Heiße Schokolade
von Tsutsumi
Kurzbeschreibung
„Du siehst ziemlich scheiße aus.“ Er musste gar nicht hinsehen. Inzwischen war es soweit, dass er wusste, wer seiner sieben Seelenverwandten ihn gerade besuchte. Er konnte es spüren. Außerdem erkannte Will den deutschen Akzent seines Freundes inzwischen sehr schnell wieder. „Danke“, flüsterte er und schälte sich aus seiner Weste. „Genau das wollte ich jetzt hören.“[Sense8, Wolfgang/Will]
GeschichteAngst, Schmerz/Trost / P12 / Gen
14.05.2017
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„Ich brauche eine Dusche. Und eine heiße Schokolade.“
Will war sicher, dass solche Sätze normalerweise aus den Mündern gestresster Hausfrauen kamen. Oder von Studenten, die sich soeben durch ihre Zwischenprüfung gequält hatten.
Er wusste nicht wirklich, warum er das gerade gesagt hatte.
An seiner Weste klebte das Blut eines schwarzen Teenagers, der ihm um ein Haar verblutet wäre. Viel Blut. Es hing an seiner Haut, vermischt mit seinem Schweiß und brannte mit eisernem Geruch in seiner Nase.
Das war keine Übung gewesen.
Gott, in letzter Zeit war nichts mehr eine Übung.
Er brauchte drei Anläufe, um den Schlüssel ins Schloss seiner Wohnungstür zu bekommen.
„Oh ja“, murmelte er sich selbst leise zu.
„Am besten drei Tassen heiße Schokolade...“
Vor ihm tat sich dunkel seine Wohnung auf und erst als er die Tür verriegelte und aus seinen Schuhen schlüpfte, bemerkte er den Schmerz in seinem Fuß und dass er ein wenig humpelte.
„Du siehst ziemlich scheiße aus.“
Er musste gar nicht hinsehen. Inzwischen war es soweit, dass er wusste, wer seiner sieben Seelenverwandten ihn gerade besuchte. Er konnte es spüren. Wolfgangs Aura fühlte sich stets heißkalt an, angefacht von Selbsthass und dem unbeugsamen Willen, sich dennoch zu behaupten.
Außerdem erkannte Will den deutschen Akzent seines Freundes inzwischen sehr schnell wieder.
„Danke“, flüsterte er und schälte sich aus seiner Weste.
„Genau das wollte ich jetzt hören.“
Wolfgang saß vor ihm auf der Couch. Er trug schwarze Unterhosen und sonst...nichts.
„Lass mich raten. Ich hab dich geweckt.“
Will lächelte traurig.
„Tut mir leid, Mann.“
Und damit musste er irgendetwas Seltsames getan haben, weil Wolfgang darauf sehr lange nichts erwiderte. Seine großen blauen Augen wurden lediglich noch ein bisschen größer.
„Wieso entschuldigst du dich? Mach das nicht. Ich war...“ Er schluckte leise.
„Also erstens ist es hier erst abends um zehn. Wer geht denn da ins Bett?“
„Ich manchmal“, merkte Will an und knöpfte sein blutbesudeltes Hemd auf.
„Zweitens: Ich war vorhin dabei.“
Oh.
Will hatte es nicht bemerkt.
Er war zu beschäftigt damit gewesen, sich hinter Wänden zu verbergen um nicht von der Gang um Ignacio, die ihn und den Jungen umzingelt hatten, niedergeknallt zu werden. Er war Schüssen ausgewichen.
Jetzt, im Nachhinein fiel ihm der leichte Schubs, der ihn vor einer Kugel gerettet hatte und von dem er bis eben gedacht hatte, es wäre eine Muskelzuckung gewesen, wieder ein.
Will atmete tief ein.
„Du warst das...“, stellte er unnötigerweise fest.
„Danke.“
Wolfgang zuckte mit den Schultern.
„Das ist, was ich mache. Nicht ganz fair Kämpfen ist nicht deine Stärke.“
Er grinste, aber er sah angespannt aus. Will konnte sich nur vorstellen, wie schlimm sein Anblick war.
Wenn er so aussah wie er sich fühlte, war es nicht hübsch.
