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Arcadia Bay

von Caligula
Kurzbeschreibung
GeschichteMystery, Freundschaft / P16 / Gen
Chloe Price Mark Jefferson Maxine "Max" Caulfield Nathan Prescott Rachel Amber
12.08.2017
18.12.2020
22
63.991
12
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04.09.2019 2.941
 
Kapitel 12 – Lagebesprechung

Zwar hatte sie gut geschlafen, doch ihr Schädel brummte leicht und Max wünschte, sie könnte diesen Tag einfach überspringen. Bis zu welchem Zeitpunkt wusste sie nicht, denn die Zukunft war vollkommen ungewiss. Auf der einen Seite hatte sie das grauenvolle Ende Arcadia Bays gesehen, auf der anderen Seite musste es auch eine Version geben, in der die Stadt nach dem verhängnisvollen zehnten Oktober noch stand. Nur wie sie diese Vision wahr werden lassen sollten, war Max noch ein absolutes Rätsel und möglicherweise war es das, was ihr an diesem Morgen, so kurz vor der erwarteten Katastrophe, Kopfschmerzen bereitete. Zudem war sie früh aufgestanden, um mit Chloe im Two Whales zu frühstücken, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Statt einem Guten Morgen-Gruß bekam Max einen finsteren Blick von Chloe ab, der eigentlich alleine für ihre Begleitung Nathan bestimmt war und die Aussicht darauf die beiden wieder an einen Tisch zu setzen, machte diesen Morgen auch nicht gerade attraktiver.
„Muss der dabei sein?“, motzte Chloe.
„Red nicht so als wäre ich nicht anwesend, Price“, knurrte Nathan übellaunig. Er schien nicht halb so gut geschlafen zu haben wie Max und leichte Schatten lagen unter seinen Augen.
„Ich red mit dir, wie es mir in den Kram passt, Prescott“, ließ die bissige Antwort nicht lange auf sich warten.
„Leute, bitte“, flehte Max erschöpft. „Wir stecken da jetzt nun mal alle drin. Niemand zwingt euch Freunde zu werden, aber arrangiert euch wenigstens miteinander. Und wenn ihr euch ignoriert.“
Chloe schnaubte, beließ es aber dankenswerterweise dabei und auch Nathan hielt sich zurück. Sollte er wohl auch, wenn man bedachte, dass Chloe weit mehr Grund hatte ihn zu hassen als umgekehrt. Und nicht nur Chloe hasste ihn. Auch Joyce begegnete ihm mit einer ordentlichen Portion Abneigung, die Max überraschte; fast schon schockierte, weil sie Joyce nur von ihrer freundlichen und offenen Seite kannte. Doch als sie die kleine Runde mit Kaffee versorgte und ihre Bestellung aufnahm, strafte sie Nathan mit vernichtenden Blicken, dass Max fast ein wenig Mitleid mit ihm bekam. Nathan erwiderte ihren Blick nur kurz finster und verzichtete auf ein Frühstück. Selbst ohne drohenden Weltuntergang hätte die Stimmung kaum drückender sein können.
Geduldig wartete Max, bis Joyce ihnen ihr Frühstück serviert hatte, ehe sie mit verschwörerisch gesenkter Stimme auf den Grund ihres Treffens zu sprechen kam und damit begann, Chloe über ihre Beobachtung in Nathans Zimmer zu unterrichten.
„Dieser Mistkerl!“, zischte Chloe und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und dieser perverse Drecksack darf unterrichten?!“
„Natürlich, niemand würde Mr Jefferson so etwas zutrauen“, erwiderte Max bitter. „Ich habe ihm auch blind vertraut.“
„Niemand durchschaut den Typ. Dafür kann er viel zu gut den normalen, charismatischen Wichser spielen“, zeigte sich auch Nathan etwas verbittert.
