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GameMaster - Wie mir ein Computerspiel den letzten Nerv raubt

Kurzbeschreibung
OneshotHumor, Mystery / P12 / Gen
OC (Own Character)
15.07.2017
15.07.2017
1
10.871
 
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Hallo und herzlich willkommen zu meiner kleinen Geschichte über FE Shadow Dragon. Bevor die Ersten bereits diesen Begrüßungstext überfliegen möchte ich anmerken, dass ihr das hier Gesagte nicht so ernst nehmen sollt. Fire Emblem Shadow Dragon ist eines meiner Lieblingsspiele und Marth ebenfalls einer meiner meist geehrten Lords, weshalb jegliche geäußerte Kritik nicht wirklich meiner Meinung entspricht. Dennoch hat es mir Spaß gemacht, aus der Sicht einer Andersdenkenden (Malischa) zu schreiben, weshalb ich ebenfalls hoffe, dass es euch gefällt. :D
Die Idee für diese FF kam mir, als ich mir die Bedienungsanleitung zu FE SD durchgelesen habe und mir auffiel, dass das Mikrophon beim DS keine Verwendung in dem Spiel findet, obwohl dieses in der Gebrauchsanweisung extra gekennzeichnet wurde. Im Nachhinein habe ich dann aber doch die wahre Funktion herausgefunden. Diese schneide ich kurz in der Geschichte an (also seid aufmerksam!).

Noch eine kurze Anmerkung: In der Geschichte wird Malischas Name nicht erwähnt, noch ihr Alter (sie ist um die 17 Jahre alt). Irgendwie habe ich mich beim Schreiben einfach meinem Fluss hingegeben und halte jene Informationen nun auch für den Storyverlauf nicht sonderlich wichtig. Ihr könnt euch also beim Lesen gerne vorstellen, dass es nicht Malischa, sondern ihr seid, die in jenes Spiel geraten. Für alle Jungs noch der Hinweis: Ab und an müsst ihr die weibliche Anrede in die Männliche umdenken.

Und damit wünsche ich euch viel Vergnügen beim Lesen!

TMW [TheMysteriousWarrior]

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Schreibe den Prolog einfach neu!

Ich wollte mir die Nase zuhalten. Oder mich einfach umdrehen und weggehen. Wohin auch immer. Hauptsache hier weg. Ich wollte meine Ruhe haben. Sollte dieser Bandit mit seinen hässlichen Freunden und mit seinem schrecklichen fischigen Mundgeruch doch gucken, welches einigermaßen schwächlich aussehende Opfer er sich anstelle von mir krallen musste. Ich jedenfalls war jetzt raus. Zumindest wäre ich es, würde kein vierzehnjähriger Junge meine rechte Hand fest umklammern und die Ansammlung kleiner Kinder hinter mir wäre lediglich eine Täuschung meiner Sinne gewesen. Aber dem war natürlich nicht so. Wieso auch? Aber bevor ich weiter über mein äußerst merkwürdiges Schicksal klage, sollte ich lieber über den Beginn meiner „Reise“ zu sprechen kommen.
Es begann vor gefühlten fünf Tagen –eigentlich schon vor drei Wochen-, als ich irgendwo in Deutschland über ein Flomarktgelände schlenderte. Wo genau ist eigentlich egal; meine Geschichte wird ohnehin im Verlauf nicht mehr dort stattfinden. Jedenfalls konnte ich an einem jener Stände einen gebrauchten DS samt Spiel für einen Spottpreis ergattern! Allerdings hielt sich die Freude bei mir in Grenzen, schließlich kann ich mit dieser Art elektrischer Belustigungsmaschinen nicht viel anfangen. Ich bin eher der Typ, der am Computer sitzt und sich von schönen scharfen Landschaftsbildern und Weiterem in einem Spiel beeindrucken lässt. Story und so ist mir eigentlich nicht sehr wichtig, und modern muss das ganze ebenfalls sein. Damit kann ich auch gleich auf dieses beigelegte Spiel zu sprechen kommen. Es war eins von diesen komischen Strategierollenspieldingern, mit denen ich einfach nicht zurechtkomme, die mein Bruder wiederum über alles vergöttert. So gesehen muss ich bei meinem Kauf wohl von „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“ sprechen, denn mein Bruder hatte in wenigen Wochen seinen vierzehnten Geburtstag und das perfekte Geschenk wurde mir also auf dem Silbertablett serviert.
Mein Bruder ist ein Freak, ja mehr noch, komplett vernarrt in seine RPG Spiele. Da ich wie gesagt nichts damit anfangen kann, verstehe ich bis heute nicht, was an dieser Fire Emblem Reihe so toll sein soll. Man schiebt irgendwelche Figuren über ein Feld; eigentlich so was wie Schach, oder?
Jedenfalls nahm ich den DS samt Spiel mit nach Hause und legte meinen Kauf in irgendeine Ecke meines Zimmers. Mein kleiner Bruder war zurzeit mit seiner Klasse auf einer einwöchigen Reise, also hatte ich noch genug Zeit, mein Geschenk für ihn einzupacken. Einige Tage ließ ich Handheld und Spiel verstauben, bis mich die Langeweile so stark übermannte, dass ich mich in meinen nachtschwarzen Sitzsack fallen ließ und das kleine Gerät anschaltete. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dies wohl bis dato der größte Fehler meines Lebens sein sollte. Wobei, eigentlich noch nicht das. Aber ich hätte die Finger davon lassen sollen. Ich hätte es einfach!
Der Bildschirm erhellte sich mit einem Mal und wenige Augenblicke später erschien das eingesteckte Spiel als wählbar auf dem Unteren der beiden Bildschirme. Man muss wissen, dass ein DS zwei Bildschirme besitzt, wobei der Untere von dem Steuerungskreuz und Knöpfen umrahmt ist und sich das Hauptgeschehen eher auf dem oberen Bildschirm abspielt. Das zumindest hat mir mein Bruder erzählt. Wenig von dem Hauptmenü beeindruckt startete ich das Spiel mit dem A-Knopf, wobei ich gerade noch den Titel des Spiels erkennen konnte: Fire Emblem Shadow Dragon.
Ein Spiel, welches der kleine Nerd, der ein Zimmer neben meinem bewohnte, noch nicht in seiner Sammlung hatte. Diesen Umstand kannte ich nur, weil er mir seine geliebten Spiele so oft heruntergerattert hatte, dass ich sie wiederholen könnte, selbst wenn man mich nach gerade mal drei Stunden Schlaf in der Nacht wecken würde. Es war zwar nur ein Remake vom ersten Spiel der Reihe, und wie ich hörte als ein Remake nicht sonderlich gut, aber wenn er darüber redete, konnte man leicht in Erfahrung bringen, wie sehr er es doch begehrte.
Ich löschte also einen der drei Spielstände (das Game ist wie gesagt gebraucht und da war wohl jemand ein genauso großer Fan wie mein Bruder gewesen), um das Spiel in seiner ganzen Pracht „auszukosten“ und startete es.
Ich hatte mir von Beginn an schon keine großen Hoffnungen gemacht. Denn alles, was mein Bruder lobpreiste, war für mich das Ödeste von eigentlich allem, was hätte passieren können. So auch hier. Nachdem der Blauschopf – soweit ich verstanden hatte, hieß er Marth und war der Prinz von Altea – „plötzlich“ von zuvor ihm wohlgesinnten Soldaten angegriffen wurde musste ich ihn nun durch ein größeres Gebäude steuern und dabei einige von diesen Feinden platt machen. Keine große Sache. Also, wenn dies die Mechanik des gesamten Spiels war, dann bin ich wirklich begeistert. Ich ließ mich also vom Fluss des Spiels mittragen, indem ich einfach das machte, was ich zu Anfang tun sollte: Gegner angreifen und den blauhaarigen Typen nicht draufgehen lassen. Mittlerweile hatte ich aus irgendeinem Schrank Kopfhörer hervorgezogen und sie in den DS gesteckt. Die Musik war meiner Meinung einigermaßen. Nicht gut, aber auch nicht schlecht. Während ich gerade einen – wie bis jetzt immer – überaus uninteressanten Dialog skippte, drückte ich gleichzeitig auf die L-Taste. Ich kann mein Verhalten im Nachhinein auch nicht erklären. Vielleicht war mir das ständige A-Drücken zu nervig geworden oder mein Unterbewusstsein hatte beim Durchblättern der Bedienungsanleitung von Fire Emblem Shadow Dragon die unwichtige Funktion vom Chatten über Wi-Fi erfasst. Wie dem auch sei beugte ich mich schließlich vor und rief mit gedrückter L-Taste dem Prinzchen durch das Mikrofon zu, er solle mal irgendwas Abwechslungsreiches, zum Beispiel einen Salto, machen. Natürlich erwartete ich keine Antwort, als ich von der durchgedrückten L-Taste abließ und mich wieder in meinem bequemen Sitzsack zurücklehnte. Schließlich ging das wegen dem Mangel an benötigten Einstellungen und Freunden, die dieses Spiel ebenfalls besaßen, nicht. Das hatte selbst ich mit meinem wenigen Wissen verstanden.
Umso mehr zuckte ich zwischen dem mit Styropor gefüllten Sack zusammen, als urplötzlich eine Stimme mein scharmloses Gebrüll erwiderte. Sie war nicht mehr als ein ersticktes Flüstern, sodass der wohl schlechte Empfang, der schmerzende Kratzgeräusche mit sich brachte, mir nicht gerade beim Verstehen half. Dennoch konnte ich heraushören, dass der Andere wohl Todesängste erleiden musste. In jedem zweiten, sich überschlagenden Satz stammelte er, dass er nicht wisse, wohin er gehen solle. Und das in einer so dermaßen veralteten Redensart, dass ich ihn am liebsten angebrüllt und mitgeteilt hätte, er solle normal mit mir sprechen, wenn er denn etwas loswerden wollte. Aber wie mehr die Furcht seine Stimme übermannte, umso mehr verflog auch mein Zorn, oder zumindest geriet dieser weiter in den Hintergrund. Aber es war auch egal, was ich getan hätte. Ich konnte ihm doch nicht helfen. Er konnte sonst wo sein, auch wenn er aus mir unerfindlichen Gründen meine Sprache konnte. Wenn er mir nicht erklärte, wo er sich befand und was überhaupt geschehen war, konnte ich nicht eingreifen. Genau dies wollte ich ihm in einem angemessen ruhigen Ton erläutern – wobei ich bezweifle, dass er dies mitbekommen hätte, weil sein Finger anscheinend auf der L-Taste klebte-, da blitzte plötzlich ein helles Licht auf. Zuerst hatte ich, wie jeder rational denkende Mensch auch, vermutet, dass ein Gewitter für diese Lichtquelle verantwortlich wäre, doch das seltsame Leuchten schwächte nicht ab. Im Gegenteil wurde es mit jedem Herzschlag intensiver, sodass ich schließlich meine Augen schloss.

