Atlantis, Das Wiedersehen
von No Cookie
Kurzbeschreibung
Nach einem Jahr bin ich nach Atlantis zurückgekehrt, um die vier Gaukler wieder zu sehen. Doch auch diesmal ist der Besuch der größten Stadt der Welt alles andere als ruhig.
GeschichteFreundschaft / P12 / Gen
20.04.2017
20.05.2017
11
29.500
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20.04.2017
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Die Suche beginnt
Müde lehnte ich mich einen Moment im Schatten des riesigen Tores gegen die Mauer des Pfeilers. Ich war schmutzig und erschöpft, aber glücklich, endlich wieder hier zu sein. Vor mir lag Atlantis, in all seiner mächtigen Pracht. Kaum zu glauben, aber ich hatte wirklich vergessen, wie unendlich hier alles war.
Zu meinem Glück hatte sich seit meinem letzten Besuch kaum etwas verändert. Ich erkannte den sonnenbeschienen Platz wieder, der vor mir lag. Hier hatte ich Mentha das erste Mal getroffen, nicht ahnend, was diese zufällige Begegnung alles mit sich bringen würde. Liebevoll dachte ich an die junge Schreckse zurück. Sie hatte damals ganz verloren ausgesehen, wie sie da zwischen ihrem umgekippten Karren und den verstreuten Habseligkeiten kniete. Verzweifelt bemüht, sie vor einem Wachyeti in Sicherheit zu bringen, der sich vor ihr aufgebaut hatte. Ein mieser Stinkstiefel, der offenbar Gefallen daran gefunden hatte, sie anzutreiben und ihr zu drohen.
Auch jetzt ballte ich darüber noch ärgerlich die Fäuste. Da hatte ich doch etwas unternehmen müssen und zum Glück waren da ja die langbeinigen Insekten gewesen. Feixend dachte ich an das nette Tänzchen, das er daraufhin aufgeführt hatte. Ich schüttelte den Kopf und konnte es nicht glauben. Ein Jahr sollte es nun schon her sein. Zumindest beinahe, denn mir blieben noch zwei Tage, bis sich das Treffen jährte.
Und diese würde ich auch ganz dringend brauchen. Atlantis war die größte Stadt der Welt und ich wusste nicht einmal, wo genau in ihr ich nach den vier Gauklern suchen musste.
„Raus oder Rein, Kleine, herumgelungert wird nicht“, brummte der Wachyeti in meinem Rücken, der mich gerade noch gelanweilt durchgewunken hatte.
Erwartungsvoll verschränkte er die Arme vor der Brust und sah so aus, als wolle er mit einem Schubs meiner Entscheidung nachhelfen. Das war unhöflich, aber im Grunde hatte er doch ganz recht. Wenn ich hier weiterhin nur herumstand und Maulaffen feilhielt, würde ich ganz bestimmt niemanden finden.
Zunächst aber verspürte ich das dringende Verlangen nach einem heißen Bad, um mir den Schmutz abzuwaschen, und vor allem nach einem weichen Lager. Darauf hatte ich nun schon viel zu lange verzichten müssen. Dafür waren die wenigen Pyras gedacht, die in meinem Beutel klimperten, eisern aufgespart.
Entschlossen schulterte ich meine Tasche höher und machte mich auf den Weg, mitten hinein in das herrliche Getümmel.
Der alte Gasthof, für den ich mich entschied, lag etwas versteckt, abseits der Hauptstraße, was man allerdings nur an den Zimmerpreisen bemerkte. Die waren erfreulich günstig und schonten mein Beutelchen. Auch hier war das unablässige Gebrumm der Stadt allgegenwärtig und verstopfte mir die Ohren. Der Holzzuber, in dem ich mich ausstrecken durfte, bot mir reichlich Platz und ich genoss die duftende Wärme des Bades, bis sie fast ganz verflogen war. Rechtschaffen müde und voller Vorfreude streckte ich mich nach dieser Entspannung auf den weichen Decken aus und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Es war noch früh, als ich mich auch schon wieder daraus erhob, die Sonne schien nur bleich durchs Fenster. Die Decken waren noch warm und ich hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Dennoch, mir blieb nicht viel Zeit. Faulenzen konnte ich noch immer, wenn es mir gelungen war Ulex, Mentha und die Zwillinge endlich aufzuspüren. So zog ich mich also an, wusch mir die letzte Müdigkeit aus dem Gesicht und ging dann nach unten in den Schankraum. Dort wartete hoffentlich schon mein Frühstück auf mich.