Chloe schnaubte. „Ach, du bist doch keinen Deut besser! Du hast diesem Ekel auch noch geholfen, oder nicht?!“
„Chloe, bitte“, ging Max eindringlich dazwischen und unterband eine hitzige Erwiderung Nathans, indem sie ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legte, die sie eilig wieder zurückzog, sobald sie sich der unangemessenen Vertrautheit dieser Geste bewusst wurde und trank noch einen großzügigen Schluck Kaffee, um ihr Hirn etwas anzuregen zu schalten, ehe ihr Körper unbedachte Bewegungen ausführte. „Können wir bitte nach Lösungen suchen, statt zu streiten? Uns läuft die Zeit davon. Ich denke, wir können festhalten, dass Mr Jefferson ein scheinheiliger Mistkerl ist und Nathan seine Hände auch nicht unbedingt in Unschuld gewaschen hat. Aber konzentrieren wir uns wieder auf Rachel. Und darauf, dass es mit ihr anders war“, gab sie zu bedenken.
„Das war es ...“, bestätigte Nathan düster. Er hatte den Blick auf seine Tasse gesenkt, die er unruhig im Kreis herum schob. „Die Mädchen ... alle diese Mädchen, die er für seine Kunst auserkoren hat, hatten irgendetwas an sich, das Mark fasziniert hat. Deswegen wollte er sie. Dann hat er sie benutzt und damit verloren sie ihren Reiz für ihn. Aber Rachel ... sie war von Anfang an etwas Besonderes für ihn ...“
Max zwang sich nicht die Augen zu verdrehen. Ja, Rachel war offenbar für alle etwas Besonderes gewesen und sie konnte diese Faszination einfach nicht nachvollziehen. „Er wollte sie nicht ... benutzen“, fuhr Nathan zögerlich fort. Chloe runzelte misstrauisch die Stirn, glaubte ihm nicht, aber sie ließ ihn weiter reden. „Zwischen Rachel und Mark ... da lief was.“
Nun war es vorbei mit Chloes bemühter Ruhe und sie schnappte empört nach Luft. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst?! Sicher stand dieser Psycho auf Rachel, aber sie ganz sicher nicht auf ihn!“
„Ach nein?“, erwiderte Nathan lässig, fast schon spöttisch. „Warum nicht? Weil sie was mit dem verlausten Frank hatte?“
„Mit Frank?! Sag mal, was hast du bitte eingeworfen, Prescott?!“
„Chloe ...“, mischte Max sich mit sanfter Stimme ein und sah der Freundin mitfühlend in die Augen. Ihr intensiver Blick machte Chloe sichtlich stutzig; sie hatte die Stirn gerunzelt und den Mund zu einer stummen Frage leicht geöffnet. Es kostete Max Überwindung, sie mit der unangenehmen Wahrheit zu konfrontieren, vor allem aus Furcht vor ihrer Reaktion. „In einer anderen Realität ... haben du und ich Frank aufgesucht und ... er hat ein Armband von Rachel getragen und in seinem Trailer war dieses Foto und ein Brief, aus dem ziemlich eindeutig hervorging, dass sich die beiden nahe standen ...“
Ungläubig schüttelte Chloe langsam den Kopf. „Aber doch nicht Frank ... nicht meine Rachel ...“
Nathan gab ein abfälliges Geräusch von sich. „Wenn sie jemandes Mädchen war, dann das von Mark. Sie hat mit vielen Leuten gespielt, aber das zwischen ihr und Mark war ... einfach anders. Sie hatte ihn echt gern, sie hat ihm vertraut. Sie wollte mit ihm die Stadt verlassen.“
„Sie wollte mit mir die Stadt verlassen!“, knurrte Chloe leise, doch mit zittriger Stimme. „Wir haben Pläne geschmiedet!“
„Jede Wette, dass sie die auch mit Frank geschmiedet hat“, hielt Nathan unbeeindruckt dagegen. „Aber wie gesagt, mit zwei von drei Leuten hat sie eben nur Spielchen gespielt.“
Es kostete Chloe sichtlich Mühe nicht die Beherrschung zu verlieren, zu schreien, über den Tisch zu greifen und Nathan die Zähne auszuschlagen und so sehr sie Max auch leidtat, glaubte sie ihm. Das war das Bild, das sie nach allen Indizien von Rachel Amber hatte und das sie selbst von sich gezeichnet hatte, als sie so schamlos zugegeben hatte, Chloe benutzt zu haben. Warum ausgerechnet Mr Jefferson mehr in ihr gesehen hatte, konnte sie zwar nicht begreifen, aber anscheinend hatte sie nicht die geringste Vorstellung darüber, was in seinem Kopf vorging.