„Ist alles okay?“, fragte Wolfgang, als Will nichts entgegnete.
Atmen war tricky nach einem Einsatz wie diesem.
Die Gewissheit, dass der Junge die Nacht vielleicht nicht überleben würde, wog schwer auf seiner Brust. Die logische Konsequenz – dass Will einfach nicht gut genug gewesen war – noch schwerer.
„Jaja“, murmelte Will leise.
Dann fühlte er seine Augen feucht werden und musste sich korrigieren.
„Nein.“
Er wollte sein Gesicht trockenwischen, aber seine Hände waren noch immer blutig. Für einen kleinen Augenblick konnte er nicht atmen, konnte er sich nicht bewegen und er fragte sich, ob irgendwer schon wieder seinen Körper übernommen hatte und ihn stocksteif hier stehen ließ.
Für gewöhnlich fragten die anderen aber.
Will sank schließlich auf die Couch und ließ den Tränen freien Lauf, während er sich fahrig das Hemd abstreifte. Seine Hände fassten, noch immer zitternd, nach seinem Unterhemd, das irgendwann einmal weiß gewesen war. Er würde es wegwerfen.
'Ich ertrage das nicht mehr', wollte er sagen und ließ es doch sein. Denn das hier war doch sein Job. Er durfte das nicht hassen.
„Hey... soll ich gehen oder so?“
Wolfgang blinzelte ihn an. War das peinliche Berührung, die ihm da ins Gesicht geschrieben stand?
„Schon okay“, schniefte Will.
„Es tut eigentlich gut, jetzt nicht allein zu sein.“
„Naja, nur weil....“ Wolfgangs Kiefer arbeitete.
„Du...weinst.“
Es brachte Will fast dazu, durch die Nase zu lachen;
„Und du bist fast nackt.“
„Das ist was ganz anderes.“
„Eigentlich nicht.“
„Ich bin sehr häufig nackt.“
„Das habe ich gemerkt.“
„Ach, tatsächlich?“
Okay. Was war das jetzt?
Warum grinste der Kerl?
Will versuchte, für einen Moment innezuhalten. Von außen betrachtet musste er vollkommen wahnsinnig erscheinen: Ein Mann in seinem Apartment, blutig und halb ausgezogen, tränenüberströmt, der mit sich selbst sprach.
„Siehst du, schon habe ich dich abgelenkt“, sagte Wolfgang und er klang mit einem Mal sehr sanft. Will hatte ihn noch nie so gehört.
„Man muss sich nicht immer ablenken, wenn man traurig ist“, entgegnete er seufzend.
„Was ist so schlimm daran, es einfach mal rauszulassen?“
„Alles?!“
Und dann spürte Will sie – die absolute Verwirrung des Mannes darüber, wie er mit dieser Situation hier umging. Er hatte Bruchstücke von Wolfgangs Leben mitbekommen. Die Erinnerungen an seinen tyrannischen Vater, der für sämtliche Gefühlsausbrüche nur Hohn und Gewalt übrig gehabt hatte. Seinen Onkel und Cousin, die genauso drauf waren. Bei Erlebnissen, in denen Will sich anschließend mit Kakao im Bett verkrochen hatte, hatte es für Wolfgang nur Wodka und einen Schlag in die Magengrube gegeben. Nimm es wie ein Mann.
„Nicht für mich“, sagte Will leise.
„Ich will nur... ich brauche eine heiße Schokolade und eine Umarmung. Und dann geht es schon wieder.“
Wolfgang sagte so lange nichts, dass Will Angst hatte, dass er ihn sich dieses Mal tatsächlich einbildete.
„Du brauchst so viel mehr, Will.“
Es war niedlich, wie hart das W aus seinem Mund klang.
„Aber lass mich dir damit erstmal helfen.“
Aufstehen wurde plötzlich sehr viel einfacher. Will atmete erleichtert auf, als er spürte, wie Wolfgang seinen Körper in den Stand brachte und in die Küche bewegte. Er ließ sich bereitwillig steuern, setzte Wasser zum Kochen auf und durchforstete den Schrank nach Schokolade.
Wolfgang ließ ihn sich gegen den Kühlschrank lehnen bevor er ihn wieder losließ.