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Stille, wie sie in meinem Zimmer herrschte, empfing mich. Doch in ihr war nicht das Gefühl der Geborgenheit gemischt, eher der Drang sich zu verstecken und den Atem anzuhalten; eins mit dieser entsetzlichen Ruhe zu werden. Erschrocken nahm ich nach einem Atemzug den metallischen Geschmack von Blut auf meiner Zunge wahr, ebenso wie einen leicht modrigen Geruch. Ich wagte nicht meine Augenlieder zu heben. Ich wollte einfach nicht sehen, was sich vermutlich vor mir erstreckte, und es als Illusion abtun. Wenige Augenblicke gelang mir dies, ja ebenso den Atem anzuhalten, um meine Lungen vor dieser widerwertigen Luft zu bewahren. Doch dann spürte ich eine Wärme an meiner linken Hand. Erschrocken sprang ich zurück, wobei ich mit vor Überraschung weit geöffneten Augen nach hinten taumelte und mit dem Kopf gegen eine Wand knallte. Einen blamierenderen Auftritt konnte ich vermutlich wohl nicht mehr geben.
Der daraufhin eintretende Schmerz zog sich Unheil verkündend durch meinen Schädel und ich redete mir bereits ein, dass ich mir meinen Kopf gebrochen hätte. Schon kamen mir die ersten fluchenden Worte in den Sinn, doch ich biss mir auf meine Zunge, als die Person, der ich meine spektakuläre Landung zuzuschreiben hatte, mich mit einem musternden Blick beäugte.
„Ich…bitte vielmals um Verzeihung“, er stockte unschlüssig, „Das wollte ich nicht…“
„Gewolltes und Geschehenes unterscheidet sich bei dir aber stark“, schrie ich ihm mit verbitterter Miene entgegen und sprang sogleich auf meine Füße. Auch wenn das Pochen in meinem Kopf dadurch nicht besser wurde kochte in mir eine Wut hoch, die ich normalerweise nur meinem Bruder widmete. Ich wollte den kleinen Jungen vor mir gerade mit allem fertig machen, was mir auf die Schnelle einfiel, als ich seinem Blick begegnete. Solch einen unschuldigen, ja schon herzzerreißenden Blick, den mein Bruder nicht drauf hatte, weshalb er meinem Zorn auch niemals ausweichen könnte. Der Junge kam langsam auf mich zu, wobei ich deutlich die Unsicherheit in seinem Schritt wahrnahm. Erst als er abermals zu mir sprach erkannte ich seine Stimme als jene wieder, die ich durch meine Kopfhörer vernommen hatte.
„Mein Name ist Marth Lowell“, stellte sich der Blauhaarige vor, „Ich bin der Prinz dieses Königreiches. Und was seid Ihr?“
Auf seine Frage musste ich erst einmal schlucken. Nicht nur, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass dieser kleine Blauschopf wirklich der Prinz von diesem komischen Fire Emblem – Dings war; ich musste mich auch zusammenreißen. Er hatte mich gefragt, was ich denn sei. Sieht man das denn nicht?! Kann ja sein, dass er in seinen vierzehn Jahren Lebenszeit noch kein Mädchen aus Deutschland gesehen hatte, aber man könnte doch zumindest meinen, dass solche noch zur Gattung Mensch gehörten, oder?
Als von mir keine Antwort kam, weil ich jeglichen bösen Ausbruch meinerseits zu Gunsten dieses unterbelichteten Helden eines Spiels vermeiden wollte, legte dieser verständnislos seinen Kopf leicht schief und meinte: „Seid Ihr eine Gesandte der Wyrmgöttin?“
Weiterhin sprachlos, aber abgekühlter, da er mich für eine Gesandte irgendeiner Gottheit hielt, erwiderte ich seine Frage lächelnd: „Wie kommst du denn darauf?“
„Ihr scheint meinen Ruf nach Hilfe erhört zu haben und seid in einem goldenen Licht vor mir erschienen. Deshalb…“
Ich blinzelte verwundert. Erst jetzt realisierte ich, dass ich mich wohl in jenem Computerspiel befand, welches ich lediglich aus Langeweile in die Hand genommen hatte. Was natürlich komplett unlogisch war. Wie konnte man denn plötzlich in einem Computerspiel erscheinen. Das ging nicht! Das musste ein Traum sein. Aber der Umstand, dass mir mein Kopf nach dem Zusammentreffen mit der Wand hinter mir immer noch schmerzte, bewies mir das Gegenteilige. Ich sah zu dem Prinzen hinüber. Wenn mir jetzt irgendjemand mit diesem Mysterium helfen konnte, dann war er wohl der erste Ansprechpartner. Wobei dies auch zu bezweifeln war, aber außer ihm war sonst niemand in der Nähe. Wo war den Jagen oder diese anderen alteanischen Ritter, wenn man sie mal brauchte?
Doch bereits im nächsten Augenblick bereute ich meinen inneren Schrei nach Gesellschaft. Laut dröhnten Schritte von patrouillierenden Soldaten durch die Korridore des Schlosses und ließen mich erschaudern. Das hier war echt. Und so echt, wie ich mich mit dem Prinzen unterhalten hatte, so echt würden mich diese Soldaten von Gra (jene feindlichen Soldaten, die anfangs noch auf der Seite Alteas standen) aufschlitzen, wenn sie mich hier sehen würden. Ich hätte wohl noch eine Ewigkeit wie eine Statue auf meinem Fleck gestanden, hätte Marth nicht meine Hand umschlungen und mich mit sich gezogen. Ich protestierte nicht. Zu gelähmt war ich von der Wirklichkeit, die mich wie ein weiterer Schlag auf dem Hinterkopf traf.
Nach geschätzten tausend Metern – oder viel, viel weniger – lehnte sich der alteanische Prinz erschöpft gegen eine Wand, welche im Schatten einer Skulptur lag. Ich hatte mich inzwischen während meiner längeren Starre damit abgefunden, dass ich nun in einem mittelmäßigen Computerspiel festsaß. Man konnte sich im Leben schließlich nicht alles aussuchen. Deshalb wollte ich mich nicht mehr länger damit grämen und lenkte meine Aufmerksamkeit zum Blauschopf, dessen schmächtiger Oberkörper sich vor Verausgabung heftig hob und senkte. Dann plötzlich sackte der Prinz in sich zusammen.
„Bitte“, keuchte er atemlos und ich setzte mich neben den Jungen, um ihn besser verstehen zu können, „Bitte, edle Gesandte…rettet meine Schwester. Ich kann Euch auch… Zeit verschaffen, wenn ich…“ Er unterbrach sich vor Erschöpfung.
Das war alles, was er sich wünschte. In einer solchen Situation, wenn das Schloss plötzlich von innen heraus angegriffen wurde und gerade er die letzte Hoffnung seines Reiches war. Ich vermute, jeder hätte bloß an sein eigenes Leben gedacht, aber was machte er? Er schlug mir sogar vor, sich vor die Feinde zu werfen, nur damit ich etwas mehr Zeit hatte! Was erwartete der Bursche von mir?! Ich bin doch keine Göttin! Aber wenigstens zeigte er mir eine gewisse Verrücktheit in seinem Denken, welches vermutlich der Grund hierfür war: Ich nahm ihn in meine Arme und rannte. Keine Ahnung wohin, aber ich klammerte mich einfach an den Instinkt der Gesandten der Göttin, der mir hoffentlich auf meiner seltsamen Reise als Special Fähigkeit gegeben wurde- oder wie auch immer man eine besondere Begabung in einem Rollenspiel nennen mag. Jedenfalls wollte ich nicht von Gras Soldaten aufgespießt werden. Deshalb nahm ich meine Beine in die Hand.