„Obwohl er so fasziniert von ihr war, wollte er sie nie für seine Kunst benutzen. Da war mir klar, wie wichtig sie für ihn ist. Und irgendwie führte das zu meiner Entscheidung, sie zu wählen, um mich vor ihm zu beweisen ...“, sprach Nathan reumütig weiter.
„Ihr seid beide krank“, zischte Chloe angewidert zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dankenswerterweise überging Nathan ihren Kommentar einfach.
„Im Nachhinein macht das irgendwie Sinn ... dass er mir den Unfall nicht nachgetragen hat, obwohl sie ihm so wichtig gewesen ist. Wenn sie gar nicht ...“
„Stattdessen hat er ihr geholfen, klammheimlich die Stadt zu verlassen“, übernahm Max nickend. „Und jetzt, ein halbes Jahr später, taucht Rachel wieder in Arcadia Bay auf und erklärt, dass die Stadt vernichtet werden muss. Sie weiß sowohl, dass es passieren wird als dass sie auch von der Notwendigkeit der Katastrophe überzeugt ist. Die Frage ist, was ist passiert? Woher bezieht Rachel ihr Wissen und ihre Überzeugung? Ihr beide kanntet sie vor ihrem Verschwinden. Hat sie je irgendwelche Andeutungen gemacht?“ Auffordernd sah sie zwischen ihren beiden Mitstreitern hin und her.
„Was weiß ich? Offenbar habe ich Rachel ja gar nicht gekannt!“, knurrte Chloe so verbittert, dass ihre Worte kaum zu verstehen waren. Dass sie, kaum dass die letzte Silbe ihre Lippen verlassen hatte, wutschnaubend aufsprang und mit großen Schritten aus dem Diner stapfte, bestätigte Max jedoch, dass sie sich nicht verhört hatte. Mit besorgter Miene trat Joyce an ihren Tisch.
„Ist alles okay hier? Was ist mit Chloe?“
„Schon gut, Joyce. Ich seh gleich nach ihr.“
Schwerfällig erhob auch sie sich und folgte der Freundin ins Freie.

Chloe trat vor dem Diner, sichtlich nervös, auf der Stelle, eine Zigarette im Mund. Das Feuerzeug ließ sie gerade wieder in der Hosentasche verschwinden. Vorsichtig trat Max auf sie zu und verharrte einen Augenblick reglos neben ihr; starrte wie sie Löcher in die Luft.
„Ich weiß, das muss schwer für dich sein“, rang sie mit den richtigen Worten. Sie war nie gut im Trösten gewesen oder darin aufmunternde Reden zu schwingen und davor Chloes Gefühlsleben zu thematisieren, hatte sie ganz besonderen Respekt. Chloe hatte selbst mit Vater einiges durchgemacht, sich so verändert und gab Max nicht ungerechtfertigt das Gefühl, kein Recht zu haben ihr gut zureden zu wollen.
