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Operation C.H.A.I.N.S - Mal wieder eine Entführung

von Rakios
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteThriller, Schmerz/Trost / P12 / Gen
02.08.2017
02.08.2017
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Perfekt sauber. Ich drehte Silver Afternoon in meinen Händen, bereit, jede noch so kleine Verunreinigung sofort zu tilgen. Natürlich war sie auch vorher sauber gewesen, aber man konnte nie gründlich genug sein. Ich nahm ein weiteres Kosmetiktuch und breitete es auf dem Sitz des Soldaten aus, der gerade draußen am Einsatzwagen Wache stand. Silver Afternoon brauchte den Platz dringender. Für andere sah sie aus wie ein verziertes, normales Megaphon. Doch mein Baby war unerreichte High-Tech und noch teurer gewesen als der Laptop für März. Unsere Ausstattung war das einzig Gute, das jemals von Lord F.A.N.G veranlasst wurde. Abgesehen von meiner Ernennung zur Befehlshaberin der Puppen, natürlich.
Ich warf einen Blick hinüber zu März, die immer noch konzentriert auf ihren Bildschirm starrte und die Finger über die Tastatur gleiten ließ. Es dauerte elendig lange, sie die Alarmauslöser des kleinen Labors ausschalten zu lassen. Einen Moment lang wünschte ich mir Février zurück, die ich auf die letzte Mission mitgenommen hatte. Sie lieferte sofort Ergebnisse, die Operation dauerte nicht einmal zehn Minuten. Jedoch hatte das verrückte Mädchen kurzerhand alles in Stücke geschossen und ein furchtbares Chaos hinterlassen. Ich verdächtigte sie immer noch, es absichtlich getan zu haben. Schließlich wusste sie genau, wie sehr ich Staub und Splitter hasste.
Mit März würde mir das nicht passieren. Außerdem hatte Lord F.A.N.G darauf bestanden, dass wir möglichst wenig Aufmerksamkeit auf uns ziehen und schon gar niemanden umbringen sollten. März war ideal dafür. Zwar war sie für alle Arten von körperlichem Einsatz nicht zu gebrauchen, doch dafür machte sie ihren Job im Hintergrund gut. Nicht zuletzt gefiel mir, dass sie die einzige andere ranghohe Person auf dieser Mission war. Sie traute sich nicht einmal, unseren Soldaten Befehle zu geben. Damit war garantiert, dass heute alle brav nach meiner Pfeife tanzen würden.
Doch es dauerte so lang, dass sich meine Geduld dem Ende zuneigte. Ich öffnete ein Fach in der Seitenwand, das eigentlich für Waffen gedacht war. Darin hatte ich mir etwas Schokolade zurechtgelegt, von der ich mir ein Stück genehmigte. AS-Z, dessen Bezeichnung ich mir nur merken konnte, weil er der einzige meiner Soldaten mit einem roten Barrett war, zog eine Augenbraue hoch. Ich schoss einen Blick zurück und er drehte sich weg. Wenn ich Schokolade essen wollte, dann tat ich das, egal wann und wo. Niemand hier wagte es, mich auch nur darauf anzusprechen. Gut so.
„Enero.“
März‘ Stimme erschreckte mich regelrecht und ich schluckte die Schokolade reflexartig herunter, sodass mir der Genuss meiner Lieblingssorte entging. Offenbar hatte ich ihre Piepsstimme mindestens einmal überhört. Anders war es nicht zu erklären, dass sie es fast schaffte, normale Gesprächslautstärke zu erreichen.
„Ich bin bereit, die Alarmschalter zu deaktivieren“, sagte sie.
Endlich. „Gut. Alle sammeln sich vor dem Haupteingang“, verkündete ich und stand auf.
Als ich Silver Afternoon an meiner Hüfte befestigte, fügte März noch etwas hinzu.
„Der Hacker, den wir suchen, ist dieser Mann: Jamie Walker.“ Sie hielt mir ihren Laptop hin, auf dessen Bildschirm das Foto eines Mannes mit Glatze aufgerufen war. „Ich habe es geschafft, ihn zu seinem Arbeitsplatz zurückzuverfolgen.“
Man musste März kennen, um zu sehen, dass sie stolz auf diese Leistung war. Ich war davon ausgegangen, dass wir die Labormitarbeiter würden ausquetschen müssen, um den Hacker zu finden. Doch März hatte ihn noch rechtzeitig identifiziert.
„Gute Arbeit, März.“ Ein wenig beeindruckt war ich schon.
