisch bei dir?“ Was bei jedem anderen spöttisch geklungen hätte, klang bei Kate lediglich ehrlich besorgt.
„Nein, ich bin nur gestresst“, winkte sie müde lächelnd ab. „Sag mal, hast du Mr Jefferson gesehen?“
„Ja, er verbringt die Pause in seinem Klassenzimmer. Vielleicht fällt er gerade sein Urteil bezüglich des Wettbewerbs.“ Was hatten denn jetzt bloß alle mit diesem verfluchten Wettbewerb? Hatte Max überhaupt daran teilgenommen? Soweit sie in dieser Zeitlinie zurückdenken konnte, hatte sie kein Foto abgegeben. Gleichzeitig hatte Mr Jefferson sie nicht darauf angesprochen, obwohl er, Victoria zu Folge, doch große Stücke auf Max und ihr Talent zu halten schien. „Okay, danke, ich muss jetzt los“, verabschiedete sie sich hastig.
„Max, ist wirklich alles okay?“ Wenn Victoria Chase sie schon durchschaute, sollte es sie wohl nicht verwundern, dass sie der einfühlsamen Kate nichts vormachen konnte. „Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten?“
Max zwang sich zum zuversichtlichsten Lächeln, das ihr gelingen wollte. „Nicht doch, es ist alles Ordnung. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, Kate.“ Außer darüber, dass ich versage und du den morgigen Tag nicht mehr erlebst. „Sehen wir uns nachher auf der Party?“
Endlich schien sie Kate beschwichtigt zu haben. „Ja, klar.“
Diesmal gelang ihr die Verabschiedung und Max strebte das Fotolabor an. Von Chloe kamen nur Fehlanzeigen und von Nathan hörte sie gar nichts mehr. Vertiefte er sich allen Ernstes in die Planung dieser bescheuerten Party oder verfolgte er selbst irgendwelche Pläne? Vielleicht wurde er Courtney auch einfach nicht mehr los.
Doch er war sie losgeworden, wie Max feststellte, als sie die angelehnte Tür zum Fotolabor öffnete und Nathan auf der anderen Seite an der Türklinke hing. Er betrachtete Max verdutzt und verwehrte ihr einen Moment den Blick auf Mr Jefferson, der an seinem Pult stand, tatsächlich über eine Auswahl von Fotos gebeugt, bei denen es sich sicherlich um die Wettbewerbsbeiträge handelte.
„Hallo, Max“, grüßte der Lehrer sie ganz ungezwungen, ganz in seiner Rolle, und als hätte er bis vor wenigen Sekunden kein zwielichtiges Gespräch mit Nathan geführt. „Kann ich etwas für dich tun?“
Nathan versperrte ihr immer noch den Weg und betrachtete sie verständnislos. „Was tust du?!“, zischte er so leise, dass Mr Jefferson sie nicht hörte.
„Vertrau mir“, erwiderte sie flüsternd und schob sich dann, seinen Protest ignorierend, an ihm vorbei. Mr Jefferson lächelte, als sie auf ihn zutrat. Ein Lächeln, das vor wenigen Tagen noch ihre Knie hätte weich werden lassen. Nun bekam sie kalte Füße, als er Nathan unmissverständlich bat, sie alleine zu lassen.
„Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte Max kleinlaut mit Blick auf die auf dem Pult ausgebreiteten Fotografien.
„Überhaupt nicht.“ Er folgte ihrem Blick und breitete in einer einladenden Geste einen Arm über die gesammelten Werke aus. „Ich gehe noch einmal eure Wettbewerbsbeiträge durch. Ich habe zwar meine Favoriten, aber ich dachte mir, ein paar letzte Überlegungen können nicht schaden.“
Max' Augen huschten schnell über die Bilder und ebenso schnell fand sie, wonach sie Ausschau gehalten hatte. Ihr Bild. Anscheinend hatte sie abgegeben. Und allem Anschein nach war sie sich nicht zu schade gewesen, sich selbst als Alltagshelden abzulichten. Beschämt starrte sie auf ihr Foto, das ihren Hinterkopf vor ihrer Fotowand in ihrem Zimmer zeigte und versuchte verzweifelt sich ins Gedächtnis zu rufen, von wann die Aufnahme stammte. War sie nicht älter als ihr letzter Zeitsprung?
„Ein interessanter Beitrag“, kommentierte Mr Jefferson, dem ihr Fokus wohl nicht entgangen war. „Und ich würde gerne die Idee dahinter hören.“
Max schluckte und zwang sich wieder aufzusehen. „Ich bin nicht hier, um über mich zu reden...“, begann sie zögerlich und der Lehrer betrachtete sie mit erwartungsvoll gehobener Braue. „Ich wollte...kann ich Sie fragen...was Sie über Rachel Amber wissen?“ Möglicherweise war es nur Einbildung, doch Max hatte das Gefühl, dass die Raumtemperatur abrupt sank. Doch Mr Jeffersons Miene verriet nichts.