„Einen Scheiß weißt du“, stieß Chloe erschöpft aus, gefolgt von einer ausladenden blauen Dunstwolke. „Du hast doch keine Ahnung wie das ist, ständig verarscht, verraten und verlassen zu werden.“ Max gab einen undefinierten Laut von sich, der irgendwie Zustimmung ausdrücken sollte. „Ich habe Rachel geliebt“, fuhr Chloe wehmütig fort und nahm noch einen tiefen Zug ihrer Zigarette. Und zum ersten Mal war sich Max der Tatsache bewusst, dass ihre beste Freundin auf Mädchen stand. Sie hatten überhaupt nicht darüber gesprochen und es hatte Max nicht auch nur eine Sekunde überrascht. Chloe war ihr so fremd gewesen, dass sie nichts hatte überraschen können und diese Erkenntnis stieß ihr sauer auf. Chloe war ihre beste Freundin gewesen, war es immer noch. Sie sollte alles über sie wissen. Sie hatten so viel nachzuholen. „Ich hatte nie viele Freunde“, gab Chloe grimmig zu und Max' Gewissen wurde gleich noch etwas schwerer. "Es war immer irgendwie ... schwierig ... Aber mit Rachel war es ... leichter. Und es hat einfach gepasst, wie Arsch auf Eimer. Wir waren wie ... Seelenverwandte. Aber jetzt ist sie weg und ich kann mir nicht mehr einreden, dass sie keine Wahl hatte. Sie hat mich verlassen.“ Sie nahm noch einen tiefen Zug und kaute nervös auf der Unterlippe herum.
„Es tut mir leid.“ Es klang schrecklich nach einer abgedroschenen Floskel, doch wusste Max nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Sie hätte Chloe anbieten können sich aus der Sache zurückzuziehen, aber es ging um so viel mehr als Chloes Gefühle für Rachel.
„Ich meine, ernsthaft!“, spie Chloe angewidert aus. „Frank? Der stadtbekannte Drogendealer? Komm schon!“ Sie sog den letzten Rest Nikotin aus ihrer Zigarette und schnippte den Stummel achtlos auf den Boden, ohne ihn auszutreten.
Den Blick unsicher auf die glühende Kippe geheftet, wrang Max unschlüssig die Hände vor dem Schoß. „Ich hoffe, wenn wir dieses Rätsel lösen und unser aller Untergang verhindern können, bekommst auch du deine Antworten von Rachel.“ Sie konnte Chloes prüfenden Blick auf sich spüren und wagte nicht aufzusehen. Eine Weile schwieg die Freundin nachdenklich, dann legte sie überraschend einen Arm um Max' Schulter und drückte sie an sich.
„Ich bin froh, dich wieder zu haben, Mad Max.“ Glücklich und erleichtert schlang Max die Arme um sie und genoss diesen Moment der Ruhe, der Nähe, der Geborgenheit ... Und für diesen Moment fühlte Arcadia Bay sich wieder wie zuhause an. Ein Zuhause, das sie beschützen mussten.
„Wie sieht's aus, Captain? Retten wir unsere Bucht?“
„Klar!“, hellte sich Chloes Miene wieder auf und sie hielt Max auffordernd die Faust entgegen. Lachend drückte Max ihre Faust gegen ihre. „Wir retten Arcadia Bay! Und ich werde Rachel so was von den Arsch aufreissen! Und währenddessen werde ich versuchen, Prescott nicht den Arsch aufzureissen“, setzte sie noch versöhnlich nach. Verwundert hob Max die Brauen. Chloe grinste. „Komm schon, Max, glaubst du wirklich, ich durchschaue dich nicht mehr? Ich hab genau gesehen, wie du vorsorglich die Augen verdreht hast, als du mit diesem Penner reingekommen bist.“
„Es ist 'ne schwierige Situation“, gab Max hilflos zu. „Die extreme Maßnahmen erfordert ...“
„Das Extremste daran ist, dass ich meine beste Freundin wieder zurück habe“, schloss Chloe mit einem zufriedenem Grinsen und knuffte Max noch einmal kameradschaftlich gegen die Schulter. „Und das ist großartig!“
Ihr Zuspruch und ihre Zuneigung waren Balsam für Max' Seele und gestärkt kehrten die beiden Mädchen ins Diner zurück.