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Das Geräusch, wenn ein einzelner Tropfen in einer Pfütze versank, nervte. Zumindest am Ende einer langen Warterei. Anfangs lässt es dich ständig zusammenzucken, dann fängst du an mitzuzählen und schließlich treibt es dich in den Wahnsinn. Ich konnte nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen, wie lange wir nun in dieser nassen Hölle saßen, die ursprünglich wohl ein Weinkeller gewesen war. In den letzten Jahren hatten sich allerdings gewisse Leute an diesem Vorrat an erlesenden Getränken bedient und die leeren Flaschen achtlos in eine Ecke geworfen. Spinnenweben überzogen alles, was sich nicht oder nicht mehr rührte und allein der Gedanke an diese fetten Spinnen, die jene langen Netze gesponnen hatten, ließ mich vor Ekel würgen. Auch wenn ich hier Spinnenfutter werden sollte, ist dies wohl hundert Mal besser als von den feindlichen Soldaten erledigt zu werden. Jedenfalls redete ich mir das ein, Spinnen mag ich halt einfach nicht so.
Über uns waren die Kampfgeräusche verstummt und die Stille, die daraufhin herrschte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wenn sie doch bloß zu lauter Partymusik oder was auch immer das Mittelalter an Top 10 Platzierungen zu bieten hatte spielen würden und in wilder Trinksucht verfallend ihren Sieg über das Königreich Altea feiern würden. Aber da war nichts. Nur ohrenbetäubende Stille. Da konnte man noch dankbar sein, wenn man irgendjemanden laute Befehle brüllen hörte, die mit einem knappen „Jawohl“ bestätigt wurden, aber beruhigen konnte mich das auch nicht.
Nach meiner wilden Jagd durch die verwinkelten Korridore des alteanischen Schlosses war ich schlussendlich in den Kellergewölben gelandet und hatte in einer überaus finsteren Nische diesen kleinen Raum gefunden. Doch egal, wie gut dieses Versteck auch sein mochte, lange konnten wir uns hier nicht aufhalten. Neben verschimmeltem Käse und einem steinharten Leib Brot konnte ich keine weiteren Nahrungsmittel erblicken. Ich seufzte missmutig. Ich wusste weder, wie ich den Prinzen und mich aus diesem verdammten Schloss herausbekommen sollte, noch wie ich zurück nach Hause kam. Ich war nur froh, endlich meinen Stand in diesem Spiel erahnen zu können. Offensichtlich befand ich mich in dem Prolog des Spiels, wobei dieser nicht ansatzweise so glatt lief, wie es eigentlich sein sollte. Das Schloss Alteas war offenbar komplett von Gras Soldaten eingenommen worden und die alteanischen Ritter, die Marth eigentlich hätten in Sicherheit bringen müssen, hatten sich wohl einen schönen Tag gemacht. Tolles Schlammassel.
Stumm starrte ich an die Decke hoch. Unsere momentane Lage schien ausweglos. Ein weiterer Seufzer entwich meiner Kehle. Ich war am Ende. Ich würde nichts zu essen finden, meine Jeans und Pullover waren von dem Abwasser oder was das hier war durchnässt und meine Stimmung war ganz klar im Keller. Wieso konnte man es nicht einmal leicht im Leben haben. Allein daran sieht man ja wieder wie unlogisch diese Rollenspiele sind. Ich meine: Dem kleinen Blauschopf wurde in dem Prolog sofort geholfen. Der musste nicht mal nach Hilfe schreien. Die kam schon automatisch. Und jetzt? Genau. Hier war niemand! Ich war komplett auf mich allein gestellt und hatte auch noch einen verwöhnten Jungen im Schlepptau, der allen Ernstes schlief. Fragt mich nicht wie, ob wegen Erschöpfung oder weil er die Ruhe selbst war, aber er konnte in dieser Situation, in welcher man seine nächsten Schritte gut planen musste, weil man sonst sein Leben verlor, seelenruhig pennen. Nun, allerdings muss ich ihm zu Gute halten, dass gerade jenes sanfte Atmen um einiges angenehmer war als dieses nervtötende Platschen von diesem Deckenabwasser.
Ich stand auf und begann im Kreis zu laufen, so wie das jeder verwirrte Mensch in einer hoffnungslosen Lage tun würde. Dabei überlegte ich fieberhaft, wie ich mich hieraus retten konnte. Schließlich musste es doch einen Grund für meine plötzliche Reise in dieses mittelmäßige Computerspiel geben. Und dieser war wohl der Umstand, dass das Prinzchen sich in seinem eigenen Schloss verlaufen hatte, oder halt nicht zu Recht kam. Dies wiederum muss bedeuten, dass diese Ritter von Altea geschlampt hatten, denn andernfalls hätte Marth sich nicht alleine zum Ausgang kämpfen müssen und hätte nicht um Hilfe gerufen, sodass ich nie hier erschienen wäre. Die Schuld lag also nicht bei mir – was für eine Erleichterung! -, trotzdem musste ich die jetzt ausbaden. Mal überlegen…
Ich begann meine x-Runde und stolperte dabei fast über einen losen Stein am Boden. Nachdem ich taumelnd zum Stehen kam warf ich dem Stein einen Wage-dies-ja-nicht-nochmal–Blick zu, bevor ich meinen endlosen Marsch fortfuhr. Oder versuchte, fortzusetzen, denn plötzlich stand mir der Blauschopf im Weg. Er schenkte mir ein so gnädiges Lächeln, dass man meinen könnte, er wolle sich für die Störung in meinen Dauerrunden, die ich vollführte, entschuldigen. Ehrlich gesagt hatte mich das im Kreislaufen wirklich zur Ruhe bringen können. Dennoch musste ich mich selbst daran erinnern, dass ich selbst dafür keine Zeit hatte.
„Ähm…Entschuldigung.“
Er entschuldigte sich wirklich?! Ich musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Was war nur falsch mit dem Jungen und vielmehr, wie wollte der ein großer Held werden, wenn ihm selbst so eine Nichtigkeit Leid tat! Aber ich musste mich zusammenreißen. Ja, bloß nicht ausrasten. Ganz ruhig.
„Was ist denn?“, fragte ich mit einer so sanften Stimme, die selbst mir befremdlich vorkam.
„Es ist so dunkel hier“, flüsterte der Blauhaarige leise, „Können wir nicht woanders hin, Gesandte?“
Nein, natürlich nicht!, wollte ich ihn schon anschreien, erinnerte mich aber an die Ruhe, die ich mir selbst auferlegt hatte. Jedem, dem es noch nicht aufgefallen ist, soll gesagt sein, dass ich kleine Kinder nicht besonders leiden kann. Und wenn sie aus einem Rollenspiel kommen, dann schon gar nicht. Jedoch war auch in meiner finsteren Seele ein Funken Mitleid. Deshalb kniete ich mich zu dem Jungen hinunter – er war fast zwei Köpfe kleiner als ich; er sollte daher auf einen verspäteten Wachstumsschub hoffen oder niemand würde ihn wegen seiner Größe ernst nehmen – und fuhr ihm mit meiner linke Hand tröstend durch das dunkelblaue Haar.
„Wir kommen hier schon irgendwie raus“, murmelte ich, wobei ich ehrlicherweise mehr mich als den Prinzen das Gefühl von Sicherheit vermitteln wollte. Marth schien das offenbar ebenso zu sehen, denn seine Miene verdunkelte sich auf einen Schlag. „Und was ist mit Elice?“, fragte er unsicher, „Was ist mit meiner Schwester?“
Keine Ahnung. Wieso fragst du mich? Das ist doch dein Computerspiel, also musst du nicht mich ahnungslosen Spieler darum bitten, dir eine Antwort zu geben. Schließlich lasse ich mich nicht durch Internet und Co. spoilern. Moment…spoilern. Mit einem Mal hatte ich die Idee.
„Marth, jetzt hör mir Mal zu“, sagte ich, wobei die Aufmerksamkeit des Prinzchens sowieso zu hundert Prozent bei mir war, „Ich bin keine Gesandte irgendeiner Göttin, sondern eine Wahrsagerin.“
„Eine Wahrsagerin?“, wiederholte er mit einem ungläubigen Unterton in seiner Stimme.
Ich nickte kräftig. „Jawohl, und deshalb kann ich dir sagen, dass du deine Schwester retten wirst. Zwar nicht heute, aber irgendwann“, meinte ich und fügte rasch hinzu, „ ohne meine Hilfe.“
„Aber ich will sie nicht irgendwann retten, sondern heute“, protestierte der alteanische Prinz laut, „Wieso sollte ich warten.“
„Weil du zu schwach bist“, erwiderte ich. Schließlich war das doch der Hauptgrund in den meisten Rollenspielen. „Du bist schwach und unerfahren. Und zu jung. Und nicht selbstbewusst genug.“
„Stimmt doch gar nicht“, rief er, wobei er trotzig zur Seite blickte. Jetzt hatte ich ihn genau da, wo ich ihn haben wollte.
„Dann beweise es mir.“ Ich warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Wenn du es schaffen solltest uns beide aus diesem Schloss herauszubringen, sollte es dir danach auch ein Leichtes sein, wieder hineinzufinden.“ Einige lange Minuten des Schweigens vergingen, in welchem ich gedanklich die Daumen bis ins Unermessliche drückte. Inständig betete ich im Stillen, dass er an meinen Köder anbeißen würde. Denn seien wir mal ganz wahrheitsliebend. Ich kannte mich weder in diesem Schloss aus, noch hatte ich einen guten Orientierungssinn, sodass ich wenn überhaupt nur eine sehr, sehr geringe Chance hatte, hier heil herauszukommen. Ich musste also auf Marth bauen und sein eigentliches Ziel, seine Schwester zu retten, in das Meine umzuwandeln, nämlich aus diesem Gängelabyrinth zu entkommen.
„Nun gut“, hörte ich den Jungen schließlich sagen und ich begegnete seinem entschlossenen Blick, „Ich werde Eure gestellte Aufgabe annehmen. Aber lediglich unter einer Bedingung! Ihr müsst meinem Kommando Folge leisten.“