„Rachel Amber?“, wiederholte er verdutzt. Beinahe hätte sie ihm seine Unschuld abkaufen können. „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
Sie könnte versuchen, sich vorsichtig vorzutasten; sie könnte ihm ihr Wissen schonungslos vor den Latz knallen, doch die vielversprechendste Vorgehensweise schien ihr ein Mittelweg zu sein. „Ich habe von Nathan gehört, er hätte sie gesehen.“
Erschöpft schloss Mr Jefferson die Augen und nahm kurz die Brille ab, um sich die die Nasenwurzel zu reiben. „Hör zu, Max, ich weiß, du bist mit Nathan befreundet, aber du solltest nicht alles glauben, was er sagt. Nathan ist einer unserer verhaltensauffälligsten Schüler und gewisse Substanzen, die hier nicht gestattet sind, spielen da sicherlich auch eine Rolle.“ Er verriet sich allein dadurch, dass er den Prescotts nicht in den Arsch kroch, sondern noch ganz schamlos ihren Sohn diffamierte, doch dessen schien er sich überhaupt nicht bewusst zu sein. „Niemand hat Rachel mehr gesehen, seit Monaten und...offen gestanden, fürchte ich, dass wir jedwede Hoffnungen langsam aber sicher begraben müssen.“
„Ich hätte es ja auch nicht geglaubt“, plapperte Max mutig weiter. „...wenn Sie kurz darauf nicht zugegeben hätten, dass Sie lebt.“
„Wie bitte?“
Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe Ihr Gespräch mit Nathan gestern in seinem Zimmer mitangehört.“
„Du hast was?“
„Auch ich habe Rachel gesehen, ganz leibhaftig. Und schnell kamen wir zu dem Schluss, dass Sie irgendetwas damit zu tun haben müssen.“
Ihr Herz pochte fast schmerzhaft gegen ihren Brustkorb vor Aufregung, denn sie konnte absolut nicht einschätzen, wie Mr Jefferson reagieren würde. Sie kannte ihn als sanften, geduldigen Mann, doch wusste gleichzeitig um seine perverse Kaltblütigkeit. Er war es gewohnt, Mädchen wehzutun. Und Max war augenscheinlich ein leicht zu überwältigender Gegner. Nur mühsam widerstand sie dem Drang zur Tür zu sehen und damit Schwäche zu zeigen.
Langsam verzog sich sein Mund zu einem Lächeln und er legte die Hände auf der Tischplatte, auf den Bildern, ab. „Sieh an...“, sagte er ruhig; eine Ruhe die die Anspannung in Max nur noch steigerte. „Ich wusste, dass du neugierig bist, Max. Aber dass du deine Nase ausgerechnet in diese Angelegenheit steckst, habe ich nicht kommen sehen. Woher kennst du Rachel? Sie verschwand von der Bildfläche, noch bevor du deine Schullaufbahn an der Blackwell Academy begonnen hast.“
Er zeigte sich kooperativer als Max sich erhofft hatte, daher ließ sie sich auf die Unterhaltung ein. „Ich kenne Menschen, denen Rachel viel bedeutet.“
Mr Jefferson schnaubte abfällig. „Nathan? Dein feiner Freund kann Lust von Liebe nicht unterscheiden. Es ist nicht seine Schuld. Aber er macht sich was vor und es wird höchste Zeit, dass er das einsieht.“
„Rachels Eltern“, hielt Max stur dagegen.
Aus irgendwelchen Gründen zierte ein selbstgefälliges Grinsen sein Gesicht. „Max...du mischst dich in Dinge ein, die dich überhaupt nichts angehen. Aber fein - ja, möglicherweise weiß ich etwas über den Verbleib von Rachel Amber. Und wenn es dich so brennend interessiert, erzähle ich dir alles, was du wissen willst. Aber nicht hier, nicht jetzt.“ Sie schluckte, denn sie ahnte worauf das hinauslaufen würde. Und sie wusste, dass der kritische Moment, das Gespräch abzubrechen, rapide näherrückte. „Was denn? Auf einmal so schüchtern? Hast du Angst vor mir?“ Das hätte ihm bestimmt gut gefallen. „Ich bin nicht derjenige, vor dem du Angst haben musst, Max. Es ist dein Freund Nathan. Aber auch darüber erzähle ich dir gerne mehr.“
„Wird Rachel dort sein? Dort, wo Sie mit mir sprechen wollen?“
„Vielleicht.“
Sie tat als würde sie ernsthaft über sein Angebot nachdenken, während sie gedankenverloren die Fotos auf dem Pult hin und her schob. Ihre Hand gefährlich nahe an seinen Händen. Dann griff sie sich ganz unvermittelt ihr eigenes Bild.
„Einverstanden“, willigte sie schließlich ein.