Gut gelaunt und satt von einer köstlichen Mahlzeit, von der mir die Wirtin immer noch mehr aufgedrängt hatte, verließ ich endlich das Gasthaus. Hier draußen auf den Straßen herrschte das Leben immer noch so rauschend wie am Abend zuvor. Bewohner drängten sich aneinander vorbei, ließen sich hierhin und dorthin treiben, Händler boten ihre Waren an und in einer Kneipe gab es mächtig Aufregung, bevor ein armer Wicht durch die Tür gestoßen wurde. Diese Stadt schlief eben niemals.
Immerhin war ich nun nicht mehr ganz so planlos wie bisher. Ich war zu dem Entschluss gelangt, zunächst das alte Schrecksenviertel zu suchen. Dort hatte ich schließlich das Abschiedsgeschenk erhalten und die vier Gaukler auch zum letzten Mal gesprochen. Zärtlich strich ich über die kleine Brosche an meinen Kappenaufschlag. Wenn uns irgendetwas verband, dann war es ausgerechnet dieser unselige, tote Ort.
Doch schon alleine das Viertel zu finden war eine schwierige Herauforderung. Damals war ich schließlich auf der Flucht vor der Berte gewesen und nur durch reinen Zufall auf es gestoßen. Dabei hatte ich wirklich keine Gelegenheit gehabt, auf den Weg zu achten. Ich wollte in diesem Moment einfach nur so schnell wie möglich meine Haut retten.
So einfach ließ ich mich aber auch wieder nicht entmutigen. Ich wusste zumindest noch gut, wo diese wilde Jagd ihren Anfang genommen hatte. Die Schraubentürme waren ganz in der Nähe gewesen und hoben sich zu meinem Glück ja mit Leichtigkeit über sämtliche Gebäude der Stadt ab. Ich konnte sie jederzeit und von überall her sehen. Und wenn es die Hoawief-Pizzeria noch gab, wäre die sicherlich auch sofort wiederzufinden. Dann hieß es auf das Glück hoffen und alle Wege prüfen, ob ich mich nicht an den Ein oder Anderen davon erinnerte.
Voller Zuversicht machte ich mich auf den Weg, immer geradewegs auf die Schraubentürme zu. Zunächst folge ich der Ilstatna. Als die Lebensader der Stadt führte diese Staße nämlich früher oder später überall hin. Doch bald wurde ich das Gedränge und die häufigen Rempler und Schubser leid, die ich mir hier immer wieder einfing. Außerdem verlor ich zwischen all den Beinen, Klauen und Hufen ständig mein Ziel aus dem Auge. Also schlug ich mich in die breiten Nebengassen. Hier gefiel es mir schon deutlich besser. Wer hier unterwegs war, hatte Zeit. Die Bewohner schlenderten, anstatt zu eilen, und achteten sogar darauf, wohin sie traten. Niemand übersah mich einfach.
Die Geschäfte, von denen all die Nebengassen gesäumt wurden, waren alle deutlich bescheidener als die der Hauptstraßen und in den Cafés herrschte ein entspanner Frieden. Auch ich hätte mich gerne zwischen grüne Kübelpflanzen in die Stühle gesetzt und ein kühes Getränk in der warmen Sonne genossen.