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Natürlich hatte ich nichts ahnend seine Bedingung akzeptiert. Schließlich hatte ich in seinen Worten eine Art Treueschwur für diesen einen Moment geglaubt, was sich nach dem Durchstreifen weniger Gänge jedoch als falsch einstufte.
Er hat mich geschubst. Dieser kleine Teufel von adeliger Held hatte mich in einen Korridor geschubst, der nur so von Soldaten Gras wimmelte. Wollte der mich als Opfer nutzen, damit er sich heimlich aus dem Staub machten konnte oder was?! Ich wirbelte mit vor Wut erröteten Kopf herum, doch war der Übeltäter urplötzlich nicht mehr hinter jener Säule, hinter der wir uns zuvor versteckt hatten. Er war einfach weg!
„Hey, du da!“, rief einer der rotgekleideten Soldaten und kam auf mich zu.
Mist, was sollte ich machen. Winken und erklären, dass ich mich verlaufen hätte? Ich war tot. Zu Hunderteins Prozent und das lediglich wegen diesem egozentrischen kleinen Blauschopf. Ich war nun so zornig, dass es mir völlig egal war, wer mir gegenüber stand. Es hätte auch Gharnef sein können oder gleich dieser dumme Schattendrache, durch welchen das Schloss angegriffen wurde.
„Nenn mich nicht „du da“!“, motzte ich von meinem ohnehin sicheren Tod wissend den Soldaten an, „Lernt ihr in euren blöden Ritterausbildung nicht einmal einen Hauch von Benehmen?“
„Was machst du hier? Wie bist du ins Schloss gekommen?“, war das Einzige, was von dem Mann kam.
„Fragen, Fragen. Immer nur Fragen“, murrte ich genervt, „Ich weiß es doch auch nicht. Guckt in eine Komplettlösung oder so. Dass zumindest hätte ich getan, hätte ich gewusst, dass ich mit dir einen sinnlosen Dialog wechseln müsste.“
Ich sah, wie einer von den weiter hinten stehenden Soldaten sich zu seinem Nebensteher wandte. „Ich glaube, die Kleine leidet an Verwirrtheit.“
„Ich bin nicht klein“, zischte ich zurück und bestrafte den anderen mit einem bitterbösen Blick. Es reichte mir endgültig. Diese dummen Einheiten sollten verschwinden und mir nicht noch meinen letzten Nerv rauben. Das war auch wohl der Grund für mein plötzliches Handeln: Wie aus einem Affekt heraus schlug ich den mir am nächsten Stehenden, der sich von meinem plötzlichen Angriff überrascht nicht wehrte, zu Boden. Dann folgte ein Weiterer. Ich sprang zur Seite, stieß mich mit den Füßen von der Wand ab und zog zwei bewaffnete Männer mit mir. Ich hatte schon in jungen Jahren Kampfunterricht erfahren, eigentlich nur zur Selbstverteidigung, aber ich hatte zu Hause mit einigen Kissen geübt. Irgendwie entspannte mich das nach einem langen Schultag und nein! Ich wandte meine gelernten Techniken niemals an anderen außer an übergroßen Kissen an. Nur heute war eine Ausnahme.
Wie eine Bestie stürzte ich nun in die Ansammlung und schlug jeden in einer Reichweite von einem Meter von mir. Dies hätte so weiter gehen können, bis wirklich jeder mit einer blutigen Nase am Boden gelegen und wie ein kleines Mädchen herumgeheult hätte. Mit jedem verstreichenden Augenblick war sogar mein verzweifelter Wunsch, mich aus meiner misslichen Lage lebend entziehen zu können, gestiegen. Jedoch spürte ich plötzlich im Höhepunkt meiner Raserei eine kalte Klinge, die sich auf meinen Rücken legte. Sofort erstarrte ich in meiner Bewegung, wobei der Soldat, den ich mit meinen Händen gepackt hatte, sich weiterhin schreiend wehrte.
„Es ist vorbei“, sprach der Mann hinter mir ernst, „Beantworte unsere Fragen und vielleicht lassen wir dich am Leben.“    
Ich blieb in meiner erstarrten Haltung. Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, ihre Fragen zu beantworten, obwohl ich bezweifelte, dass ich es könnte. Ich spielte mit dem Gedanken die noch nicht von meinem Angriff KO geschlagenen Soldaten zu fragen, ob ich ihrer Armee nicht beitreten dürfte. Zwar war ich eine Frau, aber ich hatte ihnen doch gerade beweisen können, was für ein Talent in mir steckte. Ich konnte ohne irgendeine Waffe ein paar Gegner platt machen; wie praktisch war das denn. Man müsste keine unnötigen Kosten für Schwerter oder ähnliches blechen und ich konnte auch anderen Leuten das Kämpfen ohne eine Waffe beibringen. Ich konnte die Ausgaben drastisch senken und würde somit ein äußerst effizientes Mitglied sein. Außerdem hatte mich das Prinzchen verraten! Die Leute von Gra hatten eigentlich das gleiche Ziel wie ich: Denn Kleinen finden und ihn für sein böses Verhalten bezahlen lassen. Und dann die ganze Welt beherrschen… Zugegeben, mit letzterem Punkt musste ich mich noch anfreunden, aber hey! Das hatte sich der Blauschopf auch selbst eingebrockt. Wenn er mich verriet, wieso durfte ich das nicht auch umgekehrt?

Ich lächelte. „Wie Sie eben gesehen haben, besitze ich über außergewöhnliche Fähigkeiten, die Ihrer Armee zu Gute kommen könnten.“ Ich machte eine dramatische Pause, damit mein indirektes Angebot langsam in den Kopf des Anderen sickern und sich dort festsetzen konnte. Als dann aber nach einer gefühlten Ewigkeit nicht mal ein verstehendes „Mh-hm“ von dem Soldaten kam wollte ich einen zweiten Anlauf starten. Doch genau in jenem Moment, als ich mich räusperte, vernahm ich einen erstickten Schrei hinter mir gefolgt von dem Geräusch eines zu Boden gefallenen Körpers. Verwundert von den Lauten und dem plötzlichen Verschwinden des kalten Eisens auf meinem Rücken fuhr ich herum und erblickte Erstaunliches. Immer mehr Soldaten  fielen auf ihre Knie und gaben sich der darauffolgenden endlosen Schwärze hin. Schließlich lagen sie alle vor mir. Ohnmächtig. Der einzige noch Stehende warf mir ein triumphierendes, doch nicht überhebliches Lächeln zu. Er war derjenige gewesen, der die Männer mit dem Knauf seines Schwertgriffs niedergeschlagen hatte.
Ich atmete tief aus und wieder ein. Hatte ich jemals vorgehabt der Armee von Gra beizutreten? Wohl kaum! Wenn sie es zu gefühlten mehreren Dutzend nicht schafften einen minderjährigen Jungen gefangen zu nehmen, dann war das hier nicht meine Liga. Sollte ich also irgendwann mal behauptet haben, ich würde bei denen auf der sicheren Seite stehen, dann vergesst es einfach.
Marth kam schnell auf mich zugeeilt und nahm meine Hand. „Wir dürfen nicht länger hier verweilen“, meinte er und zog mich mit sich, „Sie werden sonst auf uns aufmerksam.“