Und erst dann spürte Will warme, weiche Arme, die sich zärtlich um ihn legten.
Dankbar schmiegte er sich ihnen entgegen.
„Ich danke dir“, murmelte er in Wolfgangs Schulter.
„Und danach nehme ich eine lange Dusche.“
Wolfgang streichelte zärtlich seinen Rücken und lachte sacht.
„Das machen wir.“
Will war sicher, dass solche Sätze normalerweise aus den Mündern gestresster Hausfrauen kamen. Oder von Studenten, die sich soeben durch ihre Zwischenprüfung gequält hatten.
Er wusste nicht wirklich, warum er das gerade gesagt hatte.
An seiner Weste klebte das Blut eines schwarzen Teenagers, der ihm um ein Haar verblutet wäre. Viel Blut. Es hing an seiner Haut, vermischt mit seinem Schweiß und brannte mit eisernem Geruch in seiner Nase.
Das war keine Übung gewesen.
Gott, in letzter Zeit war nichts mehr eine Übung.
Er brauchte drei Anläufe, um den Schlüssel ins Schloss seiner Wohnungstür zu bekommen.
„Oh ja“, murmelte er sich selbst leise zu.
„Am besten drei Tassen heiße Schokolade...“
Vor ihm tat sich dunkel seine Wohnung auf und erst als er die Tür verriegelte und aus seinen Schuhen schlüpfte, bemerkte er den Schmerz in seinem Fuß und dass er ein wenig humpelte.
„Du siehst ziemlich scheiße aus.“
Er musste gar nicht hinsehen. Inzwischen war es soweit, dass er wusste, wer seiner sieben Seelenverwandten ihn gerade besuchte. Er konnte es spüren. Wolfgangs Aura fühlte sich stets heißkalt an, angefacht von Selbsthass und dem unbeugsamen Willen, sich dennoch zu behaupten.
Außerdem erkannte Will den deutschen Akzent seines Freundes inzwischen sehr schnell wieder.
„Danke“, flüsterte er und schälte sich aus seiner Weste.
„Genau das wollte ich jetzt hören.“
Wolfgang saß vor ihm auf der Couch. Er trug schwarze Unterhosen und sonst...nichts.
„Lass mich raten. Ich hab dich geweckt.“
Will lächelte traurig.
„Tut mir leid, Mann.“
Und damit musste er irgendetwas Seltsames getan haben, weil Wolfgang darauf sehr lange nichts erwiderte. Seine großen blauen Augen wurden lediglich noch ein bisschen größer.
„Wieso entschuldigst du dich? Mach das nicht. Ich war...“ Er schluckte leise.
„Also erstens ist es hier erst abends um zehn. Wer geht denn da ins Bett?“
„Ich manchmal“, merkte Will an und knöpfte sein blutbesudeltes Hemd auf.
„Zweitens: Ich war vorhin dabei.“
Oh.
Will hatte es nicht bemerkt.
Er war zu beschäftigt damit gewesen, sich hinter Wänden zu verbergen um nicht von der Gang um Ignacio, die ihn und den Jungen umzingelt hatten, niedergeknallt zu werden. Er war Schüssen ausgewichen.
Jetzt, im Nachhinein fiel ihm der leichte Schubs, der ihn vor einer Kugel gerettet hatte und von dem er bis eben gedacht hatte, es wäre eine Muskelzuckung gewesen, wieder ein.
Will atmete tief ein.
„Du warst das...“, stellte er unnötigerweise fest.
„Danke.“
Wolfgang zuckte mit den Schultern.
„Das ist, was ich mache. Nicht ganz fair Kämpfen ist nicht deine Stärke.“
Er grinste, aber er sah angespannt aus. Will konnte sich nur vorstellen, wie schlimm sein Anblick war.
Wenn er so aussah wie er sich fühlte, war es nicht hübsch.
„Ist alles okay?“, fragte Wolfgang, als Will nichts entgegnete.
Atmen war tricky nach einem Einsatz wie diesem.
Die Gewissheit, dass der Junge die Nacht vielleicht nicht überleben würde, wog schwer auf seiner Brust. Die logische Konsequenz – dass Will einfach nicht gut genug gewesen war – noch schwerer.