„Ich bin froh, dass wir wie Erwachsene darüber reden können.“
„Wo und wann treffen wir uns?“
„Sicherlich kommst du zur Party heute Abend. Schließlich richtet dein kleiner Club sie aus. Ich werde dort den Gewinner des Wettbewerbs verkünden und danach...nehme ich mir gerne noch einen Moment für dich.“ Bei dem Versprechen wurde Max übel. Sie wusste genau, welches Schicksal ihr blühte. Und kurz spielte sie mit dem Gedanken zurück zu springen, seine widerliche Drohung rückgängig zu machen und ihm jedweden Verdacht wieder auszutreiben. Doch er war möglicherweise der einzige Mensch auf der Welt, der ihr sagen konnte, wo Rachel Amber sich aufhielt. Noch brauchte sie ihn. Und er hatte ihr einen Fluchtweg ermöglicht.
„Dann sehen wir uns auf der Party“, besiegelte sie die Verabredung und wandte sich mit einem schüchternen Lächeln zum Gehen um.
„He“, hielt er sie noch auf. „Das Bild...“
„Das bekommen Sie heute Abend wieder“, versprach sie und war schneller an der Tür, als der Lehrer protestieren konnte.
Eilig verschwand sie auf den Gang und stieß fast mit Nathan zusammen, der wohl vor dem Klassenzimmer herumgelungert hatte. Am Ärmel zog sie ihn mit sich mit, zielstrebig raus aus dem Radius von Mark Jefferson, und noch während er ungeduldig wissen wollte, was in dem Klassenzimmer vorgefallen war, klingelte ihr Handy. Es war Chloe.
„Chloe, irgendetwas Neues?“
„Absolut gar nichts“, stöhnte die Freundin frustriert am anderen Ende der Leitung. „Rachel ist nirgendwo aufzufinden, offensichtlich hat sie die Stadt wirklich verlassen. Und von einer Unwetterwarnung hört man auch nichts. Wie lief es mit diesem Jeffershit?“
„Er will mit mir über Rachel reden. Ich hoffe, von ihm zu erfahren, wo wir sie finden können.“
„Wie?! Was hast du getan?“, wurde sie von Nathan angeblafft.
„Ich hab ihm gesagt, dass ich Rachel gesehen und euer Gespräch mit seinem Geständnis belauscht habe“, gab sie ein wenig zerknirscht zu. Es war offensichtlich, dass Nathan überhaupt nichts von diesem Plan hielt.
Chloe hingegen klang beeindruckt. „Alter, Max...ich erkenne dich ja gar nicht wieder.“
„Das ist gefährlich! Mark ist gefährlich!“ Nathan sie aufgebracht an. Inzwischen hatten sie das Schulgebäude verlassen und steuerten wieder den Parkplatz an. „Von wegen, er will mit dir reden! Er will genau das von dir, was er von allen anderen Mädchen wollte!“
„Und was ist mit dir? Hat er noch einmal mit dir geredet?“
„Er sagte, wir treffen uns später an unserem Ort, um zu reden.“
„Ich würde fast sagen, die Chancen stehen höher, dass er dir etwas antun wird.“
„Wo ist dieser Ort, Prescott?“, mischte Chloe sich wieder ein.
„Nicht allzu weit weg“, gab Nathan vage zurück.
„Könnte ich mich dort verstecken, bis der Psycho kommt?“
„Das ist eine gute Idee“, befand Max, drehte sich zu Nathan um und hielt ihn an den Armen, weil er über die Idee nur ungläubig den Atem ausstoßen konnte. „Wir nageln Jefferson in diesem Versteck fest. Du bringst Chloe dorthin und schreibst Jefferson, dass du auf ihn wartest. Ich komme mit ihm nach. Und dann wird er uns Rede und Antwort stehen. Wir sind zu dritt und haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Und meine Kräfte. Uns kann nichts passieren. Aber wir müssen unbedingt Rachel finden. Das ist unsere einzige Chance.“ Flehend sah sie zu ihm hoch und während der Nathan einer anderen Zeitlinie sie von sich geschubst und erklärt hätte, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hatte, kämpfte dieser hier einen inneren Kampf mit sich selbst und es fiel ihm sichtlich schwer, seine Entscheidung zu treffen. Er schien sich wirklich Sorgen um Max zu machen.
„Na, meinetwegen. Aber was dann? Selbst wenn Rachel sich im Bunker verstecken sollte, bliebe uns wirklich genug Zeit, die Katastrophe zu verhindern?“
„Wie gesagt, wir haben meine Kräfte. Aber wir brauchen jede Information, über Rachel, die wir kriegen können.“
Er seufzte. „Also schön, was haben wir schon zu verlieren, was?“
„Warte auf dem Parkplatz auf mich, Prescott“, orderte Chloe. „Ich bin gleich da. Und ich fahre.“
Nathan verdrehte ergeben die Augen.