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Der Blauschopf war pfiffig, wirklich. Mich als Ablenkung vorauszuschicken und sich dann unbemerkt von der anderen Seite anzuschleichen war eine Art von Plan, die auch mir hätte einfallen können. Wobei es andersherum deutlich unkluger gewesen wäre. Schlussendlich musste der Prinz überleben. Ich war lediglich eine stinknormale „Einheit“, wenn wir das Ganze mal fire-emblisch betrachteten.
Wir liefen weiter. Tiefer und tiefer schienen wir ins Schloss einzudringen und ich wehrte mich vehement dagegen, den Blauschopf in eine andere Richtung mitzuschleifen, die meiner Meinung nach ein Ausgang sein konnte. Er war ja derjenige, der sein ganzes Leben hinter diesen Mauern hatte verbringen müssen, also musste er besser über eine Fluchtroute wissen als ich es je könnte. Tatsächlich bestätigte sich meine These, als wir wieder mal einen verwinkelten Bereich des Schlosses hinter uns ließen und in einem kleinen Raum zum Stehen kamen. „Sackgasse“ war das Erste, was mir in den Sinn kam, und ich war schon gewillt dem Prinzen einen verachteten Blick zuzuwerfen. Was meiner Meinung nach auch äußerst begründet war, denn dieser Raum war der mit Abstand Abschreckendste  – von dem ehemaligen Weinkeller mal abgesehen-, welchen ich bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte. Die wenigen Möbel, die verteilt in diesem Albtraum von Wohnraum standen, waren überzogen von Spinnenweben und schienen insgesamt nicht mehr und auch künftig genutzt zu werden. Angewidert stieg ich über einen am Boden liegende Stuhl, dessen Beine abgebrochen und um ihn herum verstreut waren, während ich beunruhigt in jede Ecke schaute und nach dem Monster suchte, welches die Möbelstücken in jenen weißen Schleier gehüllt hatte. Marth hinter mir schien alles andere als besorgt oder ängstlich. Er hatte offensichtlich kein Problem mit zwanzig Zentimeter großen Spinnen mit Haaren und bösartigen roten Augen. Ich fuhr mit dem Handrücken über meine verschwitzte Stirn. Wenn wir uns schon in ein Zimmer flüchten mussten, weil der Blauschopf einfach nicht zugeben wollte, dass er keinen Ausweg aus dieser verzwickten Situation wusste, dann bitte wenigstens ein etwas Schöneres. Wer wollte denn schon in einem Abstellraum sterben? In der Küche beispielsweise hätten wir immer noch unser letztes Mahl zu uns nehmen können. Alles war besser, als zusammen mit einem kleinen, nervtötenden Jungen in einer Abstellkammer, welches besiedelt von unzähligen Monstern war, auf den sicheren Tod zu warten. Andererseits war es auch ein gutes Versteck. Schließlich würde doch niemand freiwillig hier hingehen.
Ich blieb stehen und atmete tief ein, während mein Herz wegen der Riesenspinnenpanik heftig schlug. Im Augenwickel konnte ich das Prinzchen an einem Schrank herumhantieren sehen. Vermutlich war er nun so verwirrt, dass er glaubte, darin etwas Essbares zu finden. Mein Magen knurrte genau in diesem Moment zustimmend.
„Was soll das werden, wenn du damit fertig bist?“, fragte ich endlich, um mich einerseits von den fetten Spinnenweben und ihren Herstellern abzulenken, aber auch, um dem Blauhaarigen ein Geständnis zu entlocken. Sofort wandte sich der Angesprochene zu mir um.
„Ich verschiebe den Schrank“, meinte er, als wäre es etwas ganz Selbstverständliches. Vielleicht war es das auch. Manche knibbelten in ihrer Panik an ihren Fingernägeln, andere lachten hysterisch, wieder andere sehen sich vom Schicksal erschlagen und heulen los. Er verschob Schränke. Ganz normal also.
„Wenn Ihr mir Eure Kraft leiht, würde der Schrank deutlich schneller zur Seite geschoben sein.“ Marth sah mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Schultern. Wenn das sein letzter Wunsch war, warum nicht? Ich trat daher neben ihn und schob mit meiner letzten verbliebenen Kraft an dem spärlichen Möbelstück. Zu meinem Erstaunen konnten wir den Schrank mit gemeinsamen Aufwand von der Wand wegbewegen. Jedoch war dies nicht so überragen, wie das, was wir danach erblickten. Ich spürte bereits den kalten Zug, der von ihm ausging, noch bevor ich es überhaupt bemerkt hatte. Hinter dem Schrank war nämlich keine massive Wand gewesen. Im Gegenteil klaffte dort ein breites Loch, gerade so breit, dass zwei schlankere Menschen hindurch passten.
„Unser Weg nach draußen“, verkündete der alteanische Prinz grinsen, bevor er mich – wieder -  an die Hand nahm und in die Dunkelheit hineinzog. Ich wollte mich gegen das aufgezwungene Händehalten wehren, doch der Griff des Jungen wurde umso heftiger, wie mehr ich an meiner eigenen Hand zog. Schließlich gab ich auf und trottete wie ein Hündchen an der Leine hinter ihm her. Ob er das bei allen so machte? War er etwa so besitzergreifend, dass er danach nicht mehr loslassen wollte?
Die Stille um uns herum nervte mich bald wieder. Die Frage, ob ich je wieder nach Hause finden würde, geisterte durch meine Gedanken. Allerdings wog ich zugleich auch die Vorteile von hier und dort ab. Womöglich konnte ich in Altea ein neues und interessanteres Leben anfangen. Schließlich stand ich wohl jedem hier mit Wissen voran. Ich konnte rechnen und schreiben; dass reichte im Mittelalter schon aus, um als schlau angesehen zu werden. Über meine eigene Klugheit grinsend wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Blauschopf zu. Trotz der Dunkelheit, die wie weiter wir uns vom Eingang entfernten immer finsterer wurde, konnte ich ihn unruhig blinzeln sehen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war, weshalb ich ruckartig meine linke Hand, an welche er wie ein Löwe seine Beute fest umschlungen hatte, nach hinten zog. Erschrocken entwich ihm ein erstickter Schrei und ich lachte höhnisch. Mit meinem Bruder konnte ich dieses Spiel nicht mehr treiben - der kannte das schon -, weshalb das Prinzchen als neues Opfer herhalten musste. Zugegeben, im Nachhinein hatte ich sogar ein schlechtes Gewissen bekommen, weil der alteanische Prinz ohne ein wütendes Wort einfach weitergelaufen war und sich in diesem Moment erheblich erwachsener gezeigt hatte als ich, aber ehrlich… war das so schlimm? Laut einem alten Sprichwort sollte man schließlich etwas Kindlichkeit in sich tragen, oder so.
Wie dem auch sei erreichten wir nach einem längeren Fußmarsch endlich wieder Licht. Ich hätte eigentlich von Anfang an nicht an dem kleinen Prinzen zweifeln dürfen. Und an Geheimgängen innerhalb des Schlosses ebenso wenig. Gemeinsam kletterten wir über einige Felsbrocken, die den Ausgang so versperrten, dass er von außen möglichst unbeachtet blieb. Ich verharrte vor den Steinmassen und sah mich um. Wir waren in einem Wald gelandet. Offensichtlich grenzte dieser an einer Stadt an, denn ich konnte in der Ferne Häuser erkennen. Ein seltsamer Geruch ließ meine Nasenflüge zucken. Das war doch nicht etwa… Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, wurde die Luft von lauten Schreien zerrissen.
„Marth, die Stadt, sie wird…“
„Ich weiß“, entgegnete der Blauhaarige, ohne mich ausreden zu lassen, und zog sein Schwert. „Die Bürger meines Königreiches werden von den Soldaten Gras zur Unterwerfung gezwungen. Die Stadt wird geplündert und in Brand gesteckt.“ Er musterte mich mit ernster Miene. „Ich habe Eure gestellte Aufgabe erfüllt. Hier trennen sich daher wohl unsere Wege. Ihr werdet vermutlich weiter ziehen und ich“, er stockte für einen Augenblick, „werde meine Bürger retten.“
„Wolltest du nicht zu deiner Schwester zurück?“, kam es prompt von mir.
Er nickte leicht. „Allerdings, doch mein Vater erklärte mir einst… er sagte, ein Königreich stehe auf zwei Säulen: Dem König und seinem Volk. Stürzt eine dieser ein, gibt es kein Königreich.“ Der alteanische Prinz lächelte bitter. „Um jenen Sturz zu verhindern gibt es Ritter, die sowohl König als auch Volk schützen. Jedoch sind keine mehr verblieben. Sie sind alle…“ Er wandte seinen Blick wieder der Stadt hin, von der nun schwarze Wolken in den von der Sonne rötlich schimmernden Himmel aufstiegen. Ich legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter und ließ ihn dadurch zu mir aufblicken. Ich konnte in seinem Gesichtsaustruck eine Mischung aus Angst, Wut und Trauer erblicken, die er vermutlich die ganze Zeit vor mir versteckt gehalten hatte. Mit Erfolg, ich hatte es zuvor nur deuten können.
„Ich werde mit dir kommen“, sagte ich entschlossen und grinste ihn aufmunternd an. Damit wollte ich mich bei ihm entschuldigen, weil er eigentlich nicht so ein nerviger Junge war, für den ich ihn gehalten und dementsprechend behandelt hatte. Außerdem hatte er wieder diesen Hundeblick drauf, weshalb ich ihn ohnehin nicht alleine in eine ausweglose Schlacht mit Grasoldaten schicken wollte   – insgeheim wollte ich aber auch nicht zugeben, dass ich ihn langsam zu mögen begann.
Wir eilten also durch den Wald und ehe wir uns versahen brach ein neues Prologkapitel an. Oder das Spiel schien nun endlich der Meinung zu sein, uns Unterstützung schicken zu wollen. Jedenfalls rannte uns eine Gruppe kleiner Kinder geradewegs in die Arme. Fire – emblisch betrachtet also MPCs, die man aufgrund ihrer außergewöhnlich anderen Gesichter sogar rekrutieren konnte. Als Nichtspieler dieser Reihe sollte man wissen, dass die Entwickler gerne mit unterschiedlichen Gesichtsbildern sparten und für unwichtige Charaktere immer denselben Skin verwendeten; lediglich auf Alter und Geschlecht achtete man. Ansonsten war so etwas wie persönliche Innovation ein Fremdwort für sie.
Mir war bewusst, dass nun ein elenlanger und überaus unwichtiger Dialog zustande kommen würde. Denn es war eigentlich schon egal, was Marth sagen würde. Ich konnte zu hundert Prozent voraussagen, dass diese Kinder unserem Team joinen würden, egal, wer sie waren oder woher sie kamen oder was sie eigentlich vorhatten. Ich war wohl wirklich so eine Art Wahrsagerin. Nun, eigentlich hatte ich das Spielprinzip dieses durchschnittlichen Spiels schneller begriffen als so manch anderer. Das Prinzchen jedenfalls schien ein kleines Gespräch sehr zu begrüßen. Es war ja nicht so, dass wir eigentlich auf den schnellsten Weg in die Stadt wollten, um sie vor ihrem sicheren Untergang zu bewahren. Nein, ein paar Minuten konnten wir noch aufbringen. Braucht ihr noch Tee oder seid ihr schon alt genug für Kaffee? Wartet nur, ich renn noch mal schnell zurück in die Schlossküche und besorge uns ein paar Getränke. Wir haben Zeit, ist ja nicht so, als könnte die Stadt vor unseren Augen wegbrennen.
Während ich innerlich darum kämpfte, den Blauschopf anzutreiben trat dieser seelenruhig den Heranstürmenden entgegen und bedachte sie mit einem Blick, der wohl nichts anderes sagte als: „Seid gegrüßt. Wollt ihr meiner noch nicht vorhandenen Armee beitreten? Ich habe auch noch genug Zeit für eine kleine Teeparty, bei der wir über alles reden können.“ Deshalb war ich auch diejenige, die unsanft seine Hand packte und ihn ein Stück mit mir zog. Dabei blickte ich mit einer Du-Fängst-Jetzt-Garantiert-Keinen-Dummen-Dialog-An –Miene auf ihn hinunter, was ihn allerdings nicht zu jucken schien. Er wandte sich zu den anderen Kindern um, die mittlerweile in Hörweite waren und meinte freundlich: „Seid gegrüßt. Wisst ihr, was in der Stadt vor sich geht?“
„Ja, wir wurden angegriffen!“, antwortete ein grünhaariger Junge mit Bogen, den ich insgeheim Fake-Gordin taufte. Seht ihn euch doch an: Grüne Haare, Bogen. Fehlt nur noch die Ausbildung bei den alteanischen Rittern, aber ich glaube, dieser Faker kann das nicht von sich behaupten. Mir wäre der Echte schon lieber gewesen, aber andererseits hatte ich diesen, während meines ersten Spiels, gleich von Grasoldaten töten lassen und dafür eine deutlich bessere Bogenschützin bekommen – ja, so weit war ich in diesem Spiel gekommen.
„Sie kamen von allen Seiten!“, hörte ich ein zierliches Mädchen atemlos sagen. Da sie in der einen Hand eine Lanze hielt und sich irgendein Küchenutensil auf den Kopf gesetzt hatte, vermutete ich, dass sie ein Dörfler war. Also, ich spreche hier von der Einheit Dörfler, und ja, ich weiß, dass dies komplett verrückt und dämlich zugleich klingt, aber das ist wirklich so – obwohl ich mir ganz sicher bin, dass diese Einheit noch nicht in Shadow Dragon existierte, aber okay… . Mein Bruder hatte jedenfalls an diesen Dörflern Gefallen gefunden und meine Meinung dazu habt ihr vermutlich schon heraushören können.
Wieso?! Einfach nur wieso? Die sollen nicht in den Krieg ziehen – da gibt es deutlich stärkere und bessere Leute-, sondern ihre Felder bestellen und für genug Nahrungsmittel sorgen. Ist mir egal, ob die nach gefühlten fünftausend Stunden die overpowerste Einheit im gesamten Spiel sind; ich kann sie nicht ausstehen. Und dabei habe ich lediglich einmal einen in Aktion gesehen: Donnel. Genau in diesem Moment fand meine Wut für diese Dörfler ihren Anfang.
Plötzlich bemerkte ich den Blick des kleinen Mädchens auf mir ruhen. Wie sie versuchte mich zu durchbohren und mir in die Seele zu schauen. Na, oder ich bildete mir das nur ein. Sie ist schließlich bloß ein Dörfler.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den Dritten im Bunde des Kleinkinderquartetts. Der Junge, der seine schmalen Hände fest um einen Stab klammerte, sah unsicher zu dem alteanischen Prinzen, dann zu mir – wo er gleich einen bösen Blick kassierte, weil ich männliche Heiler nicht ausstehen konnte; aber dazu später mehr- und wieder zu dem Blauschopf. Dieses Blicke-Ping-Pong, was der Rothaarige gegen sich selbst veranstaltete, unterbrach sich, als Marth ein mildes Lächeln über die Lippen kam. Wahrscheinlich hatte der Junge zuvor noch nie jemanden so lächeln gesehen, denn er zuckte genau in jenem Moment, als sein Blick wiedermal wie ein Ball zum Prinzen flog, so heftig zusammen, dass ich glaubte, er würde gleich taumeln und mit dem Gesicht nach vorne auf dem schlammigen Boden stürzen. Leider war der Boden weder schlammig noch auf irgendeine andere Weise nicht gerne zu berühren. Und dieser Heiler hatte sich schneller wieder im Griff, als ich vermutet hatte. Ja,ja diese männlichen Heiler immer. Man sollte doch meinen, dass Männer in den Fire Emblem Spielen nie zu kurz kommen. Ich kann euch jedenfalls in einer Minute mehr männliche als weibliche Krieger aufzählen; und von den Frauen tragen die meisten in der ersten Stufe –also vor ihrer Weiterentwicklung- noch nicht mal eine scharfe Waffe: die benutzen Stäbe, weil sie Heilerinnen sind. Jetzt kommt natürlich die Frage auf: Wieso brauchen wir auch noch männliche Heiler, wenn die Männer schon die Einheiten Ritter, Kavaliere, Schwertkämpfer, Diebe, Kämpfer und Lord bekamen. Vor allem in Sachen Lord möchte ich mich nochmals besonders äußern; und zwar mit einer Gegenfrage: Wie viele weibliche Lords fallen euch spontan ein? Nicht sehr viele, oder? Und im Vergleich dazu kann ich gleich in zehn Sekunden Denkzeit eine ganze Hand Männer aufzählen.
Fakt ist, dass wenigstens in irgendeiner Klasse Frauen dominieren sollten. Selbst die Plätze für Pegasuseinheiten werden nun immer mehr von den Männern streitig gemacht. Das geht doch so nicht! Zugegeben, im Laufe der Zeit findet man ab und an auch Frauen in anderen Einheitsklassen. Dennoch wage ich zu bezweifeln, ob männliche Heiler im Vergleich zu einer Weiblichen besser sind. Wir werden sehen.
Ich kniff die Augen zusammen und musterte den rothaarigen Heiler. Wenn er gut levelte würde ich ihn behalten… So war das doch immer: Entweder du hast einen Lieblingscharakter, weshalb du ihn immer mitnehmen wirst, egal wie schlecht er ist, oder er levelt gut. Wenn er wiederum schlecht levelt oder du seine Visage einfach nicht ausstehen kannst, dann… bye, bye. Ist ja auch nicht so, dass man ihnen sagen könnte: „Ich will dich nicht mehr in meinem Team. Mach also die Fliege!“ oder „Ich befreie dich von deinem Kriegsdienst und du kannst dir zuhause ein schönes Leben machen“. Nein, entweder am Leben lassen und mitnehmen oder in die erste Reihe stellen und abstechen lassen. So lief das hier. Vor allem, wenn du in Shadow Dragon geheime Charaktere freispielen willst. Man darf lediglich eine gewisse Anzahl an Einheiten in seiner Armee haben, hat mir mein Bruder erzählt. Ja, der ewige Leistungsdruck. Den gibt es nicht nur in der Schule und bei der Arbeit, selbst im Krieg war er vertreten.