Ich öffnete die Türen des hochtechnisierten Laderaums unseres Lastwagens und hüpfte hinaus. März war direkt hinter mir, dann folgten die drei Soldaten, die bisher drinnen gewartet hatten. Sie schlossen sich der Wache draußen an. AS-Z war mein ranghöchster Untertan, die anderen trugen die übliche blaue Uniform. Die trugen all die Soldaten, die ohne den Psycho-Power-Helm völlig nutzlos wären. Ich dirigierte meine fünf Untergebenen aus der Seitengasse heraus und wir stellten uns am stets verriegelten Eingang von Decode Talker Laboratories auf. Durch die Glastür sah ich, wie uns die Frau am Empfangstresen argwöhnisch beäugte.
Ich wandte mich an März. „Tu es.“
Sie nickte und drückte ein paar Tasten auf ihrem Laptop. „Alarm deaktiviert“, meldete sie.
Jetzt wendete ich mich den Soldaten zu. „Unser Ziel ist Jamie Walker, ein schwarzer Mann um die dreißig, er trägt eine Glatze. Ich erwarte, dass ihr ihn innerhalb von fünf Minuten gefunden habt.“
Dies war schon der dritte Computerspezialist, mit dessen Entführung ich beauftragt worden war. Lord F.A.N.G brauchte diese Experten für ein Projekt im Zusammenhang mit Operation C.H.A.I.N.S. Womöglich würden solche Einsätze ab jetzt immer häufiger werden.
„AS-Z“, sprach ich den Soldaten mit dem Barrett an. „Verschaff uns Zutritt.“ Natürlich würden die blau uniformierten Narren an seiner Stelle die Tür eintreten, doch ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass ich ihre Bezeichnungen vergessen hatte.
Der breiteste der Soldaten zerschmetterte die gläserne Eingangstür mit dem Psycho Crusher – einer Technik, die außer dem Namen nichts mit der von Lord Bison gemein hatte. Die Frau hinter dem Tresen gab im Schreckmoment ein unschönes Quieken von sich.
„Los, los, Bewegung!“, scheuchte ich die Soldaten hinein, die umgehend die nächste Tür aufrissen und ausschwärmten.
Dann streckte ich einen Finger in Richtung der Empfangsdame, die eingeschüchtert hinter dem Tresen hervor lugte. „Wenn du auch nur zuckst, bist du erledigt!“
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, wandte ich mich zu März um. „März, du bleibst hier vorn und sorgst dafür, dass niemand entkommt.“
Sie fügte sich und stellte sich in den mit Scherben übersäten Eingangsbereich. Ich erwartete nicht wirklich von ihr, dass sie jemanden stoppen würde, der herausgerannt kam. Es würde sowieso niemand an den Soldaten, geschweige denn an mir, vorbeikommen. Ich wollte ihr nur nicht unnötig den Anblick von Gewalt aufbürden.
Lautes Rufen und die Geräusche gewaltsam verschobener Möbel drangen aus dem Inneren des Labors. Das bedeutete entweder, dass meine Männer gerade Walker schnappten oder dass sie irgendetwas versauten. Wenn das Letztere der Fall war, konnten sie sich warm anziehen. Ich folgte den offenen Türen und betrat ein Großraumbüro. Mein Blick ging durch das lange Zimmer und mir knirschten die Zähne. Am anderen Ende des Raumes stand ein Notausgang sperrangelweit offen. Dass meine Soldaten die wenigen anwesenden Labormitarbeiter offenbar unter Kontrolle hatten, war ein schwacher Trost. Obendrein schienen wir für die Kontrolle einer einzelnen Person gleich zwei Soldaten zu brauchen.
AS-Z und einer der anderen hatten einen Mann links und rechts gepackt und schleiften ihn durch den Raum zu mir. Und es war nicht Walker. Sie hielten vor mir an und ließen den Mann auf die Knie sinken, seine Arme beide weiterhin in eisernem Griff. Jetzt konnte ich sein Namensschild lesen. Es handelte sich um irgendeinen Mr. Graydle.
Ich sah AS-Z in die Augen. „Erklärungen, jetzt.“
Bevor er antworten konnte, sagte Mr. Graydle: „Ihr habt versagt, Ende der Erklärung.“
„Ruhe!“, herrschte ich ihn an.
Nun begann AS-Z mit seinem Rechtfertigungsversuch. „Wir haben Walker hier vorgefunden, aber dieser Mann hat ihn gewarnt und uns angegriffen. Deswegen konnte Walker mit einem Fahrzeug entkommen.“
Die Zielperson war entkommen – einfach so? Durch Widerstand eines Kerls? Ich hätte diesen Trotteln gern sofort die Leviten gelesen, doch ich zwang mich, ruhig zu bleiben.