Noch konnte ich das nicht, aber ich nahm mir doch die Zeit, gemütlich zu schlendern und mir alles einmal genauer anzusehen. Scheinbar befand ich mich noch immer in einer Gegend, die zu den besseren in Atlantis gehörte. Die Häuser, an denen ich vorbei kam, waren gepflegt und liebevoll hergerichtet. Die Sonne schien warm bis auf das ebene Pflaster hinunter, aber es gab auch viele Winkel, die kühlen Schatten spendeten. Vor den Fenstern mit ihren bunten Läden hingen überall Pflanzkästen, in denen Blumen reich und prachtvoll leuchteten. Oder auch Gewächse, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Atlantis in all seiner Vielfalt.
Ich wanderte immer der Nase nach, ausgerechnet auf der Suche nach Verfall und dem Anblick von totem Gemäuer.
Die meisten Straßen, durch die ich dabei kam, waren mir fremd, doch es gab auch welche, die mir doch vertraut erschienen. Die blütenreichen Bäume und die erhabenen Büsten dazwischen sah ich nicht zum ersten Mal.
Atlantis blieb nun einmal so, wie es immer gewesen war, und würde wohl auch ewig so bestehen. Nur eines erregte meine Aufmerksamkeit und ließ mich recht erstaunt grübeln. Immer wieder erblickte ich Schrecksen, in dieser und einigen anderen Nebenstraßen. Mit klappernden Karren voller Handelswaren oder Artistenzubehör zogen sie an mir vorbei oder verschwanden damit eilig in schmalen, schattigen Gassen. Jedesmal machte mein Herz bei diesem Anblick einen hoffnungsvollen Sprung und mehr als einmal rannte ich ihnen hinterher, nur um festzustellen, dass es nicht die waren, nach denen ich suchte.
Häufig waren es sogar kleine Gruppen, die auf den Grünflächen der zahlreichen, verstreuten Parks zusammen hockten, um zu rasten oder in schattigen Winkeln der Häuser eine Kanne Tee teilten. Immer in angeregte Gespräche vertieft, die nebensächlich erschienen, aber doch nicht zu verstehen waren.
Ich runzelte verwundert die Stirn und rückte mir nachdenklich das Monokel zurecht. Atlantis wimmelte zur Zeit ja geradezu von Schrecksen. Seltsam, warum sollten all diese Wesen das Bedrüfnis haben, ausgerechnet in diese Stadt zu kommen? Wenn man bedachte, was sich hier einst zugetragen hatte und wie es hier manchmal noch zuging, sollte man meinen, sie würden sie eher von Herzen meiden. Dennoch, es war unbestreitbar, selten zuvor hatte ich so viele auf einmal gesehen.
Ich zuckte die Schultern und winkte diesen Gedanken ab. Was ich mir wieder so alles einbildete. Immerhin suchte ich ganz verzweifelt nach einigen von ihnen, da musste man sie doch an jeder Ecke sehen.
Es war schon fast Mittag, als ich endlich am Fuß der Schraubentürme stand. Ich blickte an ihnen hinauf, bis mich die Sonne blendete und mir ganz schwindelig wurde. Irgendwann würde ich auch bei diesem Besuch noch einmal hinaufsteigen, diesmal vielleicht bis ganz nach oben. Kurz dachte ich an den Gebirgszwerg von damals. Vielleicht war er diesmal der Bräutigam gewesen. Ich lachte amüsiert.
Die Pizzeria war noch da, das verriet mir meine Nase sofort. Mit dem Wind trieb ein köstlicher Duft heran, der mir vermutlich auch diesmal einige Pyras aus der Tasche locken würde. Doch ganz gewiss nicht für das Spezialangebot. Ich gähnte müde und meine Beine schmerzten. Es wäre einfacher gewesen, nach dem Weg ins Schrecksenviertel zu fragen, irgendjemand hätte mir da schon weiter helfen können. Doch das traute ich mich schlicht nicht. Was wusste ich schon darüber, wie bekannt die Geschichte vom irren Hempelchen im Schrecksenviertel im letzten Jahr geworden war?
Sie würde sich doch ganz wunderbar als Stoff für einen Lügengeschichte eignen. Doch selbst, wenn sie niemand glaubte, ich wollte nichts lostreten, indem ich als Hempelchen nach ausgerechnet diesem Viertel fragte. Da blieb mir nur, es selbst wieder zu finden.