„B-bitte“, vernahm ich das Stottern des Heilers und wurde prompt aus meinem ewigen Monolog gerissen, „Ihr müsst uns helfen. Ihr seid doch…“ Mit einem schnellen Blick begutachtete der Rothaarige den alteanischen Prinzen von unten nach oben. „Prinz Marth, oder?“
Ich hätte jetzt am liebsten „Nein“ gesagt, nur, um dann das verdatterte Gesicht von diesem Heiler zu sehen, aber ich ließ es. Stattdessen stach mir ins Auge, dass der Blauschopf schon ganz woanders war. Also, er stand natürlich noch neben mir. Aber sein Blick fokussierte nicht den Heiler – er hatte wohl ebenso wie ich im Stillen beschlossen, ihm keine Chance zu geben – sondern ein schwarzhaariges Mädchen, welches sich etwas hinter den anderen zu verstecken schien. An ihrem Gürtel trug sie eine Schwertscheide. Ich hatte es daher hier mit einer Schwertkämpferin zu tun. Na wenigstens eine gute Einheit, wobei ich lieber eine Pegasusritterin oder so gehabt hätte – Marth kämpfte halt schon mit einem Schwert, weshalb eine Mischung an verschiedenen Kämpfern besser gewesen wäre-, aber gut. Besser als so ein Axtkämpfer; die konnte ich auch nicht aus.
Unsere kleine Armee war also komplett: Zwei Schwertkämpfer, Bogenschütze, Dörfler – zu meinem großen Bedauern – und einen Heiler. Und halt ich als… Fäuste verteilende Taktikerin. Ich glaube, dass kam so hin. Ganz im Gegenteil zu dem Blauschopf; der schien schon in eine andere Welt abgetaucht zu sein. Eine, in die er in seinem noch recht zarten Alter nicht sein sollte. Seine Augen klebten sprichwörtlich an der anderen Schwertkämpferin und musterten sie an… für Männer wohl wichtigen Stellen.
„Hey“, flüsterte ich, während ich ihn von der Seite anstupste, aber er reagierte nicht. Der Prinz war mehr zur beobachtenden Säule erstarrt; lediglich seine Miene verzog sich der ansteigenden Faszination entsprechend. Genau, von echten Frauen, so wie mir, wollte er nichts wissen, aber so etwas Jüngere; die fielen sofort in sein Beuteschema. Vor allem die, die nicht mal einen Satz Dialog quatschen. Dabei war doch gerade er so gesprächsfreudig.
Ich kniete mich mit einem Mal hin, sodass ich auf seiner Augenhöhe war, und besah das Mädel nun ebenfalls eingehend. Yo, sie hatte schon was, etwas mysteriöses. Aber so wie sie da stand und desinteressiert einen Baum betrachtete schien sie nicht leicht zu haben. Außerdem war das Prinzchen etwas zu klein. Einen ganzen Kopf sogar. Natürlich… das war schwierig. Egal, ob Prinz oder nicht; sein Königreich war seit Gras Angriff sowieso hin. Wenn Shiida das nur herausbekam… Denn ihr müsst wissen, dass ich trotz meines nicht vorhandenen Gefallens an Fire Emblem dennoch etwas über die Story wusste – mein Bruder und sein Lieblingstischgespräch eben. Man sieht es unserem zu kurz geratenen Blauschopf nicht auf den ersten oder gar zweiten Blick an, aber er ist ganz schön schüchtern. Zumindest was Liebe und diesen ganzen dazugehörenden Kram angeht. Aber trotz alledem wird er sich im Laufe seines Abenteuers eine Freundin angeln – und ich sage euch, sie ist eine von der besonderen Art – und wenn diese herausfindet, was sich der Blauschopf hier gerade leistet, dann wird er von der lieben Shiida mehr als fertig gemacht. Deshalb sollte er mir für meine folgende Tat dankbar sein – und ich sollte noch bis zum heutigen Tage auf ein Dankeschön warten.
Ich erhob mich und trat ihm anschließend so stark auf den Fuß, dass sich seine Miene vor Schmerz verzerrte. Verständnislos blickte er mir hinterher, wobei ich mir ein diabolisches Lächeln verkneifen musste. Okay, ich wollte mit diesem Angriff auch ein wenig meine aufgekommene Langeweile stillen. Aber es war auch Marths Schuld, dass wir ein Gespräch begonnen und ich deshalb verspätet den bedepperten Grasoldaten in der Stadt die Schädel einhauen durfte. Außerdem hatte es dem Prinzen gut getan. Jedenfalls schritt er jetzt mit klarem Fokus auf unser Ziel zu, die bewaffneten Kinder im Schlepptau.

Während wir der Stadt entgegeneilten stellte sich nach einer Erklärung vom Fake-Gordin heraus, dass seine Gruppe eigentlich den Plan verfolgt hatte, das alteanische Schloss zurückzuerobern. Vielleicht hätten sie es sogar bei den Deppen von eingefallenen Soldaten geschafft. In der Stadt jedoch traten wir einem ganz anderen Kaliber gegenüber – vermutlich Soldaten Level zwei oder drei. Sie ließen sich jedenfalls nicht in Gespräche  verwickeln und guckten jeder grimmig, so als wüssten sie, dass sie jeder denselben Skin und somit nichts Besonderes waren. Eigentlich möchte ich nichts Großartiges über den Kampf erzählen. Fake-Gorden war wie sein Original nicht besonders zielsicher, der Heiler war eine absolute Niete – ich musste schon laut herumschreien, dass ich gleich verblutete, damit er angeschlurft kam- und die Dörflerin… na, sie ist wenigstens nicht abgekratzt. Die Schwertkämpferin wiederum bahnte sich alleine ihren Weg durch die Feinde – eine sehr pflegeleichte Einheit also. Ich musste stattdessen den Babysitter für den kleinen Prinzen spielen, da die anderen einfach zu untalentiert und die Schwertkämpferin einfach kein Interesse an ihm hatte. Eine ganze Weile geschah nichts Außergewöhnliches: Gegner wurden besiegt, Neue spornten aus dem Schloss oder von anderswo und wurden wieder besiegt. Erst irgendwann, fire-emblisch würde ich sagen in unserem zehnten Zug, änderte sich das Geschehen in der zum Schlachtfeld gewordenen Stadt schlagartig; Banditen fielen ein. War ja klar. Immer, wenn ein Dorf oder so angegriffen wurde, kamen diese Typen aus dem nichts und holten, was noch zu holen war, wie Ass-Geier. Was ich besonders lächerlich an diesen Verbrechen finde, sind ihre Namen; einfach und dämlich. Aber auch ihre hässlichen Gesichter oder gar ihr Geruch - wo wir wieder beim Anfang dieser Geschichte wären.