„Das“, sagte ich, „ist wahrhaft erbärmlich.“
Jetzt lag es an mir, so viel wie möglich aus dieser Farce herauszuholen. Und ich wusste schon, mit wem ich anfangen musste.
„Mister Graydle.“ Ich zog die Silben lang. „Hast du irgendeine Ahnung, mit wem du dich anlegst?“
Er hob sein Gesicht zu mir. „Oh, ich weiß von Shadaloo. So ein feiges Pack ist unverkennbar.“
Ich konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken. Aprile hatte mir einmal gesagt, dass es arrogant klang, doch ich hatte es nicht eilig damit, es mir abzugewöhnen.
„Große Worte für einen Verlierer“, entgegnete ich. Und bekam die Reaktion, die ich wollte.
„Hah“, machte Graydle. „Ihr seid hier die Verlierer. Ich wusste, dass ihr es auf Jamie abgesehen habt. Und den bekommt ihr nicht.“
„Oh? Woher willst du unsere Ziele kennen?“
„Eure Opfer habt ihr ziemlich dämlich ausgewählt“, sagte er. „Ein paar von Jamies Freunden sind schon verschwunden, da wird doch jeder hellhörig.“
Ich war bereit, seine Provokationen zu übergehen und ihm weitere Informationen zu entlocken, doch dann fügte er noch etwas hinzu.
„Aber ich schätze, dein Versagen ist kein Wunder“, sagte er. Sein Tonfall gefiel mir überhaupt nicht. „Ihr Puppen seid halt nur Marionetten ohne Verstand.“
Die Anmaßung…! Ich war kurz davor, zuzuschlagen. Vor ein paar Jahren hätte ich die Beherrschung verloren. Es war nicht das erste Mal, dass ein Feind so etwas zu mir sagte. Doch diesmal geschah es vor meinen untergebenen Soldaten. Ich wurde bloßgestellt.
„Dein Leben ist auf meine Gnade angewiesen, du Niemand!“, platzte ich heraus.
Dieser Bastard fing an, zu lachen. „Ein Niemand?“ Er lachte. Er lachte mich aus. „Wer bist dann du? Du hast noch nicht mal einen Namen!“
Das hatte ich noch nie gehört. Perplex starrte ich ihn an. Und machte den Fehler, über seinen Satz nachzudenken. Die Bedeutung wurde mir schnell klar. Noch nie hatte ich ein so niederschmetterndes Gefühl erlebt. Ich verkrampfte, unfähig, einen Laut von mir zu geben. Diese Demütigung konnte ich nicht hinnehmen, ich musste irgendetwas sagen! Worte zu finden, war mein Spezialgebiet, doch jetzt blieb mein Kopf leer. Graydle lachte immer noch, weil er wusste, dass er recht hatte.
Ich holte hoch mit meinem rechten Bein aus und stampfte Graydles ungeschützten Kopf mit einem Schrei und all meiner Kraft in den Boden. Seine Arme wurden den Soldaten aus den Händen gerissen. Ich holte tief Luft und trat einen Schritt zurück. AS-Z beugte sich zu Graydle herunter und sah mich dann ungläubig an.
„Ich glaube… du hast ihn umgebracht.“
Seine Stimme drang kaum zu mir durch. Graydle lachte nicht mehr, aber ich fühlte mich kein bisschen besser. Mit jeder Sekunde wurde es schlimmer. Ich spürte die Blicke der Fremden und meiner Soldaten um mich herum. Die Scham nahm Überhand und ich machte auf dem Absatz kehrt.
Dort stand März im Türrahmen. Sie hatte alles mitbekommen. Hinter mir flüsterten die Soldaten miteinander.
„Wir können nichts dafür, was die Puppen machen. Sie muss Lord F.A.N.G erklären, warum schon wieder einer tot ist.“
In März‘ Blick lag Mitleid. Das hielt ich nicht aus. Ich stieß ihren zierlichen Körper gröber beiseite als ich beabsichtigt hatte und stürzte aus dem Gebäude. Erst in der Seitengasse neben dem Labor blieb ich stehen. Noch immer kam ich kaum zu Atem. Als meine Sicht vor Tränen verschwamm, wurde das erdrückende Gefühl noch schlimmer. So durften mich die anderen nicht sehen. Ohne Luft zu holen lief ich weiter, bis ich unseren Einsatzwagen erreichte. Ich kletterte hinein und warf die schwere Tür hinter mir ins Schloss. Erst dann begann ich zu schluchzen.
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