Ich ertappte mich dabei, wie ich nur zögerlich den Platz betrat und mich mit klopfendem Herzen nach großfüßigen Berten umsah. Ärgerlich schalt ich mich selbst ein dummes Stück. So ungeschickt würde selbst ich nicht noch einmal sein.
Der Brunnen plätscherte friedlich in der Sonne und zwei Verliebte saßen in inniger Umarmung auf seinem Rand. Der Pizzabäcker hatte Konkurrenz bekommen. In einem winzigen Ladengeschäft, fast versteckt hinter einem Vorhang aus Efeu, hatte jemand ein Café eröffnet. Vor der Tür standen nur einige schlichte Holzbänke, die Tafeln boten nur wenige Getränke und Kuchen. Doch jeder Platz war besetzt, jeder Teller leer. Auch hier fiel mir zuallererst wieder die Schreckse auf.
Die tiefen Furchen zwischen ihren grünen Schuppen verrieten die vielen Jahre, die sie alt sein musste. Sie war klein und dicklich, was bei dieser Daseinsform ja eher selten vorkam. Dank eines beträchtlichen Unterbisses ragten die Zähe aus ihrem Unterkiefer bis über die Oberlippe. Ein paar wenige graue Haare standen ihr vom Kopf ab, als wüssten sie selbst nicht genau, wohin sie wachsen sollten. Neben ihr an der Wand lehnte ein knorriger Stab, die Astgabel an seinem Ende zu einem Ring zusammengebunden. Der Wind wiegte die Kräuterbündel, die darin hingen, und ließ die vielen Tontöpfchen sanft klimpern.
Womöglich konnte sie mir weiterhelfen und würde vermutlich keine weiteren Fragen stellen, Schrecksen waren da sehr zurückhaltend. Auch wenn es mir recht unangenehm war, ausgerechnet eine Schreckse nach dem Schrecksenviertel zu fragen. Womöglich war das aber nicht einmal nötig und es würde schon genügen, die Namen der Vier zu erwähnen. Auch wenn ich eigentlich nur zwei davon kannte. Zögerlich fasste ich mir ein Herz und entschloss mich, sie anzusprechen.
Müde lehnte ich mich einen Moment im Schatten des riesigen Tores gegen die Mauer des Pfeilers. Ich war schmutzig und erschöpft, aber glücklich, endlich wieder hier zu sein. Vor mir lag Atlantis, in all seiner mächtigen Pracht. Kaum zu glauben, aber ich hatte wirklich vergessen, wie unendlich hier alles war.
Zu meinem Glück hatte sich seit meinem letzten Besuch kaum etwas verändert. Ich erkannte den sonnenbeschienen Platz wieder, der vor mir lag. Hier hatte ich Mentha das erste Mal getroffen, nicht ahnend, was diese zufällige Begegnung alles mit sich bringen würde. Liebevoll dachte ich an die junge Schreckse zurück. Sie hatte damals ganz verloren ausgesehen, wie sie da zwischen ihrem umgekippten Karren und den verstreuten Habseligkeiten kniete. Verzweifelt bemüht, sie vor einem Wachyeti in Sicherheit zu bringen, der sich vor ihr aufgebaut hatte. Ein mieser Stinkstiefel, der offenbar Gefallen daran gefunden hatte, sie anzutreiben und ihr zu drohen.
Auch jetzt ballte ich darüber noch ärgerlich die Fäuste. Da hatte ich doch etwas unternehmen müssen und zum Glück waren da ja die langbeinigen Insekten gewesen. Feixend dachte ich an das nette Tänzchen, das er daraufhin aufgeführt hatte. Ich schüttelte den Kopf und konnte es nicht glauben. Ein Jahr sollte es nun schon her sein. Zumindest beinahe, denn mir blieben noch zwei Tage, bis sich das Treffen jährte.
Und diese würde ich auch ganz dringend brauchen. Atlantis war die größte Stadt der Welt und ich wusste nicht einmal, wo genau in ihr ich nach den vier Gauklern suchen musste.