Bitte, wenn es irgendeinen Ober-Fire-Emblem Gott gibt, dann möge er mich nun erhören! Ich rümpfte die Nase, während ich dem aus seinem Mund nach Fisch stinkenden Banditen, ich nenne ihn mal passenderweise „Fischstinkie“, einen bösen Blick zuwarf. Hinter mir hatten sich derweil meine kleinen Mitstreiter eingefunden, die offenbar fertig mit der ersten Welle an Angreifern waren. „Elende Banditen“, hörte ich Marth neben mir zischen. Als ich zu ihm hinab blickte bemerkte ich, dass er meinen finsteren Blick zu imitieren versuchte. Dadurch, dass er nach meiner Hand gegriffen hatte, spürte ich jedoch, dass er leicht zitterte. Ich verübelte es ihm nicht; es war schließlich sowohl sein als auch mein erster Kampf gegen eine Bande ungepflegter Räuber. Jedoch musste ich als Älteste die Ruhe bewahren, was ich auch konnte. Mit dem Gedanken, dass ich mich lediglich in einem Computerspiel minderer Qualität befand, konnte ich meine Seele leicht beruhigen. Daher fehlte mir auch nicht der Mut, sich dem Banditen zu nähern. Nur sein Abwehrmechanismus in Form seines Gestanks, trieb mir die Tränen in die Augen.
„Von Zahnpasta hast du noch nie was gehört, oder?“, fragte ich, während ich mir die Nase zuhielt, „Da gibt es einige Marken, die ich dir empfehlen könnte, aber vermutlich hat bei dir der Karies schon längst die Mundherrschaft übernommen.“
„Hä?! Wat redeste da für´n Müll?“, kam es von Fischstinkie. Lange Furchen zogen sich über seine Stirn, während er mich mit einem verwirrten Blick musterte.
„Ein Zahnstocher tut es auch“, gab ich ihm eine Option neben der Verwendung von Zahnpasta.
Der Bandit baute sich zu seiner vollen Größe auf. „Hä, wat laberste?“
Ich seufzte genervt. „Mann, benutz irgendwas, damit du nicht so scheußlich aus deiner Fresse riechst! Das ist ja nicht zum Aushalten!“
Vermutlich hatte er immer noch nicht verstanden, was ich meinte. Jedoch umso mehr, dass ich ihm eine Beleidigung an seinen fetten Schädel geworfen hatte. Einem Ausraster nahe schnaubte er bedrohlich und holte mit seiner Axt aus. Ich reagierte wie ein Blitz. Ähm… oder normal, denn so ein Axtkämpfer hat sehr wenige Geschwindigkeitspunkte.                                    
Wie dem auch sei schubste ich Marth in einem normalen Tempo zur Seite und wich Fischstinkies Angriff aus. Dieser schien daraufhin bloß mehr gefrustet und versuchte in seiner blinden Wut auf mich einzuschlagen, was ihm natürlich misslang – die Trefferwahrscheinlichkeit ist bei solchen Einheiten auch nicht äußerst hoch. Ich trat zur Seite, bevor ich seinem nächsten Axtschwung ausweichend hinter ihn hechtete. Ich war nun in einer mehr als günstigen Position. Schließlich war Fischstinkie von hinten nicht sonderlich gut geschützt und der würde ohnehin gefühlte Tage brauchen, bevor er sich zu mir umwandte. Ich ballte meine linke Hand zur Faust und sprang. Geradewegs auf den von Muskeln nur so überquillenden Körper, um dem Banditen einen oder, weil mich sein Geruch so stark genervt hatte, zwei saftige Schläge zu verpassen. Wie gesagt, ich wollte. Als ich nämlich im Höhepunkt meiner Flugphase war durchfuhr mich urplötzlich ein heftiger Ruck. Von dem überraschten Eingriff in meine Attacke überrascht schrie ich auf und fuchtelte mit meinen Händen, doch ohne Wirkung. Die damit folgende Schwärze vor meinen Augen verbesserte meine Laune ebenso wenig. So sollte man mir auch nicht verübeln, dass ich, während des leisen Lachens desjenigen, der offenbar meinen Angriff gestört hatte, versuchte diesen zu schlagen. Tatsächlich traf ich auf etwas, wie sich im Nachhinein herausstellte, seinen rechten Oberschenkel. Sein Gelächter wich augenblicklich einem unterdrückten Schmerzenslaut, was mir ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen trieb und mich animierte, erneut draufzuhauen. Gewalt soll natürlich niemals zum Spaß angewendet werden –merkt euch das, Kinder!-, aber ich musste schließlich annehmen, dass mich dieser Typ entführen wollte. Und wer weiß, wie so einer drauf ist?! Also… verteidigte ich mich nur. Mehr nicht. Wirklich.
„Bei der Wyrmgöttin, könntet Ihr dies unterlassen?“, zischte der Entführer zwischen zusammengebissenen Zähnen. Als Antwort bekam er bloß einen weiteren Faustschlag in sein Bein. „Verdammt, ich dachte, Frauen würden niemals zu Gewalt tendieren.“  
Ich blinzelte mehrmals, bis die Schwärze vor meinen Augen verschwand, jedoch blieb jenes schwankende Gefühl. Aber wen wunderte es; ich befand mich nämlich auf dem Rücken eines Pferdes.
„Hey, Kain!“, hörte ich meinen Entführer hinter mir brüllen, „Sollen wir tauschen? Drei Kinder gegen eine“, er zögerte kurz, „pflegeleichte junge Dame?!“ Für diese Bemerkung kassierte dieser Halunke einen weiteren Fauststoß, dieses Mal allerdings in seine Schulter.
„Ich bin doch keine Ware, die man tauscht, du Depp“, motzte ich ihn an, während ich mich aus seinem Griff befreite. Schließlich musste ich Fischstinkie noch seine verdiente Abreibung verpassen.
„Halt, Ihr bleibt schön bei mir“, erwiderte der Reiter meinen Befreiungsversuch, „Ein Schlachtfeld ist schließlich kein Ort für eine solche Dame, wie Ihr es seid.“
„Willst du damit etwa andeuten“, sagte ich ihm einen bedrohlichen Blick zuwerfend, „dass ich schwächlich wäre?“
Der grünhaarige Mann seufzte angestrengt. Er öffnete seinen Mund, schloss ihn jedoch sofort wieder. Er hatte wohl Angst, etwas Falsches zu sagen, was ich auch gut fand. Sollte er sich doch grämen in Furcht und Wortkargheit.
„Ich handele lediglich, wie es die Ehre eines alteanischen Ritters verlangt“, meinte er schließlich, bevor er seine Aufmerksamkeit dem Geschehen um ihn herum widmete.
Alteanische Ritter? Ach, also hier waren diese Dummköpfe von Blauschopfrettern abgeblieben!
Ich besah den Reiter genauer und stellte auf Anhieb fest, dass es sich hierbei um Abel handeln musste. Kain, sein rotgekleidetes Pendant, steuerte sein Pferd geradewegs auf eine Reihe Feinde zu, wobei er mit einem wilden Leuchten in den Augen seine Lanze gegen diese richtete. Ich hörte den Heiler, der wie die Dörflerin und dem Fake-Gordin hinter dem rothaarigen Ritter saßen, bei dieser Aktion laut aufschreien. Gut, wenigstens diese drei schienen vorerst sicher zu sein. Jedenfalls traute ich den Rittern Alteas eine große Portion Geschick und ein hohes Level zu. Hoffentlich lag ich damit nicht verkehrt.
Ich wandte mich um, wobei ich beinahe meinen Hals verrenkt hätte. Ich besah die farbige Haarmenge vor mir, konnte jedoch nicht den vermuteten auffallenden Blauton heraus erkennen. Wieso musste dieser kleine Prinz auch immer solche Probleme machen? Jetzt war er schon wieder verschwunden! Dem konnte doch wer weiß was geschehen. Ich schnaubte erbost, bevor ich mich endgültig Abels lockerem Griff entzog und vom Pferd absprang, was mir einen verblüfften Blick des Reiters kassierte. Aber das war mir nun so was von egal. Wenn Marth in diesem Kampf abkratzte, dann war das Spiel doch vorbei. Dann gab es einen Game Over und wie ich solch eine abgedrehte Geschichte kenne, in der ein Mädchen in ein Computerspiel gelangt, müsste ich wohl wieder mit der Flucht durch dem Schloss anfangen und mir diese beschissenen Dialoge noch mal geben. Darauf kann ich wirklich verzichten, ehrlich!

„Marth! Marth wo bist du!“, schrie ich wie bekloppt – und dafür hielten mich wohl auch viele, wie ich ihren Mienen entnehmen konnte-, „Verdammt, Blauschopf!“
„Ist etwas?“
„Yo“, meinte ich, ohne den anderen  zu beachten, „Ich such einen Jungen. Nicht besonders groß. Ungefähr so.“ Ich hob meine Hand knapp zwei Köpfe unter meinem. „Blaue Haare. Auffällige Kleidung“, ich überlegte, „Nervige Sprache. Gesehen?“
Der Andere schwieg für einen Augenblick, bevor er erwiderte: „Wie kann ich meine Sprache dementsprechend ändern, dass sie Euch nicht zur Last wird?“    
Ich brauchte einige Sekunden, bevor mein Gehirn das Gesagte verarbeitet hatte. Was?! Ruckartig drehte ich mich um und begegnete dunkelblauen Augen, die mich fragend betrachteten.
„Mann, erschrick mich nicht so“, murrte ich und packte grob seinen Arm, „Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass man nicht einfach so in einer Menschenmasse verschwindet?! Und schon gar nicht, wenn gerade ein Krieg ausbricht?!“
„Entschuldige.“
„Und entschuldige dich nicht ständig! Das ist ja nicht zum Aushalten!“ Ich atmete tief ein. Beruhigen, beruhigen, beruhigen. So, jetzt ging es wieder. „Na, wenigstens geht es dir gut“, sagte ich leiser und strich ihm behutsam über den Kopf, was ihn zum Lächeln brachte. Streicheleinheiten mochte jeder, sowohl ein gehorsames Tier, als auch eingeschüchterte Kinder.
„Lass uns hier nicht weiter herumstehen, sondern lieber ein paar Deppen die leeren Schädel einhauen!“, schlug ich vor, doch im nächsten Moment schon wurde ich von meinem Vorhaben abgehalten.
„Halt!“ Ein älterer Herr, bestimmt schon jenseits der Fünfzig, galoppierte zu hohem Rosse auf uns zu und hielt lediglich wenige Handlängen vor unseren Nasenspitzen. Boah, der bildete sich aber was ein. Bei mir landete er jedenfalls keine Punkte für sein unglaublich provokantes Auftreten. Natürlich musste der alteanische Prinz anderer Meinung sein – den konnte man aber wirklich leicht beeindrucken. Aufgeregt entriss er sich meinem liebevollen Griff und begrüßte den Mann mit einem „Seid gegrüßt, Sir Jagen“.
Ach, ja… Jagen. Das war doch der, den ich gleich zu Anfang neben Gordin geopfert hatte. Stimmt. Jetzt erinnere ich mich.

