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Ein kleines bisschen Chaos

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / Gen
Dag-Alexis Kopplin OC (Own Character) Vincent Stein
27.07.2017
27.09.2023
12
20.437
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27.07.2017 1.035
 
Ich habe kein Bock mehr. Ich will mein Leben nur noch beenden. Ich habe keine Lust mehr, wegzulaufen.
Jetzt stehe ich hier auf dieser Brücke irgendwo in Berlin, mitten in der Nacht und starre nach unten. Es regnete in Strömen, was auch sonst, dachte ich mir. Es war Mitte Mai und dementsprechend war es nachts auch immer noch verdammt kalt. Doch über die Kälte brauchte ich mir gleich keine Gedanken mehr zu machen.
Ich werde heute springen und es endlich beenden, sagte ich zu mir selbst, atmete noch mal durch und kletterte über die Brüstung. Ich hätte nicht gedacht, dass, obwohl ich es wirklich wollte, springen so schwer sei.
Die Tränen liefen mir immer mehr übers Gesicht oder war es der Regen? Ich konnte es nicht mehr unterscheiden.
Auf einmal hörte ich jemanden hinter mir rufen. „Hey, du willst nicht wirklich springen! Ich kenn’ dich zwar nicht, aber du kannst das Leben doch nicht auf die Weise beenden. Bitte komm darunter!“
„Lassen Sie mich in Ruhe! Sie wissen nichts über mich. Keiner wird mich vermissen!“ Meine Stimme klang hysterisch und zitterte beim Sprechen.
Was wollte der Typ? Kann der nicht einfach weiter gehen und mich allein lassen?
„Doch, es werden dich Menschen vermissen. Ich werde dich bestimmt vermissen.“ Sagte der Typ plötzlich relativ dicht hinter mir. Ich gab ein gehässiges Lachen von mir. „Sie kennen mich doch gar nicht, wie können Sie mich dann vermissen?“ Noch immer sah ich in den verregneten Nachthimmel, hinter mir die Brücke und dieser Typ, vor mir die Stadt und unter mir eine kalte nasse Straße. Hoffentlich breche ich mir dann gleich das Genick und bin sofort tot.
„Nein, ich kenne dich nicht. Aber ich kann dich ja kennenlernen. Wie heißt du? Ich heiße Vincent, du kannst mich gerne duzten. Meine Freunde nennen mich übrigens Vince. Ich kann dich nicht springen lassen. Bitte komm darunter und wir reden.“ Er klang ziemlich besorgt und Angst schwang in seiner Stimme mit, als er das sagte.
Will der jetzt erst mal Smalltalk halten, oder was? Warum geh’ ich darauf überhaupt ein? Wieso springe ich nicht einfach? „Zu spät.“ Es war ein Flüstern, welches über meine Lippen kam. Dann fasste ich den Entschluss, schloss die Augen und ließ los. Doch ich fiel nicht. Wieso fiel ich nicht? Ich wurde festgehalten. Wieso hielt dieser Penner mich fest, warum lässt er mich nicht sterben? Ich spürte, wie er mich angespannt festhielt und schwer atmete. „Tu das bitte nicht.“ Seine Stimme war dicht an meinem linken Ohr und ich konnte hören, dass sie leicht brüchig war. Der Kerl hatte wirklich Angst um mich. Dabei kannte er mich überhaupt nicht. Er hob mich mit Leichtigkeit über die Brüstung und zog mich dann in seine Arme. Die Umarmung tat gut und ich merkte, wie eine Last von mir abfiel. Wann hatte mich das letzte Mal eine Person umarmt? Ich schluchzte und weinte heftig in seine ohnehin schon nasse Jacke. „Psst. Alles wird wieder gut. Wenn du willst, werde ich dir helfen. Du bist auf jeden Fall nicht allein.“ Versuchte Vincent auf mich einzureden. Und ich beruhigte mich tatsächlich etwas. So etwas hatte ich gebraucht, einen Menschen, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut wird. Auch wenn vielleicht nicht alles in meinem Leben jemals wieder gut werden kann. Er strich mir über den Rücken und beruhigte mich immer mehr.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so auf der Brücke standen, doch irgendwann fühlte ich mich wieder in der Lage zu sprechen. „Danke.“ War erst mal alles, was ich krächzend hervorbrachte.
„Hey. Alles gut. Ich konnte doch nicht zu lassen, dass du springst. Du bist doch viel zu wichtig für diese Welt, mir immer noch unbekanntes Mädchen.“ Ich musste über diesen blöden Spruch lächeln und versuchte wieder zu sprechen. „Tara. Ich heiße Tara.“ Er löste sich von mir, schaute mich an und reichte mir mit den Worten, „Schön dich kennenzulernen Tara“, seine Hand. Ich nahm sie und er hauchte mir mit einem Grinsen im Gesicht einen Kuss auf die Hand. Auch ich lächelte wieder und merkte jetzt erst, wie sehr ich zitterte und wie kalt mir eigentlich war. Kein Wunder. Ich hatte nur einen dünnen Pulli und ’ne schwarze Jeans an und beides war natürlich komplett nass. Auch Vincent merkte jetzt, dass mir kalt war und zog seine Jacke aus, um sie mir zu geben. Ohne groß was zu sagen, zog ich sie an. Protestieren hätte, glaube ich, auch nichts bei ihm gebracht und außerdem fehlte mir gerade die Kraft dazu. Seine Jacke war zum Glück wasserabweisend und so von innen schön warm. Zusätzlich roch sie gut. Sie roch nach ihm und wie ich feststellte, roch Vincent ziemlich gut. Ein Gefühl, welches ich schon lange nicht mehr gespürt hatte, breitete sich in meinem Körper aus. Geborgenheit.
„Soll ich dich irgendwo hinbringen oder jemanden für dich anrufen, der dich abholt?“, fragte Vincent mich, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Ich kenne niemanden hier. Ich bin ganz allein.“ Wieder bemerkte ich den Kloß in meinem Hals und das Brennen in meinen Augen.
„Hast du echt niemanden hier in Berlin?“, fragte er mich etwas überrascht. Wieder schüttelte ich den Kopf. „Ich wohne erst seit 3 Monaten hier und kenne noch niemanden. Ich komme eigentlich aus Kiel.“ Sagte ich dann noch dazu.
„Ok. Nein, ich werde dich jetzt nicht allein in deine Wohnung zurückgehen lassen. Ich glaube, du solltest jetzt nicht allein sein, also kommst du mit zu mir, ich mach’ dir einen Tee und du kannst dich aufwärmen.“ Vincent schaute mich erwartungsvoll an. „Also, nur, wenn du das willst. Ich will dich ja zu nichts zwingen. Ich glaube einfach, dass du jetzt jemanden zum Reden brauchst und ich kann gut zuhören. Oder falls du nicht reden willst, auch okay.“ Fügte er dann noch hinzu und fuhr sich dabei verlegen mit einer Hand durch die nassen Haare, sodass sie in alle Richtungen standen. Ich musste grinsen und nickte. Er hatte ja recht und ich wollte nicht allein sein. Außerdem schien Vincent nett zu sein und kein komischer Perverser, der mich vergewaltigen wollte. Vincent nahm das Nicken als ein ja an und legte einen Arm um mich und wir gingen von der Brücke.


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Song: Schön Kaputt von Sondaschule
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