„Chloe, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Joyce augenblicklich hinterm Tresen, doch Chloe winkte bloß ab.
„Alles gut, Mom, schieb nicht gleich 'ne Welle.“ Joyce bedachte ihre Tochter mit einem empörten Ausdruck, ließ sie aber unbehelligt an ihren Tisch zurückkehren und kümmerte sich statt um sie um alle anderen Gäste, sodass sie wieder ihre Ruhe hatten.
Ächzend ließ Chloe sich zurück auf die Sitzbank plumpsen und rutschte zum Fenster durch, um Max Platz zu machen. „Also, Prescott. Was kannst du uns über Rachel sagen?“
Nathan beäugte das ihm so offensichtlich feindlich gesinnte Mädchen skeptisch, hinterfragte ihren Sinneswandel allerdings nicht und kramte stirnrunzelnd in seinen Erinnerungen. „Solange ich Rachel kenne, war sie immer irgendwie ... anders ... schien immer über den Dingen zu stehen. Als ich sie das erste Mal in Blackwell getroffen habe, haben wir beide den Sturm gesehen.“
„Du meinst, in einer Vision?“, hakte Max neugierig nach.
Er nickte. „Wir haben beide dasselbe gesehen. Das war an unserem ersten Schultag hier.“
Chloe zuckte die Achseln. „Also, mir gegenüber hat sie nie etwas von irgendwelchen Visionen oder Stürmen erwähnt.“
„Du und Rachel ... und ich“, überlegte Max laut. „Sind wir die Einzigen mit diesen Visionen? Was ist mit Mr Jefferson? Weiß er etwas über den Sturm?“
„Glaube nicht. Zumindest hat er nie etwas in der Richtung verlauten lassen.“
„Also nur wir drei? Wieso?“
„Was habt ihr gemeinsam?“, trug Chloe zur Ideensammlung bei und zählte an den Fingern ab: „Ihr seid in etwa gleich alt und besucht die Blackwell. Nicht sehr ergiebig, ehrlich gesagt ...“, schloss sie enttäuscht.
„Wir alle drei haben den Sturm gesehen. Aber das ist noch nicht alles. Ich habe diese seltsame Fähigkeit. Rachel scheint auch über irgendwelche Kräfte zu verfügen.“ Fragend sah sie Nathan an.
„Ich hab keine komischen Kräfte“, wehrte er fast spöttisch ab. Wüsste Max es nicht besser, würde sie glatt meinen, er würde ihr nicht glauben.
„Das ergibt doch alles keinen Sinn ...“, moserte Max frustriert. „Und wieso ist Rachel die Einzige, die mehr über all das zu wissen scheint? Woher weiß sie über mich Bescheid?"
„Keine Ahnung“, musste Nathan zugeben. „Aber sie schien schon immer irgendwie mehr zu wissen.“
„Wie meinst du das?“
„Einmal nannte sie mich 'gestrandeter Wal'. Und das nicht als ich im Suff irgendwo bewegungsunfähig rumlag, sondern ... einfach so. Als wir uns am Strand trafen. Es klang nicht mal wie eine Beleidigung. Es hatte irgendeine tiefer Bedeutung.“
„Gestrandeter Wal ...“, wiederholte Max flüsternd. „Die gestrandeten Wale ... all die Naturphänomene in den letzten Tagen ...“ Es musste einen unmittelbaren Zusammenhang geben, doch Max konnte ihn nicht erkennen, geschweige denn mit Rachel Amber in Verbindung bringen. „Hat sie mal von einem Reh gesprochen ...?“ Nathan schüttelte den Kopf.
„Ein Reh?“ Chloe zog verständnislos die Stirn in Falten.