„Der Göttin sei Dank, dass Ihr wohlauf seid, Prinz Marth“, entgegnete der weißhaarige Mann, wobei seine zu einem ernsten Ausdruck verzogenen Mundwinkel sich minimal verzogen. Dann wanderte sein musternder, ebenso wie sein Auftreten provozierender Blick zu mir. „Belästigt Euch dieses Weib etwa? Hat sie Euch Leid zugefügt?!“
Was?! Spinnt der jetzt etwa komplett. Ich, ein einfaches, zu Gewaltausbrüchen niemals fähige Mädchen, soll den Blauschopf da belästigt haben? Nur, weil ich dieses Frack von Ritter gleich bei der ersten Gelegenheit habe abkratzen lassen, war ich noch lange nicht eine Verbrecherin. Dementsprechend möchte ich auch normal behandelt werden, ist das klar?! Und so jemand schimpft sich Ritter. Erst Abel, der sich UNBEGRÜNDET in meine Sachen eingemischt hatte, dann Kain, der doch wirklich meint, ich wäre nicht so viel wert wie drei nicht kampferprobte Knilche, und nun auch Jagen. Mann, lernen die nicht Benehmen auf der Ritterschule?
„Seid nicht grob zu Ihr“, mischte sich Marth ein, „Sie ist eine Wahrsagerin-“
„Eine von der Göttin gesandte Wahrsagerin“, fiel ich ihm hastig ins Wort.
Der Prinz nickte. „Und eine Person, die mein vollstes Vertrauen verdient, weshalb Ihr sie mit Respekt behandeln möget.“
Ich warf Jagen ein breites, verhöhnendes Grinsen entgegen, während ich zu Marths Worten zustimmend nickte. Der Blauschopf hatte es dem Alten aber so was von gegeben!
„Nun, wie Ihr wünscht, Milord“, gab sich Jagen geschlagen, „Jedoch bitte ich Euch aufzusteigen. Hier ist es nicht sicher.“
Er wollte nach der Hand des Blauhaarigen greifen, doch dieser entzog sich augenblicklich dem Griff. „Ich verbleibe hier“, meinte er entschlossen, „Bei dem alteanischen Volk.“
„Nein, das werdet Ihr nicht“, sprach Jagen mit rauer Stimme, „Ich gab dem König, Eurem Vater, mein Wort, Euch unversehrt nach Talys zu bringen. So versteht doch! Ihr könnt nicht länger in Altea bleiben, wie sehr es Eurer Vorstellung widerstrebt.“
„Ich werde nicht gehen.“ Trotzig verschränkte Marth die Arme vor der Brust und wandte sich vom Ritter ab, dessen Miene sich verdüsterte.
„Ihr seid kein Kind mehr, Prinz Marth. Daher lasst dieses stursinnige Verhalten, was lediglich Euer eigenes Leben gefährdet!“
„Mein Leben?! Jahrelang schien ich von keinem Wert zu sein und nun geht es bloß um mich!“, schrie der Prinz erbost, „Einmal kämpfe ich für etwas und nun entreißt Ihr mich aus meiner Verantwortung! Wieso ich und nicht meine Schwester?!“
„Ihr müsst verstehen-“
„Es widerstrebt mir zu verstehen, wenn dies bedeutet, feige wegzulaufen.“ In die Wut des alteanischen Prinzen mischte sich Verzweiflung in seine Stimme. „Welche Hoffnungen Ihr auch immer in meiner seht, sie werden nicht erfüllt. Ihr solltet Euch daher zurückziehen. Vielleicht findet Ihr woanders ein neues, friedvolleres Leben…“
„Geh, Marth“, sagte ich kaum hörbar.
„Aber“, wandte er sich überrascht an mich, doch ich schnitt ihm seinen Satz ab.
„Du sollst verdammt noch mal mitgehen! Was bringt dir sonst meine Vorhersage, dass du diesen Schattendrachen besiegst, wenn du hier down gehst! Die Leute brauchen ein Licht, was sie durch die Nacht von Medeus´ Herrschaft führt. Also tu was dafür! Werde zu eben jenem Licht und rette Akaneia vor dem Untergang.“
„Das… kann ich doch nicht“, flüsterte der Prinz erschüttert.
„Ich dachte, du willst kein Feigling sein“, entgegnete ich, während ich ihn kritisch musterte, „Sollen etwa alle Opfer umsonst gewesen sein? Schlug ich meine Fäuste fast blutig, nur, damit du hier dein Ende findest? Ich will dich hier nicht mehr sehen. Nicht, solange du dich nicht aus eigener Kraft wehren kannst.“
Marth schluckte; wollte irgendetwas endgegensteuern, doch behielt es schlussendlich für sich. Ich wand meine Aufmerksamkeit nun Jagen zu, der ebenso zu mir blickte und verstand, zu was ich ihn auffordern wollte. In jenem Moment, in welchem der Prinz mit seinem Gewissen stritt, ob er jetzt in Altea verbleiben oder in Talys Schutz suchen sollte, griff der alte Ritter nach dem Blauschopf und gab seinem Pferd die Sporen. Ein verblüffter Ausruf war das Erste, was über die Lippen des Jungen kam, bevor er sich aus seiner sekündlichen Starre erwacht versuchte zu befreien. Er zog an seinem Mantel in die Idee vernarrt, sich durch das Abstreifen jenes retten zu können; jedoch vergeblich. Das goldene Emblem, welches den edlen Stoff gehalten hatte, fiel zu Boden und wurde Teil des Kriegsschutts.
Ich war nicht mehr als eine stille Beobachterin geworden. Ein Gefühl, welches mir sagte, dass ich richtig gehandelt hätte, breitete sich in mir aus. Gleichzeitig hörte ich jedoch eine leise Stimme, eine schleichende Betäubtheit, welche mir beteuerte, etwas verloren zu haben. Ich sah dem Blauschopf hinterher. Nein. Ich sah Marth hinterher. Diesem verrückten Prinzen, der mich zu Wutausbrüchen animiert hatte und sich für jede Kleinigkeit entschuldigte. Und für sein Alter etwas zu klein war. Ich mochte ihn. Jeden Augenblick, in welchem ich ihn ertragen musste, nein, durfte.
Das Kapitel war vorbei. Eine schwierige Schlacht hatte sein Ende gefunden. Ich war glücklich, erleichtert und dennoch umfing mich eine gewisse Traurigkeit. So fühlte es sich wohl an, wenn man als Spieler eine Mission schaffte: Man war froh, sie gemeistert zu haben, jedoch weinte man auch der Challenge nach, die einen so auf Trab gehalten hatte. Ein wundervolles Gefühl.

Wie in Trace schritt ich auf das zurückgelassene Emblem zu und hob es auf. Es war wie ein Preis für das Beenden dieses Kampfes. Im Augenwinkel konnte ich Edrag und Gordin (den Wirklichen) erahnen, die die junge Schwertkämpferin zu den Schiffen führten, mit welchen sie nach Talys segeln wollten. Die Stadt schien sich plötzlich zu wandeln. Hatten die Bewohner doch anfangs nur um das eigene und das Leben ihrer Liebsten gekämpft, so versuchten die Kampferprobten ihren Prinzen vor den Soldaten Gras zu schützen. Sie versammelten sich vor dem Hafen und hinderten die feindlichen Truppen daran, die Schiffe zu beschädigen.
Ich sah ihnen lediglich dabei zu. Gleichzeitig überkam mich eine angenehme Ruhe. Schließlich hatte ich es geschafft. Marth lebte und würde in Sicherheit gebracht werden, also hatte ich keine Aufgabe mehr. Ich verlangte auch nicht, mit ins Inselkönigreich zu reisen; ich wollte bloß hier stehen bleiben. Jeder hätte mich in diesem Moment von hinten erstechen können, ich glaube, dass wäre mir gar nicht aufgefallen. Ich umfasste das goldene Emblem fester mit meinen Fingern, während ich meine Augen schloss. Und dabei rauschte die Frage, ob ich je wieder nach Hause zurückkehrte, durch meinen Kopf. Aber wollte ich das überhaupt? Irgendwie trieb mich auch das Verlangen zu warten. Zu warten, bis der alteanische Prinz sein Königreich aus den Klauen des Schattendrachens befreite. Ich wollte den Beweis dafür, dass er stärker geworden war.

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Ich blinzelte mehrfach. Gähnte ausgiebig. Ich befand mich wieder in meinem Zimmer. Oder eher immer noch. Ich räkelte mich ausgiebig, wobei der DS fast von meinen Beinen auf den Boden glitt. Es war also alles nur ein Traum gewesen. Ein harmloser, doch recht realistisch gestalteter Traum. Behutsam stellte ich den DS in das nächstgelegene Regal, wobei mein Blick auf die Bildschirme fiel. Zu sehen war der Blauschopf, der auf dem Schiff nach Talys stehend seinem Königreich nachsah.
Dafür, dass dieses Rollenspielding mehr als nicht mein Fall war, hatte es dieses jedoch geschafft, mein Unterbewusstsein zu beeinflussen. Dafür gibt es von mir eine zwei von zehn Punkten. Begründung: Beeinflussung der Träume und recht gute Musik. Ich lehnte mich entspannt in meinem Sitzsack zurück und entschied, das Spiel samt elektronischem Gerät später zu verpacken. Schlussendlich habe ich es doch nicht getan. Bis heute liegt der DS tief in meiner Schublade versteckt. Gemeinsam mit einem goldenen Emblem.
Ich glaube zwar nicht an Zauberei oder so, aber wenn es dergleichen wirklich gibt, dann sollte es auch mir gehören. Nun, eigentlich wollte ich mir bloß das Tor in jene Welt sichern, in der ich einen unersetzlichen Freund gefunden hatte.

    Ende


 
 
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