„Raus oder Rein, Kleine, herumgelungert wird nicht“, brummte der Wachyeti in meinem Rücken, der mich gerade noch gelanweilt durchgewunken hatte.
Erwartungsvoll verschränkte er die Arme vor der Brust und sah so aus, als wolle er mit einem Schubs meiner Entscheidung nachhelfen. Das war unhöflich, aber im Grunde hatte er doch ganz recht. Wenn ich hier weiterhin nur herumstand und Maulaffen feilhielt, würde ich ganz bestimmt niemanden finden.
Zunächst aber verspürte ich das dringende Verlangen nach einem heißen Bad, um mir den Schmutz abzuwaschen, und vor allem nach einem weichen Lager. Darauf hatte ich nun schon viel zu lange verzichten müssen. Dafür waren die wenigen Pyras gedacht, die in meinem Beutel klimperten, eisern aufgespart.
Entschlossen schulterte ich meine Tasche höher und machte mich auf den Weg, mitten hinein in das herrliche Getümmel.
Der alte Gasthof, für den ich mich entschied, lag etwas versteckt, abseits der Hauptstraße, was man allerdings nur an den Zimmerpreisen bemerkte. Die waren erfreulich günstig und schonten mein Beutelchen. Auch hier war das unablässige Gebrumm der Stadt allgegenwärtig und verstopfte mir die Ohren. Der Holzzuber, in dem ich mich ausstrecken durfte, bot mir reichlich Platz und ich genoss die duftende Wärme des Bades, bis sie fast ganz verflogen war. Rechtschaffen müde und voller Vorfreude streckte ich mich nach dieser Entspannung auf den weichen Decken aus und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Es war noch früh, als ich mich auch schon wieder daraus erhob, die Sonne schien nur bleich durchs Fenster. Die Decken waren noch warm und ich hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Dennoch, mir blieb nicht viel Zeit. Faulenzen konnte ich noch immer, wenn es mir gelungen war Ulex, Mentha und die Zwillinge endlich aufzuspüren. So zog ich mich also an, wusch mir die letzte Müdigkeit aus dem Gesicht und ging dann nach unten in den Schankraum. Dort wartete hoffentlich schon mein Frühstück auf mich.
Gut gelaunt und satt von einer köstlichen Mahlzeit, von der mir die Wirtin immer noch mehr aufgedrängt hatte, verließ ich endlich das Gasthaus. Hier draußen auf den Straßen herrschte das Leben immer noch so rauschend wie am Abend zuvor. Bewohner drängten sich aneinander vorbei, ließen sich hierhin und dorthin treiben, Händler boten ihre Waren an und in einer Kneipe gab es mächtig Aufregung, bevor ein armer Wicht durch die Tür gestoßen wurde. Diese Stadt schlief eben niemals.
Immerhin war ich nun nicht mehr ganz so planlos wie bisher. Ich war zu dem Entschluss gelangt, zunächst das alte Schrecksenviertel zu suchen. Dort hatte ich schließlich das Abschiedsgeschenk erhalten und die vier Gaukler auch zum letzten Mal gesprochen. Zärtlich strich ich über die kleine Brosche an meinen Kappenaufschlag. Wenn uns irgendetwas verband, dann war es ausgerechnet dieser unselige, tote Ort.
Doch schon alleine das Viertel zu finden war eine schwierige Herauforderung. Damals war ich schließlich auf der Flucht vor der Berte gewesen und nur durch reinen Zufall auf es gestoßen. Dabei hatte ich wirklich keine Gelegenheit gehabt, auf den Weg zu achten. Ich wollte in diesem Moment einfach nur so schnell wie möglich meine Haut retten.