„Ja ... manchmal hatte ich das Gefühl eines zu sehen. Auf dem Schrottplatz, zum Beispiel.“
„Es wird hier Rehe geben, oder?“
„Nein, es war definitiv nicht echt“, erklärte Max kopfschüttelnd. Fieberhaft überlegte sie weiter. „Also gut ... bei mir hat alles hier in Arcadia Bay angefangen, knapp eine Woche vor dem Sturm. Die Vision kam wie aus dem Nichts mitten im Unterricht an einem Montag. Und kurz darauf entdeckte ich die Zeitreise-Fähigkeit ... wann haben diese Visionen bei dir angefangen, Nathan?“, wandte sie sich wieder an den Mitschüler.
„Früher. Vor Blackwell.“
„Was?“
„Seit meiner Kindheit hab ich manchmal so was wie Visionen gehabt, nur dass wir das damals anders genannt haben. Erst in Blackwell habe ich konkret Arcadia Bay in diesen Visionen ausmachen können, aber der Sturm spielte rückblickend irgendwie immer eine Rolle“, berichtete er unbeteiligt. Max wollte sich die Haare raufen. All ihr gesammeltes Wissen um all die verrückten Begebenheiten wollten sich nicht zu einem klaren Bild zusammenfügen. Es wollte sich einfach keine Lösung formen, wie Max es sich von ihrem Austausch erhofft hatte.
„Wollen wir dabei aber bitte nicht außer Acht lassen, dass Prescott ein verschissener Junkie ist?“, meldete Chloe sich mit erwartungsvoll gehobenen Brauen zu Wort und wurde von Nathan augenblicklich mit giftigen Blicken beschossen. „Ich meine ja nur, dass in seinem Kopf verrückte Dinge abgehen, muss echt nichts heißen ...“
„Ach ja? Wer hat mich denn angepumpt, um seinen eigenen scheiß Konsum zu finanzieren?“
„Trotzdem scheine ich noch klarer im Kopf zu sein!“
„Hört auf!“, mischte Max sich ein. Die Kopfschmerzen wurden langsam stärker. Sie tat einen schweren Seufzer. „Es nutzt alles nichts, nur Rachel scheint des Rätsels Lösung zu kennen und uns bleiben nur noch wenige Stunden, um ...“
„Sagt mal, müsst ihr nicht langsam zur Schule?“, unterbrach Joyce Max. Nur um den Schein einer heilen Welt zu wahren, sah Max auf ihr Handy Display.
„Mist, ja.“
„Na dann, ab mit euch. Das geht aufs Haus“, erklärte Chloes Mutter mit liebevoller Strenge und einem Lächeln.

Die Gruppe erhob sich und schlurfte müde aus dem Diner. Sie würden zu spät zum Unterricht kommen, doch das spielte schon keine Rolle mehr, denn schon Morgen würde die Schule nicht mehr stehen. Da war der Anblick wie jeder von ihnen in sein Handy vertieft war, wie ganz normale, unbedarfte Teenager, schon beinahe tröstlich. Nathan verzog mürrisch das Gesicht.
„Was ist los?“, wollte Max wissen. Zu spät realisierte sie, dass es sie ja gar nichts anging und noch eine Sekunde später realisierte sie, dass sie und Nathan in dieser Realität ja so etwas wie Freunde waren. Deshalb beantwortete er ihre Frage auch ganz lapidar.
„Courtney nervt ... will wissen, ob die Party heute Abend steht, weil sie mich nirgends finden kann.“
„Klar, wenn wir schon untergehen, lassen wir es vorher noch richtig krachen“, meinte Chloe düster. „Organisierst du diesen drecks Vortexclub nicht, Prescott? Und ihr schmeisst ausgerechnet heute eine Party? Wirklich?“
Ja, Nathan organisierte die Partys des Vortexclubs und langsam dämmerte Max, warum das Motto der heutigen Party das Ende der Welt war.
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