„Jaja“, murmelte Will leise.
Dann fühlte er seine Augen feucht werden und musste sich korrigieren.
„Nein.“
Er wollte sein Gesicht trockenwischen, aber seine Hände waren noch immer blutig. Für einen kleinen Augenblick konnte er nicht atmen, konnte er sich nicht bewegen und er fragte sich, ob irgendwer schon wieder seinen Körper übernommen hatte und ihn stocksteif hier stehen ließ.
Für gewöhnlich fragten die anderen aber.
Will sank schließlich auf die Couch und ließ den Tränen freien Lauf, während er sich fahrig das Hemd abstreifte. Seine Hände fassten, noch immer zitternd, nach seinem Unterhemd, das irgendwann einmal weiß gewesen war. Er würde es wegwerfen.
'Ich ertrage das nicht mehr', wollte er sagen und ließ es doch sein. Denn das hier war doch sein Job. Er durfte das nicht hassen.
„Hey... soll ich gehen oder so?“
Wolfgang blinzelte ihn an. War das peinliche Berührung, die ihm da ins Gesicht geschrieben stand?
„Schon okay“, schniefte Will.
„Es tut eigentlich gut, jetzt nicht allein zu sein.“
„Naja, nur weil....“ Wolfgangs Kiefer arbeitete.
„Du...weinst.“
Es brachte Will fast dazu, durch die Nase zu lachen;
„Und du bist fast nackt.“
„Das ist was ganz anderes.“
„Eigentlich nicht.“
„Ich bin sehr häufig nackt.“
„Das habe ich gemerkt.“
„Ach, tatsächlich?“
Okay. Was war das jetzt?
Warum grinste der Kerl?
Will versuchte, für einen Moment innezuhalten. Von außen betrachtet musste er vollkommen wahnsinnig erscheinen: Ein Mann in seinem Apartment, blutig und halb ausgezogen, tränenüberströmt, der mit sich selbst sprach.
„Siehst du, schon habe ich dich abgelenkt“, sagte Wolfgang und er klang mit einem Mal sehr sanft. Will hatte ihn noch nie so gehört.
„Man muss sich nicht immer ablenken, wenn man traurig ist“, entgegnete er seufzend.
„Was ist so schlimm daran, es einfach mal rauszulassen?“
„Alles?!“
Und dann spürte Will sie – die absolute Verwirrung des Mannes darüber, wie er mit dieser Situation hier umging. Er hatte Bruchstücke von Wolfgangs Leben mitbekommen. Die Erinnerungen an seinen tyrannischen Vater, der für sämtliche Gefühlsausbrüche nur Hohn und Gewalt übrig gehabt hatte. Seinen Onkel und Cousin, die genauso drauf waren. Bei Erlebnissen, in denen Will sich anschließend mit Kakao im Bett verkrochen hatte, hatte es für Wolfgang nur Wodka und einen Schlag in die Magengrube gegeben. Nimm es wie ein Mann.
„Nicht für mich“, sagte Will leise.
„Ich will nur... ich brauche eine heiße Schokolade und eine Umarmung. Und dann geht es schon wieder.“
Wolfgang sagte so lange nichts, dass Will Angst hatte, dass er ihn sich dieses Mal tatsächlich einbildete.
„Du brauchst so viel mehr, Will.“
Es war niedlich, wie hart das W aus seinem Mund klang.
„Aber lass mich dir damit erstmal helfen.“
Aufstehen wurde plötzlich sehr viel einfacher. Will atmete erleichtert auf, als er spürte, wie Wolfgang seinen Körper in den Stand brachte und in die Küche bewegte. Er ließ sich bereitwillig steuern, setzte Wasser zum Kochen auf und durchforstete den Schrank nach Schokolade.
Wolfgang ließ ihn sich gegen den Kühlschrank lehnen bevor er ihn wieder losließ.
Und erst dann spürte Will warme, weiche Arme, die sich zärtlich um ihn legten.
Dankbar schmiegte er sich ihnen entgegen.
„Ich danke dir“, murmelte er in Wolfgangs Schulter.
„Und danach nehme ich eine lange Dusche.“
Wolfgang streichelte zärtlich seinen Rücken und lachte sacht.
„Das machen wir.“