So einfach ließ ich mich aber auch wieder nicht entmutigen. Ich wusste zumindest noch gut, wo diese wilde Jagd ihren Anfang genommen hatte. Die Schraubentürme waren ganz in der Nähe gewesen und hoben sich zu meinem Glück ja mit Leichtigkeit über sämtliche Gebäude der Stadt ab. Ich konnte sie jederzeit und von überall her sehen. Und wenn es die Hoawief-Pizzeria noch gab, wäre die sicherlich auch sofort wiederzufinden. Dann hieß es auf das Glück hoffen und alle Wege prüfen, ob ich mich nicht an den Ein oder Anderen davon erinnerte.
Voller Zuversicht machte ich mich auf den Weg, immer geradewegs auf die Schraubentürme zu. Zunächst folge ich der Ilstatna. Als die Lebensader der Stadt führte diese Staße nämlich früher oder später überall hin. Doch bald wurde ich das Gedränge und die häufigen Rempler und Schubser leid, die ich mir hier immer wieder einfing. Außerdem verlor ich zwischen all den Beinen, Klauen und Hufen ständig mein Ziel aus dem Auge. Also schlug ich mich in die breiten Nebengassen. Hier gefiel es mir schon deutlich besser. Wer hier unterwegs war, hatte Zeit. Die Bewohner schlenderten, anstatt zu eilen, und achteten sogar darauf, wohin sie traten. Niemand übersah mich einfach.
Die Geschäfte, von denen all die Nebengassen gesäumt wurden, waren alle deutlich bescheidener als die der Hauptstraßen und in den Cafés herrschte ein entspanner Frieden. Auch ich hätte mich gerne zwischen grüne Kübelpflanzen in die Stühle gesetzt und ein kühes Getränk in der warmen Sonne genossen.
Noch konnte ich das nicht, aber ich nahm mir doch die Zeit, gemütlich zu schlendern und mir alles einmal genauer anzusehen. Scheinbar befand ich mich noch immer in einer Gegend, die zu den besseren in Atlantis gehörte. Die Häuser, an denen ich vorbei kam, waren gepflegt und liebevoll hergerichtet. Die Sonne schien warm bis auf das ebene Pflaster hinunter, aber es gab auch viele Winkel, die kühlen Schatten spendeten. Vor den Fenstern mit ihren bunten Läden hingen überall Pflanzkästen, in denen Blumen reich und prachtvoll leuchteten. Oder auch Gewächse, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Atlantis in all seiner Vielfalt.
Ich wanderte immer der Nase nach, ausgerechnet auf der Suche nach Verfall und dem Anblick von totem Gemäuer.
Die meisten Straßen, durch die ich dabei kam, waren mir fremd, doch es gab auch welche, die mir doch vertraut erschienen. Die blütenreichen Bäume und die erhabenen Büsten dazwischen sah ich nicht zum ersten Mal.
Atlantis blieb nun einmal so, wie es immer gewesen war, und würde wohl auch ewig so bestehen. Nur eines erregte meine Aufmerksamkeit und ließ mich recht erstaunt grübeln. Immer wieder erblickte ich Schrecksen, in dieser und einigen anderen Nebenstraßen. Mit klappernden Karren voller Handelswaren oder Artistenzubehör zogen sie an mir vorbei oder verschwanden damit eilig in schmalen, schattigen Gassen. Jedesmal machte mein Herz bei diesem Anblick einen hoffnungsvollen Sprung und mehr als einmal rannte ich ihnen hinterher, nur um festzustellen, dass es nicht die waren, nach denen ich suchte.
Häufig waren es sogar kleine Gruppen, die auf den Grünflächen der zahlreichen, verstreuten Parks zusammen hockten, um zu rasten oder in schattigen Winkeln der Häuser eine Kanne Tee teilten. Immer in angeregte Gespräche vertieft, die nebensächlich erschienen, aber doch nicht zu verstehen waren.
Ich runzelte verwundert die Stirn und rückte mir nachdenklich das Monokel zurecht. Atlantis wimmelte zur Zeit ja geradezu von Schrecksen. Seltsam, warum sollten all diese Wesen das Bedrüfnis haben, ausgerechnet in diese Stadt zu kommen? Wenn man bedachte, was sich hier einst zugetragen hatte und wie es hier manchmal noch zuging, sollte man meinen, sie würden sie eher von Herzen meiden. Dennoch, es war unbestreitbar, selten zuvor hatte ich so viele auf einmal gesehen.
Ich zuckte die Schultern und winkte diesen Gedanken ab. Was ich mir wieder so alles einbildete. Immerhin suchte ich ganz verzweifelt nach einigen von ihnen, da musste man sie doch an jeder Ecke sehen.
Es war schon fast Mittag, als ich endlich am Fuß der Schraubentürme stand. Ich blickte an ihnen hinauf, bis mich die Sonne blendete und mir ganz schwindelig wurde. Irgendwann würde ich auch bei diesem Besuch noch einmal hinaufsteigen, diesmal vielleicht bis ganz nach oben. Kurz dachte ich an den Gebirgszwerg von damals. Vielleicht war er diesmal der Bräutigam gewesen. Ich lachte amüsiert.
Die Pizzeria war noch da, das verriet mir meine Nase sofort. Mit dem Wind trieb ein köstlicher Duft heran, der mir vermutlich auch diesmal einige Pyras aus der Tasche locken würde. Doch ganz gewiss nicht für das Spezialangebot. Ich gähnte müde und meine Beine schmerzten. Es wäre einfacher gewesen, nach dem Weg ins Schrecksenviertel zu fragen, irgendjemand hätte mir da schon weiter helfen können. Doch das traute ich mich schlicht nicht. Was wusste ich schon darüber, wie bekannt die Geschichte vom irren Hempelchen im Schrecksenviertel im letzten Jahr geworden war?
Sie würde sich doch ganz wunderbar als Stoff für einen Lügengeschichte eignen. Doch selbst, wenn sie niemand glaubte, ich wollte nichts lostreten, indem ich als Hempelchen nach ausgerechnet diesem Viertel fragte. Da blieb mir nur, es selbst wieder zu finden.
Ich ertappte mich dabei, wie ich nur zögerlich den Platz betrat und mich mit klopfendem Herzen nach großfüßigen Berten umsah. Ärgerlich schalt ich mich selbst ein dummes Stück. So ungeschickt würde selbst ich nicht noch einmal sein.
Der Brunnen plätscherte friedlich in der Sonne und zwei Verliebte saßen in inniger Umarmung auf seinem Rand. Der Pizzabäcker hatte Konkurrenz bekommen. In einem winzigen Ladengeschäft, fast versteckt hinter einem Vorhang aus Efeu, hatte jemand ein Café eröffnet. Vor der Tür standen nur einige schlichte Holzbänke, die Tafeln boten nur wenige Getränke und Kuchen. Doch jeder Platz war besetzt, jeder Teller leer. Auch hier fiel mir zuallererst wieder die Schreckse auf.
Die tiefen Furchen zwischen ihren grünen Schuppen verrieten die vielen Jahre, die sie alt sein musste. Sie war klein und dicklich, was bei dieser Daseinsform ja eher selten vorkam. Dank eines beträchtlichen Unterbisses ragten die Zähe aus ihrem Unterkiefer bis über die Oberlippe. Ein paar wenige graue Haare standen ihr vom Kopf ab, als wüssten sie selbst nicht genau, wohin sie wachsen sollten. Neben ihr an der Wand lehnte ein knorriger Stab, die Astgabel an seinem Ende zu einem Ring zusammengebunden. Der Wind wiegte die Kräuterbündel, die darin hingen, und ließ die vielen Tontöpfchen sanft klimpern.
Womöglich konnte sie mir weiterhelfen und würde vermutlich keine weiteren Fragen stellen, Schrecksen waren da sehr zurückhaltend. Auch wenn es mir recht unangenehm war, ausgerechnet eine Schreckse nach dem Schrecksenviertel zu fragen. Womöglich war das aber nicht einmal nötig und es würde schon genügen, die Namen der Vier zu erwähnen. Auch wenn ich eigentlich nur zwei davon kannte. Zögerlich fasste ich mir ein Herz und entschloss mich, sie anzusprechen.